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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011010024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901101002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901101002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Amtsötatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Vokizei-Anttes -er Ltadt Leipzig. Donnerstag den 10. October 1901. Anzeige« »Prets die 6 gespaltene Petitzeile LS H. ««klamen unter dem NedacttooSstrich s4 gespalten) 78 vor den Famtliennach» richten (Ü gespalten) KO H. Tabellarischer und Ziffernsatz eutsprecheod Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahme 25 (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefärderung 60.—, mit Postbefördenmg ^l 70.—» Ilunahmeschluß für Itlyeigea: Sbeod-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bet deu Kiltalen und Auuahmestellea je «tu» halb« Stund« früher. Anzeigen Pud stet« au di« Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag« uauuterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Polz m Leipzig. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Da« Standrecht in der Capcolonte —p. Die Meldung, daß die Engländer da« Standrecht i» der Capcolonie erklärt haben, hat unS nicht überrascht. E« kommt damit nur offen an den Tag, was sie bis jetzt nicht zugestehen wollten, waS aber trotzdem Zeder wußte, daß sie ihrer eigenen Colonie nicht mehr sicher sind, daß die Capholländer sich nicht nur hier und dort deu Boeren anschließen, sondern daß durch das ganze weite Gebiet nach allen Richtungen hin der Aufstand gegen das verhaßte Ziugo-Regiment reißende Fortschritte macht. Dieses Eingeständniß bedeutet für England mehr als eine verlorene Schlacht und es wird dort auch als ein neuer wuchtiger Schlag empfunden werden, der daS so schwankende Gebäude der britischen Hoffnungen in seinen Grundvesten erschüttern muß. Zudem unterliegt e- ja auch nicht dem allergeringsten Zweifel, daß die Wirkung dieser Maßregel keine andere sein wirb, als die der letzten Henker-Proclamation Kitchener'S: sie wird nur noch mehr erbittern und die Capbolländer nur noch in größeren Scharren den Fahnen der Boerenrepubliken zuführen, offen und im Geheimen. DaS ganze Capland aber im Aufstande, wäre daS Ende nicht nur des englischen „Sicgeszuges" durch die Republiken, sondern zugleich daS Ende der englischen Herrschaft in Südafrika. Tjaardt Krüger -s-. Der Tod des jüngsten Sohnes des Präsidenten Krüger, deS in der letzten Zeit viel genannten dreißig jährigen Tjaardt Krüger, hat den an die schwersten SchicksalS- tchläge gewöhnten GreiS in Hilversum wieder tief gebeugt. Aber dieser Tod löst doch ein schweres Rätbsel, das den Präsidenten seit dem ll. September plagte. An diesem Tage nieldete Lord Kitchener, daß Tjaardt Krüger, deS Präsidenten jüngster Sohn, der seit zwei Jahren an allen KriegSthaten seiner Landsleute theilnahm, sich de»» Engländer» ergeben habe, aus Furcht vor den Wirkungen der berüchtigten Proclamation, die alle bis zum 15. Sep tember noch im Felde stehenden Boeren ihrer Güter beraubt. Der Präsident war, der „N. Z. Z." zufolge, über den Ab fall, ja über den Verrath seines Sohnes außer sich, obgleich ihm sogleich Zweifel an der Richtigkeit der Meldung aus stiegen. Nun ist das Räthsel gelöst. Tjaardt Krüger hat sich nicht ergeben, sondern ist von Engländern als Schwcrverwundeter gefangen genommen worden, und aus der Gefangennahme eines tödtlich Verwundeten ist eine „Unterwerfung" gemacht, um die Familie Krüger in Miß kredit zu bringen. * Haag, S. October. Anläßlich des Jahrestages deS Be- ginnS des Kriege« in Südasrika wurde in der Großen Kirche ein Bittgottesdienst für die Boerensache abgehalten. Den Schluß der Feier bildete die Nationalhymne von Transvaal. Politische Tagesschau. * Leipzig, lO. October. Man schreibt uns aus der Reichshauptstadt unter gestrigem Tage: „Die überraschende Meldung über den Empfang des Ober bürgermeisters Kirschner und deS Stadtbaurathes Hoff mann läßt freundlichen Vermuthungen Raum, aber sie enthält nichts Greifbares. Morgen (also heute. Die Red. d. Leipz. T.) wird, wie man wenigstens bestimmt versichern hört, Herr Kirschner den Stadtverordneten Bericht über die Ergebnisse der Audienz erstatten. Darüber werden Zbre Leser am Freitag früh unter richtet sein und so könnte eö sehr überflüssig erscheinen, in diesem kurzen Zeiträume den Stand der Berliner Dinge zu erörtern. Für den möglichen Fall aber, daß das von dem Oberbürger meister Mitzutheilenbe den von den Friedensfreunden ge hegten Erwartungen nicht entsprechen, und für den weiter möglichen Fall, daß Befriedigendes bei den Stadtverordneten kein befriedigendes Echo erwecken sollte, ist es nicht ohne allen Werth, zu wissen, wie die Verbringung der Bürger meisterfrage auf einen Seitenstrang noch gestern aufgefaßt worden ist und selbst heute noch — nach der Meldung der Audienz — noch beurtheilt wird. Man behauptet — in zwei Fraktionen der Stattvertretung und vielfach in der Presse —, daß der Oberpräsident der Provinz Brandenburg sich zu Unrecht als „nicht in der Lage" befindlich e,klärt habe, die zweite Wahl Kauffmann's nochmals zur Be stätigung vorzulegen. Vielmehr, so wird geltend gemacht, sei der Beamte verpflichtet gewesen und noch verpflichtet, den König in den Stand zu setzen, eine förmliche Ent schließung zu treffen. Es sei nicht zutreffend, was der Oberpräsidcnt sage, daß nämlich das Gesetz die Wieder wahl eines Nlcktbeslätigten der Verweigerung einer Wahl gleichstelle. Di- Gleichstellung beziehe sich nur darauf, daß in beiden Fällen ein königlicher Commissar eingesetzt werden könne, waS für den gegenwärtigen Stand der Sache Niemand bestreite. Ein Vacuum aber, wie es die Verweige rung der Wahl hätte entsteben lassen, sei nicht vorhanden. Kauffmann sei ordnungsgemäß zum Bürgermeister gewählt, ob er es werden solle ober nickt, darüber habe nach dem Gesetze nur der Köniz zu befinden, und so lange der Monarch dies unterlasse, seien die Stadtverordneten nicht be rechtigt, eine abermalige Wahl vorzunehmen. Zm Wesent lichen vertritt diese Auffassung in einer juristischen Ausein andersetzung auch die „Germania", was, obwohl die Stadtverordneten kein einziges klerikales Mitglied haben, in den heutigen Zeitläuften nicht bedeutungslos ist. Heute formulirt dieses Blatt etwas gelinder, indem es die Beslätigungsfrage als „noch nickt endgültig erledigt" bezeichnet. Das Recht der städtischen Vertreter, zu einer Wiederwahl zu schreiten, verneint ras Centrumsorgan nicht geradezu, eS hebt nur hervor, daß dem Oberbürgermeister Recurs bei rem Minister des Innern gegen die Unterlassung des Oberpräsiventen zustehe. Das läuft unseres Erachtens auf die richtige Anschauung hinaus. Das Verfahren deS Oberpräsiventen kann angefockten werden, es muß aber nicht angefochten werden. Daß durch eine Beschwerde an der Sache selbst nichts geändert würde, hat eine der berathenden Fractionen anerkannt. Mit Grund. ES ist unverkennbar und wird auch nicht bestritten, daß der Oberpräsident im Einvernehmen mit dem König, ja aus Befehl deS Königs gehandelt bat. Daun liegt aber materielj eine zweite Entscheidung deS Monarchen vor, eine abermalige Nichtbestätigung Kauffmann's, die nur in ungewöhnlicher Form erfolgt ist. Ein Theil der bürgerlichen Stadtverordneten findet die Form sogar „verletzend" und es ist wohl möglich, daß dieses Sentiment sich über den Fall Kauffmann, den man bei jeder Rechtsauffassung ruhen lassen kann, hinaus zum Ausdruck zu bringen sucht. Die Situation ist also nicht so einfach, wie sie nach der Audienz erscheinen könnte. Der Kaiser bat offenbar zunächst wegen dem Märchenbrunnen eine Verständigung angestrebt; nur deshalb kann der Stavt- baurath Hoffmann, den nur die Hochbauten angehen, zugegen gewesen sein. Herr Hoffmann wird in der Haupt sache nachgegeben haben und damit kann diese Kleinigkeit definitiv, wie die Bürgermeisterfragen, vorläufig für auS- geschaltet gelten. Der Oberbürgermeister aber bekommt es vielleicht nicht so gut, wie der Stadlbaurath. Der Kaiser hat außer der Brunnen-Angelegenheit noch Anderes, so auch die LindenüberfübrungS-Angelegenheit berührt. Die Eigenart des Herrn Kirschner und mancherlei Anzeichen gestatten die Annahme, daß die Audienz für ihn Alles in Wohlgefallen aufgelöst habe. Eines der Anzeichen ist, daß die »Voss. Ztg.", die noch vorgestern der zur Publikation deS Oberpräsidialerlasses gebrauchte Moniteur des Oberbürger meisters gewesen, über Nacht, d. h. nach der Audienz, diese ihre Eigenschaft dem „Berliner Tageblatt" abtreren mußte, einem Blatte, das einige Tage vorher in den Communalstreit- fragen mit fliegenden Fahnen in daS Hoflager übergegangen war. Wie nun, wenn Herr Kirschner mit leeren oder mit so gut wie leeren Händen vor die Stadtverordneten in Bezug auf das städtische Bedürsniß erscheint, dessen Nicht befriedigung er selbst noch am vorigen Donnerstag lebhaft bedauert, in Uebereinstimmung mit den Stadtverordneten be dauert Hal? Hat sich nichts in der Sache geändert und ist er doch anderen Sinnes geworden, so wird rin Keil zwischen Magistrat und Stadtverordnetenversammlung getrieben sein, ohne daß man bestimmt voraus sagen könnte, daß die Maxime ckivicio ot iwpora, sich auch diesmal be währen wurde. Die Stimmung ist auch in gemäßigten Kreisen noch nicht sonderlicy vertrauensvoll, und hier — nicht nur in der „Freis. Ztg." — wird es bemängelt, daß bei der Unterredung über Berliner Verkehrsverhällnisse der Eisen- bahnminisler v. Thielen nicht zugegen war, während der durchaus unverantwortliche CabinetSchef v. LucanuS zur Audienz gezogen war. Wenn nicht in der Unterlassung, so tritt dock ganz gewiß in der positiven Anordnung der auto kratische Zug des gegenwärtigen Regiments hervor, der von allen coustitulionell Gesinnten gern vermißt würde und der die Ursache ist, daß die Stadl Berlin, ohne es wisse» zu können, mit der Erwerbung von Straßenbahnlinien -in — vorläufig — schlechtes Geschäft gemacht hat. Es ist dringend zu wünschen, daß Herr Kirschner, der Vertreter der Bürgerschaft, etwas bringen kann, was den Schaden ganz oder in erheb lichem Maße aushebt. Geschieht dies und wird kein neuer Conflictstoff in die Stadt geschafft, dann wird trotz der Hetzereien der Socialdemokraten und anderer Böswilliger und ungeachtet des Falles Kauffmann ein leibliches Verhältniß wiederhergeslellt fein." So die Berliner Zuschrift, die unser Bedauern darüber, daß die Herren Kirschner und Hofsmann nicht Mittel und Wege gefunden haben, einander widersprechende Preßmeldungen über die Audienz zu verhüten, noch verstärkt. Das Richtigste wäre jedenfalls gewesen, wenn die Heroen wenigstens in den nicht- focialdemokratischen Berliner Blättern die gleichlautende Erklärung veröffentlicht hätten, sie fühlten sich verpflichtet, vor ihrem dem Magistrate und den Stadtverordneten zu erstattenden Berichte keinerlei Mittheilungen an die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen. In dieser Weise hat sich bekanntlich die „Nat.-Ztg." geäußert, aber die bereits gemeldeten Berichte anderer Blätter lauten so be stimmt, daß sie nicht aus den Fingern gesogen sein können. Andererseits Weichen sie unter Anderem darüber von einander ab, daß der Eine die B ü r g e r m e i st e r f r a g e in der Audienz berührt worden sein läßt, der Andere nicht. Daß durch dieses Durcheinander der Berichterstattung das Durcheinander der Meinungen noch verstärkt werden muß, liegt auf der Hand. Hoffentlich läßt wenigstens die nahe bevorstehende mündliche Berichterstattung der zur Audienz berufenen Herren nichts zu wünschen übrig. — Da übereinstimmend gemeldet wird, in der Audienz sei auch die Straßenbahnfrage erörtert worden, so sei übrigens daran erinnert, daß uns bereits am 26. Septem ber von kundiger Seite mitgetheilt wurde, „es sei keines wegs ausgeschlossen, daß der Kaiser den Ober- bürgermeister Kirschner zum Vortrag über die fragliche Angelegenheit empfange". Die Blätter, die diese Mittheilung als „vollkommen unglaubwürdig" bezeich neten, waren also schlecht unterrichtet. Die socialdemokratische „Sachs. Arbeiterztg." sieht sich genöthigt, einzugestehen, daß die baltische» Watz eil der Socialdemokratie eine herbe Enttäuschung gebracht haben. Von einem frischen, fröhlichen Eoberungszuge könne keine Rede sein; die „Genossen" hätten auf mehr gerechnet und bei dem natürlichen Wachsen der Partei hätte auch mehr erreicht werden müssen. Im Anfänge wurde die Niederlage dem „Verrathe" der Freisinnigen, die bekanntlich in Karlsruhe mit den National liberalen zusammengingen, in die Schuhe geschoben. Das säch sische socialiftische Organ sieht sich jetzt aber genöthigt, zuzu geben, daß auch in der Socialdemokratie selbst Gründe für die Niederlage liegen. Es giebt der Stimme badischer „Genossen" Raum, wonach „die Begeisterung für die socialdemokratischen Ziele wiederbelebt" werden müssen. Darin liegt zugleich das Eingeständniß, daß es gegenwärtig um diese Begeisterung übel bestellt ist. Nach den Vorgängen auf dem Lübecker Parteitage kann dies auch nicht befremden. Noch übler als die Social demokratie hat die Demokratie bei den Wahlen ab- gcschn-tten und so haben die badischen Wahlen nur eine neue Etappe auf der Rückzugslinie der süddeutschen Demokratie dar gestellt. Wenn daher die „Frkf. Ztg." der freisinnigen Volks partei droht, wegen der Karlsruher „Miffethat" würde der „entschiedene Freisinn" sich von der freisinnigen Volkspartei lossagen und einer Gemeinschaft anschließen, in der politische Charakterfestigkeit und Principientreue maßgebend ist — alle Niederlagen scheinen der süddeutschen Demokratie die Fähigkeit zum Selbstlob nicht geraubt zu haben —, so ist dies eine ganz leere Drohung. On r»o s'alläa Ms un csckuvre, das werden sich wohl auch die badischen Freisinnigen gesagt sein lassen; sie werden sich also hüten, zu der dem Untergänge ge weihten süddeutschen Demokratie abzuschwenken. Sie haben ja bei den Landtagswahlen gesehen, daß sie mit Erfolg an der Seite der Nationalliberalen fechten können, und vielleicht ist auch für die nächsten Reichstagswahlen eine Combi nation möglich, bei der die beiden liberalen Parteien gemeinsam gegen Centrum, Demokratie und Socialdemokratie vorgehen könnten. Die frühere Verbrüderung mit den letzterwähnten Gruppen hat die Freisinnigen dahin gebracht, daß sie nicht ein einziges Reichstagsmandat mehr im Großherzogthum Baden besitzen. Ueber chinesische BeftrasungSfarcen schreibt man uns aus Shanghai, 1. September: Der englische Gesandte hat kürzlich in schroffster Form die Bestrafung der Beamten verlangt, die im vorigen Jahre die Ermordung der Missionare in der Provinz Che-kiang, namentlich in Chu-chou, veranlaßt hatten. Die Folge war, daß sofort von Peking ein Befehl nach Hang-chou ging, wonach die drei hauptsächlich verantwortlichen Beamten, nämlich der Taotai von Chu-chou, Pao-tsu-ling, der Arigadegeneral M-china-ming und der Hauptmann Chu-tsze-tch auf der Stelle hinzurichstn seien. Thatsächlich ist aber nur der Letztere, also der im niedrigsten Range stehende von den Dreien hingerichtet worden, während die beiden anderen Schuldigen seit her verschwunden sind. Aus Hang-chou, der .Hauptstadt Che- FeniHetsn. Olof Thoroldsen. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). NachdruU verboten. Ein Blick aus Olof'S Augen traf das Mädchen, unter dem sic erröthend den Kopf senkte. Bergau runzelte die Stirn. Alle peinlichen Erinnerungen wachten wieder auf. „Ja, Lissi." Anton strich seine Cigarrenasche an dem Schäl chen, in Form eines blanken KistassierhelmS, ab. „Lissi, vas kleine dumme Ding, die wußte um Deine Pläne und geheimen Anschläge. Thal immer so unschuldig und ließ sich zu allen Teufeleien aufstiften." „Aber, Vater!" rief Lissi gekränkt. „Unsere Bemühungen hatten ja wenig Aussicht auf Erfolg", fuhr Bergau, ohne auf sie zu achten, fort. „Wie sollt« in dem ungeheuren Menschenmeer von London die Spur eines jungen AuSreitzerS aufzufinden sein, besonders wenn er sich nicht finden lassen wollte." „Das kam dann ganz zufällig", sagte Olof. „DaS heißt, Du hattest die Adresse des Kunstdruckfabrikantcn — wie hieß er doch — warst also für den Nothfall gedeckt." „Seine Adresse hatte ich nicht, wußte zwar seinen Namen und daß er in London wohne, und hätte mich nach ihm erkundigen können. Aber ich hatte keine Lust, mich ihm in meinem da maligen Aufzug vorzustellen. Er hätte mich jedenfalls auf die Straß« werfen lassen, bevor ich im Stande war, sein« Leicht gläubigkeit mit der Behauptung, ich sei Arel Thoroldsen's Sohn, auf di« Probe zu stellen. Beweise dafür besaß ich nicht." „Ich half mir also, so gut ich konnte. Än Werthstück war mein — ein einziges — meines Vaters Uhr und Kette. Die versetzte ich und löste sie wieder aus, sobald ich ein paar Schillinge erübrigte. Zwei Mal glückte das, das dritte Mal gerieth ich aber an einen Gauner, der die Uhr nicht herausgeben wollte. Als ich auf meinem Recht bestand und Lärm schlug, rief er einen Constabler und ließ mich festnehmen. Er behauptete, ich hätte die Uhr g«stohl«n." Frau Berkau stieß einen Ruf des Entsetzens aus. Lissi's Hände fielen in den Schooß. Tief erblaßt starrte sie den Er zähler an. Er heuchelte, das nicht zu sehen, und fuhr in kaltblütigem Tone fort: „Nun berief ich mich auf den deutsch«» Consul und verlangte -U ihm geführt zu werden. Man steckte mich indrß natürlich ruhig ins Loch und es dauerte einige Zeit, bevor der Consul sich meiner annahm. Meine Hauptsorge war die Uhr. Eher wollte ich meinen Kopf verlieren, als Uhr und Kette. Sie wurde denn wirklich aufgefunden und mit Beschlag belegt. Aber ich konnte mein Eigenthumsrecht nicht beweisen, auch überhaupt nicht legi timsten." „Papiere hattest Du natürlich nicht?" fragte Bergau. „Keinen Fetzen — nicht mal Kleider, als ich auf's Schiff kam. Nichts als Hemd und Hosen. Meine Schätze, die Uhr und ein Goldstück, hatte ich in ein Säckchen gesteckt, das ich mit einer festen Schnur um meinen Hals band. Als ich meine Jolle kentern ließ und das Schiff schwimmend zu erreichen suchte, hielt ick das Säckchen mit den Zähnen fest, weil ich Angst hatte, die Schnur könne mir bei meinen Tauchiibungen über den Kopf schlüpfen. Der Capitän ließ mir dann Kleider geben, abgelegtes geflicktes Zeug natürlich, das mir nicht paßte." „Daß Ihr Euch meinetwegen bereits mit dem Consulat in Verbindung gesetzt hattet, kam mir zu Statten. Die Personal beschreibung stimmte — aber wie viele lange dünne blonde Schlingel ohn« besondere Abzeichen außer ihrer deutschen Mutter sprache mochten auf Londoner Pflaster umherlaufen!" Man fragte mich, ob ich Jemand in London kenne. Ich ent schloß mich denn, Herrn Rückwart zu nennen. Er hatte auf Bitten meiner Mutter Nachforschungen nach mir angestellt, auch mit dem deutschen Generalconsul meinetwegen gesprochen. Ihm wurde ich also vorgeführt. Er hatte meine Photographie er halten, aber die war vor Jahr und Tag gemacht worden und hatte mit dem verhungerten Strolch, den sie darstellen sollte, ge ringe Aehnlichkeit." „Aber Rückwart fand den Weg, meine traurige Persönlichkeit zu identificiren. Er fragte mich aus — sehr geschickt — über meinen Vater, über Familienverhältnisse, die kein Fremder hätte errathen können. Damit kam die Sache denn in Ordnung. Ich wurde aus der Haft entlassen, erhielt mein Eigenthum zuruck, und Rückwart nahm mich mit in sein Haus." „Jetzt entsinne ich mich", sagte Bergau. „Rückwart wandte sich dann an das Dormundschaftsgericht in K. Deinetwegen." „Er behielt Dich also gleich bei sich?" fragte Frau Cläre, die auf die Fortsetzung der Geschichte brannte. „Er behielt mich vorläufig da, bis ich wieder etwas Fleisch auf den Knochen hatte und einem Menschen ähnlich sah. Eng lisch hatte ich inzwischen zur Noth gelernt, von den Matrosen und Hafenarbeitern, also war es auch danach. Ich übt« mich in der Sprache, und Herr RUckwart zerbrach sich den Kopf, was er aus mir machen könne. Er ist ein wunderlicher Heiliger, ein bischen tyrannisch in seiner unglaublichen Güte und Größmuth, wird natürlich vielfach mißbraucht und auSgebeutet, läßt sich aber dadurch nicht irre machen. Er hat einst mit meinem Vater zu sammen in Piloty's Atelier gemalt, Later hat ihn bald überholt, er wandte sich dann dem Kunstgewerbe zu und wurde ein reicher Mann — während mein Vater — arm und verschuldet starb. — Daß er das nicht hatte hindern können, daß er seinen alten Kameraden ganz aus den Augen verloren, dieser ihn auch nicht zu Hilfe gerufen, das konnte Rückwart nicht vergessen und ver schmerzen. Nun sollst der Sohn es um so besser haben. Der Sohn — der selbstverständlich des Vaters Talent geerbt, der sollte Alles erreichen, was Jenem versagt geblieben — Ruhm und Reichthum — Alles natürlich, was sich mit dem Gelve und dem Einfluß des Hauses RUckwart erreichen ließ. „Ich wurde also nach München geschickt, besuchte die Aka demie, zeichnete und malte — anderthalb Jahr etwa. Dann er klärte ich meinem Wohlthäter, daß ich kein Talent habe und nicht Maler werden wolle. Das brachte ihn ganz aus der Fassung. Er war überzeugt, daß ich glänzende Fortschritte machte, und meine Lehrer, die sich auf seine Veranlassung speciell für mich instressirten, hatten ihm das bestätigt." „Aber Du hattest keine Ruhe", meinte Anton mit sarkastischem Lächeln. „Nein — ich hatte nicht Lust, die Zahl der bandfertigen Nach beter und privilegirten Stümper zu vermehren — zu Weiterem reichte es nicht." „Deine Lehrer waren anderer Ansicht." „Ja — die konnten allenfalls voraussehen, was sie aus dem gegebenen Material zu machen vermochten, nicht aber, was etwa noch an spontanen Trieben und Kräften im Verborgenen schlum merte — die Hauptsache beiläufig." „Ein erfahrener Lehrer und Erzieher weiß in der Regel besser Bescheid in dem geistigen Organismus seines Zöglings, als dieser selbst", behauptete Bergau. „Das bestreite ich entschieden", versetzte Olof. „Die so genannten großen Meister lieben es, einem Lehmkloß ihren eigenen Odem einzublasen. Das wird dann ein Geschöpf nach ihrem Herzen, das ihre Orakelsprüche nachstammelt und über ihren Horizont nie hinauszuseh-n wagt. Wer ein eigenes Leben, einen Urquell künstlerischer Schöpferkraft in sich trägt, der täuscht sich darüber nicht. So was läßt sich eben nicht anerziehen. Ich wußte genau, daß ich es mit Fleiß und Ausdauer zu anständigen Durch schnittsleistungen bringen konnte. Aber mir graute davor, als bloßer Abklatsch und Nachtreter Größerer Leinwand und Farben zu verderben. Mein Sinn war von vornherein auf Anderes ge richtet." „Na, kurz — die alte Geschichte", sagte Bergau mit hartem Auflachen. „Du warst wieder einmal klüger als Deine Vor münder und Professoren. Hoffentlich gehen wir bald bei un seren Kindern in die Schule. Sonst geräth die altersschwache Welt aus Fugen und Gleise. Nicht währ?" „Wenigstens sollte man erwachsene Menschen nicht zu Un mündigen machen", versetzte Olof mit blitzenden Augen. „Sonst wird es eines Tages zum Austrag der brennenden Frag« zwischen Jung und Alt kommen — der Frage: giebt Eure sogenannte Er fahrung Euch das Recht, den steigenden Saft im jungen Orga nismus zu unterbinden, die aufschießenden Triebe zu verschneiden — zu verstümmeln — aus gesunden, kraftstrotzenden Naturen Krüppel zu machen? Jawohl, das ist Eure Weisheit. — Furcht, feige, grausame, greisenhafte Furcht vor der Elementargewalt der Jugend " Olof brach in seiner geharnischten Rede plötzlich ab. Lissi stand neben ihm, schenkte aus einer Bierflasche in sein noch halb volles Glas und blickte ihm flehend in die Augen. Er biß sich auf die Lippe und ließ den Kopf sinken. Es trat Schweigen ein. Bergau stand auf, brummte etwas in den Bart, ging nach der Thür, öffnete sie und horchte hinaus, schloß wieder und that, die Arme auf dem Rücken, ein paar Schritt auf und nieder im Zimmer. Olof erhob sich ebenfalls, sah nach der Uhr und murmelte, es sei wohl an der Zeit, sich zu verabschieden. Aber Vie Tante legte die Hand auf seinen Arm. „Bleib' sitzen, jetzt wollen wir Deine Geschichte zu Ende hören. Ist es denn nicht möglich, daß Ihr Herren der Schöpfung ein halbes Stündchen mit einander plaudert, ohne daß Ihr auf Zeit- und Streitfragen stoßt? Also, Olof: Dein Herr Rückwart gab nach?" Bergau fuhr fort, mit stisen Schritten auf und ab zu gehen, wobei er, sobald er in die Nähe der Thür kam, stehen blieb und horchte. Endlich setzte er sich, enthielt sich aber aller Zwischen reden. „Das nicht. Er stürmte und grollte, ich blieb fest und ging dann meiner Wege. Später kam es aber zur Versöhnung. Rück wart reiste nach Ostpreußen, suchte meine Mutter auf und er kundigte sich nach mir. Ich war damals auf allerlei Umwegen nach Chicago gerathen und arbeitete in einer Maschinenfabrik. Blieb auch drüben, arbeitete in verschiedenen Städten, besonders in Elektricitätswerken, studirte in den letzten Jahren auf tech nischen Hockschulen in Brüssel und Karlsruhe." „Dazu verhalf Dir Herr Rückwart?" „Ja, er trug mir meine Eigenmächtigkeit nicht nach. Er gab mir Empfehlungen und versorgte mich mit den nöthigen Geld mitteln. Ich konnte das annehmen, denn ich hatte ihm rin Äqui valent zu bieten: den künstlerischen Nachlaß meines Vaters, den er bei meiner Mutter gesehen. Niemand als ihm hätte ich ihn überlassen, aber bei ihm weiß ich Alles in guten Händen. Außer dem gab er mir sein Wort, nichts von den Zeichnungen urch
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