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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000317025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900031702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900031702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-03
- Tag1900-03-17
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Broßere Schriften laut uusrrem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Zifferusatz nach höherem Taris. Uxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morg« n-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei« halbe Stunde srnher. Anzeigen sind stet« an die Expeditio» zu richten. Druck »ud Verlag vo« E. Polz in Leltzzß» 13S. Sonnabend den 17. März 1900. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 17. März. Die „Hamb. Nachr." eignen sich die schon von anderer Seite ausgesprochene Ansicht an, daß der Reichstag, wenn er überhaupt strafbar wäre und wenn die lex Heinze bereits Gesetzeskraft erlangt hätte, der Erste sein würde, der auf Grund dieser lex vor den Strafrichter kommen müßte. Da nun aber der Reichstag nicht strafbar ist, so schlägt das ehe malige Organ des Fürsten Bismarck vor, durch eine BerfassuiigS- änderung dem Hause die Möglichkeit zu verschaffen, bei heiklen Debatten die Oeffentlichkeit auszuschließen. Viel einfacher kommt man zu gleichem Ziele, wenn man consequent nach dem Recepte verfährt, das die Mehrheit des Hauses, der die Compromiß- anträge ihre Entstehung verdanken, in Anwendung zu bringen suchte und nur halb in Anwendung gebracht hat: Man trommelt für eine von einigen Parteiführern vereinbarte Fassung der betreffenden Paragraphen eine Mehrheit zu sammen, verpflichtet sie durch Unterschrift zu strengem Fest halten an dieser Fassung, überrumpelt mit dieser die Minder heit, schneidet ihr nach kurzer Begründung der Vorschläge da« Wort ab, ruft ihr, wenn sie trotzdem zu Worte kommt, „Maul halten" zu und bringt dann rasch die Abstimmung zu Ende. Auf diese Weise kann man. wenn die Mehrheit selbst von Unsauberkeiten sich fern hält. Alles abschnciden, was ein empfindliches Ohr peinlich berühren würde. Freilich muß dann aber die Mehrheit auch am Platze sein, damit die gereizte Minderheit sich nicht rächen, die Deschlußunfähigkeit hcrbeiführeu oder durch allerlei BoSheitSanlräge die Ent scheidung hinauSzögern kann. Gehören gewöhnliche und Socialdemokraten zu der Minderheit, der das „Maul" ver boten werden soll, so setzt man das Haus Scenen auS, wie sie gestern sich abspiclten, und die, wenn sie sich öfter wieder holen, am Ende alle anständigen Männer davon abhalten werden, sich um ein Mandat zu bewerben. Um das Resultat dieser glorreichen Sitzung würdigen zu können, muß man sich erinnern, daß der jetzt in Kraft stehende tz 181 des Straf gesetzbuches lautet: „Wer unzüchtige Schristeu, Abbildungen oder Darstellungen ver- kauft, vertheilt oder sonst verbreitet, oder an Orten, welche dem Publicum zugänglich find, ausstellt oder anschlägt, wird mit Geld strafe bis zu 300 ./L oder mit Gefängniß bis zu 6 Monaten be straft. Gleiche Straf« trifft Denjenigen, welcher aus Gerichts verhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhand- langen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mit theilungen macht, welche geeignet sind, Aergerniß zu erregen." Dieser Paragraph wird künftig, wie gestern beschlossen wurde, lauten: „Mit Gefängniß bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu 1000 wird bestraft, wer unzüchtige Schriften oder Darstellungen vorräthig hält, feilhält oder öffentlich auSstellt, Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, ansstellt oder ankündigt, öffent- liche Ankündigungen erläßt, um unzüchtigen Verkehr hcrbeizuführen, sowie derjenige, der unzüchtige Schriften oder Darstellungen einer Person unter 16 Jahren überläßt." Der zweite Theil des bisherigen tz 184 wird als be sonderer tz 184e künftig lauten: „Mit Geldstrafe bi- zu 300 ^l> oder mit Gefängniß bis zu 6 Monaten wird bestraft, wer auS Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen I war, oder aus den Liesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amt lichen Schriftstücken öffentlich Mittheilungen macht, welche geeignet sind, Aergerniß zu erregen." Hervorragende Kenner der Bedürfnisse der Rechtspflege sind der Meinung, daß man schon mit dem jetzt geltenden ß 181 bei strenger Anwendung auskommen könne und daß vollends der neue 8 181 mit dem ihn ergänzenden tz 184 o vollauf genügt. Trotzdem wurden auch die vielbesprochenen tztz 181a und d genehmigt: 8 184 a. „Mit Gefängniß bis zu sechs Monaten oder mit Geld strafe bis sechshundert Mark wird bestraft, wer Schriften, Ab- bildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, 1) zu geschäftlichen Zwecken an öffentlichen Straßen, Plätzen oder an anderen Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen, in Aergerniß erregender Weise auSstellt oder anschlägt; 2) einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet." 8 184b. „Wer in öffentlichen Vorträgen von Gesangs« oder sonstigen Unterhaltungsstücken oder innerhalb öffentlicher Schau stellungen oder Aufführungen öffentlich ein Aergerniß giebt durch eine Handlung, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Scham gefühl gröblich verletzt, wird mit Gekängnißslrase bis zu Einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft." Wenn man sich vergegenwärtigt, daß schon unlängst, ebe noch einer dieser beiden Paragraphen genehmigt war, in München die Venus von Milo aus dem Schaufenster einer Kunsthandlung entfernt wurde, und wenn man bedenkt, wie leicht gerade die unsauberste Phantasie sich gereizt und zur Klageerhebung sich veranlaßt sehen kann, so begreift man die Versuche, mit denen gestern die Beschlußfassung über diese Paragraphen hintertrieben werden sollte, auch wenn man sie nicht billigen kann. Und wenn noch ein Zweifel daran mög lich wäre, wie diese Paragraphen ab und zu werden anS- gelegt werden, so hätte der Abg. Gröber, Richter in seinen bürgerlichen Verhältnissen, diesen Zweifel beseitigt. Vorgestern batte das Eentrum erklärt, Darbietungen der höhere» Kunst sielen nicht unter das Gesetz; und als nun gestern vor geschlagen wurde, einen. Paragraphen einzusügen, der aus drücklich bestimme, daß Darbietungen der höheren Kunst nicht unter daS Gesetz fallen sollen, erklärte Herr Gröber, tz 184» beziehe sich auf alle Darbietungen, ob Kunst vorliege oder nicht. Und die Mehrheit erklärte den Antrag für „geschäfts- vrdnungSmäßig unzulässig!" Nachdem die verbündeten Regierungen in Sachen der lox Heinze vor den vereinten Klerikalen und Conservativen zurückgewichen sind, hielt die EentrumSpresse die Gelegenheit sür günstig, auch die der preußischen Regierung zu weiterem Zurückweichen zu drängen. DaS Centrum und die Con servativen haben bekanntlich von sechs geforderten KretSschnl- inspcctorstellen fünf abgelehnt. Die „Köln. Volksztg." glaubt nun betonen zu müssen, daß der Vorgang eine grund sätzliche Bedeutung habe. In einer Epistel, die offenbar an die Adresse des UntcrrichtSministerS gerichtet ist, erklärtste: Der Minister hat in der Commission wie im Plenum wieder holt feierlich versichert, eS liege ihm ganz fern, die Kirche aus der Schule verdrängen und die geistliche Schulinspection grundsätzlich beseitigen zu wollen. Er wolle vielmehr als positiver Christ den christlichen Geist der Volksschule erhalten und nur da, wo besondere Verhältnisse es erforderten, solle die KreiSschulinsprction im Nebenamte beseitigt werden. Wir haben keinen Grund, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherung zu zweifeln. Wenn nur auch dieThatsachen damit in Einklang zu bringen wären. Es wird doch in Wirklichkeit so nach und nach eine hauptamtliche Kreisschulinspectorstelle nach der anderen ein gerichtet. Jetzt sollten sechs neue hinzutreten. Wird aber jemals irgendwo eine solche Stelle wieder aufgehoben und die Aufgabe einem Geistlichen im Nebcnamte übertragen? Dafür giebt e- kein Beispiel. Also geht «S Loch, wenn auch langsam, auf die Verweltlichung der geistlichen KreiSschulinspcction hinaus. Sollte Herrn vr. Studt das noch nicht zum Bewußtsein gekommen sein, so weiß ein Mann, der neben ihm am RegierungStische sitzt, vermuthlich genauer, waS geplant ist. Die Minister kommen und gehen, die Geheimer» Räthe uno die Directoren aber bleiben, sie regieren in Wirklichkeit. Der Ministerialdirector und Geheimrath vr. Kügler ist dem Centrum längst ein Dorn im Auge. Herr Kügler ist grundsätzlich der Ansicht, daß die Volksschule von Fach männer» beaufsichtigt werden müsse; er ist auch ein Freund der Simultanschulen und will nicht dulden, daß die Land schulen zu Gunsten des AgrarierthumS von ihrer Höhe berabgedrückt werden. Das giebt dem Centrum genügend Veranlassung, unausgesetzt zu fordern: „Weg mit ihm!" Herr vr. Bosse hat sich seiner Zeit energisch dagegen ge sträubt, einen Mann, der sich wie kaum ein anderer um die preußische Volksschule verdient gemacht hat, seinen Gegnern zu opfern. Wird Herr 1)r. Studt die gleiche Energie be kunden? Sein bisheriges Auftreten rechtfertigt diese Er wartung nicht. Die Möglichkeit eines französische» tft»fnUS in England wird nach wie vor in der Presse besprochen und ist heute wieder Gegenstand einer längeren Erörterung in der „St. JameS' Gazette". Ein Oberstleutnant der englischen Armee, F. N. Maude, schreibt der Zeitung: „Alles hängt von der Haltung Frankreichs ab. Will das Land sich plötzlich zu den Principien einer Seemacht bekennen oder nicht? DaS ist die Frage, um die cs sich augenblicklich handelt. Bor vierzig Jahre» gab eS kaum ein Dutzend Leute in England, die überhaupt an eine solche Möglichkeit glaubten. Unterdessen ist eS aber ander- geworden. Großbritannien« natür liche Lage ist unter den verschiedenen Nationen zweifellos die beste. Um so größer muß die Wirkung einer Erschütte rung sein, die man auf das Herz des Landes auSüben kann, und dies Herz, die Stadt London nämlich, liegt dem Feinde zufällig am nächsten und ist tbatsächlich völlig schutzlos. Alles kommt heutzutage auf die taktische Initiative an, von der der Erfolg in modernen Kriegen abhängt. Es muß nur ein breiter Fluß überschritten werden, und unter gewissen GesicktSpuncten betrachtet, ist der lieber- gang um so leichter, je breiter der Fluß ist. Ersten- macht es die Breite unmöglich, vorbereitete Bewegungen der feind lichen Partei zu verhindern, zweiten- ist ein solcher Fluß tief genug, um großen und bequemen Dampfern die Ueber- fahrt zu ermöglichen; die größten Schwierigkeiten sind dadurch gehoben. Wenn man ein Heer über den Canal setzen wollte, so würde der AbsahrtSort absolut noch keinen Auf schluß über den Ort der eventuellen Landung ergeben. Das Feuer der Schiffe, die man zur Deckung mitgehen ließe, übt heute eine weit größere Wirkung auS, als es jemals bisher der Fall gewesen sein wird. Wenn man nun den Canal als Fluß betrachtet, so erscheint eS völlig unmöglich, da- un befestigte Loudon zu vertheidigen. Mit weniger als drei Millionen Mann ist eS überhaupt undenkbar, eine Landung an unseren Küsten von Cromer bi- »ach Weymouth ver hindern zu wollen. Ich kenne die Küste sehr genau und habe sie immer wieder studirt." Der Krieg in Südafrika. ES ist, al« ob durch den Schlag bei MaaerSfontein- Kimberley und bei Koodoo-rand die Kraft der Boeren wie gelähmt sei. Hatte man gehofft, daß sie die Ncbersimse über de» vranjefluß halten oder doch die Eiseubahnbrücken und de» Bahndamvi überall gründlich zerstören würden, so hat mau sich hierin, zum Theil wenigsten-, getäuscht. Die nächste Sorge de- britischen Oberbefehlshaber- geht jetzt natür lich dahin, sich die Bahnlinie nach Süden zu sichern und mit den vom Norden der Capcolonie au- in deu Freistaat vordringenden britischen Abteilungen Fühlung zu nehmen. Die östlichste dieser Colonnen, die freiwilligen Reiter unter dem Farmergencral Brabant, hat den Oranje fluß bei Aliwal North, wo sie die Brücke unversehrt fand, bereits vor einigen Tagen überschritten; die westlich davon vorgehende Abteilung unter General Gatacre hat es durch ein muthiges Husarenstückchen ihrer Ingenieure ver standen, die Sprengun g derBabubrücke beiBethulie zu hindern, und ist am 15. auf dieser Brücke ebenfalls überden Fluß gegangen. General Clement- endlich, der bei ColeSberg den Befehl führt, hat die Zerstörung der Bahnbrücke bei NorvalS Pont nicht verhindern können, aber er hat die Straßen brücke bei BothaS Drift unbeschädigt in seine Gewalt gebracht. Die Patrouillen der drei Abtbeilungen haben mit einander Fühlung und werden bald ihre Bereinigung mit Roberts hergestellt habe». Heute wird bereit- gemeldet: * London, 16. März. („Renter'S Bureau.") Eia« Depesche des Feldmarschalls Roberts au- Bloemfontein vom 16. März an das KriegSamt besagt: General Polecarew traf in Spriugsontein «in, sodaß Bloemfontein jetzt thatsäch- lich mit Capstadt in Bahnverbindung steht. Danach sind also Bahnverbindung und Telegraph von Bloemfontein nach Süden zu in dem Rücken der am Öranje- stoß operirendea Boeren-CommandoS in betriebsfähigem Zu stande, ein Dortheil, der von den Engländern begreiftrcher Weise sofort auSgenützt wird. Bethanie, da-General Pole Caren, bereits vorgestern Nachmittag erreicht hatte, istvonBloemfontein etwa 32 englische Meilen entfernt; von da bi- Spriug- fontein beträgt die Strecke noch einige fünfzig Mrsten. In Springfonlein gabelt sich die nach Normals Pont, wo General Clements, und nach Bethulie, wo General Gatacre den Boeren gegenübersteht. Die Entfernung in der ersteren Richtung beträgt etwa 30, in der zweiten etwa 25 eng^ lische Meilen. Können die britischen Verstärkungen ihren Weg ungehindert fortsetzen, dann gerathen die Dorren an diesen Punkten zweifellos in «ine sehr bedenkliche Lage. Sie wissen vielleicht noch gar nicht, waS sich in den letzten Tagen in Bloemfontein zugetragen hat. Sollten sie es aber noch rechtzeitig erfahren, dann bliebe ihnen wohl nichts weiter übrig, al« unter Aufgabe jede- un nützen Widerstandes möglichst weit nach recht- au-zubiegen und sich dann nördlich in den von den Engländern noch nicht besetzten Nordosten de» Lande- zurückzuziehen, wo sie sich mit den Streilkräften bei Wieburg und Brandfort vereinigen könnten. Daß die Engländer ihnen aber auch diese Rück- Frr»iHetoir. Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck verdolk«. §Jch habe kein Mitleid miet ihm! Was der Arzt verbietet, thut er mit Vorliebe, Tävakrauchen, Cognactrinken und spät Auf sitzen, — stell' Mr vor, Gertrud, daß ich ihn noch an seinem Schreibtisch ertappt habe, wenn unten der Bollewagen klingelt. Me hab' ich gebeten und gebettelt, er solle diesen Sommer ordent lich au-spannen und an di« See oder ins Gebirge reisen. Für mich verlangt der Doctor längst eine Cur, aber das ist ja ganz egal. Ob ich d'rauf geh' oder nicht, ich denk' ja blos an ihn. Alles in der Welt will ich ertragen, blos nicht einen kranken Mann." „Hättest ja reffen können!" grollt« Philipp dagegen. „Warum bist Du nicht nach Karlsbad gegangen, nach Poittresina und zum Schluß nach Sylt. Der kranke Mann war Mr nicht im Wege." „O nein, der wäre froh gewesen, mich los zu wenden, aber wo ich daS Reisegeld hätte hernchmen sollen, möchte ich wissen!" Darauf hatte Philipp kein« Antwort. Er trommelte auf den Msch, knurrte Unverständliches in den Bart und füttert« den Pudel, zu Wally's bitterem Verdruß, mit Cotrletts. Nach Tisch nahm er Gertrud bei Ssite und bat sie, seine Frau nie wieder auf daS unselige Dädereffethsma zu bringen, er sei aesund, vollkommen gesund, er könne und dürfe gar nicht krank sein. Den bissigen Ton, den Wally sich neuerdings gegen ihn an gewöhnt hatte, ihr ewiges Murren und Klagen über unnütze Dienstboten, betrügerische Kaufleute, säumige Schneiderinnen ertrug Philipp glcichgiltig, stumpsinnig, wie sie in ihrer Ent rüstung meinte, aber den ewigen Stein des Anstoßes, den un artigen Pudel, durfte sie nicht schelten. Dann fuhr er auf, dann wurde er anzüglich und hämisch, und zuweilen maßlos heftig. Solch peinlichem häuslichen Hader vorzubeugen, versuchte Gertrud sich von vornherein der Leitung des Gespräches bei Tische zu bemächtigen. Ihr inniges Mitgefühl für Philipp gab ihr un gesucht Einfälle und Fragen ein, die ihn anregten und auf ernste und Herten Gedanken brachten. Wenn sie Belehrung über poli tische und soöiale Dinge von ihm verlangte, dann konnte er be redt werden und über dem großen Allgemeinen seine geschäft lichen Widerwärtigkeiten und Sorgen vergessen. Anfangs nahm Wally an solchen Gesprächen lebhaften An- theil. Dann begegnete es ähr einmal, daß Philipp eine ihrer wunderlichen Behauptungen ohne Umstände verlachte und als sie eigensinnig daraus bestand, sie reden ließ und sich an Gertrud wandt«, mit dieser sich in eine ihm offenbar interessant« und wohlthuend« Unterhaltung vertiefend. Das nahm Wally entsetzlich übel. Sie öffnete ihre Lippen nicht mehr, und als Gertrud sich verabschieden wollt«, war sie ver schwunden. Gertrud fand es rathsam, diese Launen nicht weiter zu be achten und stellte sich zur nächsten Malstunde rechtzeitig ein. Frau Henning war jedoch nothwendiger Besorgungen wegen in der Stadt und ließ sie bitten, ein Halbstündchen zu warten. Als sich das Halbstündcheu zur Stuckde ausdehnte, verlor Gertrud die Geduld und wollte eben aufbrechen. Da trat der Hausherr ein, der Vormittags, wenn ihn nicht Geschäftsreisen nach außerhalb führten, auf seinem Bureau in der Hindenstrabe zu arbeiten Pflegt«. Er schüttelte den Kopf über seine säumige Frau, bat für sie um Entschuldigung und veranlaßte Gertrud, noch ein Weilchen zu bleiben. Er setzte sich zu ihr in den Erker, natürlich von seinem Schooßkind, dem Pudel, umsprungen und umwedelt, und war bald nick ihr in ein vertrauliches Gespräch vertieft. Ein« Last geschäftlicher Sorgen lag auf Henning's Schultern und bedrückte sein Gemüth. Die Pferdebahnen, die er angelegt, rentirten sich nicht, die Petroleumguellen, di« er erschlossen, waren nach der ersten reichen Ausbeute nahezu versiegt. Man mußte tiefer bohren, das verdoppelte die Kosten. Sein Vermögen und das Wally's steckten ffr diesen unfruchtbaren Unternehmungen, die freilich mit der Zeit reichen Gewinn abwerftn mochten, wer's nur erlebte und überholten konnte bis dahin. In dieser unglücklichen Lage war Philipp in drückende Ab hängigkeit von einem schlauen »Nb rücksichtslosen Geldmann ge rathen, der auf di« zukünftigen Ernten seiner klug geplanten und energisch ausgeführten Unternehmungen die Hand gelegt und ihm einen Theilhäbercontract aufqenöthigt hatte, der ihn aus dem Herrn zum rechtlos«» Gehilfen machte, seine Erfahrung und Intelligenz in den Menst deS Anderen zwang, einzig nm der leidigen Aussicht willen, den größeren Theil von Wally's B«r- mögen aus dem Ruin zu retten, während «der unausbleiblich« spätere Aufschwung der Geschäfte jenen Arideren reich machen würde. Philipp ächzte und schäumt« unter seinem Joch, das ihn moralisch noch tiefer niederdrückt« als materiell, das abzuschütteln er nicht wagen durste, ohne in di« Schlingen und Fallstricke seine- Contractes zu gerathen, die hinterlistig darauf angelegt waren, ihm in solchem Falk die Kehl« zuzuschnür«». W«nn nur Wally nicht erfuhr, wie die Mnge stauben! Oder wenigstens die ganze Nichtswürdigkeit seiner Knechtschaft nicht durchschaute! Sie machte ihm schon jetzt den Kopf warm genug mit ihrem Genörgel und ihren argwöhnischen Fragen und Muthmaßungen. Käme sie hinter die Wahrheck, so — hm — so würd« er sich lieber eine Kugel durch's Hirn jagen, als wie sm entlarvter Verbrecher vor der Frau dastehen, die rr mit schwindel haften Vorspiegelungen in sein Haus gelockt, um sie auszu plündern und einst nackt und hilflos in dieser Welt voll Raub gesindel zurückzulassen. — In ihrem Schreck über diese Eröffnungen hatte Gertrud eben so viel Fassung gewonnen, um Philipp tröstlich und crmuthigend zuzureden, als man Wally nach Hause kommen hörte. Im Ein treten heftete diese einen eigenthümlich queren Blick auf die Beiden, die sich eben Mit warmem Händedruck getrennt hatten und den Nachklang starker Erregung noch deutlich genug in ihren Zügen trugen. Gertrud ließ sich nicht zum Bleiben überreden, Wally schien auch nur der Form wegen dazu einzuladen. Täglich kaufte sich Gertrud eine Zeitung und durchforschte die übrigen, die ihr in der Victoriabrauerei oder bei Hennings zu Gesicht Hamen, nach Notizen über Eickstedt und sein Stück. Di« Ausbeute war gering, aber doch erfreulich. Einmal nur ein kurzer Hinweis auf die hohe Meinung der Eingeweihten von der neuen Arbeit des so schnell zu Ansehen gelangten jungen Dichters. Ein ander Mal eine kurze Inhaltsangabe des Schauspieles, dessen psychologisch« Tief« und harmonischer Reiz einen wesent lichen Fortschritt ssit dem „Eisenkönlg" bedeute. Später er fuhr man bereits die Rollenvertheilung. Die angesehensten Schauspieler waren für die Neuheit auSersehen, die «das all gemeine Interesse erregte. DK Erstaufführung wurde an gekündigt und wieder hinausgeschoben. Eickstedt ivurde er wartet. Das war Alles. Gertrud hatte keine Ruhe zur Arbeit. Zwischen freudig aufloderndrn sanguinischen Hoffnungen, die sie unbarmherzig unter der Asche kühler Erwägungen erstickte, und Stimmungen voll Niedergeschlagenheit und Verzweiflung an Glück, Liebe und Zukunft, di« sie als feig und gottlos bekämpfte, schwankte ihr Gemüth wie ein von hohen Wogen u-mher- geworftneS Schiff. — Sie suchte ihre Kolleginnen auf, die sie vernachlässigt zu haben sich vonvarf, knüpfte mit einer und der anderen Verkehr an, der doch nicht gedeihen wollte. — Ihr Ver sprechen, Luise aufzusuchen, hatte sic bald erfüllt. Seitdem Ivar dort der erwartete klein« Weltbürger eingetroffen. Gertrud nahm sich ihres weinenden Namen Sschwesterchen- an, dehklt «S sogar die ersten beiden Nächt« bei sich und stand der Wöchn«rin, die sich übrigens bald «rhotte, in ihren freien Stunden nach Kräften bei. Das war ihre beste Zerstreuung. Endlich kündigten die Dhvaterzettel an den Litfaßsäulen das neu« Stück an. Am Tage vor der Aufführung kam ein Brief an Gertrud, von einer wohlbekannten, ungelenken Schülerhand ckdressirt, der sie vorher in Elbing bei ihrem Vater aufgesucht hatte. „Ich komm« -wach Berkin, w«ß nicht, ob ich Dich dort finde, liebe Gertrud", schrieb Irmgard. „Ich habe so große Sehnsucht nach Dir, kaß mich wissen, wo und wann ich Dich aufsuchen darf oder komm« zu mir in den Kaiserhof und gieb mir vorher Nachricht." Gertrud schickte sich eben an, diese Zeilen zu beantworten, als Philipp Henning sich anmelden ließ und, von seinem Pudek be gleitet, eintrat. Er wollte gleich umkehren, da er vergessen hatt«, seine brennende Cigarre draußen zu lassen, fuhr dann auf Gertrud'- Bitte fort, zu rauchen, löste dem Hunde den Maulkorb, zog die Handschuhe aus untd ließ ihn dieselben apportiren, und verwies Pudill, der wie ein bvsrr Geist in allen Ecken herunnführ, streng zur Ruhe. Endlich saß er, paffte blaue Wölkchen in dir Luft, zog seine Brieftasche hervor und kramte in ihrem Inhalt. „Wally hat sich'S in den Kopf grsetzt, das neue Stück von Hans zu sehen. Da hab' ich nun vom Cammissionar ein paar Billets gekauft — schlechte Plätze — war nichts mehr zu haben — die Lasse soll gestürmt werden —" „O — das freut mich!" meinte Gertrud, vor Vergnügen er- röthend. Henning schien dies Gefühl nicht zu -Heiken, er faltete di« Stirn und kraute seinen Bart. „Sv, Willst Du also auch gehen, Dir den Radau anschen?" „Radau?" erwiderte Gertrud «betroffen. „Dies ist kein Radaustllck, Onkel Philipp, rm Gegrnthell, ein vornehmes, hoch- poetisches Werk." „So, so, vornehm", wiederholte Philipp sarkastisch und nahm zwei Billetkarkn aus seiner Brieftasche. „Na, meinetwegen. Aber offengestanioen, Gertrud, mir wäre lieber, Du redetest es meiner Frau aus und Ihr bliebet Beide zu Hause." „Mer, mein Gott — Onkel Philipp —?", der Athen» stockte Gertrud, sie wurde ganz blaß. Henning ließ die Hand mit der Cigarre sinken und blickte sie ernsthaft an. „Ich habe meine Gründe, liebe Gertrud. Du ver stehst, es ist nicht, weil ich Euch das Vergnügen mißgönne — hier sind die Billets —", er legte dieselben vor sie auf den Tisch nieder. „Und wir sollen nicht gehen! — Aber warum — »das ist
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