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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010325018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901032501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901032501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-25
- Monat1901-03
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Montag den 25. März 19l)1. Attzeigen PreiS die »-gespaltene Petitzeile Rrclomen unter dem Nedacrlonsstrich (4gespaltea) 7?; vor den Familiennach richten (8 gespalten- SO Tabellarischer nud Zissernsatz entsprechen!) hoher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahwe LS (exrl. Porto«. Ertra-Beilagen (gesalzt-, uur mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbesvrderung .6 60.—, mit Postbesörderuag .^! 70.—. .Xnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets a» die Prpedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bl» Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 85. Jahrgang. Die Lützower nach der Litzeuer Äffaire. Von Anton Jahr. Nachdruck vom Bersasser verboten. Alljährlich, wenn der Frühling ins Land kommt und uns hinauslockt „aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus der Straßen quetschender Enge", pflegt einer meiner ersten Aus gänge jener Höhe im Südosten unserer Stadt zu gelten, wo im Völkerfrllhling« von Alldeutschland der Enischcidungskampf um unseres Vaterlandes Sein und Nichtsein ausgefochten wurde, wo über einem Schlachtfelds voll Grausen die Morgenröthe der deutschen Freiheit erglühte. Und seit den Kinderjahren, da mein Vater mir die erste Kunde gab von jenem gewaltigen Ringen, da die Großeltern mir erzählten von den Schrecken der Fran- zosenzeit und der Franzosenherrschaft, ist mir jene Stätte lieb und werth geblieben, und gern kehrt die Erinnerung zurück in jene Tage, die nun fast drei Menschenalter hinter uns liegen und doch unvergessen bleiben werden. Vor Allem aber haftet das geistige Auge gern «an jener herrlichen Kämpferschaar, die Immermann so treffend die Poesie des Heeres genannt t-at, an der durch Theodor Körner unsterblich gewordenen Freischaar des Majors von Lichow. War es doch in den Frühlingstagen 1813, als im Gasthause zum Sceptcr in Breslau die Schaar sich organisirte, als sie in der evangelischen Kirche zu Rogau die kirchliche Weihe erhielt, als sie auf raschem Zuge durch Sachsen auch in unser Leipzig kam und überall herzliche Ausnahme und neue Kampfgenossen fand. Es ist bekannt, wie eng die Geschichte des Lützow'schen Freikorps mit unserer Stadt verbunden ist, be kannt, daß seine Infanterie bis vor ihre Mauern rückte, und nur durch den Waffenstillstand ihres schon sicheren Erfolges beraubt wurde, bekannt, daß in der Pleißenburg die bei Kitzen so schmach voll überfallenen Reiter gefangen gehalten wurden, bis sie in die Festungen Savoyens transportirt werden konnten. Mit der Katastrophe bei Kitzen hört für Viele die Kenntniß von den Lützowern auf, höchstens spricht man noch von Körner's Helden tod droben in Mecklenburg. Und doch ist die Geschichte der tapferen Schaar auch im weiteren Verlaufe des Befreiungskrieges bemerkenswerth, wenn die Freiwilligen auch was von ihnen wohl am meisten t>cklagte Mißgeschick hatten, an den unmittel baren Kämpfen gegen Napoleon nicht theilnehmen zu können. Auf einem abgelegenen Kriegsschauplätze haben sie jedoch mit Eifer und wundervoller Hingabe an das Vaterland das Ihre gethan und sind gleicher Ehre thcilhaftig, wie alle ihre Mit kämpfer. Mährens des Waffenstillstandes wurde das königlich preußische Freicorps, wie cs officiell hieß, neu organisirt. Die Infanterie wurde auf 3 Bataillone gebracht. Der Begründer bcs deutschen Turntvescns, Friedrich Ludwig Jahn, hatte in Sachsen viele Mitglieder angeworben, Leutnant Pilegaard führte eine Compagnie von Frankfurt a. O., Leutnant Neigebauer 180 Jäger aus Sachsen und Schlesien, zwei Mitkämpfer des unver geßlichen Sandwirthes von Passeyer, Riedl und Ennemoser, eine Compagnie Tyroler Jäger herbei. Die Infanterie zählte in 11 Compagnien Musketiren, 3 Jäger Detachements unlv der Tyroler Compagnie insgesammt 2900 Mann. Die Kavallerie bestand aus 2 Escadrons Ulanen, davon die eine bei Kitzen ent kommene, aus 2 Escadrons Husaren und aus 1 Escadron Jäger, die vollständig neu gebildet werben mußten, zusammen 600 Mann. Di« Artillerie des Corps endlich hatte 8 Geschütz«, und zwar 4 metallene dreipfündige Kanonen und 1 siebenpfundige Haubitze (Fußbatterie), und 3 eiserne Ls^pfündige Kanonen (reitend« Batteri«), zusammen 120 Mann. Auch für das Sam- tätswesen war gesorgt. Oberarzt war Or. Krükerrberg, der jedeni Bataillon und dec Cavallrrie einen Arzt zutheilte und junge Stubirend« der Medicin als Compagnieärzte verwendete. Außerdem hatte jedes Bataillon einen Apotheker, während zwei Stabsapotheker für die Besorgung der Medikamente Sorge trugen. Zum Krankentransport dienten 12 Baurrnwagen, welche, von den nächstliegenden Dörfern gestellt, das Corps be gleiten mußten. Von Anfang an war die Einrichtung getroffen, daß die früher üblich gewesenen Medicinalgroschen in die Corps - raff« gezahlt wurden, um daraus die Gehälter für das ärztliche Personal und di« Ausgabe für die Arznei zu bestreiten.') Durch königliche Cabinetsordre vom 20. Juli 1813 wurde das Lützow'sche Corps der Nordarmee, und zwar dem 3. Armee corps (von Bülow), zugetheilt, aber bereits am 4. August stellte es der Kronprinz von Schweden unter den Befehl des Generals von Wallmoden. Es marschirte demgemäß nach d«m Norden in di« Gegend von Mölln und Boitzenburg. Hier wurden aus den englischen Magazinen zu Wismar und Stralsund dem Corps 300 Jnfanteriegewebre, 200 Säbel, 50 Carabiner, 400 Pistolen, 3200 Mäntel und sonstige B-klcidungsgcg.-nstände geliefert. Bis dahin waren die Truppen, mit Ausnahme der Jäger, die aus nahmslos mit Sorgfalt auf gute Waffen hielten und vielfach die selben mit großer Geschicklichkeit zu führen wußten *), recht mangelhaft gekleidet und bewaffnet gewesen. Das 3. Batallon hatte nur Piken, die Ulanen besaßen nur zum Theil Lanzen, der Kavallerie überhaupt aber fehlt« es an Säbeln und Pistolen. Das Corps Wallmoden, dem die Lützower also nunmehr, zu sammen mit der englisch-deutschen und der russisch-deutschen Legion, einer schwedischen Division, einer hanseatischen Brigade, ferner mit Preußen, Hannoveranern unv Kosaken, anacbörten. zählte 18 500 Mann Infanterie, 7000 Reiter, 1500 Mann Ar tillerie mit 60 Geschützen. Wallmoden's Aufgabe bestand darin, die Nordarmee, gegen welche sich Napoleon's Angriff nach dem Waffenstillstand zuerst richtete, gegen einen gleichzeitig geplanten Angriff durch den Marschall Davout von Hamburg h r zu decken, und dieser Aufgabe ist sie in vollem Maße gerecht geworden, so daß es dem Marschall, obwohl er über 30 000 Mann Infan terie, 2700 Reiter und 108 Feldgeschütze verfügte, gegenüber einer Minderzahl, „und noch dazu einer Canaille, wie es die Hanseaten, die Legion und die Truppen von Wallmoden sind", wie Napoleon sich ausdrückt 3), nicht gelang, seinem Kaiser die von demselben so sehr gewünschte Unterstützung zu gewähren. Am 16. August um Mitternacht lief der Waffenstillstand ab, und bereits am folgenden Tage rückten die Truppen des fran zösischen Marschalls gegen Lcmenburg vor, das die Lützow'sche