01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000528016
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900052801
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900052801
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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- Tag1900-05-28
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Gröbere Schriften laut unserem Prri» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ultra-Beilagen (gesalzt), nur mlt der Morgen. Au-gabe, ohne Postbesördrrung SO.—, mit Postbrsörderung ^l 70.—. Druck und Verlag von L. Pol» in Leipzig. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-NuSgabe: Vormittag« 10 UhL Margeu»Au«gabe: Nachmittag« 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde srnhrr. Anrei-en sind stet« an die Expedition zu richten. SM Montag den 28. Mai 1900. 84. Jahrgang. Ein Gang durch die Geschichte des Leipziger Suchgewerbes. Don Anton Iahr. ' . , Nochlruck vom Berfosier Vitbotin. Gang Deutschland schickt sich an, in diesem Jahre das Ge« dächtniß eines seiner größten Söhne zu ehren, Johann Gutrn- brrg's. der vor 600 Jahren der Welt geschenkt ward. In seiner Vaterstadt Mainz werden am 24. Junt die hervor ragendsten Vertreter des deutschen Buchgewerbes vor dem Bronzefiandbild ihres Meisters, das Ihnen im Jahre 1837 von Thorwaldsen'S Künstlerhand geschaffen wurde, huldigend ihre Banner neigen, und überall, wo es Buchdrucker giebt, wird des großen Mannes gedacht werden, welcher der Welt ein« der werthvollsten Erfindungen gemacht hat. Auch Leipzig, in der Gegenwart Vas unbestrittene Crntrum de« gescrmmten deutschen Buchgewerbes, wird seine Gutenbergtage haben. Schon am 12. Mai verband der Deutsche Buchgewerbeverein mit der Er öffnung seines eigenen Hauses in unserer Stadt die Wethe der Gutenberghalle und „die Enthüllung des allgemeinen deutschen Ehrendenkmals der Buchdruckerkunst als Vorfeier deS halb tausendjährigen Geburtstage« Gutenberg'«", und am 16. und 17. Juni veranstaltet die Innung Leipziger Buchdruckereibesitzer eine große Gutenbergfeier, die einen der Bedeutung Leipzigs entsprechenden localen Charakter tragen wird. Es hieße, Eulen nach Athen tragen, wollte man auch an dieser Stelle die Ver dienste der großen Erfinders zu würdigen suchen, die Thatsachen reden ja eine leicht verständliche Sprache. So sei denn in Fol gendem dem Begründer des Bücherwesens der Zoll der Dank barkeit dadurch entrichtet, daß wir auf einem Gange durch die Geschichte d«S Leipziger Buchgewerbes die Größe und weit tragende Entwickelung eines deutschen Gedankens zu erfassen suchen. Drei Perioden werden stch dabei mit Leichtigkeit unter scheiden lassen: die Einführung und erste Entwickelung der Buchdruckerkunst im Zeitalter der Reformation, die Erstarrung im Zunftwesen und ein damit verbundener Niedergang nach dem großen Kriege und endlich die Wiederbelebung des Buch gewerbes durch Breitkopf den Jüngeren und die Blüthezeit im 19. Jahrhundert. Bamberg, Straßburg, Basel, Köln, Nürnberg, Augsburg waren die ersten deutschen Städte, in denen die Kunst Guten bergs noch bei Lebzeiten des Meisters eingeführt wurde. Selbst nach Italien (Subiaco 1465, Rom 1467, Mailand und Vene dig 1469), nach Frankreich (Paris 1470), nach Spanien und England (Valencia und London 1474) und nach Ungarn (Ofen 1473) wurde sie frühzeitig durch deutsche Männer gebracht. Wann sie aber in Leipzig «ingezogen ist, läßt sich nicht mit Be stimmtheit sagen, vr. Wustmann („Die Anfänge deS Leipziger Bücherwesens", 1879) hat nachgewiesen, daß die Behauptung, Andreas Friesner aus Wunsiedel habe 1479 die Buch druckerkunst aus Nürnberg mit nach Leipzig gebracht, nichts als eine Legende ist, die allerdings mit der Erwähnung eines „lang Nickel puchtrucker" in den Dtädtcassenrechnungen in demselben Jahre und in dem Testament« Friesner's, der seine Presse den Leipziger Dominikanern vermachte, eine scheinbare Stütze, aber auch nur ein« scheinbare, findet, daß vielmehr Friesner wohl wie so Viele jener Zeit, wohl nur zu sein«m Vergnügen eine Presse besaß, und kleine, von ihm selbst verfaßte Schriften darauf druckt«, nimmermehr aber fremde Druckaufträge ausführte. So ist es denn noch immer nicht bekannt, wer der Drucker des ersten Leipziger Buches ist, das unter dem Titel „6Iosa super ^poenlipsiw äe statu eeolssia«" und mit dem Schlußver- merk „Impressum lipcrü anno AIOOOIOXXXI iu Pro test«) mickatieUs" (5. October 1481) erschien. Der erste Leip ziger Buchdrucker, der sich in einem Buche selbst nennt, ist Marcus BrandiS aus Delitzsch, der am 26. August 1484 das Regimen sanitstis des Erzbischofs Albicus von Prag vollendete. Da er zu zwei verschiedenen Malen (1484—1487 und 1498—1501) in Leipzig vorkommt, so ist er wohl den „fahrenden" Buchdruckern zuzuzäHlen, wie sie damals nicht selten waren. Der erste «rwerbtsthätige Drucker Leipzigs war Moritz Brandis, der 1490 Schulden halber die Stadt verließ und in den nächsten sieben Jahren in Magdeburg lebt«. Weit überragt werden alle diese Männer von Konrad Kachelofen aus Wartenberg, dem Gründer der ersten thatsächlich bedeutenden Druckerei in unserer Stadt. Schon 1476 hatte «r das Leipziger Bürgerrecht erworben, und 1490 kaufte er «in Haus in der Hainstraße (wahrscheinlich da« Grundstück des heutigen Hotel de Pologne); 1495 floh er der Pest wegen nach Freiberg; nach seiner Rückkehr eröffnete er einen offenen Laden unter dem Rathhaus« und 1497 auch ein«n Weinschank. Gegen Ende des Jahrhunderts vermählte er seine Tochter Dorothea mit dem Buchdrucker Melchior Lotter auS Aue und trat diesem das Haus in der Hainstraße ab, während er selbst stch in der Nicolaistraße niederließ. Noch 1528, ein Jahr vor seinem Tod«, erscheint er als Senior der Leipziger Drucker. AuS seiner Officin .sind 1485—1499 mehr als 30 Werke bekannt; er druckte für den Humanisten Paulus Niavis (Schneevogel) und den Kl. Hund von Magdeburg, beides Do- cenien an der Universität. Sein« berühmtesten Werke sind das Meißner Missal« von 1495, das den Vergleich mit den besten süddeutschen Drucken crushalt«n kann, und Johann Widmann's „Behende vnd hübsche Rechenung auf allen Kauffmanschafft" (1489), in ivelchem Buche zum ersten Male in Deutschland arabische Ziffern, und zum «rsten Male überhaupt die mathe mathematischen Zeichen -s- und — Vorkommen. Kachelofen erfreute sich der besonderen Gunst Friedrichs des Weisen. Bei diesem beschwerte er sich einst, daß der Bischof von Cammin «inen Vertrag über den Druck von 100 Miffalen nickt einge halt«,> und ihm dadurch viel unnütz« Kosten für Papier, Perga ment und sonstige Anschaffungen verursacht habe. Da wandt« sich der Kurfürst an den Herzog von Pommern mit der Bitte, den Bischof ^ur gutwilligen Erfüllung des Vertrages zu veran lassen, „damit der arm man nit zu weiterm schaden geführet werde" (Fr. Kapp, Geschichte deS deutschen Buchhandels. Leip zig 1887). Größer als Kachelofen war sein Schwiegersohn Lotter, der bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahr hunderts alle DruckaUfträqe des Bischums Meiß«n und des Leipziger Raches erhielt, was ihm weit und breit großen Ruhm verschaffte. In der Stadt genoß er solches Ansehen, daß er zwei Jahre Stadtrichter war, der erste Buchdrucker und Buch händler, dem diese Ehre widerfuhr. Seinen Läden unter dem Rathheuse versah Lorenz Fischer; und ständige Buchführer, wie Urban Port und Achatius Glov, besorgten den auswärtigen Vertrieb seines Verlags und Sortiments bis auf die Märkte von Breslau und Posen. Er war auch der Commistionär Ulrich's von Hutten, der ihm durch Pirkheimer in Nürnberg 300 Exem plare verschiedener seiner Schriften zum Vertriebe übermitteln ließ. Vor Allem aber sind Lotter's Beziehungen zu Martin Luther zu erwähnen. Nachdem der Reformator mit seinem bis herigen Drucker Johannes Grunenberg viel Verdruß gehabt hatte, sucht« er Lotter nach Wittenberg zu ziehen. Wahrscheinlich 1519 hat dieser denn auch mit Genehmigung deS Kurfürsten eine Druckerei „in drei Sprachen" in Wittenberg errichtet und seinen Söhnen Melchior und Michael übertragen. Ihr Beistand war der tüchtige Corrector Tulich (DulichtuS), der später Pro fessor an der Universität wurde. Bei Lotter in Wittenberg er schienen nun Luther's kleinere Schriften vom Anfänge der zwanziger Jahre, unter Anderem das Schreiben „An den Adel deutscher Nation" am 18. August 1520 in 4000 Exemplaren, die In fünf Tagen verkauft waren. DaS Neue Testament wurde am 22. September 1522 vollendet und war nach drei Monaten (bei einer Auflage von 5000 Exemplaren) vollständig vergriffen. Der alte Lotter in Leipzig druckte indeß Luther'S Schriften nach, wie andere Drucker in anderen Städten auch thaten, ja, er druckte sogar Schriften gegen Luther, was uns jedoch, nach dem Herzog Georg namentlich in Leipzig feine entschiedene Stellungnahme gegen die Reformation ducumentirt hatte, nicht allzusehr Wunder nehmen darf. Doch ist Melchior Lotter bei Friedrich dem Weisen 1524 völlig iy Ungnade gefallen, nach dem Luther ihn mehrere Jahre vergeblich in Schutz genommen hatte; daher ist seit 1525 die Firma Melchior Lotter, Vater und Sohn, aus Wittenberg verschwunden und 1528 auch Michael Lotter nach Magdeburg verzogen. Der alte Lotter starb in Leipzig wahrscheinlich 1542. Von seinen Zeitgenossen sind vor Allem Valentin Schumann, der zuerst griechische und hebräische Typen in Leipzig anwandte, Valentin Bapst, dessen vorzügliche Lettern noch im 17 Jahrhunderte in Leipzig gesucht waren, und des letzteren Schwiegersohn Ernst Vögelin, den man den sächsischen Aldus genannt hat, zu erwähnen. Vögelin betrieb auch einen ausgedehnten Buchhandel, und die besten Gelehrten, z. B. Camerarius, waren seine Autoren. Aber gerade die Verbindung mit den Philippisten und Crypto- cukvintsten wurde für ihn verhängnihvoll. Er mußte 1576 auS Leipzig fliehen und stellte sich unter den Schutz des Kurfürsten von der Pfalz zu Heidelberg. Durch die Bemühungen seiner Gläubiger und Freunde, namentlich seines treuen FactorS Steinmann und seines Dieners Nickel Bock, wurde das Geschäft wenigstens den Kindern Vögelin's erhalten. Die Vögelin'schc Druckerei und Buchhandlung bestand bis 1627 in Leipzig, in welchem Jahre sie Georg Ritscher in Pacht übernahm. Nach vr. Albrecht Kirchhoff („Material, Arbeit und wirih- schcrftliche Erfolge in den Leipziger Buchdruckereien bis zum Jahre 1650", Separatabdruck aus der „Zeitschrift für Deutsch lands Buchdrucker") hatten Kachelofen und Lotter in ihrer Druckerei höchstens drei Pressen, natürlich hölzerne Handpressen: Valentin Bapst besaß anfangs nur eine, hernach zwei, und sein Schwiegersohn Vögelin, der größte Leipziger Drucker des 16. Jahrhunderts, brachte es bis zu 6 Pressen. Neben fünf zünftigen Druckereien gab es noch eine unzünftige, welche von Henning Groß in Eisleben gegründet und gegen Ende des 16. Jahrhunderts nach Leipzig