Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020426026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902042602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902042602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-26
- Monat1902-04
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs »Preis I» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich.M 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährliche», für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. -- -a-v-— Redaktion und Expedition: Ivhannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Fittale»prditi»«r«: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, 8. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. -s-»— Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. —— Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 33SS. Abend-Ausgabe. WpMcr TaMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Fannliennach» richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an dle Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von T. Polz in Leipzig. Nr. 210. Sonnabend den 26. April 1902. 98. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. April. Die SeemannSordnung, deren dritte Lesung gestern im Reichstag bis etwa zu einem Drittel erledigt wurde, bat dabei eine Reihe von Aenberungen erfahren, unter denen sich einige von Bedeutung befinden. So wurde im § 4 der Zu satz zweiter Lesung, nach dem zum SeemannSamte, sofern es sich um ein Verfahren gegen einen Schiffsmann handelt, ein seebefahrener Schiffsmann als Beisitzer binzugczogen werden sollte, wieder gestrichen, nachdem der Staatssekretär Graf PosadowSky die Bedenken der verbündeten Regierungen gegen den mit jener Bestimmung in die Strafrechtspflege eingeführten Grundsatz der Classenjustiz zum Ausdrucke ge bracht hatte. Für die Aufrechterhaltung des Beschlusses zweiter Lesung trat dem Staatssekretär gegenüber der Abgeordnete vr. Spahn ein, ohne aber bei der Abstim mung die Centrumspartei auf seiner Seite zu haben. Nach der entgegengesetzten Seite — d. h. in der Richtung der social demokratischen Abänderungsbestrebungen — fiel ein Beschluß zum schiffsmännischen Normalarbeitstage aus. In der zweiten Lesung waren die Arbeiten zum Seeklarmachen unter die Aus nahmen von der bezüglichen Bestimmung ausgenommen worden, was gestern von den Socialdemokraten im Verein mit dem Centrum unter Führung des Abgeordneten v. Savigny bei knapper, durch Probe und Gegenprobe festge stellter Mehrheit wieder rückgängig gemacht wurde. Ohne Widerspruch wurde indessen dieser Beschluß vom Regierungs tische aus dahin declarirt, daß Arbeiten, die zur Vorbereitung der Reise und in zeitlichem Zusammenhänge mit dieser vorgenommen werden, jedenfalls nicht als Ueberarbeit zu lohnen sind. Die im Laufe der Debatte vom Abgeord neten CahenSly zu Gunsten der Sonntagsruhe verwerthete Tbatsache, daß die Hamburg-Amerika-Linie die Ausfahrt ihrer Schiffe, soweit sie am Sonntag stalt- fand, nunmehr auf den Sonnabend gelegt bat, wurde vom Staatssekretär Grafen v. PosadowSky dahin erläutert, daß eS sich lediglich um die Conseguenz eines veränderten Fahrten turnus der Theeschiffe bandle. Die vorangegangene General debatte wurde von den Socialdemokraten benutzt, um gegen daS Gesetz in den Seemannskreisen in der üblichen Weise Stimmung zu machen; man wird aber wohl bezweifeln dürfen, daß sie den Muth haben werden, es abzulebncn. Was mit diesem socialpolitisch sehr bedeutsamen Gesetz- gebungSwerke für die Schiffsleute geleistet und andererseits den Rbedern aufgelegt wird, hielt besonders der Abg. Frese der äußersten Linken wirkungsvoll entgegen. Das Gesetz gehe bis nahe an die Grenze, bei deren Ueberschreiten die Concurrenzfähigkeit der heute an der Spitze aller Nationen stehenden deutschen Rhederei beeinträchtigt werden würde. Sie sei aber stark genug, um sich auch den bekannten amerikanischen Bestrebungen gegenüber zu behaupten, wie er zur Beruhigung von Besorgnissen versichern könne. — Heute soll die dritte Be- ratbung zu Ende geführt und, wenn möglich, auch die dritte Lesung der Schaumweinsteuer erledigt werden. Am Montag gedenkt der Präsident die Diätenvorlage wegen der Zolltarifcommission zur Besprechung zu stellen. Die „Kreuzztg.", die in der Stadt Hannover erscheinenden conservaliven „Hannoverschen Tagesnachrichten" und endlich die ebenda erscheinende Welfenzeitung, die „Deutsche Volksztg.", hatten schon lange Wochen vor der Ersatzwahl in Eelle aus dem angeblichen schlechlenBesuche n ationalliberalerWäbler- versammlungen die kühnsten Schlüsse gezogen und mit Schaden freude von dem „niedergehenden Stern" der nationalliberalen Partei gesprochen. Und das Ergebniß? Der nationalliberale Bewerber hat gegen die allgemeinen Wahlen von 1898 nichts an Stimmenzahl eingebüßt, ja sogar noch einen — aller dings geringen — Zuwachs erfahren. Damit ist be stätigt worden, was wir vorausgesagt hatten, daß nämlich der Zuwachs durch die Stimmen der Frei sinnigen, die diesmal keinen eigenen Candivalen ausgestellt hallen, und der Verlust durch die Aufstellung eines eigenen bündlerischen Candidalen einander ausgleichen würden. Die Freisinnigen konnten nach Ausweis der vorigen Wahlen der nationalliberalen Partei etwas über 2000 Stimmen zufübren, und etwa eben so viel hat der Bund der Lanvwirlbe der nationalliberalen Partei entzogen, denn die Bündler dürfen nicht etwa behaupten, daß die ihnen zugefallenen etwa 4700 Stimmen ausschließlich den Nationalliberalen entzogen worden seien. Bei den vorigen Wahlen wurden für einen conserva- tiven und einen antisemitischen Candidalen zusammen etwa 2100 Stimmen abgegeben, die natürlich diesmal ohne weiteres dem bündlerischen Bewerber zugute gekommen sind. Demgemäß beträgt der Zuzug, den der Bund aus dem nationalliberalen Lager erhalten hat, höchstens 2500 Stimmen. Danach bat sich also, obwohl der Bund der Landwirthe mit aller Macht agitirle und zahlreiche Wahl versammlungen abhielt, auch in diesem hannoverschen Wahl kreise die nationallibcrale Partei als erheblich stärker be wiesen, als der Bund der Landwirthe. Dabei ist noch be sonders zu berücksichtigen, daß der Wahlkreis zum weit überwiegenden Theile em ländlicher ist, denn von 141000 Wahlberechtigten (wir nebmen die Ziffern von 1898) wohnen nabezu 98,000, also gut 2/z, in Gemeinden von weniger als 2000 Einwohnern. Damit ist bewiesen, daß die nationalliberale Partei durchaus nicht, wie die Conservanven so ost glauben machen wollen, nur die Partei der Professoren und Fabri kanten ist, sondern daß sie auch in der Bauernschaft noch einen starken Anhang besitzt. Wie wird nun die Stichwahl mit dem welsischen Candidalen ausfallen? Der national liberale Bewerber hat allerdings einen Borsprung von etwa 1800 Stimmen, aber damit ist die Gewißheit seines Sieges durchaus noch nicht gewährleistet, denn bei den Wahlen von 1898 war der Vorsprung sogar noch etwas größer und trotz dem siegte in der Stichwahl der welfnche Candidat, und zwar sogar mit der sebr erheblichen Mehrheit von nahezu 4000 Stimmen. Diesmal ist, wie schon erwähnt, das uationalliberale Plus von vornherein etwas geringer, wozu noch kommt, daß sowohl die Welfen, wie die Social demokraten — daran, daß die Letzteren in der Stichwahl für den Welfen eintrcten, kann kaum ein Zweifel herrschen — einen Stimmenzuwachs gegenüber den Wahlen von 1898 zu verzeichnen haben. Somit ruht die ganze Verant wortung für den Aus gang der Wahl bei dem Bunde der Landwirthe. Die Nationalliberaleu und der Bund haben zusammen etwa 500 Stimmen mehr erhallen, als die Welfen und die Socialdemokraten. Treten also die Social demokraten Manu für Mann für den Welfen, die Bündler aber Mann für Mann für den Nationalliberalen ein, so muß der Letztere, wenn auch nur mit einer bescheidenen Majorität, siegen. Da der Bund der Landwirthb jederzeit seine reichstreue Gesinnung betont, so dürste ihm die Wahl zwischen den beiden Candidalen unter keinen Umständen schwer fallen. Versagt der Bund, nun, so erleidet die national liberale Partei keinen positiven Verlust, denn bei den letzten Wahlen siegte, wie schon erwähnt, dep Welfe. In einer Beziehung würde sogar die nationalliberale Partei von einem solchen Ausgange einen Gewinn haben: die Regierung würde sehen, ein wie gefährliches Spiel sie in der Provinz Hannover mit der offensichtlichen Bevorzugung der Conservaliven und der ihnen verwandten Bündler treibt. Denn wenn die Regierung Parteien unterstützt, die ihrerseits wieder welsische Candidalen unterstützen oder auch nur durch Wahlenthaltung siegen lassen, so würde sie folgerichtiger handeln, lieber gleich dem Herzog von Cumberland den hannöverischen Thron anzubieten. Weil wir aber glauben, daß dem Bunde kaum daran gelegen sein kann, der Regierung in vieser Weise die Augen zu öffnen, so wird er wohl, wenn auch mit saurer Miene, dem nationalliberalen Bewerber zum Siege in der Stichwahl verhelfen. Ueber die wissenschaftliche und praktische Vor bildung der englischen Lsficicrc enthält die April-Nummer der „Edinburgh Review" ein aus englischer sachkundiger Quelle stammendes Urtbeil, das mit Rücksicht auf die s. Zt. von dem britischen Colonialsekretär gethanen abfälligen Aeußerungen über das deutsche Heer ganz besondere Beachtung verdient. Der „der Krieg als Lehrer des Krieges" überschriebene Artikel empfiehlt ein sorgfältiges Studium der Kriegsgeschichte und fährt dann fort: „Es ist durchaus die Wahrheit, wenn man sagt, daß in keiner Armee der Welt die Ossiciere so wenig die Kriegsgeschichte ihres eigenen Landes kennen wie in der britischen. Wäre es nicht so, hätten wir nicht so manche Lehre einstecken müssen; die gänzlich überraschend gekommenen Ereignisse des gegenwärtigen Krieges sind das Ergebniß jener Unwissenheit. Die Kriegs geschichte wiederholt sich, und gleiche oder ähnliche Situationen kehren in allen Feldzügen wieder. Deshalb ist ein genaues Studium geboten. In der Kriegsgeschichte gut bewanderte Ossiciere wären durch die reguläre und irrereguläre Taktik des südafrikanischen Feldzuges nicht in dem Maße überrascht worden, wie cs in Wirklichkeit der Fall war. Aber unsere Ossiciere sind nickt gut bewandert; die Mehrzahl beschäftigt sich überhaupt nie mit Kriegsgeschichte, und es fehlt auch an jeder Anregung dazu". Nachdem dann die Lehren und Erfahrungen im Einzelnen geschildert worden, die nach der Ansicht der britischen Heerführer der Krieg gebracht hat, u. A. die Aussichtslosigkeit eines Stirnaugriffes und die geringe Wirkung des Artilleriefeuers gegen Erdstcllungen, schließt der Artikel: „Unter allen diesen sogenannten Lehren und praktischen Erfahrungen ist keine einzige, die nicht auch cin sorgfältiges Studium des deutsch - französischen oder des russisch-türkischen Krieges vermittelt hätte. Die einzige neue Belehrung, die der Krieg uuS gebracht hat, ist die, daß unsere Ossiciere in keiner Hinsicht befähigt waren, ihre Auf gaben mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen. Um aber dem britischen Officier Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß er befähigt und willens sein wird, die hier angedeuteten Mängel abzustellen und sich auf Grund eines sorgfältigen Studiums der Kriegs geschichte eine brauchbare praktische Vorbildung anzueignen." Der russische UntcrrichtSministec WannowSki ist, wie ge meldet, auf sein Ansuchen aus seinem Amte geschieden und hat seinen bisherigen Gehilfen, Sänger, als Nachfolger erhalten. Da WannowSki, der sich im April vorigen Jahres auf den Wunsch des Zaren und das Drängen der anderen Minister entschlossen hatte, der Nachfolger des er mordeten UnterrichlSministers Bogoljepow zu werden, ein Greis von mehr als achtzig Jahren ist, so könnte seine Amtsenthebung kaum zu politischen Vermuthungen Anlaß geben, wenn sie nicht im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen eine besondere Beveutung erhielte. Wan- nowski ist ein ruhiger, wohlwollender, gemäßigten Reformen nicht abgeneigter Mann. Wie es ihm, der von 1881 bis 1898 Kriegsminister war, als Bevollmächtigter des Kaisers in den Jahren 1898 und 1900 gelungen ist, die hochgehenden Wogen der damaligen Petersburger Revolten zu glätten, so hat er auch durch eine ganze Reihe wesentlicher Neue rungen, vor Allem aber durch das Wohlwollen, daS er de- lhätigte, aus die Studentenbewegung einen besänftigenden Einfluß geübt. Er hat seines schwierigen Amtes in dem Sinne gewaltet, in dem der Zar es ihm in jenem Hand schreiben vom April vorigen Jahres vorschrieb. Da Wan nowSki gerade jetzt, nach der Ermordung Ssipjagin'S, geht, liegt der Schluß nahe, daß man diese Art der Hand habung des sich gleich bleibenden Systems nicht mehr für angezeigt hält. Darauf ließe auch die Persönlichkeit seines Nachfolgers schließen. Geheimrath Säuger, der frühere Curator deS Warschauer Lehrbezirks, ist ein aus gesprochener Reactionär, der auf seinem Warschauer Posten gezeigt hat, daß er es versteht, auch den rückschrittlichsten Maßregeln unbedingte Geltung zu verschaffen. Ebensowenig, wie von dem neuen Minister des Innern, darf die fortschrittliche Bewegung von Sänger's Amtsführung Milde oder Ver- ständniß erwarten. Man ist offenbar gewillt, die Zügel scharf anzuziehen; man scheint die jüngsten Vorgänge dem milderen Regiment zuzuschreiben und aus dieser Auffassung die Consequenzen gezogen zu haben. Zur Beruhigung der Mafien dürften die häufigen Ministerwechsel, die, wenn auch keinen Wechsel des Systems selbst, doch mehrfach einen Wechsel in dessen Handhabung bedeuteten, schwerlich beitragen. Ueber die neue Persische Anleihe und die Reise des Schahs schreibt man uns aus Teheran, 9. April: Wie schon aus englischen Quellen bekannt geworden ist, sind die Anleiheverhandlunzen mit Rußland von Erfolg gewesen. Es ist Alles schönstens geordnet und bedeutende Vorschüsse sind schon auf den Betrag der Anleihe gezahlt worden; veröffentlicht ist dagegen noch nichts. Es wird dies wohl vorläufig auch nicht geschehen, denn der Re gierung ist es sehr wohl bekannt, daß sowohl die An leihe als die ganze Reise unpopulär sind und es hat der ganzen Klugheit des Großveziers bedurft, um die Geist lichkeit von feindlichen Schritten gegen die Regierung ab zuhalten. Alle Anstrengungen der englischen Gesandtschaft, die Anleihe zu vereiteln, find also umsonst gewesen, was übrigens von allen einigermaßen Eingeweihten vorausgesehen wurde. Wenn die englische Negierung wirklich glaubt, daß die Concession der Straße nach Täbris daS einzige Aequi- valent für die Anleihe sei, so dürste sie Wohl bald einsehen, daß sie wieder einmal zu leichtgläubig gewesen ist. Diese Concession war den Russen schon ziemlich sicher, als von einer Anleihe noch gar keine Rede war. Vorgestern bat der Schab seine Reise feierlichst angetreten, indem er sich per Automobil durch die Spalier bildenden Truppen der Gar nison auf ein Schloß in unmittelbarer Nähe der Stadt be gab, wo er drei Tage verweilen wird, bevor er sich wirklich auf die Reise begiebt. Es war dies eine sehr weise Maß regel, denn in echt orientalisch nachlässiger Weise sind alle Vorbereitungen und viele wichtige Staatsgeschäfte bis zum letzten Augenblick aufgeschoben worden, so daß eine wirkliche Entfernung von der Hauptstadt die zurückbleibende Regierung sowohl als die abreisende in die größte Verlegenheit versetzt haben würde. Deutsches Reich. D Berlin, 25. April. Der Bundesrath versammelte sich heute zu einer Plenarsitzung, in welcher der Entwurf von Abänderungen und Ergänzungen des amtlichen Waaren- verzeichnisies zum Zolltarife und ferner der am 5. März 1902 in Brüssel zwischen dem Reiche und mehreren anderen Staaten abgeschlossene Vertrag über die Behand lung des Zuckers und der Entwurf eines Gesetzes wegen Abänderung des ZuckersteuergesetzeS den zustän digen Ausschüssen überwiesen wurden, ebenso die Mittheilung betreffend die Beschlüsse deS LandcSauSschusses zu der Uebersicht der Ausgaben und Einnahmen der Landesverwal tung von Elsaß - Lothringen für das Rechnungsjahr 1900. Die Zustimmung wurde ertheilt dem Entwürfe eines Gesetzes wegen Feststellung eines Nachtrages zum ReichshaushaltS- Elat für das Rechnungsjahr 1902 (Beihilfen an Kriegs- Feuilleton. Eva oder Anneliese? 23j Roman von Er n st Gcorgy. Nachdruck Verbotei.. Beide lehrten zu den Uebrigcn zurück. Bernd betrachtete sie scharf, Löwen-Pollings erregte Röthe und Warell's Verlegenheit waren ihm verdächtig. Er combinirtc sich die eigentliche Wahrheit mit dem Scharfsinn der Liebe zu sammen. Eine innere Unrast verzehrte ihn. Noch die ganze Nachi hindurch und am anderen Morgen und Vor mittag während des Dienstes zermürbte ihn diese Angst und verzweifelte Entschlüsse stiegen in ihm auf. Er war so zerstreut, daß er sich zum ersten Male einen Verweis vor der Front zuzvg. Was aber fragte er heute darnach? Als er endlich müde seine Wohnung anfsuchtc, beschloß er, sich G.w'ßheit nm jeden Preis zu verschaffen. So sandte er Franz mit einem Packet Noten zu Eva und gab ihm mit klopferzdcm Herzen den Auftrag, sich bei dem Diener dort ein wenig geschickt nach Neuigkeiten im Hause zu er kundigen. — Als Franz ihn erstaunt musterte, wurde er vor Scham roth. Doch er fügte nichts mehr hinzu. — Mit dem ganzen Aufgebot seiner Energie schrieb er einen Brief an die Mutter nach Nizza und versenkte sich dann in Frcytag's „Bilder aus der deutschen Vergangenheit". Ueber das Buch fort flogen seine lyedanken nach Berlin. Wie von der Tarantel gestochen fuhr er empor, als er nach einigen Stunden die Hunde freudig bellen hörte. Franz war heimgekchrt. — Nach einer kleinen Weile meldete er sich bei seinem Herrn. Dieser sah fiebrig aus und blickte ihm ungeduldig entgegen. „Nun?" rief er hastig. Franz berichtete: „Das gnädige Fräulein Evmtessc habe sich gerade zum Ball geputzt und Hütte ganz wunderschön aus gesehen, als sie auf den Eorridor kam und dem Herrn Grafen vielen Dank und herzliche Grüße sandte." — Dann zwinkerte er schlau mit den Augen, schaute aber anscheinend unschuldig zu Boden. — „Passirt wäre nichts weiter. Der Johann habe ihm nur erzählt, daß der Herr Baron von Löwen-Polling strahlendem Gesichte ««getreten sei. Doch schon nach un gefähr einer Viertelstunde wäre der Herr Baron sehr bleich und verstimmt abgefahren. Das ganze Zimmer schien für Bernd plötzlich in rosa Wolken gehüllt. Eine unbändige Freude schwellte seine Brust: „Gut, Franz, Sie haben Ihren Auftrag richtig aus geführt!" sagte er gezwungen ruhig; aber in seiner Stimme bebte der Jubel nach. — „Na, wie geht es Ihrer Braut in Großbrandau? Nicht wahr, es ist doch die blonde Martha vom Obergärtner?" — Franzens glattrasirteS Gesicht überzog sich mit glühender Röthe: „Zu Befehl, Herr Graf, ja! Aber wenn > —" — „Gar kein Aber, mein Bursche, ich bin mit Ihrer Wahl sehr einver standen. Hier haben Sic zwanzig Mark, kaufen Sic irgend ei» nettes Geschenk für die Martha, und schicken Sie cs ihr mit einem Gruß von mir! Ich werde sehen, wie wir cs mit Ihrer Hochzeit machen; bis ich ausgedient habe, können Sic doch noch warten, was?" — Bernd lachte den ganz Fassungslosen freundlich an. „Lieber, guter, gnädiger Herr Graf " stammelte Franz. „Schon gut, schon gut, mein Junge, nun gehen Sie und holen Sic mjr aus dem „Einsiedler" mein Abendbrod, ich habe Hunger!" Eifrig stürzte Franz hinaus. „Sic hat ihn abgcwiescn, muß ihn abgewicscn haben!" murmelte Bernd laut und blieb mitten im Zimmer stehen. Er streckte die Arme von sich und dehnte sich — „Ach Eva, Eva!" Dann öffnete er den Flügel und begann zu spielen. Während seine Finger über die Tasten glitten, beschäftigte sich seine Phantasie mit der Geliebten und ihrem Be werber. Er kam der Wahrheit ziemlich nahe. — „Wie gut ist es, daß ich heute nicht bei Wintcrfeldt's bin", erwog er, „mit dieser Freude im Herzen würde ich eine nicht wieder gut zu machende Entscheidung herbeiführen. Und cs darf doch nun einmal nicht sein!" Rauh brach er ab und ballte die Fünfte. „Ach, Anneliese, ich könnte Dich Haffen! Du Störenfried, Du Unheil!" schrie er, „Du Arme knöpfte schnell noch die Handschuhe zu und eilte dann in den Salon. „Guten Morgen, Vicky, potztausend bist Du geputzt. Bist Du zum Kaiser befohlen, Deine Miene ist so feierlich?" „Du willst gerade fortgehen, Eva?" entgegnete er. „Ja, ich will mir noch bei Gerson einige Ballsachcn be sorgen, doch das eilt nicht!" „Das ist mir sehr lieb, Eva, denn ich möchte mit Dir eine ernste Aussprache haben!" „Du?" sagte sic, ihr wurde es etwas bang ums Herz, „bitte, willst Du Dich nicht setzen!" — Sie wies auf einen Stuhl und warf sich in einen Fauteuil. Er lockerte den Säbel und nahm auf einem Stuhl Platz. Dann lüftete er den Kragen der Uniform, räusperte sich und sah erregt in ihr holdes Gesichtchen, das eine große Erwartung, eine leise Ungeduld vcrrieth. „Nun, Bick», leg' los!" rief sic, um der fatalen Situation ein Ende zu machen. „Liebe Eva!" begann er und wurde vor Aufregung blaß und roth, „Du hast vielleicht bemerkt das heißt ich habe gestern mit Deinem Vater bereits gesprochen wir sind nahe Verwandte, ich liebe Dich aber nicht nur wie cin treuer Vetter! Seitdem wir, meine Mutter, meine Schwester, Du und ich zusammen die große Schweizer Reise gemacht haben, fühle ich, daß ich Dich so von ganzem Herzen liebe, daß ich mir mein Leben ohne Dich gar nicht mehr vorstcllcn kann. Dir möchte ich mich und meine Zukunft widmen, denn der Begriff des höchsten Glückes knüpft sich eben an Deine Person. So frage ich Dich denn, Du kennst mich und weißt, was Du von mir zu halten hast! So frage ich Dich denn, liebe, süße Eva, ob Du Dich entschließen könntest, mein thcureü Weib zu werden?" Sie sprang auf und eilte drei Schritte zurück, die Hände wie zur Abwehr erhoben. — Auch Löwen-Polling erhob sich langsam. Er folgte ihr. Seine Stimme war völlig ton los: „Evchen, ich habe Dich überrascht und mit meiner Werbung erschreckt; aber Du weißt nicht, wie mir ums Herz ist. Seit ick, den Brandau gesehen habe, hat mich eine Angst gepackt! Seine Schönheit, seine düstere, vergrämte Miene sind so ganz geeignet, ein junges Mädchenherz zu erobern. Darum habe ich mich zu diesem schnellen Ent- schlufic aufgerafft, ich möchte mir mein Glück sichern!" — Jetzt stand er dicht vor ihr, athemlos, heiß, bereit, sie an sich zu reißen. Sein Herz war so voller Liebe für sie. Das junge Mädchen hatte bei Erwähnung Bernd's den gesenkten Kopf wieder erhoben. Zuerst hatte sie zitternd den Worten Viktor's, den sie herzlich schätzte, gelauscht. Ja, sic schwankte sogar, ob sic ihm durch eine harte Abweisung solch' bitteren Schmerz zufügen dürfte, — Seitdem er aber den Geliebten genannt, gewann sie Ruhe und Faffung zu rück. In diesem Augenblicke konnte sic die ganze Größe ihrer Liebe für Bernd ermessen. Die Idee nur, einem an deren Manne anzugehören, schien ihr eine Unmöglichkeit. Er war Alles, Alles für sie! Auch der Vetter hatte jetzt unbewußt beide Hände ausgestreckt. Eva legte die ihren hinein: „Höre mich ruhig an, Vicky!" bat sie innig. — Ich habe Dich herzlich gern nnd hege das uneingeschränk teste Vertrauen zu Dir, das weißt Du! Aber hcirathen kann ich Dich nicht!" Victor prallte zurück. „Eva!" schrie er auf. „Nein, ich kann nicht, Vicky! Du bist ein edler, braver Mann und verdienst eine Frau, die Dich aufrichtig liebt, so wie man seinen Gatten lieben muß. Dieses starke, reine Gefühl bringe ich Dir aber nicht entgegen!" „Warum nicht?" stöhnte er. — „Du mußt doch einen Grund haben, liebst Du einen Anderen?" „Ja!" erwiderte sie nnd sah ihn mit ihren großen, blauen Augen voll an. „Ist es ist es gestern — der " „Ja, es ist Bernd von Brandau, Vicky! Seit ich denken kann, hat er mein Herz besessen!" sagte sie schlicht. Er ließ ihre Hände jäh fallen. Leine Kniee wankten. „Werdet Ihr Euch hcirathen?" „Das weiß ich nicht, Vicky, aber eins weiß ich, wenn Bernd nicht mein Gatte wird, so wird es niemals ein Anderer werden! Ihn oder Keinen!" meinte sie entschieden. Löwen-Polling musterte sie todtenbleich: „Dann habe ich nichts mehr zu sagen! Lebe wohl, Eva, und werde glücklich! Mir ist sehr schwer ums Herz, das muß ich Dir sagen, bitter, bitter weh!" „Vicky, Du bist mir nicht böse, Du wirst als Vetter nicht fortbleiben und der Welt ein Schauspiel geben?" Er schüttelte traurig den Kopf: „Ich weiß, was ich dem Onkel, Dir und mir schuldig ich Aermster!" Mit seiner gehobenen Stirn- mnng war es vorbei. Wieder brütete er vor sich hin, schmiedete Pläne, vcrwarff sie, und haderte dann mit seinem Schicksal nnd Gott. Cvmtesse Warcll war zum Ausgange fertig angczogen, am Vormittag in Galauniform mit als Johann ihr die Ankunft des Vetters meldete. Sie
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite