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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000111026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900011102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900011102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Größere Schriften laut unserem P:eO- Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. i-rtra-Beilagc» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mrt Postbeförderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen fr eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 19. Donnerstag den 11. Januar 1900. 9t. Jahrgang- Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Januar. Wegen der Schiffstaufe in Stettin, die den Fürsten Hohenlohe wie auch den Grafen Bülow fern hielt, hat bekanntlich der Reichstag die zweite Bcrathung des Etats nicht bei dem den Reichskanzler direct angehenden Capitel, sondern, von seinem eigenen Haushalt abgesehen, bei dem Etat beS Reichs» mtS deS Innern begonnen. Dadurch ist die Besprechung der Beschlagnahme deutscher Schiffe und verwandter Gegenstände verschoben, aber nicht aufgehoben, denn die gestrige Festrede des Staatssekretärs deS Auswärtigen, so schön sie war, macht doch keine einzige Frage überflüssig. Auch die inzwischen eingetroffeneu Nachrichten, aus denen sich ergiebt, daß die Beschlag nahme des „Bundesrath" ebenso ungerechtfertigt war, wie die des „General" und des „Herzog", sowie die heute aus London vorliegende Meldung, daß der Attorney-General einseitig Vorschriften für die Be hörden über das Verfahren betreffend Contrebande auS- gearbeitet bat, machen eine Besprechung der Angelegenheit im Reichstage dringend nöthig. So haben sich denn auch, wie die „Nat.-Lib.-Corr." meldet, die Parteien dahin verständigt, in den erste» Tagen der nächsten Woche die betreffende Interpellation cinzubringen. Ter Etat deS Neichöamls des Innern und insbesondere der Titel des Gehalts des Ebefs dieses Verwaltungszweigs nimmt freilich immer außerordentlich viel Zeit in Anspruch, hauptsächlich deshalb, weil dieses Amt das socialpoli tische ist. Der gestrige Anfang verspricht für diesmal kein Abweichen von der Regel. Eine socialpolitische Debatte in größerem Stile brachte er aber nicht, obwohl am Abend vorher die vom Kaiser an die Lehrer der Technik gehaltene Ansprache bekannt geworden war, aus der warme sociale Fürsorge spricht, in der es aber auch heißt: „Die Social demokratie halte ich für eine vorübergehende Erscheinung." Wie der „Vorwärts" noch kein Wort zu dieser Kundgebung gefunden hat, so schwiege» sich auch die beiden socialdcmokratischeu Redner von gestern über sie aus. Später wird man Wohl Worte erheuchelter Gleichgiltigkeit aus dieser Seite finden. Es ist aber ganz uninteressant, was die Socialdemokratie sagen wird. Für das Bürgerthum haben die kaiserlichen Worte die Bedeutung, daß sie eine Zurückdrängung des Einflusses deS Freiherrn v. Stumm und Gleichgesinnter anzeigen. Die Conservativen werden hoffent lich verstehen, daß sie mit ihren neuesten unausgesetzten Selbstempfehlungen als die einzigen Helfer in der Be kämpfung deS Umsturzes kein Glück gehabt haben. Dieser Zaun führt nicht aus der Canalsackgasse heraus. WaS die gestrige Debatte anlangt, so löste sie sich in eine Reibe von Einzelzesechten, richtiger sogar Zwei kämpfen auf. Beachlenswerth in den Erklärungen war gegenüber der Leugnung des steigenden Wohlstandes der Arbeiter auf der einen Seite der sehr glückliche Hinweis auf die Arbeiternoth auf dem Lande, Vie ein in der Thal untrüglicher Beweis für die Hebung der Lebensverhältnisse der industriellen Arbeiter ist. Recht fatal für die Socialdemokratie gestaltete sich auch die von einem ihrer Mitglieder beliebte Erinnerung an einen Geheimerlaß des früheren Ministers v. Berlepsch. Die Herren der Partei mußten sich ihrerseits darauf aufmerksam machen lassen, daß sie Spitzel, „Nicht- gentlemen" von dem Schlage der Ehrenberg und Consorteu in ihren Diensten verwenden. Hervorgehoben zu werden ver dient auch die Mittheilung, daß die Erwägungen über Er- Fenilleton. Die ganze Hand. Rom-an von Hans Hopfen. Nachdruck verboten. Er hatte das nicht gewollt, und so war denn auch das Erste, was er sagte: „Glaube nicht, Nanda, daß ich Dir auflauerte. Ich hatte keine Ahnung, daß Du dieses Weges kämest. Ich wollte mich nach dem Jnvalidengarten schleppen — ich finde, jetzt ge hör' ich dorthin — und mich auf eine Bank in den Sonnen schein setzen. Aber ich kam nicht einmal so weit. Da . . . Ent schuldige." „Manuel, was redest Du denn daher? ... In diesem Augen blick nach einem Vierteljahr der Trennung?" Sie sagte das heftig, fast unwirsch, und sah ihn dabei vor wurfsvoll an, aber der Anblick des Armseligen, der ihr sonst immer als der schönste der Menschen erschienen war, wandte rasch den Unmuth in ihrem Herzen, und mit aller Innigkeit, der ihre süße Stimme fähig war, sprach sie, Schulter und Ellen bogen an die seinen drückend: „Armer, geliebter Schatz, sage mir doch lieber, wie Du so krank geworden bist und wie Du Dich jetzt fühlst. Du bist so müde . . ." Während er nur mit dem Kopf dazu nickte, liefen ihr die Thränen aus beiden Augen. Sie wandte das Gesicht zur Seite, lehnte das Rad ans eiserne Geländer über dem Canal und sagt«: „Da, stütz' Dich auf, und ruh' Dich aus, und rede, trautes Herz!" Er that so, holte tief Athem, und sprach: „Es geht mir besser, um Vieles besser. Ich war niedergebrochrn, wie ein zusammen geschossener Hund, der im fremden Gehege gejagt hat, die Zunge aus dem Halse. Ich bin recht froh, daß eS mir besser geht. Bald wird mir'S wieder ganz gut gehen. Körperlich, mein' ich. Vor der Hand aber schäm' ich mich, so vor Dir zu stehen, ein Bild des Jammers und ein recht abscheuliche»." Er lächelte verlegen vor sich hin, die Fältchen um den Mund gruben sich grau inS fahle Gesicht. Aber die Liebende sah auch dies nur noch unter dem verschönenden Schleier der Liebe und der Thränen. „Gott sei Dank, daß ich Dich wieder habe. Hier können wir nicht stehen bleiben. Sage mir rasch, wie kam die schreckliche Krankbeit über Dich und warum gabst Du keine Nachricht davon?" leichterunz der Bäckereiverordnung weitergehcn fund einigen Erfolg versprechen. Heute und Wohl noch viele Tage wird die Debatte fortgesetzt werden. Wie zuletzt nicht anders erwartet wurde, bat die inner politische Lage in Preußen die gestrige Etatsrede des Herrn von Miquel im Abgeordnetenhause unberührt gelassen. Der Finanzminister hat, wie man uns au» Berlin schreibt, nur als solcher und nicht auch als Vice präsident deö StaatSministeriums gesprochen. Ein politisches Gepräge erhielt die kurze Sitzung nur in negativer Hinsicht. Man bekam nicht den Eindruck, als ob Herr v. Miquel so ganz der „Minister ohne Vertrauen" sei, als der er während der Herbst - Miqueljagden bezeichnet wurde und fast auch erscheinen konnte. Der Finanzminister blieb zwar — wegen akustischer Fehler deS Berathungssaales — vielfach unver ständlich und entfesselte dadurch an vielen Stellen die private Unterhaltung. Aber auch nur dadurch. Von einer feind seligen Stimmung war vorläufig nichts zu bemerken und zum Schluffe erntete der Redner lebhaften Beifall. Er hatte freilich auch ein Bild glänzender StaatSfinanzeu entrollt und die Schatten diScret, weniger als früher seine Gewohnheit, eingczeichnet. In den Etat für 1900 (eigentlich 1900/1901, wie man nach früherer besserer Uebnng gesagt Härte) sind die Einnahmen um rund 146 Millionen Mark böher als in den vorjährigen eingestellt. Die Abschlüsse des Rech nungsjahres von 1898/99 ergaben aber auch einen Ueberschuß von mehr als 84 Millionen Mark gegen den Voranschlag und für das laufende Jahr wird der Ueberschuß „wahrschein lich im Großen und Ganzen der gleiche sein"; also wahr scheinlich noch etwas größer. Jedenfalls siebt der Minister die Entwickelung deS preußische» Finanzwesens noch auf dem gleichen günstigen Boden, wie in den letzten Iabren, und er begründet seine Auffassung u. A. mit der stetigen Erhöhung des Ertrags der directen Steuern und den steigenden Spar- casseneinlagen, die zugleich ein untrügliches Zeichen der gehobene» Lebenshaltung der breiten Massen bilden. Die Haupt mehrüberschüsse der früheren und deS lausenden Jahres resultiren jedoch, wie auch nicht anders möglich, aus Len Betriebsverwaltungen, der Eisenbahnen, der Forst- und Hüttenverwaltung und dergleichen. Ein Minderüber schuß ist im neuen Etat nur für die Domänen verwaltung veranschlagt. Mit seinen Mehreinnahmen der Betriebsverwaltungen, also als Geschäftsmann, participirt der Staat an dem allgemeinen wirthschaftlichen Aufschwünge direct und der Mehrertrag der Stenern ist eine Folge der günstigen Lage. Man kann eS dem Finanzminister nicht verdenken, wenn er nach seiner eigenen Versicherung die Mehreinnahmen „doppelt vorsichtig" eingestellt hat, weil solche Steigerungen, wie sie bisher vorgekommen, für die nächsten Jahre nicht wahr scheinlich seien. Unvorsichtigkeit ist Herrn v. Miquel übrigens niemals zum Vorwurf gemacht worden und in den allgenieinen Betrachtungen seiner gestrigen Rede zeigte er sich wieder als der alte, bedächtige, solide Rechner, der den Schmerz darüber. Laß ihm vom Landtage ein Nothpfennig, ein AuSgleickösontS verweigert wird, nicht verwinden kann und der die Spar samkeit als eine der höchsten und fruchtbringendsten preu ßischen Tugenden preist. Aber der Alte leider nur insofern nicht, als er von der Reichsfinanzreform schwieg. Die P o li t ik streifte, wie gesagt, der Finanzminister nicht. Eine Be merkung über die Notbwendigkeit möglichst energischer Zurück weisung übermäßiger Geldansprüche an den Staat glaubte man auf der Rechten ironisch als eine Anspielung auf die Canalvorlage mit Heiterkeit begleiten zu sollen, fand aber „Was hätt's geholfen? Ich hätte Dich nur beunruhigt, und zu mir hättest Du doch nicht kommen dürfen. Besser, Du wußtest nichts und ich litt allein. Ich war ja gut aufgehoben." Es klang fast wie ein Vorwurf. Nanda wollte es überhören, sie legte nur begütigend ihre Hand auf seine; er warf ihr einen dankbaren Blick zu, wie ein braver Hund, der Strafe für Ueber- muth gefürchtet hat und nun den Herrn innig anblickt, weil er ihm die Strafe schenkt. „Wie s gekommen ist?" fuhr er fort, und die Fäuste ballten sich dem Redenden. „Wie's gekommen ist? Wie's kommen mußte! Die Schurken haben mir's ein gebrockt! Heruntergebracht war ich ja schon durch die Freiheits entziehung und den Gram und die Sehnsucht und eine ganz wahnsinnige Eifersucht. . „Manuel", rief sie, Vorwurf und Mitleid in einen Ausruf passend. „Ja, ja, es war dumm, aber laß Dich erst mal für ein Viertel jahr einkerkern und dann schilt mich. Oh, über dies verlorene Vierteljahr. Und ich bin doch noch jetzt kein brauchbarer Mensch. Erst gefangen und dann siech. Pfui über die Schufte!" „Haben Sie Dich so schlecht behandelt? In einem preußischen Gefängniß? Und wegen eines Preßvergehens? Das ist doch unerhört!" Das ist überhaupt nicht. Die am Plötzensee haben mich ganz leidlich behandelt, so, wie's eben in der Ordnung ist. Ich klage nicht über sie, sondern über die falschen Freunde. Denk' ich nur daran, so regt sich mir wieder die Galle und Alles in mir kehrt sich um und um." Er brach ab und hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest mit der Gebärde eines Kranken, der einen Anfall, einen Krampf, in dieser Stellung zu verwinden sich gewöhnt hat. Nanda schwieg und sah ihm angstvoll zu. Sie wagte nicht, ihn durch liebkosende Berührung zu stören, bi» er von selber fortfuhr: „Sie hatten mich mit Versprechungen geschmeidig ge macht, ich war ordentlich darauf versessen, Opfer zu bringen, Opfer mit meiner Arbeitskraft, mit meiner Person, mit meiner Gesundheit, mit meiner Freiheit, waS weiß ich noch! Du hast immer gesagt, ich sei ein Doktrinär, ein Idealist, der sich Welt und Leute nach seinem eigenen Schema construirt. Hast vielleicht Recht. Aber LaS liegt im Blut. Ich hab's nun einmal vom Vater, der ein idealistisch angehauchter Büchermensch war, und für meine Ueberzeugung leb' ich und sterb' ich. Ich habe mich nicht gesträubt, für meine Ueberzeugung zu dulden, aber ich will auch für meine Ueberzeugung wirken. Wirken mit meinem Wissen, meinem Können, meinem ganzen Ich, und an der keinen sonderlichen Anklang damit. Die Conservativen haben heute das Wort, wo ihre Interpellation wegen der Be amtenmaßregelungen auf ter Tagesordnung steht. Damit wird man in den politischen Streit geratben, den Herr v. Kardorff, wie gestern «»gekündigt, demnächst auch im Reichstage anzufacken gedenkt. Tie Conservativen haben auch soeben noch eine Waffenübung veranstaltet in einer zu Breslau abgehalteucn Hauptversammlung des Bundes der Landwirthe für die Provinz Schlesien. Graf Limburg-Stirum und Herr v. Kardorff sind bekanntlich Schlesier und in Schlesien gewählt. Die beiden Herren traten denn auch als Redner aus und verriethen vielen KampfeSmuih, ohne etwas Neues vor zubringen. Höchstens, daß Herr v. Kardorff sich um einen neuen Schritt weiter vorgeschritten zeigte, als er den ersten Redner der Versammlung, den Freiherrn v. Wangenbein:, belobigte, der die Flottenangelcgenbeit aus dem Zusammen hang der nationalen Fragen säuberlich berausgeschält und die Verstärkung der Marine rrls ein lediglich der Industrie zu bringendes Opfer gekennzeichnet halte. Das ist übrigens der neueste cxtremagrarische Tric; die „Eons. Corr." hat das erwartete Flottengcsetz auch schon eine „Liebesgabe für die Industrie" genannt. Noch ist die Tinte nickt trocken, mit welcher König Leopold II. das neue belgische Wahlgesetz sanctionirt hat, und schon treten die Nackrheile desselben klar zu Tage. Die Proportionalisten hatten, so wird der „Schlesischen Zeitung" aus Brüssel geschrieben, als einen Hauptvorzug der Mlnderbeitsvertretunz die Tbatsache gerühmt, daß die selbe jedes Wahlbündniß, also insbesondere unnatürliche Wahlallianzen, überflüssig mache. Da nach dem Grund sätze der Minderheitsvertretung jede irgendwie be deutende politische Partei sicher ist, im neuen Parlamente vertreten zu sein, so branckt sie kein Wahlbündniß mit anderen Parteien anzustreben. In der Theorie nimmt sich das sehr sckön anS, aber in der Praxis hört man zur Zeit von nichts Anderem sprechen, als von zahlreichen Wahlbündnissen, welche die Parteien für die künftigen Parlamentswahlen vereinbaren. Die Ultramontanen gehen den katholischen Demokraten um den Bart, um sie zum Eintritte in ein allgemeines katholisches Wahlbündniß zu bewegen, wobei sie schon vergessen haben, in welcher Weise sie eben erst den katholisch-demokratischen Partei führer Pfarrer Daeus behandelt haben. Andererseits betreibt die liberale radicale und socialdemokratische Presse das Zu standekommen einer allgemeinen antiklerikalen Allianz, weil sich mit deren Hilfe mehr Kammersitze für die Opposition erzielen lassen, als ohne Allianz. In dieser Richtung hat also das neue Wahlgesetz schon eine Enttäuschung bereitet. — Die socialdemokratlsche Propaganda in Belgien mackt derartige Fortschritte, daß man mir noch mit großer Besorgniß in die Zukunft sehen kann. Man weiß, wie groß die Zahl der Cooperativgenosscnschaften bereit» ist, welche der Generalrath der belgischen Arbeiterpartei gegründet hat, um die Arbeiter schaft in eine enge, wirthschaftliche Abhängigkeit von der socialdemokratischen Partei zu bringen. Das Netz dieser socialistischen Cooperativgenossenschaften wird immer weiter ausgedehnt und umfaßt bereits die kleinsten Gemeinden. Vor einigen Jahren gründete die social demokratische Partei in Brüssel eine eigene socialistiscke Universität unter dem Namen I-nirorsit6 AouveNs und fordert jetzt die staatliche Anerkennung, d. b. Gleichstellung, derselben mit den übrigen belgischen Landesuniversitäten. So lange die gegenwärtige Regierung am Ruder bleibt, rechten Stelle, wo Wissen, Können und Persönlichkeit auch ihre volle Wirkung thun. . . ." „Von den Genossen besuchte mich manch Einer im Gefängniß, wenn's erlaubr war. Sie redeten so hin und her und priesen mich als Einen, dem man's nicht vergessen werde, wie er jetzt saß und litt. Im letzten Monat kam sogar einer von den Haupt- und Staatsmännern der Partei. Ich wunderte mich, daß man ihn hereingelassen hatte. Aber welche Ehre für mich, den jungen Menschen, den Neuling, den bescheidenen Sitzrcdacteur! Un verfroren, wie das bei uns gewissermaßen zum Ritus gehört, gab er mir dergleichen auch, und nicht etwa durch die Blume, zu verstehen. Doch merkte ich bald, daß er an etwas herumdrückte, was er mir noch nicht so mir nichts dir nichts versetzen wollte. Mir schwante etwas Unerfreuliches, und, wie um ihm zuvor zukommen, erzählte ich ihm von allerhand Studien, ernsten, staatswissenschaftlichen und staatswirthschaftlichen Studien, die mir, wie ich demnächst zu zeigen hoffte, in meiner Thätigkeit als Redacteur zu Gute kommen sollten." „Da hatte ich ihm, ohn' es zu wollen, die Handhabe ge boten und er ergriff sie flink. Eben wegen meiner Schriftleitung sei er zu mir gekommen. Sämmtliche Führer wären ja von der Opferfreudigkeit, mit der ich für Andere, die sich schonen mußten, in die Bresche gesprungen, hoch erbaut und befriedigt, man werde das nie vergessen und rechne mir's schon jetzt hoch an. Aber darin müßt' ich ihm doch Recht geben, daß mein Wissen, besonders in Beziehung auf volkswirthschaftliche Fragen, die jetzt an der Tagesordnung wären, Einiges zu wünschen gelassen habe. Ich dürfe ihm das freimüthige Wort um so weniger übel deuten, als ich selbst ja meine Lücken eingesehen und auszufüllen für nöthig befunden hätte. Er gratulirte mir von Herzen dazu, ich würde erst jetzt ein vollauf nützliches Parteimitglied werden. DaS aber hätten sie nicht voraussehen können und, da eS sich ge troffen, daß ein außerordentlich brauchbarer Mann, ein all gemein bekannter Schriftsteller, zu haben gewesen wäre, so hätten sie mit ihm die Stelle besetzt, die durch meine Haft verwaist worden wäre. Zunächst nur provisorisch besetzt, jawohl, aber nur selten habe sich eine in der Noth herbeigezogene Aushilfe so gut bewährt, wie diese. Und darum trage man nun Bedenken, sie zu entlassen. Ich sei ja auch physisch so heruntergebracht, daß man mir die mühevolle Thätigkeit und große Verantwortung des RedacteurS nicht sogleich wieder aufsacken dürfe. So solle den» der Stellvertreter definitiv als Schriftleiter angestellt werden, ich würde demnächst anderweit beschäftigt und versorgt werden. Man behalte mich gewiß im Auge . . . und nun gingen die werden die Sccialdemokraten freilich ibr Ziel n'.chl erreichen. Aber wenn sie mit ihren Freunden, den Liberalen und Radikalen, im Mai an» Ruder kommen sollten, so könne» wir leicht erleben, Laß Belgien eine staatlich anerkannte socialistisch-revolutionäre Universiläl besitzt. Jetzt hat der Generalraih auch beschlossen, im „Volkshause" eine» öffentlicken LebrcurS der „socia- listische» Wissenschaften" zu eröffnen, d. h. einen Lehr- curS, der Lazu dienen soll, die staatsgefährlichen Theorien eines Lassalle, Karl Marx rc. weiter zu verbreiten. Unter dessen treten die belgischen Socialdemokraten immer kühner und revolutionärer auf. Bei der soeben erfolgten Eröffnung der neu gewählte» Gemeinderäthe verweigerten die social demokratischen Stadtverordneten überall Len Treusckwur für den König oter umgaben ihn mit derartigen Vorbehalten, daß daraus eine regelrechte republikanische Kundgebung wurde. Der Krieg in Südafrika. —Am 7. Januar, am Tage nach der Schlacht bei Ladysmith, beliographirte General White an General Buller nach Frere: „Der Bericht über unsere Verluste wird er stattet werden, wenn die Verlustlisten vollständig vorliegen." Heute, am 11. Januar, steht dieser Bericht noch immer au», oter wird vom Kriegsamt in London zurückgehalten. Was ist vor Ladysmith vorgegangen! fragt man sich unwillkürlich, wenn man diese» Verhalten der eingeweihten und verantwortlichen Persönlichkeiten mit Len anfänglichen in triumpbirendcm Tone gehaltenen Sieges- Lepeschen vergleicht. Statt die versprochenen englischen Verlustziffern mitzutheilen, meldet Buller confuseS Zeug über die Verluste der Boeren in folgender klassischer Form: * London, 10. Januar. („Reuter » Bureau".) Eine amt« liche Depesche des Generals Buller aus dem Lager von Frere vom 10. d. M. besagt, ein Telegramm auS Transvaal gebe die Verluste der Boeren bei Ladysmith am 6. d. M. auf 4 Todte und 15 Verwundete an und dies, nachdem zugegeben sei, daß die Boeren ein vernichtende» Feuer aus sechs maskirten Batterien erduldet halten und aus allen Puncten geschlagen worden seien. Eingeborene bezeugten, daß der Verlust in einem einzigen Commando 150 Todte und Wagenladungen an Verwundeten betrug. Ten schwersten Verlust erlitten die Boeren des Oranje-Freistaates, die von Len Boeren von Transvaal an die gesährlichsicn Posten gestellt worden waren. Die letzte Benierkung läßt erkennen, was man von der Tendenz deS ganzen Telegramms zu halten hat. Buller stützt seine Annahme, daß die Boeren arg decimirt seien, wieder auf Kaffernmeldungen, Ouellen, die sich bekanntlich stets als absolut unzuverlässig erwiesen haben. Von wem Buller das „Telegramm auS Transvaal" erhalte» hak, sagt er nickt. Jedenfalls bat der sich direct widersprechende Inhalt nicht so gelautet, wie er ihn mittbeilt, und vielleicht sind nur die Zahlen authentisch, d. h. der Verlust der Boeren fast Null! Tie Derkcumdung Scr TranSvaalbocren wird in der folgenden privaten Meldung noch weiter gesponnen: * London, II. Januar. kTelegramm.) Ter Berichterstatter des „Standard" berichtet vom 9. d. M. aus dem Lager von Frere: Ich erfahre aus guter Quelle, daß Präsident Lobeserhebungen von Neuem an, aber mein Stuhl war damit vor die Thür gesetzt; mit allem „demnächst" und „anderweit" war ich einfach brodlos, der Mohr, der seine Schuldigkeit gethan hat und gehen kann. Gehen . . . schon gut, aber wohin? Ins Elend!" „Und ich, der Narr, hatte mir schon Pläne vorgegaukelt, wie sich meine Stellung festigen, wie ich, in gewissem Sinne ein gemachter Mann, bei Deinem Vater Deine Hand begehren dürfte. Schon den Leuchtthurm des Hafens in Sicht, noch einmal hin- ausgeschleudcrt in die uferlose, hohe See. . ." Er sprach die letzten Worte tonlos vor sich hin. Nanda flammte zornig auf: „Hättest Du doch nie Dich mit solchen Leuten verquickt und nie dieser Partei ein Opfer gebracht. Ich sagt' es immer, Du gehörst nicht dazu." „Dieser oder Jener, es geht in der einen Partei zu wie in der anderen. Ueberall werden die Gutmüthigen ausgebeutet, und die am Ruder sitzen, lassen keinen heran an die Macht, vor dessen Gewalt sie nicht weichen müssen, am allerwenigsten be günstigen sie Einen, von dem sie glauben, daß er wohl geeignet sei, ihr Licht in den Schatten zu stellen. Auf der Rechten oder auf der Linken, wer in die Höhe kommen will, muß die Widerwilligen zwingen, daß sie ihn anerkennen und ihm ein Plätzchen an der Macht einräumen. Ich will und ich werde sie zwingen." Der Kranke reckte sich auf, so hoch er konnte. Ein wilder Fanatismus, eine bewußte Entschlossenheit lagen in den blassen Zügen und verschönten ihren leidenden Ausdruck. „Gehen wir weiter, ich bin ausgeruht", fügte er dann leiser hinzu, und Beide wandten sich langsamen Schrittes vorwärts, während er mit zuckenden Lippen redete: „Vor der Hand ist in meiner Lage nichts, was meine Wider sacher klein beizugeben zwingen möchte. Nachdem mir der große Mann, wie ich Dir eben beschrieb, meine Stellung gekündigt und mich bei aller Anerkennung und Verhimmelung viz-ü-vi cko vien gesetzt hatte, wollte ich ihn doch beim Worte nehmen und festhalten. Ich erinnerte ihn daran, wie man mir, als ich für Plötzensee von den waltenden Mächten der Partei mich ver abschiedete, das rührende Versprechen gab, falls irgend ein Reichstagsmandat frei würde, sich meiner zu erinnern, der jetzt für die Sünden Anderer zu dulden gehe und sich jüngst vor Gericht so rühmlich vertheidigt habe. Ich stand ja damals »ine Woche lang al» hoino novizzimu» in allen Zeitungen. Währens ich saß, ging einer der eifrigsten socialistischen Radaumacher mit
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