01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.12.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011220017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901122001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901122001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Le-artt« rurt LrvedittoL S»tz«»ts^s« FUiileu: Tlfted SaHn »arm. 0. KsenraH Sorü». lluwersitLtSstraße S (PaulüuuuX Lvui» Lisch«, Matbarwenstr. 14. pari. »d KtwigSvlatz 7^ Bezugs.Prei- fie her HmlptrxpedMou oder de« im Etadk» beetrk uod de» Va«1r» ernchteto» AuS- oabeftelle» adgehokt: vt^telDdrktch 4.Ü0^ D, »tichl«»» «. t Bk« «do» »tri Morgen-Ansgave. UpMrr TaMM Anzeiger. Ämtsölatt -es Hönigtichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen.Preis die 6 gespaltene Petitzrile 25 Reklamen anker dem Redactionsstrich gespalten) 7b vor den Famtliennack- rtchtea («gespalten) LO L,. Tabellarischer und Kiffernsatz entsprechend höher. — Gebühre» für Nachweisungen und Offertenannahme Sb H (excl. Porto). Ertra-ivellage» (gesalzt), nur mit der Morgen-LuSgab«, ohne Postbefürderuna -4l SO.—, mit Postbefürdernug ^g 70.—. ÄasaiMeschlsß siir Anzeigen: Ibrnd-LnZgab«: vormittag« io Uhr. Morgen-AaSgaber Nachmittag« 4 Uhr. Bck de» Filiale» n»d Annahmestellen je eine Halda Stund« früher. Anzeige» find stet« a» die Expedition za richte». Die speditiv» ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet vo» früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Po kg in Leipzig. SS. Zahlgang. Str. 847. Freitag den 20. December 1901. Nußlan- und -ie Lalkanstaaten-Vereinigung. V. 8. Der Zar hat kürzlich seinem Botschafter bei der Pforte, GehermraH Sinowjew, gelegentlich besten fünfzigjährigen Dienst- jubiliiumS den höchsten russischen Verdienstorden verliehen und in einem Handschreiben die Leistungen dieses Diplomaten in huld vollster Weise gewürdigt. Man kann die Auszeichnung, die Sinowjew erhielt, als Anerkennung seiner Person im Allgemeinen betrachten, aber es ist auch möglich darin den Ausdruck der Genugthuung für den Abschluß einer bedeutsamen politischen Action zu erblicken. In Len lehten Monaten entfaltete die Diplomatie deS Kaisers Nicolaus eine rege Lhätigkeit am Gol denen Horn und auf der ganzen Balkaichatbinsel. Sie arbeitete um so wirksamer, je weniger ihre Leistungen zu Tage traten und je nachdrücklicher in Petersburg die Friedenstendenz hervor gehoben wurde. Und anscheinend sind die Anstrengungen nicht umsonst gewesen; denn hält man sich gewisse Ereignisse vor Augen, so muß eS alsbald anerkannt werden, daß Rußland heute mehr als früher der entscheidende Factor bei den kleinen Balkan staaten und damit wohl auch am Bosporus ist. Schon vor Monaten war es auch gefallen, daß Serbien eine Anlehnung anS Zarenreich suchte, und daß man in Petersburg diesen Bestrebungen freundlich gegenüberstand. Beim Könige Alexander handelte es sich darum, seiner gefährdeten Dynastie ein« Stütze zu suchen, und die glaubte er am sichersten in Peters burg zu finden. Der Zar war fast der einzig« Herrscher, der an der Vermählung des Königs mit Frau Draga Maschin keinen Anstoß genommen, sondern sie sogar in gewissem Sinne be günstigt hatte. In der That bat König Alexander sich in den Empfindungen, die ihm von Rußland entgegengebracht wurden, nicht getäuscht. Der Zar hat ihm sein Wohlwollen erhalten, selbst als die Frage der Nachkommenschaft deS Herrschers die be kannte peinlich« und beschämende Wendung nahm; wahrscheinlich wird er ihn auch in nächster Zeit in Petersburg empfangen. Diese Haltung Rußlands ist nicht wunderbar. Man hat sich an der Newa seit Jahren bemüht, zu Serbien in ein nahes Freundschaftsverhältniß zu treten und zeitweilig war der Peters burger Vertreter die einflußreichste Persönlichkeit am Belgrader Hofe. Jndeß war eS in letzter Zeit ein besonderer Umstand, der das Zarenreich zu ungewönlichen Anstrengungen nach dieser Richtung veranlaßte: die offenbare Annäherung der Regierungen von Griechenland und Rumänien, di« zu Abbazia im vergangenen Frühjahre besiegelt wurde. Die damalige Königsbegegnung wurde anfangs verschieden beurtheilt: «S erwies sich aber bald, daß sie keineswegs als slawenfreundlicheS Symptom gedeutet werden kann, sondern den großhellenischen Plänen Rechnung trug und eine offenkundige Spitze gegen die auf Makedonien gerichteten Pläne Serbiens und Bulgariens besaß. Das entsprach keines wegS den Wünschen Rußlands, das diese Pläne geschickt in seinem Interesse avSgenntzt und dadurch seinen Einfluß in Belgrad und Sofia immer mehr befestigt hatte. Es war also naheliegend, daß die russische Diplomatie eine Action begann, die der Erstellung eines Gegengewichtes gegen den Bund zwischen Griechenland und Rumänien galt. Wie es scheint, ist der Plan, ein zweites Bündniß zwischen den übrigen Balkanstaaten zu schließen, zu Stande gekommen. Zwischen Serbien und Bulgarien, die noch vor Kurzem mit feindlichen Gefühlen sich gegenüber standen, ist auf ein Mal eine warme Freundschaft entstanden. Dieses neue Empfinden geht so weit, daß in nächster Zeit bulgarische Abgeordnete nach Belgrad reisen, wo eine große Völkerverbrüderung vor sich gehen soll. Die Begegnung der beiderseitigen Volksvertreter ist natür lich nur der sichtbare Ausdruck einer früher von der Diplomatie getroffenen Vereinbarung. Auf welcher Grundlage diese fest gesetzt wurde, ist eigentlich nicht ganz leicht zu sagen, denn der Gegensatz zwischen Serbien und Bulgarien ist io groß, daß er kaum zu überbrücken ist. Eine Theilung der Interessen sphären könnte geographisch nur so erfolgen, daß die Bulgaren das östliche Makedonien erhalten, während die Serben den west lichen Theil nehmen. Aber das wäre schon deshalb mit be deutenden Schwierigkeiten verbunden, weil auch in den Serbien benachbarten Bezirken Makedoniens das bulgarische Element überwiegt. Wir erinnern daran, daß nach Balkanstatistikern im Sandschak Ueskiib 138000 Bulgaren und nur 10 000 Serben leben. Die Verständigung zwischen Bulgarien und Serbien trägt deshalb jedenfalls etwas Künstliches an sich und ist wohl nur durch den Einfluß des Zarenreiches zu erklären, das natur gemäß der Protector der Sache ist. Da der Fürst von Monte negro ebenfalls der Vereinigung beigetreten sein soll, so wäre damit der viel besprochene Balkanbund verwirklicht worden. Früher ging man von der Voraussetzung aus, daß die Ver einigung der verschiedenen Balkanstaaten unter Rußlands Füh rung dem letzteren als Mittel einer aggressiven Politik im Süd osten Europas dienen würde. Heute wird das kaum mehr ge glaubt. Rußland denkt im Augenblick nicht daran, die schweben den Streitfragen am Bosporus und dem Mittelländischen Meere durch Waffengewalt zu entscheiden. Die Gründe dieser Friedens taktik liegen sehr nahe und sind schon oft erörtert worden. Wir können deshalb von einer Wiederholung absehen. Was aber Rußland trotzdem will und wovon es niemals abgehen wird, das ist die Erhaltung seines Ansehens und Einflusses am Bosporus, am Mittelländischen Meere und auf dem Balkan. Und darin wird ihm die neue Vereinigung nicht unwesentliche Dienste leisten können. Sie gewinnt in der Gegenwart um so größere Bedeutung, als der Sultan kürzlich seine Hinneigung zu Griechenland und Rumänien unvechüllt zeigte. Bei Ge legenheit einer Audienz, die der Großherr dem griechischen Ge sandten gewährte, betonte er, das gegenwärtig zwischen beiden Staaten bestehende freundschaftliche Verhältniß. Ja, er ging noch weiter, und gab dem Wunsche offen Ausdruck, zu einem Einverständniß mit der hellenischen Regierung zu gelangen, d-,« einen bestimmteren Charakter, als den der bloßen Freü.idjchcrs? trüge. Es fragt sich nun, ob Abdul Hamid, nachdem das Zarenreich mit Serbien, Bulgarien und Montenegro ebenfalls zu einer solchen vom Sultan bezeichneten Verständigung gelangt ist, noch weiter die Verbindung mit Griechenland und Rumänien betreiben wird. Rußland hat durch die Verwirklichung des alten, von ver schiedenen Seiten verfolgten Planes jedenfalls das Uebergewicht am Bosporus erlangt. Derjenige aber, der das Ganze um sichtig leitete, war der Botschafter Sinowjew, der die Aner kennung seines Herrschers deshalb wohl verdiente. Die Wir kung der Action wird sich namentlich in einer Zurllckdrängung des englischen Ansehens in Südeuropa äußern. Die groß hellenischen Pläne werden nicht minder zurückgestellt werden. Eine Störung des Friedens und der Ruhe Europas wird aber deshalb schwerlich eintreten. Der Krieg in Südafrika. Man schreibt uns auS L o n d o n, den 18. December: Verschiedene Gerüchte, die in den letzten Tagen vom Kriegs schauplätze über den Draht nach London gelangten, lassen er kennen, daß im Boerenlager in der Mitte dieses Monats gewisse Entscheidungen gefallen sind, die sich auf die weitere rück haltlose Fortsetzung des Krieges beziehen.^ Es wurde von verschiedenen Seiten gemeldet, daß vor dem 15. December die oberen Führer der Boeren wiederholt mit einander in brief lichen Verkehr standen und siH gegenseitig über die Stimmung in ihren Kommandos, sowie über die in den mit ihren Unter- commandanten gepflogenen Besprechungen gefaßten Entschlüsse unterrichteten, und vor allen Dingen war es Generalcomman- dant Botha, der im direkten Verkehr mit der Transvaal regierung über die weitere Fortsetzung des Freiheitskampfes seine entscheidenden Ansichten auf Grund der in seinem Heere herrschenden Stimmung abgab. Wie es heißt, hatte Botha für den 15. December eine der üblichen allgemeinen Versammlungen in der Nähe von Ermelo onberaumt, um die ganze Lage zu be sprechen und seinen Burghers die Ansichten und die Absichten des Präsidenten Steijn und des Generals De Wet mitzutheilen. Ueber den Verlauf und das Resultat dieser Versammlung ist noch nichts bekannt geworden, aber aus verschiedenen Anzeichen läßt sich ersehen, daß es bei dem alten Entschlüsse, den Kampf bis aufs Messer fortzusehen, geblieben ist, und daß die Boeren- führer gar nicht daran denken, ihren Burghers den Rath zu geben, die Waffen zu strecken und sich unter das englische Joch zu beugen. Hierfür spricht vor allen Dingen, daß Vicepräsident Schalk Burger mit den übrigen Regierungsbeamten unter starker Bedeckung wieder nordwärts gegangen ist, nachdem er mit Louis Botha längere Conferenzen gehabt hatte, und zum Ueberfluß verlautet, daß der Generalcommandant den kühnen Plan gefaßt hat, die Stadt Middelburg an der Delagoa-Eisen- bahn anzugreifen. In der Ausführung dieses Planes begriffen, soll Botha feit dem 15. December auch schon auf dem Vormarsche von Ermelo nach Nooitgedacht und weiter nach Nordwesten sein, und über seine kürzlich gemeldete schwere Verwundung sind keine weiteren Einzelheiten bekannt geworden, noch ist dieselbe bestätigt worden. Auf jeden Fall dürfte der 15. December einen Merkstein in der Geschichte des Boerenkrieges bedeuten, denn an diesem Tage haben die Burghers neuerdings die Wahl zwischen einem schmachvollen Frieden und der Fortsetzung eines ehrenvollen, wenn auch vielleicht aussichtslosen Krieges getroffen und sich für die letztere entschieden. So wird denn der ungleiche Kampf seinen Fortgang nehmen, und die britische Regierung kann ihre Ausrottungspolitik in Südafrika fortsetzen, an Hand welcher sie, wie Lord Rosebery in seiner sensationellen Rede in Chester field sagte, beabsichtigt, „die Boeren zu jagen, sie zu fangen oder sie zu tödten, und wenn die Gesammtzahl der noch in Waffen stehenden Burghers genügend reducirt worden ist, die übrig gebliebenen nur noch als Banditen zu behandeln". Das heißt also, daß an eine formelle Beendigung deS Kricgcs Lbcrhaupt nicht gedacht wird, daß kein Friede gemacht und ge zeichnet und überhaupt keine sonst zwischen zwei kriegführenden Mächten übliche Erledigung der Streitfragen unter Berück fichtigung beiderseitiger Ansichten und Wünsche siattfinden wird. Die Boeren sollen L tout prix in den Staub getreten werden, und was von ihnen nach endgiltigem Siege der Engländer noch übrig bleibt, wird trotz aller Versprechungen niemals wirkliche Gleichheit und Freiheit mit den englischen Eroberern genießen. TodeSurtheil; Rosebery. * Johannesburg, 17. December. (Reuter'« Bureau.) Am 23. November waien die Burgher« Wernrck und Meyer, wie seiner Zeit gemeldet worden ist» wegen des Versuches, in den Flucht» lingSlagern outergebrachle Boeren zum Bruche de« NeutraliiälSeide« zu verleiten, der «ine znm Tode und der andere zu lebens länglicher Strafarbeit vrrurlheilt worden. Gestern und heut« ist nun gegen zwei andere Männer, Namen« Jahn und Kock, wegen Tdeilnahme an dieser Berschwörnug verhandelt worden. Sie wurden nicht de« Verrath« für schuldig bekunden, sondern einer verröthrrischrn Verbindung mit dem Feinde durch die Aushändigung einer Mittheilung an einen zu ihrem Tommando gehörigen Boeren, der heimlich nach Johanne-burg gekommen war; ferner wurden sie de« Bruches des Neutralitätseide« für schuldig befunden. Die Urtheile wegen der verräiherischen Verbindung mit dem Feinde wurden an Lord Kitchener zur Bestätigung übersandt. * Paris, 19. December. (Telegramm.) Der Abgeordnete Destouraelle», der Frankreich auf der Haager Conferenz ver treten hat, richtete im „Matin" eia offene- Schreiben an Rose bery, in dem e« heißt: „Nicht die Feinde, sondern die Freunde England« sind e«, die mit Schmerzen sehen, wie England in einen Kamvk verwickelt ist, dessen Ergebniß nur Verwüstung und Ruin sein kann. Europa wünscht mit ganzer Seele da- Ende des Krieges, der ihm Abscheu rioflößt, herbei, und würde jeden rngliichen Staats mann auf das Höchste preisen, der dieses so achtungsvolle Gefühl mit den Interessen England« versöhnen könnte." Deutsches Neich. L. Leipzig, 19. December. (Gewerkschaften und Socialdemokratie.) Das viel erörterte Thema der Neutralität der Gewerkschaften wird von der „Sächs. Arbeiterztg." in überaus charakteristischer Weise wieder ausgenommen. Das genannte Socialistenblatt befindet sich mit einem Theil seiner grundsätzlichen Ausführungen in Ueberein- stimmung mit dem Organ der angeblich neutralen, in Wirklich keit socialdemokratischen Gewerkschaften, dem „Correspondenz- blatt der Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands". Als dieses im August des vorigen Jahres einige Artikel über die Praxis der Gewerkschaftsbewegung veröffentlichte, schrieb es u. A. wörtlich: „Die wirthschaftliche Schulung und das gereiste Urtheil eines Jeden über das gesammte öffentliche Leben wird FerrrHetsn. Lei erloschenen Kerren. Erne Weihnachtsgeschichte von Emma Merk (München). - aidkniU vrrvolrn. Bei Müller« war eben die weihnachtliche Bescherrung, zu der auch immer einige liebe Verwandte kamen, vorüber. Man hatte die Geschenke bewundert; man hatte sich gegenseitig be dankt und sich umarmt und di« Kinder abgeküßt und war von der sanften Rührung allmählich hungrig geworden, so daß Alle froh waren, aü sie sich endlich zu einem guten