01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020606010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902060601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902060601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-06
- Tag1902-06-06
- Monat1902-06
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Tabellarischer and Htfferusa- entsprechend höher. — Sebübre» für Nachweisung«, und Osfertenaunahme Lö (rxcl. Porto). Grtra-lvellagm (gefalzt^ »ur mit der Morgen-Ausgabe, oh»e Postbesörderuag -ck 60.—» mit PostbefSrdermrg ^l 7V-— Ännahmelchluß für Xlyrisen: Ab end-«»»gab«: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittag» L Uhr. Anzeigen find stet» a» die Expedition zu richte». Die Spedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vo» früh S bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag vo» L. Polz i» Leipzig. 98. Jahrgang. Politischer Pessimismus. Die „M ittheilungenfürdieVcrtrauens- männer der nation alliberalcn Partei" unterziehen in ihrer letzten Ausgabe die Reichstagsersatz- wählen in Saarbrücken und Celle einer ausführlichen Er örterung. Sie gehen am Schlüsse auf die Aussichten ein, die in den gegenwärtigen Zeiten der wirthschastlichcn Gegen sätze und der Auswüchse des Fractionsgeistes eine Partei der nationalen Interessen und der wirthschaftlichen Mittel- linit. hat, und können diese Aussichten im Hinblick auf die nationalliberalen Wahlerfolgc in Saarbrücken und Celle günstig genug beurtheilcn: Iu Saarbrücken die unver minderte Entschlossenheit, den Machtgelüstcn und der Un duldsamkeit der Ultramontancn Schranken zu setzen, Alles übrige als Fragen zweiten Ranges zu behandeln: in Celle die achtenswerthc Einsicht, daß die Lebensbc- dingungen des preußischen Staates und des Reiches Noth leiden, so lange das Wclfenthum uns noch als Pfahl im Fleische sitzt, und eine weitgehende Rück sicht darauf, daß der Schädling vor Allem, und im ent scheidenden Augenblick gemeinsam, bekämpft werden muß. „Das sieht", meinen die „Mittheilnngen", „nicht darnach aus, als ob diePcssi m istcn recht zu behalten brauchten. Die Einsichtigen mögen nur ihre Einsicht, die Thatkräftigen ihre Thatkraft geltend machen." Wie hier der politische Pessimismus vom Standpuncte einer nationalen Partei aus abgewiesen wird, so ist das gleiche vom allgemeinen deutschen Standpuncte aus jüngst durch den Reichskanzler Grafen Bülow ge schehen. Den Anlaß dazu bot der Umstand, daß ein hoch stehender Mann -en Reichskanzler auf den Pessimismus hin anredete, der in nationalen Blättern bei der Bc- urthcilung der inneren und der auswärtigen Verhältnisse Deutschlands zum Ausdrucke gekommen ist. Der Reichs kanzler hat sich — so erfahren wir authentisch — zu dem gedachten Puncte dem Sinne nach folgendermaßen ge äußert: Bei der nationalen Presse bestehe ein Hang zu künstlicher Schwarzseherei, den er nicht als berechtigte Eigenthümlichkeit unserer Publicistik anerkennen könne. Grade die nüchterne Beurthcilung des allgemeinen Zu standes der einzelnen Großmächte müsse doch feststellen, daß keine mit dem Gange ihrer öffentlichen Angelegenheiten, im Innern wie nach Außen, so zufrieden sein könne, wie gerade Deutschland. Der vortheilhafte Abstand gegen die Verhältnisse in anderen Staaten sei doch so bedeutend, oatz ein Vergleich ernstlich kaum in Frage komme. Rußland mit seinen inneren Zuckungen, England mit den Nachwehen des südafrikanischen Krieges, Frankreich, dessen innere Ent wickelung nach dem Rücktritte Waldcck-Rvusseau's wieder vor einem Fragezeichen stehe, Pesterreich-Ungarn in seiner ethnographischen und politischen Zerrissenheit, böten keine Bilder, die uns das Gefühl erwecken könnten, als Nation oder als politische Macht hinter den anderen zurückzustehen. „Ich muß", sagte nach der Aufzeichnung unseres hoch stehenden Gewährsmannes der Reichskanzler wörtlich, „es als geradezu grotesk bezeichnen, wenn ein Deutscher die Zustände seines Vaterlandes trostlos nennen will. E s kann nicht Aufgabe der nationalen Presse sein,inunsermjungcn,kräftig« uf st rcben- den Reiche einen greisenhaften Pcssimis- muskün st lichzu züchte n." Indem der Reichskanzler diesem politischen Pessimismus das Beiwort „greisenhaft" gab, begegnete er sich mit manchem unserer zeitgenössischen Philosophen. Wir er innern nur an Friedrich Paulsen, der in seinem „System der Ethik" untersucht, ob die pessimistische moderne Lebensanschauung ein Anzeichen dafür sei, daß die euro päische Bölkerfamilie sich -em Gretsenalter nähere. Es ist hier nicht der Ort, auf Paulscn'S Ausführungen genauer einzugehen. Nur soviel sei bemerkt, daß Paulsen die Hin gebung an pessimistische Reflexion „eine nicht gefahrlose Sache" nennt. Paulsen begründet diese Auffassung u. A. in nachstehenden Sätzen: „Stetige Hinlenkung der Aufmerk samkeit auf die Schattenseiten des Lebens und der mensch lichen Natur wird beitragen können, den GemüthshabituS der Mcnschenverachtung und des LebcnSekels auch da her- vorzubringen, wo er nicht nothwendig eintreten mußte. Der thatkräftigen und gesunden Natur werden pessimistische Betrachtungen wenig anhaben, aber wo eine Disposition vorhanden ist, da kann sie durch einseitige Erfüllung der Vorstellung mit diesen Dingen zu krankhafter Verstimmung gesteigert werden. Wenn jemand beständig auf das Wetter Acht gäbe, ob es auch nicht zu warm oder zu kalt, zu naß oder zu trocken für ihn sei, so würde er vermuthlich bald dahin kommen, nicht drei Tage des Jahres zu einem Spaziergang geeignet zu finden." Was Paulsen hier über den Pessimismus als Lebens anschauung sagt, gilt mutatis rnutanäi» auch in Bezug auf den politischen Pessimismus: der politische Pessimismus hält vielfach von dem Gebrauche der Kräfte ab, deren Aus nützung die „Mittheilungen für die Vertrauensmänner der nationalliberalen Partei" auf das zutreffendste mit den Worten empfehlen: „Die Einsichtigen mögen nur ihre Ein sicht, die Thatkräftigen ihre Thatkraft geltend machen." Die Apotheker im Heere. Für die Gesundheitspflege ist der Apotheker nicht minder unentbehrlich wie -er Arzt, und schon von alter Zeit her gehören Arzt und Apotheker zu einander. Nur in unserem Heere war Lies auffallender Weise anders, und der Militär apotheker war in dem Rahmen des Heeres nur ganz lose etngefügt, kein Officiercorps und keine Beamtcnclasse, wie auch kein Dienstgrad und keine Rangclasse betrachtete ihn als zu sich gehörig — er stand in völliger Vereinsamung da, und doch hing von seiner Thätigkeit Gesundheit und Leben der erkrankten Soldateska mit ab. Dies ist nun mit einem Male anders geworden, nachdem der Kaiser am 14. Mai d. I. eine Cabinetsordre über die persönlichen, Dienst- und SinkommenSverhältntsfe der Milttärapothcker erlassen hat, wonach sie dem Sanitätscorps angegliedert werden. Dies wollte sie wohl zum engeren Anschluß nicht recht haben, aber nun hilft kein Sträuben mehr, und die heutige Vorbildung deS ganzen Apothekerstandes erfordert, daß man im Heere seinen einzelnen Mitgliedern auch die ihnen gebührende sociale Stellung einräumt. Der Militürapotheker ist in seinen ersten Dicnstjahren Soldat, späterhin wird er Beamter. Meist besitzt er die Be rechtigung zum einjährigen Dienst und genügt seiner Dienstpflicht tm activen Heere entweder ganz mit der Waffe, oder ein halbes Jahr mit dieser und den Rest als einjährig-freiwilliger Militärapotheker in einer Militär- lazarethapothekej worauf er als Unterapothekcr zur Re serve übertritt. Während dieser Zett ist er Soldat, und die Unterapotheker, sowie die einjährig-freiwilligen Militär apotheker gehören zu den Personen des Soldatenstandcs und stehen im Range eines PortepSünterofficiers, also wie der Fähnrich, und müssen mithin von den Soldaten ge grüßt werden. Die übrigen Militärapotheker gehören zu den oberen Militärbeamten und zerfallen in Oberapotheker, Stabs apotheker und CorpS-Stabsapotheker. Jedem Sanitäts amte eines Armcecorps ist zur Bearbeitung der pharma zeutischen und chemischen Arbeiten ein Corps-Stabs apotheker zugcthcilt, während beim Kriegsmtnistertum ein Oberslabsapotheker, der in der Eintheilung nicht besonders aufgeführt ist, thätig. Die Stabsapotheker sind den Chef ärzten in größeren Garnisonlazarethen zur Leitung des pharmazeutischen Dienstes unterstellt und unterstützen die Corps-Stabsapotheker bet chemischen Arbeiten. Diese drei Kategorien gehören zur fünften Classe der höheren Provin- zialbcamten. Die Oberapotheker, welche zu den mittleren Beamtei. zählen, und die Unterapotheker, soweit sie nicht zu Hebungen cinberufen sind, gehören dem Beurlaubten stande ar- und sind für den pharmazeutischen Dienst im mobilen Vcrhältniß bestimmt. Das Einkommen der Corps-Stabsapotheker und der Stabsapotheker besteht in dem etatsmätzigen Gehalt nebst Wohnungsgeldzuschuß und Servis. Das Recht auf einen Burschen ist ihnen aber nicht zugestanden, obschon dies bet den Corps- und Oberrotzärzten der Fall ist, selbstredend auch bet allen Sanitätsofsicieren. Beförderungen, Ver setzungen und Verabschiedungen erfolgen bei den drei oberen Classen, also bis einschließlich zum Obcrapotheker, durch das Kriegsministerium. Alle Militärapotheker er scheinen im Dienst in Uniform. Den einjährig-freiwilligen Militärapothekern und den Unterapothekern ist das Tragen von Civilkleidern auch außer Dienst nicht gestattet: Ausnahmen können in besonders begründeten Fällen durch den Corps-Generalarzt genehmigt werden. Kein Militär apotheker darf dienstliche Gesuche mit Umgehung seiner Vorgesetzten vorlegen: dienstlich unzulässige Gesuche muß der Vorgesetzte zurückgeben. Die Erlaubniß zur Ber- heirathung ertheilt der Generalstabsarzt der Armee für die Corps-Stabsapotheker und die Stabsapotheker, der Corps-Generalarzt für die einjährig-freiwilligen Militär apotheker. — Militärapotheker des Beurlaubtenstandes be dürfen zu ihrer Verheirathung einer Erlaubniß nicht. — Die vor dem 1. April 1902 angestellten Stabsapotheker stehen, so lange sie den Befähigungsnachweis für Nah rungsmittelchemiker nicht besitzen, den Oberapothekern im Range gleich, deren Uniform sie anzulegen haben. Die Be stimmungen über die einjährige active Dienstpflicht tritt erst am 1. April 1903 in Kraft: die Unterapotheker und Militärapotheker, die ihrer Dienstpflicht nach den bis herigen Bestimmungen genügen oder genügt haben, ge hören auch ferner zu den unteren Militärbeamten und tragen die bisherige Uniform. Nach der neuen Vorschrift werden sie aber Soldaten und sind allen bezüglichen Ge setzen und Bestimmungen wie diese unterworfen. Die Uniform ist im Allgemeinen bcibchalten: bei den drei oberen Classen ist das carmoisinrothe Tuch am Kragen u. s. w durch Sammet ersetzt worden: an die Stelle von gelben Knöpfen und Helmbcschlägcn sind solche von weißem Metall getreten, auch wird anstatt eines goldenen ein sil bernes Portepee am Jnfantcrie-Officierdegen getragen, das bei den beiden unteren Classen mit schwarzer, bei den oberen mit blauer Seide durchzogen ist. Der Paletot wird von allen fünf Kategorien in der für die Officiere vor geschriebenen Art getragen: die drei oberen Classen haben Epauletts und Achselstücke, die beiden anderen Schulter klappen, auch fällt bei diesen der Uebcrrock fort. Der Friedensschluß. Englischer Optimismus. * London, 5. Juni. In einem Leitartikel über den Fricdensschluß schreiben die „Times": „Den B o c r e n ist ihre Nationalität unter der britischen Flagge in Südafrika ebenso gesichert, wie die französische Natio nalität unter derselben Flagge in Canada, wenn ihre Vertreter dieselbe Loyalität und Zuneigung dem Reiche gegenüber bethätigcn, wie die französischen Canadier. Die Lieder, die die Hochländer und Boercn an den Wacht feuern von Bcreeniging nach Unterzeichnung deS Friedens zusammen sangen, der Act ritterlicher Höflichkeit, die hervorragendsten Boerencommandanten im Besitze ihrer Waffen zu lassen: die Louks Botha zugeschriebene Erklärung, daß der Tag des Friedensschlusses der glück lichste seit seiner Schulzeit sei (???), die Selbst beherrschung, die die britische Bevölkerung in Transvaal veranlaßte, von ungebührlichem Frohlocken abzustchen — das Alles sind Vorbedeutungen, woran die besten Hoff nungen für die Zukunft des neuen Südafrika geknüpft werden dürfen." Sei» Protest Krüger s. Nach Brüsseler Drahtungen der Morgenblätter wurde in der gestrigen Conferenz zu Utrecht unter dem Vorsitze Krüger's beschlossen, auf Erlaß eines öffentlichen Protestes gegen den Vertrag in Pretoria zu verzichten. Krüger und Leyds sind entschlossen, vorläufig in Holland zu bleiben, während Fischer, Wesiels, Wolmarans und die Beamten der bisherigen Gesandtschaft um die Erlaubniß zur Rückkehr nach Südafrika nachzusuchen beabsichtigen. Der Friedensschlutz und Deutschland i» der englische» Presse. Während die meisten der bedeutenderen Blätter Londons und der Provinz in ruhiger und sogar freundlicher Weise die in der deutschen Presse an dem Friedensschlüsse geübte Kritik „kritisiren", glaubt die alte Tante „Times" die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen zu dürfen, ohne der deutschen Nation sammt ihrer Regie rung und Presse in geradezu hämischer Weise die Leviten zu lesen und der deutschen Anglo- Phobia gegenüber mit dem „glorreichen" Abschluß deS südafrikanischen Feldzuges zu renommiren. In längerem Leitartikel wird u. A. besonders die deutsche Presse als außerordentlich bitter und ungerecht in ihren Commcntaren zu dem Friedensschlüsse zwischen Bocren und Briten ge schildert, und dann echt pharisäerhaft des Weiteren gesagt: „Es ist eine böse Enttäuschung für die Deutschen, daß wir unsere Kriegslasten ohne Murren und Zagen getragen haben (??), daß wir aus diesem Kriege stärker und mehr respcctirt hcrvorgegangcn sind, als wir cs vorher waren (???), und daß wir unsere imperialistische Position consolidirt und in jeder Hinsicht gefestigt haben. (?j „Die amerikanische Presse behandelt uns im Gegensätze zur deutschen durchaus sympathisch und gerecht, — und es ist ein großer Vortheil für uns, daß wir jetzt genau wissen, wer unser wirklicher Freund ist, und wo die bitterste Eifersucht auf unsere Weltmacht eifrig gepflegt wird." Nach diesen und ähnlichen Auslassungen bringt dann die „Times" noch einen endlosen Specialbcricht ihres Corrc- spondcnten in Berlin, der an protziger Ueberhebung, giftiger Rachsucht und rücksichtsloser Dcutschenhctze das denkbar mögliche leistete: „Der Werth deutscher Cornmen- tare zum Friedensschlüsse ist mindestens fragwürdig, denn sic repräsentircn größtentheils Neflectionen impotenten Hasses, der Enttäuschung und der verzweifelten Resignation. In den letzten 2^ Jahren hat man eine brillante Gelegen heit gehabt, ausfindig zu machen, wie die wirklichen Freunde und Feinde Englands auf dem europäischen Con- tinente vcrtheilt sind. Kein anderer Staat ist je so eifrig dabei gewesen, wie Deutschland, die fatalen Ideen der Bocren von unabhängiger Nationalität zu cncuragircn, vielleicht hat man in England die schönen Zeiten schon ver gessen, wo deutsche Kreuzer in Delagoa-Bai am Geburts tage des Mr. Krüger Salut feuerten, — wo Krüger (vor 16 Jahrcni den Berliner Hof besuchte und dort den „viel sagenden Händedruck" bekam, — und wenn wir auch das kaiserliche Telegramm gelegentlich des Jameson-Raids noch Feuilleton. Lebensbilder. Skizze von R. Tarina. viachtruck verboten.^ Saß einst an einem schönen Sommertage am Fenster von Pastors Wohnzimmer ein zehnjähriges Büblein mit seiner lateinischen Grammatik und lernte. Draußen lachte die Sonne, und unweit des Hauses rauschte die Tauber vor über. Sie hat hier ein starkes Gefälle und das Büblein wußte, daß in der klaren Fluth viel kleine Fische schwammen. Der Knabe war auf dem Lande ausgewachsen und liebte die Natur leidenschaftlich. Er seufzte ein paar Mali tief auf. Die Frau Pastor war mit ihrer Kinder schaar im Garten vor dem Thore des Städtchens. Der Herr Pastor arbeitete in seinem Studierzimmer an seiner Predigt. Schnell entschlossen legte er daS Buch bei Seite und nahm die Mütze vom Nagel. Draußen im Flur lehnte in einem verborgenen Winkel seine Angelruthc. Eine Fliege wurde an der zmn Angelhaken zurecht gebogenen Ruthe befestigt und eilig ging's an das Flußufer, wo schon eine Menge Knaben und Mädchen versammelt waren. Theils angelten sie selbst, thcils schauten sic mit Interesse dem Schauspiel zu. Unter den Kindern befand sich ein kleiner pausbäckiger Junge im langen Röckchen. Er kam dem Ufer zn nahe, fiel in s Wasser, und die Fluth trieb ihn rasch weiter. Die Kinder erhoben ein grotzcS Geschrei und liefen tm Schrecken davon. Anders unser Büblein. Er sah bas Kind, dessen Röckchen sich über dem Wasser bauschte, gegen sich hcrantrcibcn. Mit großer Geistesgegenwart kniete der kleine Adolf am Ufer nieder, erhaschte das Kind beim Röckchen, zog eö heraus, und stellte cs auf die Beine. Die anderen Kinder kamen nun wieder herbei und führten den kleinen Verunglückten nach Hause. Daheim, beim Herrn Pastor, bet dem Adolf in Pension war, setzte cs eine ernst liche Strafpredigt wegen der versäumten lateinischen Stu dien mit der Quintessenz: „Fischefangen und Vogelsteller: verdirbt manchen guten Gesellen." Doch die Geschichte geht noch weiter. Wenige Tage darauf begann der große Jahrmarkt, ans den sich die ge- sammte Jugend deS Städtchens schon seit Wochen freute. Alle Kinder hatten von ihren Eltern Metzgeld erhalten, nur unser Büblein war leer ausgegangcn. Er wagte nicht, den gestrengen Pfarrherrn um Geld anzugehen. So stand er denn tief betrübt vor dem Caroussel, auf dem die Holz pferdchen so flink im Kreise liefen. Beim Klange der Musik ritten seine Kameraden, kleine Degen in der Hand, mit denen sie Ringe stachen. Da berührte plötzlich jemand seine Schultern. Ex sah sich um, ein noch junger freundlicher Bürgersmann stand hinter ihm. „Bist Du der Knabe, der meinen Kleinen aus der Tauber gezogen hat? Ich bin der Glasermetster, der an -er Brücke wohnt, und möchte Dir gern eine kleine Freude machen. Nimm hier, mein Lieber, einen Gulden Mcßgcld." Aber anstatt zuzugreifen und auf ein Pferd zu steigen, was er sich eben so sehnlichst gewünscht hatte, machte sich man nicht im trau begnügte sich nich weiter, und wir Assistenzarzt in W der Kleine eiligst davon. Er fühlte sich ttefbeglückt, hätte aber um keinen Preis Geld für seine That angenommen. Nachdem er eine Strecke gelaufen war, sah er sich nach dem Glaser um. Der stand noch am Caroussel und sah ihm lächelnd nach. Ein vornehmer edler Sinn offenbarte sich schon in dem Kinde. Aus dem Büblein wurde ein Mann, und zwar ein Mcdiciner, der eS außerordentlich ernst mit seinem Stu dium nahm. AIS junger Assistent von breiundzwanzkg Jahren verfaßte er schon ein bedeutendes Werk, das ihm den Preis der Un versität Heidelberg etnbrachte. Doch er mit diesen Lorbeeren, arbeitete rastlos inden ihn als fünfunbzwanzigjährigen Assistenzarzt in W en wieder. Es ist Weihnachtsabend und die Hcimath ist fern. Da '' l tchen Familienkreise den Abend verleben kann, beschließt unser junger Arzt mit zwei gleichfalls ein samen Freunden, den heiligen Abend, so gut cS geht, zu verbringen. Zuvor aber besucht er mit einem Studien genossen seine Hauswtrthin, eine artige Wienerin, die ihren beiden Zimmerherren manche Gefälligkeit erwiesen hat, um sie zu fragen, womit sic ihrem lieblichen Töchterlein eine Freude machen könnten. Die Frau empfängt sie mit be trübter Miene. Ihr Mann wolle nichts von Christbaum und Bescheerung wissen. Er stamme vom Lande und hej ihm zu Hause würfen die Leute das Geld nicht so unnütz -um Jenster hinaus. Sie hätte ihrem Kinde eine Puppe ^eige Grethel« hescheeren «ollen, er aper gebe eS »ich; zu. Die beiden Herren hörten, daß der Mann ein Landsmann von ihnen sei und schämten sich seiner Filzigkeit. Sic gingen eilends fort und kauften einen schönen Christbaum nebst dem nöthigen Zubehör und eine niedliche Puppe. Nachdem sie die Schätze heimgebracht, riefen sie die Mutter und baten sic, ihnen den Baum schmücken zu helfen. Mit zitternden Händen, Thräncn in den Augen, stand sie ihnen bei, die Lichter wurden angczündct und es wurde geklingelt. Das Kind kam schüchtern herein, zuerst sprachlos vor Staunen über den leuchtenden Baum. Als die Herren ihr aber die Puppe zeigten, die ihr beschert war, stürzte sie darauf zu und drückte sie fest an die Brust mit dem Schrei: „A Grcthel, a Gretbcl!" Der Alte war hinter ihr heretngekommcn und lachte mit dem ganzen breiten Gesichte. Die lustigen Herren ver mahnten ihn, sich zu bessern und in Zukunft weniger filzig zu sein. Sie waren so vergnügt geworden, als hätten sic die schönste Bescheerung zu Hause erlebt. Das waren fröhliche Lichtpunkte tm ernsten Studien leben. Die Weltlage war unterdessen sehr unsicher ge worden. Man erwartete allgemein große Kriege und das badische Kricgsministerium forderte deshalb die Acrztc auf, in's Heer cinzutrcten. Auch unser Doctor Adolf leistete dem Rufe Folge. Die politische Bewegung war anhaltend im Steigen begriffen. Große Volksversammlungen wurden abgehalten. Die Revolution 1848 brach aus. In diesem Jahr zog unser Doctor als Keldarzt mit dem Heer nach Schleswig-Holstein. 1849 ging eS abermals, diesmal als Oberarzt nach Schleswig-Holstein. In Baden war.unterdesscn das Standgericht cingeführt worben. 6000 Aufständische wurden den düsteren feuchten Kasematten -er badischen Festung Rastatt zugcführt. Da stellten sich neben Hunger und Durst allerlei Leiden ein. Die Errichtung eines Nothlazareths machte sich dringend nöthig. AlS Arzt wurde unser Oberarzt Adolf berufen. Hier waltete er nun mit Aufopferung seine Kräfte, bemüht, Leiden zu lindern, Schmerzen zu stillen, und -en armen, kranken Gefangenen ihr LooS zu erleichtern. Einer der StandrcchtScanbidaten in den Räumen -cs Nothlazarcths war ein Dachse, NamenS PeterS. Er lag, von mäßiger Ruhr befallen. Tag und Nacht zu Bette, sah elend aus und tief bedrückt. Was er begangen, erfuhr der Oberarzt erst später. Er war Literat und hatte sich bet einem Ausfall Md dem «ULtjn-rn eines Dörfchen- fo hervorgethan, daß ihm das Todcsurtheil gewiß erschien. Im Lazareth war ein Vcrhörzimmer eingerichtet worden. Die Sache war schließ lich spruchreif geworden und der Oberarzt wurde vom Untersuchungsrichter in's Vcrhörzimmer gebeten und be fragt, ob „Herr Peters" nunmehr soweit hergcstcllt sei, daß er vor dem Gericht erscheinen könne. Der Arzt sah in der Ecke des Zimmers den armen Menschen, welcher die Hände rang und ihm flehende Blicke zuwarf. Da regte sich wieder sein gutes Herz und seine Menschenfreundlichkeit. Er antwortete, daß die Kräfte des Patienten viel zu wünschen übrig ließen und auch sein Leiden noch nicht behoben sei. Mit diesen Worten rettete er das Leben des Angeklagten, denn das Standgericht wurde bald darauf aufgelöst und Peters verbüßte seine Strafe im Zuchhause. Peters ließ sich später als Schriftsteller in Leipzig nieder, und vcrhcirathete sich 1856 mit der Schriftstellerin Luise Otto, die sich um die Hebung -er weiblichen Bildung und die Eröffnung neuer Berufszweige für Frauen große Verdienste erwarb. Ihre Ehe war ideal, doch starb Peters schon 1864. Vor einigen Jahren wurde der verdienten Frau bekanntlich auf dem ehemaligen Johannisfriedhofc ein Denkmal gesetzt. Und wer war der edle Mann, aus desscnHandlungswcise ein so großes Herz spricht? Mancher Leser wird cs schon errathen haben: Professor Dr. Adolf Kußmaul, der vor wenigen Tagen, am 28. Mai, im gesegneten Alter von achtzig Jahren zur ewigen Ruhe einging, ist der Held der vorstehenden kleinen Geschichten. Seine spätere Laufbahn war an Ehren reich. Der Kaiser verlieh ihm den höchsten Titel, Wirklicher Geheimer Rath, Excellenz, und Kußmaul freute sich darüber. Obige Erzählungen sind seinem Werke „Jugenderinner ungen eines alten Arztes" entnommen. Wer mehr auS dem Leben dieses hochherzigen Mannes erfahren will, suche in -em Buche nach. Leider bespricht eS nur die Jugend jahre und den Bildungsgang des Verfassers, doch bietet cs nicht nur ein wissenswertheS Bild von dem damaligen Stande -er medictnischen Wissenschaft, sondern auch von dem Entwickelungsgange eines großen und bcdcutcndeik Mannes, auf dessen Lebensweg di« goldene Sonne des Humors geleuchtet hat. Sein Buch schließt mit den Worten: Der Abend verglüht und die Nacht bricht ein, O flimmernder Staub im Sonnenschein, Bal- wirst Dü im Dünkel verschwunden fein!
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