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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.05.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000509017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900050901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900050901
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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So hat in der letzten Zeit der so große und wichtige Berufs stand der Aerzte einen festen Zusammenhalt bekommen durch die Bildung der Ehrengerichte. Bis dahin waren die Aerzte zwar in Aerztekammern vereinigt, aber da der Kammer keine Straf gewalt gegen Aerzte, die sich gegen die Ehre des Standes ver gingen, zustand, so glich sie einem Messer ohne Heft, dem die Klinge fehlt. In Folge der wachsenden Concurrenz, die oft einen wenig rühmlichen Wettstreit hervorrief, sank das Ansehen des Aerztestandes und die Gerechten mußten mit den Ungerechten leiden. So kam es allmählich dahin, daß die Aerzte, die ur sprünglich von der Institution der Ehrengerichte nichts hatten wissen wollen, in ihrer großen Mehrzahl mit der Bildung von Ehrengerichten sich einverstanden erklärten. Dadurch wurde der Aerztestand eine fest gesicherte Corporation, der die Möglichkeit gegeben war, sich intact zu erhalten und das alte und wohl begründete Ansehen ihres Standes zurückzugewinnen. Zum Wesen und zur Bedeutung einer Corporation gehört es aber, daß sie in sich geschloffen ist und in ihrer Thätigkeit nicht durch Einflüsse von außen behindert oder bevormundet wird. Leider hat die preußische Aerzteschaft sehr bald die Erfahrung machen müssen, daß der Uebereifer der Regierung ihr eine gesunde Selbstverwaltung nicht überlassen wollte. Ohne jeden erkenn baren Grund ist in der Geschäftsordnung für die Ehrengerichte angeordnet worden, daß der Vorsitzende jedes Ehrengerichts ver pflichtet sein soll, von jeder ehrengerichtlichen Be strafung eines Arztes der Staatsanwaltschaft Mit teilung zu machen, wohlverstanden, von jeder ehren gerichtlichen Bestrafung, einerlei, ob das Vergehen des Bestraften gleichzeitig eine Verfehlung gegen die Strafgesetze enthält, oder ob es lediglich in einem Verstoße gegen die Standessitte und die Standesehre besteht. Diese von uns be reits gerügte Bestimmung hat nicht nur bei den preußischen Acrzten die größte Verstimmung erregt, sondern auch die Aerzte schaft im ganzen Reiche in Aufregung versetzt. So drückt sich die „Münchener Medicinische Wochenschrift" in sehr scharfer Weise dahin aus, daß die an die Ehrengerichte gestellte Zumuthung eine geradezu unwürdige sei. Man kann sich darauf ver lassen, daß die bureankratische Maßregel der preußischen Regie rung die Zuneigung der Süddeutschen zu dem führenden Staate nicht eben erhöhen wird, denn durch diese Maßregel wird die Er innerung an den P o l i z e i st a a t Preußen, wie er in der vor märzlichen Zeit und dann wieder in den fünfziger Jahren bestand, nur zu lebhaft wachgerufen. Derartige Vorkommnisse können natürlich die Neigung zum Zusammenschlüsse von Berufsständen nicht fördern. Dieser Zu sammenschluß aber liegt nicht etwa nur im Interesse der einem Berufe angehörenden Einzelpersonen, sondern auch im wohlver standenen Interesse des Staates. Der Gegner des bestehenden Staats, die Socialdemokratie, erfreut sich einer festen Organi sation. Diese Organisation ist nicht nur eine politische, wie in den massenhaften Wahlvereinen, sondern auch eine wirthschaft- liche, wie in