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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189911263
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18991126
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18991126
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 9172-9175; 9184-9187 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-26
- Monat1899-11
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1899
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9IK2 ihre Stimmen erheben, bi» die Fürflentöchter gelernt hätten, daß da», was man ihnen zumntbe, eine Erniedrigung sei; denn der evangelische Glaube sei kein Handelsartikel. Zum ersten Mal in öffentlicher Bersaninilung wurden auch die Darm städter Vorkommnisse behandelt und zwar von Pfarrer Dreisbach-Hagen. In Darmstadt habe am 8. October d. Ä-, so führte der Redner aus, in Gegenwart de» russischen KaiserpaareS die Einweihung der griechisch-katholischen Capelle stattgesunden, woran sich leider auch — Kerzen tragend — da» protestantische Großherzvgspaar von Hessen betbeiligt hätte. Ein solches Beispiel von oben herab, gegen das aus da» Entschiedenste Einspruch erhoben werden müsse, könne auf weite Kreise nur schädigend wirken und die Wankenden völlig stürzen. („Boss. Ztg.") * Bochum, 25. November. Gestern wurde hier gegen den Besitzer und Chefredakteur der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung", vr. Reismann, und gegen den verantwort lichen Redakteur v. Bracken verbandelt und zwar wegen Beleidigung des Landra'bS Spude, deö Bürgermeisters Schäfer, sowie der Polizeimannschaften und Gendarmen, die bei dem Ausstand der polnischen Bergarbeiter im Heiner Kohlenrevier «ingegriffen baden. Die Beleidigung wird in einem Artikel der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung" gefunden, in welchem u. A. die persönlichen Erlebnisse deS IK-. ReiSmann am 28. Juni geschildert werden, vr. Reis mann gab in der gestrigen Verhandlung hierüber folgenden Bericht: AIS die Unruhen einen sehr großen Umfang angenommen batten, nachdem sogar geschossen worden war, erachtete ich eS für meine Pflicht, selbst nach Herne zu fahren, um mir die Situation anzusehcn und meine Berichterstatter zu insormiren. Da mir Arbeitswillige klagten, daß sie vor den ausständigen Knüppelhrlden nicht geschützt würden, trat ich an den Gendarm Kühne heran, um diesen auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Was geht Sie daS an, schrie der Gendarm: Halte» Sie's Maul! machen Sie, daß Sie fortkommen. Wer sind Sie überhaupt? Ich bin vr. Neismaiui-Crone. Kennt Jemand Herrn vr. Crone? rief der Gendarm in daS Publicum hinein. Nein, ertönte cs zurück. Von welcher Zeitung sind Sir, rief der Gendarm. Ich bin der Besitzer der „Nbeinisch-Weslfälischen Zeitung" versetzte ich. Kennt Jemand die „Westfälische Zeitung"? rief der Gendarm in das Publicum hinein. Nein, ertönte es wiederum zurück. Können Sie sich legitimiren? Ich gab dem Gendarm meine Visiten karte. DaS ist keine Legitimation, bemerkte der Gendarm, ver haften Sie den Herrn, rief er dem Steiger Dittmann zu. Letzterer arretirte mich. In diesem Augenblick kam der Bergrath Lehren- angefahren. Als dieser sah, daß ich verhaftet sei, stieg er sofort aus dem Wagen. Nachdem ich dem Herrn Bergrath die Sachlage geschildert hatte, veranlaßte dieser, daß mich der Steiger Dittmann wieder freiließ. Ich bemerke, daß ich nicht nach Herne fuhr, um zu schreiben, ich halte aber ein Interesse, mir die Situation anzusehen, zumal da ich früher Sekretär des bergbaulichen Vereins für Len Oberbergamtsbezirk Dortmund war. Ja der Verhandlung wurden zahlreiche Zeugen ver nommen, die über das Vorgehen der Polizei-Mannschaften und Gendarmen zum Tbeil in einer sehr abfälligen Weise berichteten. Ter Staatsanwalt beantragte gegen vr. Rc,S- mann 1000 gegen Bracken 300 Geldstrafe; der Ver- tbeidister plaidirte für Freisprechung der beiden Herren. DaS Urthril soll am 1. December er. verkündet werden. * Augsburg, 24. November. Die Conducteure und Obercondueteur« der Post haben sich in ganz Bayern zur Entsendung von Eingaben an das Abgeordnetenhaus wie an die Generaldirection zu einem Verbände zusammen geschloffen. Der Verband soll in 7 Obmannschaften ver fallen, die sich auf die Oberpostämter verthcilcn. Außerdem dürfte ein allgemeiner Postbedienstetenverband inS Leben gerufen werden. * An» Bayern. Der auf Schloß Gereuth in Unter franken plötzlich verstorbene Landtagsabgeordnete John Prieger war der Aristokrat unter den Bauernbündlern. Sein Rittergut umfaßte, wie die „Köln. Volksztg." meldet, zehn Höfe mit 30 000 Tagwerk Feld und Wiesen und ebenso viel Wald. Prieger ist 44 Jahre alt geworden. In Manchester geboren, lebte er mit seiner Mutter, einer Eng länderin, und seinen Geschwistern auf Schloß Gereuth. Er war ein von Gesundheit und Kraft strotzender Mann. Die Bauernbundpresse läßt ihn am Aerger über die jüngsten „Angriffe" der Centrumspresse gestorben sein, was allerdings eine komische Bebauptung ist. Äbg. Prieger hatte noch jüngst über die blau-weißen Grenzpfähle hinaus allgemeine Heiter keit erregt; er beklagte nämlich die Preisgabe SamoaS und als er durch Zwischenrufe belehrt wurde, daß Samoa ge wonnen sei, erwiderte er: „Als ich meine Rede halten wollte (Prieger hatte sich zwei Tage vorher zum Wort gemeldet), war da» noch nicht bekannt." Großbritannien. Kaiserbesuch. * Windsor, 25. November. (Telegramm.) Der Kaiser unternahm beute Morgen mit seinem Gefolge einen Spazier ritt. Die Kaiserin machte mit den beiden kaiserlichen Prinzen einen Spaziergang. Alle kehrten zum Frühstück wieder nach dem Schloß zurück. Die kaiserlichen Prinzen gehen später nach Cumberland Lodge und verbleiben dort, so lange der Kaiser und die Kaiserin sich in Saudringham aushalten. * Windsor, 25. November. (Telegramm.) Der Kaiser und die Kaiserin begaben sich beute Nachmittag 3 Uhr nach Sandringham, wo die Ankunft um 7 Uhr er folgen wird. vegräbnitz der Lady Salisbury; Salisbury s Befinden. * Hatfield, 25. November. (Telegramm.) Zu dem heutigen Begräbniß der Lady Salisbury hatten der deutsche Kaiser und die Kaiserin Vertreter entsandt und einen Kranz mit den kaiserlichen Initialen in Gold niederlegen lassen. Die Königin von England über sandte ebenfalls einen Kranz, der Prinz und die Prinzessin von Wales ein prachtvolles Kreuz. Durch seine Krank heit war Lord Salisbury verhindert, an der Bei setzung theilzunehmen. * London, 25. November. (Telegramm.) Die Besserung in dem Befinden SaliSbury's hält an. Der Patient ist indessen noch immer an das Hau» gefesselt. Oesterreich-Ungarn. Vmpfang der Delegationen. * Wien, 25. November. (Telegramm.) Dem „Fremden blatt" zusolge findet der Empfang der Delegationen beim Kaiser am 1. December statt. Türkei. Eine ottomanische Gesandtschaft in der Schweiz. * Konstantinopel, 24. November. Die Errichtung einer otto m a ni sck enGes and tschaft in der Schweiz wird wohl demnächst vor fick geben; mit ihr bat sich eine der LieblingSideen des Sultans erfüllt. Mit großer Beharrlichkeit wurde in diesem Sinne schon seit mehreren Jahren gearbeitet, aber die Bundesbehörde zeigte sich stets sehr spröde, und wenn sie jetzt nachgegeben bat, scheint dies weniger aus Rücksicht auf den Sultan als in Folge der Unterstützung, welche der Pforte hierbei seilens anderer Mächte zu Tbeil geworden ist, geschehen zu sein. Der Sultan ist fortgesetzt über die jung türkischen Umtriebe sehr beängstigt, und lediglich um sie zu bekämpfen, ist die Gesandtschaft in Bern ins Leben gerufen worden. Der zur Leitung derselben auSersehene Gesandte in Brüssel Etienne Karatheodory bebält jedoch seinen jetzigen Posten weiter und wird nur einen Theil des IahrcS in Bern zubringen. Weil es Karatheodory gelungen ist, die Unter drückung deö „Meschweret" in Belgien durchzusctzen, siebt er bei dem Sultan sehr in Gunst. Vor Allem soll es die Auf gabe des neuen Gesandten sein, den Abschluß eines Nieder- lassungSvertrazes mit der Schweiz herbeizuführen, wonach jeder türkische Staatsbürger das Visum der Legation haben muß, um sich in der Schweiz, wenn auch nur vorübergehend, niederlassen zu dürfen. Trotz der schlimmen Finanzlage ist gestern daS Gehalt Karatheodory'S um 110 Pfund monatlich erhöht worden. (Frkf. Ztg.) Afrika. Sndanfelüzng. Eine recht gelegene Siegesbotschaft kommt den Engländern aus dem Sudan: * Kairo, 25. November. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" meldet vom 25. d. MtS.: Eine Depesche Sir Kit- chener'S an Cromer auS Khartum meldet: Die egyptische Colonne unter Oberst Wingate traf auf die Streit macht des Khalifen sieben Meilen von Gedid, griff die Stellung an und nahm sie nach heftigem Kampfe. Der Shalts fiel, umringt von Emiren, die ihn als Leibwache um gaben. Alle hervorragenden Emire wurden getödtet oder gefangen, ausgenommen Osman Digma, der entkam. Die Streitmacht des Khaltfe» ist vollständig ge schlagen. Eine dem Londoner Kriegsministerium zugegangene Depesche berichtet noch: DaS Lager wurde genommen. Mehrere Tausend Araber ergaben sich, viele mit Frauen und Kindern. Auch eine große Menge Vieh fiel den Siegern in die Hände. Auf egyptischer Seite sind drei Mann gefallen und zwölf verwundet worden. Die englischen Verluste erscheinen denn dock für eine veri- table Schlacht, um die eS sich handeln soll, unglaublich gering. Immerhin wird man in London von einer schweren Sorge befreit sein, wenn sich aucb nur die Hauptsache be stätigen sollte, daß der Khalif getödtet und sein Heer ge schlagen ist. Amerika. Die Presse über den Kaiserbesuch l« England; Ter Samoavcrtrag. * New Kork, 25. November. Die hiesige Presse fühlt sich geschmeichelt durch den Besuch deS deutschen Kaisers in Blenheim und weist darauf bin, daß die Herzogin von Marlborough eine Amerikanerin ist. DaS „New Jork Journal" erklärt, der Besuch bedeute die nichtförmliche Anerkennung de» englisch-amerikanisch-deutschen Einvernehmens, das unmöglich in förmlicher Weise durch Vermittelung deS amerikanischen Botschafter» in London ber- gcstellt werden konnte, wenn man nicht europäische Ber- Wickelungen herbeisühren wollte. — Staatssekretär Hay unterzeichnete beule den Samoavertrag; dieser bedarf noch der Bestätigung durch den Senat, der am 4. n. M. Zu sammentritt. (Magd. Ztg.) Deutscher Reichstag. HZ Berlin, 25. November. Die zweite Berathung der Novelle zur Gewerbeordnung wird fortgesetzt. Einsam thront am BundeSrathstisck) Graf Posadowsky, er muß den ganzen, meist socialdemokratischen, Redeschwall über sich ergeben lassen, alle anderen Regierungsvertreter halten sich von diesen Debatten fern. Und auch auS dem Saale ist geflüchtet, wer nur irgend abkommen konnte. Anwesend sind fast nur die Herren, welche der Commission angehört haben, sie bestreiten auch allein die Kosten der Unterhaltung und bieten dem Tribünen- rublicum dieselben Reden als neu, welche sie vordem mit mehr oder weniger Erfolg bereit» in der Commission zum Vortrag gebracht. Es handelt sich beute um den Schutz der ConfectionSarbeiter und Arbeiterinnen gegen die Aus beulung durch die Zwischenmeister. Die Socialdemokcaten haben einen neuen Z 114e zur Gewerbeordnung beantragt, durch welchen den Zwischenmeistern bestimmte Beschränkungen hinsichtlich der Beicbäftigung von Arbeitspersonal auferlegt werden sollen. Drei Sachkundige sprachen zunächst zu der Frage. Der auS Leipzig gebürtige, in Halle ansässige Schneidermeister Albrecht begründet den Antrag der Genossen und weist auf das System hi», daß die Zwischenmeister die Arbeit, die ihnen durch den Groß unternehmer übertragen ist, wieder an Zwischenmeister vergeben und diese dann erst das Material durch Arbeiter verarbeiten lassen, so daß der karge Lohn den Arbeitern zweimal empfindlich gekürzt wird. Graf Posadowsky wiederholt seine gestrige Erklärung, daß diese beklagenswerthen Mißbräuche nicht so nebenbei, sondern in einem besonderen Specialgesetze beseitigt werden müssen, welchem die Regelung dieser Verhältnisse Vorbehalten sei. Freiherr v. Heyl vertraut in dieser Frage der Regierung, während der socialdemokratische Schneider Reißhaus nicht länger warten will. Denn daS Unglück liegt, wie er sagt, im System. Die Zmischenmeister selbst seien ganz brave Leute, aber die Hausarbeit müsse überhaupt verboten werden. Im parlamentarischen Alphabet folgt auf „Genossen" Reißhaus stets sein Erfurter LandSmann und Fackgenosse, der Conservative IacobSkötter. Er findet es ganz erklärlich, daß ReißhauS die Zwischenmeister in Schutz nimmt, da der Genosse ja selbst lange Zeit Zwischen meister gewesen. Der Präsident Graf Balte st rem rügt es allerdings, die persönlichen Verhältnisse in die Debatte zu ziehen. Doch das thut nichts, IacobSkötter erklärt, er habe es nur gut gemeint. Da kommt Stadt hagen dem Präsidenten zu Hilfe — und nun ist dieser über zeugt, daß er Unrecht gethan. Der Antrag der Social demokraten wurde schließlich abgelehnt. Eine längere Debatte knüpfte sich sodann an einen neuen Paragraphen der Novelle, durch welchen dem BnnreSrathe die Bcfugniß gegeben werden soll, für bestimmte Gewerbe die Beschäfti gung jugendlicher Arbeiter und Arbeiterinnen außer- balb der Fabrik zu untersagen. Die Socialdemokraten beantragten die Ausdehnung dieses Verbotes auch auf dir Werkstätten. Nachdem der letztere Antrag abgelehnt worden war, fiel der ganze Paragraph, und die Socialdemokraten erklärten ärgerlich, die ganze „Comödie" nicht weiter mitzu machen und gegen die ganze Novelle stimmen zu wollen. Im klebrigen halte schon vorher Genosse Singer trotz aller Provokationen durch IacobSkötter, der ironisch Singer'S hervorragende Kenntniß auf dem Gebiete der Confection ge priesen batte, es vorgezogen, zu schweigen, ja, während eines großen TbeileS dieser Debatte den Saal gemieden, und in der Restauration den nöthigen Trost gesucht und gefunden. Am Montag wird die Berathung der Gewerbenovelle fortgesetzt. 109. Sitzung, Sonnabend, den 25. November, 1 Uhr. Am Tische des Bundesraths: Graf Posadowsky. An erster Stelle genehmigt das Haus auf Antrag der Abgg. vr. Lieber und Genossen (Ctr.) die Einstellung des gegen den Abg. vr. Heim (Ctr.) bei dem königl.Laindgericht München I wegen Beleidigung schwebenden Strafver fahrens während der Dauer der Session. Sodann wird die zweite Berathung der Abänderungen der Gewerbeordnung und des Krankenversicherungsgesetzes fortgesetzt, und zwar bei dem von den Abgg. Albrecht und Genossen (Soc.) beantragten neuen 8 H4<-. Dieser verlangt: „Zwischenmeister dürfen nur in eigenen Arbeitsräumen Arbeiterpersonal beschäftigen. Die Heimarbeiter stehen rechtlich im unmittelbaren Arbeitsverhältniß zu dem Hauptunter nehmer. Gewerbetreibende, in deren Auftrag und für deren Rechnung von Hausgewerbetreibenden (Gewerbe treibende, welche in eigenen Betriebsstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender mit der Herstellung oder Bearbeitung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind) gearbeitet wird, sich rücksichtlich der Hausgewerbetreibenden und ihrer Ge hilfen, Gesellen und Lehrlinge Arbeitgeber im Sinne dieses Ge setze» und Dienstberechtigte im Sinne de» B. G.-B. Die Ar beitgeber sind verpflichtet, rin Verzeichnis! der von ihnen beschäf tigten Heimarbeiter an einer für Jedermann sichtbaren Stelle in ihrem Geschäftslocal auszuhängen." Abg. Albrecht (Soc.): Nach den gestrigen Erfahrungen und Abstimmungen ist «S schwierig, einen von uns gestellien An trag dem Verhalten namentlich des Abg. vr. Hitze gegenüber -u vertheidigen. Die Auswüchse der Hausindustrie, die wir an sich schon als Unglück betrachten und allgemein beseitigen wollen, wollen auch andere Parteien abschaffen; aber eS kömmt nicht darauf an, daß wir, wie Abg. IacobSkötter meint, die Haus industrie beseitigen wollen, um die in den Fabriken versammelten Arbeiter bester zu beschäftigen, sondern, weil die Hausindustrie an sich ein Unglück ist. Hier handelt es sich nun gar nicht um die Hausindustrie, sondern um die in der Confection und anderen Industrien sehr schädlich wirkenden Zwischenmeister und Zwischenunteryehmrr. Diesen gegenüber müssen auch die Haus arbeiter den Schutz oller gewerblichen Vorschriften genießen. Die Thronrede sprach aus, man wolle den Mißständen in der Confeckionsindustrie steuern. Glauben Sie, Vies mit Ihren bis herigen Beschlüssen, bei denen Sie auch unsere minimalsten Bessevungsanträge ablehnten, verwirklichen zu können? That- sächlich haben Sie sogar durch die Beschlüsse über die Lohn bücher die Verhältnisse verschlechtert. Wir hoffen immer noch, daß Sie diese Beschlüsse in Der dritten Lesung ändern werden. Auch die später noch zur Verhandlung kommenden Bestimmungen der Novelle können die Mißstände in der Confectionsindustrie nicht beseitigen. Der Einwand, man könne nicht allgemein für alle Gewerbe Besserung schaffen, sondern es müsse jedes einzelne Gewerbe gesondert behandelt werden, ist nicht zutreffend, zumal da unsere Anträge nur das Geringste enthalten, was gefordert werden muß, und was für alle Gewerbe paßt. Präsident Graf v. B a ll est re m: Ich bitte den Redner doch, sich mehr an den vorliegenden Paragraphen zu halten und auf abgeschlossene Debatten nicht mehr zurückzukommen. (Sehr richtig! rechts.) Äbg. Albrecht (fortfahrend): Ihre Beschlüsse beweisen, daß es Ihnen mit der Besserung der Zustände nicht ernst ist. (Präsident Graf Ballestrem: Das dürfen Sie nicht sagen, eS verstößt gegen die Ordnung des Hauses.) Petitionen be weisen, wie Vie Arbeiter — um Arbeitswillige handelt es sich hier — durch Zwangsmaßregeln der Unternehmer drangsalirt werden. Die Petitionen der Arbeitgeber sind von Leuten unter zeichnet, die die Geschäfte von weißen oder schwarzen Juden besorgen! Staatssekretär Graf v. Posadowsky; Der Z 114« wird unter die Specralgesetze gehören, von denen ich gestern ge sprochen habe, um die Verhältnisse im Hausgewerbe zu verbessern. Der Vorredner hat in ziemlich abfälliger Weise über die Zwischenmeister sich geäußert, gegen die sich der socialdemokratische Antrag auch richtet. Es wird genügen, auf den Bericht der Commission für Arbeiterstatistik über die Kleider- und Wäsche- confection hinzuweisen, in dem es heißt, daß die Erhebungen erhebliche Nachtheile in dem System der Zwischenmeister nicht haben erkennen lassen, es seien messt ältere Personen, die für Aufrechterhaltung der Ordnung und des Anstands halten; es sei irrig, die Zwischenmeister für das Grundübel in der Wäsche- confection zu erklären, und die Beseitigung des Zwischenmeister-' thums sei nicht rathsam. Gesetzliche Bestimmungen gegen die Zwischenmeister seien nicht zu empfehlen. Das ist der Bericht der Commission, zu der auch Fraetionsgenossen des Vorredners g»« hören. Es ergiebt sich daraus, daß die Frage mit Vorsicht und nicht ad iruto behandelt werden darf, und daß es angezeigt ist, den Weg zu beschreiten, den ich gestern empfohlen habe. Abg. Frhr. v. Heyl (ntl.): Die hier vorliegenden Anträge bctr. die Zwischenmeister wurden in der Commission sehr ein gehend besprochen, man wollte auch dort die Arbeiter gegen die Benachtheiligung durch Zwischenmeister schützen. Das thut 8 II4c aber nicht einmal, dazu müssen mindestens Vorschriften über die Beschaffung des Arbeitsmaterials u. s. w. darin ent halten sein. Im Princip sind wir, z. B. in der Krankenversiche rung, auch für die Schaffung direkter Beziehungen Zwischen Ar beiter und Hauptarbeitgeber, aber dazu müssen genauere gesetz liche Bestimmungen und Informationen geschaffen werden. Auch ist nicht jede Hausarbeit schädlich, z. B. die in Verbindung mit der Landwirthschaft betriebene ist eS nicht. Aus allen diesen Erwägungen haben wir uns in der Commission nicht für die hier zur Verhandlung stehenden Anträge entscheiden können, und ich bitte Sie, dieselben auch hier abzulehnen. Abg. Reißhaus (Soc.): Dem Vorredner entgegen ist vielfach festgestellt, daß durch Hausarbeit die Landwirthschaft zurückgeht. Ich glaube, Abg. v. Heyl hat nicht Vie ganze Trag weite des § II4o übersehen; der Paragraph stellt namentlich nach den gestrigen Beschlüssen eine sehr werthvolle Ergänzung der Vorlage vor. In der Confection sind Vie Zwischenmeister Zwischenagenten zwischen den Capitalisten und zwischen Zwischen» zwischenmeistern, die selbst vielfach noch dritte Zwischenmeister beschäftigen. Da bleibt vom geringen Lohn der Arbeiter bei drei Zwischenpersonen etwas hängen, und diesem Mißstande wollen wir ein Ende machen durch die Bestimmung über die Be schäftigung nur im Heim des Arbeitgebers. Der Antrag, betr. die Fixirung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, will die Heimarbeit überhaupt nach Möglichkeit einschränken. Trotz der Ausführungen des Staatssekretärs müssen wir, auf unsere Erfahrungen gestützt, Vie Zwischenmeister für die Miß stände verantwortlich machen. Ich bitte Sie also, unseren An- auf Vie niedrige Bank dicht an einem wohlgepflegten Hügel nioderläßt, ihn kenne ich gar wohl, und tief hat mich damals vor Jahren sein Schicksal ergriffen. Er faß auf der Schulbank neben mir und war ein eifriger Schüler, dazu kein Dutzendmensch, son dern ein Idealist, ein Träumer, der seine eigenen Weg« ging, unbekümmert um das Gespött der Anderen. An seiner Seite sah man oft ein blondes, zartes Mädchen, nur wenige Jahre jünger wie er. so hold, wie ich nie wieder eines gesehen. Er hatte sich einmal zu ihrem Beschützer aufgeworfen, als ein paar Berauschte sie auf der Straße belästigten. Sie stammte aus einer sehr armen Familie und mußte von friüh bis spät mit ihrem zarten Körper über der Nähmaschine gebückt sitzen, um den Unter halt für die kleineren Geschwister mit zu verdienen. — Und zehn lange, lange Jahre waren sie verlobt! Er hatte nach einer Existenz gerungen, die ihm ermöglichen sollte, sein blondes Lieb an den eigenen Herd zu führen; sie hatte mit rastlosem Eifer Jahr um Jahr genäht und sich auch eiwas gespart zum Anschaffen der bescheidenen Aussteuer. Dabei war sie so durchsichtig weiß geworden wie das L innen, an dem sie sich täglich mühte. Aber die Hoffnung erhielt sie aufrecht und ließ die großen Augen in selt sam verklärtem Schimmer e:strahlen. Als er endlich die An stellung hatte und sie am Ziele aller Sehnsucht angelangt waren, da packte ein tückisches Lungenleidrn das zarte Geschöpfchen, und mit solch furchtbarer Gewalt, daß jede Hoffnung auf Besserung von Tag zu Tag schwand. An einem stillen, schönen Herbsttage ist sie heimgegangen ins himmlische Hochzeitshaus. Die hohe Frauengestalt dort unten mit dem bleichen, ver härmten Antlitz, die eben einen Kranz auf den kleinen Hügel «»beilegte, ist mir auch bekannt. Jahr um Jahr brachte sie eines ihrer Kinder hier zur Ruhe, die alle einer schleichenden Krankheit zum Opfer fielen; jedes Jahr zum Todtenfeste war ein Kind zur Begleitung weniger und dafür ein Hügel mehr; — heute kam sie allein, und als ich in das bleiche, kummervolle Ge sicht sah, in die großen, himmelwärts gerichteten Augen, fragte auch ich in unendlichem Mitleid vor so großem Schmerz: Herr Gott, warum sckückst Du ibr ein so schweres Kreuz? Weshalb «ußt« sie den bitteren Kelch des Leidens bis zur Neige leeren? „Denn kleine Himmelterben in ihrer Unschuld sterben, So büßt man sie nicht ein. Gi« werden nur dort oben vom Vater aufgehoben, Damit sie unverletzei sei'»!" Gv klang es wir zur Antwort auf die stumm» Frag» über dir Gräber herüber, von einer noch offenen Gruft, in die man eben den kleinen blumenbekränzten Sarg hinabgelassen hatte. Ein junges Ehepaar steht eng umschlungen daneben und weint in heißen Thränen den ersten herben Schmerz seiner Ehe aus. Vor wenig Jahren erst hatten sie einander geheirathet und das Leben war wie ein einziger goldener Frühlingstag gewesen. Als dann gar das holde Stimmchen des Kindes durch die trauten Räume erschallte, kannte das Glück keine Grenze mehr. Und nun mit einem Schlage Alles — Alles dahin! Seit Klein-Elly die strahlende« Augen für immer geschloffen hatte, gab es keinen Sonnenschein für sie mehr, das Leben erschien ihnen öde — ein großes Thal voll Jammer und bitterstem Herzleid! „Tröste Dich Gott — Du junge Mutter —, sei stark. Du trauernder Vater; wie reich seid Ihr doch in all' Eurem Weh, da Eines an des Anderen Brust gelehnt sich ausiweinen kann. — Getheibtes Leib ist halbes Leid. — Der erste heiße Schmerz wird vorübergehen, und in kommenden Tagen wird auch Euch die Sonne wieder lächeln; in Eurer Jugend-Gesundheit und Sorglosigkeit dürft Ihr noch so viel des Glückes vom Leben hoffen!" Die kleine, schmächtige Frau, die dort hinter Euch steht, weiß auch, was e» heißt, ein Kind zu verlieren; sie weiß aber auch, daß der Tod nicht immer den größten Schmerz des Llbens auSmacht. Dor langen Jahren nahm ihr der Herrgott einen kräftigen, blühenden Knaben; er fiel beim Spielen in den Fluß und ertrank. So un geheuer damals der Schreck und der Schmerz auch gewesen, er bäuchte ihr klein gegen den, der ihr später widerfuhr. Nach acht Jahren zog in das HauS endlich ein Ersatz für den so jäh Ent rissenen ein; wieder war eS ein Knabe, ein ungewöhnlich schöne» und begabtes Kind, daS der ganze Stolz der Familie war. Mit dem dritten Jahre bekam es Gehirnentzündung, und in Nächten höchster Angst und Verzweiflung hatte die arme Mutter zu Gott gefleht, er möchte ihr dies Kind nicht stevben lassen — nur diesen Wunsch —, diesen einzig einen sollte er ihr erfüllen. Und der Herr hat daS Gebet erhört — er ließ da» Kind nicht sterben, aber es war unheilbarem Blödsinn verfalle«. — Das junge, in tiefe Trauer gekleidete Mädchen, welches eben den Friedhof betritt, am Arme sorgsam eine ältere Dame führend und stützend, weiß auch von schwerem Kummer zu erzählen. Scheu blicken ihr die Leute nach und stecken dann fkissternd die Köpfe zusammen: „Seht, daS ist die Tochter des Betrügers, der uns Arme um die sauer verdienten Groschen gebracht Hai. Ja wohl, jetzt ist'» au» mit dem Vornehmthun und dem Equipagefahien; ist Euch schon recht, lernt auch mal spüren, wie Hunger thut!" Mit sanfter Freundlichkeit geleitet das Mädchen ihre Mutter durch die flüsternd« Menschenmenge, läßt sie dann sorgsam auf der Bank neben-dem fri sch zugeworfenen Hügel nieder und beginnt mit zitternden Händen etliche welk gewordene Kränze fortzu nehmen. Die alte Dame schaute derständNißlos zu unv nickt fort während langsam mit dem Kopfe. An dem Tag«, da das Un glück hereinbrach und man den Gatten erschossen vor seinem Schreibtisch sand, während draußen eine wüthende VoASmasse nach seinem Eigenthum schrie und mit Steinen die großen Spiegelscheiben zertrümmerte, — an dem Tage hat sich ihr Geist verwirrt. Für sie war es wohl das Beste. Die arme, schuldlose Tochter aber trägt aus ihren schwachen Schultern ein fast unmenschlich schweres Kreuz, und sie trägt «S mit Geduld und stiller Demuth. Von allen guten Freunden verlassen, von Bekannten ängstlich gemieden, sucht sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter durch allerhand Kunstfertigkeiten zu er werben; was «inst nur Zeitvertreib, ist jetzt zur bitteren Noth« Wendigkeit geworden. Aber nicht zu allen hier Ruhenden ist der Tod als Schrecken»« gestalt gekommen, als Knochenmann mit der unbarmherzigen Sense, die jäh ins blühende Leben hineinfährt und die Blumen scwie Knospen bricht. Vielen kam er auch als Freund, al» er« lösender Engel des Friedens, der mit leisem Neigen seiner mäch- tig«n Flüg-lschwingen des schwach« Lebenslicht sanft verlöscht. Die Dulderin, die unter dem schlichten Epheugrab da drüben schlummert, Hot gar sehnsüchtig auf ihn gewartet. Dreiund dreißig Jahre hat sie gelähmt auf einer Stelle gelegen und auf Erlösung gehofft: zuerst von ihren qualvollen Leiden, al» dieses zur Unmöglichkeit wurde, von ihrem Leben, da» ja nur eine Plage für ihre Umgebung sein konnte. Oft habe ich sie besucht in ihrem Stübchen und mit ihr geplaudert; wir waren Nachbars kinder gewesen, und in vergangenen Tagen, in Erinnerungen an unser« Kinderzeit drehte sich denn auch meist unser Gespräch, wo bei die Kranke ihres Leidens für Augenblicke vergaß und glücklich lächelte. Und dieses Lächeln trug sie auf ihrem Todtenbette. „Wir s«id ihr Leiden dieser Erden Doch gegen jen« Herrlichkeit, Die offenbart an uns soll werden Don Ewigkeit zu Ewigkeit? Wie nichts — wie gar nichts gegen sie, ! Ist doch ri«, Augenblick voll Ruh!" Dies Lied mußten wir ihr al» letzte» Geleit singen, und der alte Prediger, der sie getauft, confirmirt und während ihres Leidens ost besucht, getröstet und mit dem heiligen Abendmahl ge stärkt hatte, hielt ihr eine herrliche Grabrede, die Allen, die sie gehört haben, unvergeßlich geblieben ist. Alter, ehrwürdiger Freund! Auch Du schlummerst nun in kühler Erde, Dir zur Seite Deine treue Regine- GotteS Gnade und Barmherzigkeit hat Euch bi» in» höchste Alter hinauf getragen, umgeben von glücklichen Kindern; blühenden Enkeln und Urenkeln wäret Ihr der Stolz und die Freude der ganzen Stadt. In geistig«! und leibliche' Frische noch an Allem regen Antheil nehmend, war Euer Lebens abend ein reicher, selten schöner und gesegneter. Nur der Ge danke, daß einmal der Tod de» Einen die schöne Harmonie zer stören würde, betrübte, wenn auch nur für Augenblicke, Eure Herzen, denn nach 60 jähriger, glücklichster Ehe tonnte sich Keiner das Leben ohne da» Andere denken. Und der Herrgott war gnädig. Eine Influenza-Epidemie warf beide Ehegatten zugleich aufs Krankenlager, und wie sie sich in allen Stücken treu geblieben waren — so auch im Sterben, — ein Herzschlag endet« beider Lsben fast -u gleicher Zeit. Und noch Einen weiß ich, zu dem der Tod als Freund kommen wird! Er steht so oft des Abends sinnend am Fenster und blickr in die Akxndwolken gar sehnsüchtig hinein. Hätt' ich Flügel, hätt' ich Flügel, Flöz' ich über Thal und Hügel Heute noch noch Zions Höh'n. All« Lieber» find mir vorangegangen. schlaf«« dort drütb«n in sel'grr Ruhe, und auch mir däucht's gar süß, abzüscheiden und bei Jesu Christ« zu sein, ewiglich. — Nach und nach hat sich der Kirchhof geleert, die Dämmerung sinkt h«rab. und d«r kühle Abrndwind fährt rauschend Lb«r die bunten Todtenkränze und hebt leise knisternd die Papierschlrifen empor. Es ist «in Grüßen aus unbekannten, fernen Welten. Ein letzter Blick noch hinüber zum Grabe unter'm Lindenbaum», dann schließe ich da» Fenster, trete zum geöffneten Harmonium und setze meine Kirchhofs» betrachtungen in Musik um, in ernste wehmüthige Dessen, die zuletzt ausklinge« in den ergreifenden Ehoral: Auferstehn, ja, auserstehn Wirst Du mein Staub nach kurzer Nuh; Unsterblich Leben wird, her Dich schuf, Dir gehen, Hallelujah!
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