01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001011016
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Reclamra unter demRedaction-strich («ge spalten) vor den Jamiliennachrichten (6 gespalten) 40/4. Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzeichnib- Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-veila-ea (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittag» 10 UHL Morgen-Ausgabe: Nachmittag» «Uhr. Lei den Filialen und Annahmestelle» je eiu« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig 81. Jahrgang. Heeresvcrstcirknngen in Spanien. 22 Die spanische Regierung scheint mit der Absicht einer recht erheblichen Verstärkung ihrer militärischen Macht umzugehen. Das Budget des Kriegsministeriums für das nächste Jahr weist eine Erhöhung um 12 Millionen auf, eine Summe, die an sich nicht bedeutend ist, die aber auch nur die erste Rate für weitere Forderungen bedeutet. Es sind Verstärkungen für Heer und Flotte geplant, deren Durchführung mehrere Hundert Millionen kosten würde. Wäre diese Vermehrung der Kriegsmacht vor einem halben Jahrzehnt gefordert worden, so wäre das Vorgehen der spanischen Regierung begreiflich erschienen. Damals hatte der kubanische Aufstand eben begonnen, und schon der Anfang der Unruhen auf Cuba enthielt die Mahnung, daß nunmehr Spanien in die letzte Epoche seiner colonialen Stellung einträte. Wäre damals das Heer, und insbesondere die Flotte, verstärkt worden, so hätte möglicher Weise der drei Jahre später ausgebrochene Krieg mit den Vereinigten Staaten einen für Spanien weniger ungünstigen und blamablen Ausgang genommen. Heute läßt sich das Er- gebniß dieses Krieges nicht mehr redressiren. Es dürfte wohl nicht zehn Menschen in Spanien geben, die den unsinnigen Ge danken hegen, durch einen neuen Waffengang mit den Ver einigten Staaten die militärische Ehre Spaniens wieder her- zustellcn und das geraubte Gut zurückzuerlangen. Was aber Spanien gegenwärtig noch an Colonien besitzt, lohnt große mili tärische Aufwendungen wahrlich nicht. Auch kontinentale Verwickelungen hat Spanien kaum zu be fürchten. Es grenzt nur an Portugal, ein Land, dessen Ver hältnisse noch kläglicher sind, als die spanischen, und das sicher lich an einen Krieg mit dem mächtigeren Nachbar nicht denken kann, und an Frankreich. Dies letztere Land hat allerdings wiederholt Absichten auf Spanien gehabt und französische Truppen sind mehr als einmal durch die Pyrenäenpässe ge kommen. Aber diese spanischen Unternehmungen sind niemals zum Heile Frankreichs ausgeschlagen. Der spanische Erbfolge krieg versetzte der im 17. Jahrhundert errungenen prävalirenden Macht Frankreichs einen schweren Stoß, und die genau ein Jahr hundert später von den napoleonischen Soldaten in Spanien geführten Kämpfe trugen zu der Erschütterung und dem schließ lichen Ende der napoleonischen Weltherrschaft kaum weniger bei, als Napoleon's russischer Feldzug. Endlich gab bekanntlich noch die spanische Thronfolgefrage den äußeren Anlaß zum fran zösisch-deutschen Kriege, dem unglücklichsten, den Frankreich jemals geführt hat. Diele historischen Erinnerungen legen es Frankreich nahe, sich mit der möglichsten wirthschaftlichen Aus beutung Spaniens zu begnügen und auf alle politischen Aben teuer zu verzichten. Kann nun eine Verstärkung des spanischen Heeres mit aus wärtigen Aspirationen und der Möglichkeit auswärtiger kriege rischer Abenteuer nicht erklärt werden, so muß man annehmen, daß die Negierung die Hceresverstärkung zu dem Zwecke vor nehmen Will, um dem inneren Feinde gewappnet gegen- ubertreten zu können. An einem solchen inneren Feinde fehlt es ja freilich in Spanien nicht: Republikaner, Socialisten, Anar chisten, vor Allem aber die Carlisten, sehnen den Umsturz der bestehenden Verhältnisse herbei. Daneben treten außerdem noch in letzter Zeit besonders die Separatisten hervor, die einzelne Provinzen möglichst unabhängig von der Centralregierung machen möchten. In jedem anderen Lande, würde unter solchen Umständen eine Verstärkung der bewaffneten Macht ganz be greiflich und berechtigt erscheinen. In Spanien aber ist das Heer ganz und gar nicht ein sicherer Schutz gegen revolutionäre Umtriebe, vielmehr sind in Spanien oft genug Unruhen vom Heere ausgegangen. So begann die letzte große Revolution in Spanien mit der Unbotmäßigkeit der Artillerie-Officiere. Es ist demnach beim besten Willen nicht abzusehen, welchen Nutzen die spanische Regierung von der Verstärkung des Heeres zu erhoffen hat. Hingegen ist es schon jetzt gewiß, daß sie von ihrer Absicht Nachtheile haben wird. Denn selbst in den Kreisen der conservativen Partei ist man keineswegs durchgängig erbaut von dem Plane der Regierung, und es heißt, eine ganze An zahl conservativer Abgeordneter wolle dem Ministerium die Ge folgschaft aufkündigen. Bei der ohnehin sehr geringen Beliebt heit des Ministeriums Silvela könnte diese Absage conservativer Führer sehr leicht den Sturz des Ministeriums herbeiführen. Ob die heute vom Telegraphen verbreitete Nachricht aus Ma drid, die Regierung stelle die ihr zugeschriebene Absicht, eine An leihe aufzunehmen, in Abrede, einen Verzicht auf die Pläne des Kriegsministers bedeutet, kann erst die Zukunft lehren. Berliner Stadtgespräche. 42 Berlin, 10. October. Nicht in Ermangelung sonstigen politischen Gesprächs stoffe», sondern weil sie an sich interessant sind, beherrschen zur Zeit Berliner Dinge die Unterhaltung in dieser Stadt und darüber hinaus. Vor allen Dingen der Beschluß der Stadtverordnetenversammlung, in diesem Jahre die Ab sendung eines BeglückwünschungSsckreibenS zum Ge burtstage der Kaiserin zu unterlassen. Ueder diese Angelegenheit wäre eS rasch still geworden, wenn conservative Blätter bei ihrer ersten, sehr vernünftigen Eingebung, dir Tbatsache mit billigendem Schweigen hinzunehmen, geblieben wären. AuS Gründen, die offenbar in gesellschaftlichen Be ziehungen zu suchen sind, bat jedoch die „Kreuzztg.", di« an fänglich unverkennbares Verständniß für den Beschluß der Stadtverordneten gezeigt, einen Frontwechsel vollzogen und der „ReickSlote" spricht nachträglich von einem „Affront gegen Ihre Majestät". Dadurch wird der Fehler, der im vorigen Jahre mit dem Hereinzerren der höchsten Frau de« Lande« in die öffentliche Erörterung durch einen Hofbeamten gemacht wurde, wiederholt und zwar abermals ohne jede Aussicht, die öffentliche Meinung in dieser Sache zu Gunsten jener hofmännischen Action umzustimmen. Ganz Berlin billigt die augenblickliche Zurückhaltung der ge wählte» Vertreter der Stadt und so nachdrücklich die „Kreuzzeitung" jetzt die Meldung in Zweifel zieht, daß „selbst Mitglieder, die am meisten rechts stehen", eine Adresse an die Kaiserin gegenwärtig nicht für zeitgemäß erachten, so ist die Behauptung doch vollkommen richtig. Bor viermal vieruodzwanzig Stunden bat dies übrigen« die „Kreuzzeitung" auch gewußt, sie glaubte sich aber eines Schlechteren belehren lassen zu müssen. Die Angelegenheit liegt sehr einfach Frhr. v. Mirbach, der Oberhofmeister der Kaiserin, hat vor Jahres frist auf eine GeburtSlagSadresse, die nach sehr altem Berliner Brauch abgesandt worden war, eine Antwort ertheilt, die ein zweites Mal nicht provociren durfte, wenn man auf die Selbstachtung nicht verzichte» wollte. Man braucht die materielle Berechtigung der von dem Hofbeamten der Stadt verordnetenversammlung ertheilten Zurechtweisungen nicht nochmals zu untersuchen, für die Beurtheilung der negativen Berliner Entschließung kann und darf nur die Tbatsacke in Betracht kommen, daß Herr v. Mirbach auf eine herkömm liche, noch dazu einer Dame erwiesenen Höflichkeit etwas GegentheiligcS bat erfolgen lassen. Das ist des Landes nicht der Brauch und noch weniger ist eS Brauch, die Gelegenheit zu geben, daß Derartiges Gewohnheit werde. Der „NeichS- bote" meint, Herr v. Mirbach habe weder für seine Person noch für sein Amt sich herausgenommen, an die Stadt vertretung zu schreiben, sondern er habe das lediglich im Auftrage der Kaiserin als deren CabinetSchef, genau dem Willen der Kaiserin entsprechend, gethan. Das ist eine wenig taktvolle Bemerkung des conservativen Blattes und sie ist auch, stofflich, unrichtig. Zwar glaubt man nicht, daß der Oberhofmeister eigenmächtig gehandelt habe, aber die allge meine Annahme ging und geht dahin, die Anregung zu der ungewöhnlichen Antwort sei nickt von seiner unmittelbaren Herrin, sondern von anderer Seite ausgegangen. Es ist wohl zu beachten, daß bis zum vorigen Jahre Adressen der Berliner Stadtvcrtretung von den deutschen Kaiserinnen und Königinnen von Preußen regelmäßig persönlich beantwortet worden sind. Die conservative Presse zeigte sich sehr wenig feinfühlig, als sie sich bereden ließ, een zuerst ruhig und mit stillschweigender Billigung hingenommeneu diesjährigen Beschluß hinterher anzugreifen. Dadurch ist ein Widerspruch heraus- gefordert, der eS erschwert, künftig zu dem alten Brauche zurückzukehren, dessen gänzliches Einschlafen — und daS ist eben falls die allgemeine Berliner Meinung — nicht zulässig oder doch höchst bedauerlich wäre. ES kommt zufällig ein Umstand hinzu, der daS Verhalten namentlich der „Kreuzzeitung" fast unbegreiflich erscheinen läßt. Dieses über Berliner Dinge sehr gut unterrichtete Blatt weiß ganz genau, daß soeben eine weitere Hereinziebung derPerson der Kaiserin in daS öffentliche, nicht ganz unpolitische Gespräch statt gefunden bat und vom Publicum übel ausgenommen worden ist. Man hat, wie wir kurz gemeldet, der Pommersehen Hypothekenbank das Recht verliehen, den Titel und das Wappen als Hofbank der Kaiserin zu führen. Dieser Vorgang erregt nicht nur in den Kreisen der Kenner des Berliner Bodencreditgeschäfls erhebliches Befremden, aller dings am meisten in diesen Kreisen. Aus der so aus gezeichneten Bank heraus wird einem Blatte mitgetheilt, daß Hvftitel und Wappen nur für solange ertheilt worden seien, als zwei bestimmte — namhaft gemachte — Persönlichkeiten den Vorstand der Bank bildeten. Wie man versichert, verlöre die Maßregel des OberhofmarschallamtS der Monarchin durch diese „Einschränkung" nicht das Mindeste von ihrem sonder baren Charakter. Harmloser als die Beurtbeilung dieses Vorganges ist die Erörterung, die sich an die Antrittsrede des Bürger meisters Brinkmann knüpft. Wie sich nachträglich herauSstellt, soll der neue stellvertretende Stadtherr da und dort deshalb Aergerniß erregt haben, weil man aus seinem „Programm" herauszuhören glaubt, er werde privaten Berliner Verkehrsaustallen nicht das Ent gegenkommen gönnen, an das diese Gesellschaften von der Stadt, dem Magistrat, wie von den Stadtverordneten, ge wöhnt worden sind. DaS wäre nun ein recht schmeichelhafter Verdacht, aber Herr Brinkmann gehört zum Freisinn und deshalb werden die Mächtigen der Großen Straßenbahn und ähnlicher Institute ruhig schlafen können. Er erinnert in nichts an den Papst Sixtus, der, nachdem er zum höchsten Pontifex gewählt worden war, die bis dahin benützten Krücken weggeworfen haben und als ein geradgliedriger Mann einher gegangen sein soll. Die Theatercensurfrage ist auch eine überwiegend Berlinische, insofern wenigstens, als die neuerdings bekannt gewordenen Eingriffe der staatlich angeordneten Bühncn- controle vor Allem diese Stadt berührt. Jedenfalls haben es die in Mitleidenschaft gezogenen Schriftsteller der Berliner freisinnigen Presse zu verdanken, wenn die Scheu, sich ihrer anzunehmen, nicht weichen will. ES wird in jenen Blättern so viel Nervöses, ExcessiveS vorgetragen, daß der Besonnene sich gern zurückhält. Inzwischen hat die preußische Regierung sich halbamtlich über die Sache vernehmen lassen. E« gebt auS ihrer langen Dar legung hervor, daß ihr bei dem Zwange, neue Theaterstücke auf etwaige Anstößigkeit zu prüfen, selbst nicht Wohl ist, daß aber auf die Censur nicht verzichtet werden kann. Letzteres ist auch unsere Meinung. Theaterschriftsteller, Thealer- directoren und -Publicum fahren ohne Frage bester, wenn behördliche Bedenken vor der ersten Aufführung, als nach oder gar während derselben zur Geltung gebracht werden. Und sie fahren unseres Erachtens auch besser bei dem gegenwärtigen Verfahren, al« bei einem Modus, den Ernst v. Wildeubruck empfiehlt, nämlich bei der Uebertragung der Censurbefuzniß an einen fachmännischen Areopag, also einen solchen von Schriftstellern. Eine solche Einrichtung würde für die Theaterleute da« alte Zunftwesen mit seinem Con- currenzneid aufleben lasten und den Begriff deS dramatischen Bönhasen in die Theaterliteratur einführen. Das Beste bleibt wohl der Jurist, aber ein Jurist, der kein domo illiterstus und der ein Mann von Welt ist. Die Wirren in China. -x. DaS Vordringen der Deutscheu auf Poatingfu, also in der Richtung auf Taijuenfu, wo sich der Hof nach neueren Meldungen immer noch befinden soll, Hal den chine sischen Machthabern — die Richtigkeit der Mittheilung aller dings vorausgesetzt — neuerlich einen großen Schrecken ein gejagt und so kommt schleunigst wieder ein Telegramm, welches über die Bestrafung -er Rädelsführer endlich näheren Aufschluß giebt, d. h. die Art der Be strafung verräth. Die Meldung lautet: * New Bork. 1«. Oktober. („Rcutcr'S Bureau".) Eine Depesche aus Peking vom 7. d. M. meldet aus glaub würdiger chtucstschrr Quelle, die Aaiseriu-Wittwc sei tu Taijucusu ernstlich erkrankt. Ter Kaiser hatte i» der letzte» Zeit freie Hand in de» LtaatSgcschäften. Tic zusagende Beantwort»«» der deutschen Forderungen ist durch Li-Hung-Tschaug übermittelt worden. Danach sollen Jingüie«, Kangji und Tichaoichutschiao ciit- banptct, Prinz Lschwang, Herzog Tsai lau und Prinz Jih zu lebenslänglichen Kerker vcrnrthcilt und Prinz Tn an verbannt werden nach de» kaiserlichen militärischen Pottitrafzen an Ser sibirischen i»re»;c als weitere Strafe sür die Uutcrstützuug, die er Scn Boxern augedcihcn ließ. Wer bürgt aber dafür, daß die chinesische Quelle glaub würdig ist, wer dafür, daß die zusagende Antwort echt ist! Die Concentration großer chinesischer Truppenmassen im Innern spricht eher dagegen. Auch weiß man offenbar in den Cabinetten der bctheiligten Staaten von dieser zusagenden Antwort noch nichts. Und wenn sie wirklich erfolgt sein sollte, so wird von der Verurteilung bis zur Ausführung der Strafe noch viel, sehr viel Zeit vergeben, ja wahrscheinlich wird sie überhaupt nie erfolgen, wenn die „Einigkeit" der Mächte sich weiter wie bisher bewährt. Hier eine neuerliche Probe der nie bestandenen „Harmonie": * London, 10. October. (Telegramm.) Nach einer Depesche der Morgenblätter aus Tientsin vom 7. d. M. nehmen die Beziehungen zwischen den verbündeten Truppe», namentlich zwischen den Russe» und Engländer», eine» unfreund licheren Charakter an. Namentlich zwei Vorkommnisse in der jüngsten Zeit sind geeignet, die Beziehungen zu erschweren. Die Engländer waren aufgefordert worden, sich an der Einnahme dec Peitang-Forts zu beteiligen, Russen und Deutsche besetzten die Forts aber, ohne auf die Engländer zu warten. In einem anderen Falle handelt es sich um die Vorkommnisse bei der Eroberung von Schan-hai-kwa»; die Russen in Port Arthur halten Vorbereitungen für die Expedition nach Schan-hai-kwan getroffen, als das britische Kanonenboot „Pigmy" ihnen zu vorkam und am 30. September Seesoldaten in Schan-hai- kwan landete. Die Russen erhielten hiervon erst am 2. Lctober Kenntniß. Die Note Bülow s von« 1. Oktober soll nun sa, wie das „Wölfi sche Bureau" aus London nach „zuverlässiger Verlautbarung" berichtet, Lord Salisbury'S formelle Zustimmung endlich erhalten haben und der britische Vertreter in Peking soll mit entsprechenden Weisungen ver sehen sein. Auch hat der französische Minister des Aus wärtigen, Delcasss, den Gesanvlen Pichon in Peking an gewiesen. sich mit seinen College» behufs Ausführung der in dieser Note enthaltenen Vorschläge in Verbindung zu setzen, allein wir versprechen uns von diesem Zusammenwirken nicht besonders viel, da wir, wie gesagt, nicht daran glauben, daß die Missethäter thatsächlich bestraft werden, und daß, um die Strafe vor den Augen der Gesandten zu er zwingen, die übrigen Mächte außer Deutschland geneigt sein werben, genügende Truppencontingeute an die Front zu schicken; sie ziehen ja gerade jetzt den größten Theil ihrer Streitkräfte zurück. Deutschland allein aber kann unmöglich Vorgehen. Wir würden uns freuen, wenn wir uns in der Auffassung der Aufrichtigkeit des chinesischen Hofes und der Eiuigkcit der „Verbündeten" irrten, aber nach dem, waS bis jetzt geschehen ist, läßt sich verzweifelt wenig erhoffen. Etwas Anderes wäre es, wenn Cbina sich der geschlossene» Energie aller Mächte gegenüber sähe, da aber hapert es eben bedenklich. Ganz neuerdings heißt eS, daßEngland seinen Truppenbestand in Peking nicht reducire, sondern vermehre, daS geschieht aber wohl nur, um Deutsch land dort nicht selbstständig schalten zu lassen. Im Vorder treffen werden, bisheriger Gepflogenheit getreu, die britischen Truppen nie zu finden sein. Sie dürsten die deutschen Actionen eher hemmen als fördern. Die Panik in Süvchina scheint wirklich zu einem guten Theile auf blindem Lärm zu be ruhen. Dem „Verl. Loc.-Anz." wird aus dem Haupthafenplatz am Aangtseflusse durch ein Kabcltelcgramm unierm 9. October berichtet: Die Ursache des Alarms in der letzten Nacht ist noch unaufgeklärt. Nach der einen Meldung entdeckte man starke chinesische Truppenmassen in der Umgegend von Shanghai und erwartet« einen Angriff von ihnen. Nach der anderen Version hatte der Kriegsrath der Verbündeten die Besetzung des Arsenals beschlossen, wogegen die Chinesen protestirten. Es wurde darauf hin Nachts ein Angriff ins Werk gesetzt; als aber die französisch« Spitzencolonne das Lager nahe dem Arsenal erreichte, zeigten die chinesischen Truppen sich äußerst freundlich. Die Franzosen be saßen Artillerie; in Reserve standen deutsche, japanische und englisch-indische Truppen, sowie Freiwillige. Sie blieben die ganze Nacht draußen stehen; schließlich kehrte Alles in die Stadt zurück, weil kein Gegner zu finden war. Die Truppen sind in dessen noch unter Waffen. Drei deutsche Torpedo boote sind in Wusung eingetroffen. Aus -er Man-schurei. Mit der Einnahme MukdenS, der Hauptstadt der Mandschurei und des alten Stammsitzes der gegenwärtig in China herrschenden Dynastie, haben die Russen die Eroberung der Mandschurei in der Hauptsache vollendet, und Niemand glaubt wohl, daß sie aus derselben wieder herausgehen werden. Das ist die Entschädigung, die Rußland sich von China zahlen läßt, und wenn es wahr sein sollte, was ein englisches Tele graphenbureau dieser Tage meldete, nämlich daß die Russen in Peking 100 Millionen Dollars erbeutet hätten, dann kann man wohl sagen, daß die „Freundschaft" der Russen den Chinesen sehr theuer zu stehen kommt. Zunächst werden die Russen bemüht sein, ihre Eisenbahnlinien in der Mandschurei zu sichern und da sie nun schon im Besitze aller wichtigen Puncte sind, so wird man wahrscheinlich in der nächsten Zeit nicht viel mehr von Kämpfen in der Mandschurei hören. In der Provinz Petschili aber spielen die Russen die Sanftmüthigen und überlassen das Kämpfen den Deutschen und Engländern. Zur Frage einer Finanzeontrole in China schreibt der „Ostasiatische Lloyd": „Die Einnahme der Staatsregierung fließt aus einer Land- und einer Reissteuer, welche direct den Grundbesitz treffen, aus dem Salzmonopol, aus der Stempelsteuer und ähnlichen Abgaben, endlich aus dem so genannten Likin oder Grenz- und Binnenzöllen, die insgesammt nur etwa 80 Millionen Taels einbringen. Dazu kommen noch etwa 30 Millionen Taels, die der unter europäischer Controlc stehende Seezoll abwirft. Aber auch der letztere ist zum Theil bereits an europäische Gläubiger verpfändet. Die Binnenzölle oder der Likin sind eine arge Plage für den Handel, weshalb schon mehrfach der Versuch gemacht wurde, diese Art der Steuer wenigstens theilweise durch eine Erhöhung der Seezölle zu ersetzen. Selbst wenn hierzu die Mächte ihre Zu stimmung gegeben hätten, so stieß schon vor einigen Monaten die bloße Anregung der Abschaffung des Likinsystems auf so hart näckigen Widerstand bei den Provinzialregierungen sowohl, als in Peking, daß der Plan wieder aufgegeben wurde. Die chine sischen Behörden hätten freilich nichts gegen eine Mehreinnahme durch die Erhöhung des Seezolles einzuwenden gehabt, aber sie glaubten, den Likinzoll unter keinen Umständen entbehren zu können, hauptsächlich weil damit ein Theil der Kosten der Pro vinzialregierungen gedeckt wird, dann auch, weil durch die Ab schaffung des Systems unzählige Beamte brodlos geworden wären. Was von diesen Zöllen noch erübrigt werden kann, nach dem die nothwendigsten Staatsausgaben gedeckt sind und alle Mandarinchen ihre „Squcczes" abgezogen haben, würde selbst bei größter Sparsamkeit nicht genügen, um auch nur einen ganz geringen Theil der von China zu zahlenden Entschädigungen zu decken. Man wird also wohl der Ansicht beistimmen müssen, daß Chinas Einnahmen, namentlich bei der Art, wie sie heute einge trieben werden, für die Entschädigungsfrage nur eine geringe Rolle spielen können. Ganz mit Beschlag belegen kann man sie selbstverständlich auch nicht, denn die Verwaltung eines Reiches von 400 Millionen Einwohnern erfordert Geld, mag sie auch noch so schlecht oder so billig sein, wie sie es thatsächlich heute ist. Es wird also die Aufgabe der Mächte sein, selbst die Quellen, aus denen die Entschädigungsgelder fließen sollen, zu erschließen, mit andern Worten, eine gründliche Reform des inneren Finanz wesens durchzuführen, wobei nicht ausgeschlossen sein kann, daß auch die Seezölle eventuell eine Erhöhung erfahren. Ob man den Likin beibehält, ob man die Grundsteuer erhöhen oder Monopole zu Gunsten der Staatseinnahmen errichten will, kommt erst in zweiter Linie in Frage; vor Allem handelt es sich darum, die Finanzverwaltung aus den Händen der Mandarinen zu nehmen, und sie tüchtigen europäischen Fachleuten anzuvertrauen." Tie Mächte und England in der Ehinafragc Aus London, 6. October, wird der „N. Z. Ztg." ge schrieben: Es ist sehr schwer, einen leitenden Faden in der Politik der Mächte in China zu entdecken. Man sollte annehmen, daß der Aufschluß Chinas für den Handel der Culturmächte das Leitmotiv aller diplomatischen Schritte sein müsse, lieber die Art aber, wie dieser Aufschluß erfolgen soll, giebt es ebenso viele verschiedene Auffassungen, wie Einzelinteressen für die zu künftige Gestaltung der Dinge vorhanden sind. Zuweilen be gegnen sich in den Verhandlungen ein oder zwei der Mächte in ihren Wünschen, sofort ist man in der öffentlichen Meinung be reit, an eine dauernde Verbindung, an eine gemeinsame Action dieser Mächte zu glauben, aber ebenso schnell löst sich dann diese Verbindung in Folge über andere Puncte auseinander gehender Ansichten wieder, und wir erleben dann das köstliche Schauspiel, daß alle Welt erklärt: „Ah, nun ist die Einigkeit der Mächte wieder hergestcllt." Eine solche scheint uns bis jetzt nur möglich über den Hauptgedanken: Um die Frage der Bestrafung der Rädelsführer der Boxerbewegung, um die Sühne für die Er schlagenen und die Verletzung des internationalen Rechtes. Thatsächlich sind auch nur in diesen Fragen positive Vorschläge bisher gemacht worden; allein auch hier haben sich abweichende Ansichten gezeigt, die für die Verhandlungen der Hauptfrage nichts Gutes Voraussehen läßt. Auf der einen Seite haben wir ein künstliches Gebäude aus allerhand Selbsttäuschungen errichten sehen, von dessen Zinne die Situation beurtheilt wurde. Die Grundlage dieses Gebäudes war die Annahme, daß die Mächte mit China keinen Krieg führen. Auf diesem Fundament erhob sich als erster Stock die weitere Selbsttäuschung, daß die chinesische Regie rung von den Boxern vergewaltigt worden, daß die Kaiserin keinen Antheil an der Ermordung der diplomatischen Beamten, der Missionäre und der chinesischen Christen habe. Dann kam die Wahl der Unterhändler, und man ließ sich mit Li-Hung- Tschang, dem Busenfreunde der Kaiserin, ein. Der der west lichen Diplomatie seit langer Zeit verdächtige Vicekönig wurde flugs ein „ehrenwerther Mann". Alle Leute, die auf die Hin fälligkeit eines solchen Gebäudes hinwiesen, wurden von dessen Bewohnern einfach für verrückt erklärt, wie der arme Gesandte Conger, oder sie wurden wegen ihrer Offenheit gemaßregelt und leugneten schleunigst ab, waS sie soeben noch öffentlich und mit dem Brustton der Ueberzeugung gesagt hatten, wie der arme Rockhill. Die Hauptbausteine zu diesem Gebäude des Selbst truges haben die Amerikaner beigetragen, allein auch die Russen haben es daran nicht fehlen lassen. Auf der anderen Seite standen die dummen Michel, die Mächte, in denen noch ein starkes Wahrheits- und Rechtigefühl lebt und zunächst für diese Fiktionen nicht zu haben waren. In erster Linie Deutschland mit den beiden anderen Dreibundmächten, denen sich aber auch Frank reich anschloß, welches in China große katholische Interessen zu vertreten hat. Diese sahen der Situation stramm ins Gesicht und nannten die Dinge bei ihrem richtigen Namen. Sie er-
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