den Gewerkschaften und den socialistischen Konsum vereinen, und eine gesellschaftliche, wie in zahllosen Ge selligkeitsvereinen. Bei der Socialdemokratie ist auch eine feste berufsmäßige Gliederung vorhanden. Da giebt es Verbände der Metallarbeiter, der Tischler, der Buchdrucker u. s. w. Dieser socialistischen Organisation gegenüber ist auch eine Organisirung der bürgerlichen Berufsstände dringend erwünscht. Wir wissen sehr wohl, daß die Organisation der Aerzteschaft nicht den Zweck hat und ihn auch nicht haben soll, eine Phalanx gegen die Social demokratie zu bilden, aber jeder Zusammenschluß bürgerlicher Be rufe bildet an sich schon einen Damm gegen die Ueberfluthung durch socialistischc Tendenzen. Indem also die Bureaukratie den bürgerlichen Berufen durch unangebrachte Einmischung die Neigung zu festem Zusammenschlüsse verleidet, erschwert sie zu gleich den auch im Staatsinteresse auf das dringendste gebotenen Kampf gegen die Socialdemokratie. Es muß überhaupt generell gesagt werden, daß die staatliche, speciell die bureaukratische Be vormundung den auch von höchster Stelle gewünschten Kampf des Bürgerthums gegen die" Elemente des Umsturzes erschwert. Denn wenn sich der Staat immer wieder in alle Dinge des öffentlichen Lebens einmischt, so muß der Bürger zu der Auf fassung gelangen, daß auch dem Staate allein der Kampf gegen die Socialdemokratie obliege. Nur ein selbstständiges und selbst bewußtes Bürgerthum ist zu diesem schweren Kampfe im Stande. Es kommt aber noch eins hinzu. Der Bürger, der auf Schritt und Tritt von der Bureaukratie eingeengt, verärgert und vergewaltigt wird, sieht es mit einer gewissen Schaden freude an, wenn der „Racker von Staat" sich wenigstens im Kampfe mit einem Gegner nutzlos die Zähne ausbeißt und wenn wenigstens dieser eine Gegner dem Staate das Gefühl einer ge wissen Ohnmacht beibringt. Weniger Reglementirerei, weniger Bevormundung durch die Bureaukratie, und das deutsche Bürgerthum wird sich seiner Haut gegen die Socialdemokratie schon wehren. Aber indem die Bureaukratie der Selbstständigkeit der Korporationen, wie der Einzelnen Fesseln anlegt, macht sie selbst die Waffe stumpf, deren der Staat sich sonst bedienen könnte. Der Krieg in Südafrika. —t>. In einem Artikel über die Erfolge deS RobertSschen BorstotzeS sagten die „Times", es werde keinem nützlichen Zwecke gedient durch den Versuch, jedem Marsche den Anschein eines glänzen den Fortschrittes oder eines großen strategischen Triumphes zu geben. Der Vormarsch müßte vielmehr als eine Reihe gut ausgeführter Bewegungen betrachtet werden, in denen der Glanz der Raschheit nothgedrungen praktischen Zielen, die noch nicht vollständig enthüllt sind, untergeordnet sei. Alles deute aus eine starke Ansammlung der Boeren in Kroonstad, aber es sei abznwarten, ob diese zu kräftigem Widerstand entschlossen sein werden. Wird ein solcher nicht beabsichtigt, so könnte Lord Roberts vor der Mitte des Sommers vor denThoren vonPretoria stehe n. Ein Eapstadter Telegramm meldet, der größere Tbeil der Streitkraft Hunters werde bis Klerksdorp und Potches- stroom vorrücken, mithin den ersten wirklichen Ei »fall in Transvaal bewerkstelligen. * Thabanchu, 8. Mai. (Telegramm.) Die Division der Colonialtruppen des General Brabant ist heute hier eingetrosfen und hat sich mit General Rundle's Streitmacht verbunden. Alles ist ruhig. Vom Feinde ist nichts zu sehen. (Renten) * Lauren?» Marques, 6. Mai. (Reuter's Bureau.) In einer hier ans dem Lager des Obersten Plumer eingetrosfenen Depesche vom 26. April wird berichtet: Die Boerentruppen vor Mafeking haben nach und nach Verstärkungen erhalten und werden jetzt ans 3000 Mann geschätzt. Dem Obersten Plumer ist es gelungen, durch Brieftauben mit Mafeking zu verkehren. Er bemüht sich auch, mit der südlich stehenden Entsatzcolonne eine Ver bindung herzustellen. Tie militärische Lage im Oranje-Freistaat. Zum besseren Verständniß des Aufmarsches des Heeres unter General Roberts dürfte es nützlich sein, die Bewegungen der einzelnen Truppencorps seit dem Aus marsche aus Bloemfontein kurz zu recapituliren. Am 26. April besetzre General Smith Dorrinan's Brigade den Flecken Thabanchu, nachdem General Hamilton bei Israel Poort ein kurzes Nachhut-Schar mützel mit dem langsam zurückgehcnden Feinde gehabt. Am 27. April langte auch General Rundle's Division, von De Wets Dorp kommend, in Thabanchu an. General Pole- Carew traf von ebendort am 30. April wieder in Bloem fontein ein. General Brabazon mit seiner Aeomanry- Cavallerie war inzwischen gleichfalls von Wepener zurück gekehrt und hatte sich am 29. April den übrigen Truppen um Thabanchu angeschlossen. An demselben Tage erreichten die Generäle Hamilton und Smith-Dorrian Jacobs ruft, so daß am Ende des Monats April drei Brigaden Infanterie, zwei Brigaden Cavallerie und die berittene Infanterie, im Ganzen etwa 18 000 Mann um Thabanchu standen. Sie erwiesen sich nicht start genug, um die dortigen befestigten Stellungen der Föderirten zu nehmen und so beschloß General Roberts, eine Umgehung dieser Position zu versuchen. Am 2. Mai ging General Hamilton, durch Infanterie und Artillerie verstärkt, gegen Hout Nek, 20 Kilometer nördlich von Thabanchu, vor, welches der von drei Seiten bedrohte Gegner räumte. Gleichzeitig detachirte General Roberts Oberst Henry mit einer Abtheilung berittener Infanterie von Karee Siding aus ostwärts. Dieser wurde zweimal zurückgeworfen, bis ihn erst General Hamilton von Hout Nek aus und dann nach einem weiteren Mißerfolge der C avallerie auch noch General Max well's Infanterie-Brigade verstärkte und es General- Leutnant Tucker, welcher inzwischen den Oberbefehl über diese drei Corps übernommen, gelang, sich dreier Kopjes zu be mächtigen, welche die Straße nach Schans Kraal beherrschen. Diese drei Kopjes liegen, nebenbei bemerkt, etwa auf gleicher Höhe mit Karee Siding und keineswegs, wie die ersten englischen Berichte behaupteten, etwa 25 Kilometer weiter nördlich bei Vlak Fontein. Indessen war auch die II. Division, be stehend aus den Garden und der 18. Brigade, nm Dienstag, den 1. Mai, aus Bloemfontein crusmarschirt und den übrigen Truppen, deren linken Flügel bildend, der Bahnlinie nach Brandfort folgend, parallel vorgerückt. So befanden sich am 3. Mai früh einige 40000 Mann auf dem Vor marsch« gegen Norden und Nordosten, zusammen gesetzt aus den Truppen der Generäle French, Pole - Carew, Jan Hamilton. Tucker, Kelly-Kenny und Colvile. Di« Front dieses Vormarsches erstreckte sich von Karee Klooß über Kalk Fontein nach Jacobsrust, einige 45 Kilometer breit. Am 3. Mai besetzte General Tucker das von den Föderirten freiwillig geräumte Brandfort und Hamilton'» Cavallerie erreichte nach einer kurzen Rast in Jacobsrust am 4. Mai Welkom, das kurz vor dem Vetflusse zwischen diesem und der Straße, welche von Kalk Fontein nach Wynburg führt, liegt. Am gleichen Tage hatte auch General Brabant, von Wepener kommend, Taba Pachoa, einige 30 Kilometer südöstlich von Thabanchu, erreicht und scheint sich somit gleichfalls diesem Puncte zu nähern und den Versuch eines Vormarsches auf Lady- brand aufgegeben zu haben. Roberts läßt mithin letzteres, sowie die von der Basutogrenze durch Vas Hügelland um Thabanchu. führende Straße in ven Händen der Föderirten. Eine nüchterne Kritik. der Lage auf dem Kriegsschauplätze übt heute wieder der m.Ii tärische Berichterstatter des „Sunday Special". Derselbe be richtet: „Endlich! Endlich! Noch einmal befindet sich Lord Rober:» auf dem Vormarsche . . . ü Berlin, gen Pretoria, d. tz. mit der festen Absicht, Alles vor sich herzutreiben. Thut er bas nichr, so wird es jedenfalls seine eigene Schuld sein, denn Alles ist zu seinen Gunsten. . . Weshalb sollten wir denn aber irgendwie zweifeln oder zögern und nicht an einen baldigen Triumph, einen spielend leichten Marsch zum Vaalflusse, eine große Schlacht hinter diesem, und bann eine Kapitulation der Boeren auf der ganzen Linie glauben? Aus dem sehr einfachen Grunde, weil in "diesem Kriege mehr denn in irgend einem früheren nichr» so sicher ist, als das Unvorhergesehene. Gerade das Unerwartete ist stets eingetrosfen, das, was der Mann auf der Straße uie- mäls erwartete und eine selbstzufriedene Regierung nicht für möglich halten wollte, was aber einige wenige scharfsichtige Kenner aus den Karten vorhergcsagt. . . . Die Hauptschwierigkeit, welche Lord Roberts auflauert, wird die sein, den Feind zu packen. . . Stand halten und den Kampf aufnehmen mit einem gut gerüsteten Feinde, der ihnen mit erdrückender Uebermacht entgsgentritt, hieße diesem in die Hände spielen und die eigene Vernichtung besiegeln. So tbörichr werden die Boeren nicht sein und deshalb mehr denn je eine Taktik des Aus weichens befolgen. Wie sie bei Wepencc. Thabanchu und Brandfort uns ausgewichen, so werden sie immer und immer wieder dicht unter der Nase unserer Cavallerie ver schwinden, um gleich darauf ebenso unaufhörlich in unserem Rücken wieder aufzutauchen. Sie werden nichts destoweniger ihren scheinbar himmelgeborenen Jnstinct lang erprobter und geübter Strategik und Kriegslist wider unsere göttliche Einfalt und prächtige Ahnungslosigkeit ins Feld führen. Sie werden mit ihrem wunderbaren militärischen Scharfblick uns immer wieder -Fallen stellen, Abtheilungen abschneiden, sich der entscheidensten Puncte vor uns bemächtigen und mit ihrer noch wunderbareren Beweglichkeit uns vielleicht mehr unerfreu liche Ueberraschungen, mehr unglückliche „Zufälle" von der Sorte bereiten, welche schon demüthigende Niederlagen über uns ge bracht haben. Es ist unmöglich, das feindliche Gefühl ab zuschütteln, daß solche Unglücksschläge wiederkehren dürften. Jedenfalls haben wir keine zuverlässige Gewißheit dafür, daß Lord Roberts nicht wiederum zum Narren gehalten wird. . . . Der Verlust des Konvois am Koorn Spruit, die Uebergabe von Reddersburg verdanken wir zum großen Theil dem General oir osseck. Er oder sein Stab hatten keine Ahnung auch nur davon, daß die überlegene Streitkraft überhaupt existirte, gegen welche die Broadwood sich den Kopf einrennen ließen. Ebenso wußte das Intelligenz-Departement etwas von der Anwesenheit des Feindes. Das Unglück von Reddersburg -wurde verursacht durch die allzu große Leichtgläubigkeit an die Pacificirung des Landes. . . . Auch beute noch herrscht eine Art Chaos in dem Transportdienst u. s. w. sowohl in Bloemfontein, wie hinter der Front, Lord Roberts, offenbar unbefriedigt durch die Organi sations-Methode Lord Kitchencr's, hat diesen durch Sir William Nicholson, Roberts' früheren militärischen Sekretär, ersetzt. Ob Nicholson seine Aufgabe besser lösen wird wie Kitchener, bleibt abzuwarten. Lord Roberts hat seit seiner Ankunft in Afrika in angestrengtester Weise daran gearbeitet, den Verpflegungs- und Transportdienst auf indischen Fuß zu stellen, d. h. zu reorganisiren, wie er selbst ihn auf seinen FenrHeton» Der Humor in der Klinik. Von Dr. wock. F. E. Brendel, Nachdruck verboten. Man wird von vornherein erwarten, daß die Klinik, die Stätte des Leidens, des Jammers und Elends, kaum der Ort sein dürfte, an dem sich auch nur die Spur lachenden Humors entwickeln kann. Gewiß! Der Aufenthalt in der Klinik stimmt auch die Aerzte ebenso wie die Kranken ernst; und man wird wohl auch meistens finden, daß die jungen Mediciner die „klinischen Semester" oft weit über ihr Alter hinaus ernst sind. Aber gerade wenn die jungen Studenten ernst und theilnahms- voll von Krankenbett zu Krankenbett eilen oder in der Poliklinik einen Kranken nach dem andern sehen, wirkt in dieser drückenden, deprimirenden Umgebung jedes heitere Moment doppelt stark, doppelt erfrischend. Da sind vor allen Dingen die höchst seltsamen Anschauungen der Kranken über Art und Entstehung der Krankheit, wie über das Wesen der Heilmittel. „Ach, lieber Herr Doctor, legen Sie doch meinem Kinde wieder das Röhrdel ein, das hat 'm ja gestern so gut gethan", flehte eine Mutter, die ihr krankes Kind besuchen kam, den ersten Assistenzarzt an. Das Wunder wir kende „Röhrdel" war das Fieberthermometer. Ihr Wunsch wurde natürlich erfüllt, und als das Kind ein paar Tage darauf als gesund entlassen wurde, schwor die Mutter Stein und Bein, nur das Röhrdel habe geholfen. Weit verbreitet ist die Humoral pathologie, die Lehre von den schlimmen Säften. Der Eine be hauptet bei der Prüfung seiner Leiden, daß sich seine Säfte ver dickt haben, der Andere, daß sein ganzes Blut schleimig ge worden sei, und der Dritte, ein biederer Schlesier, erzählte gar: „Ich weeß nich, mei Blutt muß reine knorplich geworden sein." Woraus er das schloß, hat er nicht verrathen, aber die Ueber- zeugung hatte sich ihm unumstößlich aufgedrängt. Sehr beliebt ist die Vorstellung von der Wanderfähigkeit der Krankheiten. Daß die „fliegende Gicht" in die unmöglichsten Körpertheile, z. B. in die Leber, fliegt, ist selbstverständlich. Merkwürdiger Weise ist aber selbst die akrobatenhafteste Wan derin im Glauben des Volkes noch gar nichts gegen die Wander lust der — ,ir venia verbo — Hämorrhoiden. Alle Augenblicke konnte man es hören, daß der »in« Patient behauptete, sie seien ihm „auf die Brust geschlagen" oder aufs Herz; und der Eine behauptete sogar steif und fest, sie seien ihm in den Kopf gestiegen und seitdem sei er wie dumm um den Schädel. Doch das sind schließlich alles Vorstellungen und An schauungen, die nicht an die Klinik gebunden sind, sondern jedem Arzte begegnen werden, wobei natürlich je nach Provinz und Volkscharakter reichliche Abwechselung eintritt. Aber zu curiosen und erheiternden Konsequenzen führt das Verhalten der Patienten gegenüber den jungen Studirenden, die sie oft, und ja schließlich nicht ganz mit Unrecht, nicht für voll ansehen und in Folge dessen ein wenig chicaniren. Das können die Patienten am besten, wenn der junge Kliniker ihr Nationale aufnimmt und die Vorgeschichte der Krankheit zu ergründen sucht. Namentlich die Berliner leisten da ganz hübsche Scherze. Einige wörtlich wiedererzählte Dialoge mögen das am besten illustriren. „Was sind Sie?" „Nu, det hören Se doch: heiser!" „Nein, lieber Herr, ich meine nicht, was Ihnen fehlt, sondern was Sie von Beruf sind." „Aber Herr Doctor, det muß Ihnen doch janz jleich sind; oder behandeln Sie etwa hier die Jrafen anders als die Schuster?" „Also Schuster?" „Nee, Doctorken, det habe ick nicht jesagt; ick könnte ja auch Jraf sind; ick bin Schneeschipper." „Aber wir sind doch mitten im Sommer." „Sehn Se, det is mein Unjlück, nirgends kriege ick Arbeet." Hier mischte sich der Professor ein, der, bewaffnet mit göttlicher Grobheit, in einer Minute alle Auskünfte erhielt; sonst hätte das socialphiloso- phischc Gespräch wohl noch lange kein Ende genommen; denn da der nicht eben schwerkranke Patient merkte, daß sich die Corona vor Lachen kaum halten konnte, so hätte er wohl den armen Stu- direnden noch lange chicanirt. Ein anderes Gespräch. „Wie heißen Sie?" „Müller." „Was fehlt Ihnen?" „'n Haufen Jeld, sonst ginge ich bei Jeheimrath Gerhard, un nich in die Klinik." „Machen Sie hier keine Witze; worüber klagen Sie?" „Als wie icke? Klagen? Habe ick schon jeklagt? Ne, keenen Laut, und wenn Se mir massakriren!" „Seien Sie doch vernünftig! Also, woran leiden Sie?" „Haha, det is jut! Sie wollen von mir wissen, woran ick leide; det sollen Sie mich doch jrade sagen, det is doch de Kunst." „Na, zum . . . Weshalb sind Sie denn her gekommen?" „Damit Se mir gesund machen. Aber wenn Se nich wollen, 's jiebt ja noch mehr Kliniken." Spruchs, und ging wirklich in eine andere Poliklinik; denn in diesem Falle hatte der Professor oder Assistenzarzt versäumt, rechtzeitig einzugreifen. Die Kunst, mit den Patienten umzugehen, wird den Medicin Studirenden natürlich auch in der Klinik einigermaßen bei« gebracht; namentlich die schwere Kunst echter Humanität am Krankenbett. Dabei entwickeln manche Professoren freilich oft schnurrige Anschauungen. So forderte einst ein sehr berühmter Kliniker einer mitteldeutschen Universitätsstadt den Praktikanten in lateinischer Sprache, damit der Patient nichts merke, auf, diesem recht schonend seine schwere Krankheit, Lungenschwind sucht und andere tuberkulöse Erscheinungen, beizubringen. Der angehende Doctor begann allerhand zu stottern, wie: „Seh'n Sie 'mal, Sie haben doch gemerkt, daß Sie stark husten, und dann haben Sie doch auch schon Blut gehabt . . ." „Nein" unterbrach ihn der Professor, „so macht man das nicht." Darauf legte er dem Patienten die Hand auf die Schulter und sprach mit vollendeter Liebenswürdigkeit: „Lieber Mann, Sie sind ja durch und durch tuberkulös." In Breslau lebte vor einer Reihe von Jahren ein sehr be rühmter Gynäkologe, der grundsätzlich niemals einem Studenten glatt Unrecht gab; er wollte nicht, daß die Patientinnen merken könnten, daß sie von noch nicht ganz fertigen Aerzten untersucht und eventuell, wenn auch unter Aufsicht des Professors, behandelt würden. Da gab es dann drollige Erwiderungen. So fragte er einst den Praktikanten: „Für wen ist diese Operation gefährlicher, für die Mutter oder das Kind?" Der Praktikant dachte sich, daß beim Rathen die Chancen fürs Richtigrathen 50 Procent ausmachten; und er rieth, daß die Operation für das Kind ge fährlicher sei. Darauf erwiderte der Professor mit der ihm eigenen Ruhe: „Sehr richtig, gut! Gefährlicher ist es für das Kind, aber am gefährlichsten ist es für die Mutter." Daß der artige Vorfälle in der Klinik auf die Anderen erheiternd