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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961105024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896110502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896110502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-05
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Ztg." unter der Überschrift „Russische und deutsche Interessen" einen Artikel, in dem sie, „um Klarheit über dir russische Auffassung des Verhältnisses Rußland« zu seinen europäischen Nachbarn zu schaffen", den Gedankengang wiedergiebt, „der in den Aeußerungen einflußreicher Ruffen häufig wieverkehrt". Zn diesem Artikel beißt es u. A.: „Rußland hat noch ander« Interessen, als die territorialen in Asien und bezüglich der Türkei. In Rußland sieben zwei mächtige Strömungen, wenn auch nicht feindlich gegenüber, so doch neben einander. Die eine ist dir siawophil», wir sie sich selbst nennt, die panslawistische, wie wir sie bezeichnen. Ihr Streben ist die Beschützung drr orthodoxen Kirche und ihrer Bekenner, sowie der zu Rußland neigenden Slawen, wozu die Orthodoxen und auch andere, z. B. dir Jungtschechen, gehören. SS ist also ein religiöses und nationales Ziel, welch»« diese Partei verfolgt. Niemand kann verkennen. Laß sie »ine Macht bildet. eS zählt zu ihr ein großer Theil drr maßgebenden Bevölkerung, sie hat einflußreiche Organe, sie ist geeignet, auf die Bolksmaff, einen wachsenden Einfluß zn gewinnen, sie kann vom Zaren nicht ignorirt werben. Dir andere Strömung, die zur Zeit noch dir Regierung bestimmt, geht nicht aus eine directe Annexion oder eine unmittelbare politische, militairische Beschützung der Orthodox n und Slawen außerhalb Rußland», aber auch sie kann sich dem Einflüsse de« religiösen und nationalen Moment» nicht entziehen. Schutz der Orthodoxen im türkischen Reiche ist ein maßgebender Zweck der russischen Politik. Kein« dieser russischen Strömungen birgt rin« Gefahr für Deutsch» land. Denn die Polen — dir geringe Zahl drr Wenden kommt nicht la Betracht — sind Rußland noch feindlicher gesinnt, al» Preuße», der römischen Kirche zugehörig, mithin in keiner Beziehung rin Gegenstand russischer Fürsorge. So wenig e« Deutschland in den Sinn gekommen ist, gegen die Ruisi- ficirung der Deutschen in den Ostlerprovinzen warnend oder gar drohend auszutreten, ebensowenig würde Rußland warnen, drohen oder gar einichrriten, wenn Preußen den Polen statt der Sammt« psötchen dir Zähne wiese, im Begentdeil, r» würde Rußland recht sein und seine Macht in Russisch-Polen bedeutend stärken. Irgend ein Interessengegensatz zwischen Rußland und Deutsch- land liegt also nicht vor; das Streben der Agrarier des Ostens, Lurch übermäßige Kornzölle dem russischen Getreide den Markt zu verschließen, ist nicht politischer oder nationaler Natur und kommt hier gar nicht in Betracht." An Oesterreich-Ungarn wird dann die Mahnung gerichtet, von einer iunerpolitiscken Richtung abzulenkrn, di« auf die Dauer den Frieden gefährde. „Je mehr da« Polrnthum begünstigt wird, desto mehr kommt da« orthodoxe und ruthenische Slawenthum in dir Loge de» unterdrückten, jedenfaü» leidenden. Das wird und kann Rußland aufdirDaurr nicht glrichgiltig ansehra, vollend« nicht, wenn, was höchst wahrscheinlich rinttrwn wird, dir slawophiir Richtung zur Herrschaft gelangt. In Ungarn ist der Romonismu«, wennschon zur Zett noch nicht osficiell herrjchend, so doch auf dem besten W«g« dazu. Osficiell ist die römische Kirche die herrschend«. Da« Slawenthum hat mit dem Deutschlhum und den Rumänen dir Stellung, an die Wand geschoben zu sein, wie in Galizien in Amt und Schule verdrängt zu werden. Mehr al« einmal sind Anzeichen von Sympathie der orthodoxen Slawen und Rumänen mit Ruß land h«rvorgetreteo. U n garn steht Rußland feindlich gesinnt gegen, über, darüber kann man sich nicht täusche», auch da« Geschenk de» Zaren ändert nicht« daran. Schreitet der PoloniSmu« in llitlei- thanien und der Nomani«mu» dort und in Ungarn noch stärker voran, dann wird der Augenblick kommen, wo Rußland rin Halt gebieten wird. Wird nicht gefolgt, und das Gegentheil ist voraus- zusehen, dann ist drr Krieg gegen Oeflerreich-Ungarn da. Würde dann Deutschland für Oesierreich-Ungarn eintreten können? Thätr es da«, so wäre drr Krieg mit Frankreich di« sofor tige Folge, Deuijchland müßte olle seine Macht aus diesen ver- wenden, Oesterreich-Ungarn stände Rußland gegenüber allein. Innere Aufstände in Russisch-Polen würden nur zu leicht zu ähnlichen in Preußiich-Polen führen, m Galizirn — man denke nur an do» Jahr 1846 — wär« Oesterreich der Masse der Ruthen»» nicht sicher." Die Schlußfolgerung ist: „Rußland und Deutschland haben keinerlei wider strebende Interessen. Aber Deutschland hat das zwingende Jiiierrffe, zu verhindern, daß der Same der feindlichen Inter essengegensätze oussprieße. Das Mittel dazu ist sehr einsach: man hüte sich in Deutschland — und da kommt Preußen allein i» Betracht—, dem Polooismu« Vorschub zu geben, man gehe ihm zu Leibe mit allen Kräften. In Oesterreich- Ungarn aber mögen sich dir einsichtigen politischen Kräfte alle Mühe geben, Orstrrreich-Unqarn von einer inner-politischen Richtung abzu lenken, die auf die Dauer den Frieden gesährden muß. Geschieht daS, so wird Deutschlands Verhältniß zu Rußland ein gutes werden und bleiben." Wenn in der an Oesterreich-Unga rn gerichteten Mahnung gesagt wird, Deutschland Werve im Falle eine« von Rußland begonnenen österreichisch-russischen Kriege« nicht für Oesterreich eintrelen können, weil eS dann gegen Frankreich sich zu wehren baden werde, so ist da« nicht ganz richtig. Deutschland ist durch Artikel l. deS deutsch-österreichischen Bündnisse« unter allen Umständen verpflichtet, mit seiner gesammten Kriegsmacht Oesterreich zu unterstützen. Um so zutreffender ist daher die russische Ansicht, daß Deutsch land durch einen Angriffskrieg Rußland« gegen Oesterreich- Ungarn in sehr prekäre Laae versetzt werden würde. Und diese Lage würbe um so prekärer sein, je weniger La« mächtffje Rußland seit dem Ablauf des deutsch russischen Assecuranrvertrag« davon abgehaltrn werden kann, dem »»greifenden Frankreich gegenüber «ine wohlwollende Nolle zu spielen. Der von der „Köln. Ztg." entwickelte Gedankengang ist also genau derselbe, drr uns in den Ent hüllungen und Erläuterungen der „Hamb. Nachr." entgegen tritt, genau derselbe, der zweifellos den Fürsten bewogen bat, nach der Rückkehr des Zaren aus Frankreich mit seinen Ent hüllungen hervorzutreten, die durch den Hinweis auf da« im Jahre i8S0 abgelausenr deutsch-russische Affecuranzabkommen und die seitdem vollzogene russisch «französische Annäherung di« dringende Notbwendigkeit einer sorgfältigen Pflege der guten Beziehungen Deutschlands zu Rußland und der sorg- faltigen Vermeidung