01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001127010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900112701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900112701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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- Tag1900-11-27
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L2 In Alt-Nürnberg stößt man noch heute auf die Sitte, den Bürgersteig vor einem Brauthause mit einem Blumen parkett zu schmücken, so daß die junge Frau, wenn sie von der Trauung zurückgekehrt, auf weichem, duftigem, farben reichem Boden inö neue Leben schreitet. Dieser lieblichen Sitte mußten wir unS oft erinnern, seil Graf Bülow Staatssekretär deS Auswärtigen wurde, und noch öfter, seit er Reichskanzler ist. Er ist wie kaum jemals ein Staatsmann mit LobeSreven empfangen und bei seinen ersten Amtshandlungen begleitet worden. Und nach diesen fünf ReichStazssitzungen strahlt er im Glanze des Siegers in zwei Schlachten und erhält den Beweis für seine außerordentliche Bewertbung damit, daß von der Presse der beiden wirth- schaftSpolitischen Extreme, der rechtesten Agrarier und der linkesten Freihändler, gleich inbrünstig um seine Gunst geworben wird. Und vr. Lieber, der annoch „Reichs regent", erklärt sich gedrungen, Namens seiner Partei im Reichstage „den lebhaften Wunsch auszusprechen, daß der Herr Reichskauzler reckt lange in seinem Amte verbleiben möge". Daß dieser Wunsch jetzt schon ausgesprochen wird, ist charakteristisch für das Vertrauen in die Stetigkeit unserer RegierungSverbältnifse. So drückt man sich sonst nach einer längeren Tbätigkeit an leitender Stelle auS, nicht nach einer solchen von Wochen. Aber gerade wegen seiner Ungewöhn lichkeit ist dieser Wunsch ein Compliment für den Grafen Bülow und mehr als dies, er ist zugleich ein Avis an eine andere Stelle. In der That also Geburtstagsstimmung und nicht un begreiflich. Der vierte Kanzler hat bei der Vertbeidigung der Cdina-Politik durch eine Reibe glänzender Gaben überrascht und in der 12 000 Mark-Angelegenheit nicht geringes Geschick bewiesen. Hier wurde von ihm rückhaltlos getadelt, was zu tadeln war, nickt mehr, und mit vollem Erfolge der Standpunct vertreten, daß er, der Kanzler, Dinge dieser Art, wenn eS sich schon ereignet, nach seinem Er messen zu behandeln babe und nicht nack Maßgabe der öffent lichen Stimmung. Daß ihm dies in dem kritischen uud empsindlicken Deutschland gelungen, will noch mehr besagen, als der volle Triumph in der China-Sache, wo ibm grund sätzlich nur die Socialdemokratie gegenüberstand. Ueberbaupt will eS scheinen, als ob die 12 000 Maik-Berhandlungen be deutungsvoller seien, als die China-Debatte, in der der Kanzler, wie ein jeder Andere an seiner Stelle im Wesentlichen hätte thun müssen, eine Politik vertrat, die von den Verhältnissen aufgedrungen ist. In der Woedtke-Affaire war Graf Bülow frei und er hat sie in einer Weise erledigt, die eine Vcr- muthung darüber gestatten, wie er Mancherlei in der innern Politik anzufassen gedenkt. Zwar hat er sich vor jeder eigentlich programmatischen Kundgebung weislich gebütet und im Gegentheil der ihn mit Protesten unterbrechenden Social demokratie zngerufen: Warum widersprechen Sie mir denn? Sie kennen "mich doch weder persönlich noch politisch genug, um heute schon ein abschließendes Urtheil über mich fällen zu können? Sie kennen mich politisch noch nicht genug, um meine politische Stellung verurtheilen zu können — Sie müßten sich denn aus den Standpunct eines Ihrer Vorgänger stellen, der da sagte: ich kenne die Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie. Sie kennen mich auch persönlich noch nicht genügend, um ein abschließendes Urtheil über meine Person zu fällen, «nd riu solches Urtheil heute schon zu fällen, ist — verzeihen Sie daS harte Wort — oberflächlich. Also um eine vom Grafen Bülow selbst gewählte Wendung zu gebrauchen, ein verschleiertes Bild von Sais. Aber so ganz unentbllllt wollte der neue Kanzler und — preußische Ministerpräsident doch nickt bleiben. Er äußerte einerseits die Ansicht, „daß jede deutscheRegicrung dem Gemeinwohl am besten dient, je höher sie sich über die verschiedenen wirthschaftlichen uud parteipolitischen Gegensätze stellt", andererseits spendete er ein unbedingtes Lob nach der technischen, geistigen und moralischen Seite einem Reffortchef, der wegen seiner handelspolitischen Grundauffassung und Pläne und ins besondere in der Frage deS landwirthschaftlicken Schutzes ein ausgesprochenes Gepräge hat und deshalb Gegenstand lebhafter Angriffe von Richtungen ist, die „das Wohl der Gesammtheit" nur im Munde führen, um im Sonderinteresse der kleinen Gruppe der überwiegend am Einfuhrhandel Be theiligten die nothwendige Berücksichtigung anderer, größerer Erwerbsgruppen bestreiten zu können. Und zwar stellt der Kanzler dem Grafen PosadowSky ein solches Zeugniß aus unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die „Angriffe", „Machen schaften" und „Jntriguen", die bestimmt sind, in bestimmter wirthschastlicker Richtung einzuwirken. Diese Bemerkung richtet sich nicht oder doch nickt in erster Reihe gegen die Social demokratie, sie ist eine Anspielung auf den Mißbrauch, den mit einer Unbesonnenheit, die wir schon bedauert haben, liberale Blätter mit der 12 000 Mark-Affäre zum Zweck des Sturze- eines nickt gegen Doppeltarif und Gelreivezoll- erhöbung eingenommenen Staatssekretärs treiben zu sollen geglaubt batten. Es ist rin liberales Blatt gewesen, daS nach der „Enthüllung" deS Herrn Schönlank, der, beiläufig bemerkt, nun seinerseits von „Enthüllungen" heimgesucht wird, das Verbleiben deS Grafen PosadowSky im Amte als ein Ding glatter Unmöglichkeit hinstellte und dabei dem Grafen Bülow daS heuchlerische Bedauern auSdrückte darüber, daß er so kurz nach dem Eintritt« in die leitende Stellung eine Personalveränderung vorzunehmen gezwungen sei. Darauf hat nun der neue Kanzler eine deutliche Ant wort gegeben. Wenn nicht bei der Berathung deS Etats des Reichsamt» deS Innern nochmals auf die „Affäre" zurück gegriffen und dem Staatssekretär dieses Amtes und seinem Drrector daS Leben allzu sauer gemacht wird, so bleibt nicht nur Graf PosadowSky, ohne sich persönlich verantworten zu müssen —, er hat selbstverständlich am Sonnabend auf Wunsch srmeS CbefS geschwiegen —, wo er ist und waS er ist, sondern auch gegen den Herrn v. Woedtke, der sich ohne Zweifel verzogen hat, läßt eS Graf Bülow auS höheren politischen Rücksichten bei einem Tadel bewenden. auS Gründen, die wir alle obne allzu große Kühnheit al« Rücksichten auf «ine auch dem Grafen Bülow geboten erscheinende Sammelpolitik ausfassen zu dürfen glauben. So scheint der neue Kanzler innerpolitisch heute nicht mehr daS „weiße Blatt" zu sein, als da er seine führende Stellung übernommen. Und in der Annahme, daß unsere Vermuthung richtig, gönnen wir ihm sein seltenes äußeres Glück in der Hoffnung, daß Goethes Wort von einer Reibe von guten Tagen, die sich schwerer als alles Andere ertragen lasse, an ibm sich nicht bewahrheiten möge. Sollte ihn der Erfolg aber bänglich machen, so glauben wir einmal, daß Graf Bülow selbst, der doch nun schon Jahre in Berlin amtirl, sich gar nicht so sicher und glücklich fühlt, um den Neid der Götter für unabwendbar zu halten, und wenn doch, daß er es in der Hand hat, sich in den Freudenbecher kräftigende Bitternisse zu gießen. In der Woedtke-Affäre befriedigt jener Entschluß doch nicht allgemein, insbesondere in Beamtenkrcisen nicht, und bei den China-Verhandlungen ist nicht nur unter Zulassung, sondern unter wiederholter Mitwirkung des Kanzlers daS Hineinziehen des Kaisers in die Debatte als etwas Zulässiges anerkannt und damit eine Neuerung geschaffen worden. Diese Entwickelung, so bedauer lich sie ist, war unvermeidlich und Graf Bülow bat sich als Realpolitiker erwiesen, indem er nickt mehr ent gegentrat; ob aber die officielle Wandlung seiner Kanzler- und Ministerschaft gedeihlich ist, darf in Zweifel gezogen werden. Wie dem aber sei, der Kanzler kann sich die ibm etwa zur Last fallende Süßigkeit der Amteflitterwocken selber mindern. Wir baden im gestrigen Abendbialte einen Znitiativgesep- entwurf des Ccntrums betr. „Ausübung der Religions freiheit" niirgetheilt, der, um es kurz zu sagen, sich als einer der kräftigsten Vorstöße kennzeichnet, die der Ultra- montanismus seil dem Bestehen des Reiches gewagt bat. Er will „Freiheit" nach dem Recepte Vauillot'S, der offen und cynisch erklärt hat, der KlerikaliSmuS werde für volle Freiheit kämpfen, um sie,wenn er sie errungen, zur Unterdrückung der Freiheit Anderer zu gebrauchen. Der Entwurf beabsichtigt Alles, was der UltramoitaniömnS wünscht, aber von den Engel staaten nicht zu erlangen vermag, durch Hinterthüren inS Land zu bringen. Er stellt einen preußischen Ver fassungsparagraphen, der als unvereinbar mit dem Rechte des Staates aufgehoben worden ist, wieder her, er wirft das gesetzliche Vcrbältniß zwischen Staat und Kirche, wie eö sich in Bayern seit achtzig Jahren bewährt bat, über den Haufen und uns in Sachsen wird ein Zustand zugedacht, bei dem u. A. ein Verhalten, wie daS am Priester Prinzen Max allgemein bedauerte, eine gesetzliche Grundlage bekäme. Ein schlecht unterrichtetes liberales Blatt bat, weil eS gerade „dabei" war—es sprach von Mecklenburg und Braunschweig — die Religionsfreiheit in Sachsen als eine unzureichende be zeichnet. DaS nutzt die „Germania" auS, wir haben aber vorläufig keine Veranlassung, die Unwahrheit jener leicht fertigen Behauptung nochmals darzuthun. Die „Germania" gebraucht in einer Erläuterung des klerikalen Gesetz entwurfs nicht weniger als 14 mal das Wort „Toleranz". Wer den Ultramontanismus kennt, kennt auch die Auf richtigkeit seiner Schwärmerei für religiöse Duldung. Man braucht gar nicht einmal auf Spanien und Südamerika zu verweisen. Es ist ein Löwenvertrag, auf den einzugehen den deutschen Staaten und den Protestanten angesonnen wirr, und zugleich ein Eingriff in unveräußerliche Rechte, wie sie von einer Partei, die sich für bestimmt erachtet, den „föderativen Cbarakter des Reiches" zu wahren — nicht überrascht, wenn diese Partei die der Jesuiten ist, denen für Macht jedes Princip feil ist. Der Antrag ist unannehmbar und so herausfordernd, daß seine rasche Abweisung im Interesse des Friedens dringend gewünscht werden muß. Wenn Graf Bülow sich wirklich so glücklich füblen sollte, hier ist Gelegenbeit gegeben, die Götter durch ein Opfer zu versöhnen. Er braucht nur diese ultramontane Zumuthung als Kanzler und Minister präsident so rasch als möglich und so unzweideutig als nur immer möglich abzulebnen. Dem König PolykrateS ist ein solcher Versuch, dem Neide der Götter vorzubeugen, nicht gelungen, aber Graf Bülow würde Erfolg haben, au die Gefahr hin freilich, daß Herr vr. Lieber sich den Wunsch abgewöhnt, der Kanzler möge noch reckt lange in seinem Amte verbleiben. Es ist eine Probe auf seine Widerstands fähigkeit, die hier gemacht werden soll; hoffentlich besteht sie Graf Bülow. Die Wirren in China. Die Ariedensverhandlungen. * AuS Peking, 24. November berichtet Reuters Bureau: DaS diplomatische CorpS hielt heute Morgen seine Schlußsitzung ab, in der die den Abschluß deS FriedenS- vertragS mit China einleitenden Bestimmungen besprochen und endgiltig übereinstimmend festgesetzt wurden. Alles was den Gesandten noch übrig bleibt, ist die Zustimmung ihrer Regierungen zu sichern (da hapert eS aber nock. D. Red.). Hierauf beginnen die direkten Verhandlungen mit den chinesischen Bevollmäcktigten. Neber die Bedingungen der Regelung der Frage ist nichts bekannt geworden. Indessen glaubt man, daß die festgestellten Hauptpunkte im Wesent lichen mit denjenigen übereinstimmen, die schon in der be treffenden Noie angegeben worden sind, nämlich Bestrafung der chinesischen HaupträdelSführer, Zahlung von Ent- sckädiguugen durch die chinesische Regierung entsprechend der Schäden, die die Angehörigen der verschiedenen civilisirten Staaten erlitten haben, dauernde Unterhaltung starker Wach- commandoS zum Schutze der Gesandtschaften in Peking und Besetzung gewisser Puncte zwischen Peking und Taku durch die Mächte. Russisch-englische Differenzen. Ein Privattelegramm meldet uns a»S London, 26. November: In einem Telegramm der „Times" auS Shanghai vom 24. November heißt eS: Die kürzlich in Umlauf gewesenen Nachrichten, Rußland weigere sich jetzt, die chinesischeNordbahn wieder auSzuliefern, finden anscheinend Bestätigung. Jegliches Nachgeben Eng ¬ lands in dieser Angelegenheit würde dem britischen Prestige einen höchst verhängnißvollen Schlag versetzen. — Die „Times" sagen in einem Telegramm aus Peking vom 24. November: Nachdem Rußland erklärt bat, eS werde die Bahn von Tientsin nach Schan-Hai- wan den verbündeten Truppen wieder ausbändigen, ändert es jetzt plötzlich seine Absicht. Die Russen aqen, daß sie gemäß den Befehlen auS Petersburg die fisenbahn bebalten wollen, bis alle russischen Truppen aus Zetschili zurückgezogen werden seien. Diese Willensänderung siingl mit der Ankunft Les Fürsten UchtowSkn zusammen, dessen Mission, wie zugestanten wird, die Eisenbahnfrage betrifft. Den Chinesen setzt Rußland auseinander, daß eS die Bahn im Interesse Chuias bekalte. Die Chinesen thun o, als ob sie den Versicherungen glaubten, wie man seiner Zeit auch glaubte, daß sie einen freundlichen Act darin sähen, als Rußland seine Truppen aus Peking zurückzog, um die in der Mandschurei stehenden Truppen zu verstärken. In Bezug hierauf Hebt uns auS London noch die olgende telegraphische Privatmeldung zu: Die „Morning ?ost" schreibt: Das russische Vorgehen in der Eisen- babnfrage ist eine ebenso schlagende Verletzung des Völkerrechts, als die von den Chinesen begangene, die die Truppen zu rächen haben. Es mag für die beiden in Gemeinsamkeit vorgehenden Mächte gerade jetzt unrät blich ein, zu streiten; allein im Falle einer offenen und gewalt- 'amen Wegnahme deö Eigenthums einer andern Macht fällt die Verantwortlichkeit nickt auf die Macht, deren Eigenlhum genommen worden ist. Dieser liegt die ködere Verpflichtung ob, um jeden Preis ihre Rechte im Interesse ihrer Ehre auf recht zu erhalten. Belgische Wünsche. „Daily Mail" berichtet, sie habe besonders guten Grund, zu versichern, daß die Nachricht von einer angeblichen Ab machung zwischen Deutschland und dem Congostaat aber die Berichtigung der beiderseitigen Grenzen in Ost afrika ganz unrichtig sei. Deutschland habe keineswegs Belgien für eine Abtretung afrikanischen Gebiets durch daS Versprechen entschädigt, zur Begründung einer belgischen Niederlassung in Tientsin oder sonstwo in China Hilfe zu leisten. Vielmehr sei seit Monaten nichts zur enc- giltigen Regelung der streitigen Grenze bei dem Kiwa-See geschehen. Dies bedeute aber keine Widerlegung der That- ache, daß Belgien lebhaft bestrebt gewesen sei, eine Nieder- assang in China zu erlangen und Rußlands Unterstützung in diezer Richtung habe. Militärische Lperatioue». Berlin» 26. November. (Telegramm.) Das Obercommando in Peking meldet unter dein 24. November: DaS Detache ment Mühl en fels hat am 22. d. M. auf besonders schwierigen Gebirgswegen über Henglingscheng die große Mauer erreicht und die Flagge gehißt. Tie Franzosen haben 30 lcm südlich von Paotingsu, wie es scheint, ein größeres Gefecht gegen Boxer zu bestehen gehabt. Der „Daily Mail" wird aus Tientsin vom 21. November gemeldet: Vier Nationen sind dafür, daß die Forderung der Todesstrafe (für die von den Gesandten in Peking als Schuldige bezeichneten Prinzen und Beamten) in die Forderung einer geringeren Strafe geände rt wird; diese Nationen sind Japan, Amerika, Ruß land und Frankreich. Letzteres hat an dieser Aenoerung der Politik vielleicht den wenigsten actioen Antheil genommen. Japan wurde vielleicht auf Rußlands Veranlassung als Pionier dieser Bewegung vorgeschoben, und fand einen warmen Anhänger an den Vereinigten Staaten, deren Politik in China sich in vielen Puncten von der Politik Englands getrennt hat. Für die ur sprüngliche Forderung der Todesstrafe sind Deutschland, Eng land, Oesterreich-Ungarn und Italien. England und Deutsch land hegen eine feste Ueberzeugung in Bezug auf diesen Punct und meinen, daß jede andere Strafe ganz und gar trügerisch und wirkungslos sein würde, doch ist die eine wichtige Entscheidung getroffen, daß diese Forderung von allgemeinen Friedensvor schlägen der Mächte unabhängig sein soll. Es fragt sich nur, wie die Todesstrafe durchgeführt werden soll, und es scheint ja nach den gestern mttgctheiltcn Aus führungen der „Köln. Ztg.", daß man schließlich auf diese For derung allgemein wieder zurückkommen wird. Der „Ostasiatisch- Lloyd" schreibt in seiner soeben hier eingetroffenen Nummer vom 19. October: Daß die Truppen der Verbündeten dem Hofe bis in die Pro vinz Scheust folgen sollten, darf als ausgeschlossen gelten. Ab gesehen von den großen Schwierigkeiten, die sich einem solchen Auge durch die Gebirge von Schanst entgegenstellen, wäre es zu wahrscheinlich, daß eine Truppe, die tatsächlich Hsianfu erreichte, nur ein lens Nest vorfinden würde, daß der Hof dann längst weiter nach Kansu oder nach Szechucn entflohen wäre. Und schließlich, was können die Truppen der verbündeten Mächte aus richten, wenn sich ihnen die Thore von Hsianfu aufmachen, ohne daß es den Rathgebern des Kaisers gelungen wäre, zu ent kommen? Lebend würden diese doch nicht in dir Hände der fremden Mächte fallen; bevor das ge schähe, hätten alle Selbstmord begangen, und wer will sagen, ob nicht nach dem, was vorangegangen ist, auch der Kaiser und die Kaiserin-Wittwe einen freiwilligen Tod als das kleinere Uebel ansrhen würden. In welche Lage aber kommen unter diesen Verhältnissen die verbündeten Mächte? Ihren Truppen stellt sich kein Feind ent gegen. Ihren diplomatischen Vertretern sagt man zwar alles Mögliche zu, aber es ist nicht die geringste Sicherheit dafür ge boten, daß auch nur eine dieser Zusagen wirklich erfüllt wird. Die Dynastie ist das willenlose Spielzeug einer kleiner Schaar ehrgeiziger, selbstsüchtiger Politiker. Weder der Kaiser noch die Kaiserin-Regentin können sich von der Bevormundung jener frei machen; die gut gemeinten Rathschläge der bcsonneren, der Dy nastie noch treu ergebenen Männer, zu denen in erster Reihe Liu Kun-Yih, Chang Chi-tung und Uuan Shi-kai zu rechnen sind, verhallen ungehört. Daß in der Politik, die der Hof heute verfolgt, für ihn selbst die größte Gefahr liegt, scheint Niemandem klar zu sein. Schließ lich kann es aber nicht für absolut ausgeschlossen erachtet werden, daß, wenn alle Mittel versagen, die chinesisch« Regierung von der Nothwendigkeit, andere Wege einzuschlagen, zu überzeugen, die D y n a st ie g e st ü r z t und «in n eu e r Mann an di: Spitze desReiches, sei es als Kaiser, sei es als Reichs verweser, gestellt wird. An dazu geeigneten Männern fehlt es in China wahrlich nicht. Die Lage in Peking. Aus Peking erhält der „Ostas. Lloyd" von seinem Korrespon- denten ein Stimmungsbild, das einen keineswegs erfreulichen Ueberblick über die verworrenen dortigen Zustände giebt. Ter Höchstcommandirende, Graf von Waldersee, hat sich mit seinem Stabe nach Peking begeben. Es verlautet, daß das Hauptquartier dort überwintern wird. Bestätigt sich das, so wird zweifelsohne mit starker Hand Ordnung in das Chaos gebracht werden, das heute in Peking noch herrscht. Wenn aber die Aufgaben, die in dieser Hinsicht zu lösen waren, bei der Mannigfaltigkeit der Truppen und ihrer Disciplin sich schon in Tientsin sehr viel schwieriger gestalteten, als sich ein preußischer General daheim je dürfte vorgestellt haben, so darf man die widrigen Umstände, die sich der Einführung geordneter Verhältnisse in Peking ent- gegenstellen, noch viel weniger als quantitö n^elieoabie an sehen. In welcher Richtung für Peking die größten Ge fahren zu suchen sind, darüber verbreitet sich der Korrespon dent, dessen Schilderungen wir hier folgen lassen. „Bleiben, oder abziehen?" das ist jetzt die Frage, so schreibt e- Die nncontrolirbarsten Gerüchte schwirren in der Luft umk, Manches wird officiell, Weniges officiös bekannt gegeben, en lich schmieden die Reporter tausenderlei Combinationen, und de. Schlußaccord, in dem sich diese Zigeunermusik ohne Borgeiger auflöst, ist die ewig wiederholte Frage: Wer und wieviel Truppen werden in Peking überwintern? Die letzten Tage haben endlich etwas Klarheit in die Lage gebracht. Rußland hat bis auf ein ganz geringes Contingent seine Truppen zurückgezogen, Japan ist ihm gefolgt, Amerika läßt auch nur eine schwache Besatzung hier, und die Macht, welche Peking über den Winter hinaus halten soll, dürfte nach officiellen Angaben 10 000 Mann betragen, sobald die noch erwarteten 1600 Deutschen und die Italiener mit 900 Mann eingetroffen sein werden. Daß es möglich sein wird, die Truppen noch in aller Eile mit Proviant und Munition für sechs Monate zu versehen, ist vielleicht trotz des geringen Zeitraumes, der für die schwierige Verpflegungsfrage offen bleibt, möglich, wenn es auch fast zweifellos ist, daß es an Manchem fehlen wird. Wie werden sich aber im Falle von Unglücksfällen, sagen wir von großen Bränden, auf die mit Sicherheit hier im Winter zu rechnen sein wird und die leicht auch die eine oder andere Vor rathskammer der Truppen zerstören können, die Dinge gestalten? Und was geschieht gar mit der Bevölkerung, deren Reismagazine größtentheils verbrannt, theilweise geplündert oder von den internationalen Truppen mit Beschlag belegt sind, um den bei den Kontingenten arbeitenden Kulis die nöthige Kost zu ver schaffen? Was werden jene Tausende und Abertausende an fangen, die, den Frieden verheißenden Proklamationen der Großmächte vertrauend, nach Peking zurückgekehrt sind, und schon heute nur von Obst und Maiskolben leben und zum großen Theile im Freien campiren? Unter ihnen finden sich Tausende ehemaliger Boxer, die nicht den Fatalismus haben werden, zu verhungern und zu erfrieren, während sie sehen, daß die, die sie als Usurpatoren betrachten müssen, keinen Mangel leiden. Bereits heute kommen schwere Ausschreitungen vor. Die amerikanische Wache am südlichen Westthore meldete dieser Tage, eine starke Räuberbande sei auf den Morgenmarkt gekommen, hätte Alles geplündert und sei nach wenigen Minuten mit ihrem Raube spurlos verschwunden, ehe der Posten Zeit hatte, die Hauptwache zu verständigen. Es giebt unter den Europäern hier viel einsichtsvolle Leute, die voraussehcn, daß die Lage für den Winter sehr ungemllthlich werden wird, selbst im Falle, daß Angriffe chinesischer Truppen oder großer Boxermassen nicht erfolgen sollten und die Straße nach Tientsin offen und ungefährdet bleibt. Seit dem Abzug der Russen ist ein ganz ausgedehntes Gebiet der Tatarenstadt verlassen, jenes, das am wenigsten gelitten hatte. Zurückgeblieben ist dort Niemand, also bedeutet dies eine höfliche Einladung an alles Gesindel und an die Briganten, sich dort ein Buen Retiro zu schaffen. Und daß sie bereits dort ihren Einzug halten, erweist sich aus dem Abziehen der anständigen Bewohner, die sich da nicht mehr sicher fühlen, wo sie nicht in direkter Berührung mit den „weißen Teufeln" sind. ' Es ist zu erwarten, daß, nachdem Graf Waldersee in Peking eingetroffen sein wird, ein einheitlicher Plan aufgestellt wird, damit die Truppen so nahe an einander zu liegen stimmen, daß sie sich im Nothfalle gegenseitig unterstützen können. Nach der Ansicht der Officiere, die bereits hier in Peking einen Ueberblick über die Dinge gewonnen haben, wäre es am vor- theilhaftesten, sämmtliche Kontingente in der Verbotenen und der Kaiserstadt zu concentriren, und an den Thoren und Mauern Pekings nur größere Detachements zurückzulassen. Ueberfälle auf einzelne Soldaten, Räuberunwesen und Brandstiftungen sind eben schon tägliche Erscheinungen. Wie soll sich dann die Situation gestalten, wenn die Bevölkerung durch den fortwährenden Zuzug, der täglich vom Lande herein - kommt, so stark wird, daß sie auch mit dem besten Willen von Seite der Oberleitung nicht untergebracht und beköstigt werden kann, und dann abseits liegende Abtheilungen und Magazine überfällt, und die Stadt hier und dort in Brand steckt? Diese hungernden und frierenden Massen werden hier Epidemien zeiti gen, und es istKurzsichtigkeit oder Selbstüberschätzung, wenn man annimmt, die Leute seien derart moralisch deprimirt, daß Nie mand es mehr wagen würde, eine Waffe zur Hand zu nehmen. Auf eine ausreichende Hilfe von Tientsin für die Pekinger Bevölkerung ist wohl nicht zu rechnen. Dort wird das Elend noch viel größer sein, weil die Chinesenstadt gänzlich zerstört ist, während Peking noch zahlreiche gut erhaltene Stadtviertel besitzt. Was sind also für Maßregeln nöthig, wenn die Truppen hier überwintern werden? Vor Allem die sofortige Schaffung ein« starken Gendarmerie-Abtheilung für die unbesetzten Stadttheile und das Zusammentragen der Reisvorriithe in feuersichere Locale, die unter sicheren Schutz gestellt werden müssen, um der Gefahr vorzubeugen, daß sie von der hungernden Bevölkerung geplündert oder zerstört werden. Im Winter dürfte Peking eine halbe Million Einwohner beherbergen müssen, denn di» Landbevölk».
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