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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011107023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901110702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901110702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-11
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- Monat1901-11
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Amtsblatt des Äöniglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es NatHes und Nokizei-Anttes -er Stadt Leipzig. Anzeigen «Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lfsertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbeförderung ./S 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Ännahmeschlnb für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leidig. Nr. 56S. Donnerstag den 7. November 1901. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Nochmals die Niederlage des Benson sche» Corps. Man schreibt uns aus London unter dem 5. November: Es ist kaum acht Tage her, daß der Generalgouverneur Lord Mjlner in der Natalcolonie jene denkwürdige Rede hielt, welche in der banalen Phrase gipfelte: „Allgemein gesprochen, ist dieser Krieg vielleicht niemals formell als ganz beendigt zu be trachten, aber er brennt sich allmählich in sich selber aus." Diesen schönen Worten braucht man nur die auch officiell be stätigten Ereignisse der letzten Wochen gegenüberzuhalten, um sie in ihrer ganzen Hohlheit zu kennzeichnen: Nicht weniger als sechs große, blutige Gefechte, in denen die Boeren jedesmal die. Angreifer waren, fanden statt, und die Engländer verloren in diesen Schlachten weit über tausend Mann an Todten und Ver- wundeten, 7 Geschütze und eine bis heute noch unbekannte Anzahl von Gefangenen. Die neueste britische Niederlage, durch welche die Colonne des Obersten Benson in der Nähe von Bethel be troffen wurde, kam, wie bereits gemeldet, als eine sehr un angenehme Ueberraschung gerade an dem Tage, an welchem Englands Hauptstadt sich zu Ehren des von der Weltreise heim- kehrenden Thronfolgerpaares in äußerst festlicher Stimmung be fand und durchaus nicht auf einen dieser so berüchtigten „Zu fälle" in Südafrika vorbereitet war. Heute stellen sich die Verluste der Colonne Benson schon wieder beträchtlich schwerer heraus, als Lord Kitchener sie zuerst gemeldet hatte. Im Ganzen wurden 13 Officiere und 72 Mann getödtet, 17 Officiere und 182 Mann verwundet und, so weit sich bis jetzt feststellen ließ, über 50 Mann gefangen genommen, während die beiden in Frage stehenden Geschütze nebst den zugehörigen Munitionswagen, sowie ein stattlicher Theil des eng lischen Transportes von den Botha'schen Boeren als gute Beute entführt wurden. Wenn Reuter'und andere englische Agenten behaupten, daß der Verlust der Boeren sich auf Uber 400 Mann belaufen haben solle, so ist dies natürlich einfach aus der Luft gegriffen und entspricht nur der üblichen Gewohnheit, die Ab gänge der britischen Truppen durch solche fingirte Verlustziffern der Boeren abzuschwächen und zu verdunkeln. Im Uebrigen repräsentirt die Schlacht von Bethel nicht etwa nur ein vereinzeltes oder zufälliges Kriegsereigniß, sondern ist entschieden nichts Anderes, als ein Theil des großen Kricgsplanes der Boerenführer, wie es auch die fünf anderen obenerwähnten Gefechte^ im Transvaal und in der Capcolonie bewiesen haben. Diese Schlachten werden geschlagen von Boerencommandos, die gut geführt, gut beritten und gut bewaffnet sind und nach allen Regeln der Kriegskunst gegen ihre Feinde operiren. Immer sind die Boeren die Angreifer, und die Engländer bleiben in der Defen sive, indem sie überdies gewöhnlich überrascht und sofort mit tödt- lichem Salvenfeuer begrüßt werden. Der Plan des General- commandanten Botha und seiner Collegen geht entschieden dahin, die sich immer in der Uebermacht befindlichen, aber unendlich schwerfälligen Engländer unaufhörlich bei allen sich bietenden Gelegenheiten zu attackiren, ihnen den größtmöglichsten Schaden zuzufügen und dann mit so viel Beute, als möglich, wieder zu verschwinden. Die „Banditen" des Herrn Chamberlain und die „bewaffneten Strolche" des Herrn Milner beweisen in jeder Woche den Engländern aufs Neue, daß sie Meister sind in jener natürlichen Kriegskunst, die fast sämmtlichen englischen Truppen führern ein unbekanntes Gebiet zu fein scheint. Derselbe Louis Botha, der noch vor drei Tagen als „eiliger Flüchtling" und „ohne Armee, ohne Lebensmittel und Munition, und sogar ohne Hut und Revolver" in den englischen Lügenteleqrammen ge schildert wurde, ist nun nach einem wohldurchdachten Plane wieder nordwärts marschirt und hat unterwegs eine englische Colonne beinahe vollständig aufgerieben, und alles dieses ohne Heer, ohne Hut und Revolver?? Feiiilletoir. Rittergut Tresstn. Roman von Robert Misch. Nachdruck vttkcle«. „Tempora mutautur." „Na ja — Lateinisch und Havanas rauchen, das können die jungen Herren heutzutage." „Hoffentlich kann ich noch mehr, Herr Oekonomierath. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen?" „Nein, danke! Werden müde sein. — Komm, Fritz!" Draußen war er, und der junge Mensch folgte ihm gehor sam, seinem neuen Freunde noch einen bedauernden Blick zu werfend. Na, nun helfe der Himmel Wetter! So weit scheint ja Alles gut zu gehen, dachte Platen, während er sich, den Rauch behag lich in die Luft blasend, auf dem harten Lederdivan ausstreckte. Das heißt, die Hauptsache sollte ja erst kommen, und von der wußte er noch nichts. Wie würde Lisbeth diesen kühnen Schritt aufnehmen? Machte sie sich überhaupt etwas aus ihm? In Berlin verkehrte sie gerne mit ihm. Kein Wunder, da sie auf Tressin ziemlich abgeschnitten von aller Welt gelebt hatte. Aber ihr Verkehr hatte nie die Grenzen freundschaflicher Hochachtung überschritten, und so war sie ihm noch heute das verschleierte Bild von SaiS. AIS er in der Milchkammer so plötzlich vor ihr hintrat, wurde sie roth und verlegen. Aber das war durch dir Ueberraschung erklärlich. Und bei Tisch hatte sie ihn immer so erstaunt von der Seite angeblickt, erstaunt und verwirrt, aber kühl und ge lassen. Es waren Zeichen, die er nicht zu deuten verstand. Ihm selbst war es wunderlich ergangen. Die ersten Tage nach ihrer Abreise dachte er wenig an sie — er zwang sich, nicht an sie zu denken. Sie war ihm, sie sollte ihm nur das „nette Mädel" sein, mit dem man natürlich und zwanglos hatte plaudern und lachen können. Und er stürzte sich in einen Ocean von Geselligkeit; er suchte, da auch gerade die hohe Saison der Diners und Bälle begann, alte Bekanntschaften auf, machte neue. Er kam einfach nicht mehr aus dem Frack heraus und fing mit einem Haufen allerliebster junger Damen zu flirten und zu kokettiren an. Die Vielzahl dieser flüchtigen Beziehungen stempelte sie freilich blos zu einem amüsanten „Sport". Er hatte nicht im Traum die Absicht, sich schon jetzt fest zu binden oder gar zu heirathen. Erst wollte er da- Leben noch Lord Milner muß seinerseits allmählich einsehen, daß bei dem angeblichen allmählichen „Ausbrenncn" des Krieges die Eng länder fortwährend die schlimmsten Brandwunden davontragen, und sich trotz aller bitteren Erfahrungen Vie Finger immer wieder aufs Neue ganz fürchterlich verbrennen. Wenn auch die Niederlage des Benson'schen Corps für die Engländer kaum irgendwie einen entscheidenden Nachtheil be deutet, so illustrirt sie doch andererseits die Unfähigkeit der bri tischen Colonnen, selbst eine energische Offensive in Scene zu setzen und den Boeren irgend welche entscheidenden Nackenschläge beizu bringen. Ferner stellt sich immer mehr heraus, daß die britischen Feldtruppen größtentheils kaum noch im Stande sind, die Stra pazen des Krieges noch länger zu ertragen, so daß sie gewöhnlich bei einem Angriffe der Boeren nicht einmal mehr energischen Widerstand zu leisten vermögen, und sich mit Vorliebe einer kurzen Gefangenschaft durch die Boeren aussetzen. * London, 6. November. Der Staatssekretär des Kriegs amts Brodrick erklärte in einer Zuschrift an einen Corespon- denten, die Sterblichkeit in den C o n c e n t r a t i o ns- lagern sei in der Hauptsache auf Umstände zurückzuführen, wie der Krieg sie mit sich bringe, s?) Viele der in den Lagern untergebrachten Personen wären schon vor ihrem Eintreffen in den Lagern schleckt gekleidet und-mangelhaft ernährt gewesen und seien deshalb nicht im Stande, Krankheiten zu überwinden. Alle- Mögliche werde gethau, um die Zustände in den Lagern zu bessern, es sei aber unmöglich, Mängel zu verhindern, wenn einige wenige Leute kein; Mittel sparen, das Land unbewohnbar zu machen. (?) Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. November. Der Jnsterburger Ofsicicrztveikampf erinnert seinem Ursprünge nack traurig Las nock in frischester Erinncruug stehende Mörckinger Vorkommnis; und ist wie dieses n o ck tiefer zu beklagen, als die Duelle, die aus einer Verletzung der Familicnebre hervor gegangen sind. Sinnlose Trunkenheit als Ursache der Vernichtung eines Menschenlebens, der Existenz eines Menschen aus einem gesellschaftlichen privilegirten Kreise, hier wie dort; dort aber noch empörender infolge des Umstandes, daß der Urheber veS Zweikampfes dermaßen unter der Wirkung seiner Völlcrei stand, daß er sich anderen TageS des ver- bängnißvollen Vorganges nicht mehr zu erinnern vermochte. Die Absicht ter Ehrenkränkung wird damit vollkommen ausgeschlossen. Dies braucht allerdings nickt dem An greifer zu Gute gerechnet zu werden, wohl aber dem An gegriffenen, und dies ist nicht geschehen. Auch wer der Sitte des Duells im Heere noch eine bedingte Berechtigung zuerkennl, wird nicht verstehen, warum der Oberleutnant Hildebrand vom Ebrenrath ohne Weiteres gezwungen werden mußte, dem Leutnant Blaekowitz mit der Pistole in der Hand gegenüber zu treten. Wenn die militärischen Ehrengerichte nicht berechtigt sind, in so gelagerten Fällen vor Fällung eines Spruches die Entlassung des Schuldigen mit schlichtem Abschied unter telegraphischer Darlegung des Sack- verbaltS mindestens anheim zu stellen, dann sind ihre Be fugnisse zweckwidrig eng begrenzt, und wenn sie dazu und sogar zu noch mehr berechtigt sind, dann wird sich der Jnster- burger Ebrenrath sagen lassen müssen, daß er das ganze deutsche Reich in schmerzliche Verwunderung gesetzt hat. Es recht genießen — jetzt, wo er im schönsten Alter stand. Dann wollte er sich vorher ein Gut kaufen, sein Leben etabliren und zuletzt langsam, vernünftig und bedächtig unter den Töchtern des Landes eine wählen, die alle inneren und alle äußeren Vor züge mit einander vereinigte. Wie alle Männer, suchte auch er ein solch unmögliches Ideal an Schönheit, Geist, Charakter, Güte, Sanftmuth, Unterwürfigkeit und Retchthum. Aber sonderbar, dies Leben des Amüsementes und des Flirts machte ihm plötzlich keinen Spaß mehr, trotzdem man ihm wahr haftig entgegenkam. Doch gerade das mißfiel ihm, dies Ent gegenkommen. Er hätte nur zu werben brauchen, eine jede von seinen „Freundinnen", mit denen er tanzte und Schlittschuh lief, hätte mit Freuden Ja gesagt. Sie gaben es ihm so deui- lich zu verstehen. Wie anders dies kleine Mädchen vom Lande, das von Mancher vielleicht an Schönheit und Geist überragt wurde! Aber wie stolz war sie gewesen! Hatte er eine Neigung in ihr erweckt, verrathen hatte sie es ihm nie. Sie prahlte freilich nicht mit ihrem Geist, aber sie war fein und klug und dachte vornehm. Und wie natürlich sie war, und wie reizend sie plaudern konnte. Und immer glänzender, immer strahlender tauchte plötzlich Lisbeih's Bild vor ihm auf: die große, schlanke Gestalt, das hübsche, weiche Gesichtchen mit der frischen Hautfarbe der Land bewohnerin, die keines Puders bedurfte, umrahmt von der dicken, goldenen Haarkrone. Er sah den Mund lächeln (sie lachte nie laut), während ihre Augen ernst blickten; er hörte die angenehme, melodische Stimme. Dabei fiel ihm sein Shakespeare ein, der irgendwo davon spricht, daß die größte Schönheit des Weibes eine sanfte Stimme sei. Und noch vieles Andere fiel ihm ein. Er rief sich die Situationen zurück, in denen er mit ihr zusammengetroffen, die Gespräche, die er mit ihr geführt, vom ersten Abend bei BLH- manns bis zum Abschied auf dem Bahnhof. Erst rumorte sie ihm im Kopf herum, dann im Herzen, und schließlich sagte er sich lachend und seufzend: „Du bist wahr haftig verliebt, mein Junge — welch' ein Unsinn!" Einmal hatte er ihr auch geschrieben, einen lustigen Brief, eine Fortsetzung ihrer heiteren Gespräche, Mittheilungen über allerlei Vorgänge bei ihren gemeinfamen Bekannten. Aber er hütete sich wohl, einen wärmeren Herzenston einfließen zu lassen. Es war auch eine Antwort gekommen, gemessen, kurz und kühl. Aber er hatte das Papier doch wie toll abgekllßt. Am Tage darauf las er zufällig in einer landwirthschaft- lichen Zeitung die Annonce des Oekonomierathes, der für Tressin einen Inspektor suchte. Plötzlich war ihm die tolle Idee ge ist von einem Todten die Rede, aber es kann nickt ver schwiegen werken: ein Mann, der sich dergestalt betrinkt, daß er, selbst in Uniform, Kameraden in Uniform, ja selbst im gewissen Sinne Vorgesetzte, tbätlich zu insultiren vermag, der gebört nicht in des Königs Ossiciersrock. Wir im lieben Deutschland sind tu puncto Lnccki Sünder fast all zumal und leider vielfach von früheren Jünglingsjahren ber. Aber eben deshalb bat Jeder, der das Alter erreich! hat, in kein ter Leutnant Blaskowitz das Opfer seiner Leiven- sckast geworden ist, so viel Kennlniß seiner physischen und Geinütbseigensckasleii erlangt, daß er wissen muß und weiß, wann Zeit und Maß erreicht sind, die zur Vermeidung der Sinnlosigkeit das Aufhören gebieten. Wer diesem Rufe nicht zu folgen vermag, der sollte schon nickt mehr für voll gellen, ehe er sich in dem selbst bereiteten Zustande wider die Ehre Anderer und die DiS- ciplin vergeht, geschweige denn nachher. Eine deutsche Hochschule hat vor einiger Zeit einem Studenten, der in sinnloser Betrunkenheit das Denkmal eines Dichters besudelt hatte, die Slndentenlaufbabn ein- für allemal mit der Be gründung verschlossen, ein Mensch, der sich freiwillig in eine Verfassung bringe, i» der er Hohes zu verunehren im Stanke sei, eigne sich nicht für euren Beruf, der ideale Anforderungen stelle. Nun, die Achtung vor sich selbst, vor der Ehre der Kameraden, gelten in der Armee auch für hohe Güter, und die Nutzanwendung ergrebt sich von selbst. Zudem muß ras Betragen des Jnsterburger Officiere in dem Hotel, wo er sich vor Len unzlückbringenden Auftritten in des Wortes schrecklichster Bcreulnng „den Nest gab", ein solches gewesen sein, wie es dem Ansehen des Officiercorps nicht förderlich sein konnte. Und erst auf der Straße! Es hieße doch wirklich den Durgeu keine Gewalt antbun, wenn man als unverbrüchliche Regel aufstcllte: ein Osficier, der seinen Stand compro- millirt und gleichzeitig, in realer oder idealer Concurrenz, bestimmte Staudesgenossen beleidigt, muß erst auf daS erste Factum angesehen werden, bevor es ihm gestattet wird, sich durch Gewährung der Genugtbuung an die gekränkten Einzelnen im Staude zu erhalten. Und in Insterburg hat es sich nicht einmal um eine Erlaubniß für Len Excedirenden gebandelt, sondern es wurde ein Zwang ausgeübt auf ein Opfer des Excesses, sogar auf zwei, wie es heißt. Ein merkwürdiger Zufall: eben haben im Reiche zwei Versammlungen stattgefunden, von denen die eine vielleicht nickt ohne gewisse Hintergedanken das Duell unter allen Umständen und sür jeden Fall verwarf und die andere unter dem Eindruck deutscher Trink ¬ unsitten über den mäßigen, erfreuenden Genuß geistiger Ge tränke vielleicht etwas zu bart geurtheill hat. Und nun Lieser Fall in Ostpreußen, sür den, mag man nun eine dieser Einwenkungen oder beide zu machen haben, sowohl die Leipziger Antiduellversammlung als die der Auti- alkobolisten das Rechte getroffen hat. Wir rufen nicht so leicht nach dem Reichstag, aber dies Vorkommniß ichreit förmlich nach einer Erörterung unter dem Gesichtspunkte der in der deutschen Volksvertretung von den ruhigsten Beur- theilern des Zweikampfes bekundeten Auffassung und unter rem GesickiSpnncte ber ebendaselbst vertretenen Anschauung, der das Jnsterburger EhrengerichlSerkcnntniß nicht entspricht. Professor Spahn hat, wie schon gemeldet, an der Straß burger Universität seine Antrittsvorlesung gehalten. Die Wichtigkeit des Falles hat jedenfalls dazu beigetragen, daß diese Vorlesung von einer sehr großen Schar von Zuhörern besucht war, denn unter den Anwesenden befanden sich nicht nur Stu- kommen, sich zu melden. Er hatte erst selbst darüber gelacht. Aber diese Idee wirkte wie eine Zwangsvorstellung, der man nachgeben muß. Und warum auch nicht? Er sehnte sich fort aus diesem müßigen Leben, sehnte sich noch Arbeit und nach ihrer Nähe. Beides fand er in Tressin. Liebte er sie wirklich und sie ihn wieder, so würden sie sich hier finden. Aber es erschien ihm doch jetzt, während er auf dem harten Sopha seinen Gedanken Audienz gab, wie ein toller Jugend streich, eine lächerliche Thorheit. Jetzt, wo er sie wieder gesehen hatte, kam es wie eine Er nüchterung über ihn nach all den hochgespannten Träumen. Vielleicht war das Alles nur Einbildung, was er zu fühlen ge glaubt — Phantasiebilder, die hier inmitten der realen Welt eines Gutshofes, inmitten der Viehställe, Milchkammern und Scheunen in ein Nichts zerflattern würden. Jedenfalls wollte er sie erst gründlich in ihrer Häuslichkeit kennen lernen, sie be obachten und studiren. Nachdem er pflichtschuldigst die Brennerei bewundert hatte, von der ihm der Alte nicht die geringste Kleinigkeit schenkte, machte er, als es beinahe zu dämmern anfing, einen kleinen Spaziergang um das Dorf herum. Hier traf er sie im Gespräch mit einem alten Weiblein, dem sie wohl einen sonntäglichen Samariterbesuch abgestattet. Er trat grüßend näher, und das alte Weiblcin humpelte davon. Sichtlich verlegen ging sie neben ihm, die schmale Landstraße entlang, die nach Klützow führte. „Sie haben sich gewiß gewundert, Fräulein Lisbeth? — Pardon, gnädiges Fräulein! Denn Sie sind ja jetzt die Tochter meines Prodherrn." Der Scherz klang verlegen. Lisbeth verzog keine Miene und schritt schweigend neben ihm. „Vor Allem möchte ich Sie bitten, Ihrem Vater und auch sonst Jedermann zu verschweigen, daß wir uns kennen. Es könnte zu Mißdeutungen . . . und überhaupt . . ." Sie wurde roth; aber sie erwiderte nichts, that nicht einmal die selbstverständliche Frage, die er erwartet hatte: Weshalb sind Sie hierher gekommen? Doch gab er, als sie noch immer schwieg, ungefragt die Ant wort darauf: „Gott, es wurde so langweilig in Berlin . . . immer die selben Menschen! — Und wir Landwirthe sehnen uns hinaus aufs Land, wenn der erste Hauch des Frühjahrs Uber das Brach feld weht. . . . Schön gesagt, nicht? Aber doch wahr! — Wie sagten Sie? — Ja . . . Und ein Gut. wovon ich Ihnen mal was erzählt, möchte ich mir doch noch nicht kaufen. . . . dirende, sondern auch „ältere Semester", die den jungen katho lischen Geschichtslehrer kennen zu lernen begierig waren. Viel leicht sind in der Zuhörerschaft auch die Mitglieder des Straß burger Priesterseminars gewesen, denn nach der neuesten Lesart der „Germania" hat der Bischof Fritzen seine Bereitwillig keit dazu erneuert, daß die Priesteramtscandidaten die Vor lesungen Spahn's besuchen dürfen. Das ultramontane Blatt giebt jetzt entgegen seinen früheren Mittheilungen zu, daß der Bischof 'vorher seine Erlaubniß zurückgezogen hatte, nachdem die Bekanntschaft Spahn's mit dem Exjesuiten Grafen Hoens- broech in die Oeffentlichkeit gedrungen war; aber der Bischof ist dann „von hoher kirchlicher Seite" über die Rechtgläubigkeit des neuen ordentlichen Professors beruhigt worden, und des halb ließ er seine Bedenken gegen den Besuch der Vorlesungen Spahn's fallen. Es wäre interessant, zu erfahren, wer diese hohe kirchliche Seite gewesen ist, die sich für den jungen Ge schichtslehrer beim Bischof Fritzen verwendet hat; früher hieß es, daß der Abgeordnete Spahn für seinen Sohn eingetreten und die Versicherung abgegeben habe, daß dieser auf dem rechten Wege bleiben werde. Inzwischen scheint man auch in der Um gebung des Cardinals Rampolla eingesehen zu haben, daß man mit dem Vorgehen der vom Vatican beeinflußten „Voce della Verita" die deutschen Katholiken zu hart vor den Kopf gestoßen hat. Es ist unzweifelhaft — die Thatsache wird auch von der „Germania" bestätigt —, daß vom Cardinalstaats- sekretär die Weisung ergangen ist, die Fehde in der Presse gegen Spahn einzustellen. Die „Germania" bestätigt auch, daß der Verfasser der beiden Artikel der „Voce" ein Deutscher sei. Der Hintergrund dieser und anderer Anspielungen tritt etwas mehr aus dem Nebel hervor, wenn es wahr ist, was man sich über die eigentlichen Träger der Hetze erzählt. Der Director des öster reichischen Institutes in Rom, der frühere Innsbrucker Professor P a st o r, sei, so heißt es, vor Kurzem aus der Redaction der „Historischen Jahrbücher" der Görres-Gesellschaft ausgeschieden, weil die Jahrbücher den Frevelmuth so weit getrieben hätten, ein Buch des Jesuiten Michael ungünstig zu besprechen; Pastor und sein Freund, der Jesuit Ehr le, gingen nun in Rom rachcschnaubend umher und suchten den Fall Spahn für ihre Zwecke gegen die Görres-Gesellschaft und gegen die katholische Facultät auszunützen. Es wird nun von mehreren Seiten be hauptet, daß die Reichsregierung wegen der Stellung nahme der vativanischen Presse beim Cardinal Beschwerde er hoben habe. Ob sich dies thatsäcklick so v-khält, ist nicht näher festzustellen, unmöglich wäre es freilich nicht. Die Regierung hätte sich nicht einmal dabei des preußischen Gesandten beim Vatican zu bedienen brauchen; bekanntlich hat der Weihbischof Zorn v. Bulach am letzten Sonntag die kirchliche Weihe in Rom erhalten, und da ist es nicht ausgeschlossen, daß der Weih bischof in seinen Unterredungen mit Rampolla auf den Scandal der Preise hingewiesen und um Abstellung desselben gebeten hat. Rampolla hat sich diesem Wunsche willfährig gezeigt und die Folge ist, daß die von ihm abhängige Presse über die Angelegen heit jetzt schweigt. Wie lange dieses Verhältmß dauern wird, hleibt obzuwarten. Die Meldung des „Berl. Loc.-Anz.", daß bereits fran zösisch' Truupen auf Mytilcne gelandet und die drei Häfen der Insel besetzt seien, war verfrüht. Wir erhalten folgenden officiösen Bericht: * Parts, 6. November. Der Marineminister de Lanessan hatte heute Nachmittag eine lange Unterredung mit dem Botschafter Constans. Der Marineminister empfing heute Abend um 6 Uhr ein Telegramm vom Admiral Caillard, datirt von heute früh. Der Admiral theilt hierin mit, daß das Geschwader sich noch immer vor Mytilene befinde und daß noch Sich schon so festsetzen; das hat doch noch Zeit . . . habe auch noch nichts Passendes gefunden — ja. . ." Da sie noch immer schwieg, sprach er weiter, krampfhaft ver suchend, recht unbefangen zu thun. „Ja — und da ich Pommern noch nicht kenne, und wegen der Brennerei und der Ziegelei... na, und wegen unserer Bekanntschaft ... es ist doch immer nett, wenn man gleich Anschluß hat — ja . . . ." Er konnte nicht sehen, wie sie diese Eröffnungen aufnahm; denn sie ging mit niedergeschlagenen Augen neben ihm weiter und verzog keine Miene. In diesem Augenblick kam Fritz mit Schnipp und Schnapp, von denen der eine ein schottischer Schäfer hund, der andere ein Teckel war, lebhaft auf sie zugestürzt. „Na, da seid Ihr ja! Ich suche Euch überall Nein, was Sie für reizende Bücher haben, Herr Platen! . . . Sie entschuldigen doch, ich war auf Ihrem Zimmer, wollte Sie ab holen. — Nicht wahr, di^pumpen Sie mir? — Herrgott, daß man wieder einen Menschen hat, mit dem man ein vernünftiges Wort sprechen kann! . . . Nicht wahr, Liese, das ist famos? — Du siehst ja so roth aus? . . . ." Der Herr Jnspector war nun schon einige Wochen auf Tressin. Man gewöhnte sich allmählich an ihn, und er an Tressin. Daß er ein äußerst tüchtiger Landwirth war, theoretisch und praktisch gleich beschlagen, hatte der Oekonomierath als erfahrener Fach mann bald heraus. Natürlich standen sich Alter und Ju«nd, di« neue und die vergangene Zeit in ihnen gegenüber. Maschinen, die Platen für unbedingt nöthig erklärte, hielt der Alte für überflüssig und schädlich. Unausgesetzt stritten sie sich darüber oder über die besten künstlichen Düngemittel, über Fruchtfolge, Behandlung der Leute, über die Höhe der Getreidezöllc und alles Mögliche. Dem Oekonomierath schienen solch« Dispute Vergnügen zu machen, wenn er auch praktisch Alles weitergehen ließ, wie es bisher ge gangen war. Er schnitt dem jungen Manne nicht, wie er es den Anderen gethan, kurz das Wort ab, mit einem groben: „Das verstehen Sie nicht!" Wollte er einmal grob werden, so wußte ihn Platen so höflich und fein abzuführen, daß er geschwind wieder die zwischen ge bildeten Menschen übliche Redeweise anwendete. Aber er brummte, zanktk, schimpfte stets über di« leichtsinnige Neue- rungswuth, über die Oberflächlichkeit, die Verqnügungs- und Verschwendungssucht und sonstigen Laster der jungen Leiste von heute, oen Jnspector nicht ausgenommen. Wirklich hart aneinander qerathen waren si« bisher nur ein einzig«s Mal. Aber da hatte schließlich der Alt« klein boigegeb«.
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