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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.10.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011021017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901102101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901102101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-21
- Monat1901-10
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laud». Led«tto« mü Lrvettttr» Rußla» Türkei, Mialeu: Alsted Has» vorm. V. Klemm'* Sorlde. UnwerfitLtSstratze 8 (Paulümm), Loul» Lösche, BezngS-PreiS t» d« HauptexpMtio, oder des da Etudb bezirk und deu Vororte» errichtete» AM» »aoeftell« abgaholtr »tarwchickrtich ^tl 4^0, »et ZweimastDM täglicher Kutattuuß t»S Morgen-Ausgabe. MMr.TasMM Anzeiger. ÄmtsVlatt des Löitigkichen Land- und AinLsMchLes Leipzig, des Rnthes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigeu-PreiS die -gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter demRrdacrwnSstncy (4-«spalt»«) 75 vor den FamUiennach- eichte» (Sgespalteu) 80 H. T»bell«kscher «»8 Aiffeosatz entsprechend höher. — Vrbübre» wr Nachwelfungen and Osserteuonuayme » (exct. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-AnSgabe, ohne Postbesürdenma mit PostbofSrdmung 70.-. Lrmahmrschlllß für Ibyrig«: «biud-AuSgabor Bormtttag« 10 Uhr. Worgau-AuSg^e: RochuckUag» 4 Uhr. Bet de» Dtkiale» »»8 kl »»ahmegelle» je et»s halb« Stmck« früher. Tuzeig« fdck stet» « bi« Expedition pl richt». Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geSstiwt von früh s bi» ALeud» 7 Uhr. Druck «ck> «erlag vou «. P,l z t» Leipzig Nr. 537. Montag dm 21. October 1901. S5. Jahrgang. ZUM Jubiläum unseres Ehrenbürgers v. Gustav Adolph Fricke. Ein seltenes Fest begeht am heutigen Tag« einer der be rühmtesten Professoren unserer Hochschule, dessen Name durch die ganze evangelische Welt hin bekannt und mit Ehren und Dank genannt wird, weil er mit seiner ganzen Kraft der evangelischen Kirche, und zwar als langjähriger Präsident des Gustav Adolf- Vereins der evangelischen Kirche der Welt gedient har: der greise und doch geistig und körperlich noch so wunderbar frische Ehren bürger unserer Stadt, v. Gustav Adolph Fricke, den Tag, an dem er vor einem halben Jahrhundert zum ordentlichen Professor der Theologie ernannt worden ist. Frick« ist ein Leipziger Kind. In unserer Stadt hat er am 23. August 1822 das Licht der Welt erblickt. Sein Vater, Friedrich August Fricke — dessen vor einer Reihe von Jahren rühmend auch in unserem Blatte gedacht worden ist (vgl. „Leipz. Tageblatt" 1892, Nr. 430) — hat einst in Leipzig die lernst Aloys Senefelder's wacker gepflegt. Noch erfreut sich manches Haus eines Blattes von ferner fleißigen Meisterhand. Bielen wird Fricke's „Vaterunser" wohl bekannt sein. Die Sammlungen des Vereins für Geschichte Leipzigs enthalten eine ganze Reihe werthvoller, lebcnersülltrr Lithographien Fricke's. Seine Kunst fand freilich nur einen kärglichen Lohn. Aber die keine Schwie rigkeiten kennende Energie und der rastlos« Fleiß, mit dem der Knabe, am Tage seine Schul« besuchend und dann Andere unter richtend zur Schaffung deS täglichen Brodes mit beitrug, um darauf bis tief in die Nacht seinen Studien sich zu widmen — Ehre sei solcher Thatkraft und solchem Fleitze! — hat den jungen Fricke das hohe Ziel erreichen lassen, zu dem die früh schon hervor tretenden glänzenden Gaben deS Geistes ihn wiesen. Nachdem er unsere altehrwürdige Thomana mit größten Ehren absolvirt, bezog er die Alma Mater. Der berühmte Philolog Gottfried Hermann, der erst vor wenigen Jahren Heimgegangene Philosoph Drobisch, die Thwlogen Anger, Wiener und Niedner waren vor nehmlich sein« Lehrer. Schon der Student wurde für kleine Kreise Docent. Sein Talent zu unterrichten hatte sich schon frühe gezeigt. Im Jahre 1846 habilckirte sich Fricke an unserer Leipziger Universität, und zwar sowohl in der theologischen als in der philosophischen Facultät. Devane waren damals August Ludwig Gottlob Krehl und Gustav Hartenstein. Bereits drei Jahre nach erfolgter Habilitation wurde Fricke durch Ernennung zum außerordentlichen Professor der Theologie ausgezeichnet. Im Jahre 1861 aber leistete der 29jährig« dem höchst ehrenvollen Ruse in eine ordentliche theologische Professur zu Kiel Folge. Sein Name steht auf den Ehrenblättern der dortigen Universität und Landeskirche, noch heute unvergessen und von Ungezählten mit innigem Danke genannt. Nächst seiner akademischen Thätig- keit, die inS Einzelne an dieser Stelle nicht verfolgt werden kann, widmete sich Frick« insbesondere der Gustav Adolf-Sache. Ihr gehörte bereits damals sein Herz. Hatte er doch schon als Student jener Septemberversammlung 1842 zu Leipzig brigewohnt, di« di« Verschmelzung des älteren und des jüngeren Vereins herbei führte und den „Evangelischen Verein der Gustav Adolf- Stiftung" ins Leben rief. Der Jüngling hat es wohl nicht ge ahnt, daß er diesem Werke einmal zum bleibenden Segen der evangelischen Kirche seine beste Kraft widmen würde. Das that er bereits als Kieler Professor. 11 Jahr« hindurch leitete er den schleswig-holsteinischen Hauptverein und brachte diesen zu außerordentlicher Blüthe. Wo es sonst galt, ein Werk der Huma nität zu unterstützen und zu fördern, stand er an erster Stelle. So verdankt insonderheit die jetzt als Staatsanstalt dienend« Kieler Blindenanstalt ihm ihr« Entstehung. Als im Jahre 1864 der Oberkatechet zu St. Petri, Wilhelm Naumann, Färb, benutzte Leipzig die Gelegenheit, den hervor ragenden Mann wieder hierher zu berufen. So kehrte denn Fricke das Jahr darauf nach vierzehnjähriger Thätigkeit in Kiel nach Leipzig zurück und nahm auch sofort seine theologischen Vorlesungen an der heimathkichen Universität wieder auf, von nun ab da» theologische Lehramt mit dem kirchlichen verbindend. Es ist noch in unser Aller frischem Gedächtniß, wie wir uns in der kleinen „alten" P«ter»kirche drängten, wenn „Fricke" pre digt«. Das waren Predigten nicht nur für den Theologen. Wie wußte er alle An« Zuhörer mit seiner feurigen Beredtsamkeit hinzureißrn! Wie jede seiner Predigten für sich ein Meister- und Kunstwerk war, so waren eS für sich auch di« hoch interessanten Einleitungen. Sein Blick und sein Wort umfaßte alles Große und es waren weltgeschichtlich die größten Jahr« unseres Volkes, während deren er auf der Kanzel stand. Wie oft aber wußte er auch in großen Versammlungen oder bei fest lichen Gelegenheiten — es sei aus Vielem nur an die Weihe unseres ReformationsdenkmalL erinnert — aller Herzen zu ent flammen und mit Begeisterung für die idealen Güter unserer Kirche und unseres Vaterlandes zu erfüllen! Man hätte dem zart gebauten Manne wohl nichi gcweissagt, daß er die körperliche Kraft für eine so rastlose uns vielseitige Thätigkeit haben würde. Aber was hat er geleistet! Krankheit hat ihn nie seine Vorlesungen versäumen lassen. Seine Energie war größer als die Krankheit. Selbst wenn er auf dem Landtage in Dresden weilte, suchte er jede Versäumniß seiner akademischen Thätigkeit zu vermeiden. Sie erlitt lediglich eine Unterbrechung, als er, der Feldpropst der sächsischen Armee, das Heer im Jahre 1866 noch Oesterreich begleitete. Das war ein Amt, für das man den rechten, in seiner Art einzigen Mann herausgefunden hatte. Me köstlich, wie reich an scharfer Beobachtung und an treffenden Bemerkungen, wie an herzlichem Humor sind die Briefe, die Fricke damals in die Heimath schrieb! Sie sind im Jahre 1891 veröffentlicht worden und haben einen bleibenden Werth. 65 Jahre hindurch hat Fricke bisher als akademischer Lehrer gewirkt. Wer kann sagen, wie viel Segen, wie viel Anregung von ihm ausging. Die meisten Theologen, die zu seinen Fußen saßen, verdanken ihm ihr Bestes, ihren fest gegründeten geistigen Besitz! Fricke's Schüler zählen zu Tausenden. Sie sind zerstreut über die evangelische Kirche aller Länder. Nicht nur unter den Theologen sind sie zu suchen. Unvergeßlich bleiben uns seine im größten und doch bis auf den letzten Platz gefüllten Audito rium gehaltenen Vorlesungen über Schleiermacher, über die Un sterblichkeit, über die Beweise für das Dasein Gottes. Frisch und lebendig, begeistert und begeisternd, stets von jugendlichem Feuer erfüllt, wie mit Adlersflug sich zu dem Idealen und uns mit sich fortreißend stand er vor uns. Fricke's theologische Vor lesungen erstrecken sich seit Jahren insbesondere auf di« Dogmatik und Ethik, sowie auf die Exegese. Es ist der herzlich« Wunsch seiner Schüler — und er sei auch an dieser Stelle ausgesprochen! — daß es dem Jubilar vergönnt sein möge, das, was er in seinen Vorlesungen vorträgt, auch im Drucke zu veröffentlichen. Mit Vorliebe behandelt Fricke die Briefe Pauli an die Römer, an die Galater, den ersten an die Korinther, sowie den Hebraerbrief. Ni« ging «r auf ausgetretenen Gleisen. Sorgfältig prüft er die Meinungen anderer Exegeten und läßt dann vor dem Geiste seiner Zuhörer überzeugend und klar das Ergebniß eigenen Forschens erstehen. In seinem exegetischen Seminar, in dem er, so weit und so lange nur möglich, das ihm wie die Muttersprache ver traute Latein festhielt, gelingt es ihm, sein« Studenten zu strenger exegetischer Methode anzuleiten. In Allem steht er vor den jungen — und alten, längst im Dienste ergrauten — Theologen als ein ideales Vorbild mit seiner bis ins Kleinste gewissenhaften Wissenschaftlichkeit, mit seiner unentwegten Ueberzeugungstreue, mit seinem unerschrockenen, bei so mancher Gelegenheit gezeigten Eintreten für die Wahrheit und die Ehre der evangelischen Kirche, aber auch mit dem echten Edelsinn eines geklärten, charakterfesten, selbstlosen Christen, der jederzeit — das sei ihm auch heute in Vieler Namen dankbarst bezeugt! — ein väterlich teilnehmendes Herz auch für das innere Ringen des jungen Theologen bekundete! Das haben Viele erfahren, insonderheit die, denen es vergönnt war, ihm näher treten zu dürfen, so die Mitglieder der Lausitzer Predigergesellschaft und deS Prediger collegiums zu St. Pauli, die dem Jubilar außerordentlich viel verdanken. Eine große, berechtigte Freude war es Fricke, als er, der erste Pfarrer der Petersgemeinde — seit 1876 war die Peters- kirch« Parochialkirche geworden — im Jahre 1885 aus der alten Peterskirche, auf deren Platz sich bald das Gebäude der Reichsbank erhob, in die neue, von Härtel und Lipsius auf dem Schletter- platze erbaute stattliche neue Peterskirche einzog. Im Jahre 1887 legte er dann sein Pfarramt nieder, um sich nunmehr wieder ganz der akademischen Thätigkeit widmen zu können. Zwei Bände Predigten („Gottesgriiße", Leipzig, Richter) hat Frick« im Drucke ausgehen lassen. Manche denkwürdige Predigt ist darin ent halten, so die Antrittsvredigt als Pfarrer zu St. Petri u. A. Aber nicht nur auf der Kanzel und auf dem Katheder ist Fricke's Platz gewesen. Bis vor wenigen Jahren war er regel mäßig Mitglied der Landessynode, die in ihm einen weisen Bc- rather und einen tüchtigen Mitarbeiter besaß. Wie hier, so wirkte er in reichstem Segen für die Landeskirche auch al» Vor sitzender der Meißner Kirchen- und Pastoralconferrnz. Dieselbe, am 9. November 1869 gegründet und in ihrem ersten Jahrzehnt von Brückner geführt, stellte im Jahr« 1871 Fricke an die Spitz« ihrer Leitung. Wie viel Anregung in den wichtigsten Dingen ist in den fast dreißig Jahren, während deren Fricke diese Con- ferenz geleitet hat, von derselben ausgeqangen! Aber das bedeutendste Werk, mit dem der Name unseres Jubilars auf alle Zeiten verbunden ist, ist das Werk des Gustav Adolf-Vereins. Es war ein schönes, durchaus berechtigte» Wort, mit dem Fricke's Nachfolger in der Präsidentschaft dieses Vereins, Geh. Kirchenrath D. Pank, am 12. September 1900 zu Königs berg auf Fricke's Bedeutung für den Gustav Adolf-Verein hrn- wies: „Durch mehr denn 26 Jahre, mehr denn ein Vierteljahr- Hundert, ist unsere Gemeinschaft von einem Manne geleitet wor den, der uns nahezu eine Personifikation unseres Vereins ge worden war, dessen Namen, I). Fricke, ich nur zu nennen brauch«, um einen Sturm dankerfüllter Begeisterung zu entfesseln. Schon als studentischer Jü»clir.a. im Jahre 1842, hat er jener Leip ziger Versammlung beigewohnt, welche die eigentliche Gründung des Gesammtvereins bedeutete, und noch in Braunschweig hat der Siebenuitdsiebzigjährige, der das 26jährige Jubiläum seiner Präsidentschaft hinter sich hatte, zu uns geredet, ein gereifter, ehrwürdiger Professor und ein studentischer Jüngling zugleich. Ich unternehme es nicht, auch nur in der Kürze darzulegen, was unser Verein diesem seinem hochverehrten Führer und General- feldmarschall zu danken hat, seinem brennenden Eifer für die Kirche des Evangeliums, seiner gewissenhaften Tveu«, die auch um das Kleinste sich sorgte, seiner unermüdlichen ArdeitSfreudio- keit, die auch unter 6000 Regiftrandennummeru des Jahres nicht erlahmte, seiner begeisternden und zündenden Macht der Red«. Mehr als viele Worte spricht die eine Thatsache aus: unter v. Fricke's Leitung ist di« JahreSsumme der Unterstützungen ge stiegen von rund k80 000 auf rund 1300 000 also nahe zu auf das Doppelte." Wie wahr diese Worte find, daS bezeugt jedes Blatt der umfänglichen Jahresberichte des Centralveroins. Eines der denkwürdigsten ist dasjenige, welches von einer Audienz Fricke's bei Kaiser Wilhelm I. und der Kaiserin Augusta am 24. August 1876 auf dem Schlosse Babelsberg erzählt. „Ich hege", so erwiderte der Kaiser auf Fricke's Ansprache, „nur Wünsche reichen Segens für den Verein, den Gott der Herr unter seine Obhut nehmen möge- Sie hoben, geehrter Herr Professor, in so zutreffender und würdiger Weise Ihres Königs gedacht. Es ist Mein lieber Bruder und Freund, der in den Fußtapfen seines Höcffstseligen, von Mir st«ts Hochwerth gehaltenen DaterS geht. Meine doll« Freundschaft und Achtung gehört ihm." Trotz dieser bewundernswerth umfassenden Thätigkeit hat unser Jubilar noch Muße zu schriftstellerischen Arbeiten gefunden. In lateinischer Sprache hat er die Beweise für das Dasein Gottes und die dogmatische Bedeutung der Stelle Röm. 6, 12, und anderer behandelt. Sein Lehrbuch der Kirchengeschichte, dessen erster Band im Jahre 1850 erschien, blieb unvollständig. Seine übrigen Schriften, so weit sie nicht auf das homiletisch« Gebiet gehören, sind dogma tischen und exegetischen Inhalts. Zuletzt (1896) erschien aus Fricke's Feder „Darstellung einer Kritik der Beweise für Gottes persönliches Dasein". Diese schriftstellerischen Arbeiten haben Fricke's Namen in die Annalen der Wissenschaft, sein Wirken als praktischer Theolog und fein« Thätigkeit an der Fritze des Guftav- Adolf-Vcreins in die Jahrbücher der evangelischen Kirche ringe- zeichnet. An Ehrung und Anerkennung hat es diesem reichen Leben nicht gefrhlt, wie auch der Jubeltag manche neue bringen wird. Fricke ist Comthur des sächsischen Verdienst-, sowie des Albrecht> ordens, Commandeur des schwedischen Wasaordens, Ritter de» preußischen Kronenordens 2. Elaste, sowie des rothen Adlerordens 3. Classc. Nach Franz Delitzsch's Tode wurde er, früher schon zum Geh. Kirchenrath ernannt, Domherr des Hochstiftes Meißen. Die Stadt Leipzig aber hat ihm am 6. November 1892 den Ehrenbürgerbrief überreicht. Mit herzlicher Freude und inniger Dankbarkeit nehmen die weitesten Kreise unserer Stadt, wie der Landeskirche und der ge- sammten evangelischen Kirche Theil an Fricke's Ehrentag. Die Herzen Aller, die ihn kennen und verehren, vereinigen sich in dem aufrichtigen Wunsche, daß es ihm noch lange vergönnt sein möge, in der alten Rüstigkeit zu wirken und sich in einem sonnigen Lebensabend des reichen Segens zu erfreuen, mit dem die Gnade Gottes jeder Zeit sein Schaffen und Arbeiten gekrönt hat. Cultur und Geisteskrankheiten. Von Or. meck. F. Ranzow ^Berlin). Nachdruck verboten. Zu den Vorwürfen, die der Civilisativn am häufigsten gemacht werden, gehört auch die Anschuldigung, daß sie den Menschen weit genug von seinen natürlichen Existenzbedingungen entfernt, um sein« leibliche und seelische Gesundheit zu untergraben; namentlich wird di« Großstadt dessen angeschuldigt. Es galt noch bis vor Kurzem als eine unbestreitbare Thatsache, daß di« großstädtische Bevölkerung nur durch ein« Zuwanderung gesunden Blutes vom Lande in ihrem Bestände erhalten oder gar vermehrt werden könn«, da daS städtische Leden den physischen Organismus langsam zerstöre. Und ebenso soll der g-istige Organismus ihm nicht Stand halten können, wir die rapide Zunahme der Geisteskrankheiten mit der Cultur beweise. In der That läßt sich nicht leugnen, daß eine solche Zunahme besteht. Je höher die Cultur eines Volkes oder einer einzelnen Classe, um so größer ist wirklich der Tribut, den der Irrsinn erhebt; und ebenso steigt die Zahl der Irrsinnigen, wenn man nur e i n Volk ins Auge faßt, in einer deutlichen Progression mit seinem allgemeinen Culturstande. Am wenigsten sicher sind diejenigen Zahlen, die eine Ver gleichung -wischen verschiedenen Völkern zu Tag« fördert; denn bekanntlich müssen statistische Ziffern nach derselben Methode er hoben sein, wenn sie vergleichbar sein sollen, so daß eine inter nationale Statistik überhaupt erst dann anfängt, möglich zu werden, wenn di« betreffenden Zahlenmasscn auf Grund einer vorhergegangenen internationalen Vereinbarung nach genau den selben Grundsätzen erhoben werden. Wir sagen ausdrücklich: a n - fängt, brauchbar zu werden; denn um volle Brauchbarkeit zu ermöglichen, müssen diese statistischen Ziffern nicht nur nach den- sellben Grundsätzen, sondern auch denselben Bedingungen ausgenommen werden, daS heißt, eS muß die Intelligenz und Berufstreue der Zähler und dir Intelligenz und Offenheit der Gezählten in allen Ländern ungefähr di« gleiche sein. Das ist natürlich ein« taum zu erfüllende Bringung! Darum würde es an und für sich auch gar nichts beweisen, wenn (wie v. Orttingen berichtet) die Zahl der Irrsinnigen bei den hochcivilisirten Ger manen etwa 2 pro Mill«, bei den weniger cultivirten Romanen etwa 1 pro Mill« und bei den halbbarbarischen Slawo-Tartaren nur 0,6 pro Mille beträgt; denn wir dürfen mit Recht vermuthen, daß eine Zählung in dem vorzüglich organisirten und verwalteten England, Holland oder Deutschland dir wirklich vorhandene Zahl der Irrsinnigen mit ganz anderer Vollkommenheit ermittelt, als daS z. B. in Spanien und Rußland geschieht. Diese Zahlen erhalten aber doch ein gewisses Gewicht, wenn man sie mit anderem Ziffern zusammenhält, dir die Progression der Jrrsinnsziffer in denselben Ländern ergeben, v. Dettingen theilt mit: „In England und Wales vermehrte sich die relative Irrsinns quote von 1,86 pro Mille Einwohner (18M) auf 3,05 pro Mille (1871); in Frankreich von 0,49 (? 1836) auf 2,44 pro Mille (1872); in Belgien von 1,22 (1836) auf 134 pro Mille (1868); in Norwegen von 1^81 pro Mille (1826) auf 3,06 pro Mille (1868). Es ist also die Zunahme ausnahmslos." In Württemberg fanden sich Irrsinnige bei der Zählung von absolute ZctPrn auf 100000 Einwohner 1863 1917 106 1864 2296 126 1875 3946 215 Noch beweisender erscheinen un» die Ziffern der preußischen Statistik, die Folgende» ergeben: Es kamen 1871 auf 10 000 OrtSanwesende: 22,4, 1880: 24,3, 1895: 26,0 Geisteskranke. — Oder, was dasselbe ist: Es kamen Geisteskranke auf Orts anwesende: 1871: 1:418, 1880: 1:411, 1896: 1:384,6 Ein wohner. Man wird annehmen dürfen, daß hier eine wirkliche, und zwar recht beträchtliche Zunahme sich darstellt, da die statistische Schickung und Sovgfalt der Zähler und Gezählten in diesen 25 Jahren kaum wesentlich verbessert sein dürften. Fanilleton. von -er Schattenseite. Humorelk« von Teo von Lorn. »ia^drnck »ervekkn. „Da wird nicht» 'von! AuS rst'Sl Will nichts mehr hören! Punctum." „Aber Leonhard!" -Papaaaaaa —" Baron von Ratznow trank d«n letzten Schluck Kaffte auS seiner Taffe, strick dann mit d«r hohlen Hand über den mächtigen Schnauzer und affte seinem Töchterchen nach: „Päppti — Pappä —! Nun ja, Päppä! Glaubt Ihr denn, daß ich die Kracken bloS zu Eurem Svaßvcrgnügen im Stall« habe!? He? Alle», wa» Bein« hat auf dem Hof« ist draußen bei der Lese; der halb« Schloßberg ist noch einzubringen — und von der Eremitage ist überhaupt noch keine Traube im Kelter! Und da wollen die Herrschaften nach der Stadt fahren! Auf den Bazar! An der Wohlthätigkeit hat der liebe Herrgott doch kein« Freude — da könnt Ihr Gift drauf nehmen. Da» ist 'ne bloße Dickthuerei, weiter nicht»!" Während die hübsch« kleine Baroneß da» süffisant« Stup»- närchen tief über ihr Theegla» neigte und mit d«m silbernen Löffel verzweifelt in dem Getränk rührt«, halt« sich Frau Eveline von Raßnow steif aufgerichtet. „Lieber Leonhard, ich muß doch bitten, daß Du di« aelellschaft- lichen Grundsätze, in denen ich Florance standesgemäß rrzieye, etwa» mehr respecfirstl" .Irziey' Du di» Floranze nur so, wie — —* Baronesse von Raßnow ließ mit heftigem Klirren da» LVffel chen fallen und ihr» Mutter verzog da» distinguirt« Gesicht zu einer Grimasse. „Ist e» Dir denn nicht möglich, den Namen Deiner Tochter richtig auszusprechen!" rief sie entrüstet. „Wie oft soll ich Dir sagen — Florance, heißt es Florance!" Um die von dem starken weißen Schnurrbart beschatteten Mundwinkel des alten Herrn spielte der Schalt, aber eS klang trocken und ernst, als er erwiderte: „Thut mir leid. Ich kann nicht durch die Nase sprechen — habe den Stockschnupfen. Außerdem habe ich dem Mädel den verrückten Namen nicht gegeben. Für mich heißt sie Floranze. Punctum. Im Uebrigen halte ich es nicht für nothwendig, daß da» Mädel überall hingeschleift wird, wo 'was lo» ist!» „Sooo —" entgegnete die Baronin mit ironischer Freund lichkeit, indem sie jedes Wort mit einer wiegenden Kopfbewegung pointirte, „das Kind soll wohl sitzen bleiben und einsauern, wie Deine älteste Tochter, nicht wahr?" „Jawooohl —" erwidert« der alte Herr in demselben Ton« und nun merklich gereizt. „Da» ist mir schon lieber, al» wenn sie wie Sauerbier auiqeboten wird! Außerdem ist da» Mariandl noch lange keine alte Jumpfer, verstehst Du? Noch lange nicht! Mit dreißig Jahren kriegt sie immer noch einen Mann — und einen anderen, als die Triddelfitze, welch« in der Stadt um die Floranze alleweil hcrumhüpfen! Jedenfalls wird auS dem Bazar nicht«. Punctum. Ich brauche die Pferde zur Weinlese. Und wenn Ihr 'wa» für die Armen thun wollt, dann macht's wie da» Mariandl. Die maust mir jrden Sonnabend fünf Mark und bringt sie zum Pastor unten im Dorf«. Da hat der liebe Herrgott seine Freude d'ran." „Natürlich — wa» Deine älteste Tochter thut, da» " Die Baronin unterbrach sich. Marianne von Raßnow war eingetreten und brachte ihrem Vater die Morgenpost. Eine schlanke Figur von wundervollem Ebenmaß. Die braunen Augen, welch« sonst müde und resignirt blickten, hatten heute einen leb hafteren Auldruck und auf den -erben, verschlossenen Zügen lag ein rosiger Hauch. Frau von Ratznow sah ihre Stiftochter über rascht an. Sir mußt« sich gestehen, daß da» Mädchen ordentlich hübsch war in diesem Moment. Aber gereizt, wie sie war, er widerte sie den Gruß der Stieftochter nur mit einem kurzen Kopf nicken, und sie ärgerte fick fast, al» Florance der Schwester ent- gegensprang und sich hilfeheischend an sie hing. Das Mariandl — ein Diminutiv, welches zu dieser könia, lichen Gestalt recht wenig paßte — legte freundlich einen Ackn um die Kleine; aber ehe sie deren Klagen anhörte, sagte sie mit etwas gesuchter Beiläufigkeit: „Ich glaube, eS ist auch ein Brief da, Vater von Herrn von Stoddart, wenn ich nicht irre —" „WaS Teufel — von Bob?! Aus China?" rief der alt« Herr lebhaft, indem er die Zeitung, nach der er zuerst gegriffen, bei Seite warf und unter den Briefen suchte. „Er liegt gleich obenauf", orientirte Marianne erröthend; dann wandte sie sich der Schwester zu und versprach ihr mit fast mütterlicher Zärtlichkeit, sich für die Fahrt nach der Stadt verwenden zu wollen. Dabei ließ sie kein Auge von ihrem Vater, in dessen bärbeißigen Zügen es jovial aufleuchtete. „Kinder!" rief der Baron. „Der Junge ist ja schon in Deutschland! Nee — so was! Und gleich ist er hier. Ist eS die Menschenmöglichkeit! Und immer noch derselbe Racker! Hört mal blo», wa» der infame Bengel schreibt; also wo war'» doch — ja hier , bin glücklich wi.'der da, lieber Knurr ¬ onkel, und da mir die Arrzte rin« LItronencur verordnet haben, so dachte ich mir, der Wein auf Schloß Raßnow thut'» auch! Also erwartet mich gleichzeitig mit diesem Briefe oder auch noch rin bischen früher; «» kommt ganz darauf an, ob Euer lahmer Postschwed« fixer ist oder ich mit meinem Zipperlein ' „DaS ist der Bob wir er leist und lebt;' rief »er alt« Herr, indem er den Zwicker von der Nase nrhm und sich vergnügt auf die Schenkel kmtschte; dann stand er lebhaft auf. „Mariandl, sag' rem Heinrich, daß er sofort anlpannk und nach der Dahn siiyrt. Der Junge ist im Stande und macht dir zwei Stunden Weg» trotz seiner maroden Knochen zu Fuß!" Al» Mariann« da» Zimmer verlasse», kämet« di« Baronin die Bemerkung nicht unterdrücken: „ES ist mer-würdig, Leonhard, daß Du im« doch Kuhwoerk zur Verfügung hast —" Aber da kam sie schön an. Fast wüthend unterbrach der Alte sein« Zimmerpromenade und rief bissig: „Ersten» mal hast Du kern Zipperiem und di« Florauz« auch nicht! Zweckens kommst Du nicht auS China und hast Dich nicht mit den Boxern herumgehauen, sondern bist zu Haufe und chikanirst Deinen Mann, uad dritten» —" „Und dritten» ist hier wieder Krach!" eraiinzte «in« sonore Stimme vom Fenster her. Ehe di« in d«r Stube sich noch von ihrer Ueberraschung erholt hatten, taucht« et» fidele», bloick» bärtige» Gesicht an dem von Weinlaub dicht umrankte» offenen Fenster auf. Noch eia Griff in da» stark» Spalier — und Lapitänleutnant Robert von Stoddart saß auf de» Fenster brett«. „Junge!" rief der Baron und eilt« mit offen« Armen auf seinen Neffen zu. „Ich mache Kotau, meine Henschaften", erwidert« Bob do« Stoddart. indem er in» Zimmer sprang, die Uniformmütz« ab nahm und sich tief verbeugt«. Dann schloß er lachend den Onlrl in die Arme und küßte der Lantr die Hand. Rur vor Flora«« stutzt« er einen Augenblick, die ihn mit uwgwrtrtor Backstfch- neugier betrachtete. „Sag mal, Knurronkel, da» ist doch nicht — .Da» ist da» Wurm, mit dem Du Fangball yesptekt hast, al» e» zwei Jahr* alt war!" lachte der akt» Herr. „Da hast Du Dich aber hübsch rau »gemacht, Cousin chen!" bemerkte der vffieier bewundernd und drückte der Kleinen derart herzlich di« Hanw, daß Fwrance von Raßnow unwillkürlich eine Schulter hochzoa und die Zähnchen in di« Unterlippe grub. Rach einer kurzen Unterhaltung, tn der di« Baoontn sich
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