02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000707027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900070702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900070702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4g» spaltens 50^, vor den Familiennachrichkea (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis, verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbefürderung 70.—. .Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig 341. Sonnabend den 7. Juli 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Die Ausrüstungsarbeiten werden in Kiel von der „Brandenburg"-Division in vollen Kräften fortgesetzt. Ganz ge waltige Mengen Proviant und Munition werden von den Schiffen übernommen. Die Besatzung wird in der Weise auS- gewählt, daß alle schwächlichen Personen ausgeschieden und durch kräftigere ersetzt werden, so daß eine tropenfähige, wirklich leistungsfähige Bemannung an Bord jedes der Schiffe vorhanden ist. Mit großer Bestimmtheit taucht heute die Meldung auf, daß die Division ausersehen sei, dauernd in Ostasien stationirt zu bleiben und daß zwar nach Ablauf der Dienstzeit die Mannschaften zuriickkehren in die Heimath, nicht aber die Schiffe. Diese Mittheilung erhält eine gewisse Bestätigung durch die Thatsache, daß bereits die UebungSmunition für das nächste Jahr an Bord genommen ist. Im Uebrigen mag daran erinnert sein, Laß vor einigen Monaten i» der halbamtlichen „Berl. Corresp." mitgctheilt wurde, die Marineverwaltung müsse über kurz oder lang der Stationirunz einer Division Linienschiffe in Ostasien näher treten. Zwei vollwerthige Linienschiffe, „Kaiser Wilhelm II." und „Kaiser Friedrich III.", thun bereits aktiven Dienst. „Kaiser Wilhelm der Große" wird im Herbst, „Kaiser- Barbarossa" im Februar und „Kaiser Karl der Große" im April fertig sein, so daß erst in Jahresfrist eine vollgiltige Lmienschiffsdivision in der Heimath formirl werden kann. In Kiel ist gleichfalls die bis jetzt durchaus unbestätigte Meinung verbreitet, Prinz Heinrich habe sich zur Ueber- nahme des Commandvs der Panzerdivision erboten, der Kaiser habe dieses Anerbieten mit anerkennendem Danke abgclehnt. — Wir verzeichnen dieses Gerücht der Bollständigkeit halber, glauben aber nicht an seine Wahrheit. Wie schlimm die Verhältnisse in Ostasien liegen, geht auö der Erklärung des Kaisers, betreffend die Belohnung der Retter von Fremden in Peking, hervor, eS muß deehalb eine Meldung der „Post" aus Wilhelmshaven von gestern be fremdlich erscheinen, wonach, „um falschen oder über triebenen Gerüchten über die chinesischen Vorgänge vor zubeugen", der Ches der M a r i n e st a t i o n der Nordsee in Wilhelmshaven durch StationS- TageSbefehl Folgendes bekannt gegeben habe: „Die Marinetheile u. s. w. haben daS unterstellte Personal auf daS Strengste anzuweisen, weder selbst übertriebene und falsche Gerüchte über die Vorgänge in China zu ersinnen und zu verbreiten, noch cursirende Gerüchte, deren Wahrheit nicht amtlich feststebt, weiter zu erzählen. Derartige Gerüchte sind geeignet, die Lage in Ostasien schlimm darzustellen, was sie tatsächlich nicht ist (?), und die Angehörigen der in China befindlichen Kameraden unnütz in Bcsorgniß zu setzen." Diese Bekanntmachung ist uns tatsächlich unverständlich, umsomehr, als die Lage immer gefahrdrohender wird. Schon kommen Nachrichten, daß sich die Revolution über die südliche Mandschurei ausgedehnt hat. DaS Kohlenwerk bei Mulden,dieEisenbahnnachNiutschuangunddieTelegraphenlinien sind zerstört. Telegramme vonPort Arthurgehen überTschifu.— Wenn die Verbündeten im Norden Niederlagen erleiden sollten, so telegraphirt der amerikanische Consul auS Shanghai, werden die Unruhen sich auf Central« und Südchina auSdehnen und die Ausweisung und Ermordung der Ausländer im Innern, sowie die Vernichtung des Handels zur Folge haben. Aber nicht nur die Ausländer werden vernichtet, die Wuth der Boxer und ihrer Freunde richtet sich auch gegen ihre Landsleute, soweit sie Christen sind. Fünftausend zum Christen- tbum übergetretene Eingeborene sollen von den kaiserlichen Truppen nicdergemetzelt worden sein. Die anderen Mächte ergreifen nunmehr auch schärfere Maßregeln. Nordamerikas Negierung, die bis jetzt etwas sehr verschämt abseits stand, kann sich dem allgemeinen Volkswillen nicht entziehen. Wenn auch, wie die anderen Mächte, die Negierung noch nach wie vor an der Theorie festhält, daß ein Kriegszustand in China nicht existire, wenngleich Herr Wu Ting Fang, der chinesische Gesandte, nach wie vor im Weißen Hause auö und eingeht und jeden Tag neue Nachrichten erhält, „daß die Situation lange nicht so ernst sei, wie man allgemein annimmt", sucht doch Amerika mit der größtmöglichen Eile Truppen nach dem „Blumenreich der Mitte" zu schaffen. ZnSgesammt mögen jetzt Wohl 10 000 Mann unterwegs sein. Außerdem werden, so läßt sich die „Franks. Ztg." aus New Jork vom 26. Juni schreiben, jeden Tag Verstärkungen für das an der chinesischen Küste liegende Geschwader abgesandt, und in einer Woche wird dasselbe fünfzehn größere Fahrzeuge aufweiscn. Gegen diese Maßregeln, die Low auf einen Kriegszustand schließen lassen, er hebt sich nirgendwo Opposition, indessen verlangen viele Blätter von Herrn Mac Kinley, cr möge den Kongreß zusammen berufen. Es wird sogar angedeutet, daß der Verfassung zu folge dies schon hätte geschehen müssen, da er ohne Zustimmung dieser Körperschaft nicht Krieg führen kann. Tie Admini stration läßt indessen verkünden, daß sie nicht Krieg führe, sondern lediglich Lebe» und Eigenthum amerikanischer Unter- thanen schütze. Wenn Herr Mac Kinley sich doch noch entschließt, den Congreß einznberufen, muß die Situation wirklich sehr ernst fein, denn in einem Präsidentschafts-Jahre sucht ein Präsident, der wiedergewählt werden will, den Congreß so viel wie möglich fernzuhalten. Die „StaatSzeitung" erklärt, es sei in Washington eine mächtige Coterie an der Arbeit, die Administration dazu zu drängen, die gegenwärtige Situation zur Erlangung eines permanenten Stützpunktes in China auszunutzen. Tatsächlich sei Herr Mac Kinley „unter gewissen Voraussetzungen" geneigt, eine solch- Politik cinzuschlagen. Diese „gewissen Voraussetzungen" werden Wohl daun als vorhanden betrachtet werden können, wenn eine europäische Macht auf GcbietScrwerb au-geht. Dann aller dings würde auch Amerika nicht zurückstehen wollen. Tie jüngsten Depeschen auS Washington bestätigen, daß, obgleich keine Truppen weiter Befehl erhalten haben, sich direkt nach China zu begeben, doch beschlossen worden ist, mit größter Beschleunigung die Absendung von Truppen von den Vereinigten Staaten nach Nagasaki vorzunehmen, um für die Dienstleistung in China oder auf den Philippinen bereit zu fein. Rußland schickt jetzt den Generalleutnant Niedermöller nach StretinSk im TranSbeikal mit besonderen Vollmachten des Kriegsministers. Er soll den Oberbefehl über die in Ostsibirien befindlichen Truppen, die sich nach der chinesischen Grenze begeben, übernehmen. Japan rüstet weiter. Die japanische Gesandtschaft in Washington erhielt eine amtliche Depesche aus Tokio, wonach Japan beschloß, eine gemischte Division nach China zur Verstärkung der dortigen japanischen Streitmacht zu ent senden. Damit wird die Gesammtzahl der japanischen Truppen in China auf 22 000 Mann erhöht. Hier wollen wir gleich die Erklärung des UnterstaatSsekretärS deS Aeußern Brodrick im englischen Unterhause anfügen. Er sagte: „Die japanische Negierung hat von der britischen die Versicherung erhalten, daß eine prompte Entsendung einer großen japanischen Streitmacht nach Taku von Eng land willkommen geheißen werden würde. Kein Ein wand wurde von irgend einer Macht gegen dieses Verfahren erhoben. Da die Unterbandlungen sortdauern, so kann ich keine weitere Erklärung über diesen Gegenstand abgeben." — Der Abg. P. T. Counor fragte an, ob das Haus diese Er klärung dahin verstehen solle, daß das Gesuch an Japan, in dieser Sache vorzugehen, einstimmig seitens der Mächte erfolgte. Hierauf gab der Unterstaatssekretär keine Antwort. Keine Antwort ist hier eine sehr beredte Antwort. Wir verzeichnen noch folgende zumeist durch die Ereignisse überholte ausführlichere Meldungen: * London, 6. Juli. DaS „Neuter'sche Bureau" meldet vom 29. Juni ans Tientsin: Die fremden Befehlshaber sind gewillt, zu verzweifelten Mitteln zu greifen, jedoch würde der Versuch eines Gewalt-MarscheS von Tientsin aus mit den zur Verfügung sichenden Truppen sichere Vernichtung derselben bedeuten, ab gesehen von der Niedermetzelung der Civilpersonen, die dann thatsäch lich ohne Schutz zurückgclassen würden. Hinreichende Wasserzufuhr ist eine schwierige Aufgabe, da die Gegend kein Wasser liefert, außer dem aus den Flüssen; denn die Brunnen sind vergiftet. Die Chinesen verüben furchtbare Grausamkeiten an den Verwundeten und verstümmeln alle Tobten, die in ihre Hände fallen. General Uungfusiang ist mit 10000 Mann der besldiSciplinirtcn Truppen der chinesischen Armee, die Mohame- daner sind, von Südwesten her auf dem Marsche gegen Peking. DaS in der Nachbarschaft der Hauptstadt befind liche Heer ist etwa 50 000 Mann stark. Die Kaijerin-Wittwe ist in den Sommerpalast geflüchtet. Mohamedaner und Boxer kämpfen in Peking. Die Frauen und Kinder werden aus Tientsin nach Taku gebracht werden, sobald die Reise für sie sicher ist. Tausende todter Chinesen liegen un beerdigt auf den Feldern bei Tientsin. Der Fluß von Tientsin bei Taku schwimmt voller Leichen, von denen viele von der Fluth ans Ufer gespült werden. Die Fremden in Tientsin erklären, daß sie ihr Leben den Russen danken, ohne deren Hilfe die kleinen Abteilungen der anderen Mächte sicher am 20. Juni überwältigt worden wären, an welchem Tage die Chinesen die belagerten Truppen von allen Seiten be drängten; selbst der Muthigste hätte die Hoffnung aufge geben gehabt. Ter russische Oberst Zowack habe angeordnet, daß der Haupttheil der Truppe einen Ausfall machte, um mit den Civilpersonen nach Taku zu gelangen: 400 Russen sollten zurück bleiben, die Stadt zu vcrtheidigen und die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich lenken und im schlimmsten Falle sich opfern. Aber LaS rechtzeitige Eintreffen britischer und amerikanischer Truppen rettete den Tag. Ihr Eintreffen überraschte den Feind. Die Ent deckung der bisher unbekannten Arsenale und Lager gehört zu den Beweisen für die ungeheuren Vorbereitungen, die die Chinesen für den Krieg getroffen haben. In drei Arsenalen außerhalb Tientsin wurden Waffen und Munition modernster Type im Werthe von über 2 Millionen Pfund vernichtet. * Petersburg, 6. Juli. Auf eine Anfrage der japanischen Regierung betreffend Entsendung japanischer Truppen nach China zur Hilfeleistung für die in Peking befindlichen Ausländer antwortete die kaiserlich russische Regierung, wie die „Russische Telegraphen-Agentur" aus authentischer Quelle erfährt, bereits am 27. Juni, daß sie der japanischen Regierung volle Action ssrei heit in dieser Beziehung einräume, umsomehr als die japanische Regierung ihre Bereitwilligkeit aussprach, in vollem Ein vernehmen mit den anderen Mächten zu handeln. * Petersburg, 6. Juli. Ter Generalstab erhielt folgende De peschen: Eine Depesche aus Niutschuang vom 20. Juni, welche besagt: Bei derExplosion des Pulvermagazin-in Mulden wurden 50 Personen getödtet. Ter hiesige Taotai ließ Bekannt machungen anschlagen, daß die Brücken auf der chinesischen Eisenbahn wegen der Regengüsse von den Ingenieuren ab gebrochen worden, welche darnach hier eintrafen; die Boxer seien an der Zerstörung der Eisenbahn unbetheiligt. Eine Sotnie der Schutztruppe ist von Norden requirirt worden, welche längs der Bahnlinie ausgestellt wurde. — Eine weitere Depesche aus Niutschuang vom 22. Juni berichtet: Der Taotai theilte gestern mit, daß die aus Mukden requirirte Cavallerie ansgerückt und bei der Station Jukun Stellung genommen habe. Man ist im Zweifel, wie sich di« Soldaten verhalten werden, wenn der Aufstand ausbricht. Die hier ansässigen Fremden bilden eine Schutztruppe und baten den Commandanten deS russischen Kriegsschiffes „Otwasluy", den Oberbefehl über dieselbe zu über nehmen. Die britischen Eisenbahnarbeiter verlassen die Bahn, die chinesischen Kaufläden in der Stadt werden geschlossen. Eine De pesche aus Nikolskoje vom 2. Juli meldet: In den Provinzen Kirin und Heilude in sind diesen Monat keine Ereignisse zu ver zeichnen, welche ernste Besorgnisse für die Zukunft erwecken oder die Ergreifung äußerster Maßregeln hier nothwendig machen könnten. In Anbetracht der Lurch die letzten Ereignisse in China hervorge rufenen Stimmung der Gemüther hat jedoch die Eisenbahnver waltung die Schutzwache an mehreren Puncten verstärkt, so in Huantschendsie, wo Erregung unter der Bevölkerung bemerkt wurde. Zugleich wird der jetzige Bestand der Schutztruppe überhaupt als numerisch unzureichend angesehen bei der großen Ausdehnung der Bahnlinie. Ter Ober-Ingenieur sucht um eine Verstärkung der Schutztruppe nach und ist eine weitere derselben geplant. Man glaubt, daß die ergriffenen Maßregeln ausreichen, wenn sich die gegenwärtige Lage in der Nord-Mandschurei nicht verschlechtert. * Petersburg, 6. Juli. An amtlicher Stelle trafen folgende Telegramme ein: Nikolskoje, 2. Juli: der chinesische Gouverneur von Heiludsieu, welcher durch Gerüchte über eine bevorstehende Dislocirung von Truppen auS Blagoweschtschensk nach Zizischar beunruhigt war, versprach, die Bahnlinie nöthigenfallS durch chinesische Truppen bewachen zu lassen. In der Provinz Schendehin sind dem Bahnbau auch schon früher bedeutende Hindernisse bereitet worden. In der Nähe von Mukden und Tieling wurden in letzter Zeit auf rührerische Banden bemerkt. Ja Laojan sind die Bahn gleise zerstört, die große Brücke und das Stationsgebäude verbrannt worden. Bei Tieling wurde ein Ingenieur überfallen. Niutschuang, 3. Juli: Der Vicekönig von Hankau erklärte allen Consuln durch den Taotai und seinen Privatsekretär, daß, welche Wendung im Norden die Ereignisse auch nehmen würden, er und Fettilletsn. Diana. - ' Roman von Marian Comyn. * Nachdruck verboten. Der Ton, in dem sie sprach, veranlaßte Bipont, sie scharf anzublicken, doch sie erwiderte seinen Blick nicht. Sie war damit beschäftigt, sich kunstgerecht selbst ein Glas Champagner einzu gießen. Als sie damit fertig und daS zierliche Kelchglas bis zum Rande gefüllt war, setzte sie es an ihre Lippen. Doch kaum hatte sie dasselbe berührt, als es ihren Händen entglitt und auf den vor ihr stehenden Teller aufschlagcnd, in tausend Stücke zer brach. Keziah's Gesicht hatte sich mit einer tödtlichen Blässe überzogen; und sie war kaum im Stande, den lauten Schreckens ruf, der sich auf ihre Lippen drängte, zu unterdrücken. In demselben Augenblick war auch Mr. Bipont schon empor geschnellt und blickte sich forschend um, um -u ergründen, was die Ursache ihres Schreckens gewesen sei. Hinter ihm befand sich hoher Wald, der dicht mit Darren und Wachholder durchwachsen war; und weniger scharfe und geübte Augen, als diejenigen Mr. Bipont'S, würden kaum entdeckt haben, was er entdeckte — nämlich eine menschliche Gestalt, die sich unter dem Schutze der Darren unbemerkt zurückzuziehen versuchte. Ehe Keziah Zeit gefunden, irgend eine Bemerkung zu machen, war Mr. Bipont bereits in das Unterholz hineingestllrzt und hatte sich des Mannes bemächtigt, eines untersetzten, behenden Burschen von etwa dreißig Jahren, der im ersten Augenblick sehr geneigt zu sein schien, sich zur Wehr zu setzen. Er hob die ge ballt« Faust empor und führte einen kräftigen Schlag gegen die Brust Bipont'S, von dem sich der Detectiv, wenn er ihn getroffen, nicht so schnell erholt haben würde. Aber der schlaue Polizist war gewandt genug, sich demselben durch schnelles Niederducken zu entziehen, und der Schlag ging in die Luft. „Nun, nun, gemach mein Lieber", sagte der Detectiv in versöhnlichem Tone, „weshalb um Alles in der Welt sind Sie denn so aufgebracht? Gleich mit der Faust auf einen harmlosen Menschen, wie ich eS bin, loszugehen! Man könnte fast geneigt sein, zu glauben, daß Sie mich für einen Waldhüter oder etwas dem Aehnliches gehalten haben, der Ihnen auf der Spur ist, weil sie vielleicht ein paar Hasen oder Rebhühner geschossen haben! Beruhigen Sie sich, Mann, ich gönne Ihnen ein solches Vergnügen gern! Warum auch nicht? DaS Jagdgesetz ist hart genug gegen den armen Mann, und ich denke gar nicht daran, Ihnen wegen einiger kleinen Wilddiebereien, die Sie etwa be gangen haben, Unannehmlichkeiten zu bereiten." Diese beruhigende Erklärung hatte den gewünschten Erfolg. Der Mann verhielt sich ruhig und der wilde, empörte Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht, während seine Augen von der reich besetzten Waldtafel zu Keziah hinüberschweiften, welche neben derselben stand und offenbar nicht wußte, was sie thun sollte. „Gut, gut, alter Junge!" antwortete der Mann mit einem häßlichen Lachen. „Es ist wahr, ich war ein wenig erschrocken, aber Sie sehen nicht danach aus, als ob Sie einem armen, vom Schicksal hart mitgenommenen Burschen, wie mir, Unannehm lichkeiten bereiten würden. Ich habe der Dame dort einen Schreck eingejagt", sagte er, indem er eine linkische Bewegung mit seiner Hand gegen Keziah machte. „WaS mir zur Ent schuldigung dient, ist, daß ich so hungrig bin, daß ich eS kaum noch ertragen kann. Ich kann Ihnen sagen, es ist kein schönes Gefühl, und der Anblick all' der Herrlichkeiten, welche hier aus gebreitet sind, machte mich ganz elend." Und von Neuem warf er einen sehnsüchtigen Blick auf die Speisen und blickte dann wieder auf Keziah. Bipont wartete, ob sie etwas sagen würde, doch sie schwieg. „Kommen Sie und essen Sie sich satt, Mann", sagte der Detectiv gastfreundlich, „eS ist genug da, uns kommt eS auf etwas mehr oder weniger nicht an, nicht wahr, Miß Turner?" Miß Turner machte eine leichte Bewegung mit der Hand, welche sich auf die verschiedenste Weise deuten ließ, und fing dann an, die Teller zusammenzunehmen. Der Mann, dem Bipont daS gastfreundliche Anerbieten gemacht hatte, zögerte. Hungrig, wie er zweifellos war, schienen ihm dennoch Bedenken aufgestiegen zu sein, welche ihn davon zurückhielten, die Einladung anzu nehmen. „Sie verstehen eS, mit einem armen Teufel umzugehen", sagte er nach einer ziemlich langen Pause zu Bipont, „aber ich bin doch wohl nicht in der gehörigen Verfassung, um mich neben Ihresgleichen niederzulassen. Geben Sie mir ein Stück Brod und das halbe Huhn dort, ich werde es dann im Weitergehen verzehren." „Nein, das werden Sie nicht, Mann!" sagte Vipont mit großer Entschiedenheit. „Wenn Sie von unseren Herrlichkeiten hier etwas genießen wollen, so müssen Sie uns auch Ihre Ge sellschaft schenken. DaS war schön gesagt, nicht wahr? Und nun vorwärts, mein Freund!" Dagegen ließ sich nichts mehr sagen, und die Sache endete damit, daß der Fremde sich vor dem halben Huhn niedersetzte, welches er in einer fabelhaft kurzen Zeit vertilgte. Er mußte in der That außerordentlich hungrig sein, denn sein Appetit war unbeschreiblich, und die Art und Weise, in welcher er seine Nah rung zu sich nahm, glich mehr der eines wilden Thieres, als einem menschlichen Wesen. Vipont beobachtete ihn während der ganzen Zeit mit der größten Aufmerksamkeit, wenn auch möglichst unauffällig. Seine Kleidung war so schäbig, wie man sie sich nur denken konnte, und seine Schuhe in einer Verfassung, daß an den Seiten der selben der nackte Fuß hervorlugte, Strümpfe schien er für etwas vollkommen Entbehrliches zu halten. Sein Hut war noch daS Beste an seiner ganzen Erscheinung, ein dunkler Filzhut mit niedcrhängender Krempe, den er so tief herabgezogen hatte, daß er die Stirn und den ganzen Hinteren Theil des KopfeS voll ständig verdeckte. Obgleich der Tag für diese Zeit im Jahre ein ungewöhnlich heißer war, machte Mr. Bipont'S Frühstücksgast doch nicht den geringsten Versuch, den Hut abzunehmen, oder etwas mehr nach hinten zu schieben, was in dem ihm beobachten den Detectiv den Wunsch rege machte, ihn einmal ohne Hut zu sehen. ES war ganz erstaunlich, zu sehen, welche Veränderung mit dem Manne vorging, nachdem er gegessen und getrunken hatte. Er wurde ein ganz Anderer, gesprächig, lebhaft — und sein Hauptvergnügen schien darin zu bestehen, daß er seine Worte an Keziah richtete, welche mit finster zusammengezogenen Brauen von der anderen Seite des Tischtuches, wo sie mit dem Zu- sammensctzen der Schüsseln und Teller beschäftigt war, zu ihm hinüberblickte. „Ja, so lasse ich eS mir gefallen!" bemerkte er, als er seinen Hunger endlich gestillt hatte und sich, behaglich an einen Baum stamm zurücklchnend, die Cigarre anzündete, welche Bipont ihm gegeben hatte. „DaS ist bei Weitem besser, als auf der Land straße umherzuziehen und mit hungrigem Magen unter einer Hecke oder im Kornfeld von all' den erlittenen Strapazen auSzu- ruhen. Ich wünschte, mein Gefährte wäre hier, damit er sich auch ein wenig gütlich thun könnte, aber er wird vorläufig noch nicht zurückkommen." „Ah, Sie haben also auch einen Gefährten?" sagte Bipont leichthin. „Ja; und keinen schlechten, kann ich Ihnen sagen." „Und woher kommen Sie?" Der Mann entfernte sorgfältig das bischen Asche von seiner Cigarre, ehe er antwortete, während Keziah sich ein wenig vor beugte, als ob sie gespannt sei, seine Antwort zu hören. „Oh, aus dem Norden!" „Aus dem Norden? Sie haben aber gar nicht die Aus sprache, die dort üblich ist!" „Nein, ich bin auch ein Londoner, ein echtes Londoner Kind . sogar!" „Hat es Ihnen im Norden nicht gefallen?* „Nicht besonders." Sie sind hierhergekommen, um Arbeit zu suchen, nicht wahr?" „Ja, ja, so ist es — ich und mein Gefährte. Aber es ist hier herum nicht so leicht, Arbeit zu bekommen, wir haben unS bis jetzt vergebliche Mühe deswegen gegeben!" „Das ist ja merkwürdig", bemerkte Vipont trocken. „Die Landleute hier in der Gegend beklagen sich Alle, daß sie keine Leute zur Arbeit bekommen können. Zu dieser Zeit deS Jahres sind sie froh, wenn sie Jemanden finden können, da nehmen sie auch Fremde an. Sie haben es wohl nicht in der richtigen Weise versucht." „Vielleicht nicht", — sagte der Mann gleichgiltig, während er seine Hand nach der Champagnerflasche, die neben ihm stand, auSstreckte. Dieselbe war aber leer. „Schade, daß nicht» mehr darin ist; eS war eine feine Nummer, obgleich ich sagen muß, daß mir ein Krug frischen Bieres ebenso lieb gewesen wäre. Ach", fuhr er nachdenklich fort, „eS ist lange her, seitdem ich in einem Londoner Bicrhause gewesen bin und in lustiger Gesell schaft mein GlaS Bier geleert und einen Abend verplaudert habe. Nun — nun, mein schönes Kind, WaS machen Sie denn?" Diese letzten Worte waren an Keziah gerichtet, welcher die Messer und Gabeln, die sie zusammengenommen hatte, aus der Hand ge fallen waren, so daß ein lautes Geklirr entstand. Sie würdigte ihn keiner Antwort, sondern wendete sich an Bipont. „Die Zeit vergeht, und sie müssen bald von ihrem AuSflug zurück sein. Ditte, holen Sie etwa» Wasser auS der Quelle unten am Flusse, damit der Thee zur rechten Zeit fertig wird, ich werde inzwischen trockenes Holz herbeiholen und Feuer an zünden." Mr. Bipont schien sehr geneigt, nicht zu gehorchen, und war schon im Begriffe, sich zu entschuldigen, al» er plötzlich seine Meinung änderte. „Schön, ich werde Wasser besorgen. Geben Sie mir den Kessel." Er erhob sich langsam, gähnte, streckte sich, und wie im Scherz nach dem Hut seines Gastes greifend, warf er denselben hoch in die Luft, so daß er einige Schritte weiter erst wieder zur
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