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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.05.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030514016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903051401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903051401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-14
- Monat1903-05
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren mr Nachweisungen uud Offertenauuahme Lb (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), u«? mit ser Moraeu-AuSaabe, ohne Postbeförderung üü.—, mit Postbesörderuug 70.—. Annahmeschluß str Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgsu-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige« sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» tu Leipzig. Str. 242. Donnerstag den 14. Mai 1903. 97. Jahrgang. Der bevorstehende Lamps zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- Organisation an der Unterweler. Unser Mitarbeiter an Ker Unterwcser schreibt uns: Wiederholt haben unsere Sozialreformer darauf hin gewiesen, daß die Arbeiterbewegung zwar einen bedenk lichen Charakter habe, aber nicht in dem Grade bedrohlich und unmittelbar gefährlich sei, wie anscheinend in manchen streifen der Gesellschaft befürchtet werde. Wie sehr diese Leute sich mit ihren Ansichten im Unrecht befinden, zeigt uns die Lage auf den Werften und den ver wandten Betrieben an der Unterweser. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, stehen wir hier am Vorabende eines ge waltigen Kampfes zwischen Arbeitgebern und Arbeit nehmern, wie er in Deutschland seit dem großen Berg arbeiterstreik und dem Hamburger Hafenarbeiteraus- standc noch nicht wieder stattgesunden hat. Diesesmal sind cS aber nicht die Arbeiter, welche zum Streike greifen, sondern die Arbeitgeber müssen zur Abwehr der terro ristischen Forderungen eines Teils ihrer Arbeiter die Offensive ergreifen und ihre Betriebe schließen, bis ihnen das „Recht im eigenen Hause" offiziell zuerkanut wor den ist. Kürzlich hat man auch bei Ihnen gelesen, daß die Werft von Joh. Tecklcnborg, A.-G., in Gecstmünde unterm 30. April ihren 1600 Arbeitern zum 14. Mai ge kündigt habe und an diesem Tage den Betrieb bis auf weiteres schließen werde. Die Gründe, welche die Werft leitung zu diesem vielleicht folgenschweren Schritte ver anlaßt hat, sind kurz geschildert folgende: Die Tecklen- borgsche Werst beschäftigt ca. 220 Lchiffszimmerer, von denen etwa die Hälfte einem sozialdemokratischen Verbände angehört. Im Januar d. I. weigerten sich nun ver schiedene organisierte Zimmerleute, ihnen aufgetragene Zimmerarbeiten im Accord zu übernehmen, mit der Be gründung, esnichtzu dürfen. Die Werftleitnng er fuhr nun weiter, daß in einer Versammlung der 113 orga nisierten Schiffszimmerer mit 109 gegen 4 Stimmen be schlossen worden lei, keine Accordarbeitcn mehr zu über nehmen. Also einem Beschlüsse der organisierten Hälfte der Zimmerer sollte sich die nicht organisierte andere Hälfte fügen, so lautete der drakonische Machtbcschluß des Verbandes. Da nun die Werftleitung nicht gewillt war, sich ihre eigenen Rechte und die ihrer nicht organisierten Arbeiter schmälern zu lassen, ersuchte sic den Arbciteraus- schuß, für die Aufhebung dieses Beschlusses wirken zu wollen. Bis Ende März hörte man nichts von Accordweige- rungen und nahm an, daß die Arbeiter den Vorstellungen der Werftlcitung Gehör geschenkt hätten: man hatte sich aber geirrt, denn Anfang April weigerten sich wieder ver schiedene Zimmerer. Accordarbeiten zu übernehmen. Während die Werftleitung noch mit dem Arbeiterausschussc unterhandelte, erschienen in der sozialdemokratischen „Bolksstimmc" Artikel, welche die Tatsachen vollständig auf den Kopf stellten. Gleichzeitig wurde von bem sozial demokratischen Verbände die sperre über die Werft ver hängt, um den Zuzug fremkcr Schiffsbauer ufw. fernzu halten. Die Werftlcitung wandte sich nun wiederholt an den Arbeiterausschuß, für Aufhebung der Sperre Sorge tragen zu wollen, da andernfalls die Werft geschlossen werden müßte. D e r A r b c i t c r a u ö s ch u ß e r k l ä r t e aber wiederholt, daß er hiergegen macht los s e i. Daraus sprach am 30. April die Werftlcitung die Kündigung ihrer 1600 Arbeiter aus. Diese Frist ist am 14. Mai abgelaufen. Inzwischen hat auch Ker in diesem Frühjahr gegründete Arbeitgeberverband, dem sämtliche Werften an der Unter weser und andere Großbetriebe angehörcn, Stellung zu der Sache genommen und in einer Sitzung vom 8. Mai be schlossen, gegen das Vorgehen der sozialdemokratischen Organisationen energisch Front zu machen und ihre Be triebe so lange zu schließen, bis die Arbeiter die von den Werften geforderten Arbeitsbedingungen angenommen und die über Tccklcnbvra und den Bremer Vulkan ver hängten Sperren aufgehoben haben. Auf dem Bremer Vulkan liegen die Dinge ebenso. Dort weigerten sich die Schffssnieter, zu den aufgestellten «Accordsätzen zu arbeiten, und arbeiteten absichtlich so lässig, daß sie zeitweise nicht mehr als 120 Nieten pro Tag und Kolonne schlugen, während die Werftlcitung 275 Stück verlangte, eine eini germaßen cingcarbeitete Kolonne aber ohne Anstrengung täglich 350—400 schlagen kann. Wenigstens wird das von Fachleuten behauptet. Da die Nieter sich gegen die Vor stellungen taüb verhielten, wurden ea. 12» Mann am 6. Mai entlassen. Darauf wurde auch über den Bremer Vulkan die Sperre verhängt. Sicherem Vernehmen nach haben sich auch die anderen Fachorganisationen mit den entlassenen Nietern solidarisch erklärt, was einer Kriegs erklärung an den Arbeitgeberverband verteufelt ähnlich sieht und eine Beilegung der Differenzen vollständig illu sorisch macht. „ LirchenpoMisches. ö. Berli«, 13. Mai. ( Privat t e l e g r a m m.f Ein mit vatikanischen Kreisen in Kühlung stehender Katholik schreibt der „Nat.-Ztg.": „Nicht ohne Befremden verzeichnet der ruhige Beob achter unserer kirchenpolitischen Verhältnisse die hofs- nungSfrohen Auslassnngcn, die sich in der deutschen Presse an den kaiserlichen Besuch im Vatikan knüpfen. Die artige Verbeugung, die die Kurie bei dieser Gelegenheit zu machen für nützlich befunden hat, wird nicht nur dankerfüllten! Herzens quittiert, sondern es werden daran die kühnsten Kom binationen von endgültigem Schwinden des fran zösischen Einflusses, Uebertragung des Pro tektorats über Missionen u. dergl. geknüpft. Daß tie Verbeugung nur vom Drucke des Augenblicks diktiert gewesen sein könne, sahen wir dagegen fast nirgends genügend betont, die Frage, ob in der prin zipiellen Gegensätzlichkeit zwischen Nom nnd dem Deut schen Reich von 1870 eine Verschiebung eingetreten fei, fast gar nicht beachtet. Sicher haben die Acußcrlichkeiten der Begegnung zwischen Kaiser und Papst die Grenzen traditionell höfischer Herzlichkeit weit überschritten. Tic ehrfurcht gebietende Erscheinung Leos XIII., umwoben vom Glanz einer 25jährigen, an glänzenden Erfolgen reichen Kirchen regierung, appelliert schon an sich viel zu sehr an Ge müt und Empfindung, um den Maßstab üblicher Monarchenbegcgnungcn an den Empfang eines Souve räns im Vatikan zu legen. In dieser Hinsicht wird die vatikanische Politik bei Leos XIII. Nachfolger, wer cs auch sei, ein Imponderabile schwer vermissen. Nicht weniger fällt bei Beurteilung der jüngsten Begegnung die Persönlichkeit Wilhelms II. ins Gewicht. Dagegen verlautet wenig von besonderer Herzlichkeit, die die ministeriellen Kreise der Kurie, an ihrer Spitze Kardinal Rampolla, an den Tag gelegt hätten. Einige Blätter, und es waren nicht die schlecht infor mierten, wußten sogar von einer auffallenden Schweigsamkeit dieses in letzter Zeit allerdings stark exponierten Staatsmannes zu berichten. Und wäre der Staatssekretär auch weniger schweigsam gervcscn — wer dem Mann beim Sprechen einmal in das tiefliegende, wie verschcierte Auge geschaut, weiß, fühlt instinktiv, daß hinter der mächtigen Stirn eine Welt von Gedanken lebt, mit denen die Sprache des klugen Mundes nichts zu tun haben will. Es wäre auch sehr zu verwundern, wenn die nnniste- riellen Kreise der Kurie über die entsnts oorckiale, die sich äußerlich anzubahnen scheint, sonderlich entzückt wären. Die Beleuchtung, in der sich die erzwungene An näherung vollzieht, ist eine für die Kurie zu düstere, um in den politischen Kreisen des Vatikans eine auf richtige Freude aufkommen zu lassen. Wer aber aus dieser erzwungenen Freundlichkeit den Schluß ziehen wollte, das Fiasko, das die von Rampolla seit Ende der achtziger Jahre begonnene, einseitig französische Po- litik in den letzten Jahren zweifellos gemacht hat, habe den Vatikan entmutigt, würde sich in einem verhäng nisvollen Jrrtume befinden. Die politische Nervosität unserer Zeit allerdings ist leider sehr geneigt, Augenblicks erfolge und Mißerfolge in ihrer Tra<nvcite zn überschätzen; was jedoch die Kurie betrifft, so darf nie übersehen wer den, daß sie nickt mit Generationen, sondern mit Jahr hunderten zu rechnen gewöhnt ist. Daß sie, deren Herr schaft sich auf die breiten Massen stützt, mit einiger Sicher heit auf eine nicht allzu ferne, desto stärkere Reaktion in Frankreich rechnet, daß die augenblicklichen Träger ihrer Macht sich bei persönlichen Mißerfolgen durch die Stetig keit, mit welcher ihre Nachfolger die kühn gesteckten und durch starre Tradition festgelcgten Bahnen unter besseren Verhältnissen weiter wandeln werden, gedeckt wissen. Die „I'ille ainoe" ist nicht zum ersten Male das Kind der Schmerzen. Kenner der Momoiren Consalvis, des erfolgreichen Restaurators des Kirchenstaates nach Na poleons I. Sturz, werden sich der Klagen erinnern, die der Kardinal über Frankreichs Haltung gegenüber dem hl. Stuhle seit den schlimmsten Tagen von Avignon führt. Damals saß Eonsalvi, auf Napoleons Befehl des Purpur mantels entkleidet, in Bcziöres im Exil. Eswärefalsch, die Kurie durch die französischen Dinge entmutigtzu erachten. Entmutigt mag der Papa- bile Rampolla sein, dem fl" die Spanne Zeit, die ihm zur Leitung der vatikanischen Politik vergönnt ist, das Glück wenig gelächelt hat. Es mag sein, daß er, um sich die Tiara zu retten, sich widerstrebenden Herzens zu der neuen Einlcnkung verstanden hat. Es wäre aber anderseits verhängnisvoll, außer Acht zu lassen, daß das grundsätzliche Verhältnis zwischen Kurte und Reich durch solche Tagesereignisse nie und nimmer ernstlicher verschoben werden kann. Hartnäckiges Be harren auf dem Traum von der Wiederherstellung eines päpstlichen Staates, und set's einer von bescheidenstem Umfange, und reelle Beziehungen zu einer Dreibunds- macht, sind ebenso unvereinbare Dinge, wie das Jdealziel der römischen Theokratie, Triumph Roms, Aufsaugung aller Konfessionen einer- und der evangelische Summepisko- pat anderseits. Es ergibt sich daraus die Mahnung, nur unter dem Gesichtswinkel nüchternster Besonnenheit die Ergebnisse der römischen Kaisertage einzuschätzen. Die Geschichte lehrt, daß die prinzipielle Stellung der Kurie zu Fraget), die ihre politische Existenz bedingen, sich niemals, auch nicht unter dem größten äußeren Druck, geändert hat. Ein Einlenken des Vatikans, wie cS in den letzten Tagen mit weniger Witz, als mit den kühnsten Kombinationen verbunden werden wollte, darf von einem verständigen Politiker nie höher bewertet werden, als die Verbeugung eines gewandten Mannes, der sich nach einer andern Rich tung hin augenblicklich nicht ganz sicher fühlt." Deutsches Reich. * Leipzig, 13. Mai. Man schreibt uns von beteiligter Seite: In der Bewegung zur Einschränkung der P i st olenduelleunterdenStudenten bat vie Deutsche Freie Studentenscbast der Deutschen Burschenschaft folgende Vorschläge gemacht: Pistolenduelle zwischen Studenten sind nur unter be» sonderen Umständen zuzulassen. Ihre Einjchränkung wird durch die gemeinsame Anerkennung folgender Grundsätze gewährleistet: 1) Jede schwere Mensur, einschließlich des Pistolenduells, unter liegt der Genehmigung durch ein paritätisch zusammen gesetztes Ehrengericht (Ehrenrat). 2) Bei Austragung von Ehrenangelegenheiten gilt die blanke Waffe als die ritterlichste und die Kavalierwaffe als der Couleur waffe ebenbürtig. 3) Von allen Ehrenangelegenbeiten, an denen Burschenschafter und freie Studenten beteiligt sind, ist dein Ehrengericht Anzeige zu erstallen. TaS Ehrengericht ist in allen Fällen berechtigt, einen Ausgleich vorzuschlagen. Zur Ausführung der vorstehenden Abstimmungen werden die Vertreter der Freien Studentenschaften und Burschenschaften an jeder Hochschule ermächtigt, die näheren Vereinbarungen über die Besetzung der Ehrengerichte und über deren Ver- fahren, sowie über ein gleichmäßiges Verhalten gegenüber Berrussverhältnifsen zu treffen. Diese Vorschläge decken sich in den meisten Punkten mit den Vorschlägen, welche die Burschenschaft den Offizieren gemacht bat. ES scheint also, daß den Burichenschaflen Gelegenheit geboten wird, ihre Reformpläne, mit denen sie bei den Offizieren so wenig Glück gehabt haben, in der Studentenschaft zu verwirklichen lD Berlin, 13. Mai. iZur Ncichssinanz- reform.) Der Nationalökonom I. Conrad in Halle a. S. hat soeben den dritten Teil seines vortrefflichen „Grundrisses zum Studium der politischen Oekonomie", die „Finanzwissenschaft", in dritter, vermehrter Auflage erscheinen lassen. (Jena, Gustav Fischer.) Die neue Auslage enthätt eine bemerkenswerte Darstellung der Entwickelung des Rcrchsfinanzwesens. Daß die Reichöfinanzen beinahe völlig auf indirekten und auf Er- gänzungsstcucrn basieren, hält Conrad für das Richtige. Die Anträge der Sozialdemokraten auf eine Reichsein kommensteuer nimmt er nicht ernst, da die Leistungsfähig keit der Einkommenstcner von den Einzclstaaten und den Gemeinden völlig, wenn nicht schon im Ucbcrmaß, ausge nützt sei. Ein wirkliches Bedürfnis gehe nur auf eine Steigerung der Einnahmen, nm das Reich unab hängig von Zuschüssen durch die Einzclstaaten hinzustellen und es aus einem zeitweiligen Kostnehmer zu einem Kostgeber derselben zn machen. Ten Weg dazu findet Conrad auf dem Gebiete der G e t r ä n k e st e u e r n. Alkoholische Getränke gelten Conrad deshalb als ein sehr geeignetes Steuerobjekt, weil medizinische Wissenschaft und Erfahrung, im Gegensätze zu früheren Anschauungen, ge zeigt haben, daß durch jene weit mehr Schaden als Nutzen gestiftet wird. Welchen bedeutenden Teil des Einkommens, hauptsächlich bei den unteren Klassen, die Alkoholika auf Kosten einer rationellen Verwendung absorbieren, lehren zuverlässige Schätzungen, die die jährliche Ausgabe für berauschende Getränke in Dentschland auf 2—3 Milliarden Mark berechnen. Conrad selbst hat bei einem sehr soliden Handwerker 6 Prozent, bei einem Subaltcrnbeamtcn 3Z4 Prozent, bei einem sehr nüchternen Lohndiencr 2 Pro zent, bei einem höheren Beamten gleichfalls 2 Prozent, bei einem anderen noch nicht ganz 1 Prozent vom Ein kommen als Ausgabe für alkoholische Getränke festgestellt. Hieraus ergibt sich, daß, je höher die Lebensstellung, um so niedriger der Prozentsatz ist, den die Ausgaben für alkoho- lischt Getränke vom Einkommen gewöhnlich ansmachen. Da also der größte Konsum alkoholischer Getränke in den unteren Klassen stattfindet, so erblickt Conrad in der Gctränkesteuer das beste Mittel, jene Klassen zur Steuerzahlung heranzuzichen, und zwar in dem Maße, daß ein anderer Weg der Besteuerung sich als überflüssig und sogar als zu weitgehend erweise. Auf der andern Seite verkennt Conrad nicht die Gefahr, dnrch sehr hohe Gctränkesteucrn die unteren Klassen zu überlasten. Dasjenige Getränk ferner, das in einem Lande das gebräuchlichste Genußmittel ist, will Conrad nur mit Vorsicht besteuert missen. Deshalb werde ein jedes Land nach den wirtschaftlichen Verhältnissen und den Ge wohnheiten in Bezug auf das Steuerobjckt und die Höhe der Steuer verschieden zu behandeln sein. Je größer aber der Alkoholgehalt sei, um so wichtiger wäre es, einen Druck durch eine hohe Steuer auszuüben, damit allmählich der Konsum vermindert werde. Die günstige Wirkung einer hohen. Steuer auf die Verminderung der Trunksucht sei in Schweden, in Norwegen und in der Schweiz schlagend nachgewiesen. Berli«, 13. Mai. (Deutscher Ost marken- verein und Marcinkowskiverein.) Der frühere Oberbürgermeister von Posen, Geh. Rat Witting, hat bekanntlich dem Deutschen Ostmarkenvercine eine ihm zu Ehren von Posener Bürgern gesammelte, die Summe von 20 000 repräsentierende „W i t ti n g«Sti f t u n g" überwiesen, deren Zinsen zur Förderung der deutschen Sache im Osten, insbesondere zur Unterstützung Deutscher aus der Stadt Posen ohne Unterschied der Konfession, ver- wendet werden sollen. So dankenswert diese Spende des Herrn Witting ist, ebenso erfreulich ist es, daß eine Reihe von Ortsgruppen des Deutschen Ostmarken- vereins anläßlich der diesjährigen Btsmarckfeicrn Sammlungen veranstaltet haben, die zusammen mit den Erträgnissen eines Kostümfestes in Gotha der Bismarck stiftung dcS Deutschen Ostmarkenvcreins über 700 zu führten. Besonders opferwillig aber hat man sich auf deutscher Seite anläßlich der Neuorganisation des Deutschen Ostmarkcnvereins in Schlesien gezeigt. Kann doch das Bereinsorgan, die „Ostmark", über zwei Beiträge von je 1000 und von einem Beitrage zu VOO berichten. Was indessen der polnische Marein - kowSkiveretn in finanzieller Hinsicht leistet, ist nur zu sehr geeignet, die deutsche Opferwilligkeit im ganzen zu beschämen. Die Gesamteinnahmen des Marcinkowski- Vereins haben nämlich im Jahre 1002 88 314 betragen, so daß allein im letzten Jahre an 472 junge Polen Stipendien von rund 79 000 gezahlt werden konnten. Das fällt um so mehr ins Gewicht, als der Marcinkowski- vcrein nicht bloß durch die Schaffung eines polnischen Mittelstandes, sondern auch anderweitig in hohem Grade polonisierend gewirkt hat. Kennzeichnend dafür ist, daß unter den ehemaligen Stipendiaten dieses Vereins, die allein im vorigen Jahre rund 8000 an den Verein zurückzahlten, „Urpolen", wie Stiller, Eckert, Nagler, Schwartz, Lehmann, Berger, Kindermann, Hübner usw-, sich befanden. Lehrreich ist ferner, daß unter 210 Spenden für den eisernen Fonds deS Marcinkowskivereins 78 von Geistlichen herrühren, unter denen wiederum „Urpolen", wie Dahlmann, Wegner, Engler, Krieger re., sich befinden. Das Gesamtvermögen des MarcinkowSki- vereinS hat im vorigen Jahre 1091503 betragen. Angesichts dieser in der Tat staunenswerten Lpferwillig- keit der Polen wirft die „Ostmark" mit Recht die Frage auf, wann endlich die Deutschen sich zu gleichen Opfern emporschwingen und dem Stipendienfonds oder der BiSmarck- sttftung des Deutschen Ostmarkenvereins ähnliche Summen zur Verfügung stellen werden? * Berlin. 13. Mai. Erzbischof Fischer von Köln und der Reformkatb oliziS muS. ES mag Leute ge geben baben, die an die Person des neuen Erzbischofs Fischer von Köln in unverwüstlichem Optimismus die Hoffnung ge knüpft baben, daß mit ihm eine Persönlichkeit für den Kölner Stuhl gewonnen sei, die sich nicht ganz in die herkömmliche ultramontane Schablone hineinzwingen lasse. Als er am 19. März dieses Jahres feierlich in sein Amt eingesührt wurde, da fiel es aus, in wie warmen Worten er in i-iner Tischrede deS Kaisers gedachte; am Schlüsse seine- TrmksprucheS gab er, was ein ganz ungewöhnliche« Vorkommnis war, dem Kaiser den Vortritt vor dem Papste. Sein erster Hirtenbrief wurde sogar von feiten eines Organs deS Evan gelischen Bundes als ein von echt christlichem Geiste getragenes Schriflstück anerkannt. Das Pastoral schreiben, das der Bischof ausschließlich an die Geistlichen seiner Diözese gerichtet bat und das dem gemäß in lateinischer Sprache abqefaßt ist, fügt nun in das Charakterbild des Erzbischofs einen neuen Zug ein: es zeigt, daß der Erzbischof in dogmatischer Beziehung ein Gesinnungsgenosse des Bischofs Keppler von Rottenburg ist, d. b. dogmatisch so „korrekt" und so — engherzig, wie man es in Rom gerne sieht. Das Pastoralschreiben bedeutet eine strikte Verwerfung deS ReformkatholiziSmuS. Gleich am Eingang des Schreibens klagt, wie in der „Köln. Ztg." mitgeteilt wird, derErzbischof, daß manche Geistliche und Laien, dem heutigen Zug der Zeit zu sehr nachgebend, „unvorsichtiger und unkluger Weise die Glaubenslebren den neuern, heutzutage gepredigten Lügenmeinungen anzupasien trachten und dabei sogar die Unversehrtheit deS katholischen Glaubens und den lautern Gehorsam gegen die Mutter Kirche aufs Spiel zu setzen sich erkühnt baben". Bitter klagt der Erzbischof über diejenigen, die in zu großer Gier nach Freibeit in den religiösen Fragen den sichern Weg der Väter verlassen und ibre eigenen Pfade geben wollen, die unbebutsam und unvorsichtig (iucauti et improvicki) die Kirche mit dem Weltgeist versöhnen wollen, und die sich dabei kübnerweise klüger als die Kirche selbst dünken. Es gibt welche, die in Theologie und Philosophie von der alten Ueberlieferung absichtlich abweichen, die offen oder versteckt den Papst Leo XIII. tadeln, weil er den hl. Thomas von Aquino zum Normallebrer erhoben bat, die neue Begriffe und der gleichen in die Theologie einsübren, die mebr verwegen als klug (suäacius quam pruckentius) sogar in politischen Zei tungen über Verbesserung der klerikalen Erziehung, Reform des theologischen Studiums und vor allem derMoraltheologie, über Reinigung deS katholischen Glaubens vom Aberglauben bis zur Uebersältigung deklamieren. (Damit ist der am Sitz deS Erzbischofs erscheinenden „Köln. Volksztg." ein deutlicher Wink gegeben; das Blatt fühlt zu Zeiten das Bedürfnis, sich etwas aufgeklärt und dogmatisch liberal zu gebärden.) Bezeichnend ist ferner, daß der Erzbischof das Glaubens bekenntnis des politischen UltramontaniSmuö, den Syllabus, besonder« empfiehlt und ihn als „Prüfstein unserer Zeil" bezeichnet, „an dem man erkennen könne, wa« mit der katho lischen Wahrheit übereinstimme und wa- nicht". Streng ge tadelt werden diejenigen, die „kübner Weise gewagt hüben, Bedeutung und Autorität dieses höchst gewichtigen päpstlichen Dokument« zu verringern oder ihm auszuweichen". Hierher arhört es auch, wenn daS Pastoralschreiben als Muster der Theologie neben den älteren Theologen und AlfonS v. Liguori auch zwei der neueren besonders nennt, den Kardinal Franzelin und den Dogmatiker Scheebeo, die beide ganz besonders der dogmatischen Begründung deS ultramontanen Lebrsystems ihre schriftstellerische Tätigkeit gewidmet baben. Au dem satt sam bekannten Alfons v. Liguori wird beionders seine „Gabe der Wissenschaft", äouum scientias, gerübmt. Wenn an diesem Pastoralschreiben des Kölner Erzbischofs über haupt etwa« Erfreuliches zu entdecken ist, so ist es das, daß eS sich wenigstens vor jener rustikalen AuSdruckSweise Hüter, die in den Resormkatholiken nur „Resormsimpel" zu ent decken vermag. DaS ist aber so ziemlich das einzig Erfreu- liche an diesem Pastoralschreiben. Im übrigen herrscht in demselben durchweg das Bestreben vor, die Gedankenwelt d«S KleruS und damit auch der Laien vor jeder Berührung mit modernem Denken und Füblen zu behüten. Erzbischof Fischer schließt sich durchweg an die Terminologie der illustren Rollenburger lateinischen Grammatik an: rotormnro heißt; „zurückdilben"; taS einzige Heil deS Katholizismus liegt in Thomas von Aquino, io der „Rückbildung" zum Mittelalter. * verlt», 13. Mai. (Sine kurzsichtige Opposition.) Ueber vie oltramonlane Gefahr schreibt Eduard v. Hartmann im „Tag": „Die kulturelle Rückständig- keil der katholischen Deutschen im Vergleich zu den protestantischen wird selbst von den Ultramvntanra sicht mehr geleugnet; wie würde dtt Riedn-ang erst sich
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