verlegt worden war. Sie be saß 1625 vier Pressen. Der Schriftenvorrath dieser Druckereien war nicht Froh. Man verschafte sich Matrizen oder auch Stempel und goß dann seinen Letternbedarf selbst. Doch gab es in Leipzig schon frühzeitig Schriftgießer von Ruf. Als erster wild Jakob Hennig genannt, der 1561 das Bürger recht als Buchdrucker erwarb. Ihm folgten 1574 Andreas Richter aus Annäberg und 1578 Thomas Wilhelm, welche einst bei Vögelin gearbeitet hatten. Auffällig ist «s, daß der Form- schneider Anton Förster (1567 ebenfalls bei Vögelin) für Theo dosius Rihel in Straßburg Leisten und Kalenderzeichen für Buchdruckzwecke in Kupfer schneiden muhte; er scheint, wie Kirchhoff bemerkt, „für derartige Arbeiten Erfahrung, vielleicht gar einen gewissen Ruf besessen zu haben, denn für das Jahr 1569 ist ein Auftrag aus Süd'oeutschland, aus Straßburg, an einen Leipziger Formenschneider eigentlich eine Anomalie". Was di« Lohnderhältnisse der Setzer und Drucker anbelangt, so er folgte «ine vorläufige Ablöhnung allwöchentlich am Sonntage (7 Groschen, später 10^/z Groschen) und die endgiltige Ab rechnung nach Vollendung eines Werkes oder von Messe zu Messe. Dabei wurden die Setzer nach den gelieferten Satz formen (für 11/2 Formen Tagewerk in Cicero 18 Groschen, für 2 Formen 28 Groschen), die Drucker nach ihrem Tage werk (iH Gulden — 1(p/2 Groschen, für jedes weitere Hundert Abzüge 2 Pfennige; stand eine allein, so erhielt er dafür 4 Pfennige) bezahlt. Die Farbe wurde von den Druckern selbst bereitet, und zwar war ihnen zum Kochen derselben wegen der damit verbundenen Feuersgcfahr ein Platz vor dem Halleschen Thore angewiesen. Die Auflagen der Bücher be trugen wegen der hohen Papierpreise in der Regel 1000 bis 1500 Exemplare. Die Drucker erhielten von den Verlegern 5 bis 6 Gulden für den Ballen; kein Wunder, daß sie dabei keine Reichthümer sammeln konnten, sondern meist verarmten. Den besten Verdienst hatten sie mit dem Druck von Gesichten und Accidenzarbeiten, wegen deren es oft zu Eoncurrenz- kämpfen kam. Die meisten Drucker arbeiteten mit Vorschüssen ihrer Verleger, die dadurch immer mehr in den Vordergrund traten. Dies führt unS dazu, noch mit einigen Worten der Anfänge des Leipziger Buchhandels zu gedenken. Eine alte Urkunde „weist schon für den Beginn der siebziger Jähre des 15. Jahrhunderts Beziehungen des Gutenberg'schen Genossen Peter Schäffer und der drei ersten Basler Buck drucker zu Leipzig nach, Beziehungen, welche die Basler Buch händler zu Anfang deS 16. Jahrhunderts zur Meßzeit regel mäßig pflegten. Buchbinder, Kartenmaler, Buchführer und Feuilleton. Weißdorn und Schwarzdorn. Bon E. Glaser. Nachdruck »erd»t«n. Beim Erwachen des Frühlings treibt e» uns hinaus inS Freie, wir fühlen ein unbezwingbares Verlangen nach frischem Grün und sprechen wohl, wie Faust in seiner Jugendzeit: Ein unbegreiflich holdes Sehnen Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugeh'n. Und unter tausend heißen Thränen Fühlt ich mir eine Welt entsteh'«. Ein engeres Verhältniß scheint im Frühling zwischen uns und der Pflanzenwelt zu entstehen. Mit großer Freude pflücken wir die ersten Frühlingsblumen und ergötzen uns an der Pracht der blühenden Bäume und Sträucher. So finden wir den Weiß dorn als schönen Friihlingsstrauch, der schon bei den Griechen und Römern in weit höherem Ansehen stand, als in der Gegen wart. Bei den Griechen war der Weißdorn das Sinnbild ehelicher Vereinigung, der Liebe und Treu«; seine Blüthen brachten Glück. Am Hochzeitstage trugen die Brautleute Weißdornzweige in den Händen, und mit brennenden Fackeln au« Weißdornholz führte man das junge Ehepaar nach dem Hausaltar, an dem sie da» Gelübde der Treue und Liebe nochmal- erneuerten. Noch heute soll in Griechenland die Sitte herrschen, die Braut und den Traualtar mit Weißdornblüthen zu schmücken. Auch bei den Römern herrschte ein ähnlicher Brauch. Das Hochzeitshaus wurde mit Weißdornzweigen bekränzt und junge Mädchen über, reichten der Braut einen mit Weißdornblüthen gefüllten Korb, welche da« junge Ehepaar vor jedem Ungemach schützen sollten. AlS Schutzmittel erscheint der Weißdorn auch bei den Römern an den Thüren angeheftet, um Verderben abzuwenden, vor Allem die gräulichen Striegen, welche in der Nacht kommen und den Kindern da» Blut auSsaugen. Da» sind garstige ylügelgestalten mit großem Kopf, starrenden Augen, dem Schnabel eine« Raub vogels, aschgrauem Gefieder und scharfen Krallen. Wenn die Amme nicht aufpaßt, schlüpfen sie bei Nacht ein, nehmen das Kind aus der Wiege und sättigen sich mit seinem Blute. Ovid (Fasti 129) schreibt: „Und des Weißdorn- Zweig, kraft dessen sie finstere« Unheil bannt von den Thüren hinweg, reicht ihr der Göttliche hin." — Ferner schreibt der Dichter: „Gleich mit des Weißdorn» Zweigen berührt sie dreimal die Pfosten sorglich — und dreimal drauf zeichnet die Schwelle der Dorn. Drauf in da» Fensterchen hin, das Hell« dem Zimmer verleihet, legt sie de» Weißdornszweig, welchen ihr Janu» geschenkt. Seitdem naheten nie scheuselig« Vögel der Mrge mehr, und »« kehrte de» Kind« frühere Farbe zurück." Geführt wurde di« vraut von zwei Knaben au» guter und noch blühender Eh«, während »in anderer Knabe von gleicher Herkunft mit einer Fackel, welche von Weißdorn genommen wurde, voranging. Auch machte man zu Athen aus der Pflanze eine Salbe, mit der man sich und die Häuser bestrich, um Böses und Dämonisches abzuhalten. Ferner verbrannte man die Zweige des Weißdorns vor den Thüren der Häuser, welche nach einem Todesfälle gereinigt wurden, um die verunreinigte Luft gesund zu machen, auch, sprangen die Leidtragenden, wenn sie von der Bestattung zurückkehrten, aus gleichem Grunde der Reini gung, über die angezündeten Reisigbündel, nachdem sie sich mit weihendem Wasser benetzt hatten. In Frankreich steht der Weißdorn bei dem Volke seit langer Zeit in hohem Ansehen. Er hat den Namen „nobis 4pino". Man war nämlich der Meinung, die Marterkrone des Herrn sei aus Weißdornzweigen geflochten. Auch herrscht hier bei den Landleuten der Aberglaube, der Weißdorn gebe in der Nacht vom grünen Donnerstage zum stillen Freitage Klagelaute von sich, um alle Jahre von Neuem die Christenheit an den Tod des Herrn zu erinnern. Ferner wird erzählt, daß man nach dem furcht baren Blutbade in der St. Bartholomäusnacht auf einem Pariser Krichhofe einen Weißdorn habe plötzlich in voller Blüthe stehen sehen. Beide Parteien sahen hierin ein günstiges Zeichen für sich. Während die Katholiken in demselben eine göttliche Sanctionirung ihres tückischen Verraths erblickten, erklärten die Hugenotten, der Strauch blühe zu Ehren der unschuldigen prote stantischen Opfer. In England spielte der Weißdorn eine nicht minder wichtige Rolle. Er hatte den Ruf eines heiligen Baumes. Nach uralten Sagen soll er aus dem Blitze entstanden sein und in Folge dessen heiliges Feuer in seinen Zweigen bewahren. Eine besondere Art des Weißdorn», die nur in England wächst, soll mitten im Winter blühen. Eine Sage erklärt diese Naturmerkwürdigkeit auf folgende Weise. Einst kam der heilige Joseph von Arimathia mit einigen Begleitern nach England, um hier das Evangelium zu verkündigen. Um den Heiden einen Beweis seiner göttlichen Mission zu geben, steckte er seinen dürren Weißdornstab in die Erde, der stch sogleich mit Zweigen, Blättern und Blüthen schmückte. Eine Reihe von Jahren stand er in jeder Christnacht in voller Blüthe, und alle seine Ableger blühten ebenso. Viele Senker waren im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen. Aber einer hatte sich erhalten, und dieser stand auf einer Anhöhe der Abtei von Glastonbury in der Grafschaft Somerset. Noch unter Karl I. Stuart, der von 1625—1649 regierte, ward an jedem Weihnachtsfeiertag dem König und d«r Königin in feierlicher Proceffion ein Zweig von Glastonburythorn überreicht, der stet« in voller Blüthe stand und erst in d«r voraufgehenden Nacht gebrochen war. Während deS folgenden Bürgerkrieges zwischen dem Könige und dem Parlament wurde bei einem Ueber- fall der Abtei auch dieser Strauch verbrannt. Damit war jedoch nicht der letzte Sproß de» alten Josephstabrs vernichtet, denn schon vorhe» war ein solcher in Quainton in Buckinghamshire ge pflanzt worben. Auch er blühte jede Christnacht, und gleich den übrigen, auch noch jeden Sommer. In der Nacht vom 24. zum 25. December neuen Stil« im Jahre 1753 hatte stch nun eine große Menschenmenge mit Fackeln, Lichtern und Laternen um den wunderbaren Dornstrauch ver sammelt, begierig, das Entstehen und Aufbrechen der weißen Blüthen zu erblicken. Es schlug die Mitternachtsstunde, und nichts regte sich an dem Strauche. Enttäuscht verlief sich in der Morgenstunde die Menge, aber mit ihr verschwand nicht die Aufregung. Es war kein Zweifel: die Xerr <?ürist«l»sclav (der neue Christtag) war nicht der echte Christtag. Schon wollte die Polizei den verhängnißvollen Dornstrauch beseitigen lassen, da, am 5. Januar neuen Stils, am Oici Oiirislwsscia^ (alte Christtag), stand er im vollen Blüthenschmuck. Dadurch kam das Volk in neue Erregung. Jetzt trat die Gewalt zurück; man sah, daß die Menge durch die neue Verordnung sich in ihrem Heiligsten verletzt glaubte. Die Geistlichen der benachbarten Städte boten die Hand zum Frieden, und es wurde bestimmt, daß fortan der Oiä Oürislmascia^ gleich dem neuen gefeiert werden sollte. Die Sage von den blühenden Bäumen hängt wohl noch mit gegenwärtigen Gebräuchen zusammen. Wenn man in Thüringen am Andreastage <30. November) zwischen 11 und 12 Uhr Kirschen- und Fliederzweige pflückt und sie ins Wasser stellt, so blühen sie am Neujahrstage. In Nördlingen hat man nicht den düsteren Tannenbaum für die Christbescheerung, sondern man setzt schon monatelang vorher den jungen Stamm von einem Kirsch- oder Weichselbaum in einer Zimmerecke in einen großen Topf. Gewöhnlich stehen diese Bäume bi» Weihnachten in voller Blüthe und dehnen sich weit an der Zimmerdecke hin aus, was man als eine große Zierde betrachtet, und wa» auch in der That zur Feier des Christfestes sehr viel beiträgt. Eine Familie wett eifert mit der anderen, und die, welche den schönsten, blühenden Baum hat, ist sehr stolz darauf. In Tirol versucht man sogar einen Kirschbaum im Freien zum Blühen zu bringen. In der ersten Klöpfelnacht, dem ersten Donnerstagabend in der Advents zeit, gräbt man in Ranggen unter einem Kirschbaum Kalk ein, dann blüht der Baum in der Christnacht. Bei den Maifesten finden wir auch den blühenden Weißdorn als Vertreter des Frühlings. In Chepstoncastle «n der Mündung der Wye in den Bristolcanal, tanzen die Milchmädchen singend um einen alten Mann herum, der einen Kranz von Feldblumen auf dem Kopfe, in seiner rechten Hand einen blühenden Weiß dornzweig, in seiner linken einen Stab mit Schlüsselblumen und Glockenblumen, und quer über der Schulter ein Kuhhorn trägt, auf dem er bläst, sobald man einem Hause naht. Hinter den Mädchen, welche, 30 an der Zahl, Arme, Kopf und Nacken mit Sträußen von Maiblumen und wilden Rosen geschmückt haben, geht eine Dame mit einem niedrigen, breitkrämpigrn Hut, einer Brille, langen, groben Handschuhen, einer wollenen Schürze, einem kurzen Rocke, blauen, wollenen Strümpfen und Schuhen mit hohen Absätzen, silbernen Schnallen und breiter Zunge. In der «inen Hand hält sie einen frischgrscheuerten kupfernen Kessel, in der anderen einen Korb mit Walderdbeeren, und wer irgend mit einer Tasse oder Schale zu ihr tritt, dem giebt sie mit der verbindlichsten Artigkeit etwas von ihren Früchten und von ihrer Sahne. Man nennt sie Tante Nelly und ihren Gefährten Onkel Ambrosiu». Den Weißdorn finden wir auch als Träger eines Beerenopfers. Zu Dodenhausen, Kreis Frankenberg (Hessen) stecken die Kinder von den gesammelten Waldbeeren die drei besten Beeren auf die Spitzen eines vor dem Walde befindlichen WeißdornstraucheS. Dabei werfen sie einen Stein in den Busch und danken in einem hcrgesagten Spruch für die Gabe der Beeren. Geschah solches nicht, so fürchtete man, das nächste Mal entweder keine Beeren zu finden, oder die gefundenen bei dem Nachhausegehen zu ver schütten. Abergläubische Leute bestreichen Warzen mit einer rothen, grauen oder schwarzen Waldschnecke und stecken diese auf einen Weißdorn. Sobald die Schnecke stirbt, verschwinden die Warzen. Der Aberglaube schreibt dem Weißdorn manche geheime Kraft zu. Gleich den ersten drei Roggenähren, welche man im Jahre findet, schützen die drei ersten Weißdornblüthen gegen das Fieber. Zwischen dem Weißdorn und dem Schwarzdorn oder der Schlehe soll eine so große Feindschaft herrschen, daß, wenn Beide nebeneinander gepflanzt werden, der Schwarzdorn stets ver dorren muß. Da nun der Schwarzdorn häufig zu bösem Zauber verwandt wurde, ging die Meinung, man könne solchen Zauber durch Weißdornzweige leicht aufheben. Die fromme Sage bringt den Schwarzdorn mit dem Leiden Jesu in Beziehung. Nach derselben sträubten sich die Dorn zweige, all die KriegSknechte sie brachen und zur Dornenkrone für Christum winden wollten, allein vergeblich. Da erfüllte den Dornstrauch tiefe» Leid, und er neigte traurig seine Zweige. Der Herr aber erkannte deS Strauches Unschuld und schmückte ibn zum Zeichen derselben mit kleinen, Weißen Blüthen. Forsten - eichner erzählt diese Sage also: „In der Nacht, als der Herr seinen Leidensweg antrat, durchbebte tiefer Schmerz selbst die Natur; denn wie der Gottessohn bei dem wilden Dornbusck vorüberging, da lispelte Ach und Weh durch dessen grüne Zweige, weil er der Stirn des Heilandes so tiefe Wunden Nißen sollte Der Herr aber wandte seinen Blick zu ihm und sprach: „Was kannst Du dafür, wenn rohe Hände einen Kranz von Deinen Zweigen flechten, ihn mir auf» Haupt setzen und die spitzen Dornen in Stirn und Schläfe treiben. Zum Zeichen Deiner Un- schuld sollen Dich die Engel umkleiden mit einem weißen Blüthen- kleide, beute, und wenn der Gedächtnitztag an meine Leiden jähr lich wiederkehrt." Dann streckte der Herr seine Gegenshand auS, und der düstere Schlehdorn schimmerte hell auf in weißer Blüthenpracht. In Folge dieser Segens schlägt auch kein Blitz in den Strauch. In den Dornstrauch schlägt kein Blitz, Wenn es donnert und gewittert, Unter ihm ist sich'rer Sitz, Wenn die Eiche jäh zersplittert. Der Schwarzdorn heißt auch Schlehe, und schläh» oder schlrh« heißt so viel wie herb und schlehen die Zähne stumpf machen, weil die herben Früchte viel Säure enthalten.
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