Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000105020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900010502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900010502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-01
- Tag1900-01-05
- Monat1900-01
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus- oabesteUen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung ins Ausland: monatlich 7.50. Tie Morgen-Ausgabe erscheint um '/-? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: IohanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hah» vorm. O. Klemm'S Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Künigsplatz 7. Abend-Ausgabe. MpMer TaMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reclamen unter demRedactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferniay nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbrförderung 60.—, mrt Postbrförderung 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. —»o—c--<— Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. 8. Freitag den 5. Januar 1900. 8t. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Januar. DaS officiöse Londoner Telegraphenbureau hat die Dreistigkeit gehabt, den von der deutschen Regierung gegen die Beschlagnahme des Postdampfers „BundeSrath" sofort erhobenen ernsten Einspruch abzuleugnen und als ein freundschaftliches „Ersuchen" zu bezeichnen, das zu eben solchen Verhandlungen in Berlin geführt habe. Der Zweck dieser dreisten Unwahrheit ist jedenfalls ein doppelter: erstens die öffentliche Meinung in England, die sich wegen der in jener Beschlagnahme liegenden Provocation Deutschlands zu beunruhigen anfängt, zu beschwichtigen und zweitens die öffentliche Meinung in Deutschland gegen die eigene Regierung aufzureizen. Ob man sich in England beschwichtigen läßt, wird sich bald zeigen; in Deutschland erreicht das officiöse „Reuter'sche Bureau" mit seiner Lüge nichts Anderes, als eine immer größere Er bitterung gegen die englische Regierung. Das wird dieser in den in London geführten Verhandlungen zweifellos klar gemacht werden, und zwar mit um so größerem Nachdruck, je mehr das englische Vorgeben auch gegen den deutschen Post dampfer „General" beweist, daß es sich bei der Beschlag nahme des „BundeSrath" nicht um einen vereinzelten Ueber- griff, der aus die Uebereilung eines CapitänS zurück geführt werden könnte, sondern um eine systematische Ver gewaltigung bandelt, die einen scharfen Vorgeschmack von dem giebt, was der deutsche Handel erst für den Fall zu erwarten hätte, daß einmal kriegerische Verwickelungen in größerem Umfange eintreten sollten, an denen England betbeiligt wäre. Daß für die Beschlagnahme des „BundeSrath" jeder Schatten einer Berechtigung fehlte, geht auS folgender Miltheilung aus Hamburg hervor: In Sachen der Beschlagnahme des Postdampfers „Bundesrath" veröffentlichen die „Hamburger Nachrichten" eine authen tische Darstellung, welche ihnen von der Deutschen Ost afrikalinie -„gegangen ist. Daran- geht hervor, daß die Linie, um alle uud jede Einwurfe, die vo» Seite« der Engländer infolge des Krieges in Südafrika erhoben werden könnten, zu vermeiden, Anlaß genommen hat, Alles, was als KriegScontrebande an gesehen werden könnte, von der Beförderung auf ihren Schiffen auszuschließen. Sie hat deshalb, obwohl sie eine Verpflichtung dazu in keiner Weise anerkannte, nur um Schwierigkeiten vorzubeugen und , die Verlader anderer Güter nicht in Unannehmlichkeiten zu bringen, sofort nach Ausbruch des Kriege- zwei Sendungen Waffen und Munition, welche bereits vorher an Bord ihrer Schiffe verladen waren, nicht an den Bestimmungsort ge- bracht, sondern in Dar-es-Salaam und in Port Said gelöscht. Aus dem gleichzeitig mitveröfsentlichten Manifeste über die Ladung des „BundeSrath" ist ersichtlich, daß unter der darin verzeichneten Ladung sich Nichts befindet, was als Kriegscontre- bande angesehen werden könnte. Alles, was die Zeitungen über an Bord befindliche Sättel oder sonstige, den Boeren für die Kriegführung nützliche Kriegsmaterialien gesagt haben, die an Bord sein sollten, ist daher vollständig unwahr. Die Ladung enthielt lediglich: Bier, Klippfische, Mineralwasser, Thonleisten, Stahlschwellen für Feld- und Kleinbahnbedarf, Ferusprcchapparate, Mundharmonikas, Baumwollwaaren, Porzrllanisolatoren, eine eiserne Bohrmaschine, Zucker, Papier, Kippwagentheile, Messiugwaaren, Apothekerwaaren, Verbandstoffe, Eisbeutel, Cacao, Schnäpse und eine Kiste Jagdgewehre von Hamburg nach der Drlagoabai, außerdem Farbe, zwei Kisten verschiedenen Kaufmannsgutes, Maschinentheile, eine Kiste Gewehre, ferner Bier, Baumwoll gewebe und Butter nach Quelimann, dann Messingdraht, Sprit, Bier, Limonade, Mineralwasser, Tauwerk, Fijchconserven, Eisen- waaren, Unterkleider und andere gemischle Kausmannswaare nach Jnhambane, des weiteren getragene Kleidungsstücke, Weinsäure, Salzgurken nach Johannesburg, ferner von Antwerpen nach der Drlagoabai: Kerzen, Instrumente für Röntgenstrahlen, Wein, Cognac, Käse und andere Lebensmittel, nach Quelimann: Druck sachen, Weine, Schuhzeug, Seife, hundert Stahlstangen, Cigaretten, Hüte, Kartoffeln, Zwiebeln, vierzehn Kisten Werkzeuge, drei Ver schlüge, Maschinen, neun Eijenrollen, endlich von Lissabon und Neapel nach Delagoabai lediglich Wein, Nahrungsmittel und ver einzelte Colli anderer, absolut unverdächtiger Maaren. Wie rstan mit der Bark „HanS Wagner" umgesprungen ist, gebt auS folgender Mittheilung hervor, die dem „Berl. Loc.-Anz." von der Firma H. D. I. Wagner in Hamburg zugeht: In Beantwortung Ihre- Telegrammcs vom 3. Januar erlaube ich mir, Ihnen mitzutheilen, daß meine Bark „Hans Wagner", Capitän C. C. Müllmann, am 30. September 1899 den hiesigen Hasen verlassen hat, bestimmt nach Port Elizabeth und der Delagoabai mit einer Ladung Stückgüter, also zu einer Zeit, da noch keine Kriegserklärnng, auch kein Ultimatum erlassen war. Am 3. December kam das Schiff in Port Elizabeth an. Den 25. December erhielt ich eine am 19. v. M. (!) auf gegebene Depesche vom Capitän, worin er sagt, daß er vom britischen Kanonenboot „Fearlcß"ausgesordert sei, die ganze für die Delagoa bai bestimmte Ladung in Port Elizabeth zu löschen, welche als KriegScontrebande angesehen werden könne, widrigenfalls die Beschlagnahme erfolgen solle. Weiteres ist mir noch nicht bekannt, werde es Ihnen jedoch gern mittheilen, sobald ich etwas höre." Der «HanS Wagner" ist also nicht beschlagnahmt, aber unter der Drohung der Beschlagnahme an der Weitersahrt von Port Elizabeth nach der Delagoabai verhindert worden. Diese Verhinderung erreicht denselben Zweck, den die Beschlagnahme erreicht hätte, und ist widerrechtlich, wie diese sein würde. DaS Schiff hätte nach Kriegö- contrebande durchsucht und diese eventuell weggenommen, nicht aber das ganze Schiff von seinem Bestimmungs orte fern gehalten werden dürfen. Daß das Letztere geschehen ist, läßt besorgen, daß auch die Meldung sich be stätigt, der gestern in Neapel fällig gewesene Neichspostdampfer „Herzog", aus dem sich je eine Abtbeilung des russischen und des holländischen Rothen Kreuzes eingcschifft haben, sei vom englischen Generalkonsul in Neapel verständigt worden, daß deren Landung in der Delagoabai nicht gestattet werden würde. Dadurch würde allerdings das englische Vor geben immer mehr den Charakter einer internationalen Angelegenheit annehmen, in der es Deutschland bei seinen Einsprüchen an Verbündeten nicht fehlen würde. Eine bereits im heutigen Morgenblatte mitgetheilte Auslassung der „Köln. Ztg." läßt darauf schließen, daß bereits Schritte zur Verständigung zwischen der deutschen und den Regierungen derjenigen Staaten, die sich wie wir durch englische Gewaltacte beschwert fühlen, gethan worden sind. Was übrigens die Entrüstung des rheinischen „WeltblatteS" selbst betrifft, so wäre eine Selbstanklage besser am Platze, denn kein deutsches Blatt hat so viel wie die „Köln. Ztg." zur Steigerung der englischen Unverschämtheit beigetragen. Nach Londoner Blättern ist immer noch „Amerika der beste Freund Englands", die Volkssympathie der Vereinigten Staaten auf England- Seite. DaS ist einfach erlogen. In Uebereinstimmung mit dem, was uns unlängst auS New Aork mitgetheilt wurde, wird jetzt der „Voss. Ztg." von dort u. A. geschrieben: Der hiesige „Herald" brachte nach Buller's Niederlage am Tugela in seiner Ausgabe vom 1b. und 16. December zwei Spalten Commcntare auS 57 Zeitungen des ganzen Landes. Von diesen 57 Zeitungen hatten nur acht irgend welche Aeußerungen de- Be dauerns für die Engländer. Alle übrigen 49 sprachen sich be wundernd über die Boeren auS und erklärten mehr oder minder unverblümt, daß den Engländern völlig Recht geschehe. Man höre z. B., was weit drunten in Seattle, im Staate Washington, die dortigen „Times" schreiben: „In einem Kampfe, in welchem so wenig Humanität und so viel Habgier eine Rolle spielen, müssen die Sympathien Amerikas und der civilisirten Welt mit den Boeren sein. England erntet nur, was es gefäet hat." Das „State Journ." in Topeka, Staat Kansas, schreibt: „Das amerikanische Volk freut sich so gut wie einstimmig über den Erfolg der Boeren." Alle diese und noch schärfere Urtheile haben die Lon doner Redacteure unzweifelhaft gelesen. Ebenso unzweifelhaft ist, daß sie gelesen oder von ihren amerikanischen Correspondenten gekabelt bekommen haben, daß im Bundessenat Senator Mason von Illinois und im Repräsentantenhaus Sulzer von New Jork und Jett von Illinois Resolutionen vorlegten, worin begeistert für die Boeren Partei genommen wurde. Das ist aber noch lange nicht Alles. Der Stadtrath von Denver, Staat Colorado, nahm am 19. December eine Resolution an, worin er der Transvaalrepublik seine Sympathie und die Hoffnung ausdrückt, daß die Boeren den Sieg davontragen werden, und der Stadtrath von Chicago verlangte die Absetzung des Schulsuperintendenten vr. Andrews, wert er mit den Engländern sympathifirte. Was die eingewanderten Bürger anbetrifft, so sind sie wie rin Mann für die Boeren, allen voran die Deutschen und die Irländer als die stärksten und einflußreichsten unter den Fremdgeborenen. Der Verwaltungsrath des mächtigen „^neient Oräsr ok Libbrnmvs" hat beschlossen, eine Million Dollars für die Kriegscasse der Boeren zu sammeln. In Grand Rapids, Staat Michigan, hat sich eine „Ilniteä ^nmrican Dransvrml l^eaxus" gebildet, bestehend aus den deutschen Turnern, dem „Arbeiterbund", dem Polenclub und Irländern, die sich in einer großen Massenversammlung für die Boeren aussprachen. Besonders rührig sind auch die Ab kömmlinge der alten Holländer in Amerika. Richter van Hoesen, der Vertreter der hochangesehenen „Uollavä Loeiet^ ok America", hat für Anfang Januar in New Park eine Massenversammlung gegen die Engländer angekündigt und verdammte bei der vor bereitenden Zusammenkunft Gleichgesinnter die Regierung und den vor England kriechenden Mc Kinley wegen seiner Neutralität, die im Widerspruch zum ganzen Volke stände. Auch die hiesigen Irländer haben eine große antienglische Massenversammlung einberufen. Wo bleibt also die Sympathie Amerikas für England? Und all dies sollte man in London nicht wissen? Freilich, daß die angelsächsische Brüderschaft so rasch und so kläglich in die Brüche gehen konnte, da- ist bitter für Chamberlai und Consorten. Ter Pariser Complotproeetz ist endlich, nachdem er fünf undvierzig Tage gedauert, zum Abschluß gelangt. Die meisten Angeklagten sind, wie gemeldet, freigesprochen, die Haupt rädelsführer D4roulöde, Buffet uud Delurcalucet zu je zehn Jahren Verbannung (letzterer iu coutumuciaiu) und Guerin zu 10 Jahren Gesängniß in einem befestigten Platze ver- urtheilt worden. Zur Sache wird uns noch gemeldet: * Paris, 4. Januar. Staatsgerichtshof. Nach Wieder eröffnung der öffentlichen Sitzung verlas Fälliges die Urtheile. Dabei wurden auf den öffentlichen Tribünen einige Rufe, wie „Hoch Deroulede!" „Hoch die Armee!", laut. Sodann wurde die Sitzung geschloffen. Gusrin's Verurtheilung erfolgte mit 127 Stimmen; er wird seine Strafe in Frankreich abbüßen. Bezüglich Döroulöde's wurde auf Einrechnung der zuvor ausgesprochenen Strafen erkannt. Wie es heißt, will Buffet nach Brüssel, Tsrou- löde nach San Sebastian in die Verbannung gehen. — Dsroulöde, Guörin und Buffet sind heute Abend von Polizeibeamten vom Luxemburg-Palais nach dem Santö-Gefängniß gebracht worden, ohne daß es zu irgend welchen Zwischenfällen gekommen ist. Wirklich bös ist die Affäre nur für Guörin ausgefallen, der die selbstgewählte Gefangenschaft in Fort Chabrcl mit der unfreiwilligen hinter Kerkermauern vertauschen muß. Aber was kann in zehn Jahren, ja in zehn Monaten in Frankreich nicht alles passiren! Die Anderen haben nur das Land zu meiden und können sich ihren Aufenthaltsort selbst wählen. Sie gehen nicht weit von der französischen Grenze, Döroulöde sogar in das Hauptquartier seines orleanistischen Prätendenten, und werden von dort auS ihre monarchistische Propaganda in noch gefährlicherer Weise fortsetzen. Sie sind entschieden nicht hart genug getroffen. Dem Richter ist wieder der Politiker in den Arm gefallen, dem es vor Allem auf Beruhigung der Geister ankommen muß, zumal am Vorabend der Weltausstellung. WaS nach ihr kommt, ist noch in Dunkel gehüllt, nach den Hoffnungen der Freigesprochenen zu urtbeilen, wenig Gutes. Zu lange hat die klerikale Minirarbeit gegen die freisinnige Republik gedauert, zu lange hat man sich gehütet, sie zu stören, als baß man an die Festigkeit deS Baues noch glauben dürfte. Eine in der Weltgeschichte einzig dastehende Anspannung der „Intellektuellen" hat eine zeit weilige Zurückdrängung der klerikalen und nationalistischen Fluth bewirkt, aber die Dämme waren nur zu halten unter dem Aufgebote der gesammten republikanischen Mannschaft von dem bürgerlichen Centrum bis zum extremsten Flügel der socialistischen Linken. Auf die Dauer werden so hete rogene Elemente kaum zusammenbleiben, des Trennenden giebt es zu viel zwischen ihnen. Schon auf dem Socialisten-Congresse hat mit knapper Noth die Fraktion JauröS gesiegt, die dem Socialisten Millerand da- AuS- harren im Cabinet Waldeck-Rousseau ermöglichte. Unaus gesetzt aber trachten die Klerikalen, die den Weg in das Lager des Umsturzes stets zu finden wußten, Trümmer um Trümmer aus der republikanischen Gemeinbllrgschaft loS- zubröckeln. Groß war die Majorität zur „Vertheidigung der Republik" nie. Macht sich im Lager der bürgerlichen Linken bas alte Mißtrauen gegen die socialistischen Waffengenosscn stärker geltend, so ist es um die Majorität gänzlich geschehen WaS aber dann? FerrrHeton 4; Die ganze Hand. Roman von Hans Hopsen. Nachdruck verboten. „Schwer genug wird's Einem manchmal gemacht", sagte Nanda . . . „Mir t'hut jetzt noch das Herz wehe von all' dem AnMichhalten und Komödienspielen heut Abend und von der ge waltsam zurückgepreßten Sehnsucht, Dir vor versammeltem Kriegsvolk an den Hals zu fliegen, ihnen in die verblüfften Ge sichter zu schrÄcn: Der da, das ist mein Mann, mein Herr, mein Glück, und Ihr könnt mich darum beneiden! Statt dessen Dich immerzu verleugnen müssen. Kennen Sie schon die neueste Be- rühmtheit? .... I bewahre!.... Haben Sie Herrn Mnkler's Bekanntschaft noch nicht gemacht? .... Winkler? Winkler? Wer ist nur das? .... Aber die Väter waren ja die besten Freunde! .... So? .... Ja, ich erinnere mich dunkel aus meiner Kindevzeit. Wie sieht denn der Herr jetzt aus? Zeigen Sie mir ihn doch einmal . . . Und das Lorgnon über die Nase gehoben und den neuesten Salonssocialisten ganz genau intfpicirt. So, so! Der da! Hätt' khn wirklich nicht wie^r erkannt. Scheint, trotz seines Aplombs aus politischem Boden, auf dem Parquet des Salons noch etwas genirt zu sein ... O, da kennen Sie ihn schlecht.. Ich kenn' ihn ja überhaupt nicht ... rc. Und man kriegt nach und nach eine solche Virtuosität im Lügen, daß es Einem Spaß macht, die duiwmen Menschen, die Einem doch nichts Gutes wollen, an der Nase zu führen. Und jetzt lachen wir über sie. Haha! Siehst Du, Schatz, so schlecht bin ich!" „Ach, Du bist gut, himmlisch gut und lieb, und entzückend sahst Du aus, weißt Du das?" „Man hat es mir wenigstens oft genug wiederholt, und mehr als das, man hat es mir bewiesen." „Bewiesen? Wieso?" „Ei, ich hätte mich heute Abend nicht weniger als zwei Mal verloben können. Und unter glänzenden Umständen, ja wohl!" „O, Du Spitzbübin! Mit wem denn zum Beispiel?" „Zum Beispiel mit oem Glückspilz Spindler." „Dem Kammergerichtsassefsor, dem ErzhanSwursien?" ,Mun, es waren nicht alle Hanswursten. Oder ist der Land rath Wendawalt nicht ein prächtiger, liebenswürdiger, ernsthafter Mensch?" ,/Und der will Dich heirathen?" „Vom Fleck weg." „Nun, so nimm ihn doch, und mache Dein Glück." „Schäfchen, das Du bist!" „Wrndewalt ist merklich ein vorzüglicher Mann. Er hat heute Abend, wo sich bei allem neugebackenen Interesse doch Mancher scheute, dem anrüchigen Socialdemokraten die Hand zu bieten, mich durch längere Ansprache ausgezeichnet. Es war die einzige Unterhaltung, die etwa die sonst ausgestandene Lange- weär dieser Soiröe vergütete . . . Gin geschckidter, geistvoller Mensch . . . Und in einer unabhängigen Lage ... In der Vollkraft der Jahre . . . Nimm ihn, Mädel, niMm ihn, und alle Sorgen haben mit einem Schlage ihr fröhliches Ende." Er senkte wieder traurig den Kopf auf den dunklen Weg. „Immanuel, was sind das für schlechte Scherze! Haben wir deshalb drei Stunden und darüber uns wund geschmachtet, um jetzt di« goldigen Minuten mit solchem Unsinn zu verderben? Ich bin Dein und Du bist mein, lieb oder leid, daran ist nichts mehr zu ändern. Oder könntest Du wirklich ertragen, daß ich einen Anderen heirathet«? Spiele nicht mit dem Feuer." „Und Du?" „Ich that's nicht. Ich habe Keinen gelockt und Niemand er- muthigt, sich mir zu nähern. Ich bin doch verheirathrt . . . Oder nicht? Seit sieben Jahren durch das heilige Sacrament der Liebe, der innigsten, treuesten, rückhaltlosen Liebe Dir verbunden, wie könnt' ich denn einen Anderen heirathen wollen? Geh doch!" „Sind's wirklich schon sieben Jahre?" „Hast Du nicht daran gedacht, daß es gerade heute sieben Jähre sind, seit Du mich zum ersten Male an Dich zogst, so fest und innig, wie man's nie vergißt, sieben Jahre, daß ich auf jubelte, weil ich armes, gequältes Geschöpf auch einmal glücklich ward, glücklich durch Dich und überglücklich. Und weil ich den heutigen Gedenktag nicht vorübergehen lassen und nicht betrübt hinträumrn wollte wie jeden beliebigen anderen Werkeltag, darum bat ich Dich, nimm die Einladung der Seckenstedt an, so zu wider sie Dir s«i, wir können nachher doch ein paar ungestört« Stunden beisammen sein." „Ich treibe keinen Kultus der Tage", sagte Winkler, „aber jede mit Dir verbrachte Stunde wird mir zum Fest. Und somit tausend Dank auch für diesen guten Gedanken." „Du host Angst, sentimental zu erscheinen", sprach Nanda Ha-Hb lächelnd. „Empfickdfamkeit ist aus der Mode, und Ihr ver wahrt Euch vor dem Verdachte der Sentimentalität, als wäre er gleichbedeutend mit dem, silbern« Löffel gestohlen zu haben. O, Ihr starken Männer, die Ihr Euch vor dem eigenen Gefühl fürchtet! Ich, ein schwaches, meinetwegen ein sentimentales Frauenzimmer, ich treibe Cultus der Tage und schäme mich dessen nicht ein bischen. Der 3. April steht in Buchstaben von oitel Licht, mit 'Veilchen umkränzt, in jedem meiner Kalender verzeichnet, und kommt er im Verlaus eines Jahres voll Sorgen und Quälereien, voll Entbehrung und Sehnsucht wieder, so kann er sicher sein, in meinem Herzen wie der König aller Tage empfangen und gefeiert zu werden. Mein Gott, Ihr liebt fa auch, Ihr Männer. Was für ein Unglück für uns arme Weiber, wenn Ihr nicht liebtet, innig, wild und gewaltsam. Aber es ist etwas Anderes, muß etwas Anderes sein, als die Liebe in unseren weiblichen Herzen. Ihr 'habt Dies und Das, Euer Wissen, Euren Beruf, Euren Ehrgeiz, Euren Wettbewerb — wir haben nur Eins: unsere Liebe. - Frauenrechtlrr und EMancipirte mögen dcclamiren und reformiren, so viel sie wollen, «s ist und bleibt doch so ... in Ewigkeit, Amen. Und welche von uns ihre Liebe nicht ganz aussüllt, die ist unglücklich und hat keinen Trost. Mich füllt sie ganz aus, und je klarer ich das empfinde, desto glücklicher fühl' ich mich." Sie hatte Thränen in den Augen und reichte dem Geliebten die Hand hin, der sie mit seinen beiden festhielt, während sie fortfuhr: „Denk' ich zurück, wie kreuzunglücklich ich war, wie gott verlassen und hoffnungslos, so überläuft mich's noch heut eis kalt. So lange ich Ursachen und Wirkungen zusammendenken kann, seit meinem neunten Jahre ungefähr, war ich vom Elend umgeben, von unablässig nagendem bitterem Elend, das aber beileibe niemals eingestanden werden durfte — aus Standes-, aus Familienrücksichten, was weiß ich. Und so fraß es, wie jede verheimlichte Krankheit, immer weiter um sich, bis alles häusliche Behagen, Friede, Hoffnung und Zukunft aufgefressen waren. Mein Vater, — aber er ist nun einmal mein Vater, und er liebt mich, und ich lieb' ihn, ich bin ihm ergeben und werd' ihn nie verlassen, so lange noch eine Kinixspflicht zu erfüllen bftibt. Ich sage nichts gegen ihn. Was er gefehlt hat an Mutter und mir, ?st nicht aus Schlechtigkeit und bösem Willen geschehen. Nein, arglos wie ein Kind und dünkelhaft wie ein Geheimer Nath, be gab er sich aus ein Feld, wo Geriebenheit und Rücksichtslosigkeit mehr gelten als Gelehrsamkeit, Ansehen und gutes Gewissen. Er selber sagt, er wäre gewesen wie ein Hühnchen, das mit jungen Katzen spielen wollt«. Da flogen die Federn! Du weißt, wie das Spiel geendet hat. Ich zählte den Verlust mit - meinem LäbenNglück. Wir verarmten. Wenn ich jetzt nicht mit meiner Fächermalerei, was wir zum Leben brauchen im Jahre, verdiente, ich will mir gar nicht oorstrllen, was würde. Gott Lob uns Dant für mein bischen Kunst. Daß ich mein Talent entdeckt« und alle Thätkrast zusammennähm, es zu schulen, und allen Witz, es in Geldeswerth auszubeuten, das schulv' ich auch nur Dir und Deiner ernsten Anregung. Aber bis ich es soweit brachte, was hatte ich nicht Alles erleben, durchdauern und verwinden müssen . . .Mir schaudert noch nachträglich davor. Mal' es Dir aus: neben einer geliebten Mutter hinzudarben, die sich schwerkrant weiß und sich doch den Arzt versagt, weil er Geld kostet und Geld nicht vorhanden ist und «in Armuthszeugmß für einen gewesenen Geheimen Ober-Negierungsrath eine Schande wäre. Und die Mutter leiden sehen, in einer sich dem Stumpfsinn nähernden Ent sagung leiden, Täg für Tag schwächer werden, mehr und mehr an Hoffnung und Gottvertrauen veravmen, verzweifeln und end lich sterben sehen und den Vater daneben, die Hände im Schooße ringend, aber den Kopf noch immer auf der benebelnden Jago nach neuen Projekten und finanziellen Kunststücken —, denk ich daran, dann werd' ich zornig, und ins Gesicht möcht' ich Jedem schlagen, der mir hinterher meine Lebensführung bekritteln wollte. Ich bin ich, und wenn die Beiden, dir nach der Mutter Tove zurückgeblieben sind, sich satt zu essen haben und auf dem Grabe der Seligen ein Steinkreuz und darum herum kleine Blumen stehen, mir hat man's zu danken, mir und sonst Niemand. So ward ich stolz und eigen willig, aber ich blieb doch tiefunglücklich dabei. Keine Freude, k«in wonniges Empfinden des Daseins —, nichts rund herum als Pflicht, Abrackern und gräuliche Erinnerungen. Uno ich fragte mein Schicksal: Wozu leb' ich? Blos um Schulden auszugltichen, die ich nicht gemacht habe? Immer und immer für Andere zu schuften und nie für mich? Ich will's thun, ohne Murren, sagt' ich zum Schicksal, aber gieb mir auch Ersatz, girb mir ein Glück! und ich wußte schon damals, daß das nichts Anderes hieß, als gieb mir ein« Liebe, «ine große, heilige, keusche, alles Andere aüfwiegrnde Li«Le, gieb mir einen Mann, den ich wie einen Gott verehren dakf, der mich glücklich machen wird wie ein Gott —, und es ^ab mir Dich!" Sie beugte sich nied«r, ihm die Hände zu küssen, wenn er sie nicht ausigehalten und in seine Arme gezogen hätte, wo sie, sich seiner Zärtlichkeit wehrend, fortfuhr: „Und Du willst, ich soll mich des Tages nicht erinnern, soll ihn nicht wie den schönsten meines duMmen Daseins feiern, d«n Tas, an dem mein Dünkel hell, und Alles ander» ward, als es zuvor gewesen war? . . ." Er schwieg in Gedanken und sie fuhr fort: „Weißt Du noch, wie'» kam? Ach, geh', Du hörst mir nicht
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite