Suche löschen...
Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189604248
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18960424
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18960424
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-24
- Monat1896-04
- Jahr1896
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1896
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
66 „Gott nahm mir von zwei Söhnen einen, — und meine Kinder find mir an- Herz gewachsen," sagte er bedrückt und mit leiser Stimme. Ein Schweigen trat ein, dann fragte Stefan: „Und jene Weibsperson sitzt noch immer im Zuchthause?" „Sie ist seit mehr als einem halben Jahre wieder frei. Die Hülste der Strahlt ist ihr erlassen worden. ES war ja um diese Zeit die Amnestie für einzelne Gefangene, und weil fie sich dort besonders gut aufgeführt, auch den kleinen Sohn des GefäugnißdirektorS aus dem Brunnen gerettet, wurde sie begnadigt." „Und wo lebt sie jetzt?" „Wo sie immer gelebt hat — hier in Tura." „WaS, in Eurer Nähe, vor Euren Augen, Vater?" sprach der junge Mann erregt. „Damit ihr Anblick Euch daS Schreckliche immer in Erinnerung bringt! Warum habt Ihr nicht veranlaßt,fdaß sie sich einen andern Wohnort wählte?" „Ich — ich hab' kein Recht zu so etwas," sagte Richter Semany mit einer seltsamen Unsicherheit in der Stimme. „Sie hat ihre elende Hütte hier, ihr armseliges Feld, eine gelähmte Mutter, die ihrer bedarf, ich — hab' kein Recht sie zu ver treiben. „Ich wär' der Letzte, der das sagen würde, Vater, aber man kann eS ja in Güte versuchen. Wenn man ihr die Hütte und daS Feld unter der Hand abkaust, und gut bezahlt, wird sie nichts dagegen haben, anderswo zu wohnen; nur Euch aus den Augen soll sie!" „Laß hier die Hand aus dem Spiel, Stefan!" kam es in verhaltener Erregung über die Lippen Gabors, und wie ein Blitz schoß es sekundenlang hinter den dichten, buschigen Brauen hervor. Dann, nach einem Schweigen ruhiger und mit der altgewonten Stimme: „Es braucht Dich nicht zu be unruhigen, mein Sohn, sie — sie tritt mir selten in den Weg, und auch ohne ihren Anblick denk ich nur zu ost an die Ver gangenheit." Das zornige Auffahren befremdete zuerst den jungen Mann, doch gewohnt, in seinem Vater den besten und vor trefflichsten der Menschen zu sehen, schrieb er im Gefühle kind licher Ehrfurcht diese Aufwallung einer großmüthigen Regung zu, auch einen Feind nicht zu drängen, und so sagte er, hinge- riffen von dem Augenblick: „Wenn meine Liebe und Verehrung für Euch weiter gehen könnte, Vater, so wär' es geschehen durch das, was Janek, der Kutscher, den Ihr mir zur Station entgegengeschickt habt, erzählt hat. Ihr habt während der ganzen Zeit, die jene Bozena im Zuchthaus saß, ihre Eltern erhalten, ihnen die Unterstützung wöchentlich inS HauS geschickt? . . . Ihr der Vater des Ermordeten?!" „Sei M, sei still, Stefan, sprich mir nicht davon!" unterbrach ihn der Vater, und man sah, welche Pein ihm der Gegenstand bereitete. Tann nach einer Pause wieder: „Was konnte der kranke, blinde Matuschek, waS die völlig gelähmte Frau für daS Verbrechen ihrer Tochter? Hart genug für die armen Leute, das ihr einziges Kind im Zuchthaus saß. Sollten Sie auch noch Hungers sterben? Und das wär' geschehen; denn es war eine Erbitterung im Ort, daß man ihnen am liebsten daS Haus über dem Kopf eingesteckt hätte. ... Er war kein hiesiger, der Matuschek, und nie besonders beliebt gewesen, und als — das noch hinzukam, hätt' man die ganze Familie zerreißen mögen. Ich mußt sie als Richter schützen und ihnen wochenlang nachts einen Mann als Wächter stellen. Und auch so . . . sind sie mir nicht allzulang zur Last gefallen. Der Alte starb noch im selben Jahr, und seitdem sie . . . die Tochter wieder zu Hous ist . . . hat ja alles aufgehört." In diek-.m Augenblick trat Hanka mit einem Weinkrug und Gläsern in da- Zimmer und unterbrach das Gespräch zur großen Erleichterung des alten Gabor; denn er warf ihr einen fast dankbaren Blick zu. In Stefan jedoch hatte sich daS Ge fühl der Befremdung wiederholt und in stärkerem Maße als das erste Mal. War es möglich, daß das Schicksal dieser Menschen, die — so furchtbar in sein Leben eingegriffen, derart auf ihn wirken konnte? DaS wäre ja über das gewöhnliche Maß menschlicher Großmuth hinaus gewesen! ... Es waren weder Verwandte noch Freunde gewesen, die irgend ein noch so schwaches Interesse in Anspruch genommen hatten. ... Ja, er erinnerte sich, daß sein Vater immer, wenn er auch nicht die allgemeine Abneigung theilte, doch mit einer Art Geringschätzung von dem alten Matuschek gesprochen. Oder erregte ihn der Gegenstand selber, die Erinnerung — an den tobten Sohn nur derart tief? .... Hanka hatte ihre Scheu überwunden und entwickelte ein heiteres, gefälliges Wesen. Sie fragte Stefan, wie es ihm bei den Soldaten gefallen und ob er sich nach so langer Abwesenheit zu Hause zurechtfinden würde? Der junge Mann versetzte, daß das Soldatenleben ein schönes sei und daß es ganz seinen Neigungen entsprochen habe, daß er aber auch gerne nach HauS gekommen wäre; denn die Sehnsucht habe an seinem Herzen genagt; auch gingen ihm die Wünsche des Vaters über alles. „Wir wollen es Dir auch erleichtern, Stefan, daß Du nicht zu viel an das alte Leben zurückdenkst," meinte das Mäd chen und lächelte nach gewohnter Art, und wieder blitzten die weißen Zähne zwischen den rothen Lippen, vertieften sich die Grübchen in ihren vollen Wangen. „Wenn Du mit mir Freundschaft halten willst, dann wird es gewiß nicht fehlen," sagte Stefan, sie mit Wohlgefallen be trachtend. Und Freunde waren wir von jeher. Erinnere Dich nur, Hanka, wie Du als sechsjähriges Kind zu unS kamst und es für mich großen Jungen kein größeres Vergnügen gab, als Dich auf den Armen herumzuschleppen und Dir allerlei Spiel werk zu schnitzen. Schelte hat es mir oft genug von der seligen Mutter eingetragen, weil ich zu viel Zeit mit Dir verbrachte, auch Streitigkeiten und manche Züchtigung von Marek, den es verdroß, daß Tu lieber mit mir spieltest." Der junge Mann hielt fast erschrocken inne, denn er hatte geglaubt, die Erinnerung an den Tobten würde den heiteren, rosigen Schein von ihrem Antlitz scheuchen; aber Hankas braune Augen lachten wie zuvor, wie immer, wenn sie sprach, schimmerten die weißen Zähnchen, lächelten die Wangengrübchen. Der alte Semany saß als Mer Zuhörer. Er hatte seine Erregung überwunden und freute sich der Gespräche der beiden, der be lebten Blicke, die hin- und hergingen, denn — es paßte zu seinen Plänen ... Als es dann spät wurde, mahnte er ans Schlafengehen. Stefan war von der Reise sehr ermüdet und bedurfte der Ruhe. Am anderen Morgen führte Gabor den Sohn in der Mühle herum, ihm die Veränderungen zu zeigen, die er mit derselben vorgenommeu. Und wenn Stefan diese nicht so lebhaft in Er innerung gehabt, würde er einige Punkte schwer erkannt haben. Früher war es ein schlichter, langgestreckter Bau gewesen mit einem Strohdach, dessen goldene Farbe die Jahrzehnte schon längst in ein fahles Grau verwandelt hatten. Jetzt erhob sich > ein zweistöckiges Wohnhaus an dessen Stelle, mit zwei Thürmchen zu beiden Seiten, mit einer stattichen Fensterreihe, mit einem breiten gewölbten Eingang, mit Schnörkeln und Zieraten, daß es getrost in einer Straße der Hauptstadt hätte stehen können. Stattliche Wirtschaftsgebäude fügten sich im Halbkreise daran, einen gepflasterten Hof bildend, den vorn ein eisernes Gitter abschloß. Nur daS Mühlenhaus, das gerade gegenüberlag, war 67 das alte geblieben. Noch immer stieg der mächtige Hochwald hinter ihm auf, einen ewigen Dämmerschein über dasselbe brei tend, nur durch den Strom getrennt, der seitwärts, von der Höhe herabkommend und eine Kurve bildend, in wilden Sätzen über das mächtige Räderwerk sprang und es in Bewegung setzte. Etwa 200 Schritte von diesem entfernt, erhob sich ein angefangener niederer Bau, aber von großen Dimensionen, der statt der Fenster runde Oeffnungen hatte und überhaupt in dieser Bauerngegend ein eigenthümliches Gepräge trug. „Was soll denn das werden?" fragte der junge Mann erstaunt. „DaS Gehäuse für die neue Dampfmühle," sprach der Richter langsam und den Sohn mit einem seltsamen Blick betrachtend. „Ich hatte direkt einen Baumeister aus Neutra kommen lassen, er wurde aber krank, ist es noch» und so feiert der Bau seit zwei Monaten." „Was, — sollen wir denn mit einer Dampfmühle?" rief der junge Mann mit einem immer größeren Ausdruck von Be fremdung und Staunen. „DaS werd ich Dir schon sagen, Stefan; aber erst will ich wissen, ob Dir dies alles da gefällt, wie Du mit der Ver änderung zufrieden bist?" „Ich weiß nicht," versetzte dieser zurückhaltend. „Das alte Mühlwerk sieht mich mit den Augen eines alten lieben Be kannten an . . . alles andere ist mir wie ein vollständig fremder Mensch . . ." „Es freut Dich also nicht?" fragte der Richter mit dem Ausdrucke der Enttäuschung und des Staunens zugleich. „Das will ich nicht ganz behaupten, Vater, aber ich hab mich so lang auf die Heimath gefreut, jeder Punkt hat etwas Liebes und Heiliges für mich! Jetzt ist's, wie gesagt, wie ein Mensch mit mehr fremden als bekannten Zügen. . . . Und dies ist ja auch kein Bauernhaus mehr, Vater," fügte er, auf das Gebäude deutend hinzu, „das ist ein Herrenhaus, das in der Stadt stehen könnte. Und was sollen wir mit der Dampfmühle, Vater?" „Das will ich Dir alles erklären," versetzte der Alte, er griff den Sohn beim Arm und schritt mit ihm den verdeckten Laubgang längs der Mühle hinunter. „Sieh, Stefan, ich wollt' Dich mit allem überraschen. Du warst in der Welt, Du hast ein anderes Leben kennen gelernt und solltest, wenn Du wieder- kehrtest, nichts vermissen. Und jahrelang hab' ich mich auf den Augenblick gefreut, wo ich Dir alles zeigen, wo ich alles mit Dir würde besprechen können. Der Marek ist tot, nun sind wir zwei noch da und wir wollen fest zu einander stehen und Hand in Hand zusammen gehn. Und Du wirst mich besser verstehen als Marek, der nie einen Schritt in die Welt gethan hat. Du hast was gelernt, hast mit anderen Menschen gelebt und Deine Gedanken sind keine' bäurischen mehr, wie es meine nicht sind . . . und auch niemals waren . . . Tenn mein Schicksal war in der Jugend dem Deinen ähnlich. Auch ich hab die Schulen besucht, ich war der zweite Sohn und sollte Geistlicher werden. Da starb, als ich achtzehn Jahre alt war, der ältere Bruder und ich mußte an seine Stelle rücken. Mir ward es aber nicht leicht: ich übernahm ein tiefverschuldetes Erbe. Vater und Großvater hatten schlecht gewirthschaftet und Hypotheken auf Hypotheken sich angehäuft, wie sich in einem feuchten rissigen Hause Pilze auf Pilze ansetzen. Mein heißes Streben war, den Namen und das tiefgesunkene Ansehen der Semanys wieder herzustellen. Jahre und Jahre eisernen Fleißes, ungeheuerer Anstrengungen gingen darüber hin, aber — ich erreichte was ich gewollt: Die Semanys waren wieder was und . . . mehr noch als je zuvor. Doch ich blieb dabei nicht stehen. Mit den Jahren kamen andere Pläne, andere Gedanken, die ich aber in mir verschloß, bis meine Söhne Männer sein würden." „Sieh, Stefan, wir sind hier aus unserer Umgebung heraus gewachsen ; wir sind keine eigentlichen Bauern mehr, unser An sehen gleicht dem der Bürger, jo der Adligen, und doch sind wir weder das eine noch das andere. Wenn ich mit Petras Jekete, der der reichste Mann des OrteS ist, durch die Straßen gehe, so ist der Gruß, der mir gespendet wird, achtungsvoller, in dem Gemeindehaus wird mir so viel Ehre erwiesen wie dem Kommissär und Notar, ja das Wort unseres strengen Herrn Pfarrers Matras hat mehr Gewicht, wenn ich es durch Billigung bekräftige." „Wir werden adlige Bauern genannt, Stefan, wir wollen den Bauern fallen lasten! Den Adel will ich erwerben, er soll erblich in unserer Familie werden, wie jetzt der Besitz der Mühle, wie die Richterwürde. Die Damvfmühle soll in kürzester Zett vollendet und eingerichtet sein. Die Leute haben noch keine Idee hier davon, ich komme nur gern mit fertigen Sachen, und so hab' ich ihnen eingeredet, daß es eine Ziegelbrenncrei nach neues tem Muster werden soll, da die alte schon baufällig ist. Ich will hier eine großartige Industrie Hervorrufen, Stefan, und der Adel kann uns nicht ausbleiben. ES sind so manche hier in der Gegend, die ihn auf diese Weise bekommen haben, erst voriges Jahr der Holzbändler Poppetz, der zu einem Ritter von Poppetz geworden ist. Seit der Zeit läßt's mir auch keine Ruh; denn ich kenn' den Mann. Es ist mein heißester Wunsch, Stefan, daß wir nicht mehr die Semanys, sondern die Herren von Semany heißen." Gabor Semany hatte lebhaft mit dem Feuer der Jugend gesprochen. Seine Augen blitzten energisch hinter den dichten weißhaarigen Brauen hervor; über daS Antlitz des Sohnes hin gegen hatte sich ein immer stärkerer Ausdruck schmerzlichen Er staunens gebildet. Ihm war es, als habe sich daS ganze Hei- mathsbild vor ihm gewandet: und als blicke ihn jeder Gegenstand kalt und fremd an. „Nun du findest kein Wort?" fragte der Richter, als der Sohn stumm vor sich hinblickte. „Verzeiht, Vater! Ich muß mich erst sammeln, muß zu mir selbst kommen, um zu glauben, was ich gehört." AuS Stefans Antlitz sprach fast ein Ausdruck von Schmerz. „Euch genügt nicht mehr unser alter ehrlicher Nome, die Tüchtigkeit unseres Geschlechts, das sich trotz mancher Abschweifungen immer von neuem bewährt? Die Achtung und guie Meinung, die man Euch dem Gabor Semany entgegenbringt? . . . Ihr wollt ein fremdes Reis auf unfern Stamm setzen, der noch kräftig und saftvoll genug ist, seine eigenen gefunden Früchte hervor» zubringcn?!" „Ich bin noch mehr über. Dich erstürmt," unterbrach ihn der Richter betroffen und mit einem Zuge starke» Unwillens in de» energischen Zügen. „So sprichst Tu, der jüngere Mann, vor dem das Leben noch liegt, dem Feuer durch die Adern flie ßen müßt'!? .... So sprichst Dir und bist Soldat, bist im Krieg gewesen?! Und daß Du nicht feig gewesen bist, zeigt die Narbe auf Deiner Srirn! Und doch kennst Du den Ehrgeiz nicht willst nicht weiter streben? Hältst Dich nicht gefreut, wenn Du Offizier, wenn Du Hauptmann geworden?" „Das ist etwas anderes, Vater," versetzte der junge Monn einfach. „Man ist das, was man ist — ganz, und freut sich, wenn es Anerkennung findet. Da entwi sich das Höher steigen aus der Sache heraus. Wer Solaot ist, kann Offi-irr, kann Hauptmann werden; dw. sind die sä- den soldatisch'» Muth und militärische Tüchtigtr't eingesetzter. Grade WaS Ihr erstrebt, Vater, ist kein Stehen, sondern ein Sil ken Als Bauern sind wir die Ersten hier, werde» wi»- als etwas besonderes auzesehn und auch geachret; in d.-m Sums, neu Ihr erstreben wollt, werden wir nicht unr die Letzten seit, ,o.wera man wird uns roh, ungeschliffen, ungebildet, lächerlich finden
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite