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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000424023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900042402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900042402
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Robert« sei» Havptcorpß in Vloemfoatria obermal» bat schmücken müssen. Jetzt brauchte nur da« Centrum der boerischen Streitmacht vou Braadsort ber vorzustoßen, um Robert«' Armee vollständig decentralisirt und einem energischen Angriff in ungünstiger Position kaum noch gewachsen vorzu finden. Mau darf gespannt daraus sein, ob die« in General Botha'« Feldzug-plan mit vorgesehen ist. Ueber Wepencr Wird gemeldet: * London, 23. April. Da« „Reuter'scke Bureau" verösseut- licht nachstehende« Telegramm au« dem Borrealager *-»i Thabanchu von gestern. Der Kamps bei der JammrrSberg Drist wird Tag und Nacht fortgesetzt. Mittwoch und Donnerstag hielt da« Gewehrfeurr ohne Unterbrechung an. Die berittenen Schützen au« der Capcoloui« verlorenvon 500 Mann 120, darunter b Ossiciere. Da« ist bei der geringen Starke de« Corp» ein sebr beträchtlicher Verlust. Ueberall also sind die Boeren im Dortheil, nur die Bezwingung eine« befestigten Platze« ist ihnen noch nicht gelungen. 8ur Lage tn Natal schreibt man der KriezScorrespondenz au« Durban: „Die Lage der britischen Truppen in Natal ist eine ganz andere, al« die Berichte der hiesigen Blätter und Corre- spondenten sie erscheinen lassen. Ich komme soeben von Ladysmith und bade nach sorgfältiger Beobachtung der gefammten Verhältnisse die Uebcrzeugung gewonnen, daß va« englische Heer in Natal beute ebenso wenig wie vor einem Monate au eine energische Ossensivaction denken kann. Die in Ladysmith eingeschlossen gewesenen Truppen sind auch jetzt noch so mitgenommen durch Entbehrungen, Fieber und nicht zum Geringsten durch eine allgemeine Demoralrsation, daß sie al« Felbtruppen überhaupt nicht mebr sür die nächste Campagne in Frage kommen. Beim Anblick dieser Tausende gebrochener, bleicher, schwankender Gestalten drängte sich mir immer wieder die Ueberzeugung auf, daß die Boeren von ihrem Standpunkte au« gar nicht« Klügere« thun konnten, als das Heer Sir George White'« ein fach eingescklossen zu halten und al« eü ausgehungert und von Fieber decimirt war, fick selbst zu überlassen. Hätten die Föderirten diese Garnison wandeln der Leichen als Gefangene fort führ en müssen, so hätten sie sich, materiell wie moralisch, eine Last aufgebürdet, die sie in einem Kampfe auf Leben und Tov kaum zu tragen im Stande gewesen sein wären. Tausende derselben wären zweifel los den Folgen dcrBelagerung erlegen und für alle diese wäre die Regierung der Republiken moralisch verantwortlich gemacht worden. Daneben batte ihre Bewachung eine nickt unbedeutende Anzahl in den bevorstehenden Entsch-idungSkämpfen unent behrlicher Männer absorbirt. So fällt riese doppelte Last den Engländern zu und die in Ladysmilb vorhandenen Gelckütze allein scheinen mir ebensowenig ber Menschenopfer wcrtb zu sein, welche ein Sturm auf die Stadt zweifellos gefordert hätte. DaS Entsatzbeer Buller'« selbst bat unter den Strapazen des Felrzuge«, der ungenügende» Nabrung, dem vollständigen Mangel an Schutz gegen die Witte rung und dem raschen Wechsel der Temperatur, Wie des KllmaS überhaupt, weit mehr geliiten, als man sich verstellen kann. Ich schätze kaum die Hälfte der Soldaten und allerhöchsten« zwei Drittel der Ossiciere als seldtüchtig. Auch sie leiden indcß unter der allgemeinen Enlniulbigung und dem vollständigen Mangel an Vertrauen in ihre Führer, unter dem selbst das Officiercorps den Generalen gegenüber leitet. Das Pferdemaierial ist ebenso wenig in auch nur annähernd genügender Weise ersetzt wie die Zuglbicre. All das ist der wirkliche Grund der Un- thätigkeit Buller'S." Tie allgemeine Erbitterung in London üoer da« Versanden der