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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990609016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899060901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899060901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-09
- Monat1899-06
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Das ist sicher nicht „die Kraft aus der Höhe", die das Barett des Staatsanwalts sich aufsetzt und das Bajonett des Gendarmen aufpflanzt oder in den Straßenkittel der Be schimpfung und Verleumdung sich kleidet, um einer geistigen Richtung den Weg zu verlegen. Was nimmt man sich dort Alles gegendieEvangelischenodei: die, die es werden wollen, heraus! Man giebt sich gar nicht mehr die Mühe, dies Vorgehen gesetzlich zu begründen; das „öffentliche Wohl", wie es Thun und seine Sippe verstehen, muß Alles rechtfertigen. Unter diesem Titel con- fiscirt man schlankweg auch die harmlosesten protestantischen Flugschriften; man schickt mitten in der Rächt Gendarmen in Bauernhäuser, um dort nach evangelischen Blättern nachzusuchen; man öffnet Briefe, in denen man solche Drucksachen vermuthet; man überwacht die Korrespondenz zwischen Denen, die in Oester reich, und Denen, die in Deutschland im Vordergründe der Be wegung stehen; so mancher Brief wird näher geprüft; man hält sogar Telegramme zurück. Und noch nicht genug. Evangelische Beamte werden rücksichtslos versetzt, wenn sie kräftiger für ihr Bekenntniß eintreten; einem Einjährig-Freiwilligen giebt man 20 Tage Arrest, weil er dem Protestantismus sich zuwandte; einen Auscultanten, den man im Verdachte hatte, für die Sache des Uebertrittes zu arbeiten, entläßt man aus seiner Stellung und wirft ihn unter der Anklage auf Geheimbllndelei ins Ge- fängniß. Das ist österreichische Praxis. Und dabei steht auf dem Papier der Gesetze die Anerkennung der frefLP Religionsübung; dabei ist auch der Uebertritt zur evangelischen Kirche unter staat lichen Schutz gestellt. Aber darnach fragt man jetzt nicht, der Klerus will cs anders und di« Regierung gehorcht. Wie wenig müssen deren Vertreter doch davon wissen, was zum Bestände und Gedeihen eines Staates gehört; hätten sie irgend etwas von Hegel gelernt, so besännen sie sich vielleicht darauf, daß der Staat wesentlich durch das Vertrauen seiner Bürger zu seiner Rechts ordnung geschützt wird. Aber über diese schwingt man sich leicht hin am Stabe feudaler klerikaler Anschauung hinweg; man nimmt den Oesterreichern den letzten Rest von Zuversicht auf Gerechtig- keit, als wolle man deren Erbübel, den Pessimismus, ganz be sonders entwickeln. Das kann doch kaum den jetzigen Macht habern verborgen sein, wie wenig Anhänglichkeit, wie wenig Ver trauen zu seiner Zukunft der Habsburger-Staat in allen Schichten der Bevölkerung, auch in den Kreisen der Beamten bis hinauf zu den höchsten Stellen, besitzt. Anstatt mit allem Fleiße den kärglich glimmenden Docht des Staatsbewußtseins zur Flamme anzublasen, zerdrückt man an ihm noch die letzten Funken. Was erreicht man? Auf der einen Seite wird die Ver bitterung immer größer und die Ueberzeugung fester, daß ein solcher Staat, der die Gewissen antastet, auf die Dauer nicht be stehen kann, während andererseits gewiß auch manche ein geschüchtert und dazu getrieben werden, ihr inneres Leben zu verschleiern, d. h. zu heucheln; die Gesinnungslumperei wird ge pflegt. O, du mein Oesterreich, was soll aus dir werden, wenn deine Bürger in Pessimismus und Gesinnungslumperei ihre moralische