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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000723024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900072302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900072302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-07
- Tag1900-07-23
- Monat1900-07
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Di« Morgen-Au»gab« erscheint um '/,? Uhr. di« Abend-Ausgabe Wochentag» um ö Uhr. Nedartion und Erve-Mo«: Johannis,affe 8. Di»Srv«dttio« ist Wochentag« ununterbrochen ,«öffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Filiale«: Alfred Hahn von«. v. Klemm'» Karttm. Unwersitöttsttaße 8 (Pauliuum» Laut» Lösche. »Atzmtumßr. la. PE und Künig»plotz A lVezrrSS.Pre« > d«r Hanptexpedition oder den t« Stndt- ßeztrk nnd den Vororten errichteten Au«- «pvestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, «ei zweimaliger täglicher Zustellung in» hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich S.—. Dirrctr tägliche Kreuzbondsrndung tu» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MpMerIaMaU Anzeiger. ÄuüsMtt -es königlichen Land- nn- Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Molizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Nnzeigen'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclame» unter dem Redaction«strich (4g«» spalte«) 50^, vor den Fcuntlteanachrichie« (6 gespalten) «0/4- Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichaiß. Tabellarischer und Ztfferusatz nach höherem Tarif. Extra-v et la, en (gefalzt), nnr mU der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderuu« ^il 60.—, mit Postbesörderung ^l 7V.—. Armahmeschluß für Anzeigen: Abend»Au»gabr: Bormsttag« 10 Uhr. Marge «»Ausgabe: Nachmittag« »Uhr. v«! de« Filiale« und Annahmestelle« je et» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Erpedttta» zu richte«. Druck und S«rlag von E. Pol» tu Leipzig, 37«. Montag den 23. Juli 1900. 9t. Jahrgang. Die Wirren in China. Di« Lage in China ist dadurch nicht geklärter, daß der Inhalt der Conger'schen Depesche nunmehr au» allen Hauptstädten gemelvet wird, die mit China in diplomatischer Beziehung stehen. Wenn der Postdirector Scheng die Ame rikaner anlüzt, so wird er die« auch mit anderen Böllern thun. Eine Bestätigung seiner Nachricht, daß die Gesandten „wohlbehalten" im Schutze der Regierung sich befinden, ist also die allgemeine Verbreitung der Nachricht nicht, ebensowenig ist den Versicherungen de» Gouverneur« von Schantung Glauben zu schenken. Bevor nicht eia Nichtchines« das Leben der Fremden in Peking bestätigt, glauben wir nicht daran. Wir werden in unserer Meinung bestärkt dadurch, daß die chinesische Botschaft sich einem AuSfrager de» »Daily Tele graph" gegenüber sehr zugeknöpft zeigte. ES hatte nämlich vir chinesische Gesandtschaft in London in der Person ihre« ersten Sekretärs einem Vertreter de- Londoner »Daily Telegraph" rin Interview bewilligt, in welchem der bezopfte Diplomat sich in ganz besonder- verbindlicher Weise dem Fragen-Ansturmr de- englischen Journalisten entgegenstellte und seine Antworten ebenso geduldig wie diplomatisch abgab. Auf dir Frage, ob die Gesandtschaft irgendwelche neue Nach richten von Peking erhalten habe, erwiderte der Sekretär: «Jawohl, wir haben wieder von Peking gehört, aber die Nachricht ist privater Natur, und augenblick lich sind wir noch nicht im Stande, dieselbe zu veröffent lichen." — Da- Frage- und Antwort-Spiel zwischen dem Engländer und dem Chinesen nahm dann den folgenden Fortgang: »Haben Sie den Bericht gesehen, wonach der amerikanische Gesandte Mr. Conger an seine Regierung nach Washington von Peking noch am 18. (?) Juli telegraphirt haben soll? — Jawohl, und Sie mögen diese Meldung al- wahr betrachten. — Ist dieses Factum vielleicht ein Theil der Nachrichten, die Sie heute erhielten und noch nicht publik machen können? — Ganz gewiß! — Können Sie mir nicht wenigstens eine Andeutung geben über den Charakter der anderen Nachrichten? — Nein, das kann ich leider nicht. Unser Gesandter hat keine weiteren Meldungen für die Oeffentlichkeit. — Sind Sie in der Lage, mir eine Idee von der Lage in Peking zu geben? — Nein, aber Sie können ruhig annehmen, daß am 18. Juli, dem Datum der Conger'schen Depesche, alle Gesandtschaften und alle Europäer in Peking in Sicherheit waren. — Kam denn die Botschaft wirklich direkt von Peking? — Selbst verständlich! — Warum ist es denn für die übrigen Mächte nicht möglich, mit ihren Vertretern in Peking in Verbindung zu kommen? — Darüber kann ich nichts sagen. — Ich weiß nicht, ob die telegraphische Verbindung mtt Peking überhaupt wieder hergestellt worden ist, aber darüber kann kein Zweifel herrschen, daß der Weg, den die Conger'sche Depesche ging, auch den anderen fremden Ge sandten offen steht. Vielleicht ist aber auch mit der Depesche de- Mr. Conger eine besonders energische Anstrengung ge macht worden. ES ist sehr wahrscheinlich, daß die Chinesen sich keine Vorstellung von der Besorgniß machen, mit der man in Europa eine direkte telegraphische Verbindung mit den Gesandten in Peking anstrebt, aber ich sehe den Grund nicht ein, warum em Minister leichter mit seinem Gouverne ment in Verkehr treten können sollte, al» die anderen. — Sie sind also außer Stande, mir irgend welche ferneren Nachrichten zu geben? — Ich denke, ich habe Ihnen eine sehr gute Neuigkeit mitgetheilt, und eS freut mich außer ordentlich, daß ich überhaupt im Stande war, dieses zu thun. Gute Nacht!" Diese Aeußerungen deS ersten Sekretärs der hiesigen kaiserlich chinesischen Gesandtschaft sind natürlich so inhaltlos und unmaßgeblich, wie alle auS chinesischer Quelle stammen den Ansichten und Nachrichten, und im Uebrigen wird sich der Beamte natürlich wohl hüten, wenigstens schon im per sönlichen Interesse den Schein so lange als möglich zu wahren- wären die übrigen „letzten officiellen Nachrichten" der Gesandtschaft günstiger Natur, so würden dieselben wohl nicht erst lauge geheim gehalten werden. Die Japaner haben am 19. und 20. Juli in Shan» bai-Kuan, am westlichen Ufer deS Meerbusens von Liaotung, eine Truppenmacht von etwa 15 000 Mann ge landet, welche aus einer Infanterie-Brigade, einer Cavallerie-Division und der dazu gehörigen leichten Feld artillerie besteht. Die schweren Geschütz« sind in Taku ge- landet worden. Von Shan-bai-Kuan au- soll diese- Corps läng- der chinesischen Mauer westwärts bis Si- teng-kow marschiren und von dort aus über Tsum-Hua, Ki und Sanho auf der guterhaltenen alten kaiserlichen Heerstraße bis Tung vordringen, wo e- sich zum gemeinschaftlichen Marsche auf Peking mit den von Tientsin läng» de» Peibo marschirenden Trupven vereinigen soll. Doch ist dieser Vormarsch läng» deS Peibo vorläufig nur als Projekt zu betrachten. In oder bei Ting, welches einer der Hauptwaffenplätze China- ist, etwas wie ein chinesisches Aldershot oder ChalonS-sur-Marne, würde e- dann zu dem Kampfe kommen, der das Schicksal Pekings zu entscheiden hätte. Ursprünglich sollte ein russisches CorpS durch die Ge birgspässe über Chang-te (Iehol) Vordringen und fick mit den Japanern in Si-teng-kow zum Marsch aus Tung vereinigen. Allein nach dem Einfall der Chinesen in russisches Gebiet und Wohl auch wegen des überaus schwierigen, unwegsamen Terrains kann auf die russische Beihilfe auf dieser Seite deS künftigen Kriegsschauplatzes nicht gerechnet werden. Nun die alliirten Truppen Tientsin eingenommen haben, wird diese Stadt die natürliche Basis der längs deS Peiho auf Peking marschirenden Armee. Bis Tientsin ist der Fluß schiffbar für Sckiffe bi- zu zehn engl. Fuß Tiefgang und die Durchschnittsdifferenz zwischen Ebbe und Fluth ist vier und einhalb engl. Fuß. Oberhalb Tientsin», wo die Fluth sich nicht mehr fühlbar macht, können nur ganz leichte Schiffe fortkommen und hinauf bi» Ho-see-wow ist der Fluß nur für Dschunken schifsbvr, die nicht mehr wie 18 Zoll Tiefgang haben und trotzdem an vielen Stellen, wo der Fluß sich ausbreitet und noch seichter wird, mit großen Schwierigkeiten fortzukommen vermöaen. In Tientsin selbst wird der Peibo „Hyho" genannt, Oceanfluß. Oberhalb Tientsins, bis Tung-chow, wo ver schiedene Flußarme znsammenfließcn, deren jeder seinen eigenen Namen führt, wird er im Allgemeinen als der „Taho", der große Fluß bezeichnet. In diesem Theile seines Laufes windet und krümmt er sich in solch scharfen und jachen Winkeln, daß größere Dschunken nur mittels Anwendung von Tauen an den beiden Ufern weitergebracht werden können. DaS Wasser deS Peiho ist trinkbar und dient längs seines Laufes überall auch al» Trinkwasser, weil in der Nachbar schaft andere Quellen nicht vorhanden sind. Daher auch die WasserSnoth der Verbündeten, als Leichen und Unrath den Peiho „untrinkbar" gemacht hatten. Das Wasser ist trübe, lehmig und gelblich von Farbe, wird aber durch leichten Alaunzusatz sofort geklärt. Sowie der Alaun sich löst, senken sich die erdigen Theile zu Boden und da» Wasser ist trinkbar. Im 1880er Feldzuge gab e» in dieser Gegend EiS im Ueberfluß. Es wird während der Wintermonate, wenn der Fluß völlig zufriert, aufgestaut und zur Sommerszeit in Tientsin, wo es geschmolzen ein LieblingSgetränk der Bevölkerung bildet, und selbst in den kleinsten Ortschaften in den Straßen für ein Geringes verkauft. Lebensmittel sinv in Tientsin im Ueberfluß vorhanden. Der Boden rings um die Stadl ist außer ordentlich fruchtbar, Früchte und Gemüse gedeihen überreichlich. Rindvieh und Schweine sind zahlreich. Karren und Wagen, PonieS, Maulthiere und Esel giebt e» mehr als hinlänglich für den weitestgehenden Transportbedarf, und im Großen und Ganze» kann e» keinem Zweifel unterliegen, daß diese Provinz eine selbst zahlreiche Armee leicht ernähren kann und daß Cbefoo als der Ausgangspunkt eines der fruchtbar sten Landstriche in China, die natürlich geschaffene Ver» proviantirungSbasiS für die europäische» Truppen sein kann und sein wird. Von der Meeresküste bis nach Tientsin führt neben der Eisenbahn eine gute fahrbare Straße. Doch weiterhin und bis Peking hinauf nichts anderes als ein polnischer Feldweg, in trockener Jahreszeit auSgedörrter Kotb, nach Halbwegs reichlichem Regen un brauchbar selbst für daS leichteste Fuhrwerk. Ueberdie» ist das Land ringsum so tief gelegen, daß es zur Regenzeit allemal Ueberschwemmungen ausgesetzt ist. An dem ganzen Wege fehlt e» an Gründen, brauchbar zu Lagerzwecken. Im Jahre 1860 halfen sich die Engländer und Franzosen über diese mannigfachen Schwierigkeiten dadurch hinweg, daß sie nur in kleinen Detachements marschirten. Zahlreich sind die Dörfer auf der ganzen Route und selbst die kleinste Ortschaft kann, umgeben von eingezäunten Gärten und Wassergräben, leicht vertheidigt werden. Die Regenzeit hat bereits begonnen, dauert aber in der Regel nicht langer als bi- Ende August. Doch schon gegen Ende deS Monat» September beginnt es zu wintern, die Nächte werden rauh und kalt, Nordwinde stürmen, dichter Schnee fällt und nicht selten erfrieren schon um diese Jahreszeit Menschen in den Straßen von Tung-How. Fieber und Dysenterie sind frequent in der ganzen Region, ebenso auch Augenkrankbeilen. Trotzdem aber habe» im 1860er Feldzug die alliirten Truppen nur wenig darunter gelitten. * Mailand, 23. Juli. DaS BorbereitungScommando deS deutschen ostastatischen ExpeditionScorp» ist heute früh 1'/, Uhr hier eingetroffen und von General Ferrero, dem ersten Sekretär deS deutschen ConsulatS Eckhardt, italienischen Osstcleren, zahlreichen Mitgliedern der deutschen Colonie uud einer großen Menschenmenge enthusiastisch begrüßt worden. Zwischen den deutschen und italienischen Osficieren und Soldaten herrschte alsbald eine herzliche Unterhaltung. E» wurde Bier gereicht und auf den guten Erfolg der verbündete« Waffen getrunken. Um 2V4 Uhr reiste da» Detachement unter lebhaften Kundgebungen der Menge Wetter. Die Musik spielte „Heil Dir im Siegelkranz." * Land«», 22. Juli. („Reuter'S Bureau".) Die chinesische Gesandtschaft übermittelte dem „Foreign Office" eiae Bot schaft, nach der alle Gesandten, außer dem deutschen, Freiherr» von Kettrler, wohlbehalten sind. Da» Telegramm besagt, die Gesandten sei«» noch am Leben und befänden sich unter dem Schutze der chinesischen Regierung. Die Depesche ist ohne Datum. * New Vork, 22. Juli. Dem „New Dork Herald" zufolge, wäre dem Präsidenten Mac Kinley ebenfalls ein Gesuch de» Kaisers von China um Vermittelung zugegangrn, von Mac Kinley aber im Hinblick auf die Versuche, Verbindung mit dem Gesandte» Conger zu erlangen, amtlich »och uicht beantwortet worden. * London, 23. Juli. Die „Times" schreiben au» Shanghai unter dem 24. d. M.: Verantwortliche chinesische Beamt« gebe» zu, daß nach dem Eingehen der Antwort des Kaiser» von Japan aus die chinesische Botschaft auf Befehl der Kaiserin-Wittwe die Verhandlungen durch den Bicekönig Liu-Kung-M mit mehr als einer Macht eröffnet worden seien und daß die Provinzen jetzt im Stande seien, regelmäßig inner halb dreier Tage Verbindung zu haben. — Die „Times" berichten aus Shanghai vom 22. dieses Monat»; Nach einer amtlichen Mittheilung hat der Entschluß England-, eine entsprechende Truppe in Hongkong zur Verfügung de» Generalconsuls in Shanghai für den Nothfall zum Dienste in den Vangtse-Pcovinzen bereit zu halten, ein» vorzüglich« Wirkung hervorgebracht. Der Entschluß wird von de» Chinesen al» der ernste Wille Großbritannien- angesehen, seine Interessen zu schützen, die Ordnung in dieser Gegend aufrecht zu erhalten und gleichzeitig den Vicekönig von Nanking einen Rückhalt zu geben. — Die „Times" melden auS Hongkong unter dem 22. d. MtS.: Heute wurde hier der 30. Geburtstag de» Kaiser» von der chinesischen Lolonie der Kaufleute mit größerer Begeisterung gefeiert, als gewöhnlich. — Hier herrscht Unruhe wegen der Möglichkeit einer Erhebung in Canton. — Die „Times" erfahren au» Shanghai vom 22. d. MtS.: Au» vertrauen-würdiger Quelle verlautet, Japan habe der Sendai-Division befohlen, in Hiroschima mobil zu machen und sich bereit zu halten, sich nach China einzuschiffen, sobald dies nöthig sei. * Vokohama, 22. Juli. („Reuter'S Bureau") Die koreanische Regierung fährt fort, Truppe» aa di« Grenze zu senden, um dem Ueberschreitrn der Grenz« durch di« Chinesen entgegrnzutreten. ES kam bereit» z» einem Zusammenstöße. Die japanische Press« bespricht die zwischen den Kaisern von Japan und China ausgetauschten Telegramm«; sie drückt ihre Sympathie mit der unglücklichen Stellung de» Kaiser» von China auS, betont aber einstimmig, daß die Erwartung irgend einer Allianz zwischen China und Japan trügerisch sei. Die Blätter rathen der chinesischen Regierung dringend, einen solchen Traum aufzugeben und sich lieber mit Japan zu vereinen, um auf der Bahn der Civilisation vorwärt- zu strebe». China müsse zunächst strenge Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung treffen. In diesem Falle allein, meinen die Blätter, können die freundschaftlichen Dienste Japan- zur Anwendung gelangen. Die Londoner Wochcnrevuen zur Krtst» tn vftafien. „Wir wollen gewiß nicht zu weiterem Rachegeschrei an reizen, aber wenn Europa sich gefallen läßt, was China ihm bietet, so wird sein Anspruch, die große Politik der ganzen Welt zu diriziren und in gemäßigten Bahnen zu leiten, zu nichts Weiterem al» zur seichten Renommaae." Mit diesen Worten eröffnet der „Spectator" seine» Leit artikel zur Lage in China und fährt dann fort: „Wenn Europa seinen Selbstrespect erhalten will, so muß nickt nur der einzelne chinesische Verbrecher mit seinem Kopfe für seine Schandthatea haften, sondern die ganze FrrriHeton. si Graf Lgon's neue Nachbarin. Novelle von G. von Stokman» (GermaniS). Nachdruck verdoten. Der Andere zuckte die Achseln. „Sie weiß eben, daß sie e» mit einem Gentleman zu thun hat. Aber sage einmal, hat sie gleich auf fünf Jahre gemiethet, ohne je hier gewesen zu sein?" ^Dann befindet sie sich offenbar in einer Zwangslage und ucht, dongr» mLlgr», nach einem Unterschlupf. Wie heißt sie denn eigentlich?" „Baronin Scram." „Scram? — Da» ist doch kein deutscher Adel?" „Nein, dänischer, oder schwedischer. Wie sie mir schrieb, hat sie viele Jahre im AuSlande und auf Reisen zugebracht und sehne sich nun nach einem festen Wohnsitz. Sie selbst ist offen bar eine Deutsche; doch ihren Mädchennamen nennt sie nicht." „Wohl mit Absicht. Wo hält sie sich denn augenblick lich auf?" „In Dresden, "im Hotel Bellevue." „Und da kommt sie hierher, an die polnische Grenze, wo sie keinen Menschen kennt, um sich in einem einsamen alten Schlosse zu vergraben? — Den Teufel auch; — darau» allein kann man ersehen, daß sie etwa» zu verbergen hat." Gräfin Gabriele lächelte fein. „Du bist doch sonst nicht so ungerecht und unduldsam", sagte sie sanft, „und Deine künftige Nachbarin verurtheilst Du, ehe Du irgend etwa» von ihr weißt? — Warte doch ab, ob sie wirk lich so schlimm ist, wie Du denkst. Da» Unglück verbirgt sich oft ebenso gern, wie die Schuld, und wa» sie zu un» führt, wird sich mit der Zeit schon Herausstellen." Er seufzte „Mit der Zeit — ja wohl, und wer weiß, wa» sie un» dann offenbart. propo«, existirt so etwa» wie ein Mieth»- contract?" „Gewiß", erwidevtr Graf Max. „Er ist von einem Rechts- vnwalt verfaßt und bindet un» gegenseitig auf fünf Jahre. Graf Egon sprang auf. — „Donnerwetter", sagte er, „die Sache ist also unwiderruflich und ich habe die angenehme Au»sicht, mindesten» ein halbes De zennium mit einer wildfremden, exotisch angehauchten Person, die wahrscheinlich dem unglücklichen Gatten davongelaufen ist, zusammen zu wohnen. Wenn mir das Einer vor vier Wochen gesagt hätte, wahrhaftig, ich hätte e» ihm nicht geglaubt. Na, wenn mir die Geschichte zu toll wird, räume ich einfach das Feld und quartiere mich auf einem der Vorwerke ein. Weiß die Baronin schon, daß ich in demselben Hause wohne?" „Ja, sie weiß es, und", Gräfin Gabriele zögerte einen Augen blick „ist offenbar von der nahen Nachbarschaft ebenso wenig erbaut wie Du. Sie fügt sich aber in's Unvermeidliche und läßt Deine Nähe wenigstens als angenehmen Schutz gegen Diebe und Einbrecher gelten." Graf Egon verbeugte sich mit spöttischem Lächeln. „Sehr schmeichelhaft für mich. Ich bin also nur eine Art Popanz für sie, ein Nachtwächter und Sicherheitsbeamter." „Ja, so ungefähr." „Und wann trifft sie hier ein?" „In acht Tagen etwa." Um Graf Egon'» innere» Behagen war es geschehen. Er empfand die Störung, ehe sie noch da war, und vernahm zu seinem Aerger, daß er fortan Stall und Wagenremise mit der Fremden zu theilen habe. Auch der Eingang zu den beiden Woh nungen, eine große Halle, mit schwarzem Marmorkamin, Bil lard, breiter Doppeltreppe und unzähligen Hirschgeweihen, war gewissermaßen Gemeingut geworden, und eine tägliche Begeg nung darum kaum zu vermeiden. Von den vorgenommenen Verschönerungen erzählte Frau WenSlein ihm Wunderdinge, aber obgleich die vermietheten Räume nur «in paar Schritte von seinen Zimmern entfernt waren, konnte er sich doch nicht entschließen, sie zu besichtigen. Wozu auch? Er kannte sie ja von früher her und ein bischen Tapete und Farbe vermochte keine große Veränderung hervor zubringen. Den Park aber durchschritt er prüfend und grollend, und warf einen langen Blick auf die Terrasse, welche, an der Rück seite des Schlosses hinlaufend, Haus und Garten miteinander verband und dem Ganzen etwa» ungemein feudale» gab. Eine Steinbalustrade, mit großen Standbildern geschmückt, schloß sie ab, und mächtige Kübel mit Myrthen, Lorbeer- und Orangenbäumen waren in dichten Gruppen daran ausgestellt. — Gräfin Gabriele hätte auch au» dieser Pracht noch gern Capital geschlagen, aber die Pflanzen gehörten zu dem unveräußerlichen Inventar de» Schlosses und waren unverkäuflich, wie die blau blühenden Hortensien, die in mächtigen Exemplaren zu beiden Seiten der Freitreppe standen und in ihrer altmodischen Steif heit hier so recht an ihrem Platz erschienen. In der Tiefe de» Garten» hatte früher eine Art romantischer Wildniß geherrscht, in der Schlingpflanzen und Ziersträucher üppig durcheinander wucherten, und alte Baumriesen mit ihren breiten Aesten völlig den Weg versperrten, aber Niemand hatte daran gerührt, denn der Obergärtner vom neuen Schloß küm merte sich nur um die seiner Obhut unterstellte Orangerie, und Johann, der wenig Zeit hatte, beschränkte seine Thätigkeit auf den seitwärts gelegenen Küchengarten, der unter Frau Wens- lein's strenger Aufsicht stand. Das war nun mit einem Schlage anders geworden. Man hatte das Gebüsch gelichtet, einige Bäume entfernt und einen Durchblick nach dem Walde geschaffen, der, von der Terrasse aus gesehen, schön und stimmungsvoll wie ein Gemälde wirkte. — Graf Egon blickte grollend darauf hin. Bisher hatten Garten und Terrasse für ihn kaum existirt; die Anlagen vor dem Hause, mit dem hübschen, geschützten Sitzplatz unter der Kastanie, und die Nähe de» Waldes hatten ihm vollkommen genügt. Wenn er einmal nach der Rückseite des Schlosses ging, so geschah es nur, um nach dem Rechten zu sehen, oder einem wißbegierigen Gast die Oertlichkeit zu zeigen, nun aber, da das Nutzungsrecht aus schließlich an die Baronin übergegangen war, erschien es ihm mit einem Male schön und begehrenSwerth, und er hatte die Em pfindung, als sei ihm sein gute- Recht schmählich verkürzt worden. Dieser Gefühl steigerte sich noch, al» die Baronin von dem neuen Reich Besitz ergriff. Zuerst kam ein Packer mit drei un geheuren Möbelwagen, dann die Dienerschaft, Wagen und Pferde, — und zuletzt sie selbst. Obgleich der Einzug möglichst glatt und geräuschlos vor sich ging, fand Graf Egon doch den Lärm und die Unruhe ganz unerträglich, lief eiligst mit seiner Büchse in den Wald und kehrte erst gegen Abend wieder heim. Je weniger er von den fremden Eindringlingen und der ganzen Wirtschaft sah, um so lieber war es ihm, und al» Graf Max, den ein Unwohlsein an'» Zimmer fesselte, ihn bat, in seinem Namen die Baronin zu begrüßen, schlug er ihm da» rundweg ab. „Habe wahrhaftig Besseres zu thun, al» der fremden Person nachzulaufen", brummte er unwillig. „Wenn Du galant sein und ihr Deine Dienste anbieten willst, schicke doch Deinen Rentmeister hinüber. Dem kann sie ihre Wünsche ebenso gut onvertrauen, wie mir." So geschah e» denn auch. Frau Wenslein aber zeigte sich gast licher und zugänglicher als ihr Herr, und die neuen Hausgenos sen erfuhren durch sie alle jene kleinen Hilfsleistungen und Ge fälligkeiten, welche für einen im Entstehen begriffenen Haushalt von unschätzbarem Wcrthe sind. Leider waren die Beweggründe ihre» Handelns nicht ganz reiner Natur. Schon ehe die Baronin eintraf, wußte Frau Wenslein von ihr ganz genau so viel, wie die Gräfin selbst, aber da» genügte ihr natürlich nicht. Die Thatsache, daß die Fremde von ihrem Gatten geschieden war, erschien ihr an sich schon hochinteressant und eröffnete ihr eine solche Fülle aufregender Möglichkeiten, daß ihr sensations bedürftiger Geist die romanhaftesten Vorstellungen damit ver knüpfte. Mit ihrer Freundin, der Försterin, berieth sie alle Mittel und Wege, welche geeignet waren, Licht in die dunkle Angelegenheit zu bringen, und nahm sich vor, in der Wahl der selben nicht gar zu ängstlich zu sein. — Die Wahrheit zu er forschen, war ja in diesem Falle eine heilige Pflicht, und sie durste sich dieser Pflicht mit vollem Eifer und einem wahren Hochgenuß hingeben. Kein Wunder also, daß sie von Anfang an eine Annäherung erstrebte und sich den neuen Bewohnern unentbehrlich zu machen suchte. Je tiefer der Einblick war, den sie gewann, um so schneller und sicherer konnte sie ihre weitgehenden Schlüsse ziehen, und was sie in Erfahrung brachte, theilte sie gelegentlich auch dem Grafen mit. Er wollte zwar, wie er sagte, von der ganzen Sippschaft nichts wtssen, aber wenn er über die Klatschereien und Indiskretionen seiner Wirthschafterin auch schalt, — ganz ohne Eindruck blieben dieselben doch nicht. Er war eben auch nur ein Mensch, und unbewußt hieß er Alles willkommen, was sein Dorurtheil gegen die Baronin zu bestätigen schien. Zuerst ging Frau Wenslein auch Alles nach Wunsch — nur in einer Hinsicht fand sie sich bitter getäuscht. Die Dienstboten, welche die Baronin mitgebracht hatte, waren sämmtlich neu engagirt, und da sie von der Vergangenheit nichts wußten, konn ten sie auch beim besten Willen nichts auSplaudern. Trotzdem ließ sie sich nicht entmuthigen — durfte sie doch der Zukunft und ihrem oft bewährten Spürsinn vertrauen; Graf Egon aber run zelte die Stirn, als er von der einfachen Thatsache hörte, und dachte mit einem seltsamen Gemisch von Groll und Genug- thuung: „Meine Dermuthung bestätigt sich also, — die Vergangenheit dieser Frau verträgt kein Licht, und sie ist klug genug, sich nur mit Leuten zu umgeben, deren Indiskretion sie nicht zu fürch ten hat." Uebrigens kam die Baronin nicht allein. Eine alte, sehr kränkliche Dame, welche sie Tante nannte, und deren bejahrte Gesellschafterin, begleiteten sie, und die Art, wie sie sich im alten
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