wirken, ist nicht zu verwundern: Schadenfreude ist ja bekanntlich die reinste aller Freuden. Nur einmal erschien diese eigenartige Freude des Professors auch den Nichtbetheiligten fast noch mehr bösartig als erheiternd, so scharf war sie. Damals machte ein Student im — sage und schreibe — vierzigsten Semester bei ihm das Examen, das ja auch öffentlich vor den anderen Studirenden stattfindet. Der Professor forderte dieses bemooste Haupt zu einer bestimmten Untersuchung auf, und der ehrwürdige Student wollte sich mit Feuereifer ohne Weiteres an die Untersuchung machen. Aber da hielt ihn der Geheimrath mit den Worten zu rück: „Einen Moment! Das mag ja zu Ihrer Zeit so gelehrt worden sein; wir Jüngeren desinficiren uns erst!" Merkwürdige Geschichten passiren auch in den Augenkliniken. In die Augenkliniken der beiden östlichen Universitätsstädte Königsberg und Breslau kommen in großen Mengen auch russisch- volnssch« Israeliten, die den «igenrn Lapacitäten weniger trauen als den deutschen. Da diese Männer häufig nur hebräische Lettern lesen können, so findet man regelmäßig in diesen Städten neben den Tafeln in deutscher Schrift, die im Untersuchungs zimmer als Leseproben an der Wand hängen, auch solche in hebräischer Schrift. Die Tafeln sind so eingerichtet, daß oben ganz große, einen halben Fuß hohe Lettern stehen, und weiter nach unten immer kleinere Buchstaben folgen; das Ganze sind fort laufende Sätze. Nun ließ einst unser alter Geheimrath einen alten Pollacken zur Prüfung der Sehschärfe vor die Tafel treten. Er laß fließend. „Immer weiter zurück", befahl der Professc. Der Patient trat zurück, erst sechs Schritt, dann noch sech» Schritt, aber in der unwahrscheinlichsten Entfernung las er noüi die winzigste Schrift. „Sie haben ja ganz außergewöhnll. - gute Augen." „Ich? Wieso?" fragte der Patient verwundert „Sie glauben doch nicht etwa, das ich das gelesen habe; aber kann doch natürlich das Gebet auswendig." Das Gegenstück diesem allzu scharfsichtigen Patienten war ein anderer, ein W. liner, der bereits die obersten Buchstabenreihen nicht lesen z. können behauptete. Das schien dem Professor nach dem ganzem übrigen Befund und aus dem ganzen Krankheitsbilde absolu unglaubwürdig. Vergebens forderte er den Patienten auf, sü' Mühe zu geben, es doch zu versuchen, der Kranke blieb dabei, « könne nicht. Endlich riß dem Professor die Geduld und e schnauzte den offenbar widerspenstigen Patienten an: „Himmel herrgottsakrament, wenn Sie nicht sofort lesen, sperre ich Sie drei Tage in die Dunkelkammer." Das wirkte, der Patient konnte plötzlich lesen, und als der Professor ihn fragte: „Nanu, wieso geht's denn nun?" erwiderte er naiv: „Na, mit Jewalt!" Die schönsten Antworten erhielt bisweilen jener alte innere Kliniker, der die seltsame Gewohnheit hatte, manchmalanPatienten oder deren Angehörige die Frage zu richten, die er eigentlich an seinen Assistenten richten wollte. Einst fragte er die Großmutter eines kranken Kindes, eine alte Bauersfrau vom Lande: „Und wie ist's denn mit dem Puls des Kindes?" „Ach, entschuldigen Sie nur, Herr Professor, ich wußte ja nicht, daß ich den mitbringen sollte." Ein anderes Mal stellte er an eine Mutter die unüb.-r legte Frage: „Wie steht's denn mit der Psyche des Kindes?" woc auf prompt die Antwort erfolgte: „Nu, ich dank auch schön Gott sei Dank, das is ja so weit ganz regelmäßig jeden Morgen." Ja, man erlebt ganz sonderbare Sachen.
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