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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991114010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899111401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899111401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-14
- Monat1899-11
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Rrelamen unter d«mRedactionsstrich (4g- spalten) bO^j, vor d«n Familimxachrichtra (6 gespalte») 40^. Größer» Schriften laut unserem Preis- verzeichnih. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Sxtr«»Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung v0.—, mit Postbesörderung 70.—. Anuahmeschtuß für Anzeige«: Abrnd-Au-gab«: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde fruher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Der Wiederzusammeutritt des Reichstags. LZ Heute versammelt sich der Reichstag wieder. Er beginnt jedoch keine neue Session, sondern den zweiten und vielleicht nicht letzten TagungSabjchnilt eine- „langen Parla ments". Um die mannigfache und mannigfaltige Arbeit, die im Sommer bald getban war, nicht ungetban sein zu lassen, ist der Reichstag bekanntlich nicht geschlossen, sondern am 22. Juni vertagt worden. Er kann deshalb bei den un erledigten Gegenständen überall da anknüpsen, wo er vor fünf Monaten aufgehört hat; bei einem Sessionsschluß hingegen hätte jede noch so weit gediehene Arbeit von vorn angefangen werden müssen. Durch eine große Ausgabe ist dieser mit mancherlei Nachtbeilen verbundene Schein der Continuität nicht notbwendig geworden; die künstliche Zusammenziehung zweier Iahresiagungen, zu der nicht zum ersten Male in diesem Jahrzehnt gegriffen wird, ist eine Folge einer seits der nicht ohne Hast sich vollziebenven gesetzgeberischen Ueberproduclion in den Reicksämtern, andererseits der Frequenzverhältnisse des Reichstags, die endlose unnütze Debatten im Plenum zu hindern verbieten und somit der soliden Arbeit ungemessene Zeit rauben. Das vorige Mal sind, abgesehen von der Kleinigkeit von 43 Initiativ anträgen und von 14 PelitionSberichten, 12 Regierungsvorlagen liegen geblieben, und von diesen befinden sich 2, ein Telegraphenweggesetz und das Fleischbeschaugesetz, noch in der Commission, und über eine vorgeschlagene ReichSschuldenordnuna bat die Commissionsberathung noch gar nickt begonnen. Der Reichstag wird nach Erledigung einiger Petitionen und Wahlprüfungösachen voraussichtlich mit den Postgesetzen beginnen. Hierbei handelt es sich einmal um eine neue Fernsprechgebührenordnung, die die Kosten für den Telephonansckluß in ein umgekehrtes Verhältniß zur Größe der Ortschaften bringt, also grundsätzlich, wenn auch freilich nicht durchweg gereckt, die Häufigkeit der Benutzung des Fern sprechers zum Maßstabe der Gebübrenfestsetzung nimmt. Die andere zur zweiten Berathung im Plenum reise Vorlage des ReichSpostamteS ist die bekannte Posttaxennovelle, die u.A. das zulässige Gewicht des einfachen Briefes höher ansetzt, Porto ermäßigungen im Nachbar- und im Ortsverkehr — letzteres unter Beseitigung der Privatpostcn — vornimmt und den Postzeitungölarif auf eine andere, wie nicht geleugnet werden kann, vernünftigere Grundlage stellt. Dieser neue ZeilungS- tarif wird noch heftigen Anfeindungen ausgesetzt sein, und über das Maß der Enschärigung der Privaiposten dürfte fick gleichfalls nochmals lebhafter Streit erheben. Kämpfe wird auch die die verschiedensten Dinge regelnde Novelle zur Gewerbeordnung mit sich bringen und an einem Puncie sogar für daS Plenum neue Kämpfe. Die Commission hat, wie erinnerlich, die Vorschrift des allgemeinen 9-Uhr-LadenscklusseS beschlossen, ein radikaler und Feuilleton. Marseille. Von vr. Rübner. Nachdruck verkeim. In den lehien Tagen brachten uns die französischen Zeitungen ausführliche Berichte über di« unlängst in Marseille statt gefunden« 2600jährige Feier der Gründung der Stadt. Acht Tage sollen die Bewohne: von Marseille in Aufregung erhalten worden sein durch Festzüge, Festvorstellungen, durch Feuerwerk, das seine Raketen von den benachbarten Hügeln bis zu den Sternen emporgeschleuverr hat. Das erste derselben soll der Herr Mair« von Marseille höchst eigenhändig selbst angezündet haben. Mit ganz besonderem Interesse habe ich dies« Berichte gelssen, da ich gelegentlich einer Ferienreise durch Südfrankreich in Be gleitung eines Freundes auch nach Marseille gekommen bin. Wir kamen von Arles uNd gelangten durch sine zweistündige nicht uninteressante Fahrt mit der Bahn nach Marseille. Südlich von Arles verläßt die Bahn die Rhone, indem sie nach Südosten abbiegt und die unter dem Namen la Trau bekannte Landschaft im Mündungsgebiet der Rhone durchschneidet. In fast schnurgerader Richtung saust die Locomotive durch ein un- wirthliches, weit ausgedehntes, kahles und staubiges Stück Erde, das nur nach Norden und Osten hin in weiter Ferne durch felsige Höhenrücken begrenzt ist. Ganz vereinzelt sieht man einen Busch oder eine spä.lich« Gruppe von Bäumen, deren dunkles Grün sich scharf abhebt von dem Gelbgrau des Erdbodens, von dem der dahinrasende Zug einen fernen Staub aufwirbelt«, der, durch di« Thür spalten eindringend, in der Sonne auf- und abwogte, um sich auf uns und di« umgebenden Gegenstände in Form einer grauen Schicht niederzulassen. Dieser von Minute zu Minute lästiger werdend« Staub, die unerträglich«, trocken«, heiß« Luft in den engen, niedrigen französischen Eisenbahnwagen und die uns auf allen Seiten umgebende öde, fast vegetationslos« Land schaft konm«n uns glauben machen, wir befänden uns auf einer Fährt mit der transkaspischen Eisenbahn durch die Turkmenen steppe. Auf halbem Wege zwischen Arles und Marseille nähert sich die Bahn einer großen, von flachen Ufern umgebenen Wasser fläche, 1'stnng cke Berre genannt, in der That einem riesigen Teiche vergleichbar, der ohne Zweifel seinen Ursprung dem Mittel meer verdankt, das hier an mehreren Stellen eingedrungen ist und eine Lagunenküst« gebildet hat. In der Nähe dieser Wasser fläche entdeckten wir die einzigen auf dieser Fahrt uns sichtbar gewordenen menschlich«» Niederlassungen. Als wir diese hinter uns hatten, gelangten wir in eine wilde, felsige Gegend und fuhren schließlich durch einen langen, langen Tunnel, nach Biideker, den längsten, d«n Frankreich besitzt, 4638 Meter. Welche Uebrrraschung bei der Ausfahrt aus demselben! Di« Illusion einer Sieppensahrt war mit einem Schlage zerstört, wie durch einen Zauberstab schien die Landschaft verändert — wir hatten plötzlich die weit«, blaue Fläch« des MittekmeereS vor uns, überfluthet von unseres Erachtens für ein Gebiet von so ungleicher wirth- schaftlicker Entwickelung wie Las deutsche Reich einfach unerträglicher Ersatz für den BunteSrathsvorschlaz, einer Zweidrittelmehrheit der belheiligten Ladeninhaber eines Ortes die obligatorische Festsetzung des 8-Uhr-Ladenschlusses zu ge statten. Die Gewerbenovelle bringt auch sonst ernste Neuerungen für die offenen Geschäfte, daneben eine uns sehr dringlich dünkende, aber nicht allgemein willkommen geheißene Einschränkung der „Mitgabe von Arbeit nach Hause" für Arbeiterinnen. Dann ist übrigzeblieben die schon durch manche Session bindurchgegangene sogenannte lex Heintze. Wie die Commission dieses Gesetz zur Annahme beantragt, enthält cs neben Verständigem und Wünschenswerthem sckon manches höchst Bedenkliche. Es steht aber zu fürchten, daß das Plenum in zweiter und dritter Berathung noch Be stimmungen hineinflickt, die für Kunst und Literatur verbängnißvoll werben können. Im Centrum und bei den Conservativen ist die Lust zu solchen Hcldentbaten keineswegs erloschen; hier heißt es die Augen offen halten. Die zweite Berathuug steht weiter noch bevor den Novellen zum Gerichtsverfassungsgesetze und zur Strafproceß- ordnung, u. A. die Ersetzung des Voreides durch Len Nach eid, sowie die Einführung der Berufung in Straf sachen enthaltend, also gelinde gesagt, gewagte Experimente. Gegen die Berufung wird bekanntlich außer gewichtigen technischen Bedenken der Einwand erboben, daß sie die noth- wenbige gründliche Reform des Strafverfahrens etwa in der Richtung der Einführung mitnler und großer Schöffengerichte zu verzögern geeignet sei. Eine weitere von der Commission durchberalhene Iustizvorlage ist der Entwurf über die ge meinsamen Rechte der Besitzer von Schuldver schreibungen. Das schon erwähnte Flrischbeschaugesetz dürfte aus der Commission kaum berauskommen. Zwischen der Auf fassung der Landwirthschaft, die die Untersuchung auslän dischen Fleisches verschärfen und die sogenannten HauS- schlachtungen gänzlich von der amtlichen Besichtigung befreit wissen will, und der vom gesundheitlichen Gesichtspunkte ausgehenden der Regierung«» besteht eine Kluft, die sich wahr scheinlich auf geraume Zeit nicht überbrücken läßt. DaS wäre ein Theil der Ueberbleibsel von der im Sommer abgeräumten Tafel. WaS Winter und Frühling Neues hinzudringen, läßt sich zur Stunde seinem ganzen Umfange nach nicht ermessen und wird auch so bald nicht zu übersehen sein, da, weil der Reichstag nicht geschloffen war, eine Thronrede so wenig wird verlesen werden, wie eine Neuwahl des Präsidiums statizufinden hat. Zn sicherer Aussicht steht außer dem EtatSgesetz eine wichtige Vorlage über die Reform der Unfallversicherung nach verschiedenen I Richtungen. Die wiederholt erwähnte und im Handelstheil leingehend erörterte Novelle zum Münzgesetz wird, da I man sich im Reichöschatzamte nicht umsonst geplagt haben will, einem blendenden, schimmernden Sonnenlicht. Reizende Land häuser inmitten von Cypressen und Oleander wurden auf beiden Seiten der Bahn sichtbar. Wir merkten, daß wir uns einer großen Stadt näherten. Und in der That, bald brauste der Zug in eine weit«, hohe Hall« ein: wir waren- in Mailstill« an gekommen. Wenige Sekunden später befanden wir uns inmitten ein«s Stromes von Menschen, der ungestüm nach dem Ausgange drängt«. Mit einem Gefühl freudiger Erwartung und Neugier zogen wir in Marseille ein, in die alt«, berühmte, vielgenannt« Stadt, an dessen Namen sich eine unendliche Reihe von geschichtlichen und literarischen Erinnerungen knüpft, von der ich so viel gehört und über di« ich so viel gelesen hatte. Was für einen Eindruck wird diese Stadt auf Dich machen? war die naheliegendste Frage. Zunächst einen wenig günstig«n, möchte ich sagen, denn, um nach uniserem in der Mitte der Stadt liegenden Hotel zu kommen, das wir gewühlt hatten mit Rücksicht auf seinen althistorischen Namen: Grand Hotel des Phocsens, Gasthaus zu den Phokiern, mußten wir von dem großen stattlichen Bahnhofe aus durch mehrere enge und schmutzige Gaffen wandern. Die kl«inen armseligen Läden rechts und links, vor denen Männer in Hemd ärmeln und schlumpig« Weiber saßen, und die verblichenen, quer über die Straße gespannten Leinwandst'ücke «uweckten in mir das Gefühl, als ob ich durch einen Trödelladen ging. Doch unsere weiter«n Wanderungen durch die Stadt brachten uns bald zu der Erkenntniß, daß Marseille eine sehr schöne Stadt ist. Unmittelbar vom Strande ausgehend, ist es amphitheater artig am Meere aufgebaut; indem der mittlere Theil der Stadt in einer Eben« liegt, während die vom Mro:« entfernter liegend«» Stodttheil« sich auf die sanft ansteigenden Hügel hinaus erstrecken, die, vom Meere auS gesehen, die Stadt in einem Halbkreis um rahmen. Zwei lang«, breit« Hauptstraßen durchschneiden sie von Norden nach Süden und von -Osten nach Westen und kreuzen sich rechtwinklig im Mittelpunkt derselben, so daß die Stadt gewisser maßen in vier Vi«r.t«l g«th«ilt wirb, ein Umstand, der es dem Reisenden ermöglicht, sich leicht und schnell zurechtzufinden. Der Schnittpunkt der beiden erwähnten Straßen, le Lours St. LouiS, ist eine der verkehrsreichsten Ecken der Welt und wenigstens ebenso belebt, wie z. B. dir Straßenkreuzung vor der Bank von London, welch« die Engländer tüs dnsü-st cnrrwr ok tüs vorlci zu bezeichnen belieben. D«r westlich« Theil der einen der beiden Haupiversehrsadean ist di« vielgerühmte Ru« Canntbier«, ein« verchältmßmäßig kurz«, aber breite Straße, deren geräumige TrottoirS Wie in anderen großen Städten Frankreichs, zur Hälfte von den Tischen und Stühlen d«r eleganten CafSS in Beschlag genommen sind, die mit d«m weißen oder buntfarbigen über da» halbe Trottoir ausgespannten Segeltuchplanen der Straße ein eigenartiges Gepräge geben. Die Cann«biöre hat vor den schönsten Boulevard» von Paris, mit denen man sie vergleichen könnte, -den Dorzug voraus daß sie ins Meer reicht. Es ist in der That ein Vergnügen, diese Cannebiere abwärts zu schlendern, da man beständig die prächtige blau« Fläch« de» MittekmeerS vor sich hat. Zu nervöse Menschen finden f eilich schwerlich hier Erholung, denn der überaus lebhaft« Wagerwerkehr und der auf- und abwogende, lärmende Menschenstrom stellen große Anforde rungen an die Widerstandsfähigkeit der -Gesichts- und GehörS- nerven. Am Ende der Lannebivr« befindet sich die Börse, «in voraussichtlich im Reichstag erscheinen. DaS Gleiche gilt von einer Reform LeS Urheberrechte», dessen Inhalt eben falls bereits bekannt ist, sowie von einer Vorlage über die Privatversicherungsanstalten. Möglicherweise kommt aber auch ein Gesetzentwurf über die Beschäftigung von weiblichen Personen in Fabriken, eine neue See- mannSordnung und ein Weingesetz. Unter allen Umständen steht eine Ueberbürdung brS Reichstags in Aufsicht, wie sie selbst in einer politisch wenig belasteten Tagung ungeheuerlich genannt werden müßte. Die Politik wird aber gerade die bevorstehenden Verhandlungen von Anfang bis zu Ende mit drückender Gewalt beherrschen; denn—und damit ergänzen wir daS gegebene Verzeichniß —eine Flottenvorlage wird kommen, das Arbeitswilligen gesetz ist schon da. Dem letzteren heikeln Stoff in diesem Augenblick das Horoskop zu stellen, wäre unnützes Beginnen. Fest stebt nur Eines: wenn daS Centruin, WaS neuerdings manchen Orts bezweifelt wird, mit Anträgen hervortritt, oder wenn es auch nur die bestimmt in Aussicht gestellten nationalliberalcn Vorschläge ernstlich zu prüfen geneigt ist, so wird der Reichstag seinen Beschluß, die zweite Lesung der Regierungsvorlage im Plenum zu erledigen, umstoßen und nachträglich Zurückverweisung an die Commission beschließen müssen. Es wäre allerdings formell angängig, die aus dem Schooße deS Hauses hervorgehenden Vorschläge isolirt zu bebandeln, sie allein einem Ausschüsse zuzuweisen und die Regierungsvorlage kurzer Hand in zweiter Plenarberatbung in den Papierkorb zu stimmen. Aber dies Verfahren wäre sebr unhöflich und auch praktisch wirkungslos. Denn vor solcher Commission würden Gegner des preußischen Mittel landkanals aus Gründen der Selbstempfedlung auf Len Regierungsentwurf zurückgreisen und dieser würde die Rolle des Bleigewichts an den Bestrebungen, den tz 153 brr Ge werbeordnung im Sinne eines besseren Arbeiterschutzes zu ändern, Weiler spielen können. Erscheint das Centrum mit Anträgen, so würde der Zweck der Regierungsvorlage in den Hintergrund treten, der Reichstag hätte sich dann mit der Erweiterung de- CoalitionS- und VereinSrechtS, an der ein vermehrter «Schutz der Arbeitswilligen als Anhängsel baumeln dürft«, zu befassen. Wie immer man über Arbeitsschutz vnd über die Regie rungsvorlage denken mag: jeder nationalgesinnte Deutsche wird den dringenden Wunsch hegen, daß nicht dieser Gegen stand seinen Schatten über die bevorstehenden Reichstags verhandlungen werfen, daß vielmehr das Flottengesetz der Tagung den Stempel aufdrücken möge. Wollte man unter der Vorstellung gleicher Bedeutsamkeit beider Angelegen heiten handeln, so würde man beide ebenmäßig und zwar aus länger als auf secks oder sieben Monate hinaus schädigen. Schon unter diesem Gesichtspunkte, aber auch aus vielen an deren Gründen ist eS bedauerlich, daß die Flottenvorlage nickt bei Beginn der Verhandlungen dem Reichstage vorliegt, daß ihre Einbringung erst für den Januar oder Februar k. I. stattliches Behände mit einer langen Reihe hoher korinthischer Säulen. Hinter der Börse liegt auf einem breiten, dreieckförmi- gen Stück Land, in unmittelbarer Nähe Les Meeres, «die soge nannte alte Stadt, ein Labyrinth von Straßen von quetschender Eng«, zarkz verschieden von d«m neuen Marseille. Di« wenigen Gaffen, in die wir uns wagten, einzudringen, bestanden aus hohen Häusern, die durch ihre Höhe di« Straße noch enger er scheinen ließen, als sie sind. In der Mitte deS holperigen Pflasters rollt der Rinnsteig «ine schmutzig«, dicke Flüssigkeit herab, schwarz blau, wie aus einem Waschhause kommend. Zu beiden Seiten desselben kauerten Weiber und Kinder, mit dem Rücken an der Wand lehnend, die uns allerlei saubere Redensarten nachriefcn. Aus den Fenstern hingen vielfach Wäschestücke und Kleider zum Trocknen herab. An mehreren Häusern las ich klein« Schilder, di« billige Nachtquartier« und Verpflegung für Matrosen an zeigten. Besonderes Interesse hatte für uns der Hafen von Marseille. Man unterscheidet einen alten und neuen Hafen. Der alte liegt unmitte-lbar am Ausgang der Cannebier«. Er hat di« Gestalt eines großen Rechteckes von fast einem Kilometer Länge und ist von dl-ei Seiten von hohen Häusern der Stadt umgeben, in welch« dieses gewaltig« Rechteck mit all seinen Schissen vom Meere her sozusagen hineingeschvben erscheint. Auf den beiden Längsseiten findet man zahlreiche Cafes, natürlich einfacher Art, die vor wiegend von Matrosen und Hafenarbeitern besucht nxrden. Auch Vir nähmen hier einmal Platz; denn, abgesehen daß wir von dem argen Durst', her uns unter diesem heißen Himmel quälte, dähin- getrieben wurden, eigneten sie sich zu einem bequemen Beob- achkungsposirn, dem TreiÄen d«r Arbeiter und Hafenbeamten zu- zusehen. Auch d«n hier im Hafen verwendeten Pferden und Maul- thi«ren Krim!« ich als Thierfreund nicht umhin, einen Theil meiner Aufmerksamkeit zuzuwenden, wobei ich Gelegenheit hatte, ein« Einrichtung zu beobachten, die bei uns verdient, nachgemacht zu werden. Daß diese Thiere fast ausnahmslos Netz« aus der Stirne und vor der Brust haben, um di« Stechfliegen fenrzu- ha-lten, ist etwas, das man bet Ms auch kennt, aber es selten an wendet. Außerdem fand ich aber hier ein noch wirksameres Mittel angewrndet; man hott« Leib und Brust d«r Pferde und Maulesel mit einer Salb« bestrichen, die die Fliegen nicht leiden mögen und Los-Halb fernbleiben. Einer von den Gerechten, der sich seines Viehes besonders erbarmt, hatte seinem Pferde einen auf- qefvannten, chinesischen Papiersonnenschirm am Kopfgeschirr befestigt. Weit wichtiger als der alt« Hasen ist der neue. Hier lagen in fünf großen, neben einander angelegten, weiten Bassin- unzählige Schiffe aller Art. Don der Ausdehnung der neuen Hafen» kann man sich ein« Vorstellung machen, wenn man bedenkt, daß wir eine halbe Stunde brauchten, um von einem End« desselben zum anderen zu gehen. Ein eigenartiges Gebäude ist das Museum in Marseille, tm Palais de Lonachamy. sowohl seiner Lage als seiner Bauart wegen. Es liegt am Ende einer breiten, schönen Straße, dem Boulevard Longckamp, auf einer Anhöbe und hat zwei vor springende Seitenflügel, die im Hintergründe durch eine im Halb kreis aufg-baut« Säulenhalle verbunden sind, zwischen deren einrelnen Säulen man hindurschauen kann, so daß es an das Schloß von Schönbrunn bei Wien erinnert und andererseits auch in Aussicht genommen ist und daß vielleicht nicht einmal ein neues Schiffsbaugesetz erscheint, sondern nur vom Reich-tag« die Zustimmung zu einem „Plane" verlangt werden wird. Aber trotz alledem sehen wir der Entwickelung der Flotten sache gute- MutheS entgegen, aufs Neue hierin gestärkt durch den Verlauf deS Parteitages der Freisinnigen Vereinigung, über den wir im letzten Abendblatte berichtet haben. Täuscht der Reichstag diese Hoffnung, so werden ihr die Wähler zur Erfüllung verhelfe». Die Verrottung in Korea und das Uebcrgewicht Japans. Nachdruck auch mit Queilnumgab« vrrUlM. Wi X. Von besonders unterrichteter Seite wird unS aus Söul, Ende September, geschrieben: „ Die End« vorigen Jahres von der Regierung gemachten Der« sprechungen sind lediglich auf dem Papiere stehen geblieben, da die wichtigsten Stellen mit Männern besetzt wurden, die bei der Be kämpfung der Reformbest rebungen hauptsächlich hervorgetreten waren. , Richterliche und polizeiliche Uebergriffe, Nichtbeachtung und willkürliche Handhabung der Gesetze und eigen mächtige Verhaftungen auf bloß» Verdächtigungen oder Anschuldigungen hin mehren sich wieder; die Gefängnisse sind stark besetzt, die Verhafteten haben Monate lang auf ein Verhör zu warten; das Urtheil richtet sich nach der Zahlungsfähigkrit oder dem Einfluß der Parteien; an Stelle d«s Eides tritt vielfach der Stock; die Folter, nominell obgrschasft, wird wieder in Anwendung gebracht, und dem Staatsrath hat ein Antrag seines Präsidenten, d«s höchsten Be amten im Lande, vorgelegen, sie auch gesetzlich wilder einzuführen und die Verbote über Bestrafung von Verwandten von Ver brechern und Einziehung ihrer Güter wieder rückgängig zu machen. Es bedurfte einer Aeußerung der fremden Ver tret e r, die bei Gelegenheit einer gemeinsamen Anwesenheit im Auswärtigen Amte Anfang vorigen Monats dem Minister des Aeußeren gegenüber hervorhoben, w«lch«n ungünstigen Eindruck ein« solche Maßreg«! im Ausland« Hervorrufen würde, um dm König zu veranlassen, die Aufschiebung der werteren Diskussion üb«r die Frage im Staatsrath zu befehlen. Mit den Beamten stellen in den Provinzen wird ein schamloser Schacher getrieben; die erste Bedingung für Erlangung einer Anstellung ist hohe Verwandtschaft oder Be kanntschaft mit einer einflußreichen Person bei Hofe; werden die Posten dann nicht als Gegenleistung für sonstige Verbimste ver- lithen, so muß gezahlt werden entweder für die Empfehlung oder für die Anstellung. Der „Gouverneur" kostet nicht unter »20 000 Dollar, der „Districtevorsteher" 1500 bis 4000 Dollar; ! der Gouverneur wird auf ein Jahr ernannt, und bezieht ein I Jahresgehalt von 2000 Dollar; der Districtsvorsteher, für 40 an dm Trocadero von Paris, einen Eindruck, d«n man gewinnt, wenn man es, auf dasselbe zugehend, von fern« sieht. Die interessanteste von unseren Wasserungen in Marseille war entschieden «die nach der Kirche Notre Dam« de la Garde. Dieses Gotteshaus bietet an und für sich nichts besonders An ziehendes sür «in nicht katholisches Gemüth. Wie diel« andre Kirchen, ist auch diese im Innern mit überladener Pracht aus gestattet. Doch durch di« Anlage derselben auf einem hohen kahlen Felsen im Südm von Ma>rs«ill» gereicht sie der Stadt zur größten Zierde. Man kann sie von jedem Punkt« der Stadt aus sehen. Ihr« weithin schimmernde weiße Steinmassr mit dem hohen Thurm, d«r eine Colossalstatu« d«i Mutter Gottes trägt, 'hebt sie sich majestätisch vom blauen Himmelsgewölbe ab, in das sie schier hineingebaut zu sein scheint, wenn man sie von der Stadt aus betrachtet. Um hinauf zu gelangen zu der Kirche be nutzt man eine Zahnradbahn, di« säst senkrecht, in einem Winkel von wenigstens 75 Grad angelegt ist. Don dem ganz langsam auswärts gezogenen Wagen genießt man einen wunderbar über raschenden Blick über die Stadt, deren Häuser, vom Wagen aus gesehen, imm«r kleinen und kleiner werden, je höher man auf fährt, bis man in wenigen Minuten bei der Kirche auf dem Gipfel des Felsens ankomMt, von dem au- daS Aug« einen uner meßlich weiten Horizont überschaut. In unmittelbar«! Nähr zu unseren Füßrn ruh: Marseille, rin M««r von Häusern, da- s«ine verblichenen Dächer und weißen Häuserfaeaden uns «ntgegenhält; dahinter, nach Norden und Osten zu, ein langgestreckter, kahler, g«lbgrauer Fels«nrückrn, di« Stadt im Halbkreise umschließend, einer gewaltigen Mrereswelle ähnlich, die vor der großen und dichten Häusermasse in plötzlicher Erstarrung stehen geblieben zu sein scheint. Auf der anderen Seite, nach Westen und Süden erstreckt sich die schimmernde Fläche des Meere-, in n«blig«r Ferne mit dem Himmel eins werdend, der seine azurblau« Glocke über daS Ganze ausspannt. Ohn« Zweifel ein Gemälde von packender Wirkung, doch eigenartig sür den Nordländer, der in diesem Landschaft-bklde das liebliche Grün seiner heimathlichen Fluren vermißt, da di« Umgebung d«r Stadt weder zusammen hängenden Wald noch Wiesen austveist, vielmehr einen erdfarbigen Grundton, der zwar am Meeresufer plötzlich in daS prächtigste Blau übergeht, aber doch dem Bild« etwas Trauriges und Leb loses verleiht. Wir blieben lange da oben bei d«r Kirche, di« Karte vor uns ausgebreitet, auf einem Mauerwall fitzend. Alles in Allem genommen, hat Marseille etwas Großartiges, Imposante», dem, dank seiner Lage an einem südlichen Meer«, ein Zug der Heiterkeit und Fröhlichkeit beigemischt ist, was ja von anderen, in kommerzieller Hinficht ebenso bedeute^»«« Städten, ich denke z. B. an Liverpool, nicht gesagt werden könnt?. Mit Marseille hatten wir den südlichsten Punct unserer Reise erreicht. Von hier anS waNdten wir uns nordwärts in die Alpen. Dre nächste Ort, der auf unserem Reiseprognamm stand, war Briangon, eine klein«, aber stark« Grenysestung am Fuße des Mont-Genövre, an der französisch-italienischen Grenz«. Frühzeitig, nm 4 Uhr, brachen wir in Marseille von unserem Hotel auf und zogen durch die fast menschenleeren Straßen nach dem Bahnhof. Dor einzelnen Cafks saßen schon nm di« frühe Morgenstunde Gruppen von Arbeitern, ihren Kaffer trinkend. Ein Hochgenuß war es nach diesen Tagen der Hitze, wieder ein mal frische, belebende Morgenluft athmen zu können.
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