KriegSoperalionen wird, so schreibt man uns von dort, zur Zeit nickt ohne Erfolg von einem großen Tbeile der Presse und deren Drahtziehern zu poli tischen Zwecken ausgebeu'et, die im Laufe der Tinge von nun an immer stärker bervortretcn werden und zum großen Theile in dem Häutungt-vrocessc ihre Erklärung finden, den die großen politischen Parteien des Landes durchzumachcn begonnen haben. Diese Ziele sind keineswegs immer dieselben, ja sie durchkreuzen sich vielfach und zwar nickt nur unter sich, sondern auch mit rein vorübergehenden und epbemeren persönlichen Zwecken. Ein Tbeil der liberalen Partei zeigt immer auSgesprockcner die Tendenz, die Ucbernadme der Leitung der Geschäfte dadurch vor- zubereiren, daß er sich selbst als nock energischer, ja kriegerischer, den» die Conservativcn ausspiclt und den herrschenden EbauviniSmus vor den eigenen Parteiwagen spannt. Dieser Flügel der Liberalen siebt seinen Führer in Lord Rosebery und trägt fick mit der Hoffnung, au« den Wirrnissen diese« Kriege« schließlich eine große Reformpartei hervor wachsen zu seben, die die unter Gladstone abgeschwenkten Unionisten wieder zu der alten Bereinigung mit den W iig« zurückiühren und die so neugeeinte Partei auf dem Booen eines großen imperialistisch-militäristischen Reform programm» al« eine neue, mächtige, auf die breiten Massen der Bevölkerung gestützte Regierungspartei aufbauen würde. Daher die großen Reformprogrammrrdea Rosebery'«, daher der übertriebene und systematisch zur Schau getragene Chauvinismus altliberaler Organe wie der „Daily New«", daher auch die scheinbar so widersinnige und auffallende Tbatsacke, daß von allen englischen Staatsmännern nur Lord Rosebery den Muth fand, Cecil Rbode« zu empfangen. Daher auch die Möglichkeit einer Verbindung dieser beiden Männer zu gemeinsamer Zukunft«arbeit. Aber während so »>ie gemäßigt Liberalen den offenen Kampf gegen die Regierung aufnehmen und sich ihnen die Heißiporne der Alt-Conserva- tiven und jeneFreilanzen-Politiker und Journalisten an'ckließen, welche in den achtziger Jahren der Fübrung Lord Randolph Cburchill'S folgten, beide unterstützt von jenen Elementen in Heer und Marine, denen die Regierung nicht kraftvoll genug bandelt und überhaupt nicht genug für Armee und Flotte tbut, blasen die Linksliberalen und Demokraten ihrerseits zum Sturm auf die „alte Galeere", wie sie (freilich kaum im Andenken an Freiligrath's bekannte- Gedicht) daS „morsche heutige System, aufgebaut aus verrotteten Vorurtheilen und wurm stickige» Privilegien" nennen. Sie benutzen augenblicklich die Abberufung Gatacre'S und die kerbe Kritik ber Generale Buller und Warren, um den FavoritismuS bloßzustellen, welcker immer noch in der engliscken Armee berrsckt, eine Tbatiackc, die allerdings Niemandem unbekannter war, al ter großen Masse englischer Steuerzahler und Wähler, und e« ist überaus bezeichnend für die Tiefe und Bitterkeit der herrschenden Mißstimmung, daß sie sich dabei bereits bis an die Stufen des TkroneS heranwagen. Zuerst kam die „Enthüllung" (für die Wissenden war sie das nick»), daß General Buller sein Eommando nur erbal'en, weil er der Günstling de- Prinzen von Wale» war. Jetzt erzäolt man uns, was freilick nickt uns, aber dem „Mann in der Straße" wenigstens neu war, daß Lord Methuen die ihm gezeigte „Zärtlichkeit" nur dem Sckutze Lord LanSdowncS, oder um das Ding gleick beim rechten Namen zu nennen, der Königin selbst verdanke, wclcke ihre schützende Hand über ihm gebalten. Daneben hören wir von den „starken socialen Eii'fiüssen", welche „die Großen der Krone und ihre militä- riscken Sprößlinge schirmten", und dann sebr viel davon, daß „in diesen Tagen des Triumphe« der Demokratie mit all dem Plunder aufgeräumt werden müsse". Am Auffälligsten bei alledem ist, daß mit ganz ver schwindenden Ausnahmen die gesammte Presse in dieses Hallali gegen die Regierung, jedes Organ derselben in der ihm eigenen Tonart, einsällt. Gelingt es Lord Roberts nicht in allernächster Zeit eine energische und dauernd erfolgreiche Offensive zu ergreifen, so werden wir nock wunderliche Dinge erleben. Bereits rechnen ibm die am sachlichsten und ruhigsten gebliebenen Militär kritiker vor, daß nur nock zwei Monate vor ibm liegen bis zu dem Augenblicke, wo da» Austrocknen aller Brunnen undSpruitS jede umfassendere Operation unmöglich macht, und daß er deshalb, wolle er noch zum Weihnacht-feste vor Pretoria erscheinen, nicht einen einzigen Tag mehr zu ver lieren habe. Lord Roberts Tepeschenkrltikcn. Der „Sunday Special" schreibt hierzu: „Es ist nicht wahr, daß Lord Metbuen'S Bericht über den Kampf bei Ma zerSfoniein von Lord Roberts ebne Commentar beim- g landt worden. Wir wissen, daß Lord Roberts' Kritik weit schärfer war, als alles, waS bisher von ibm veröffentlicht worden, so sckarf, daß Lord Metbuen'S Freunde große Anstrengungen macktcn, die Veröffentlichung dieser Commentare zu Verbindern, und bis jetzt mit Erfolg. Wir nehmen an, daß die Minister, sobald das Parlament Zusammentritt, wegen dieser wunderbaren Zurückhaltung werden befragt werden. Es ist wünschens- werrb, daß Lord Roberts' Ansicht, nickt nur über die Un fähigkeit Sir RetverS Buller's und Sir CbarleS Warren'S, sondern anck über die Führung veröffentlicht werde, welche nock viel fehlerhafter war und unter den betroffenen Truppen etwas, was außerordentlich einer Meuterei ähnlich sab, bervorrief. Wer hat Lord Methuen beschützt und die ibm feindliche, so wohlverdiente Kritik zurückgebalten? Einige sagen, e« ist die Königin selbst. . . . Was Buller und Warren betrifft, so hätten die Minister, al« sie die Veröffentlichung beschlossen, zu dem weiteren Be- scklusse kommen müssen, nämlich, daß daS öffentliche Interesse die Entfernung Beider von ihren Commandos fordere. Depeschen zu veröffentlichen, die es der ganzen Welt klar macken, daß sich Lord Robert« in scharfem Conflict mit Sir RedverS Buller befindet; daß Lord Roberts Sir Redvers Buller für einen außerordentlich unfähigen Soldaten hält; und von Sir CbarleS Warren wenn möglich eine nock trostlosere Meinung hat, und trotzdem diese Generale im Commando einer großen englischen Armee erhalten, ist nichts weniger als ein nationaler Skandal. . . . Niederlage auf Niederlage hat Sir RedverS Buller nichts gelehrt. Behaupten, daß eS ihm schließlich doch gelungen, Ladysmith zu entsetzen, heißt etwas ausfprechen, WaS nur technisch richtig ist. Ladysmith wurde entsetzt, weil der Feind die Belagerung aufbob und da« verdankte man ausschließlich der Uebergabe Cronje'S. Buller hatte schließlich nur mit einer Nachhut z» thun und die vermochte er zurückzudrängen. Aber kaum war er nach Ladysmith gelangt, als dieselbe Letargie, ver Mangel an Unternehmungsgeist, der Mangel an Intelligenz fich wieder zeigten, welche seine Truppen- fübrung während de« ganzen Feldzuges charakterisier bat.... Bor 20 Iabren erwie« er sich im Zululanb und im Sudan al» ziemlich tüchtig, aber damals stand er in der Blütbe der Jabre.... Jetzt ist er alt und schwerfällig und alle« Leben scheint au« ibm entflohen zu sein. . . . Die Erwartung, daß Buller freiwillig resigniren würbe, erscheint sebr voreilig, er ist klug genug, um zu wissen, daß, wenn er demissionirt, er al« ein di-creditirrer Trnppenfübrer beimkebrt, während, wenn er sich an sein Amt anklammert, den Marsch auf Pre toria mitmacht und seine Rolle, so klein sie auch sein mag, in dem Schlußtableaux de- Kriege« spielt, da« beimische Volk, das ein kurze« Gedächiniß bat, ibm bei seiner Rückkehr zujubeln wird, wie e« die« bei Sir George Wkite gethan, um sich schließlich einzureden, daß er ein großer General ist." Die voerengesandtschast tn Holland. Au« dem Haag, 22. April, wird der „Mgdb. Ztg." ge schrieben: Seit mehr als einer Woche weilt nunmehr die außerordentliche Gesandtschaft der beiden südafrikanischen Republiken in der niederländischen Residenzstadt. Wie man weiß, besteht sie auS dem oranjeschen Staatsrath Fischer, der als der Führer der Gesandischaft gilt, aus dem transvaalschen Staatsrath Wolmarans und dem Vorsitzenden dcS oranjeschen Volksraads (Parlaments) Dr. Wessels. Alle drei Gesandten haben in der Geschichte ihres Vaterlandes, insbesondere aber in den lekten Jahren und Monaten, eine hervorragende Rolle gespielt. StaatLrath Fischer gehört neben dem Präsidenten Steijn zu den bedeutendsten Staatsmännern des Oranje-Freistaates. Er ist ein aus gesprochener Gegner der englischen Vorherrschaft in Südafrika und betrieb während der jüngsten Krise mit größtem Eifer den Anschluß seines Heimathlandes an den transvaalschen Bruder staat. Deshalb gehört er mit dem Transvaal - Gesandten Or. LeydS und den beiden Präsidenten Steijn und Krüger zu jenen politischen Persönlichkeiten, die von den Engländern am meisten gehaßt werden. Der tranSvaalsche Staatsrath Wol marans gilt als die rechte Hand Krüger'S. Wie dieser, so arbeitete auch er darauf hin, daß die TranSvaal-Rcpublik selbst einen unglücklichen Krieg einem schimpflichen Frieden vorzog. vr. Wessels, der der Regierung seines Landes nicht angehörte, trat während der jüngsten Ereignisse weniger hervor und be schränkte fich darauf, die Verhandlungen des oranjeschen Parla ments zu leiten. Obwohl die außerordentliche Gesandtschaft allen unberufenen Personen die Angabe des Zweckes ihrer Mission in Europa und Nordamerika verweigert, so gehört natürlich keine Sehergabe dazu, ihn zu errathen. Die Gesandten wurden nach Europa ge schickt unter dem niederdrückenden Einfluß der Waffen- streckung des Generals Cronje. Die Lage der beiden südafrikanischen Republiken schien damals verzweifelt, und so begaben sich die Herren Fischer, Wolmarans und Wessels auf den Weg, um die Friedensvermittelung einer europäischen Groß macht oder der Vereinigten Staaten von Nordamerika zu er reichen. Obwohl die Kriegslage sich seither zu Gunsten der Boeren verändert hat, so ist dock nicht daran zu zweifeln, daß die Präsidenten Krüger und Steijn nach wie vor entschlossen find, jeden Halbwegs billigen Frieden anzunehmen. Die Mission der Gesandtschaft bleibt also aufrecht, und die Frage ist nur die, ob derzeit eine Aussicht vorhanden ist, daß sie ihren Zweck erreicht. Die Gesandten haben in der abgelaufenen Woche im Beisein der europäischen Vertreter ihrer Staaten, des vr. Leyds und deS vr. Müller, lange Berathungen mit den maßgebenden niederländischen Staatsmännern, dem Minister präsidenten Pierson und dem Minister des Acußern, de Beaufort, gepflogen. Zweifellos sind sie heute über die diplomatische Lage Europas aufgeklärt, und man darf annehmen, daß sie aus diesen Berathungen und Unterredungen die Ueberzeugung von der Aussichtslosigkeit ihrer FriedensvermittelungS - Be strebungen gewonnen haben. Die Sympathien der Völker ge hören den Boeren, aber die Regierungen werden vorläufig aus dem Stadium der Neutralität nicht herauStreten. Die? wissen die südafrikanischen Gesandten jetzt mit vollster Sicherheit und deshalb hegen sie keine Hoffnung mehr auf die Intervention einer europäischen Großmacht. Dagegen ist der letzte Hoffnungs schimmer auf die Friedensvermittelung der Ver einigten Staaten von Nordamerika noch keines wegs verflogen. Dort bildet die öffentliche Meinung eine viel größere Macht als in anderen Ländern, und keine Regierung kann ssck ihr ungestraft entziehen. Die öffentliche Meinung in Amerika spricht sich aber täglich mit größerer Offenheit zu Gunsten einer Friedensvermittelung deS Weißen Hauses aus. Alle Präsidentschaftskandidaten, Weiche Mac Kinley'S Wieder wahl bekämpfen, sowohl die demokratischen als die republika nischen. sprechen sich zu Gunsten einer solchen Intervention aus, und die außerordentliche Boerengesandtschast hofft, durch die Ankunft in Nordamerika mitten in der stärksten Agitations periode anläßlich der Präsidentschastswahl der JnterventionS- krage eine noch schärfere actuelle Bedeutung zu verleihen. Wenn Mac Kinley, der noch gern für eine weitere AmtSperiode im Amte verbliebe, sieht, daß seine Wiederwahl durch seine England freundliche Haltung gefährdet wird, so wird er als geschickter und selbstsüchtiger Politiker wohl bald sein Fähnchen nach dem Winde drehen und in London ein Wort sprechen, das dort nicht ungehört bleiben kann. Die Boerengesandten erwarten viel von ihrer amerikanischen Reise. Die Friedensvermittelung ist zwar der Hauptzweck, aber nicht der einzige Zweck der außerordentlichen Boerengesandtschast. Cie hat auch wrrthvolles Material zur Klärung der Vor geschichte d-z gegenwärtigen südafrika nischen Krieges mitgebracht, und man sagt, daß Staats rath Fischer den Mächten recht erbauliche Dokumente über die Jntriguen der Engländer seit dem Raubzuge Jameson'S bis in die neueste Zeit unterbreiten wird. Die ganze Welt weiß ohnehin schon, wer den Krieg und wer den Frieden gewollt bat. Aber eS wird immerhin nützlich sein, durch amtliche Aktenstücke zu be weisen, daß England seit Jahren auf die Einverleibung der beiden Boerenstaaten in daS britische Weltreich hinarbeitet und den gegenwärtigen blutigen Krieg vom Zaune gebrochen hat, um seinen Zweck zu erreichen. Ter Aiifildeiung englischer Reservisten tm vranjefrrtstaat wird von den Londoner Blättern plötzlich eifrig da« Wort ge redet. Den Anlaß zu dieser Idee hat anscheinend der Umstand gegeben, daß zahlreiche Reservisten der jetzt in Bloemfontein und Umgegend lagernden Truppen des Lord Roberts den Wunsch geäußert haben, sich in dem Boerenlande dauernd niederlassen zu dürfen. Sie rechnen darauf, daß nach Beendigung des Krieges sich gelernten Arbeitern eine sehr günstige Conjunctur im Lande eröffnen dürfte. Ein Officier eines der Garderegimenter hat in seiner Compagnie Erkundigungen angestellt und 72 Mann ge funden, welche nichts lieber wünschten, als an Ort und Stelle zu bleiben, wenn sie nur die Ueberfahrtskosten für ihre in England gebliebenen Familien erschwingen könnten. Man schlägt nun vor, die Regierung möge, statt die Reservisten zurücktranSportiren zu lassen, denselben lieber ihre Familie nachsenden und so de» Grundstock zu einer loyalen britischen Bevölkerung in den Boerenrepubliken legen. Auck in Officierskreisen findet dieser Gedanke Anklang, und es hat sich bereits ein Comitö gebildet, um für die seinerzeitige Ansiedelung von Veteranen in den Boeren- ländern — die vorerst allerdings noch unterworfen werden müßten — im Publicum Propaganda zu machen. Deutsches Reich. 2 vcrlin, 23. April. (Klerikale Anwälte des deutschen RichterstandeS.) Die Aeußerungen deS Münchener Professors vr. Lipps über den deutschen Nichter- stanv gelegentlich der Protestversammlung gegen die lcri Heinze haben un« nicht bebagt, so berechtigt auck die Abwehr zu crackten ist. Den klerikalen Sckreiern aber, die mit der ihrer Ricktung eigenen BersolgungSsnckt sich an die Fersen des genannten Universiiätslehrers geheftet haben, seien, damit sie fick etwas mehr Zurückhaltung auferlegen lernen, vier Zeilen aus dem officiellen Reickstagsstenogramm der lausenken ReichStagssession über die Sitzung vom 20. Juni 1899 in Erinnerung gekrackt, sie lauten: „Präsident: Der Herr Abgeordnete vr. Lieber hat die deutschen Gerichte einer „himmelschreienden Parteilichkeit" ge- zieben, dies kann ich nicht znlassen; ich ruse ihn deSbalb zur Ordnung." DaS sagte der Abg. vr. Lieber bei der ersten Lesung ter Vorlage über den Schutz de« gewerblichen ArbeitSverhältnisscs; er bat diese Aeußcrung nicht eingeschränkt, unk bei denselben Klerikalen, die sich jetzt als Hüter des An- srheiis des deutschen RickterstandeS aufspielen, ist bis heute nicht ein Wort deS Einspruchs gegen diese Herabsetzung laut ge worden. Der deutsche Ricklerstand steht so geachtet und so unangefochten in seiner Pflichttreue und seinem sittlichen Be wußtsein, daß solcke Invektiven wirkungslos zu Boden fallen; am wenigsten bedarf er zur Vertheidigung seiner Autorität der Arvocatcn, die ihre Qualification, wie eben nachgewiesen, noch unlängst dargethan haben. 41 Berlin, 23. April. (ReichsfondSausMitteln derfranzösischenKriegslostenentschädigung.) In einer durch die Presse gehenden, die Verwendung der franzö sischen KriegLkostenentschädigung von fünf Milliarden behandeln den Mittheilung werden unrichtige Angaben über die durch diese Mittel errichteten Reichsfonds verbreitet. Von diesem Fonds existirt der Kriegsschatz in seiner vollen Höhe von 120 Millionen Mark. Die Rcichsschuldencommission constatirt in jedem Jahre das Vorhandensein des Betrages. Der Reichsinvalidenfonds, der ursprünglich mit 561 Millionen Mark dotirt wurde, ver ringert sich der Natur der Sache nach von Zeit zu Zeit und wird schließlich, wenn er seinen Zweck erfüllt hat, gänzlich eingehen. Auch seine Verwaltung steht unter der Controls der Rcichs schuldencommission. Außer diesen beiden Fonds wurden aus der französischen Kriegskostenentschädigung drei Baufonds dotirt, und zwar der Festungsbaufonds, der Reichstagsgebäudefonds und der Reichseisenbahnbaufonds. Von diesen war der letzte Fonds zuerst aufgebraucht. Der Reichstagsgebäudefonds hatte seinen Zweck erfüllt, als das Reichshaus am Königsplatz in Berlin seiner Vollendung eutgegengeführt war. Was schließlich den Festungsbaufonds betrifft, so befinden sich in den Etats der letzten Jahre unter den Einnahmen noch bestimmte Summen, welche als Rückerstattung auf die aus diesem Fonds geleisteten Vorschüsse bezeichnet werden. Die Baufonds haben eine Verwaltung ge habt, die nach den gleichen Regeln wie die des Jnvalidenfonds eingerichtet war. — Die gegenwärtige Session des preußischen Land tags wird nach der „Magd. Ztg." am 15. Juni schließen. Im Herbst ist dann voraussichtlich eine Nachsession er- gviff. Etliche Minuten lang ehrte ich sein Schweigen, dann trieb mich meine jugendliche Neugierde dazu, weiter zu fragen: „Groß onkel, wie alt war Isa Herdringen, als sie starb? War sie ver- heirathet?" „Nein. Und sie starb al« Achtzehnjährige", erwiderte Groß onkel leise. „Weiß Gott, ich habe dieses reizende Kind geliebt, als ob «» mein eigen Fleisch und Blut gswcsen. Und ich — ein sonst gottesfürchtiger und gottergebener Mensch — hadere noch heute mit dem Himmel, daß dieser eS zulicß, daß Alles so und nicht anders gekommen." Meder schwieg Großonkel, urkd wieder fragte ich nach kurzer Paüse weiter: „Wie kam e» denn, Großonkel?" „Daß die Isa Herdringen so früh starb und daß auf ihrem kurzen Erdengang« sich das abspielt«, waS Ihr Modernen einen Roman nennt .... wie daS kam? Ja, mein Kind, in allen Einzelheiten kann ich's Dir nicht genau berichten, aber ich will Dir der Isa ihr Bild zeig«», und dann — wart' mal, /noch etwas Andere« 'sollst Du haben, hab' Dich ja, seit die Isa gestorben, am liebsten — deshalb sollst Du etwa« au« dem Nachlaß der Isa haben, da« mit einer alten Schatulle, die ihr gehörte, in meine Hände gekommen. Und dann wirst Du ungefähr wissen, wie «» kam." Großonkel trat an sein altmodische«, mit Messingringen and Beschlägen reich verzierte» Pult und entnahm einem Fach de», selben ein mit vergilbtem Seidenbande zusammengsschnürte» Päckchen. Obenauf lag ein kleine» Pastellbikd, einen entzückenden Mädchenkopf darstellend. Aschblonde» reiche» Haar umrahmte das zarte Oval eine» Gesichtchen», au» dem ein Paar first über großer hellbrauner Lugen den Beschauer anstrahlten. Die abfallenden, etwa» schmalen Schultern verrlethen, daß Isa Herdringen von zarter Gestalt gewesen. Um den kleinen Mund lag «in Auldruck von Hevzenlgüte, 'Kindlichkeit und Reinheit, und da» verlieh dem reizenden Gesichtchen «inen beson deren Zauber. „Sie war «ine Lichtgesialt", sagte Großonkel gevllhrt, „rin Engel, der