Kraft einbüßen, und diese ist doch die stärkste Stütze eines staatlichen Gemeinwesens. Aber wie die österreichischen Unterthanen, so erleiden auch die Reichsdeutschen von den Organen der Regierung in der evangelischen Bewegung volle Willkür. Es ist leider draußen das FsrröHetsir» Neue Dramen. ii. Das Schicksal der Dramatiker hängt heutigen Tages zum großen Theil von den Theaterdirectoren ab: Dramen, die nicht aufgeführt werden, fristen ihre Existenz in einem Dunkel, das auch von der neueren Literaturgeschichte nicht erhellt wird; denn Quellenstudium, welches auch die Literatur der Gegenwart ver langen müßte, gilt hier nicht für ein wissenschaftliches Er- forderniß; eine Litrraturgeschichte schreibt der anderen ihre „großen Dichter" nach und fügt vielleicht einen oder den anderen persönlichen Bekannten hinzu oder einen Dramatiker, dessen Stücke gerade an dem Aufenthaltsort« des Gelehrten oft gegeben werden, so daß dieser für sein Parquetbillet sich die nöthige Literaturkunde erwirbt; doch große Talente, die nur im Buch handel ihre Erzeugnisse veröffentlicht haben, bleiben unbeachtet — ja wenn si« noch dem vorigen Jahrhundert angehörten, da konnte man vielleicht eine texttritische Ausgabe von ihnen ver anstalten, so aber „ist es nicht des Schweißes der Edeln werth", sich um sie zu kümmern. Eine offene Thüre führt nur von der Tagespreffe in die Literaturgeschichte; was aber unter die Redactionstisch« fällt — und dazu gehören die meisten nicht auf geführten Dramen —, das ist auch für di« Literaturgeschichte und di« Nachwelt verloren. Di«se Gedanken drängten sich uns auf, al» wir die beiden Dramen de» Wupperthaler Dichters Friedrich Röber: „Appius Claudius" (dritte Auflage, Julius Bädeker, Leipzig, 1898) und „Die Gräfin von Toulouse" (zweite Auflage, Julius Bädeker, Leipzig), durchlasen — Dram«n, di« von einem sehr markigen dramatischen Ton zeugen, welches demjenigen mancher erfolgreichen Bühn«nschriftsteller, die das gleiche Genre pflegen, durchaus nicht nachsteht. Doch sie sind nicht auf die Bahn ge langt, wo die Kugeln rollen, die alle Neune werfen oder wo mindestens ein Schub mit nennenswerthem Erfolg in Aussicht st«ht; sie bewegen sich ganz außerhalb der theatralischen Kegel bahn, obschon die beiden vorliegenden Stücke keineswegs dem Theater mit absichtlichem Trotz den Rücken kehren; sie sind im Ganzen bühnengerecht und eine Einrichtung derselben würde wenig Schwierigkeiten bieten. „Appius Claudius" ließe sich leichter in Scene setzen al» die Shakespeare'schen Römerstücke, Ansehen des deutschen Reiches gesunken; in ihm ist die Periode der „kalten Wasserstrahlen" vorüber. Ständen wir noch in dieser, so wäre schwerlich Pastor Everling aus Crefeld in solch' schmäh licher Weise von der Wiener Polizei auf „Waffen und Gift" untersucht und dann „wegen des Scheins politischer Agitation" ausgewiesen worden; so hätte man sicher Bedenken getragen, den Pastor Schneider, der von dem Presbyterium in Langenau zum Geistlichen gewählt werden sollte, ohne allen Grund über die Grenze zu schaffen; so würde man nicht den evangelischen Ge meinden, die Prediger brauchen, aber bei dem Mangel an öster reichischen Theologen nicht finden können, es so schwer machen, reichsdeutfche Kandidaten zu berufen. Keine Diasporakirche kann die persönlichen Kräfte, die sie zu ihrem Dienste nöthig hat, aus ihrer Mitte beschaffen; sie ist auf auswärtige Hilfe angewiesen; auch die römisch-katholische Kirche in Sachsen bedarf Geistlicher aus fremdem Lande; sie würde in ihrer Thätigkeit sofort ge- hemmt werden, wenn unsere Behörden ebenso gegen die katho lische Kirche verführen, wie die österreichischen gegen die evan gelische 'Kirche. Das sollte man in Wien bedenken; die Rück sichtslosigkeit drüben fordert zu Repressalien auf unserer Seite heraus. Freilich, man rechnet dort mit unserer Michelnatur, mit der deutschen Gutmüthigkeit, Langsamkeit und Geduld; aber man übersieht, daß auch deren Faden einmal und plötzlich reißen kann. Und daß er dünner und dünner wird, das bewirkt di« Arbeit der habsburgischen Regierung. Man sündigt auf das Axiom los, daß das deutsche Reich des Bündnisses mit Oesterreich nicht ent- rathen könne. Aber auch politische Beziehungen zwischen d«n Staaten haben ihren Halt zuletzt an der Sympathie der Völker; schwindet diese, so zer fällt auch das Band der Gemeinschaft. Und wahrlich, größeres Geschick, die Neigung und das Vertrauen der Reichsdeutschen zu dem schwarzgelben Gemeinwesen zu untergraben, hat wohl selten eine Regierung an den Tag gelegt als die, die nach „Graf Thun" sich nennt. Ihr Verhalten gegen die evangelische Be wegung ruft das Mittelalter auf den Plan der Gegenwart. Das deutsche Volk kann auf die Dauer keine Freundschaft mit einem Staate hckben, der dem modernen Geiste sich völlig entfremdet und der tyrannisch die Glaubens- und Gewissensfreiheit unter drückt. Wir fühlen es nicht als ehrenvolles Glück, mit rück ständigen Leuten zusammenzugehen, die als Nachgeborene des Thomas von Aquino die Welt nur mit dem fanatischen Auge des Ignatius von Loyola betrachten und mit seiner harten Hand knebeln wollen. Die Wiener Machthaber folgen dem Winke des jesuitischen Klerus; dieser hat schlau die Parole geprüft, die evangelische Bewegung habe nur politische Ziele; sie gehe auf die Zertrümmerung des Habsburgerstaates aus. Der Klerus selber weiß, daß das eine Unwahrheit ist; er weiß, daß ein starker religiöser Zug die Deutschen Oesterreichs erfaßt hat. Aber mit jenem Märlein kann der Jesuitismus die Staatsgewalt für seine Zwecke ausnutzen; ihr Arm muß ihm helfen, die geistige Freiheit niederzuschlagen, die römische Zwingherrschaft zu behaupten und zugleich die evangelische Kirche Oesterreichs in ihrem Winkeldasein feftzuhalten, womöglich sie ganz zu zerreiben. Der Jesuitismus kämpft dort um seine Existenz; hört Oesterreich auf, seine Do mäne in der Geschichte zu sein, so ist er überhaupt am Ende seines für die Völker so unheilvollen Wirkens. Aber w ie er um seine Selbstbehauptung ringt, das ist, besonders für uns Reichs deutsche in der Aera des Eentrums, lehrreich. Rom macht draußen Ernst mit seinem Syllabus, der als Lehre der römischen Kirche aufstellt, daß diese die einzig berechtigte Staatsreligion und daß anderen Religionsgemeinschaften die Ausübung ihres Kultus nicht zu gestatten sei. Mit brutaler Gewalt sucht man dies aber mals wie in den Tagen der Gegenreformation durchzuführen. an welche wir durch einzelne Scenen des Röber'schen Dramas erinnert werden, was die Kraft der Charakterzeichnung und die Energie des dramatischen Wurfes betrifft. Der Held Appius Claudius ist ein eiserner Charakter, ein tapferer Krieger, aber ein Diktator, der in Rom selbst Alles niedertritt, was seine Be strebungen kreuzt, König von Rom zu werden; rücksichtslos tritt er nicht nur den Plebejern, sondern auch den Patricicrn gegen über und kann sich bei dieser Willkürherrschaft, welche über die Amtsdauer hinaus das Amt des Decemvirs zur Grundlage einer uneingeschränkten Herrschaft machen will, lange