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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991121014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899112101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899112101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-21
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Neclamra unter dem RedactionSstrich (4g» spalten, vor den Familiennackrichteu ^gespalten) 40-H. Größere Schritten laut unserem Preis verzeichnis. Dabellarischer und Ziffrrnjatz nach höherem Tarif. vxtra»Beilagen (gesalzt), nur mü der Dkorgrn-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Fnnahmeschluß für Anzeige«: Abend-Ausgab«: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedilla« zn richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Fremde Colonialsorgen. A. D. Zwei Umstände haben zusammengewirkt, um den Niederländern plötzlich den Wunsch nahezulvgen, in ein ZollbUndniß mit dem deutschen Reiche einzutreten: die Be mühungen Deutschlands, dem Rhein eine deutsche Mündung zu schassen, und die Expansionslust der Vereinigten Staaten. Beioe Bestrebungen haben nicht ohne Grund allerlei Befürchtungen bet den Niederländern wachgerufen. Da ist zunächst die Frage der deutschen Rheinmllndung. Bisher genoffen die großen holländischen Häfen ungestört den ganzen Bortheil, der sich aus dem gewaltigen überseeischen Berkeh-r des rheinisch-westfälischen Kohlen- und Industriegebietes darbst; alle Maaren, die auf dem Wassertveg aus- und eingtngen, mußten Holland passiren, und das kleine Land verdankte seine Handelsstellung in erster Linie dem großen deutschen Hinterlanve. Für Deutschland war es ein höchst unerquicklicher und unwürdiger Zustand, daß der deutsche Rhein keine deutsche Mündung, das wichtigste Gebiet der deutschen Industrie keinen deutschen Hafen hatte. Das wird wenigstens zum Theil anders werden, seitdem der DortmundEms-Canal eröffnet ist. Durch diesen Canal ist für einen wesentlichen Theil stner Gegend, der bisher auf den Rheinwrg und die holländischen Häfen angewiesen war, ein eigener Wasserweg geschaffen und ein alter deutscher Hafen geöffnet. Emden tritt mit Amsterdam uns Rotterdam in Concurren-z, der Rhein ebhält, wie Bismarck es wollte, eine deutsche Mündung. Es ist erklärlich, daß Holland sich durch diesen neuen Wasserweg und neuen Hafen des west deutschen Industrielandes beeinträchtigt, seine Handelsstellung bedroht sieht; und ganz von selbst drängt sich dem kleinen Lande der Wunsch auf, Deutschland auf diesem Wege nicht weiterzu treiben, sondern durch einen engen zollpolitischen Anschluß an das Reich sich wieder als natürliche Rheinmündung und natürliches AuSfalllhor der westdeutschen Maaren in freundliche Erinnerung zu bringen. Das ist dec eine Gmnd, der zu den jungen Plänen geführt Hai. Der andere liegt weit draußen im Ocean. Holland ist plötzlich ein Nachbar der Vereinigten Staaten ge worden. In nächster Nähe von Nivderländisch-Ostindien hat sich der nordamerikanische Eroberer niedergelassen, wenn auch vor läufig noch nicht gerade häuslich. Und Ostindien ist ein guter, begchrenswerther Happen! Wer bürgt den Niederländern dafür, daß der Macht- und Landhunger der United Stales nicht eines schönen Tages hinüber greift in diesen kostbaren Besitz? Und wie wollen sie sich dagegen sichern oder wehren? Man bat auch in den Niederlanden plötzlich erkannt — vielleicht in Folge der Berührung mit den Weltmächten auf der Friedensconferenz — daß heute nur ivahre Großmächte Geltung haben, daß die Staatenriesen unermeßliche Fortschritte machen unv vor keinem Schritte zurllckscheuen, daß ein kleines Land und ein Land ohne starke Seemacht zurückgedrängt wird und allen Gefahren aus gesetzt ist. Während die Niederländer also ihre Colonien ge fährdet sehen, sehen sie zugleich, daß Nachbar Deutschland sich zur Seemacht zu rüsten beginnt und nicht gewillt ist, hinter den Weltmächten zurückzustehen. Schreitet Deutschlands Seemacht fort, so kann Holland am Reiche Schutz suchen und finden, und vor der Gefahr, den einzigartigen Colonialbesitz dereinst an die Vereinigten Staaten ausliefern zu müssen, verschwinden die Bedenken und ängstlichen Sorgen, di« bisher von jcvweder An- Näherung an da« deutsche Reich ferngehalten haben. Jedenfalls können di« Deutschen aus der Thatsache, daß in Holland gora.de jetzt freundlichere Strömungen beginnen und «in Zollbund angestrebt wird, lernen, daß nur das energische Streben nach wirthschaftlicher Selbstständigkeit — sieh« die Schaffung ein«r deutschen Rheinmündung — und nach See macht einen modern«« Staat vorwärts bringt, geachtet und als Bundesgenossen begehrenswerth macht! Ader nicht nur die Niederlande bieten das Bild einer Macht dar, die ihre Colonien aus Mangel an Rückhalt im Mutterland! gefährdet sieht. Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß die Colonien aller romanischen Staaten mehr oder wenig«r der Lostrennung vom Mutterlands ausgesetzt sind. Spanien ist nahezu aus der Reihe der Colonialmächte getrieben. Portugalim Begriff, seine Colonien loszuschlagen, Italien unfähig,sich alsColonialmacht durchzusetzen, und inFrankreich fehlt es nicht sowohl an militärischem Rückhalt — obwohl da ja auch mancherlei nicht gerade in schönster Ordnung ist —, als an Menschenmaterial. Das Mutterland vermag den Colonien keinen Rückhalt für ihre Bevölkerung zu geben, da es im Lande selbst an der nöthigen Vermehrung mangelt. Auf schwankem Grunde steht di« ganze Colonialmacht sowohl der romanischen, wie der kleinen germanischen Staaten. Das Mutterland gewährt ihnen keinen Rückhalt; den romanischen Staaten fehlt es theils an Mitteln, theils an Menschen, den kleinen germanisch««, ent sprechend ihrem geringen Umfange, an äußerer Macht. Den germanischen — denn es handelt sich ja nicht nur um die Nieder lande, auch Dänemark hat allen Grund, auf der Hut zu sein; und wenn der Haß gegen Deutschland nicht gar so groß wäre, eS thäte wahrlich gut daran, seinen heute zwar «ntwertheten, dereinst aber, wenn der Niearaguacanal zur Wirklichkeit wird, vielleicht wi«d«r für eine größere Macht recht wichtigen west indischen Besitz unter günstigen Bedingungen einer größeren Macht anzuvertrauen. Colonien und — „nichts dahinter!" — das ist eine höchst be denkliche Verfassung, die dm romanischen und den kleinen germani scher Ländern dereinst -um Fluch werden dürfte, wie Spanien e» bereits erfahren hat. Die Niederlande find nur weist, sehr weise, wenn sie sich rechtzeitig wirthschrftlich an Deutschland anlehnen und Deutschland mit dem Schicksal der niederländischen Colonien zu verknüpfen suchen. Wenn Deutschland aber ein btge-hrenSwerther Bundesgenosse für jene Staaten sein will, deren Colonien in Gefahr sind, wenn es nicht seine eigenen Colonien ähnlichen Gefahren ausfetzen, sondern sich mit neuen, werthvollen verbinden mag, dann hat es doppelt und drei- fach die Aufgabe, sich seefest zu halten, seinen Platz unter den Weltmächten nach feder Richtung zu behaupten und zu sichern, seine Macht auf dem Meer« zu ver vielfachen ! Deutsches Reich. * Leipzig, 20. November. Herr Fabrikant St roh beim bat, wie die „Tägl. Rundschau" melvet, gegen den Präsi denten des d eulschen Flo ttenve rein s.Fürsten zu W ied, und den Sekretär Herrn Bictor Schweinburg die Be leidigungsklage anhängig gemacht. Die Entstehungs geschichte de» Streites, der gerichtlich ausgetrazen werden soll, interessirt vorläufig nicht. Es genügt, zu wssen, daß die Flolrenfreunde dem Umstande, daß Herr Schweinburg der thalsächliche Leiter des Flottenvereins ist, sowie der Art, wie er in dieser Stellung aufzutreten beliebt, ein Schauspiel zu verdanken haben werden, das der Marinesacke unmöglich zum Vortheile gereichen kann. Der Fürst zu Wied ist nur mit verklagt, weil er die vom Verein ausgehenden Schriftstücke mit unterzeichnet. Für un heilte es, wie die Leser wissen, dieses neuen Beweises für die Nichteignung LeS Herrn Schweinburg zu einer führen den oder auch nur erkennbaren Stellung in einer patriotischen Vereinigung nicht bedurft, vielleicht aber nehmen maßgebende Persönlichkeiten die eingereichte Klage zum Anlaß, ihr Uitbeil über die Qualifikation deS Vereinssekretärs einer Revision zu unterziehen. Die Marinebewegung ist vielleicht genug gekräftigt, um der Unterstützung deS Flottenvereins rntrathcn zu können, aber ein Verband, der ihren Schild trägt und sie dabei compromittirt, ist ibr jedenfalls hinderlicher als die jederzeit faßbare Gegnerschaft der Demokratie. Und der Sekretär des FlottenvereinS bat in dieser und in seinen sonstigen Eigenschaften seit der Ham burger Kaiserrede, wie auch schon vor diesem Weckrufe, nur gestört; er hat die Flottenfreunde, und zwar nicht nur in der Frage der finanziellen Bedeckung, gezwungen, geradezu nach zwei Fronten, deren eine eben das Sekretariat des FlottenvereinS ist, zu kämpfen. Wenn daS Acrgerniß nickt bald ein Ende nimmt, so befürchten wir die Loslösung von Landesvereinen des deutschen FlottenvereinS von diesem, also die notbgedrungen im Gewände des ParticularismuS auftretende Eniwickelung einer eminent reichspolitischen Be wegung. U Berlin, 20. November. Die programmatische V e rh a l t un g s li n i e der polnischen Reichstags- fraction zeichnete unlängst der RbichstagSabgeordnete vr. v. KomierowLki als Redner in einer polnischen Volks versammlung. In dieser Versammlung, welche gegen die preußische Schule im Besonderen, gegen das deutsche Volksthum im Allgenreinen di« gehässigsten Anklagen schleuderte, führte der genannte Redner aus, die Polen hätten unter dem Reichskanzler Caprivi aufrichtig versucht, mit der Regierung in gutem Ein vernehmen zu bleiben und ihr dasjenige zu bewilligen, waS zum Gedeihen des Staates notwendig sei und von ihr gefordert würde. Als Aequivalent hätten sie nur Gerechtigkeit gefordert. Trotz der handgreiflichen Beweise des guten Willens der Polen hätten ihre Hoffnungen sich aber nicht erfüllt, sie seien getäuscht und betrogen worden. Sofort hätten sie daher diesen Weg, auf welchen sie versuchsweise getreten seien, verlassen und in der be kannten Declaration durch seinen — des Redners — Mund er klärt, daß das polnische Volt seine alte Stellung wieoer ein nehm«« und fürderhin in derselben verbleiben werde. Daß dies geschehen, daran sei die Regierung selbst schuld, da sie mit den Polen einen aufrichtigen Frieden nicht habe schloßen wollen. Die Fraction habe fortan gegen alle Forderungen, welchen speciell die Polen nichts gehabt hätten, welche der polnischen Be völkerung nichts hätten nützen können, gestimmt. Zwar ver such« gegenwärtig die deutsche Presst, fürerhöhteMarine- forderungen Stimmung zu Machen, und wende sich hiermit an alle Parteien, also auch an die Polen. Er könne aber jetzt schon erklären, daß die Reichsregierung in dieser Angelegenheit die Polen auf einem konsequent negativen Standpunkt finden werde, denn nach den bisherigen Ersah rungen hätten sie auch nicht die geringste Veranlassung, zur Stärkung der Macht eines Reiches beizrrtragen, welches sie in dieser Weise behandle. Für sie sei auch nicht der geringste Zweifel vorhanden, wie sie sich in dieser Angelegenheit zu Ver halten hätten. Nun sei noch hier und dort, namentlich in gali zischen Blättern, die Frage aufgeworfen worden, was denn über haupt ein« polnische Vertretung im Reichstage zu thun habe, wenn sie so ohnmächtig sei und an den Angelegen heiten des deutschen Reiches sich nicht betheiligen wolle. Hierauf sei zu antworten, daß die polnische Fraktion gewissermaßen als Po st en, als Platzcommando im Reichstage stehe, vorläufig sich nur um lediglich den Polen nützliche Gegen stände kümmere und bereit sei zum Eingreifen, wenn einstdieVerhältnissesichwiederändern würden. * Berlin, 20. November. (Zur Obstzollfrage.) Es ist schon vor einiger Zeit gemeldet, daß innerhalb der Reichs regierung die Einführung eines Zolles auf frisches Obst erörtert wird. In Verfolg dieser Absicht sind nunmehr Fragebogen für den Handel mit frischem Obst ausgegeben worden. Die Hauptfragen kauten, der „Frkf. Ztg." zufolge: Können Sie ohne Nachtheile für Ihren Geschäftsbetrieb im Frühjahr auf den Bezug und Verkauf ausländischen (italienischen, französischen, belgischen, amerikanischen u. s. w.) Obstes ver zichten? Welch« von den einzuführenden Obstarten sind für Ihren Bezirk die wichtigeren? Aus welchen Gründen ist di« Einfuhr erforderlich? Wie hoch schätzen Sie die Einfuhr der verschiedenen Obstarten Jhr«S Bezirkes? AuS welchen Gründen ist die Einfuhr nicht erforderlich? Aehnliche Fragen waren sodtmn für di« Obsteinsuhr im Herbst gestellt, die sich hier aber auch auf die Herkunftsländer und die BerwendungSart der eingeführten Obstsorten (Mosten, Dörren, Rohgrnuß u. s. w.) erstrecken. Weiter wird nach der AuSfrchr von Obst gefragt und nach Maßregeln zur Deckung des inländischen Obstbedarfes ohne Beeinträchtigung des Versandtes nach drm Ausland, ebenso nach Maßregeln zur Förderung der Aus fuhr von deutschem Obst nach dem Ausland. Däber wird auch nach Frachterleichterungen, ObstverwerthungS-Genossenschaften und Centralstellen für Obstverwerthung geforscht. Die Schluß- Elastische Kneipen. EinefeuchtfröhlicheWanderungdurch Deuts ch- landsGauen. Von vr. Theodor Adler. Nachdruck verboten. Der verehrte Leser wolle nicht unwillig und verächtlich diese Zeilen überschlagen, weil das lebensgefährliche Wort „klassisch" als erstes fettgedruckt ihm entgegenstarrt. Ich ahne die Gefühle, die ich auch theile, seit den Zeiten, wo mir auf dem Gymnasium irgend etwas entsetzlich Langweiliges, was ein alter Grieche einst geschrieben, als Quintessenz der Classicität von meinem alten Lehrer mit einem Gesicht vorgesetzt wurde, als ob ich unwürdiger Erden sohn nun eigentlich gegen alles Recht und Verdienst in die Mysterien der köstlichen Dinge eingcweiht werden sollte. Es soll aber keineswegs das Attentat versucht werden, in Feuilletonform nach dem Recepte von Ebers ein vollgerüttet Maß archäologischer Kenntnisse beizubringen, und unsere Wanderung wird uns weder in den Kaffeehausgarten der Semiramis zu Ninive, noch in daS Weinhaus zum lustigen Krokodil in Theben oder gar in den schwarzen Walfisch zu Askalon, oder in den Weinschank zum Vesuv in Pompeji führen; sie soll nur ehrwürdige deutsche Kneipen berühren, welche sich aus längst vergangenen Zeiten vor der modernen DemolirungSsucht in die Gegenwart herübergerrttet haben, und in deren Räumen uns vom gebräunten Gewölbe etwas von jenem deutschen kernigen Geiste anweht, der Deutsch land schon vor 300 Jahren zum blühendsten Lande gemacht hat, ehe fremde Schaaren im dreißig Jahre währenden, unseligsten aller Kriege auS unserem Vaterlande einen Friedhof machten, unter dessen Leichenhaufen der Wohlstand unseres Volke» auf Jahrhunderte begraben lag. Unter hohen Herrschaften schreibt die Etikette das Jnnehalten einer genauen Rangordnung vor. Daher ist auch hier die Frage angebracht, welchem der trinkhaften Locale Deutschlands wohl der erste Platz gebührt, und da können wohl ohne Widerrede nur zwei mit einander in Concurrenz treten, nämlich Bremen» ehrwürdiger Rathskeller, von dem un» der Dichter singt: „Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat Und hinter sich ließ da» Meer und die Stürme, Und jetzo warm und ruhig sitzt Im guten RathSkeller zu Bremen." und Auerbach'» Keller auf der Grimmaischrn Straße in Leipzig. Bekannter im großen Publicum ist wohl der letztere, und zwar nicht zum Mindesten, weil Bremen für den Ost- und Süd deutschen immerhin doch etwa» außer der Tour seiner Ver gnügungsreisen liegt, und andererseit», weil kaum Jemand, der nach Klein^Pari» kommt, e» unterläßt, zu den Räumen zu wall fahrten, wo Deutschland» größter Dichterfürst al» Student seine Phantasie mit den Vorstellungen mittelalterlichen Studentenleben» anfüllte. Auf di« geschäftige Gegenwart passen zwar nicht mehr di« vrrsr: Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest, Mit wenig Witz und viel Behagen Dreht Jeder sich im engen Zirkeltanz, Wie junge Katzen mit dem Schwanz, Wenn sie nicht über Kopfweh klagen. So lang' der Wirth nur weiter borgt. Sind sie vergnügt und unbesorgt; denn auf Leipzigs hoher Schule wird fleißig studirt, und der Wechsel des Herrn Studiosus ist meistens kein überreicher. Aber das Geschlecht der Meßonkel, welche hier ihre Goldfüchse springen lassen, ist doch noch nicht ausgestorben, und zu einer Flasche Pies porter oder Kupferberg Gold reicht es dem Musensohn doch ab und zu. So kommt es ziemlich häufig vor, daß dem Zecher die Schriftzüge von Goethe's eigener Hand, die unter Glas und Rahmen al» Kleinodien an den Wänden hängen, und die alten bildlichen Darstellungen au» der Faustsage in mitternächtiger Stunde sich verwirren und er schließlich nicht beeiden kann, wie er au» dem Keller gekommen, und ob er nicht am Ende auch wie weiland Mephistopheles und Doctor Faust auf einem Weinfaß zur Treppe hinausgeritten ist. Machen wir es nun ihnen nach und setzen wir unseren Ritt auf dem Pferde der Phantast« fort, bis uns dasselbe am Erker bau des hanseatischen Rathhause» der Wcserstadt abseht. Wenn man dort die breite Treppe herunterschreitet und die weiten Kellerräume betritt, in denen un» die mächtigen Eichenfässer, die zwölf Apostel und Bacchu», grüßen, der auf seinem Fasse in einer derben Realistik reitet, vor welcher sogar ein Fanatiker secessio- nistischer Kunst den Hut ziehen muß, dann werden die ReminiS- cencen au» Hauff'S Phantasien im Bremer Rathskeller wach, und vor dem altehrwürdigen Faß der „Rose", in deren Schatten der gestrenge Herr Burgemeifier und ein wohlweiser Senat „sub rosa" über da» Wohl und Wehe der Hansestadt bei firnem, funkelndem Wein beriechen, klingen aufs Neue die Verse im Ohr: „Dor allen Schlössern dieser Zeit Lob' ich ein Schloß zu Bremen, In seinen Hallen hoch und weit Darf sich kein Kaiser schämen. Gar seltsam ist e» auistaffirt. Mit schmuckem HauSrath ausgeziert, Doch hat daselbst vor Allen Eine Jungfrau mir gefallen. Ihr Auge blinkt wie klarer Wein, Ibr« Wangen find nicht bleich«, Wie prächtig ihre Kleider sein Don lauter schwerem Zeuch«; Von Eichenholz ist ihr Gewand, Von Birkenreifen ihr« Band, Da» Mieder, da» sie zieret, Mit Eisen ist geschnüret." Und da wölbt sich die Gedankenbrücke von den längstver- gangenen Tagen zur Gegenwart, die ja auch eine eiserne Zeit ist, in der da» neu erwachte deutsche Volk, einem kraftvollen Recken vergleichbar, mit der Schärfe de» Stahle» an den ehernen Schild klopft und die ruhmreichen Traditionen der Hansa über da» Weltmeer bi» zu den fernen Antipoden trägt. Noch manche andere Stätte, auf welcher der Zauber der Jahr hunderte ruht, ist zwischen den Alpen und dem Meeresstrande dem Cultus des Weingottes geweiht. Man denke nur an das Blut gericht im Schloßhofe zu Königsberg und die ergötzliche Geschichte von dem königlichen Kuß, dessen man die Empfängerin desselben, die wackere Wirthin, noch vor nicht gar vielen Jahren als Greisin im Silberhaar sich rühmen hören konnte; man denke an das „Bobbeschänkelche" in Frankfurt am Main und an den Stifts keller zu Salzburg, über dessen verandenumgebenen Hofraum die Felswände senkrecht aufragen, und selbst das durchaus moderne Berlin besitzt in der so bescheiden ausgestatteten Weinstube von Lutter und Wegener an der nordwestlichen Ecke des Gendarmen marktes ein Local, welches durch die Erinnerung an Devrient und seine College« vom königlichen Schauspielhaus einen weit über die Grenzen der Reichshauptstadt hinaus reichenden Ruhm erlangt hat. Wenn wir aber ehrlich sein wollen, so liegt doch über allen diesen Weinkneipen etwas Exclusives. Die echte Popularität be ginnt erst dort, wo Gambrinus mit seiner aus Gerstenmalz und Hopfen gebrauten Gabe sein Heim aufgeschlagen. Aber ach! sein heiligster Tempel, das alte Hofbräuhaus in München, ist zerstört, und ein Neubau erhebt sich jetzt an seiner Stätte, bei deren An blick der Biertrinker, der seit einer Reihe von Jahren nicht mehr in München war, klagend in die Worte des Studentenliedes auS- zubrechen versucht ist: Vergebens irre ich umher, Ich finde Deine Spur nicht mehr, 0 jvrum, zerum, jvrum, 0 quae imitativ re rum. Aber über dem neuen Werke haben pietätvolle Hände gewaltet, welche besonders dem Hofe etwas von drm Reize mittelalterlicher Bauten zu geben wußten; und die Menschen, welche dort den ewigen Durst stillen, sind die gleichen geblieben. Denn, wie vor dem trinken dort schon am frühen Morgen vierschrötige Hatschiere, Münchener Bürger und der immer durstige Studio ihre Humpen, und norddeutsche Ehefrauen, welche mit ihren Männern auf der Hin- oder Rückreise nach und von den Alpen in der Bierstadt an der Isar verweilen, finden nach wie vor den Muth, das Bier, das hier an dieser klassischen Stätte nun doch einmal doppelt so gut mundet, auS Maßkrügen — wie schrecklich, aus Maßkrügen — zu trinken, was daheim ein Verbrechen ersten Ranges wäre. WaS drm Münchner Hofbräu an Alterthümlichkeit abgeht, be sitzt der Schweidnitzer Keller in Breslau in Hülle und Fülle. Schweidnitzer Bier ist eS nun zwar schon lange nicht mehr, da» dort den Schlesiern verzapft wird; aber der Stoff, der vor den Thoren BreSlaus, in Kleinburg, gebraut wird, ist nicht eben schlecht; der beste Gewährsmann hierfür war ein Münchener Steuerbeamter, der, in BreSlau stationirt, Bierquantitäten ver tilgte, die selbst un» damals jungen Studenten Achtung ab- nöthigten. Ein Zufall ließ un» eines Tage» hinter da» Ge heimnis; kommen, wielo er nie dem Kellner vor anderen Gästen seine Zeche bezahlte. Der Durst war so groß und daS Bier war, ach, so gut, daß der wackere Bajuvare sich schämte, die Zahl der vertilgten Seidel — der halbe Liter kostete 15 Pfennige — ein- zugestehen, welche ein getreuer Eckart in schneller Reihenfolge vor ihm aufmarschiren ließ; und so hatte er denn die Stillung seines - Durstes bei dem srackbeschwänzten Ganymed in Accord gegeben, der ihm für einen blanken Thaler so viel Bier vorzusetzen hatte, als er benöthigte, und, wie jener selbst gestand, meisten» wohl ein erträgliches Trinkgeld dabei erübrigte, manchmal aber auch nicht unbedeutend daraufzahlte. Wenn im Schweidnitzer Keller drr Begriff de» Biere» fast un trennbar mit jenem der auf der breiten Treppe au» großen dampfenden Kesseln verkauften Wiener Würstchen verbunden ist, scheint daS Bier im Bratwurstglöckle, oder, wie e» eigentlich heißt, im blauen Glöcklein zu Nürnberg hinter der Moritzcapelle, gegen über der Sebalduskirche, eine ewige Alliance mit Bratwurst und Sauerkraut eingegangen zu sein, eine Föderation, die übrigens ihr Gegenstück in Liegnitz findet, wo in dem nach dem unglück lichen Hingerichteten Stadtschreiber benannten Keller am Markt, den wohl jeder Fremde besucht, eine Jauersche Wurst von be sonderer Güte verabreicht wird. Und soll hier nicht auch der Thüringer Hof in Leipzig, jenes grmükhliche Heim, Erwähnung finden? Diese Zeilen können füglich nicht geschlossen werden, ohne einiger Kneipen aus der modernsten Zeit zu gedenken. Daß Ham burg- herrlicher Rathskeller, an drm nichts alt ist, außer die im Jahre 1842 bei dem großen Brande auS dem alten Rathskeller gerettete Bacchuistatue, schon jetzt kein Parvenü mehr unter den Kellern von altem Adel ist, dürfte bekannt sein, vielleicht hat dazu auch die Gunst der Damen beigetragen; denn diesen ist dort eine eigene mit dem Namen „Rosenkranz" benannte Trinkstube ge weiht, ein Titel, welcher ohne Zweifel nicht von dem Andacht» requisit der katholischen Kirche sich ableitet, sondern auS der Vor stellung entsprungen ist, daß in diesem Raume nur süße, duftende Menschenblüthen Hausen dürfen und der Mann verbannt ist. Ob dasselbe LooS auch dem unstreitig wunderschönen Keller beschieden sein wird, der unter dem Rathhause der Kaiserstadt an der Donau gelegen ist? Die Meisten sagen „nein", beeinflußt durch den bedauernswerthen Gang drr politischen Dinge in drr deutschen Ostmark; aber diese UnglückSprophetea werden sich irren, denn der deutsche Michel beginnt sich auch dort den Sand aus den Augen zu reiben und sein germanische» Wesen zu vertbeidigen. Fern von deutschen Landen steht daun noch hoch über den blauen Flutben de» tyrrhenischen Meere», auf den ragenden Felsen des Zaubereilande» Capri, die von der Hand deutscher Künstler mit Wandgemälden geschmückte Kneipe de» fast au»^ schließlich von deutschen Reisenden besuchten Albergo Pagano. Nur schade, daß e» nur so Wenigen vergönnt ist, sich dort an schwarzem Weine zu laben. Denn mitten zwischen den lachenden Bildern thront dort da» Contersei de» Kater» „Hiddigeigei", deS liebenswürdigsten seine» Geschlecht», dessen Besuch, unter Ausschluß seiner übrigen StammeSgenossen, wir allen Denen wünschen, deren in klassischer Kneipe erworbener Ufte sich je bis zum nächsten Morgen in den unbeschränkten Gebieter der Dächer und Firste verwandeln sollte.
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