zu früh in seine Sternenheimath heimgerufen wurde. Wie ost habe ich die kleine Isa, Stella Isabella war sie getauft, ober Isa nannte man sie von klein auf, auf meinen Knien ge schaukelt. wie ost habe ich ihr stolz nachgeschaut, wenn sie al» Backfisch auf ihrem Pony dahintrabte, oder, später als -aufge blähte Jungfrau, im Tanze schwebte. Fs herrschte dazumal ein rege» Leben auf Herdringen. DaS Hau» beherbergte sehr oft Gäste. Edi war Officier, und sein Regiment lag hier in der Stadt. Selbstverständlich war er hmtsig in Herdringen und fiHrte Mich seine Kameraden — die, -mit welchen er am inEmste» stand — dort ein. Dann gab «S Spiel und Tang. Jürgen Herdringen liebte e», wenn man vergnügt 'war, eS war der liebenswürdigste Gastgeber, den man sich denken konnte. Grob konnte er auch sein unter Umständen, aber ein« Seele von Mensch war er, und ein Ehrenmann Zeit seines Leben-, mein alter Jür gen. Gott'hold spielte gewöhnlich zum Tanz; wenn er auch hauptsächlich ernste Musil trieb, so that er dem jungen Volke doch gern den Gefallen, lustige Weisen zum Besten zu geben. Ich, damals schon hier in meiner alten Vaterstadt, ansässig, schüttelte de- Sonnabends Abends gern den lästigen Äctenftaub ab, miethete mir ein Wäglein und fuhr hinaus nach Herdringen. Noch öfter aber geschah e-, daß «inS von den Mädels auf der großen Liniendroschke zur Stadt — damals stand noch die „Reval'sche Pforte" — durch besagtes Thor gefahren kam, um mich, ich wohnte nahebei, abzuholen. Kind, Kind, da» -waren sonnige, wonnige Tage, damals." Die Augen de« alten Manne» wurden feucht bei dem Ge danken an enkschwunbene, schönere Zeit — mir aber, dem jungen Blut, brannte das Päckchen, die engbeschriebenen Brief- öder Tagebuchblätter förmlich in den Händen. Natürlich war'- ein LiebeSroman. Mit all' -dem EgoiSmu» meine» jugendlichen Alter» dachte ich nicht daran, Großonkel, dem ich eigentlich einen längeren Nachmittagkbesuch zugedacht, noch weiter Gesellschaft zu leisten.? Mochte er selber mit dem Schemen der Vergangenheit — die er auSnahm»weife heute heraüfbeschworen, denn er pflegte sonst nur karge Berichte über seine Erlebnisse zu geben — fertig wer den; ich brannte darauf, mich in den Inhalt der vergilbten Blätter zu vertiefen. Schnell verabschiedete ich mich von Großonkel und schritt eilig durch den Vorgarten der kleinen Villa, welche -an der zum Meer führenden Straß« lag. Al» ich di« grün« Gartenpforte hinter mir schloß, zeigte mir «in Rückblick auf da» wrinumsponnene Villenhäu»chen Großonkel, der am offenen Fenster faß und durch seine große, horngefaßte Brille Iso Herdringen'» Bild betrachtet«. Dte Bienen summten um die weißen Jalmlnkelche, welchen berauschender Dust entströmte — ein wundervoller Sommer nachmittag war'», erfüllt von -auberischem, poetischem Reize und wie geschaffen dazu, sich Einem in- Herz zu schmeicheln und Einen träumen zu lassen von allerhand romanhaftem, krausen H Wie dankbar war ich Großonkel für die vergilbten Blätter, welch« ich, fest an meine Brust gedrückt, au» der stillen Gelehrten- clause in die Welt hinau»trug. Wo mein Berstandniß für den Zusammenhang in ihnen aufhören sollte, da würde mein« leicht beschwingte Phantasie mühelos lustige Brücken -bauen und daS Ganze würde für mich nichts an Interesse einbüßen. DaS wußte ich, und ich beschleunigte meinen Gang, um so bald als möglich die stille, lauschige Laube in meiner Eltern Garten zu erreichen und dort mehr von d«r reizenden, blonden Isa Herdringen zu erfahren. Eben noch — cs ist manches Jahr seitdem verstrichen — steht jener köstliche Sommernachmittag un auslöschlich in meiner Erinnerung .... ich sehe mich, wie ich mit glühenden Wangen in der Akazienlaube sitze und da» blasse Seidenband von den gelblichen Blättern löse .... Und dann, als die Schatten der Dämmerung auf die blauende Ostsee — ich habe von der Laube au» den Blick auf daS Meer — und die Perle an feinem Gestade, daS reizende Provinzialstädtchen, sinken, da hebe ich tief aufathmend, mit verträumtem Blick mein Auge von den Blättern in meiner Hand — ich weiß nun, warum der TodeSengel seine düsteren Schwingen so früh um Isa Herdringen geschlagen und ihre Seel« emporgetragen zu den Sternen — zu Gott. Ich weiß, weshalb ihr Glück, ein so reiches, jauchzende» Glück, so kurz gewesen, warum sie den bitt'ren Kelch leeren mußte bi» zur Neige .... Und jetzt — ich bin aller dings über di« Stadien der romantischen Träumereien hinaus, bin längst ehrsam« Hausfrau und Mutter — jetzt — just an einem Sommernachmittag voll Bienengesumm und Ja»minduft — schreibe ich Jsa'S Roman nieder, damit außer mir auch noch Andere, die gern theilnehmen an fremdem Glück, und fremdem Leid, erfahren, wie «» kam .... l. „Marte Charlotte, wirst Du kenn nicht endlich die Kirappkäf« eingepackt haben, Du bist noch in der WirlhschäftSschürzr und Dein Haar ist aufgegangen und unsire Gäste müssen bald kommen." „Gedulde Dich noch ein Wetschen, nach fünf Minuten bin ich fertig", erscholl die von einer klangvollen Altstimme gegebene Antwort. In der Mitte eine» Höhen luftigen Zimmer», dessen Fenster auf einen großen Obst- und Gemüsegarten schauten, stand vor einem weißgescheuerten Holztisch Marie Charlotte v. Herdringen. Sie trug «in einfache» blaue» Leinenkleid und eine große buntgemusterte WIrthschaftSschürz«. In der einfachen Tracht kam ihre volle hübsche Figur gut zur Geltung. Mit den wohl- geformten, leicht gebräunten Händen hantirt« fi« eifrig zwischen großen Kohlblättern, in Mlche sie di« kegelförmigen, in ihrer gekben Schmanvkruste appetitlich au »sehenden KnapMs« ver packte. Marie Charlotte leitete, seit sie erwachsen, den ganzen, weit läufigen Hausstand auf Herdringen und vertrat Mutterstelle an ihren beiden Schwestern, welche um mehrere Jahre jünger waren als sic. Ihre energisch, fast männlich geschnittenen Züge, über welche gewöhnlich strenger Ernst gebreitet lag, erhellten sich beim Anblick ihrer jüngsten Schwester, ihres Lieblings. „Gleich, gleich", wiederholte -sie und nickte der auf >der Schwelle des großen Wirihschaftszimmers Stehenden freundlich zu. „Komm, Isa, hikf mir einpacken, morgen in aller Frühe bringt der Gärtner den Korb zur Stadt. Die Käse sind, wie Du weißt, sämmtlich bestellt, für Stadthaupts und für Pastors habe ich extra schöne ausgesucht." Mari« Charlotte war ungemein praktisch, sie machte zu Gelbe, was 'sich dazu verwerthen ließ — di« Herdrmgen'sche Butter, die Knappkäfe und das Gemüse waren berühmt und fanden stets Abnehmer. Isa kam gehorsam herbei, um der Schwester zu helfen. Gleich dieser trug sie ein dunkelblaues Leinen-kleid, nur trat bei ihr an Stelle der Wirttzlchaftsschürze, welche Marie Charlotten'- kräf tige Hüften breitspurig umspannte, «in Tändelfchürzchen aus weißem, gesticktem Mull. Isa'» aschblonde» Haar lockte sich an den Schläfen und fiel fhr in zwei dicken Zöpfen über den Rücken. „Wo steckt eigentlich Walburga?" fragte Marie Charlotte. „Sie fuhr vor einer halben Stunde zur Stadt mit Papa. Cie wollten, glaube ich, Onkel Gregor abholen." „Und Du, wa» hast Du den Nachmittag über getrieben?" »Ich — Lotte — ich war im Walde. Der Nachtschatten blüht ja jetzt — ich Hobe «inen großen Strauß gepflückt und Vergißmeinnicht und wilde Rosen dazu, auch Gartenstief mütterchen und Zittergras, und dann habe ich Bruder Edi em Gla» voll Blumen in» Zimmer gefetzt und in die Fremdenstube die geschliffen« Vase mit einem ebensolchen Bouquet." „Co — so." Marie Charlotte legte eine letzte Schicht Kohl blätter auf den fertig gepackten Korb, trat dann auf Jfa zu und n-ahm da» blonde Köpfchen zwischen ihr« großen, kräftigen Hände. „Sieh mich einmal stramm an, Kind — fo — und nun sage mir, gelten die Blumen in der geschliffenen Vase etwa dem schmucken Bernitz?" (Fortsetzung folgt.)
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