Zeit auf das Heer stützen. Doch auch diese Stütze bricht zusammen, als er nicht blos die Machtgelüste des Tyrannen, sondern auch die Ge lüste einer Leidenschaft befriedigen will, die er für Virginia, die Tochter des Virginius, hegt; durch die Hinterlist eines seiner Clienten, Marcus, d«r Virginia unter «inem Scheingrund als Sclavin für sich in Anspruch nimmt, sucht er sich seiner Beute zu bemächtigen; doch Birginius tödtet fein Kind, damit es nicht in die Gewalt des tyrannischen Machthabers falle — und das giebt den Anlaß zum Sturze des Appius Claudius, der sich selbst das Leben nimmt, als er sieht, daß Patricier und Plebejer sich gegen ihn verbinden. Das Charaktergemälde des Appius Claudius ist wohlgelungen; ein «Usurpator von Thatkraft und wilder Leidenschaftlichkeit, das Volk verachtend wie Coriolan, doch nicht von der sinnlosen Grausamkeit der Neronen, hat er wohl etwas Abschreckendes, doch dabei einen Zug von Größe; er strebt danach, König von Rom zu werden; er sagt zu den Patriciern: Ich war allein «S, der di« wüth'ge Best!« DeS Volks in eiserne Ketten schlug und ihr Da» Maul in einen «isernen Maulkorb zwängte. So nahm ich Euch di« Sorge. Ihr saßet ruhig An Euren Tischen wie die schmausenden Götter, Trankt ungemischten Wein aus vollen Krügen, Und wenn die ersten Morgenwölkchen purpurn Sich färbten, sah voll Scham Aurora Euch, Die rosenfingrige, besinnungslos Am Boden auf den Pantherfellen liegen. Werf' ich mein Amt dahin, so wird sie frei. Die Bestie, und springt Euch an den Hals, Ihr schüttelt sie nicht ab. Sie mordet Euch Und Rom wird Eurer Feinde leichte Beute. Rom! Rom! Ihr denkt an Euch, ich denk' an Rom; Die Feinde wagten nicht heranzukommen, So lang' in einer Hand di« Herrschaft ruhte. Rom kann sich durch geistige Mittel nicht aufrecht erhalten; es be wahrt seine Herrschaft nur, wenn ihm der staatliche Arm zur Verfügung steht. Freilich, noch immer ist dieser im Dienst« Roms seiner Kraft verlustig gegangen. Der Jesuitismus treibt jedes Gemeinwesen in den Abgrund; das wird auch das Schicksal der habsburgischen Monarchie werden, wenn sie sich nicht dem Geiste des Ignatius von Loyola entrückt. Gelingt dies nicht, dann wird zu der Zukunft des Nachbarstaates das Lied: „O Du, mein Oesterreich", nur noch als Trauer- und Klagelied er klingen. 2L. Deutsches Reich. Berlin, 8. Juni. (Der „Beobachter" gegen die „Freisinnige Zeitun g".) Je leidenschaftlicher die „Freisinnige Zeitung" die Erwerbung der Karolinen-, Marianen- und Palau-Inseln als werthlosen „Plunders" bekämpft, um so schmerzlicher wird das Organ des Abgeordneten Richter durch die Thatsache getroffen, daß das Organ der süddeutschen Demokratie, der Stuttgarter „Beobachter", zu dieser colonialen Angelegenheit einen Standpunct einnimmt, der keineswegs mit dem Standpunkte del „Freisinnigen Zeitung" identisch ist. Wohl stimmt auch der „Beobachter" der neuen Colonialerwerbung nicht vorbehaltlos zu; aber während die „Freisinnige Zeitung" lediglich den wirthschaft- lichen Werth der Inselgruppen ins Auge faßt, erkennt der „Be obachter" an, daß bei dem neuen Kolonialbesitz auch andere Ge sichtspunkte als die materiellen Beachtung verdienen. Der „Be obachter" druckt aus einem Artikel der voltsparteilichen „Vossischcn Zeitung" folgende Stelle ab: „A llzu hoch wird man die Erwerbung der Inselgruppen . . . vom wirthschaft- lichen Standpuncte nicht anschlagen dürfen. Nichtsdestoweniger macht die Erwerbung der Karolinen gerade im gegenwärtigen Augenblicke auf die Völker einen erheblichen mora- lischenEindruckzuGunstenDeutschlands . . . . Die eine Wirkung wird der Uebergang der Karolinen in deutschen Besitz zweifellos haben, das Ansehen der deutschen Nation unter den Regierungen und Böltern auch in fremden Erdtheilen zu erhöhen." — „Diese Au ff ass sung der Dinge", erklärt der „Beobachter", „nähert sich der unsrigen." Bedenklich stimmt den „Beobachter" nur die Frage, ob die Kaufsumme und die jährlichen Verwaltungskosten nebst dem Aufwande für die in jenen Gegenden zu unterhaltenden Kreuzer in richtigem Berhältniß stehen zu dem erzielten moralischen Eindruck und dem idealen Werth. — Der Regierung dürfte es nicht schwer fallen, dem Bedenken des demokratischen Blattes erfolgreich zu begegnen. Denn mit dem vom „Be obachter" anerkannten idealen Werthe des neuen Colonialbesitzes ist seine Bedeutung keineswegs erschöpft; um letztere richtig zu würdigen, muß man berücksichtigen, wie sehr der Besitz der Karolinen in maritimer Beziehung und im Hinblick auf diehandelspolitischeundpolitischeSituation in Ostasien ins Gewicht fällt. Erwägt man ferner, daß die Regierung über die Höhe des Kaufpreises, über die Vcr- waltungskosten und über die Kosten, die der Marine aus der neuen Erwerbung erwachsen, sicherlich eine befriedigende Auskunft wird ertheilen können, so ist vielleicht die Hoffnung nicht allzu kühn, ein Theil der süddeutschen Demokratie werde der Er werbung der Karolinen zustimmen. Wie aber auch die demo kratischen Parlamentarier im Reichstage abstimmen mögen: die Haltung des „Beobachters" ist ein ebenso kennzeichnender wie er freulicher Beweis dafür, daß die Colonialpolitik immer mehr Boden im deutschen Volke gewinnt. Die gehässigen Ueber- treibungen, mit denen unsere Colonialpolitik zu bekämpfen die Damit ist's nicht genug, sie abzuhalten Von unfern Thoren; nein, wir sind gedrängt, Sie uns zu unterwerfen diese Scholle, Darauf wir stey'n; ich fühl' ein mächtig Ahnen Daß sie zur Wcltgebiet'rin werden könnte. Und jetzt sind wir ein Spott der Völker und, Zerrissen von Parkiungen, vergeudend Die eigne Kraft in unfruchtbarem Hader. Ich reich' die Hand Euch hin, schlagt «in, Quinten! Und Rom eröffne ich eine Bahn des Ruhms. SPas jetzt hier fehlt, ist nur der eine Mann, Der Alles, was sich feindlich stößt und drängt. Zusammenfaßt in seiner starken Hand Und lenkt zu einem Ziel — der König fehlt. Diese Rede, die zugleich von Röber's markiger Diktion eine beweiskräftige Probe giebt, zeigt uns den Helden des Dramas in einem selbst über kleinliche egoistische Interessen hinausgehenden Streben; als ihn aber die Liebesleidenschaft erfaßt, La wird er zum wüsten Tyrannen — und diese Wendung giebt dem Seelen- gemälde frappante Züge. Es ist ein Vorzug der Röber'schen Dramatik, daß sie die Charaktere in einer fortschreitenden Ent wickelung, ja Wandlung zeigt. Dies gilt besonders von dem Cha rakter der Tullia, einer stolzen Patricierin, die das Volk und ein Mädchen wie Virginia verachtet, die Partei des Appius Claudius ergreift, sich für ihn begeistert, aber als er ihren Vater richten läßt, sich von ihm abwendet und ins feindliche Lager übergeht. Das Drama hat überhaupt nichts HistorienhafteS, eS ist keine inscenirt« Chronik mit tumultuarischer Scenenfolge; die Hand lung hat eine organisch« Entwickelung und «inen dramatischen Fortgang. Weniger bedeutend ist „Die Gräfin von Toulouse", rin an ein Märchen anklingendes Drama, das aber in unserer Zeit durchaus nicht fremdartig gemahnen würde, denn das dramatische Märchen ist ja zur Herrschaft auf den Bühnenrepertoiren ge langt, seitdem die Revolution der Literatur diesen zahmen Auk- gang genommen hat, und die gefeiertsten Vertreter der Mo derne" wieder beim Tieck'schen Phantasus angelangt sind und in der mondbeglänzten Zaubernacht der Romantik ihren poetischen Reigen schlingen. Friedrich Röber steht in Bezug auf ursprüng liches Talent nicht hinter ihnen zurück; die Gräfin von Toulouse erschien ursprünglich unter dem Titel „Das Märchen vom König Drosselbart", da der aus einer altitalienischen Novelle ent nommene Stoff an daS Märchen erinnert. 1857 erschien es zu erst in den von Düsseldorfer Künstlern herauSgegebenrn MonatS „Freisinnige Zeitung" für angezeigt erachtet, werden das Grgen- thril von dem erzielen, was sie beabsichtigen. U Berlin, 8. Juni. (Ausstellung von Arbeits bescheinigungen.) Zur Ausstellung von Grundsätzen, nach denen die Verwaltungsbehörden bei Ausstellung von Arbeitsbescheinigungen zu vrrsahren hätten, um späteren Be anstandungen derselben vorzubeugen, hat sich das ReichS- versicherungsam t für unzuständig erklärt. Es müsse vielmehr dem pflichtmäßigen Ermessen der Verwaltungs behörden überlassen bleiben, auf welche Weise sie sich die Ueberzeugung verschaffen, daß der Rentenbewerber in den bescheinigten Zeiten in ihrem Bezirk versicherungspflichtige Lohnarbeit verrichtet habe. Andererseits aber dürfe auch den Versicherungsanstalten das Recht einer Nach prüfung der Arbeitsbescheinigungen, sowie der sonst maß gebenden Unterlagen sowohl bei der Feststellung wir bei der Vertheilung der Renten nicht versagt werden, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß die Bescheinigungen von Behörden ausgestellt seien. Denn die Verwaltungsbehörden seien bei den anzustellenden Ermittelungen vielfach auf untergeordnete Stellen oder ans die Aussage unverantwortlicher, dritter Per sonen angewiesen, so daß Irrlbümer nicht ausgeschlossen seien und auch tbatsächlich — wie die Erfahrung lehrt — zu weilen vorkämen. Allerdings habe da- NeichSversicherunzSamt bei Bescheinigungen über die Jahre lS88 bis 1890 stet- den Standpunct eingenommen, daß keine allzustrenge Nach prüfung allgemeiner amtlicher Bescheinigungen stattfinden soll, um nicht den angestrebten Erfolg in Mißverhältniß zu der dieserbalb erforderlichen Mühewaltung zu sehen. Wenn indessen die Versicherungsanstalten auf Grund thaisachlicher Unterlagen berechtigte Zweifel zu haben glaubten, ob der Inhalt der Bescheinigung den Tbatsachen entspreche, so könne ihnen die Befugniß nicht abgesprochen werden, entweder durch Beweisanträge im geordneten Vrrsahren oder durch Rück fragen bei der Ausstellerin die Berichtigung der Bescheinigung herbeizusühren. * Berlin, 8. Juni. („Culturkämpferei im Co lieg".) Die „Germ." denuncirt den Geheimrath Prof. Or. Hübler, daß er „Culturkämpferei im Kolleg" treibe. Im Colleg über Kirchenrecht soll Geheimrath Hübler zur Ver anschaulichung der Entwickelung in der katholischen Kirche vom Episkopal- zum Papalsystem folgenden Vergleich gebraucht haben: „Eine Art Epistopalsystem haben wir in staatsrechtlicher Beziehung gegenwärtig in unseren Bundesstaaten. Die BunveS- fürsten sind gleichsam die Träger der episkopalen Gewalt. Der Kaiser ist priruus inte? psros. Wenn nun der Kaiser eines Tages erklärte: „Ihr Fürsten! Eure Macht ist an mich über gegangen, ich kann überall in Eure Rechte eingreifen", so würden selbst die ultramontanen Katholiken nicht anstehen, diese Thal für einen gemeinen Staatsstreich zu erklären." Der Vergleich trifft, wie die „Voss. Ztg." mit Recht bemerkt, in der That den Nagel auf den Kopf, aber daß er die „Germ." verdrießt, ist sehr begreiflich. Der Papst PiuS IX. hat sich wirklich in Kapitel III seiner Constitution vom 18. Juli 1870, die in Capitel IV die Unfehlbarkeit enthält, zum ersten Bischof jeder Diöcese gemacht, der jeden Augenblick sich an die Stelle des wirklichen Bischofs setzen kann. Auch Las zweite Beispiel von „Culturkämpferei", das die „Germ." anführt, ist bitter, aber wahr: „Der Papst kann sämmtliche Katholiken, die „wahren" und „anständigen", bewegen wie eine Drahtpuppe. Das ist der Ultramontanismus." Doppelt schwer trifft dieser Vergleich nach der Schell'schen Verurtheilung, denn im Falle Schell mußte die „Germ." sich selbst wie eine Drahtpuppe mitdrehen. Es ist heften mit Illustrationen von Camphausen; doch im Gegensatz zu der Sben erwähnten Entwickelung der Moderne hat Röber seiner Dichtung jetzt alles Märchenhafte abgestrrift und den guten König Drosselbart im Erbbegräbniß der Düsseldorfer Monatshefte und ihrer alten Jahrgänge beerdigt; er hat, wie er im Vorwort sagt, in der gänzlich neuen Bearbeitung das Märchen und jeden Hinweis auf dasselbe ausgeschiedrn, um der Gefahr zu ent gehen, den Ernst der Handlung und dir ethische Wirkung in das Märchenhafte zu verflüchtigen. Der zu Grunde liegende Stoff, die Umwandlung eines trotzigen und hochmüthigen Frauenhirzens durch die Noth des Lebens oder di« scheinbare Grausamkeit des Mannes, ist fast bei allen Völkern in den verschiedensten Formen zur Darstellung gekommen; von seiner heiteren Seite aufgefaßt, begegnet «r uns in Shakespeares „Zähmung der Wider- spänstigen". Die Widerspänstige in unserem Drama ist Isabella, die junge Gräfin von Toulouse. Sie weigert sich, dem Wunsche ihres Vaters zu gehorchen und sich d«m Sohne deS Grafen Navarra zu vermählen, obschon durch einen solchen Bund ein langjähriger Streit zu versöhnlichem Ende geführt worden wäre. Da greift ein allerdings märchenhaftes Motiv in die Handlung ein. Der verschmähte Prinz erscheint al» Trödler Philipp und gewinnt das Herz der stolzen Isabella; er läßt sich mit ihr trauen, führt sie durch Sturm und Wetter in «ine dürftige Hütte, bis sie Alles im Licht der verklärenden Liebe sieht und ihren früheren Hoch muth bereut. Dann lüftet er sein Jncognito, zeigt seinen Stern und führt die bekehrte Prinzessin in sein Fürstenschloß. Es ist eine etwas gswagte Annahm«, daß dieser junge Prinz seinem Land und Volk gänzlich fremd ist und in solcher Maik« erscheinen darf — freilich muß er sehr oft beiseite treten, wenn der Vater erscheint, der doch seinen Sohn jedenfalls wiedererkennen wird. Die Herkunft aus dem Märchen kann daS Stück nicht ganz ver leugnen. Der Charakter der Isabella und ihre innere Wandlung ist indeß treffend gezeichnet und eine von aller Ueberschwänglich- keit freie und doch echt dichterffchen Geist athmende Diktion, die gelegentlich auch eine markige Energie zeigt, läßt die Theilnahme der Leser nirgends erlahmen und so bühnengerecht, wie die neuerdings vielfach aufgeführten Märchendramen, ist auch Röber's „Gräfin von Toulouse". Zu der maßhaltendrn Diction dieses Dramatiker» steht in scharfem Gegensatz die Ueberschwänglichkeit, die in P a u I Fleischer' s Li«bestragödie „Abiilard und Heloise" (Leipzig, B. W. Theodor Dieter) henscht, und sich bisweilen zu Geschmacklosigkeiten versteigt, wie sie der Lohenstein'schen Schule eigen waren. Oder sollte gar dir „Modern«" mit ihren
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