Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020607012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902060701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902060701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-06
- Tag1902-06-07
- Monat1902-06
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-.Pret- t» der Hauptexprdttion oder den im vtadd- b«»irk und den Vorort« errichtete» Aus- gaLestellra abgeholt: vierteljährlich L.80, — zweimaliger täglicher tu« Hau» ^l 8.80. Durch di« Post bezog« für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich st, Pir die übrigen Länder laut ZeituugtpreiSlist«. Nedaclion und Lrpeditio«: IohanniSgasse 8. Fernsprecher 183 und A». Fi iiaieopeditisrrri» r Alfred Hahn, Buchhandlg, llutversität-str.8, 8. Lösche, Käthe ri^rustr. Ich ». KöuigSpl. 7. Haupt-Fittale Vresdeu: Strehlenerstraße S. Fernsprecher Amt I Nr. I7Ich Haupt-Fittale Lrrlin: Königgrätzerstrab« 116. Fernsprecher Amt VI Nr. S39L. Morgen-Ausgabe. MWgcr^TllKMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Volizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Iinnahmrschluß für Älyeigeu: Sb end-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-LuSgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stet» an die Expedition za richte». Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abends 7 Uhr. Extra-Beilage» (gesal-H nur mit der Morgen «Ausgabe, ohne Postbeförderung 80.—, mit Postbefördernng 70^—» Anzetgeu.PreiS die flgespaltme Petitzeile 2L Reclamen nut« demNedacttonSstrich (4 gespalten) 78 vor den Fannltenaa^- richteu (8 gespalten) 80 H. Tabellarischer und Htffernsah entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 28 H (excl. Porto). Nr. 284 Sonnabend den 7. Juni 1902. 96. Jahrgang. Ein Rückblick auf die sächsische Steuerreform, i. Das Werk der sächsischen Steuerreform ist am 29. Mai in der Ersten Kammer unter dröhnenden Donnerschlägen, die von außen in den friedlichen Sitzungssaal hineinklangen, und am 30. Mai in der Zweien Kammer unter grollendem Donner und elektrischen Entladungen im Innern der Kammer zum Abschluß gebracht worden. In der Presse erweckt dieser letztere Donner ein vielfaches, die Wirkung noch verstärkende» Echo, ein großer Theil deS Publicum- aber steht fragend dem Vorgänge gegenüber, weil eS noch nicht recht weiß, um was eS sich denn eigentlich handelt. Denn in der Thal kaum je hat in einer großen Frage die Verhandlung in den berufenen Organen, in der Presse, in Versammlungen so wenig aufklärend gewirkt, wie gerade in dieser, der Steuer reform. Es soll daher in dem Nachfolgenden der Versuch gemacht werden, in möglichst objectiver Weis« einen Urbrrblick über die nun abgeschlossenen Verhandlungen und da- darau hervorgegangene Werk zu geben: Bereits bei den eingehenden Verhandlungen zwischen dir Regierung und den Ständen, wie zwischen den beiden Kammern, die dem Erlasse de- Einkommensteuergesetze- vom 22. December 1874 vorauSgingen, hatte man der Erkenntniß sich nicht v«r- schlossen, daß vie Einkommensteuer einer Ergänzung bedürfe, welche da- sog. fundirte Einkommen, d. h. da» auf Besitz begründet« Einkommen, etwa- schärfer treffe, al- da« au« reiner Arbeit fließende. Es waren auch verschieden« Versuch« gemacht worven, um diesem gesetzgeberisch«» Bedürfniss« zu gtuügeu, allein man gab sie schließlich auf in V«r Befürchtung, durch sie die Hauptsache, dir Einführung der Einkommensteuer, zu gefährden. »Man beruhigt« sich deshalb", wir e« in dem Depu- lation-berichte der Zweiten Kammer heiß», „bei brr Er wägung, daß der Gedanke durch di« Betbehaltuna «ine» Theils der Grundsteuer zum Theil eine gewisse Verwirk lichung gefunden habe, daß durch die Declarationspfltcht da» Rrntenrinkommrn wahrscheinlich höher wie bisher wird» ge- troffen werden. So könnten sich auch di« entschied,»«« An- bäuger der Vermögenssteuer jene- U«b«rgaaa-» st adium gefallen lassen. Inzwischen werde durch di« vier gegebene Anregung der Gedanke einer Verbindung der ver- mögen-steuer mit der Einkommensteuer näher gebracht und gewiß auch von der Regierung in Erwägung gezogen werden." Als „UebergangSstadium" wurde da» damals Geschaffene also ausdrücklich bezeichnet. Der Einführung de» Gesetzt- von 1874 ging bekanntlich «ine Probeeinschätzung voraus, und in der Denkschrift, die die Regierung auf Grund derselben dem Landtage vorlegte, erklärte sie nun, daß sie an ihrem früher wiederholt dargelegten Standpunkte einer theilweisen Bei behaltung der Grundsteuer unverändert festhaltr, und sie be gründete dies durch den Hinweis auf die historisch her gebrachte höhere Besteuerung de- Einkommens au» Grund besitz, die größere Sicherheit de- in Grundbesitz angelegten SubstantialvermögenS und den bei steigender Eultur natür lichen Werthzuwachs de- Grundbesitze-. Mit dem revidirten Einkommensteuergesetz vom 2. Juli 1878 wurde nunmehr die Grundsteuereinheusabgabe von 9 auf 4 ^ herabgesetzt. Damit war zwar dem Grundbesitze im Allgemeinen wohl «ine Ent lastung gewährt, aber es blieb doch eine DorauSbelastung gegenüber dem übrigen Bermögeu-besitz übrig, und e« blieb deshalb die Frage zu lösen, ob und wie auch der übrige Vermögen-besitz gegenüber dem Arbeitseinkommen zu einer verstärkte» Besteuerung beranzuziehen sei? ES gab dabei drei Wege: 1) die Einführung einer allge meinen Vermögenssteuer vom gelammten unbeweglichen und beweglichen Vermögen, 2) di« Ergänzung der Grundsteuer durch eine Gewerbesteuer vom gewerblichen Capital und eine Capitalrentensteuer vom Rentencapital und 3) die Ein führung einer Bermögen-steuer von dem durch die Grund steuer nicht betroffenen Capital. ES fehlte und fehlt nicht an solchen Stimmen, di« über haupt eine weitere Ergänzung der Einkommensteuer durch eine andere Steuer, als die Grundsteuer, nicht für nöthig hielten und glaubten, daß eS genügen werde, vorübergehenden Mehrbedarf durch Zuschläge zur Einkommensteuer zu decken. Allein di« Erkenntniß, daß damit dem Besitz« von beweglichen Vermögen doch eine Bevorzugung zu Theil werde, und vielleicht noch mehr der stetig wachsende Mehrbedarf der dauernden Staatsausgaben, die man im falschen Vertrauen auf den dauernden Charaktrr der großen Eisenbahaüber- schliff« und di« Ueberweisungea au- dem Reiche außerordent lich gesteigert batte, führten doch di« Nothwenvigkeit vor Augen, dat System der sächsischen Steuern durch Einführung «iner neuen direkten Steuer gerechter und tragfähiger zu gestalten. Hierbei war es natürlich präjudicirlich, wi« man sich zu der Frag« d«r Aufrechterhaltung od«r Beseitigung der Grund steuer stell», d«nn der «rst« d«r oben angtdeutet«» Weg« war zwar theoretisch möglich, wenn man dir Grundsteuer theil- weise beibehalten Wollte, wie die- z. L. in Braunschweig ge schehen tst, hatte aber in Sachsen doch keine Aussicht auf praktische Verwirklichung. Zur allgemeinen Ueberraschung nun verließ die köaigl. Ltaatßr«gi«rung in ihrem v«m Landtage l 897/98 vorgelegten Decrete den dishrr u»v«ränd«rt ,i»g«nommen«n Standpunkt vollständig, indem sie die Grundsteuer nicht nur gesetzgeberisch als StaatSsteuer ganz ausaab, sondera auch theoretisch aus da« Schärfst« v«rurth«iltr, dafür ein« allgemeine Ver mögenssteuer nach preußischem Mustrr und daneben noch eine Erbschaftssteuer mit AuSvehnuug auf di« Desc«udenten und scharfer Progression «ach d«r Größe des Vermögen» vorschluz. Bekanntlich fanden di« Borscbläa« der Regierung nicht die Billigung der Kammern; die Regierung legte aber dem Landtage 1899/1900 keine neuen Gesetzrntwürf« vor und e- sah deshalb die Zweite Kammer sich veranlaßt, ihrerseits die Initiativ, zu ergreifen. Ein« freiwillig« Commission au- allen Part«iea trat zusammen, der außer den beiden Mit gliedern, unter deren Namen die Anträge dann in erster Linie gingen, vr. Mehorrt und Georgi, die Abgg. Behren», Däbritz (Nischwitz), Enk«, Hähnel, Härtwig, Kellner, 0r. Schill, Schuban, Steiger angehörten. Die Genannten erklärten in einem Anträge vom 4. Mai 1900, daß sie im allgemeinen auf dem Böden der in der Beilage D dargelegten Aus führungen ständen und beantragten: Die Kammer wolle beschließen: 1) in der Erwägung, daß die finanziell« Lage de» Landes gebieterisch d:e Aufbringung erhöhter Mittel au» direkten StaatSsteuer» erfordert und in der weiteren Erwägung, daß die Aufbringung dieser Mittel auf dem Wege bloßer Steuerzuschläge nicht an gezeigt erscheint, die königl. StaatSregieruog zu ersuchen, unter Anhalt an diese Ausführungen dem nächsten Landtage rutsprechende Gesetzentwürfe vorlegen zu wollen. In der Beilage (-) wurden nach einem historischen Rück blicke auf die Steuerreform und Entwickelung der Noth- Wendigkeit, neue direkte Steuern einzuführen, die verschiedenen Möglichkeiten hierfür einer Erörterung unterzogen. In lieber- einstimmung mit früheren Erklärungen der Staatsregierung wurde der Weg einer Höherbesteuerung de- fundirten Ein kommens im Nahmen der Einkommensteuer als ungangbar bezeichnet. Ebensowenig wurde die Einführung einer CapNal- rentensteuer vorgeschlagen, eine Gewerbesteuer, wenigstens als StaatSsteuer, wurde für bedenklich erachtet. Hiernach wurden die gegen eine allgemeine Vermögenssteuer erhobenen Bedenken noch geprüft und die Ausführungen kamen zu dem Schluffe: „Mit Rücksicht auf die besonderen Schwierigkeiten, welche sich einer gerechten Veranschlagung der im Grundbesitz bestehenden VermögenSwertbe enigegenstellen, und der von dem Erfolge ver Grundsteuer durch eine Vermögens- - steuer zu erwartenden tief einschneidenden Lastenver- Verschiebungen empfiehlt es sich, die bestehende Grundsteuer beizubehalten und eine Ver mögenssteuer nur auf da-bewegliche Vermögen zu legen." Die Zweite Kammer nahm diesen Antrag in der Sitzung vom 9. Mai 1900 mit 84 gegen 6 Stimmen (!) an. Damit hatte also die Zweite Kammer ihr Steuerprogramm auf gestellt und diese« lautete: neben einer Aenderung der Scala m der Einkommen-Steuer: Erhaltung der Grundsteuer und Vermögenssteuer von dem hiervon nicht betroffenen Vermögen. Di« Erste Kammer fand zwar mit Rücksicht auf den nahen Schluß des Landtags keine Gelegenheit mehr, zu dem Anträge Stellung zu nehmen, doch wurde «s von einrm Mitglied« d«r Ersten Kammer ohne Widerspruch al- einstimmige Meinung des Hause» hingestrllt, daß dir Regierung in Sachen der Steuerreform wiederum di« Initiative ergreifen möchte. Der Präsident der Zweiten Kammer, Geh. Hofrath 0r. Mehnert, hat bei Begründung de» Antrag» in freund licher, anerkennender Weise de« Antbeils gedacht, den an dem Anträge der Verfasser dieser Zeilen gehabt bat, und Letzterer darf darau- wohl umsomehr seine Legitimation ableiten, die Stellung der Ersten Kammer, welche, wie sich ergeben wird, im Wesentlichen ja nur auf die Durchführung des von der Zweiten Kammer ausgestellten Programm» hinauSlief und welche zu unterstützen er schon deshalb sich für verpflichtet «rächtet hat, auch vor weiteren Kreisen klar zu legen und zu rechtfertigen. Der Friedensschluß. Der »Standard" berichtet au- Brüssel: Botha, der hier zum Beginn de» Juli erwartet wird, ist von den Boerrndelegirten beauftragt worden, Krüger die Umstände zu erklären, welche die Delegirten nöthigten, die britischen Bedingungen anzunchmen. Botha wird versuchen, Krüger zu bewegen, den Widerstand aufzugeben und nach offener An erkennung deS Pretoriavertrages in der neugeschaffcnen Lage nach Südafrika zurückzukehren. Treck nach Deutsch-Südafrikas Aus Rotterdam wird der „Frkf. Ztg." berichtet: Es ist richtig, daß von vielen Boeren ein Treck, und zwar Haupt- sächlich nach Deutsch-Südafrika geplant wird. Es handelt sich dabei jedoch fast ausschließlich um Capcolonie-Boeren und andere, die von England Strafe befürchten; diese, ihre Familien und ihre Freunde werden auswandern wollen. Auch wird der Stimmrechtsverlust für viele Boeren eine härtere und erniedrigendere Strafe sein, al» man denkt, da im englischen Südafrika unter gewissen Umständen Kaffern und Mischlinge stimmberechtigt sind. Da- wird den Zufluß nach dem deutschen Gebiet vermehren; denn gerade dem deutschen Gebiet sprechen die Boeren große Zukunft zu. Von einer Seite, deren politisch hervorragende Stellung und voll kommene Kenntniß der Verhältnisse Südafrika» ihr eine besondere Gewichtigkeit des Unheils giebt, wird mir gesagt, baß Deutschland den größten Fehler machen würde, fall- r» diesen Auswanderern Schwierigkeiten in den Weg legen wolle. Deutschland könne sich kein« besseren und friedfertigeren Colonisten wünschen, um da- größten- theil» wild valiegende Gebiet nutzbar zu machen. Eine wirthschaftllch einschneidende Frage wird eo sein, wie man Ersatz für die Basutos finden wird, welche in den Goldminen vor dem Kriege gearbeitet haben. Durch allerhand Kriegsdienste für England haben die meisten genug verdient, um Vieh zu erwerben, das sie für Frauen ein tauschen; und der Besitz von Frauen, die für sie arbeiten, ist Vie einzige Triebfeder, vi« di« Basutos zur Thätigkeit spornt. Der Lohn für weiße Arbeiter ist ein ungeheuer hoher in Süd afrika, wa« für den Betrieb der Minen sich für länger« Zeit recht nachtheilig äußern dürft«. Wie es mit -er Eclbstverwaltu»g t» Südafrika aussehe« wird. In den mit den Boerenführern vereinbarten, für bas tapfere Bverenvolk so wenig günstigen Friedens bedingungen ist gesagt, baß eine Selbstverwaltung ein geführt werben soll, sobald bte Umstände eS gestatten; Vic Frage, ob dann auch die Eingeborenen das Wahlrecht er halten sollen, bleibt vorläufig unentschieden. Wie sich die Engländer den Zeitpunkt der Einführung und bte Art dieser Selbstverwaltung denken, geht uuß den parlamentarischen Zuständen hervor, die zur Zett in der Eapcolonic herrschen. Dort hatte bet den letzten all gemeinen Wahlen das holländische Element eine, wenn auch nur geringe Majorität erhalten. Diese Mehrheit wurde dann durch allerlei Kniffe und Gewaltstretche des eng lischen Gouverneurs beseitigt. Jetzt vollends, wo die Aus sichten für daS englische Element besonders günstig stehen, will man reinen Tisch machen. Der Premierminister Zprigg hat erklärt, daß das Parlament werde aufgelöst werden und er hat zugleich seiner Zuversicht Ausdruck gegeben, daß die Neuwahl eine starke Regierungsmehrheit herbeiführcn würde. Diese Zuversicht erscheint nur allzu gerechtfertigt, denn einmal ist durch den unglückseligen Krieg die Widerstandskraft des holländischen Elementes Feuilleton. Sechs Monate unter Kaubern. Die englische Missionärin Miß Ellen Stone setzt in der Juni-Nummer von Mac Elure's „Magazine" den Bericht über ihre und Frau Zilka's Gefangenschaft bet den Räubern fort. Sie schreibt: „Es war ein gedrängt voller, von Lärm erfüllter Raum, in den wir geführt wurden, um den zweiten Brief an die Außenwelt zu schreiben, in dem wir wieder unsere Gefangennahme melden und die Summe des erforderlichen Lüscgeldes mittheilen sollten. Waren uns die Räuber schon von Anfang an schrecklich gewesen, um wie viel mehr mußten wir sic nun fürchten, da ihre Hoffnungen auf die baldige Bezahlung des riesigen Löse geldes gescheitert waren. Dieselben drei Männer setzten sich wieder, bis zu den Zähnen bewaffnet, vor uns nieder, und ihre Worte, sowie ihr ganzes Benehmen waren viel wilder, als das erste Mal, so daß unser Herzschlag still stand. Wir saßen im Winkel, hilflose Gefangene, auf den Tuchmäntcln, die während der ganzen Gefangenschaft da- Einzige blieben, worauf wir sitzen oder liegen konnten. Wieder war der, den wir für den Wojwoben hielten, der Sprecher. Er war derjenige, den wir unter uns den „bösen Mann" nannten, nur daß wir beim monatelangen Gebrauche der Bezeichnung das Eigenschaftswort zu einem einfachen b abkürzten, bis der denkwürdige Tag kam, an -em uns Gott auf wunderbare Weise, Räuber und Ge fangene, aus höchster Gefahr errettete. An jenem freudigen Tage verziehen wir auch dem „bösen Mann", und Frau Ztlka sagte, daß er ihr dann wie ein „Engel" erschienen sei. Nachdem er uns kurz mitgethctlt hatte, daß unser erster Versuch, mit der Welt in Verbindung zu treten, und eine Action zu unserer Befreiung ins Werk zu setzen, miß lungen sei, befahl dieser Wojwode mit dem grausamen Ge sicht und den grausamen Worten, ich möge einen zweiten Versuch machen. Er verlegte den Schauplatz der Ver handlungen von Makedonien nach Bulgarien, von BanSko an den Abhängen des Pcrtm-GcbirgeS nach Samakow am Paffe zwischen dem Rhodope- und Rtlo-Gebtrge. Er befahl mir, einen unserer Missionäre auszuwählen, an den der Brief gerichtet werden könne und dem ich unsere Ge fangennahme mittheilen und die Nachricht verkünden mußte, daß die Räuber für unsere Befreiung 25000 tür kische Pfund begehren. Auch soll ich ihm über den ersten verunglückten Versuch der Korrespondenz mit der Außen welt berichten und ihm sagen, daß von zwanzig Tagen, die man als Frist für unsere Befreiung gesetzt, schon elf verstrichen seien. Ich mutzte den Missionär ersuchen, so fort nach Konstantinopel zu reisen, und einen zweiten Brief, der dem ersten beigeschlossen würde, an den Re- verend Peet, Schatzmeister der türkischen Missionen des amerikanischen MifftonS-AmteS, abzugeben. In dem zweiten Briefe mußte ich Mr. Peet ersuchen, daß er vom amerikanischen Gesandten bet der Pforte ver- lange, batz sofort alle Verfolgungen der Räuber durch tür kische Truppen aufhörrn, denn wenn es zu einem Zu sammenstoß käme, wäre unser Leben in -er äußersten Ge fahr. Die Räuber würden sich dazu verstehen, die Frist für die Ausbezahlung des Lösegeldes um fünfzehn Tage zu verlängern. Ich bat um zwanzig Tage, und so kam ein Kompromiß von achtzehn Lagen zu Stande. Wir hatten also noch siebenundzwanzig Tage zu leben. In siebcnundzwanzig Tagen mußten unsere Briefe durch einen Boten zu Fuß nach Samakow gebracht werden, der Missionär mutzte nach Konstantinopel reisen, von wo erst die Kunde in bte Welt dringen konnte. Hundcrtundzchn- tausend Dollar- — nicht einen Para weniger — sollte man für uns bezahlen! Die Geldgier unserer Räuber machte uns da- Herz sehr schwer. Nun erfuhren wir aber eine ganz veränderte Behand lung seitens der Räuber. Sie waren uns wohl anfangs schrcckenerregend vorgckommen, aber nachdem sie uns ein. mal gesagt hatten, zu welchem Zweck sie uns etngefangen, erkannten wir, daß sie unablässig bemüht waren, uns so menschlich wie möglich zu behandeln. „Wir haben euch des Geldes wegen gefangen", sagten sie kurz und bündig. „ES liegt in unserem eigenen Interesse, euch gut zu halten, damit wir das Lvsegeld bekommen." Daher die Sorge, daß wir bei unseren nächtlichen Ritten nicht sielen, daß wir keinem gar zu rauhen Wetter ausgesetzt würden, daß man unS so reichliche und abwechselnde Nahrung verschaffte, wie eS unter den gegebenen Umständen möglich war, daß man unS sogar manchmal ein freundliches Wort gönnte. DaS wurde aber jetzt Alle« ander«. Da sich der erste von mir bezeichnete Unterhändler als unzuverlässig erwiesen hatte und so viele kostbare Zeit verloren gegangen war, wollte man unS mit größter Strenge behandeln, und wenn der zweite Versuch, die Unterhandlungen anzubahnen, etwa wieder scheiterte, bann wollten sie nicht länger mit sich spielen lassen. „Dann giebt eS eine Kugel für dich und eine Kugel für bte da", fagte der furchtbare Wojwode wieder. Mit der Empörung im Herzen über das Benehmen der Männer, bte eS gewagt hatten, uns unserer von Sott ver. ltehenen Freibett zu berauben, aber im vollen Bewußtsein, daß jeder Widerstand unmöglich sei, stand ich aus meinem Winkel auf und setzte mich auf einem aus der Mauer vor- stehenden Balken. Einer ber Räuber holte aus der Um- Hängetasche, die jeder von ihnen em Riemen auf de« Rücken trug, etwas verdrücktes Papier, eine Flasche Tinte und eine Keder hervor. Dann näherten sie sich, um mich beim Schreiben im Auge zu behalten. Ich bat sie, doch wegzugehcn, während ich die zwei Briefe schrieb. Sic erklärten, daS sei nicht möglich. „Wer weiß, was du Alles zu schreiben im Stande bist, wenn wir nicht Acht auf dich geben?" Ich versicherte, ich würde nur schreiben, waS sie mir befohlen hatten, und jedes Wort ihnen zeigen, aber sic nahmen die Versicherung höhnisch auf und ver wendeten kein Auge von meiner schreibenden Hand. End lich waren die Briefe fertig und abgeschrieb-n, und ich hatte von der unter solchen Umständen schwierigen Arbeit irritirtc Nerven, erhitzte Wangen und Kopffchmerzcn. „Jetzt schreib' eine Vollmacht, daß der Ucberbrmger -er Briefe die ganze Summe des Lösegeldss entgegen- nehmen darf — die Summe schreib' in Buchstaben und in Zahlen, und darunter Deinen Namen", herrschte mich der Wojwode an. „Wäre es nicht möglich, einstweilen einen Theil ber Summe zu verlangen?" fragte ich, denn nur so hielt ich unsere Befreiung für möglich. „Nein, es muß die ganze Summe sein. Und daß Du's weißt, es darf hier kein jüdisches Feilschen geben!" war die brutale Antwort. In meinem Herzen unterlag die Klugheit der Em pörung, die ich empfand, denn ich wußte, daß ich mein eigenes TodeSurtheil unterzeichnete und das meiner armen Leidensgefährtin dazu. Wüthend schrie ich: „Ich hoffe, daß einige Eurer Schwestern, wenn Ihr welche habt, daß sie Alle einmal in eine so schreckliche Lage kommen wie die, in welche Ihr uns versetzt habt." Der Räuber ließ seine Augen unheilverkündend funkeln: „Du sähest es gerne, wenn ein Bruder seine Schwester tödtet? Jst's daS, was Du sagen willst?" — „Nein", erwiderte ich, „ich möchte nur haben, daß Ihr fühlt, was Brüder empfinden, die ihre Schwester gewiß ebenso lieben, wie Ihr die Euren liebt." Er polterte nach diesen Worten herum, während meine Empörung sich in Thränen Luft machte, die mir der Ge danke auSpreßte, wie betrübt wohl meine braven Brüder und meine über Alles geliebte Mutter über mein Schicksal sein mochten. Ich vergaß meine Stellung den Räubern gegenüber und gab dem Mann die Trlaubniß, sich nieder, -»setzen. „Sncknsts", sagte ich gnädig. „Kacknats?" wiederholte er mit bitterem Hohn. „Kscknnte, sonst nicht-?" Die Art, wie er die Worte sprach, bewies mir, daß ich ihn in die größte Wuth versetzt hatte, und ich mußte vor den Folgen meiner Unbesonnenheit zittern. Zum Glück war ich nicht allein mit dem jähzornigen Mann. Di« Anderen beruhigten ihn, während ich die Augen auf die Vollmacht gesenkt hielt, die den Preis meine« und meiner Gefährtin Lebens bedeutete. Nachdem ich sie unterschriebe« hatte, gingen alle Drei hinaus." Wir hätten uns schon lange die ängstliche Frage der Frau Ztlka: „Aber warum wurde ich gefangen?" beant worten können. Die Räuber hatten uns erzählt, daß sic unsere ganzen Rctseplänc mit allen Umständen rusgekuud- schaftet hatten. Sic wußten, wer mit uns reisen werde, welchen Weg wir einzuschlagen beabsichtigten u. s. w., und hatten alle Vorbereitungen zu unserer Gefangcnnchmuug getroffen. „Wir wollten eure älteste Bibclfrau, die Ooshcff, nehmen",sagten sie,,,aber sie war so krank, als es dazu kam, halbtodt kann man sagen, daß von ihr gar keine Rede sein konnte, und deshalb mußte die Ztlka daran glauben urzd Miß Stone Gesellschaft leisten." Frau Ztlka hatte mir das Geheimnis! ihrer erwarteten Mutterschaft anvertraut, von dem weder ihre Mutter noch ihr Gatte etwas wußten. Ob gleich es mir wie eine Entheiligung vorkam, theilte ich daS Geheimniß ihres berücksichtignngswürdigen Zustandes mir ihrer Einwilligung den Räubern mit, und zwar schon in den ersten Tagen unserer Gefangenschaft. Ich glaubte darin ein starkes Argument zu Gunsten unserer Befreiung zu finden, denn ich wußte, daß Straßenräuber den Fluch fürchten, welcher auf diejenigen fällt, die einer Frau erwas zufügen in der Zeit, wo sie ein Kind unter dem Herzen trägt. Die Räuber vernahmen die Nachricht mit ernsten Mienen, sie dachten aber doch, es handele sich um ciuc List, mit der wir unsere Befreiung erzwingen wollten. „Es ist zu spät", sagten sie. „Der Tanz, den wir begonnen, muß nun zu Ende getanzt werden." Aber der hilflose Zustand der Frau Zilka verfehlte seinen Eindruck aus die Räuber nicht. Einer von ihnen nahm sich der jungen Frau mit be sonderer Sorgfalt an. Sein Arm war stets bereit, nm sic zu stützen; er hob sie aus dem Sattel und wieder aufs Pferd; er breitete die Mäntel für ihr Lager aus und deckte sie oft warm zu. Obgleich man uns den Besitz von Bleistift und Papier versagte, war cs mir gelungen, meine Füllfeder zu bc- wahren, mit der ich Stellen in der Heiligen Schrift anstrich, die mir zum besonderen Trost gereichten. Als die Tinte in derselben zu Ende ging, mußte ich den Verlust meiner zweiten Füllfeder beklagen, die mir bei der nächtlichen Wanderung abhanden gekommen war. Bald fehlte mir auch das «llernothwendtgste an Wäsche. Eines Tages kam ein Räuber mit der Frage zu unS, wie cs denn mit nnscren Unterkleidern anSsehe. „Natürlich haben wir nur das, was wir am Leibe trugen, als man uns gefangen nahm", versicherte ich ihm. Frau Zilka sagte: „Ich habe alle Taschentücher verloren", und ich setzte hinzu: „Ihre Blouse ist ganz zerfetzt." — „Dann schreibt auf, was ihr nothwendig braucht", sagte der Mann, „und man wird sehen, was sich machen läßt." Bald darauf vermißten wir den Räuber, den wir als „den guten Mann" zu bezeichnen pflegten, und nach einigen Tagen kam er zurück und brachte unS Wäsche und Männersocken, ferner Leinwand zu
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite