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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189605166
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18960516
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18960516
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-05
- Tag1896-05-16
- Monat1896-05
- Jahr1896
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1896
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78 beschäftig«. DaS Rausch« de» Stromes und dar Gellapper der Räder war ihm eine solch' liebe, vertraute Melodie, die ihm die ganze Kindheit herzauberte. Ja, sie war ihm noch lieber und chmrer als früher, die alte Mühle, da sich eine Art Mit leid zngesellte, wie für jemand«, dessen Tage gezählt sind . . . Und um war ihre Zeit! Nur Noch« noch und die Räder stand« für immer still. — Der Strom trieb ruhig und un gehindert seine Well« über die geebnete Stelle, und auS dem groß«, plump« Schlot dort wirbelte der Rauch in dick« Stößen und eine andere Kraft, ein anderes Geräusch zermalmte die fein« Körner zu Staub — »Later,- sagte Stefan eines TageS — er war mit Ar beite« im Walde gewesen, um Bäume zu fäll« —, »ist der Wald unser alleiniges Eigmthum?" »Wie kommst Du zu dieser Frage?" »Ich werde Euch den Grund sag«, möcht' aber dies vor her wissen." »Nimm an, daß eS so ist." Gabor war zu der Ueberzeugung gekommen, daß er Stefan kein« Einblick mehr in seine Verhältnisse gestatten durste, wenn er ihn dem Vorhaben nicht ganz entfremden wollte. Und — er hatte so manches zu enthüllen gehabt so manches, von dem der Sohn keine Ahnung hatte »O, Vater, dann fällt ja ein großer Theil von Euren Aast« und Sorgen ab! Tausende und Tausende stecken in den fest« all« Stämmm des stundenweiten Waldes. Laßt sie fäll«, Vater, auf Jahre hinaus versorg« sie die Gegend mit Holz, und wollt Ihr noch weiter gehen, der Strom ist eine gute Fahrstraße, er bringt sie bis nach Neutra hinunter." ES war zum erst« Mal, daß Stefan derart eine selb ständige Meinung äußerte. »Du hängft ja so sehr am Alt«, Stefan," versetzte Gabor mit einem leis« Spott in der Stimme. »Wie ist's möglich, daß Du Dich derart von Deinem lieb« Wald» trennen willst?" Aber der Sohn hörte gar nicht auf den leisen Spott, sondern sagte mit Eifer: »Nur die alten Bäume sollen geopfert werd«, der junge Nachwuchs bleibt stehen; auf den ausgerodeten breiten Stell« pflanzt man nach, und in ein paar Jahren giebts wieder ein« Wald." »Gut!" sprach Gabor, der das plötzlich erwachte Interesse des EohneS festhaltm wollte. »Man kann's ja versuchen. Bis zum große» Eichengrund kannst Du fürs erste die Bäume be zeichn« und Deine Berechnungen mach«, ich werde mich unterdeß über den Preis von 100 Stämmm erkundigen. Kann sein, daß sich ein gutes Geschäft damit machen läßt." »So will ich gleich heute anfangen, Vater. Ich habe ja ohnehin im Walde zu thun, da die gefällten Bäume eingebracht werd« müssen und vielleicht noch einige Stämme zu fällen sind." Und zum ersten Mal, seit er wieder im Vaterhause war, machte sich Stefan mit einem frisch« freudigen Muth an die Arbeit, als sei eine innere Fessel in ihm gesprengt worden . . . Währmd am Nachmittage ein Theil der Arbeiter die un geheuren Stämme ans Wagen lud, ein anderer Theil noch Bäume fällte, sah sich Stefan im Walde um. Er wollte zuerst ein« Einblick über dos Ganze gewinn«. Der Vater hatte ihm zwar nur d« Raum bis zu dem großen Eichmgrund an gedeutet, waS schadete eS aber, wenn er nochmals den ganzen Wald übersah? Bei dm Arbeite« war nichts mehr zu thun, jedem war seine Arbeit angewiesen und sie mußt«, vor dem Dunkelwerden mußte diese beendet sein. So durchstreifte Stefan d« Wald, freute sich der starken, riesig« Stämme und bewun derte den Reichthum, der in ihnen steckte. Ja, daS konnte eine Hilfe »erd« gegen die lästig«, drückenden Verpflichtungen und — vielleicht auch gegm die — die ihm die drückendste schien ... an di« er nicht ohne innerliche Bedrängniß denken konnte.... Müde geworden, setzte er sich auf ein« mit Moos über wucherten Rain, der zwischen zwei Eichbaum« wie eine Art Ruhebank lag und zwischen denen hindurch man wie durch ein Guckfenster über den sanften Abhang sah, dm hier der Wald bildete, der, mit jung«, schlanken Tannen besetzt, bis zu dem kleinen klaren Bach führte, wo jenseits der mächtige Eichengrund wieder ausstieg. Da schlugen Stimmen an sein Ohr, eine Frauen- und eine Kinderstimme. Woher mochten diese kommen? Er streckte weiter den Kopf vor und sah über den ganzen Ab hang hinunter. Ja, dort, wo der Bach einen kleinen Halb kreis beschrieb, saß auf einer freien Stelle ein kleines Mädchen, die Schürze voller Vergißmeinnicht, und vor ihm stand ein großes, kräftiges Frauenzimmer und befestigte einige davon an dem kleinen Brustsatz; auch den dunkeln Kinderkopf schmückte sie damit. Es war die Bozena Matuschek, er erkannte sie, trotzdem er sie seit seinem ersten Begegnen nicht wiedergesehen — nicht wiedergesehen, aber sich oft genug in Gedanken mit ihr be schäftigt .... Es war die Bozena und doch . . . wieder nicht sie .... Es war ihre große, kräftige, ebenmäßige Gestalt, es war derselbe Anzug, den sie damals getragen: der kurze, unge bleichte Rock, das geflickte dunkle Mieder, das bunte Tuch über das dunkle, wellige Haar geschlungen; aber das Gesicht, wie sah dies verwandelt aus! Wie war es damals bleich und ent stellt von Haß gewesen! Wie erstarrt jeder Zug in finsterem Trotz! welch drohendes Feuer hatte aus den Augen geflammt! . . . und nun welch weicher, friedlicher Ausdruck, wie ruhig und sanft blickten die großen grauen Augen . . . Jetzt lächelte sie sogar und die weißen, geradlinigen Zähne kamen zum Vor schein, aber mit anderem Ausdruck als damals. Damals hatte sie den Haß, maßlosen Zorn enthüllt und dem Gesicht etwas unsagbar Wildes gegeben, jetzt war cs das harmlose Lächeln eines Kindes, das die ernste, kräftige, fast zu strenge Schönheit ihrer Züge sänftigte, wie aufblitzende Sonnenstrahlen den herben, düsteren Charakter einer Landschaft. . . . „Tantinka, noch ein paar Blumen!" bettelte das kleine Mädchen. »Das sollen aber für heute die letzten fein," versetzte die tiefe Stimme Bozenas. Und sie bückte sich und brach vom Rande des Ufers noch einige blaue Blüthen. »Steh' auf, Marischka, Du mußt nach Haus, man wird Dich suchen!" »Und Du, Tante Bozena?" »Ich muß nach dem Feld sehen und für die Ziege etwas Heimbringen; aber ich muß mich beeilen, denn ich kann nicht lang' fortbleiben von meiner Mutterl." „Aber ein andermal nimmst Du mich wieder mit?" bettelte das Kind mit zärtlicher Stimme. „Nein, nein, nicht zu ost," sagte das Mädchen hastig und wie bedrückt. „Deine Mutter könnt's erfahren. . . . Das will ich nicht. Ich bring' Dir lieber Blumen aus meinem kleinen Garten und leg' sie Dir früh morgens aus die Bank vor Eurem Fenster, daß Du sie findest, wenn Du aufstehst. Du darfst aber keinem sagen, von wem sie sind, hörst Du, Marischka!" Dann nahm sie das Kind bei der Hand, hob die paar zerstreut liegenden Blümchen vom Boden auf, legte sie in die kleine Schürze und entfernte sich mit dem Mädchen, den Bach entlang schreitend, der auf dieser Stelle in kurzer Entfernung aus dem Walde herausführte. Stefan saß da wie im Traume und sah noch lange auf den einen Punkt, nachdem die beiden Gestalten schon längst seinen Blicken entschwunden waren. . . Ein Vogel, der mit lautem Flügelschlage über ihm dahinrauschte, brachte ihn zu sich. Er blickte auf, schräg fielen die Sonnenstrahlen. Wer weiß, wie lange er so geträumt, in Gedanken eingesponnen gewesen sein mochte? Aergerlich sprang er auf und griff nach seinem Hut. Wie 79 durste die? Bild derart auf ihn wiicken? auf ihn, d« Stefan Semany? Und er schüttelte sich, als wolle er jm« Gedanken abthun. Als er zu den. Arbeite« zurückkehrte, sah er, daß sie Tüchtiges geschafft hatten; sie saß« jetzt bei ihrem Vesperbrot. Er beschloßt auf ein« Sprung nach Hause zu geh«; vielleicht bedurfte seiner der Vater. Und während er so dahinschritt und auS dem Walde heraus, war er wieder von dem Bilde einge sponnen, ging es innerlich neben ihm her, daß er fast erschrak, als er Bozena plötzlich vor sich hergehen sah, gleich als wäre die Gestalt dort leibhaftig auS seiner Seele herausgewachsen . . . Bozena schritt langsam und schwankend, hielt immer nach ein paar Schritten an, als verursache ihr das Gehen Schmerz«; dabei schleppte sie daS Bündel Heu oder Blätter, was es sein mochte, neben sich her, anstatt es, wie gebräuchlich, auf den Schulte« zu tragen. Der junge Mann hatte sie bald erreicht, aber ohne sie zu grüßen oder nur anzusehen, und im Zorne gegen sich ging er an ihr vorüber und betrat den schmalen geländerlosm Steg, der hier über den Bach führte. Er hatte ihn noch nicht zur Hälfte erreicht, so blieb er jedoch steh« und sah zurück. Sie hatte das Bündel vor den Steg niedergelegt und sich darauf niedergelassen. War es zum Ausruhm oder — weil sie über haupt nicht weiter konnte? Ihr Gesicht war sehr bleich und ein Ausdruck darauf, als empfinde sie einen großen physischen Schmerz. Und wieder überkam ihn ein zorniges Gefühl; das trug, ober einen anderen Charakter ... — es war zornige Scham, die in ihm aufstieg. Wäre er an einem hilflosen Thier am Wege derart vorübergegangen? Und eS war doch ein Mensch!! Er kehrte um und näherte sich ihr. „Ihr habt Euch verletzt. Kann ich Euch irgendwie behilf lich sein?" Er wußte es selbst nicht, daß er diesmal das achtungs volle „Ihr" in der Anrede gebrauchte. Sie sah überrascht zu ihm auf, schüttelte aber nur den Kopf, ohne ihm zu antworten. „Ich hab' es geseh'n, Euer Fuß ist verletzt, das Gehen kommt Euch schwer an." „Ja," sagte sie jetzt, »Ich bin hingrfallen und da hab' ich mir den Knöchel verrenkt und auch den ein« Arm verletzt." „Und wie wollt Ihr nach Hause kommen?" „Das ist meine Sache," versetzte Bozena kurz und abwei send. „Gebt mir das Bündel und lehnt Euch an meinen Arm," sagte Stefan mit gütiger Stimme. Jetzt sah sie wieder zu ihm auf, als habe sie ihn nicht recht verstanden, dann trat plötzlich ein finsterer Zug in ihr Gesicht. „Höhnt Ihr mich, Stefan Semany? Geht nur Eurer Wege und versucht Euren Spott an anderen Leuten!" „Hab' ich auch gespottet, als ich Euch — an jenem Sonn tag in Schutz nahm . .. ?" fragte er. Das Wort schien sie zu treffen, denn sie sah von ihm weg; dann sagte sie nach einer Weile mit weicherem Ausdruck: „Ver zeiht ... ich hab' Euch noch nicht einmal dafür gedenkt." Und wieder schwieg sie, dann kam es in dm alten harten Lauten über ihre Lippen und ein bitterer Spott war ihnen beigemischt. „Ihr .... Ihr habt kein hartes Herz, Stefan Semany. Wenn Ihr einen kranken Hund am Wege liegen fändet, würdet Ihr Euch auch seiner annehmm, und so viel, denkt Ihr .. , ist auch ein verworfener Mensch, wie ich es bin ... . werth. Er erschrak bis ins Herz hinein. Wie sie eS auf den Punkt genau getroffen hatte! .... War dies nicht die Ent schuldigung vor sich selber gewesen, daß . . . er doch umkehrte? Und well ihn dies ärgerte und er die Bewegung verbergen ollte, die ihn ergriff, sagte er mit rauhem Tone, mit rauherem, als er es vielleicht beabsichtigt. „Man hrt mir gesagt, das? ihr ein wildes, gefürchtetes Gesck'of ie'd u.ck daß man flck; do. Euch in acht nehmen soll." Sie lachte hart und kurz ans. „Ich hab' Euch ja gesagt, daß Ihr der Bozena Matuschek aus dem Weg' geh n sollt, wenn Eure Ehr' keinen Schmutzfleck davon tragen soll." Wieder lackte sie, dann brach eS mit leidenschaftlichem Hasse von ihren Lippen und jede Muskel des kräftig schönen Halses bebte in maßloser Bitterkeit. „WaS wär ich auch ohne Borsten und Krallen? Ein herrenloser Gegen stand ohne Ehre und Würde, dm jede Hand besudeln, ein wert loser Lappen, dm jeder noch tiefer in den Koth treten darf. So aber aber schützen mich diese meine fallen und —wehe dem, der mir nahe kommt." „Und doch habe ich geseh'n, daß Ihr auch weich und liebevoll sein könnt' . . .," versetzte er nach einer Weile wie begütigend; ihm thaten seine harten Worte leid. Und als sie ihn mit ihren großen grau« Augm wie überrascht ansah, fügte er hinzu: „Ich war im Walde, nicht weit von der Stelle, wo Ihr mit dem kleinen Mädchen Euch befandet, und ich hab' geseh'n, wie lieb und gut Ihr gegen das kleine Kind war't." „Das Kind," sagte sic. „Die kleine Marischka! . . . ." Ein stiller weicher Ausdruck ging plötzlich über ihr noch kurz vorher von Leidenschaft heftig bewegtes Gesicht . . DaS hat mir Gott gesendet, damit mein Herz nicht ganz in Haß unter gehe» soll . . . das ist für mich die Stimme der Versöhnung aus all dem wüst« Lärm des Hasses und der Verfolgung. Als ich aus jenem schrecklichen Ort nach HauS gekommen bin," fuhr sie mit leiser Stimme fort, »und jeder mit Finge« auf mich wies, die Kinder mir nachliefen und mir Schimpfworte nach riefen, da war sie es, die aus dem Schwarm auf mich zutrat, meine Hand ergriff und mitThränen inden Augen sagte: „Tantinka, waS hast Du ihnen denn gethan, daß sie Dich nicht in Ruhe lass«?" So ist's immer,i mmer! Wenn man mit Stein« »ach mir wirst u»d mich mit KotAesudelt, ist sie immer da, als wollte ihre keine Kinder hand den Abgrund des Hasses aussüllm. O, für dies Kind wär' mir nichts zu viel, für dies Kind könnt ich sterb«!" fügte sie mit einem Ausbruch fast leidenschalllicher Hingebung hinzrt. Bozena schwieg und auch Stefan sprach kein Wort, und eine Weile war es so still um sie, daß man den Hauch deS Windes zu hören glaubte, der vom Walde herkam. Ein Heimchen zirpte vor ihnen im Grase und aus der Ferne tönte gedämpft und. in regelmäßigen Paus« der Schlag der Holzfäller. Da erhob sich plötzlich das Mädchen und nahm mit einem jähen Ruck ihr Bündel wieder auf, als habe sie etwas gesagt, was sie nicht hätte äußern sollen. Aber die rasche Bewegung verursachte ihr einen derart heftigen Schmerz, daß sich ihr Gesicht zusammenzog und sie die Zähne zusammenpreßte. „Gebt mir das Bündel und laßt Euch über dm Steg bringen!" sagte Stefan. Sie wehrte kurz und hastig ab. . Nein, nein, kümmert Euch nicht um mich und geht Eure Wege!" „Ich will es aber nick:." versetzte jetzt der junge Man» mit fast gebieterischem Tone und nahm .hr das Bündel auS der Hand. „Ob Ihr meinen Arm nehmen wollt, ist Eure Sache, das Bündel trag' ich hinüber." Er lud es sich auf die Schulter und schritt über deu Steg. Sie versuchte es auch, machte aber nur einige Schrille, daim blieb sie rath- und hilflos steh«. Stefan legte das Bündel nieder und kehrte wieder zu ihr zurück. „Seid nicht so eigensinnig," sagte er, „Ihr seht ja, daß eS nicht geht. Denkt, ich sei eine Deichsel, ein Swck oder ein anderer Gegenstand, an dem Ihr Euch lehnt."
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