Infanterie unter dem Premierleutnant v. d. Hcyde besetzt hatte und zu vcrtheidigen entschloss«» war, so lange die Klugheit es erlaubte. Erst nach dreitägigem harten Kampfe zogen sich die r) v. Jagwitz, Gesch. des Lützow'schen Freicorps. S. 111 fg. Eiselen, Gesch. des Lützow'schen Freicorps. S. 85. r) v. Jagwitz, a. a. O. S. 137. Lützower zurück. Sie hatten die besten Proben des Geistes, der sie beseelte, abgelegt. „Sorgt nur, daß ich «nein Gewehr wieder- brkomme, wenn ich zurückkehrr!" sagte Einer, der beim Lad«n seiner Büchse durch die Hand geschoßen wurde, und 2 Soldaten, di« nach dem Rückzüge ohne Gewehr ankamen, wurden aus der Schaar ausgestoßen, sie mußten den schwarzen Rock ausziehen, den sie entehrt hatten"«). Bei diesem ersten Kampfe „lernte Davout einsehen, daß er nicht mehr mit bloßen Soldaten, son dern mit den Bowaffneten eines schwer beleidigten und erzürnten Volkes, welche nicht blos die Ehre des Soldaten, sondern auch die Ehre und die Freiheit des Volkes dertheidigt«n und rächt«», zu kämpfen habe." Wie weit daher auch häufig die Anführer deutsck-er Schaaren gegen die vielerfahr«nen und in den wich tigsten Momenten bewährten Officier« der Feinde zurückstehen, wieviel Fehler Jene oft genug begehen mochten, der Geist der Truppen legte ein so bedeutendes Gewicht in die Waagschale des Krieges, daß der endliche Erfolg immer nur günstig ausfallen könnt« 2). Obschon Davout bei Lauenburg einen Erfolg er rungen hatte, so nutzte er denselben doch nicht aus — er ver- muthete sich dem gesammt«n Corps Wallmoden gegenüber, während er es nur mit dem leichten Corps Tettenborn, wozu außer den Lützowern 4 Kosaten-Regimenter gehörten, zu thun hatte, — sondern er brach am 23. August nach Schwerin auf. Hier in Mecklenburg wurde er durch die Lützower beständig in Athem ge halten. Freilich verloren dieselben dabei ihrer Besten einen, den jugendlichen Sänger und Helden Theodor Körner, der am 26. August bei einem Streifzug gegen einen feindlichen Proviant transport zu Tode getroffrn ward und von seinen Kameraden unter d«r Doppeleiche zu Wöbbelin mit noch anderen Gefallenen zur letzten Ruhe gebettet wurde. Durch di« fortgesetzten kleinen Gefechte wurde Davout thatsächlich abgehalten, in der Richtung nach Berlin vorzugehen und, wie cs Napoleon's Will« war, dm Herzog von Reggio (Oudinot) zu unterstützen. Dadurch haben die Lützo>v«r nicht gcringen, wenn auch indirekten, Antheil an den Siegen von Großbeeren (23. August) und Den-newitz (6. Sep tember). Am 2. September verließ Davout Schwerin und zog sich wieder in dir Nähe von Lauenburg zurück, verfolgt von dem Major v. Lützow mit dem 3. Bataillon, den Tyroler und Reichc- schen Jägern, der halben reitenden Batterie und 2 Schwadron«» Reiterei, und in drei Gefechten (Zarrenthie am Schallsee, Mölln und am Lüttaubache) erfolgreich bekämpft. Drei Wochen nach Ablauf des Waffenstillstandes befand sich Davout wieder in seinen alten Stellungen, wie bei Beginn der Feindseligkeiten. Da Wallmoden vermuthete, daß Davout eine Division von 8000 Mann unter General Pöchcux auf das linke Ekdufer entsendet habe, um dieses von Streifcorps zu säubern und um die Be satzung Magdeburgs zu verstärken, so beschloß er, seine Haupt macht — 10000 Mann stark — bei Dömitz zum Uebergang über die Elbe bereit zu stellen, mit dem geringen Reste aber die Haupt macht des Marschalls zu beschäftigen. Bei letzterem Unter nehmen thaten sich wiederum 600 Mann Lützower unter Major v. Petersdorfs, dem Mitbegründer des Corps, besonders hervor, namentlich im Gefechte von Zarrenthin (18. September). Unter- i) Eiselen, a. a. O. S. 107. b) Zander, Gesch. des Krieges an der Niederelbe im Jahre 1813. S. 184. deß aber erfocht die Hauptmacht der Freischaar unter der persön lichen Leitung Lützvw's ven schönen Sieg an der Göhrde. „Das war das eigene Geschick des Freikorps, sagt Eiselen «), „daß man viel redet« von dem, was es nicht gethan, und wenig von dem, was er gethan. Nur das Treffen an der Göhrde hat eine ge wiße Celebrität erlangt, und deshalb fragt man auch wohl einen ehemaligen Lützower Jäger: Warst Du auch bei der Göhrde? Es gilt für den Glanzpunkt in oen Thaten des Corps, weil es aus den beschränkten Dimensionen der kleinen Gefechte, an denen dieses Theil hatte, hcraustrat und mit einem wichtigen Erfolge verknüpft war." Noch am Abend« des 14. September überschritt die Avantgarde des leichten Corps Tettenborn — in ihr die Lützower — die Elbe auf einer aus Kähnen gebildeten Brücke. Auf schmalen Dämmen ging der Marsch nach dem Städtchen Dannenberg, und weiter auf der Poststraße nach Lüneburg zu bis nach der Göhrde, einem Wäldchen mit «inem Jagdschlöße des Königs von Hannover. Pöcheux war unterlaß bis Lüneburg gekommen und rückte am 16. September gegen die Göhrs« vor, ohn« indeß Anstalt zum Angriff zu machen, so daß Wallmoden am Mittag den Besebi zum Angriff gab. ?) Das Jägrrbataillon der Lützower eröffnete denselben und säuberte den Wald von den Franzosen. Jenseits desselben stand das Gros feindlicher In fanterie unv Kavallerie. Letztere wurde durch einen kühnen Reiterangriff Lützvw's hinter die Vierecke der Infanterie ge warfen, wobei jedoch der Major Lutzow eine schwere Verwun düng am Unterleib« erhielt, dir ihn kampfunfähig machte. Die Jäger zu Fuß brachen aus dem Walde heraus, ihre Kameraden zu unterstützen, und stürmten den Hügel, auf dem das feindliche Fußvolk stand, Vertrieb dieses und erbeutete die Haubitze, Die so viel Unheil angerichtet hatte. Den Sturmwirbel schlug das Heldenmädchen Eleonore Prohaska, di« unter dem Namen August Renz im Corps diente, mit dem Rufe: „Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen!" brach sie an der Seite Friedrich Förster's, schwer verwundet, zusammen. Am 7. Oktober erlag sie ihrer Wunde und wurde unter allseitiger Theilnahme mii militärischen Ehren bestattet.«) Ein anderes Opfer des heiß errungenen Sieges war der Lieutenant Berenhorst. ^) Er hattr sich und Anderen am Morgen das Horoskop gestellt, und danach Drohte ihm ein finsteres Verhängniß. Einer der Muthigsten im Angriff, war er nicht zum Rückzug zu bewegen, als die Hörner einmal riefen. „Das habe ich bei Jena abgemacht", sagte er, und mit den Worten: „Körner, ich folge Dir!" fiel «r. Ein anderer junger Mann, Hartmann, starb in den Armen seines Freundes v. Nostitz mit den Horazi'schen Worten aus den Lippen: „vulce et 6e- coium est pro patria uwri!" General Pccheux hatte 6 Ge schütze und 16 Munitionswagen, die gesummte Bagage und 20 bis 30 Officiere an Gefangenen, sowie 1500 bis 1800 Mann an Verwundeten und Gesangeiren und 400 bis 500 Todt« ocr loren. Er zog sich nach Lüneburg zurück und sammelt« hier seine zerstreuten Truppen, am folgenden Tage ging er nach Harburg. General Tettenborn aber meldete dem Könige von Preußen «) A. a. O., S. 140. 0 v. Jagwitz, a. a. O., S. 165 fg. s) Friedr. Förster, Gesch. der Befreiungskriege, 1. Band, S. 860. d) Eiselen, a. a. O., S. 150. Lettilleton Oie letzte „Fuhre. Berliner Skizze von Max Wundtke. „Holla! Du! Lirdke!" Der Angerufcne hörte nichl. Er saß auf vcm Bocke seiner Droschke, den Kutschcrkragen bis an die Krempe des schwarz- lackirten Hutes emporgeschlagen, und schaute in daS trübe, naß kalte Wetter des Octoberabends hinaus. Einer jener untersetzten, wetterharten Gestalten, wie man sic zumeist unter den Berliner Droschkenführcrn findet, trat an den Sinnenden heran und gab ihm mit der Hand einen leichten, freundschaftlich gemeinten Stoß. „Mensch, Tu machst wiedcr ein miscpetrigeS Gesichte, del man davonloofen könnte. Komm uff eenen Oogenblick mit runter; een Nordlicht mit Morgenröthe is bei so'n Hundewetter nicht zu verachten. Komm, Liedkc", fügte er nach einer Pause hinzu, um den Angeredeten, der keine Bewegung machte, stärker zu beschwören; „komm, ich schmeiße 'n paar." „Laß man, Ernst", wehrte der Trübselige ab. „Ick habe jetzt keenen Schneid druff; 'S jut jemeint, ick weeß ja . . . aber laß man." „Ach so'ne Dummheeien! Ick weeß woll, wat Dir wieder in'n Kop sitzt. Wer wird sich denn immer so'ne traurige Jedanken machen! Det Leben is so schon traurig jcnug nnd so'n Droschken kutscher hat's erscht recht nicht leicht. Mensch, ärjrc Dir nich; fei verjniecht und komm mit runter. Mit't Irillensangen wird'S ooch nich bester. Nich war, det is wieder Deine Jrete, det Mädel? Na, die is vielleickt fideler als Du. 's wirs ihr schon jut jehen; wat willstc mehr? Einsperrcn kann man seine Kinder nu een- mal nich. 's muß jedes sehn, wie't fertig wird. Und Du hast Dir doch jewiß nischt vorzuwerfen." „Nee Ernst — ick denke — janz jewiß nich." „Na also; denn sei keen Frosch und komm!" Die letzte Mahnung war in einem unwillig-ungeduldigen Tone gehalten, daß der alte Lieble, unverständlich vor sich hin murmelnd, daS Schuhlcder zurückschlug und schwerfällig auf das matschige Straßenpflaster heruntersticg. Dann verschwanden Beide in dem Kellerlocal, aus welchem Heller Lichtschein unv ein Geruch emporstieg, in den sich Tabak-, Bier- und Schnapsdunst mit dem Duft frischen Schweinebratens mischte. Der, den Lirdke Ernst genannt hatte, redete noch eine Weile in seiner derben, tröstenden Weise auf den Alten ein. Kaum waren sie an den Ladentisch getreten, als ein anderer Droschken- kutsch« an dem Eingang erschien und hinunterrief: „Lirdke! Du! Eene Fuhre!" Liedke griff nach dem kleinen Glase, stürzte den Inhalt hinab und polterte in s«in«n schweren, gefutterten Stiefeln mit einem kurz«» Gruß di« Treppen hinauf. Eben wurde der Schlag seiner Droschke von innen mit lautem Knoll geschloffen. „Nach der Kantstraße", tönte «s heraus. „Na, denn man los, Olle", rief er seinem Pferde zu und zog die wollene Dicke vom Rücken des Thieres zu sich herüber. Gleich sam tröstend bemerkte er dann: ,,'t is een verfluchtet Ende, Bräun- chen, aber 't hilft nich. Nachher machen wir Feierabend." Die „Olle" spitzte die Ohren, Liedke schnalzte mit der Zunge und klappernd setzte sich das Gefährt in Bewegung. Fast automatisch leitete er seinen trottenden Gaul durch das Straßengewirrr am Landsberger Thor. Wohl mehr als eine Meile war die Kantstraße von hier entfernt; das ist «ine lange Strecke, und man kann viel denken dabei, und «s ist, als wüßten seine Gedanken, daß sie jetzt freies Feld haben. Sie kommen und schwirren durch seinen Kopf und quälen ihn, und lasten ihn nicht los. Sie sind beharrlicher als matte Fliegen im Herbst, deren man sich nicht erwehren kann. Wenn er nur nicht immer an die Gretel denken müßte, an seine Tochter! An alles Andere! Nur nicht daran, nicht daran! Aber die Gedanken richten sich nicht nach seinem Schmerz; es kümmert sie nicht, ob sic ihm wehe thun. Es nützt nichts, darüber nachzudenken, warum sie gerade heute kom men, di« Quälgeister. Vielleicht, weil es damals ein ebenso trübes Matschwetter war, als er so durch die Straßen fuhr, den Kopf voll quälender Gedanken. Denn seine Gretel hatte ihm wieder einmal den Kopf heiß gemacht mit ihrer Sehnsucht zum Theater. Seit einigen Wochen hatte sie sich's in den Kopf gesetzt, sie müsse zur Bühne gehen; sie habe das Zeug dazu und wolle wuchern mit dem Pfunde, das ver Himmel ihr gegeben. Sie träumte von einer großen, glänzenden Zukunft — natürlich! Das von seinem Mädel, seinem kleinen, guten, srolligen Gretel, das er so abgöttisch liebte, das auf seine Knie zu nehmen und mit seinen großen, plumpen Händen zu streicheln und zu tätscheln, jede Mußestunde ausfülltc, die sein harter Beruf ihm ließ! O, sie war ihm theuer, um so theurer, als sie ihn sogar seine Frau gekostet hatte, an der er mit der stillen, ernsten Neigung eines Mannes hing, den der Kampf ums Leben still und ernst ge macht hat. Alles Andere, aber zum Theater?! Lieber todt! Er gehört« noch zu den Leuten von ehegestern, denen ein Theater mensch nicht viel höher stand als ein Scharfrichter. Seine Gretel, seine Einzige, seinen Abgott sollte er diesem Moloch überant worten? Niemals! Das hatte er auch zu ihr gesagt, und sie wußte, daß der Alte eher brechen als biegen würde. Gretel aber hatte etwas von dem Eigensinn des Vaters geerbt, und als er den Abend fröstelnd und mißmuthig nach Hause kam, fand er bas Nest leer. Gretel war in die Welt gegangen, um ihre Flügel zu erproben, wie sie ihm in einem zurückgelastenen Briese schrieb. Sic könne ihre Sehnsucht nicht unterdrücken; sie wisse, vaß sie zu Hohem bestimmt sei. Er solle keinen versuch machen, sic zurück zuholen; sie würde nicht eher heimtehren, als bis sie etwas ge worden sei in der Welt. Dann aber würde sie kommen, ihn in ihre Arme schließen und um Vergebung bitten. „Ja, Vater", waren ihre letzten Worte, „ich werde Dich nie vergessen und werde Dich immer lieben. Eines Tages werde ich wiederkommen, und dann wirft Du nicht mehr Droschkenkutscher spielen." In bitterer Wehmuth zuckte e» um seine Lippen. Da stand er nun, einsam, im Stich gelassen von dem Mädel, das er über Alles liebte. Wenn sic plötzlich gestorbcn wäre, — er hälte sich in das Unabänderliche gefügt . . . Gretel war ja in Gottes Hand! So aber ... für ihn stand es fest, niemand anders als der Böse hi«lt sie in ihren Krallen. Das thut weh! Und nichts dazu thun können! Er hatte auch gar keinen Versuch gemacht. Wozu auch? Sie wäre ja doch nicht wieder gekommen^ Er mußte sic laufen lassen. Vielleicht trieb die Noth sie wieder zu ihm zurück. Dafür arbeitete er weiter, dafür sparte er, damit er ihr etwas zu bieten hatte, wenn sie zurllckkam, matt und abgehetzt. Aber er hatte keine Hoffnung darauf; «r kannte sein Mädel. Das war nun drei Jahre her, «ine lange, trostlose Zeit! Jeden Abend, wenn er in seine einsame Wohnung zurückkehrte, hoffte er leise, sie zu finden. Wie oft schon hatte er sich wegen dieser „dummen Gedanken" auSa«scholten, aber es Hal? doch nichts. Er wurde nicht müde, zu hoffen und... sich auSzuschelten. Immer wieder leuchtete er mit der Lampe in jeden Winkel, in jeden Versteck. Vielleicht, daß ihm der Kobold lachend und jauchzend entgegensprang, wie einst ... Ja, wie einst . . . Der alte Liedke fuhr sich mit der groben, dlaurothen Hans über das Gesicht. Holla, da wäre er ja bald über di« Bordschwelle des Wrangelbrunnens gefahren! WaS für Augen der Schutz mann bereits machte über Dieses Staatsverbrechen! Aoer Das ist dieses Hundewetter. Man kann sich ja kaum des Regens und der wässerigen Schneeflocken erwehren. Die der schneidenDe Wind einem ins Gesicht treibt. Dabei kommt ihm doch etwas Warmes zwischen die Finger, DaS sich durchaus nicht nach Schnee und Regen anfühlt. „Holla! Hü!" Plötzlich tönte ein zeoämpster Knall durch Die feuckuc Nacht luft, so daß er sich erschrocken umwandte und die sonst so phleg matische „Olle" einen nervösen Seitensprung machte. Was war denn das? Ein jäher Schreck durchzuckte ihn. Passanten kamen vom Bürgersteig herübergestürzt und machten mit den Armen seltsame Bewegungen gegen ihn. Er hielt. Jetzt hört« er, wie die Scherben der einen Fensterscheib« an seiner Droschke klirrend auf das Pflaster fielen. Im Nu war er abgestiegen. Leute hatten bereits den Wagenschlag geöffnet. Liedke schob sie zurück und riß den Schlag vollends auf. Wie leblos fiel ihm der Oberkörper einer Dame entgegen. Sie wäre auf den Fahrdamm gefallen, wenn er nicht rechtzeitig zugegriffen hätte. Zugleich schlug etwas Schweres mit metallenem Klang auf di« Steine. ES war «in Terzerol. „Erschossen! Sie hat sich erschossen! Sie ist todt!" schrien die Leute durcheinander. Liedt« hörte, wie sie leist röchelte. „Vorwärts, zur Sanitätswache!" drängte «in Schutzmann, der eben hinzugetreten war. Beim Aufricht«« fiel der Verwundeten der Hut mit dem Schleier vom Kopfe. Das Haar hatte sich gelöst und ringelt« sich in goldgelben, vollen Strähnen über die Hand« deS Kutschers. Da flackert« vas Laternenlicht über das wachsbleiche Antlitz oes jungen, schönen Weib«s. Zu gleicher Zeit öffneten sich die Lider und die Augen starrten eine Secundc schreckensvoll auf da? verwitterte Gesicht des alternden Mannes. Ein tiefes Aufstöhnen aus Männerbrust, ein gurgelndes Röcheln und dazu ein kreischen der, gellender Schrei... es war wie aus einem Munde. „Gretel, meine Gretel! Du . . .?!" „Vater!" Eine verzweifelnde, tovttraurigc Bitte lag in V«m ersterben den Tone. Er hielt sie in seinem linken Arme und tastete mit der freien Hand an ihrem Körper umher, unwissend, was er that, instinktiv Vie blutende Wunde suchend. Dabei rannen seine Thränen über den dichten, grauen Schnauzvart, und seine Stimme erstickte zu weilen im Schluchzen, als er stammelnd sagte: „Warum — hast Du — mir — das — gethan, — Gretel?" „Vergieb mir, Vater!" Leise wie ein Hauch kam es aus den Lippen, die sich kaum bewegten. „Es ist — Alles — vorüber. N«in, thu — ihm — nichts! — Versprich mir — Vater! Ich hab' — ihn — doch — so sehr — geliebt. . . ." Dann ging ein Ruck durch ihre Gestalt; ihre Finger krampften sich um seinen Arm, als wäre si« im Versinken unv sie müßt« sich festhalten an ihm, den sie so tödtlich getroffen hatte; bleischwer, regungslos fiel sic gegen seine Brust. „Sie ist todt!" sagte dir Schutzmann. „Sie ist todt!" wiederholte Liedke mechanisch. Dann, als ginge ihm plötzlich ein Licht auf und als begriffe er jetzt erst Den Sinn ihrer letzten Worte, ballte er grimmig die Fäuste. „O, dieser Lump! Dieser Lump! Nun wird es mir klar, was Dich so weit gebracht hat! Jämmerlicher Kerl, elender! Oh..." „Ihre Tochter, nicht wahr?" fragte Dec Schuhmann so weich, wie sein« schnauzend« Stimme es zuließ. „Meine Tochter, ja! Meine Gretel!" Er lachte kurz auf. „DaS ist sehr traurig. Schnell zur Sanitäiswache, Herr!" „Tie ist ja todt! WaS soll'»?" „Aber es muß doch waS geschahen." „Ja, Sie Haven Recht!" Und er schloß den Schlag, unv ver Schutzmann setzte sich neben ihn. Dann aingS davon. Eine Weile herrschte dumpfes Schweigen. Dann lachte er plötzlich bitter auf. „Gott soll mich strafen! Sie hat Recht gehabt, daS Mävel: Ich komme wieder, und dann wirst Du nicht mrhr Droschken tutscher spielen! Sic hat Recht gehabt. Ich denke, 't wird meine letzte Fuhre jewesen sin. Nu braucht sie ja nischt mehr al» een anständiges Begräbniß, und ick habe zu leben. ... Die letzte Fuhre!" setzte er nach einer Pause schluchzend hinzu. „Du lieber Gott, wer hätte das denken können!"
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