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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000512020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900051202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900051202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Von besonderer Bedeutung ist darin die Bestimmung, daß die besonderen Schieds gerichte der Invaliditäts-Versicherung und für die Berufsgenossenschaflcn durch einheitliche, terri torial abgegrenzte Schiedsgerichte für Arbeiterversiche- rungen ersetzt werden. Die Socialdemokratcu brachten, wie zuvor, eine Reihe zweckloser AbänderungSauträze ein; die Parteien aber hatten sich geeinigt, die Reform zu Stande zu bringen und alle Ouertreibercieu zurückzuweisen. So wurde im Wesentlichen bis Commissionsfassung an genommen. Hervorzuheben ist noch, daß auch die von der Kommission beantragte Resolution zur Annahme gelangte, welche die verbündeten Negierungen ersucht, dem Reichstage thunlichstbalo einenGesetzentwurf über Unfallversicherung der bei Rettung oder Bergung von Personen ober Sachen verun glückten Personen vorzulegeu. Hoffentlich kommen die verbündeten Regierungen, die Sorge dafür getragen haben, daß feder im Zuchthauj'e, im Gefänguiß oder in Untersuchungshaft befindliche Gefangene, dem darin ein Unfall zustößt, nack Verbüßung seiner Strafe oder nach seiner Entlassung als Reichsinvalide heimkehrt, diesem Ersuchen recht bald nach. Denn wenn man bedenkt, daß die Mitglieder der freiwilligen Feuer- und Wasserwehren Leben und Gesundheit bei Feuers- und Wassersnoth und sonstigen Gefahren für ihre Mitmenschen aufs Spiel setzen und daß die Frage der Unterstützung ver unglückter Wehrleute hier und da erst nach zeitraubender Unter suchung und nachgewicseuer Bedürftigkeit in durchaus unzulänglicher Weise gelöst wird, so kann man sich nicht ver hehlen, daß die Feuerwehren der Fürsorge deS Reiches ebenso bedürfen, wie die Gefangenen. — Heule wird die zweite Beratbnng der übrigen Uufallversicherungsvorlagen beginnen, die nach einer Mittkeilung des Vieepräsidcnlen Schmidt ununter brochen zu Ende geführt werden soll. Weiter wußte Herr Schmidt über den Arbeitsplan nicht- zu sagen. Rach der „Rat.-Lib. Eorr." soll nach Erledigung der zweiten Lesung ter Unfallversicherungs novelle der Versuch gemacht werden, die abgebrochene dritte Berathung des Heinze-Gesetzes, ferner das Fleisch schaugesetz und den noch ausstehenden Theil der dritten Lesung der Gewerbeordnung zu Ende zu führen. Von ter letztgenannten Materie stehe nur noch ein kleiner Theil aus; im Interesse der großen Zahl ter bei dieser Vorlage interessirten Gewerbetreibenden ist daher dringend zu wünschen, daß endlich definitive Beschlüsse gefaßt werden. Hinsichtlich der Wetterführung der Berathungen nach Pfingsten scheint die Absicht vorzuliegsu, unmittelbar nach den Feiertagen das Haus einzuberufc», so daß der Rest ter Session bis zum Fronleichnamstag ausgcarbeitct werden kann. Bekanntlich hat das preußische OberverwaltungSgericht das dem Professor Andelsinger, Mitglied des Jesuiten- ardenS, von der Polizeiverwaltung in Bochum zugeslcllte Verbot, im katholischen Vereinshause daselbst eine Reihe religiöser Vorträge öffentlich zu halten, als zu Recht bestehend anerkannt. Da der Jesuit Andelfinger in seinen Vorträgen auch die Gefährlichkeit des Atheismus nachweisen wollte, knüpft die klerikale „Köln. Lolksztz." an die Entscheidung LeS ObervcrwaltungSgerichtS die nachstehende Kritik: „Nach der Jurisprudenz des OberverwaltungsgerichleS darf also die Gefährlichkeit des Atheismus nicht nachgewiesen weiden, wenn ein Jesuit sich dessen unterfängt. Aber den Atheismus zu predigen, ist erlaubt. So geschehen im Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte." Das rheinische EentrumSorgan zeigt durch seine spöttische Bemerkung, daß es der Ansicht ist, oder die Ansicht Hervorrufen will, das „Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte" sei durch die Entscheidung des Obervcrwaltungsgerichts in irgend einem Sinne cowpromittirt. DaS ist aber gerade deswegen nicht der Fall, weil der Jesuit Professor Andclfinger in seinen Vorträgen dis Gefährlichkeit des Atheismus nachweisen wollte. Denn es giebt kaum ein Thema, bei dessen Behandlung der Jesuitis- mus so bequem für seine politischen, staatsfeind lichen Ziele Propaganda machen und so leicht den konfessionellen Frieden unterwüblen kann, wie das Thema vom „Atheismus". WaS Alles vom JssuitiSmus für Atheismus erklärt wird, darüber besitzen wir auS dem Munde seines gelehrigsten Schülers und beharrlichsten Vorkämpfers, des verstorbenen Abgeordneten Windthvrst, ein klassisches Zeugniß. Es war in der Sitzung deS Abgeordnetenhauses vom 8. Februar 1872, als Windthvrst bei ter Bsralbung des SchulanssichtSgeseires sagte, daß der Staat, dem dies Gesetz die ausschließliche Schulaufsicht übergebe, sein werde „ein durchaus religionsloser, ein heidnischer Staat, ein Staat ohne Golt". AuS der Antwort, die damals der Abg. Gneist hieraus ertheilte, sei folgende Stells wiedsrgegebcn: „Nach der Schlacht bei Sedan, was haben Sie von unseren deutschen Truppen gesehen? Männer, die aus die Knie sielen, um mit dem Knidec-Iiede ihrer Schule Golt zu danken, ohne zu fragen, oo sw nach Lonsejsionen geordnet standen. Ta kämpfte dw deutsche Volkserziehung gegen französische VolkSerziehnng, d. h. gegen zuchl- lose Kaufen, die den Pfarrer furchten, aber nicht Gott fürchten, gegen Menschen, welche die Monstranz anbeten, aber weder Gott noch den Kaiser ehren. Tas ist die zwanzigjährige Erziehnngsfrncht einer Schule, in der die Jesuiten, die Orden, die Herrschaft Lcs Klerus gewaltet haben, wie nie zuvor in Frankreich." Demselben Jesuirismus ist eS trotz seines Kampfes gegen den Atheismus nicht geglückt, die Entfesselung der gallischen Bestie, die in der Zeit der Pariser Commune das Skepter führte, zn verhüten. Angesichts solcher Frückts jesuitischen Wirkens gegen den Atheismus — von anderen schweigen wir — können wir Deutsche des jesuitischen Kampfes gegen den Al bei s m ns cnlrathen. Der um Englands Wohlstand stets sehr besorgte „Broad Arrow" hält cs bei Frankreichs durch die Weltausstellung ge wissermaßen behinderten Lage für angebracht, wegen dessen Vor gehen gegen Marokko mit dem Säbel zu rasseln. Was er schreibt, ist indessen bezeichnend für die englische Auffassung von der Wichtigkeit der unbestrittenen Beherrschung des Mittclmeeres. In seinem Artikel „Frankreich und Marokko" führt das Blatt aus: „Frankreich ist in der Erwerbung von Hinterland in Afrika in letzter Zeit so erfolgreich gewesen, daß der Küstenhandel für seine Besitzer viel an Werth verloren hat. Jetzt will es das selbe Manöver bei Marokko versuchen. Hat England auch ge duldig die Vernichtung des Handels seiner wcstafrikanischen I Colonien ertragen (?), so wird Europa doch nicht träge zusehen, I wie Marokko das Schicksal von Algier und Tunis theilt. Die ! völkerrechtswidrige Besetzung von Jgli ist von internationaler Be deutung. Für England ist ein unabhängiges Marokko eine Noth Wendigkeit für seine Stel- lung als Weltmacht. KeinandererStaatdarf sich deshalb Tanger an eignen, oder unsere maritime Beherrschung des Mittclmeeres ist verloren. Gibraltar ist nur so lange der Schlüssel zum Mittelmeer, wie der Kaiser von Marokko unabhängiger Herrscher ist. Glücklicher Weise ist Frankreich nicht zn einem Kriege mit Marokko vorbereitet, obgleich es ihm schwer sein wird, ohne Desavouirung seiner Organe aus seiner jetzigen Lage herauszukommen. Daß Frankreich Jgli räumen muß, ist natürlich, sonst wird es eine Stellung inne haben, von der es bei paffender Gelegenheit sich weiter vorschieben kann. Vis dahin wird aber hoffentlich der Krieg in Südafrika beendet sein, so daß England dann in entschiedener Weise seine dort so wich tigen Interessen vertreten kann." Deutlicher braucht die Drohung mit einem zweiten Faschoda kaum zu sein. Oer Krieg in Südafrika. -L-. Schon auS den Meldungen, welche nach Schluß der Redactio» im heutigen Morgenblatte mitgetheilt sind, geht hervor, daß die Boeren im Rucken und der rechten Flanke deS Nvberls'schcn Offensivheeres wieder mobil werden und größere Actionen planen. Eine Bestätigung bringt uns die folgende Nachricht: I'. London, 12. Mui. (Privattelegramm.) Ans Bloemfontein vom Freitag Mittag wird berichtet: General Rnndle wurde gestern vor Tbabanchn in der Front, ans dem linken Flügel und im Rücken von kleinen, den Lcenmslns; ltcranfkommenden Freistaatlcr-Com- mandos angegriffen, gezwungen eiligst '»nrnck- »ngclten und sich auf Sei« Kopfes abseits der Strafte nach Ladgvrand zn verschanzen. Hm Theil seiner K'avallcrie ist diesseits Thaba-Pachoa isolirt und mit tlscrnirnng bedroht. Rnndle forderte Vrr- stärknngen. Brav a, o n' S tsavaUcric-Patronillcn melden: Trei starke Frciftaat-CominandoS rücken vom Ouellplatcan deS Lcenwslufseö, von Ladhbrand nnd von Thaba-Pachoa ans südwestlich im Rucken des britischen Heeres vor. Wir machten schon, mit dieser Ansicht ziemlich allein stckeud, wiederholt darauf aufmerksam, raß cs nicht die Absicht des BoerenfeldmarschallS Louis Botha seine könne, seine gesammte Macht nach Norden, sei cS nun nach VenterS- burg, Kroonstad oder an den Vaal zn werfen, uni dort die entscheidende Schlacht anznnehmen, sondern daß man in den verschiedenen Meldungen, nach welchen auch nach dem Wiederbeginn dcZ RobertS'schcn Vormarsches bedeutende boerische Commandos nördlich, östlich und südlich von Thabanchu, bei Ladhbrand und FickSburg, und von da auf den Wegs nach Winburg belassen wurden, einen wohl vorbedachten Plan zn erblicken habe. Wir fanden mehrfach dis Ansicht vertreten, daß riete Corps, außer Contaet mit der Central leitung, aus eigene Faust in den körn- und viehrcichen Districtcn ihrer Heimath sich festgesetzt hätten, um sich hier so lange wie möglich zn halten, während man im Allgemeinen den Kopf schüttelte und überhaupt nicht wußte, was man auS dieser Art VerzettelnugSstrategik machen sollte. Nun scheint cs sich doch zu bewahrheiten, daß die Führer dieser an scheinend versprengten BoerencorpS, die Roberts, für ab geschnitten haltend, sich selbst glaubte überlassen zu können, ganz genauen Tirecliven des Hauptquartiers folgen. Der letzte Vorstoß in südwestlicberRichtuncz vonsLadybrand aus deutet daraus hin, daß die Boeren die Bahnlinie südlich von Bloemfontein zu erreichen und zu zerstören trachten. Vielleicht handelt eS sich auch um die Wahrmachung deS Wortes, das kürzlich von bverischer Seite gefallen ist: wir werden Bloemfontein wieder nehmen. Jedenfalls können die Boeren kaum etwas Besseres thun, als die Rück zugSlinie Robert's zn bedrohen, nnd eS fragt sich nur, ob die vereinigten Divisionen Runvle'S und Brabants nicht derart in numerischer Uebermacht sind, daß sie jeden Versuch, direet in den Rücken der RobertS'schen Heersäule zu gerathen, zn vereiteln vermögen. Im Norden bei BenterSburg — also auf deni Wege nach Kroonstad — beginnt da- Terrain schon sich so zn gestalten, daß ein weiterer Vormarsch mit sammt den Traincolonnen zu einem gewagten Unter nehmen wird. Roberts selbst telegraphirt ja, das Passiren der Tristen — und setzen wir hinzu der dort häufigen engen Pässe — sei „außerordentlich schwierig" und er habe viel Train zurücklassen müssen. Anscheinend geht die Taktik der Boeren dahin, Roberts sich hier oder noch weiter nördlich mit seinem Gros festbeißen zu lassen und zu beschäftigen, während sie den, deS Erfolges freilich nicht ohne weiteres sicheren Versuch machen, sich seiner immer länger und länger werdenden rückwärtigen Verbindungslinie zn bemächtigen. Zur Lage schreibt vom englischen Standpuuct auS der bekannte militärische Berichterstatter Spencer Wilkinson: ES wird sich in wenigen Tagen zeigen müssen, ob die Boeren in Kroon stad den großen Widerstand leisten werden, für den sie, wie es heißt, so ungeheure Befestigungen angelegt haben. Nördlich von Ventersburg ist das Land an der östlichen Seite der Eisenbahnlinie voll von Kopjes und wahrscheinlich zerrissen und schwer passirbar. Westlich von der Eisenbahn und parallel mit ihr läuft ein offener Gürtel flaches Land, der sieben bis acht Kilometer breit ist, aber iu seiner westlichen Ausdehnung wieder von Hügeln begrenzt wird. Diese Fläch: wird bei Kroonstad von dem Kroonjprnit durchschnitten. In einem solchen Gelände ist natürlich die günstigste Gelegenheit für die Defensivmethode derBoeren gegeben, aber Lord Roberts wird keine vorbereitete Stellnng angreifen, ohne sie vollständig ansgckundschastet zu haben, und auch dann wird er höchstwahrscheinlich nur einen DeinonstratiouSangrisf machen und gleichzeitig die Position umgehen. Die Stellung der Boeren, die südlich von Kroonstad angenommen werden muß, wird vielleicht rasch recognoScirt werden, aber ob sie angegriffen wird, kann man jetzt nicht sagen, denn die Entscheidung hierüber kau» nur an Ort und Stelle getroffen werden und hängt von Elementen ab, unter denen die Stärke der moralischen Position der Boeren sehr stark mitspricht. WaS die Bewegungen im Osten anbetrifft, so schließt Wilkinson auS dem Umstande, daß keine Depeschen vor liegen, daß Buller und Hunter jetzt beide auf dem Vor marsch sind. Die Situation der Boeren sieht Wilkinson folgender maßen an: „Die Sache der Boeren geht jetzt ihrem Ende entgegen. Lord Roberts hat ein Heer von -10 000 Mann jenseits deS Zand nnd kann dasselbe, wann er eS wünscht, erheblich verstärken: Sir Ncdvers Buller hat 30 000 Mann in Natal und müßte im Stande sein, mit den kleinen BoerendetachementS in seiner Nachbarschaft zu thun, war er will. Sir Archibald Hunter hat 10 000, also Feuilleton. SI Anter egyptischer Sonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Zitelmann. Nachdruck verbolk». Vater und Sohn schienen besänftigt; der Letztere aber wandte sich an Harald und sagte in einem Tone, aus dem deutlich eine gewisse Befriedigung herausklang: „Sie leben in Deutschland. Herr Baron, — und kennen Nietzsche nicht, der doch im Mittel punkt des Interesses steht. Wie geht das zu?" „Ich war in den letzten Jahren durch mein Examen und die einschlägigen Studien ganz in Anspruch genommen", erwiderte Harald. „Außerdem — ich glaube, Sie überschätzen, wenn nicht Nietzsche's Bedeutung, so doch seine — Berühmtheit. In meinen Kreisen wenigstens spielt er keine Rolle —" „Sie meinen den Adel?" warf vr. Jürgen ein. „Ganz recht! Der Adel braucht Nietzsche nicht; wir aber, wir im ge bildeten Mittelstand, brauchen ihn." „Warum machen Sie da einen Unterschied?" „Ich mache ihn nicht. Er ist da! Sie haben Ihr blaues Blut, Ihre Ahnen, Ihre Landgüter, Ihr Standesbewußtsein, Sie greifen zu, nehmen, was Ihnen gefällt. Sie sind die Sieger, aber wir —" „Wenn Du die Söhne von Herrn Salinas in solchen An sichten erziehst, — das werden ja nette Pflanzen werden", grollte der Vater. „Du wirst sie ja kennen lernen", gab der Doctor zurück. „Wollte ich sie erziehen, wie Du mich erzogen hast, das würde wohl falsch sein —" „Du findest, daß Du schlecht gerathen bist?" warf der Alte spottend ein. „Ich bin zum Dienen erzogen", erwiderte der Sohn. „Wer aber eine Million hat, der ist ein Herrscher. Ich erziehe die Knaben dazu, Herrscher und Sieger zu sein, nicht kraft ihres Reichthums, sondern kraft ihrer selbst." Wildau und Harald verlangten gleichzeitig eine nähere Er klärung. „Geld verleiht heutzutage noch mehr Macht als vornehme Geburt", entgegnete der Doctor. „Das»Gefühl, einer bevor- cchtigten Classc anzugehören, das Bewußtsein der Macht be- ünflußt das Kind von früher Jugend an, giebt seiner Ent wickelung die Richtung — und kann bei guten Anlagen zum Resultat den großen Menschen haben. Aber nicht oft wird das der Fall sein, sondern der VortheA wird sich in Nachthcil ver kehren, wird Thorheit, Faulheit. Dünkel, Protzenthum er zeugen, Hochmuth auf die verdienstlose Mitgift des Schicksals oder Zufalls. Wer den Fuß auf den Nacken Anderer setzen will, weil er kraft seines Adels oder seines iGckldes die Macht dazu besitzt, der ist cm Usurpator, ein Frevler, der gestürzt zu werden verdient. Herrschen soll nur der Ueberwinder, dem die Vortheile des Schicksals nichts al» Mittel zum Zwecke sind, Stufen, um emporzuklimmen zu den reinen Höhen, wo der steht, der stärker und besser und klüger ist als die Anderen. Dahin will ich meine Buben führen. Sie sollen oben stehen, nicht weil sie reich sind, sondern weil sie das Recht dazu erworben haben durch ihre Persönlichkeit." Immer wärmer, immer leidenschaftlicher hatte Dr. Jürgen gesprochen. Sein Gesicht sprühte förmlich von Leben und Feuer; «s war, als ob eine starke innere Kraft unsichtbare Fesseln sprenge und sich entlade. Harald, der Empfängliche, war bewegt und hinge rissen. Dieser junge Hauslehrer, dessen Anrede ihm als Dreistig keit erschienen war, und der ihm heute Ansichten ins Gesicht schleuderte, die wie mit Peitschenhieben das trafen, was ihm bis her als das Selbstverständliche gegolten hatte, wuchs plötzlich zu ungeahnter Bedeutung vor ihm empor. Er selbst aber, er, der Sieger, das Mitglied einer bevorrechtigten Classc — er saß wie ein Schüler auf der Lernbank und hörte zu und schämte sich, daß er schweigen mußte. Der Professor hatte indeß während seines Sohnes Rede neues Material gesammelt und ging nun mit Wucht zum Angriff über. Er bekannte sich aus innerster Seele heraus zu den alten Idealen, die Nietzsche stürzen wollte. Nur in der göttlichen Menschenliebe, in Hingabe und Opferfreudigkeit und treuer Pflichterfüllung wollte er das Heil erblicken, und er nannte Nietzsche's Individualismus den verabscheuungswürdigsten Egoismus, den je eine Zeit hervorgebracht, während Jürgen behauptete, daß nur eine kräftige Entwickelung des Individuums der schwächlichen Raffe aufhelfen könne. Der tüchtige Vater und der tüchtige Sohn kämpften wie zwei Löwen mit einander, der Eine so jugendlich feurig wie der Andere. An den nächsten Tischen war Alles still geworden. Man hörte theils zu, theils belustigte man sich über den erregten Streit. Doch die beiden Brauns merkten davon nichts, und nur die späte Stunde schreckte sie endlich auf. „Du mußt fort, Jürgen. Du findest am Ende das Hotelboot nicht mehr", rief der Vater erhitzt und ängstlich. , Dec Sohn warf einen Blick auf die Uhr, drückte seines Vaters Hand, grüßte die anderen .Herren und ging eilig in die Nacht hinaus. „Es ist ja Alles zum Glück nur Theorie", brummte dec Pro fessor hinter ihm drein. „In der Praxis ist er der selbstloseste, pflichtvollstc Mensch —" „Das beklagt er ja eben", bemerkte Wildau lachend. „Sie haben ihm Ihre Grundsätze anerzogen, und er kann sie nicht los- werden, obwohl er sie für unrichtig hält." „Nein, nein, dahinter steckt etwas Besonderes", murmelte der Alte sorgenvoll. „So war er sonst niemals! Welch' ein vortrefflicher Sohn ist er stets gewesen. Sehen Sie — ich muß cs ihnen sagen, damit Sie ihn nicht zu streng beurthcilen — ->ub ivsu natürlich: Er hat mir das Gelv zu der egyptischen Reise geschickt. Und dann proclamirt er den Egoismus!" Braun nahm die Brille ab und putzte sie, indem er hastig fortfuhr: „Seit einem Jahre hat er mich in seinen Briefen bestürmt, ich solle mir endlich diesen Lebenswunsch erfüllen, für die Kosten komme er auf. Ich lehnte das natürlich ab, schrieb ihm, er solle nur sein Geld für sich sparen, zurücklegen, um später einen Hausstand gründen zu können. Aber er ließ nicht ab, mich zu bitten. Er rief die Wissenschaft zu Hilfe, der ich die Reise schuldig sei — na. und schließlich gab ich nach, doch erst, als ich erfuhr, daß mein Sohn gleichzeitig mit den Salinas herkomme und ich ihn endlich Wieder sehen würde. Seit vier Jahren ist er fort von Hause, — wir hatten Beide Sehnsucht nach einander. Eine Reise nach Deutsch land könne er jetzt nicht machen, hieß es, er müsse die Familie be gleiten, die den Winter in Egypten bleibe und dann nach Spanien gehe. Weiteres sei noch nicht bestimmt. Und ich möge bedenken, schrieb er mir, daß, wenn ihm oder mir etwas zustiebe und wir uns nicht noch einmal in die Arme geschloffen hätten, wir es bitter bereuen würden. Es sei auch für ihn und seine Buben ein un nennbarer Vortheil, mich hier zu haben; er wisse nicht viel von Egyptologie und wolle doch die Reise mit Nutzen machen. Und das lumpige Geld dürfe zwischen Vater und Sohn keine Rolle spielen. Darüber müßten wir Beide erhaben sein." Es glänzte feucht in den Augen des Professors, und in seiner erregten Stimmung gab er seiner offenen Natur und seinem Wunsche, sich mitzutheilen, nach. „Sie wundern sich vielleicht, daß ich nicht selbst das Geld aufbringrn konnte. Aber ich hab' eine große Familie, acht Kinder, und war früher Gymnasial professor; da war's knapp genug bei uns, und von Reisen konnte keine Rede sein. Dann wurde ich Director, und vor 10 Jahren erhielt ich den Ruf an die Universität. Ja, eine Ehre war's, eine große Freude, aber äußerlich gewann ich nicht so viel, als ich dachte. Das Gehalt ist nicht höher, als es früher war, und Collegiengelder — die bringen nicht viel. Hab' nur ein kleines Auditorium. Chronologie! — Netteste Geschichte: Egypten, Assyrien, Babylon — es giebt nicht Viele, die das Fach inter- essirt." „Sie haben einen wackeren Sohn", bemerkte Harald freundlich. „Das ist wahr!" bekräftigte Braun. „Seine philologischen Examina hat er sehr früh und glänzend gemacht. Er ist jetzt 27 und seit üver vier Jahren schon fertig. Ich wollte ihn gern an die Universität haben, aber ohne Vermögen ist das eine be denkliche Sache, und er zog eS vor, in die Welt hinauszu gehen." „Wo sind denn Ihre anderen Kinder?" fragte Harald weiter, ganz bewegt durch das, WaS er vernommen. „Ein Sohn ist Officier geworden, ein anderer studirt noch, und von den Mädels sind zwei als Erzieherinnen auswärts; eine wirthschaftet, da meine Fran todt ist — und zwei besuchen noch die Schule." „Mein Gott!" rief Harald. „Da haben Sie Ihre Sorgen — und dazu wissenschaftliche Arbeit —" „Meine Panacee!" entgegnete der Professor mit leuchtendem Gesicht." „Das ist halt so a' richtiger deutscher Professor!" bemerkte Wildau lächelnd, als er Arm in Arm mit Harald heimwärts schritt. „Ich finde, das ist ein Prachtmensch", fiel Harald lebhaft ein — „und der Sohn ebenfalls." „Sehr artig war der grab nit", meinte Wildau. „Da kommen's Beid' von verschiedenen Wettenden herg'reist, um ein ander wiederzusehen, und dann streiten's wie a paar Kampf hahn' »m nir und wieder »ix, daß Einem die Haar' zu Berg' stehn." „Das ist's ja gerade, >oa» mir gefällt", rief Hara-ld. „Sie streiten nicht aus persönlichen Gründen, sie streiten um Ideen. Ich muß gestehen, daß man sich in meinen Kreisen höchstens um Politik ereifert — oder beim Spiel — oder wo sich's um Pferde handelt. In unserer farblosen Zeit muthet mich dies Paar an wie eine Merkwürdigkeit. Und doch sind es Deutsche, Deutsche, die ich gewiß zu Hause ähnlich alle Tage treffen könnte. — Aber ich treffe sie nicht! Ich sitze mit meinen Kameraden zusammen. Mir kommt es vor. als ob die Fremde mich auch die Heimath und was dazu gehört, erst kennen lehrte." „Ties ist Ihre erste Reise?" fragte Wildau. Und al» Harald bejahte, fuhr er fort. „Ja. da glqub' i schon, daß Ihnen die Sach' Eindruck macht. Ich war schon viel unterwegs, war auch
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