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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020401027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-01
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 L,. Reklamen uuter demRedacttlmsstrich (4 gespalten) 75 vor den Familirnuach- richten (S gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahmr 25 H («xcl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ilvnahmeschtuß für Anzeigen: Lbend»Au«gabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 163. Dienstag den 1. April 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Englische Officiere wegen Grausamkeiten vcrurtheilt. * Loudon, 1. April, slelegramms An Bord des Lransportdampfers „Kanada", der am LI. März i« Queenstown eingetrosfeu ist, besiudet sich eine Anzahl militärischer Gefangener, darunter zwei australische Officiere, die zu lebenslang- licher Zwangsarbeit vcrurtheilt sind, als Mit schuldige zweier anderer australischer Officiere, die bereits yingerichtet worden sind, weil sie gefangene Boeren erschossen hatten. Die Corresp. „Nederland" schreibt zu dem Fall: Zu den sensationellen Enthüllungen aus Melbourne, daß die Boeren im October des vorigen Jahres einen Officier der Bus ch m änne r im Komatipoort-District grausam mißhandelt und getvdtet, worauf vier andere australische Officiere aus Rache dafür zwölf Boeren vor eine Art Kriegsgericht ge stellt und erschossen hätten — ein Leutnant Whiton, ein Australier von Victoria, sei daraufhin zum Tode vcrurtheilt und erschossen, ein anderer, Mvrant aus Westaustralien, zu drei Monaten Gefängnitz ver- urtheilt worden — können wir folgende Ergänzungen geben: In der letzten Februarwoche sind drei englische Officiere gefesselt in Pretoria ein gebracht worden, die wegen Grausamkeiten gegen die Boeren zu mehr oder minder schweren Gefängniß- strafen vcrurtheilt worden waren: aus dem gleichen Grunde sind zwei andere Officiere am 27. Februar standrechtlich erschossen worden. Die kriegsgerichtlichen Urtheile haben folgende Ver brechen zur Grundlage: Im District Komatipoort lOst - Transvaal) wurde im October 1801 ein englischer Officier mit a u s g c st o ch c n c n Augen todt aufgefnnden. In der Nähe des Platzes, wo die Leiche aufgefunden worden war, wurden bald darauf von einem CorpS Au st kalter elf B o e r,e n angetroffen, die nun ohne jeden Anhaltspunkt der'Unthat bezichtig! und ohne Proceß füsilirt wurden. Die elf unschuldigen Leute hatten sich vorher selbst ihr Grab graben müssen. Ein deutscher Missionär, der den Engländern ihr Vorgehen verwiesen und cs einen Mord genannt hatte, wurde ebenfalls ergriffen und gleichfalls er schossen. Der Befehl führende englische General leitete nach Bckanntwerden der Sache eine Untersuchung ein, und der zu ihrer Führung bestellte Kriegsrath ver» urtheiltc einen von den schuldigen Offtcieren zum Tode, einen anderen zu längerer Ge- fängnißstrafe. Das strenge Urtheil gegen diese Officiere allein schon ist überzeugender Beweis dafür, wie willkürlich die Beschuldig ungundwieunge re chtdas „Ur- theil" gegen die elf Boeren war. Es ist des halb eigentlich ganz überflüssig, noch besonders zu be- tonen, daß die Boeren ihrem Charakter und ihrer Gc- müthsart nach einer so bestialischen Schandthat, wie sie sich in einer Leiche mit ausgestochenen Augen verkörpert, einfach nicht fähig sind. Wenn die Vermuthung aus gesprochen wird, es seien Kaffern die Uebelthäter gewesen, so ist diesen eine That der geschilderten Art allerdings zu zutrauen. Der kriegsgerichtliche Proceß hat über diesen Punct jedenfalls verlässigen Ausschluß gegeben, da sonst ein Urtheil, wie das ergangene, nicht denkbar gewesen, wäre. Die dr ei anderen Officiere, von denen einer mit dem Tode und zwei zu lebenslänglichem Gesang n iß vcrurtheilt worden sind, haben sich einer noch gemeineren Schandthat schuldig gemacht: Im District PieterSburg hatten sic 23 boe- rische Männer, Frauen und Kinder, die sich friedlich innerhalb ihrer Wagenburg befanden und beim Angriff der Engländer zum Zeichen der Ergebung mit ihren Taschen- und anderen Tüchern winkten, ohne Er barmen hinschlachten lassen. Ein Knäbchen von vier Jahren z. B-, das ohne Berständniß für die unheilvolle Situation an die Deichsel eines Wagens gelehnt stand, wurde mit voller Absicht niedergeschofscn, ebenso sein um Weniges älterer Bruder, der herzugelaufcn kam, um nach seinem hingesunkenen Gespielen zu sehen. Die Officiere sollen also verfahren sein, um keine Zeugen dafür zu haben, wie sie zu ihrer Beute gekommen sind. Angesichts solcher haarsträubender Unmenschlichkeit braucht man wohl nicht noch an andere notorische Un- thaten zu erinnern, um nachzuweisen, welche Berechtigung -er Entrüstungsrummcl hat, der sich gegen wohlbegründete Behauptungen über die von britischen Soldaten in Süd afrika begangenen Greuel richtet. Die genannten kriegs gerichtlichen Urtheile werden wohl endlich auch Die jenigen in England oder anderswo von ihrem schönen Wahn bekehren, als ob es einfach ausgeschlossen sei, daß britische Soldaten sich Uebergriffe oder Grausamkeiten zu Schulden kommen lassen, zumal wenn sie hören, daß sich unter den zuletzt genannten Offtcieren ein Oberst und der Sohn eines englischen Admirals befinden, Leute, die ge mäß ihrer Stellung und ihrer höheren intellektuellen wie moralischen Bildung der Bestie im Menschen doch nie unterliegen sollten. Es liegt uns gewiß fern, zu verallge- meinern, aber der Schluß von der That des Officiers auf das Verhalten des gemeinen Soldaten kann unmöglich so ausfallen, daß die bereits feststehende lange Reihe er- schrecklicher Schandthaten deS englischen Heeres in Süd afrika als die Ausnahme betrachtet werden müßte. Die Frie-ensverhaubluuge«. Die „Tägliche Rundschau" scheibt: Von bcstunter» richtcter Seite können wir heute die Mittheilung machen, daß Schalk Burger wirklich zu einer kleinen Landabtretung bereit ist, falls für das Uebrige unbeschränkte Selbstständigkeit zugestanden wird. Uebrigens ist Schalk Burger thatsächlich um die Unterredung ersucht worden. Cecil Rhodes s. Sehr einschneidend scheint sich Lord Rosebery die Folgen des Hinscheidcns Rhodes' vorzustellen. Er äußerte sich in einem Privatgespräch wie folgt: König Eduard werde das Seinige dazu thun, daß Englands Politik in neue Bahnen einlcnkc. Bet dieser neuen Orientirung werde Großbritannien wieder Achtung vor den Rechten anderer zeigen. Der Ausbruch einer Minister krisis sei im Augenblicke nicht unmöglich. Biel hänge allerdings davon ab, was sich in Chamberlain's Gehaben nach dem Htnschetden Cecil Rhodes' ändern wird. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. April. Der gestern verstorbene Centrumöführer vr. Lieder hat den Triumph, der ihm durch den Sturz des von ihm so grimmig bekämpften preußischen Finanzministers Vr.v. Miquel bereitet wurde, nicht lange genossen. Aber er bat auf seinem Sterbebette sich sagen können, daß er Schritt für Schritt dem Ziele näher gekommen ist, von dem ihn der preußische Staats mann fern zu halten versuchte. Herr Lieber haßte in Miquel nicht den preußischen Finanzmann, sondern den einflußreichen Politiker, der trotz seiner theoretischen Gegnerschaft gegen das Jesuitengesetz und einen Theil der preußischen Cultur- kampfgesetze dem Wachsthume des klerikalen Einflusses im Reiche und im führenden deutschen Staate einen Damm entgegenzusetzen bestrebt war und besonders die Conservativen von einem engeren Anschlüsse an daS Centrum zurückzuhalten sich bemühte. ES batte ihm nicht entgehen können, daß vr. Lieber das Wort des Fürsten Bismarck, wenn das Centrum sich patriotisch zeige, so könne man ihm Manches gewähren, was man ihm sonst versagen müsse, zur Richtschnur seines Handels machte und durch seinen Einfluß selbst den demokra tische» CentrumSflügel dahin brachte, dem Reiche Dienste zu leisten, auf die er pochen konnte, wenn es sich im Reiche selbst oder in Preußen darum handelte, klerikale Forderungen geltend ru machen. Leicht machte eS dieser demokratische Flügel dem Führer allerdings nicht, sich und seine Partei an ausschlag gebender Stelle beliebt zu machen; mit ihren „Kürassier stiefeln" tappten die radikalen Herren nur zu oft in die fein gesponnenen Netze des Führer- hinein und zwangen ihn zu herbem Tadel. Mehr und mehr sah aber auch der linke Flügel der Partei ein, daß Herr Lieber sich auf Handels geschäfte noch besser als ehemals Windthorst verstand, und zog, da die Kürassierstiefcln zu fest saßen, wenigstens Gummischuhe darüber. Der Erfolg ist bekannt: Centrum ist Trumpf; je mehr, zweifellos nicht ohne vr. Liebcr's Mit wirkung, Miquel'S Stern erlosch, um so enger wurde daS Verhältniß zwischen dem Centrum einerseits und den Regierenden im Reiche und in. Preußen andererseits, und "wenn das Jesuitengesetz noch nicht gefallen und in Preußen die Schule „der Kirche" noch nicht auS- geliefert ist, so darf die „ausschlaggebende Partei" dafür die Conservativen nicht verantwortlich machen. In ihren Reihen wird sicherlich die Trauer um den Tod Lieber'- tief und aufrichtig sein. Wer weiß, ob der Nachfolger dieses Mannes es so gut wie er versteht, daS Centrum bündnißfäbig zu erhalten. Die Kürassierstiefcln des linken Flügels sind, wie gesagt, nicht auSgezogen und die Gummischuhe sitzen ziemlich locker. Gewiß werden auch die demokratisch an gehauchten rheinischen CentrumSmänner, Herr vr. Bachem an der Spitze, nicht vergessen, was sie dem diplo matischen Geschicke des ehemaligen „Mußpreußen" verdanken, aber das Berständniß für die Erfolge dieses Geschickes bringt noch nicht in dessen Besitz. UeberdieS sind diese Erfolge dem Centrum augenscheinlich zu Kopfe gestiegen und begünstigen die Neigung zum Zutappen. ES kann daher leicht eine Wendung in der Taktik und — im Einflüsse der CentrumSpartei eintreten. Und wäre den Regierenden im Reiche und in Preußen ihre Abhängigkeit vom Centrum lästiger, als sie eS zu sein scheint, so wäre mit dem Ableben vr. Lieber's der Augenblick zu dem Versuche gekommen, diese Abhängigkeit zu brechen. Statt dessen aber wird vermuthlich auch in Regierungskreisen danach getrachtet werden, für Herrn vr. Lieber einen Nachfolger zu finden, der getreulich in den Fußstapfen seine« Vorgänger« wandelt und die seinen Netze, die er um Negierungen und Conser- vative spinnt, sorgfältig vor den Kürassierstiesrln seiner radikalen Parteigenossen hütet. E« fragt sich nur, ob ein solcher Manu vorhanden ist. So lange die Centrumöblätter über die bekannte Polenrede deS Grafen HoenSbroech im Herrenhause schwiegen, bandelten sie sicherlich im Sinne vr. Lieber'-. Nach seinem Tode wird sich die „Köln. Volkszeitung" schwerlich davon abhalten lassen, die vollen Schalen ihre« Zorne- über den „Abtrünnigen" auSzugießen und die Berechtigung der nattonalpolnischcn Ansprüche noch eifriger als bisher zu ver fechten. Schon vor den Festtagen legte sie eine Lanze für ihre Schützlinge ein, indem sie schrieb: „Gras HoenSbroech scheint nicht genügend berücksichtigt zu haben, daß die Kirche keine Katholiken erster und zweiter Classe kennt und deshalb Polen und Deutsche paritätisch behandeln muß. Am wirk« samsten wird es immer sein, wenn ein Seelsorger demselben Volks stamme angehört, wie seine Gemeinde. In Westfalen ist e» für einen Geistlichen seiner Thätigkeit schon abträglich, wenn er nicht plattdeutsch sprechen kann — nun denke man sich, das Französische sei seine Mutter sprache und daS Deutsche könne er nur radebrechen. Da würde er keinen großen Einfluß gewinnen; das Vertrauen seiner Gemeinde zu erringen, müßte ihm schwer fallen. Auch seine ganze Thätigkeit würde dadurch behindert werden. So liegt es auf der Hand, daß es grundsätzlich immer nur rin Nothbehelf sein kann, wenn für irgend welche Gemeinde Geistliche einer anderen Nationalität an gestellt werden." Man ersieht hieraus, daß, wenn es nach der „Köln. VolkSztg." ginge, in Elsaß - Lothringen die französisch sprechenden Gemeinden lauter echte Franzosen als Geistliche erkalten würden. In Posen aber hat man, ohne daß die „Köln. VolkSztg." dagegen Einspruch erhob, einer geschloffenen Colonie deutsch-katholischer Westfalen den von ihnen ge wünschten westfälischen Geistlichen, der ihr westfalisches Platt beherrscht, versagt und einen poseuschen Geistlichen aufgezwungen. Ueberhaupt werden die deutschen Katholiken in Posen, ohne Schutz oder auch nur Mitleid bei der „Köln. VolkSztg." zu finden, oft genug als Katholiken zweiter Classe behandelt, was, wenn cs den polnischen Katholiken geschähe, den Zorn dieser selben „Köln. VolkSztg." erregen würde. Kein Ver nünftiger wird übrigens einsehen, warum es eine zweit klassige Behandlung sein soll, wenn in Westfalen lebende Polen fließend polnisch sprechende Geistliche, die nicht Nationalpolen sind, erhalten. Wer für diese Leute nationalpolnische Geistliche fordert, dem kann eS nicht sowohl um die Befriedigung religiöser, als viel mehr um die Befriedigung politischer Bedürfnisse an kommen. Und ob eS einer im deutschen Reiche und in Preußen die Führung erstrebenden Partei zur Empfehlung gereichen kann, wenn daS von einem ihrer Führer geleitete Blatt die Befriedigung der antipreußischen und antideutschen Wünsche westfälischer Polen fordert, aber taub ist gegen die religiösen Bedürfnisse deutscher Glaubensgenossen in Posen, da« möge die „Köln. Vlksztg." sich selbst fragen. Es wird jetzt der Wortlaut einer Verordnung des Zaren bekannt, die sich auf die Hochverraths-Affärc -es Feuilleton. Eva oder Anneliese? 1j Roman von Ernst Georgy. Nachdruck verbann Herr Professor Neubert blieb stehen. Erstaunt musterte er die Villa „Seebltck". Im ganzen Orte nannte man sie seit vielen Sommern: „Das schweigende Haus". — Da hatte sich -er Fischer Marten schön verrechnet! Sein ganzes ansehnliches Capital steckte in dem eleganten Bau mit der modernen Einrichtung und trug keine Zinsen. Er hatte cs sich in seinen harten Bauernschädel gesetzt, das „modsche Haus" nur an vornehme und reiche Leute ungetheilt zu vermicthen. Wer konnte aber den unverschämt hohen Preis für die paar Sommerwochen, selbst für ein paar Monate, ausgeben? Besonders in dem einfachen, ländlichen Bcrg-Dievenow, das so lieblich zwischen dem Bodden und dem Meere lag. Hier kamen die begüterten Claffen, die Modedamen, nicht her. — Die Gäste gingen stets in demselben Aufzuge herum. Höchstens zur Mittagstafel und des Abends steckten die Herren reine Kragen und Manschetten — die Damen eine putzende Schleife an die gebürsteten Kleidungs stücke. Die Kinder liefen, so lange es das Wetter er laubte, barfuß am Strande herum und tauschten höchstens saubere gegen schmutzige Sachen ein. DaS war so Sitte hier, wo man allsommerlich herkam, wo Einer den Andern kannte. Luft, Meer, Verköstigung ließ nichts zu wünschen übrig. Man konnte die gleichen Vorzüge wohl nirgends an der Ostsee so billig haben. Daher hatte sich ein festes Stammpublikum hterhergewöhnt. Und dieses machte keine Ansprüche auf „Seebltck". So stand denn die Villa drei Sommer leer. Marten mußte genug Vorwürfe seiner drallen Gattin, genug Neckereien seiner sonstigen Miether und Kunden ein stecken! Aber er hielt Stand. Sein pergamentnes, scharfes Gesicht mit den klaren Augen, den schmalen Lippen, blieb bei allen Anspielungen unbewegt. Höchstens öffnete er den Mund, spie zwischen den gelben Zähnen einen Strahl Kautabak auf die Erde und brummte ver kniffen: „Kommt Zeit, kommt Rath". Da war es denn ganz natürlich, daß der Professor Neubert starr vor Staunen seinen Spaziergang unter brach. Wie festgewurzelt stand er da und beobachtete das Treiben vor sich. — Alle Fenster des Hauses waren geöffnet. Im Unterstock wurden die Möbel von ihren Ueberzügen befreit und geklopft. Ein paar Frauen scheuerten so voller Eifer die Fußböden und Thüren ab, daß der Schaum nach allen Seiten spritzte. In den Oefen loderten Helle Feuer. Wahrscheinlich, um die abgeschlossen gewesenen Räume zu durchwärmen und die muffige, dumpfe Luft zu vertreiben. — Oben, in der ersten Etage, befestigten einige Männer reine Gardinen. Ein Arbeiter schlug die Nägel für ein Zeltdach auf dem Balkon ein, während zwei junge Gärtnerburschen wilden Wein und Epheu über die Drahtgitter spannten. Der Einblick in den luftigen Raum mit seiner herrlichen Aussicht auf die brandende See sollte versperrt werden. Jetzt kam der alte Marten um das Haus herum. Er feuerte die Arbeitenden mit lautem Zuruf zu größerer Eile an. Dann winkte er zwei anderen Männern zu und zeigte ihnen Säcke mit gelbem KieS, der in die schmalen Wege des winzigen Vorgartens verstreut werden sollte. — Neubert trat an den niedrigen Eisenzaun und lüftete seine leinene Schirmmütze. „'N Tag, Vater Marten! Na, was ist denn hier los? Haben Sie die Billa vermtethet, daß Sie so gründlich Ordnung schaffen lassen?" fragte er neugierig. „Na, und ob", entgegnete der Alte schmun-elnd. Der freundliche Professor war besonders in seiner Gunst. Daher war er ihm gegenüber gesprächiger, als es sonst seine Art war. „Uebermorgen, Sonntag, ziehen sie hier ein i . . mit Sack und Pack. . . . Und reich müssen sie sein und vornehm dazu!" „Wer ist eS denn?" drängte der Fragende. — „Graf Brandau aus Großbrandau mit Gemahlin, Kindern und Bedienung. Borgestern hat der Hausmeister die Ge schichte besichtigt und den Contract unterschrieben. Da beißt es, fleißig sein. Adjüs auch, Herr Professor!" — Er sagte alle- in seinem echt pommerschen Platt deutsch. Dann aber wandte er sich kurz um und schlurrte in seinen Holzpantinen fort. — Neubert schritt sinnend davon. Er wollte seine Familie beim Damenbab aufsuchen. Die Badezeit war längst vorbei; jene Seite des Strandes durfte nun wieder von den Herren betreten werden. Aber anstatt den be kannten Weg cinzuschlagen, blieb er plötzlich stehen und hieb mit dem Stocke einen Halbkreis durch die Luft. — Zwischen hohen Holzstangen waren die Netze zum Trocknen aufgespannt pnb verbreiteten einen penetranten salzigen Geruch. Die Fischerboote lagen umgestürzt auf -cm Sande und die Sonne brannte auf den gctheerten Planken. Ganz vorn am Rande des Meeres war ein großer Kahn halb auf das Land gezogen und verankert. Dort wehte der kühle Seewind in ungetrübter Rein heit. Rechts von dem Schiffchen war auch ein wenig Schatten. Irgend ein Gast hatte da bereits eine tiefe Kute gegraben und der Ruhe gepflegt. Jetzt war der Platz verlassen und recht zum Nachdenken geeignet. Noch zeichneten sich die Umrisse jenes Fremden in dem sauberen, weißen, feinkörnigen Scesandc ab, als sich der Professor hier nicderlicß. Grübelnd schloß er die Augen und dachte nach. Der Name der neuen Bewohner von „Seeblick" hatte in ihm die Erinnerung an frühere Jahre zurückgerufen. Jene Zeiten waren durchaus nicht vergessen. Das merkte er jetzt, wo das Gedenken daran ihn von den Seinen fernhielt und in die Einsamkeit verbannte. Wie sein Herz unruhig pochte. „Brandau!" Was rief das Wort nicht Alles wach! Das Leben, der ausgedehnte Pflichtenkreis hatte sein stürmisches Gefühl längst be ruhigt. Sein Eheglück hatte die wilde Hoffnungslosig keit einer ersten schmerzlichen Enttäuschung längst ge glättet. Er war selbst jetzt sehr zufrieden mit der Wen dung seines Schicksals; aber dennoch überkam ihn gerade nun die Rückerinnerung mit unerwarteter Gewalt. — Er ließ die Vergangenheit an sich vorüberzichcn. — Zwölf Jahre waren vergangen. Zwölf Jahre. Er war inzwischen wohlbestallter Gymnasialobcrlehrcr, zu friedener Gatte und glücklicher Vater geworden. Da mals war er nichts weiter als ein armer Hauslehrer bei dem reichen Baron von Arnim gewesen. Ohne jede Aus sicht auf Anstellung, ohne Mittel! Das hatte sich Alles bann so plötzlich, so zufällig geändert! Protection durch seine Emma, Geld, Versorgung in Berlin; Alles durch die Bekanntschaft mit ihr, durch ihre reine, treue Liebe. Da war eS nur natürlich, daß er an ihrer Seite den Schmerz überwand und die Treulose mit gleicher Münze strafte. Zuerst natürlich konnte er sich nicht zur Ehe entschließen. Drei Jahre hatte er gezögert und gezögert. Dann hatte sein jetziger Schwiegervater aber kurzweg eine Entschei dung verlangt. Er hatte Emma vor dem Altar die Hand zum ewigen Bunde gereicht. Was er ihr in jener Stunde ergriffen gelobt, das wollte er bis an sein Ende halten. So viel stand fest! — Trotzdem überkam ihn jetzt eine gewisse erwartende Freude. Er sollte sie Wiedersehen, vielleicht sprechen! Er konnte ihr zeigen, daß er Über ¬ wunden und glücklich geworden. Das heißt, die Möglich- lichkeit lag vor, daß sie es gar nicht war. Es gab eine Menge Brandau's im neuen deutschen Reiche. Doch „Großbrandau!" So hieß die Besitzung, das Stammgut jenes hochnäsigen, unangenehmen Mannes, der die Jagd zeit bei den Arnim's verlebte. Er mußte cs sein! Also auch sie! Marie, seine Marie! Die er angebctet, zu der er auf geschaut, wie zu dem Muster alles Vollkommenen. Marie von Witte, die schlanke, wunderhübsche Marie mit den grauen, klugen Augen, dem silberblonden Haar und den weißen Zähnen. — Wie weiblich, wie klug und wie freisinnig war sie gewesen unter jenen steifen Hoch- müthigen., Das heißt: sic war arm wie eine Kirchen maus und aus Barmherzigkeit als weit entfernte Ver wandte ausgenommen. Sic wurde bezahlt wie er. Sie war die Gesellschafterin -er ältesten Baronesse. Er der Erzieher der beiden Söhne. Ihre freien Stunden durften sie beisammen verleben. Während -er Feste im Hause blieben sie mit den Inspektoren, Förstern, Administratoren in dem Oberstock des Schlosses. In gleicher Weise wurden sie in ihrer Menschenwürde, in ihrem Stolze verletzt. Das bildete das erste Band zwischen ihnen. Sic, der Sprössling eines uralten, gleich vornehmen Geschlechtes, traf die Herablassung, die Nicht- achtiing noch weit stärker. Sie konnte dieselben Rechte verlangen. Nur ihre Armuth trennte sic von Jenen, nicht ihr Blut. — Ihre Erfahrungen hatten sic gereist, wcitschauend und demüthig gemacht. Frendig und voll zarter Liebe hatte sie sich ihm frei willig versprochen. Wie glücklich waren sie in ihrer Verborgenheit! Wie strahlend hatten sie sich die Zu kunft in ihrer engen Begrenztheit der Mittel ausgcmalt! In alle Bäume des meilenweit ausgedehnten Waldes, unter deren Wipfel er mit ibr auf ihren Wegen geruht, hatte er ein „W" und ein „M" cingeschnitten. Wilhelm und Marte! — — — — Unwillkürlich lachte Neubert jetzt laut und bitter auf. Der Klang dieses Lachens brachte ihn zu sich. Er richtete sich ans. DaS war ja längst vorbei! Ja, er hatte ihr sogar vergeben! — Die Versuchung war zu groß. Die Wahl zwischen dem Millionär, dem Grafen Brandau, und dem mittel losen Hauslehrer Neubert war nicht schwer! Als er mit seinen Zöglingen in der Stadt war, hatte sie sich ent schieden. Sic hatte den Reichen gewählt, ihn dem ge- liebten Bräutigam vorgezogen. Drei ihrer Briese ver brannte er ungelesen. Der junge Baron hatte ihm ge-
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