Abendessen niederlaffen durften. Besonders die Hausfrau, die eigentlich seit Wochen vor Weihnachts-Einkäufen und Bäckereien und Ueberraschungen kaum eine ruhige Stunde gehabt und die sich nun seit dem Morgen abgezappelt hatte, empfand, als sie sich an den hübsch gedeckten Tisch setzte, ein ganz wunderbares Behagen: „Gott sei Dank, das schöne Fest ist wieder einmal über standen!" An dem Lhristbaum waren alle Kerzen auSgelöscht. In dem Zimmer herrschte nun tiefe Stille, Dämmerung. ES roch so weihnachtlich: WachSrauch, Tannenduft und nach feinen Seifen und süßen Leckereien, nach Blumen und Lebkuchen. Während die Familie tafelte und die Kinder mit erhitzten Wangen in ihren Bettchen lagen war am nächtlichen Himmel der Mond hoher und höher gestiegen und hatte die Wolken zertheilt. Nun fiel in den stillen Raum, in dem der Christbaum und die Tische mit den Geschenken standen, rin Heller langer Lichtstreifen. Di« silbernen Fäden an der Tanne fingen wieder zu glitzern an, und der Engel mit den goldenen Flügeln leuchtet« von der Spitze herab. Und plötzlich' ging'» wie ein leise« Klingen durch dle Zweige, wie heimliche? Flüstern. Die großen, glänzenden Glaskugeln, die an den Aesten hingen, begannen zu sprechen. Sie hatten schon manches ÄeihnachtSfest gefeiert und /manchen Christbaum geschmückt. Al« di« Frau de« Hause«, die sich jetzt mit solchem Genuß ihrer Ruhe freute, noch ein kleine» Mädchen gewesen, hatte ihre Mutter die schönen rotben und blauen und gelben Kugeln, vorsichtig in Watte verpackt, schon von Jahr zu Jahr aufgehoben. „E» ist nicht mehr da» Rechte!" klagten nun diese alten Prunkstücke. „Woher kommt da» nur! Die Menschen haben keine so warme Weihnachttfreude mehr wir früher. Wenn wir zurückdenken! Wir haben .Erinnerungen'. Ihr wißt freilich nicht, wie eS sonst gewesen, Ihr neugebackenen Zuckerkringel und Chocoladen - Herzen, Ihr Silbersternae und Goldblumen von Leute!" „Allerdings", betonten die Voldblumen voll Stolz, „wir waren auch die letzte Neuheit. Da« stand großgedruckt am Schaufenster." „Ja, ja! Immer wa« Neue»!" jammerte «In kleiner wächserner Engel, auch ein älterer Veteran, dessen Farben etwa» »erblicken waren und der d«»halb im Hintergrund« unter gebracht wurde. »I» früheren Jahren da lagen ja kein» so reichen Geschenke auf dem Tisch; aber die Stimmung war ge hobener. Die guten Leute freuten sich noch über jede kleine Gabe; sie waren so glücklich über ihren Baum. Jetzt schauen sie uns ja gar nicht mehr an." „Schließlich ist der aufgeputzte Baum auch wirklich ab gedroschen", klang nun von dem wcißgedeckten Tisch mit den Geschenken ein Sümmchen. Sie kicherte sehr spöttisch aus einem wunderlich gebundenen Buch, das die Hausfrau be kommen hatte und das den Titel trug: „Lieder eines Blasirten". „Ich muß gestehen, für mich hätte das Ding, das da neben mir funkelt, auch mehr Interesse, als aller Euer Goldflitter und Talmizauber." Aus dem mit weißem Atlas gefütterten Saffian-Etui, in dem eine Brillantbrosche lag, kam ein Lachen. „Ich bin ja auch Talmi! Geschliffener Rheinkiesel! Schwindel! Zum Glück hat es Niemand gemerkt. Herr Müller hat sich gesagt: bei diesen schlechten Zeiten, wo man für die sichersten Papiere keine Zinsen und von den schönsten Aktien keine Dividende kriegt, kann ich nicht ein Heidengeld für einen Schmuck auSgeben. Wenn nichts da wäre, fiele es aber auf, und meine boshafte Tante würde gleich eine Bemerkung machen. Und diese thränenreiche Scene von meiner Emilie dann am Abend: „Du liebst mich nicht mehr! Du hast kein Herz mehr für Deine Frau!" Wenn sie's merkt, daß die Steine falsch sind, giebt'« natürlich auch einen Krach — aber bi» dahin haben sich vielleicht die Finanzen wieder gebessert!" „Es geschieht Frau Emilie ganz recht! Sie thut sich auch immer groß vor den Leuten, wie sie das ganze Jahr über spart, um ihrem Gatten ein recht schönes Geschenk zu kaufen. Und was wählt sie dann? Immer etwas, was sie selber gern möHte. Diese» Mal ist der gute Mann mit ihrem Porträt beglückt worden, weil «S längst ihr Ehrgeiz war, auch gemalt zu werden, von einem ganz Modernen! Sie steht auf dem Bilde au» wie eine betrunkene Marketenderin! Da» muß Herr Müller nun in sein Zimmer hängen und täglich anschauen. Da» Schönste an dem Geschenk bin ich — aber mich hat sie noch nicht bezahlt! Ich komme auf die einlaufend«n NeujahrS- rechnungen." Es war der graugrüne Rahmen, der so Loshaft au« der Schule schwatzte. „O, wenn ich reden dürfte!" lispelte eine mit Rosen bestickte Decke, di« Frau Emilie eigenhändig für die Tante ihre» Gaüen gearbeitet hatte. „Landarbeiten könnten Manche» erzählen! Wie oft hat die hübsche Frau mich zornig in die Ecke geworfen und gemurrt: vlagen soll man sich auch noch für die bissige Alte! Schließlich wurde ich dann doch wieder ausgenommen. Ach Gott! hat sie geseufzt. Wa» tbut man nicht für die Erb tante! Sir hat ja so viel Geld! Einmal wird'« doch ein Ende haben l" „Das ist so die rechte Begeisterung, aber mich wundert'» nicht", sagt bedächtig eine ältliche Stimme au» einer Stoffrolle. „Man muß nur gehört haben, wie die knickerige Alte in dem Au»verkauf herumgestöbert bat, um wa» Billige» aufzutreiben. Ich lag im Winkel. Der älteste Ladenhüter, solid, aber häß lich. Mich hat sie erhandelt. Die Miene, mit der sich Frau Emilie für mich bedankt«! Liefe» Rothblau zu ihren rothen erkälte. „Sein Haar würde so dünn! Unter den nackten Füßchen rauscht es leise. Elly bückt sich und hebt ein Stückchen Flitter vom Boden auf. „Das ist dem Englem vom Flügel heruntergefallen", sagt sie, und sie streichen andächtig über das zarte Silberflittchen. Mit klopfenden Herzen wagen sie sich weiter herein, bis an ihr Tischchen, auf dem die Puppenstube steht und das große Wiegenpferd für Bubi. Noch viel, viel schöner und seltsamer sieht das jetzt Alles aus als vorher, da es noch Heller war und die Erwachsenen auf die Kleinen einschwatzten und sie immerfort Küßchen geben mußten. Die große Puppe sitzt im Mondschein so elegant und vornehm in ihrem Sessel, daß Elly sie gar nicht anzurühren wagt. Unwillkürlich greifen die Kinderhände nach zwei schlichten Spielsachen, die ganz versteckt, rin bischen geringschätzig, in die fernste Ecke geschoben waren. Aber gerade auf diesen Beiden liegt das hellste Licht, und es ist, als deutete der Weihnächte engel auf sie herab. Lin bunter, gestrickter „Hansl" für Bubi und ein Wickelkind für Elly. Eine bescheidene, alte Frau, Herrn Müller'» Mutter, die einsam in einem kleinen Städtchen wohnt, hat sie gestrickt und genäht für ihre Enkelchen, mit vielen lieben, guten Gedanken, mit vielen warmen Segenswünschen für die Kleinen, die sie nie gesehen hat und die doch lachend und rosig vor ihren Augen stehen. Fühlen die Kinder die ferne Liebe, als sie nun die Gaben der Großmutter so glückselig ans Herz drücken? „Schöner Hansi", schmeichelt Bubi der wollenen Mißgestalt, „Bubi lieb haben!" Elly beugt sich auf ihr Wickelkind herab, daß ihr dke blonden Locken über die Augen fallen, und singt es mit zartem Sümmchen ein. Dann streckt Bubi das Händchen aus nach den lockenden Chocoladentugeln in einer Bonbonniöre, aber da» Schwesterchen mahnt: „Du, Christkind sieht'»!" Da zuckt er verlegen wieder zu rück und flüstert rasch: „Nein, nein! Nicht» aeniinmt! Bubi brav!" „Dude Nacht, Engel!" ruft er dann noch einmal hinauf zu dem goldigen Flügelpaar. In dem Lichtstrtifen bleiben sie stehen, zögernd, als läge ihnen noch etwa» auf dem Herzen. Slly, die Größere, faltet zuerst die Händchen: „Danke Dir schön, liebes Christkind!" Der Kleine macht e» ihr nach. Auch er packt seine dicken Pfötchen ineinander: „Bubi auch dant schön!" Dann schlüpfen sie leise wieder zurück in ihre Brüchen im Nebenzimmer, aber den „Hansi" und das „Wickelkind" behalten sie im Arm .... Wieder klingt'» und flüstert'» durch die Zweige; aber dies mal freudig und sanft bewegt. „Ach ja, dir Kinder!' raunen die gerührten Glaikugeln einander »u. .Wa» kümmern un» die Großen, die Nüchternen, für die immer Alltag ist? Er sind ja immer wieder die Kleinen da — Bubi und Mädit Immer wieder neue, frische Augen, für di« e» noch Schönheit giebt und Märchenzaubrr und wundert Gott fei Dankt'? Backen! Sie mag mich nickt einmal zu einem Schlafrock! Aber die Tante fragt nun grwrß, so oft sie kommt: Hast Du Dir das Kleid schon machen lassen?" „Ja, ja, diese Tante! Sie ist köstlich mit ihren Geschenken! Wenn sie sich schon einige Markstücke vom Herzen reißt, will sie wenigstens das Vergnügen einer kleinen Bosheit haben. Ihrem Neffen hatte sie rin Hauskäppchen gebracht, damit er sich den Kopf nicht rrk I Und er meinte doch, daß er seine beginnende Glatze so hübsch versteckt habe. Aus einem Cigarrenkistchen, das an der Tischecke steht, kommt eine traurige Selbstkritik. „Oh, wir sind schlecht! Gemeiner Pfälzer Tabak! Nur die Verpackung ist elegant, und eine Leib binde hat man uns angezogen, damit wir mehr gleichsehen. Wenn Herr Müller uns rauchen müßte, er bekäme alle Zustände. Aber wir sind auch nur für den Lehrer seines kleinen Sohnes, der jeden Abend zur Nachhilfestunde kommt. „Der junge Mann darf nicht verwohnt werden. Sonst mag er billige Cigarren nicht mehr", sagt Herr Müller.' Auf einem Nebentischchen liegen Schürzen, Strümpfe, Kleiderstoffe, zwei Blousen, Seifen. Ein Murren kommt von dem Tischchen her. „Es hat etwas Niederschlagendes, wenn man so lange Ge sichter ansehen muß, wie die Köchin und daS Kindermädchen sie bei unserem Anblick geschnitten haben. Den beiden Fräu leins waren die Stoffe zu grob, die Blousen nicht modern ge nug; die Schürzen haben zu wenig Stickerei, die Seifen riechen nicht fein. Doll Groll sind sie hinaus in die Küche und schimpfen jetzt Uber die Herrschaft." „Da seht Ihr'», da hört Ihr'»!" flüsterte e» wieder durch die Tannenzweige, und die Glasglocken klangen traurig an einander. „Alles ist unzufrieden! Ueberall Enttäuschung! Jeder denkt: Wa» hat'» gekostet? Ist'» nicht zu billig? Es fehlt der warme Hauch, die Verklärung, die sonst über dem Weihnachtstisch« lag." „An den Schaufenstern lockt zu viel. Leicht verwöhnt sind die Menschen, unser bescheidener Wachskerzen-Schimmer wirkt nicht mehr!" „Traurig, traurig!" singt der Weihnachtl-Lngel an der Spitze. „Ich wollt', ich wäre im Hinterhaus bei den Armen —* Aber er verstummt plötzlich. Denn die Thür geht auf, und auf nackten Füßchen schlichen ein paar Kinder herein. In ihren Nachthemdchen sind sie leise au» den Betten ge stiegen. Die fünfjährige Elly führt ihr kleine», dicke» Brüder- chen an der Hand. So bang, so schüchtern schauen sie mit den großen, klaren Augen in die feierliche Dämmerung. Der Baum glänzt und glitzert so märchenhaft: so fremd und zauber hell wogt der lange, blasse Lichtstreifen durch den Raum. Die Kinder klammern sich aneinander in furchtsamem Entzücken. vom Himmel herunter — aeradewea» vom Himmel, au» dem heute die Engel mit dem Jesurkindltin hrrabschwrben — kommt der Glanz. Nun glauben sie erst so recht an da» große Wunder. Nun sehen sie'» ja. „Christkindl", flüstert der Klein« und deutet mit fein« berzen ytngerchen aus den goldenen Strahl.
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