einer Rußland abstoßenden Polenpolitik dartbut. Indem die „Köln. Ztg." diesen Gevankengang einfluß reicher Ruffen zur Klärung de« Verständnisse« für dir russische Auffassung de« Verhältnisses Rußland» zu seinen europäischen Nachbarn veröffentlicht, bient sie ganz drmselben Zwecke, den Fürst Bi-marck mit seinen Enthüllungen verfolgt. Um so un begreiflicher ist es, daß da- rheinische Blatt den Zweck, drr den Fürsten leitet, verkennt und in der Befriedigung alten Rachedurstes zu finden meint. Hält di« „Köln. Ztg." den Fürsten wirklich für weniger klarblickend und patriotisch al» sich selbst, oder glaubt fle ihm wirklich de» Vorwurf des Lande-verratbeS deshalb machen zu dürfen, weil er zur Ver stärkung de» Eindrucks seiner Mahnungen etwas mitgethrilt hat, was sein deutscher oder russischer Gewährsmann — vielleicht derselbe, der die „Köln. Ztg." in den Gang seiner Gedanken einweibt — ihm erzählt bat, ebne sich als Ver- rälher eines Staatsgeheimnisses zu enthüllen und also auch ohne seine Mittheilung als strengste« Geheimniß hinzustellen? Im Reichstagswahlkreise Gietzen-Üörüuberg-Nidda findet beute die Ersatzwahl statt, welche durch den Eintritt deS antisemitischen Abgeordneten Kohler in den Postdienst al» Postagent nothwenkig geworden ist. Herr Köhler - be wirbt sich wieder um bas Mandat. Man bat ihm zwar nachgerechnet, daß er seit 1893 bei 46 namentlichen Ab stimmungen 37mal gefehlt bat, und er hat auch jetzt öffent lich e» klärt, daß er im Falle seiner Wiederwahl ebenso wenig nach Berlin kommen werde, wie zuvor, — nichlSdesto- weniger muß man mit der Tbatsache rechnen, daß er eine hinreichende Anzabl von Stimmen erhält, um in die Stich wählen zu gelangen. Znm Tbeil liegt die- allerdings daran, daß viel gute Zeit versäumt wurde, um in dem zer rissenen und de» geographischen Mittelpunktes entbehrenden Wahlkreis mit seiner Unzahl von kleineren Ortschaften Aufklärung und Belehrung bineinzutragen. Auch für die heute fällige Ersatzwahl ist die nationalliberale Partei mrt ihrem Eandiraten so spät bervorgetreten, daß in vielen Orten Wahlversammlungen gar nicht niehr abgcbalten werden konnten. Immerhin darf erwartet werden, daß die Stich wahl zwischen dem antisemitischen und dem nationalliberalen Eandibaten stattfinken wird. Die Socialdemokratie har allerdings von langer Hand her und mit größtem Eifer ihre Wahlvorbereitungen getroffen und rechnet darauf, ihrerseits in die Stichwahl ru kommen und bei dieser den Sieg zu er ringen. Die nächsten Tage Werren ja zeigen, ob die Rech nung mit dem Wirlhe oder ohne ibn gemacht ist. Sicher scheint zu sein, daß die Freisinnigen mit ihrer nicht« weniger al- glücklichen Eaudidatur mit im Hintertreffen stehen werden. Der Skandalproeeh Anseele bat, wie vorauszusehrn war, mit der Verurteilung des „Genossen" geendet. Dir zweitägige Verhandlung vor dem Genter Strafgericht wegen der bei drr ,'ocialvemokratischen Eooperalivgeuoffen- schaft „Booruit" begangenen Verletzungen der Arbeiter schutzgesetze hat da« ebenso erbauliche wie interessante Bild, welche» man sich von den Zuständen in dieser socialdemo- kratischen Mustrranstalt gemacht hatte, vollauf bestätigt. Zunächst ist durch die Verhandlung die allgemeine Tbatsache klar erwiesen worden, daß der Abg. Auseele, der bekannte Leiter de» „Vooruil", nicht einen einzigen der arbritrrsrrund- lichrn Grundsätze, welche er mit so großer Begeisterung io der Kammer vertritt, im „Vooruit" zur Anwendung brachte. Dir Arbeitszeit betrug dort keineswegs acht Stunden, sondern zehn, und drr für diese Arbeitszeit frstgesryle Lobn war so gering, daß sämmtliche Arbeiter, wenn sie nicht ver- hungrrn wollten, sich gezwungen saben, über die zrbn- stündige Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Bon dem Arbeitslöhne nun, welchen die Beschäftigten de« „Vooruit" während dieser sogenannten Ueberstundea ver dienten, machte der allgewaltige Ansrele zwangsweise einen Abzug von nicht weniger al« 40 Procent zur Unterstützung von allerlei Ausständen und Arbeiterbewegungen, die seine Angestellten gar nicht« angingen. DaS Gesetz verbietet aber dies« Abzüge, selbst wenn die Arbeiter dazu ihr« Zustimmung geben. Der Staatsanwalt wie« in seiner au'gezeichuetrn Rede darauf hin, wir di« belgischen Socialistenführrr ihre Grundsätze nur als Parade betrachten, in Wirklichkeit aber mit Füßen treten, und betonte mit Recht, daß die Arbeiter und Angestellten in keiner bürgerlichen Fabrik so schlecht und tyrannisch behandelt würden, wie dir- im „Booruit" unter der unbeschränkten Gewaltherrschaft Anseele'« der Fall ist. Sehr bezeichnend ist die Tbatsache, daß Anseele von seinen eigenen Arbeitern nicht ander« als ver „Zar des Vooruit" genannt wird. In seiner BertheivigungSrede erging sich ter socialdemokratische Volkstribun in einer Reihe von Tiraden gegen die verhaßte bürgerliche Gesellschaft, konnte aber die ihm zur Last gelegten Gesetzesübertretungen nickt entkräften und wurde daber sammt allen seinen Mitangeklagten Genossen ru der vom Gesetz vorgesehenen Geldstrafe verurtheilt. Selbstverständlich wirb da« „Abzug-system" im „Vooruit" damit sein Ende erreichen. Mag nun Anseele nunmehr noch so sehr über die „bürgerliche Rechtsprechung", die ibr verdammendes Urtheil über ihn gefällt hat, schimpfen, seine Arbeiter, denen dadurch die ungerechien und empfindlichen Abzüge erspart werden, dürften mit dem Urtheil de« Genter StrafgerichtShofe« sehr einverstanden sein, klebrigen« charakteristrt sich die Criminalstatistik der belgischen Socialdemokratie in neuester Zeit durch auf fallende Reichhaltigkeit. Da haben wir neben dem Anseele-Procefi den vom Genossen Duguquiere gegen den socialdemokratiscken Deputieren Brenoz und 4 seiner Freunde angestrengten Ver- leumdungSproceß. In Seraing ist der Bürgermeister und der Vor sitzende der ebrmaligen Gemeindeverwaltung gegen den svcial- demokratischen Depulirtcn Smeet« und den socialdemokralifchen Beisitzer Gönn wegen Beleidigung klagbar geworben. In Iemape« ist der Genosse Florimvnd Mathieu aus 14 Tage hinter die schwedischen Gardinen gewandert, weil er sich Unregelmäßigkeiten pecnniärer Art hat zu Schulden kommen lassen. E« sind die« nur die bekannt gewordenen Fälle der letzten Woche, die immerhin einen beweiskräftigen Schluß darauf gestatten, daß es mit dem gesetzlichen Sinne ter belgischen „Genossen" nicht besonders gut bestellt ist. In Lyon ist am DienStag die Eonfrrenz der 104 protestantischen Eonsistorien Frankreich» eröffnet worden. Dieselbe ist diesmal von besonderer Wichtigkeit und seit Iabren wurden für sie Vorbereitungen getroffen. Sie soll nämlich eine Annäherung zwischen den beiden Parteien deS Protestantismus, der orthodoxen und der liberalen Partei, herbeiführen, einen moüus vlvencki zwischen beiden berzuslellen suchen und gleichzeitig den reformirken Kirchen eine Eentralvertretung geben, die im Stande ist, ihre Rechte und Grundsätze sowohl vor dem Staate wie vor der öffentlichen Meinung würdig zu vertreten. Seit 1872 lebten die beiden Parteien von einander getrennt und barten jede ihre besondere Organisation: die Orthodoxen ihre Synode, die Liberalen ihre Generalversamm lungen. Die Trennung war durch da» GlaubenSbekenntmß bervorgerufen, da» di« Synode von 1872 aufgestellt halte. Gleichwohl machte sich seit einiger Zeit bei beiden bas Be streben zur Lösung de« dogmatischen ConflictS geltend. Die Erinnerungen an die Vergangenheit, die Gemeinsamkeit ver In teressen, das Bedürfniß, gegen dieselben Angriffe Front zu machen, haben allmählich den Wunsch gefestigt, die gegenseitigen Be ziehungen enger zu knüpfen und im Rahmen de« Eoncorbats zu einem gemeinsamen Leben zu gelangen. Jedes Eonsistorium bat 2 Delegirt«, einen Pastor unv einen Bürgerlichen, entsandt. Im Ganzen umfaßt dir Eonfrrenz also 208 Mitglieder. Sie bauert «in« Woche. Der „Temp«" schreibt hierzu: „Ist die Herstellung eine» Einvernehmen» wahrscheinlich? E» würde unvorsichtig sein, dir- zu bejahen, denn die Hugenotten sind mehr alS andere empfindlich und unversöhnlich. Doch etwa« Fenilletsn. Hans Jürgen. Roma» von Hedda v. Gchmid. Nasbrack »ertöte«. „Herr Baron, ich bitte um die Hand Ihrer Fräulein Tochter." Der also Angeredete schnellte «in wenig überrascht von seinem Sitz empor. „In der Tbat, Vrrebrtester, was Sie sagen — bm, meine Frau meinte zwar — Margaret sei noch so jung und — —" „Herr Baron, Sie kennen doch den Spruch: Jung ge- srrit bat Niemand gereut. Wollen Sie mir Ihr« Tochter anvertrauen, ich gelobe eS Ihnen, ich will Margaret auf Händen tragen mein Leben lang. Wir lieben einander." „Sie find also einig, bm — so binter dem Rücken meiner Frau, wollte sagen, hinter dem Rücken der Eltern. Aber ick sage ja nickt von vornherein nein", setzte der alte weiß haarige Herr beschwichtigend hinzu, al« sein Gegenüber etwa« nervös an seinen rotbbraunen Handschuhen mit erhabenen Nähten zu zerren begann und Miene machte, vom ge polsterten Ledersessel aufzuspringen. „Ich sage nicht nein", wiederholte der Baron, wiederum vor seinem Schreibtisch au- Eichenholz Platz nehmend, „aber Eie werden mich verstehen, Berehrtesler, ich muß gurrst mit meiner Frau Rücksprache nehmen. Es wird un» Beiden schwer fallen, un» an den Gedanken, Margaret fortzugebru, zu ge wöhnen, sie ist unser einzige« Kind." „Herr Baron", — der junge Mann schnellte nun wirklich empor und muckte einen Schritt vorwärts — „ich will doch nicht hoffen, daß Sie etwa in meine Werbung um Maraarrt berechnende Motive sehen. Sie wissen, Lommerdsboff ist «m fast schuldenfreier Besitz, drr mir hübsche Einnahmen ein trag» und ich denke " „Bewahre, Herr v. Lommerd, dieser Gedanke ist bei mir auSgeschloflea, völlig ausgeschlossen, eine solche Voraussetzung meinerseits wäre unwürdig, aber sehen Sie" — die Stimme des alten Herrn begann leise zu zittern — ,Z>enn Einem ein Sonnenstrahl da« Hau« erhellt, wenn ein Singvogel uns fröhlich umzwitschert und wenn es dann mit einem Schlage ander« werden soll, wenn er still wird, dann —" „Aber Herr Baron", der hochgewachsene blond« Mann ergriff fast stürmisch di« feine, blauaeäderte Recht« de« alten Herrn —, eine durch und durch aristokratische Hand — „aber Herr Baron, LommerbShoff liegt ja kaum zehn Werst von Hobenvrt, ich entführe Idnen Ihr Kind ja nicht in dir weiten Fernen und — der Himmel hat Ihnen Ihren Sohn schon früh genommen, wollen Sie r« mir verweigern, Sir Vater zu nennen, Sie al« einen solchen zu ehren?" Da brach es fast wie ein Schluchzen au« der Brust de« alten Herrn: „Ja, wenn unser Erich noch lebt«, bann stünde er jetzt da, ebenso blübend wie Sie, ebenso in ver Vollkraft seiner Jugend. Einmal müssen wir unseren Augentrost, unser Nachgeborene«, unsere Maraarrt doch fcrtgebrn. und — so sei'» denn gesagt — am liebsten gebe ick sie Ihnen, Hau« Jürgen v. Lommerd. Wenn Ihnen auch der Ruf an- daftrt. Sie seien ein ebenso toller unv lrichtblüiiaer Junker wie Ihre Vorfahren, so weiß ich'« doch bester: in Ihnen steckt ein guter, gesunder Kern. Sie baden da« Zeug dazu, unser Kleinod glücklich zu machen. Doch nun geben Sie und führen Sie Ihre Sache selbst bei meiner Frau, sie nennt Sie zwar immer einen Heißsporn, aber trotz alledem hat sie Sie gern, davon bin ich überzeugt." „Herr Baron, mein Wort drauf, da- Wort eine« estb- ländischen Edelmanne», ich will und werde Ihr« Tochter glücklich machen." Fest schloß sich seine Rechte um die bleiche zitternde Land de« Baron«, dann rief Letzterer: „An mein Herz, Hans Jürgen, mein Sohn!" Da wurde zwischen den dunkeln schweren Porti-rea, welche da- Eabinet de» Barons vom anstoßenden Gemach schieden, eine imposante, wohlconservirt« Frauengestalt sichtbar. „Kurt, mein Freund", sagte eine tiefe Stimme und die runden Augen der Dame hafteten mit erstaunt fragendem Ausdruck auf der Gruppe, welche sich mittlerweile wieder ge löst batte. „Annemarie", sagte der Baron, Han« Jürgen eine Hand auf Vie Schulter legend, »Herr v. Lommerd wirbt um unser Kind." Die Stimme de« alte« Herr» bebte noch in verhaltener Rührung. „Darf ich hoffen, Frau Baronin, daß auch von Ihrer Seite", begann Han« Jürgen, doch die Dam« schnitt ihm kurz das Wort ab. „Ich hab« es so kommen sehen, ich weiß auch, daß Mar garet Sie liebt, ich müßt« sonst meine Tochter schlecht kennen. Mein Manu hat bereit« eine Eatscheivung getroffen, er bat Sie Sohn genannt" — der Baron warf hier seiner Gattin einen gleichsam entschuldigenden Blick zu — und letztere fudr fort: „Ich tadle Deinen raschen Entschluß durchaus nicht, lieber Kurt, ich weiß, in Kleinigkeiten ist meine Meinung vielleicht competrnter, wo e» sich jeroch um ernste Lebens fragen handelt, da treffen Dein goldene« Herz, Dein feiner Tact immer da« Rechte. Und wenn ick mich selbst ausrichtig befrage, so muß ich gestehen, Sie haben e» mir auch ange- tban, Han« Jürgen, und obgleich ich Sie oft einen lockeren Vogel gescholten, so weiß ich doch, welch ein Fond» in Ihnen steckt, ich kenne Sie ja von Kindesbeinen an. Und ich kann« verstehen, daß Margaret Vater und Mutter verlassen will, um Ibaen zu folgen. Gott segne Sie, Han» Jürgen, mein Sobn." Tief neigte sich der blonde schlanke Mann über die volle weiche Frauenband, ein mütterlicher Kuß streifte seine Stirn, dann sagte die Baronin, welche keine Freundin von aus gedehnten Rührscenen war: „Nun geben Sie, Hans Jürgen, und bolen Sie sich zum zweite» Male von Margaret'» Lippen das Geständniß ihrer Liebe, und dann bringen Sie un« da« Kind, damit es den Segen seiner Eltern empfange. Mar garet weiß vermutblick um den Zweck Ihres brütigen Kommen», denn als sie Ihr« Sckimmet in die Pforte biegen sah, huschte sie wie ein scheue» Reh in den Park. Dort finden Sie sie." Drunten im Park duftet der Flieder. Uralte Linden wiegen ihre Wipfel in den Lüften, sorgfältig unter der Scheere gehaltene Hecken zieben sich dahin, hier und da leuchtet eine weiße Gartenfigur auf, und drüben im Gemüsegarten, jenseit» des Steinzaune« lärmen die Spatzen in den sonnigen Vor mittag hinein. Wenn man an das Südende des Parke- gelangt, so kann der Blick, über den mäßig bohen Zaun hinübrrsckwrifend, auf weiten Feldern rubea. Fern am Horizont schimmert r« dunkelblau, dort beginnt der sich Werste weit hinziebende Tannenwald, welcher eine gewichtige Ziffer des Lommerd- schen Besitze« bildet. Margaret v. kohrnort lehnt an dem verwitterten Zaun. Ibr« Finger zupfen nervös an den Grashalmen, welche »wischen den Spalten der Steine lustig rmporwuckern, ibr Blick haftet sehnsüchtig auf dem fernen dunkeln Waldstrick, hinter besten Grenze sich da« stattliche Herrenhaus von Lommerd-boff erhebt. Würde sie je als Herrin dort ein ziehen? Eben — in dieser Minute vielleicht wird über ihre Zukunft entschieden. Würden die guten, liebevollen Eltern herzen sich dem Glücke ihre« einzigen Kindes verschließen? Margaret liebte Hans Jürgen so lang« sie denken konnte. Er war ihr stet- al- Ideal alles Schönen, Kühnen und Sieg haften vorgekommrn. Der schlanke, sonnverbrannte Nachbar- sobn hatte r« ihr angethan, als er, seine Eltern auf einem Besuche in Hobenvrt begleitend, aus seinem zottigen Ponny berübergrritlen kam. Au» dem Knaben war ein stolzer, bochgewachsener Mann geworden, in besten dunkelblauen Augen e» sprühte und blitzte von Lebenslust und Dasein-frende. „Wetten und wagen", so lautete sein Wablspruch, und sein sich gestecktes Ziel zu erreichen, fiel ihm nie schwer, dem ritter lichen, verwegenen Han« Jürgen v. Lommerd. So wie er auf allen Rennen, die er mitritt, spielend durch s Ziel flog, ein» mit seinem Rosse, jede MuSkel fiebernd an gespannt und dabei doch so erfolgessicker, so unnackabmiich selbstbewußt und kübn, so wird er auch beim großen Wett rennen des Leben« den höchsten Preis, die blaue Blume deS Glücke«, zu erstreben wissen. Margaret preßt beide Hände aus ihr stürmisch pochendes Herz — sie wagt eS, sich vor lauter Seligkeit kaum selbst rinzugestehen: sie ist der Prei«, nach welchem HanS Iingen die Hand auSstreckt, sie ist die Blume, um die er wirb», er, dem so viele Herzen entgegen fliegen, der nur zu wählen hat, der überall gefeiert wird von den Damen, obzwar be dächtige Mütter kopfschüttelnd über ihn den Spruch fällen: „Ein lockerer Vogel, den kein Käfig dauernd zu fesseln vermag." Margaret'» eigene Mutter batte ja oft genug HanS Jürgen'« Pferdepassion getadelt: „Wozu diese Reiterstückchen, wozu seine Haut zu Markte tragen? Dajür hat man den Eircn«." Würde die Mama, die immer so resolut und entschieden austrat, Han« Jürgen abwrisen? Margaret weiß e«, sie geht zu Grunde vor Herzeleid, wenn sie nicht dem Manne, den sie anbetrt und vergöttert, angebören soll. Seit gestern Abend — man hatte einen Geburtstag in drr Nachbarschaft festlich begangen, Port batten sich Margaret und HanS Jürgen getroffen und in einer Quadrille batte sich Letzterer erklärt — befindet sich Margaret wie im Traume. Nun durchlebt sie in der Erinnerung jene glückseligen Augenblicke — mit welch' innigen Worten hatte Han« Jürgen um sie geworben, aber trotzdem hatte in seiner Sprache etwa«
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