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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020721014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-21
- Monat1902-07
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5136 wenn Du voni Berge sprichst? Horst Dii picht die stimmen? Himmel und Erde sind zusammen gestossen!" Wieder herrschte schweigen, man kannte nicht sprechen, es gab so vieles, worüber man nachzudenken hatte. Die Stallthüre quietschte leise. Alles schaute dorthin. In der schwachen Dunkelheit erschien eine Gestalt in einen Iaphundschi (breiter Umhängemantel) genuckelt und mit schnce bedeckt, so das; man glaubte, einen Schnee- baufen zn sehen. Der Mann hatte sichtlich lange draußen gestanden. „Guten Abend", sagte der Neuangekommene, die dicke Schnecschicht vom Iaphundschi abschüttclnd. „Grüß Gott, v armer Ehai, komm, komm, tritt näher! Armer Kerl, du bist erstarrt", riefen die Sitzenden mit leidig von allen «eiten. „Macht dem Chai Platz, laßt ihn sitzen!" „Ja, bei Allah, ich bin erstarrt", sagte jener, näher tretend. „Es ist nicht möglich, draußen zu bleiben, fast will der Himmel einstürzen und im Torfe erstickt man, nichts als schnee und Wind! Was für ein Orkan! Ich sagte zu mir, ich will in den saku gehen, mich ein bischen erwärmen und wieder fvrtgehen." Der Mann setzte sich. Oben am Gebälk im kleinen, rußigenBehälter flimmerte leise das Oellicht, die schwache Flamme schwantte und flackerte langsam, als ob auch sie Angst Hütte vor dem Windessansen, aber sie gab doch so viel Licht, daß man mehrere Gesichter unter den Pelzmützen sehen konnte. Ans den Ankömmling fielen einige zitternde gelbe strahlen. Er hatte ein Bauerngesicht, welches den Stempel des säuern Lebens trug, Sorgen hatten sich ein gegraben in die groben Falten seiner dicken Haut. Er war jung, aber man merkte, daß er Meles durchgcmacht hatte. Unter seinem dicken Schnurrbart zeigten sich zwei dicke Lippen dicht aufeinander gepreßt und gaben seinem Gesicht ein trotziges Aussehen. Die Augen waren klein, aber munter, feurig. Er war der Wächter des Dorfes, der Lohnnachtwächter. Es gab viele Chais im Dorfe O. Alle waren fortgezogen, nur dieser blieb wie ein ver späteter Kranich zurück. Betteln wollte er nicht, deshalb wurde er Wächter. Die Einwohner kannten seinen Namen nicht genau. Anstatt ihn Nach» zu nennen, nannten ihn manche Mcho, und andere Mko, zuletzt waren sie einig und nannten ihn Chai, so war es bequemer, besser; er war ja auch ein Armenier, ein Chai, aus dem Dorfe Wosm. Dieser Chai war cs, der an der Ecke Platz nahm und, in sich gekehrt, schwieg. Im Saku war es warm... Der Orkan dauerte fort. Der tosende Wind brüllte und heulte wie ein verwundetes Raubthier. „Solche Nacht hat er durchgemacht, der Aermste", sagte der Schulze Gewo. „Was sollte er machen?" Er redete von einem Bauern, der mehrere Tage vorher bei solchem Wetter umgekommen war. „Wie ost sagten wir ihm, gehe nicht bei diesem Schnce und Winter, schweife nicht in den Feldern umher, du hast Kinder und ein Weib!" setzte ein Anderer hinzu. „Ach ivas sprichst du so dumm, auf seiner Stirn war es geschrieben", sagte Melik, „er mußte gehen, er mußte umkommen, wer kann dem Schicksal ausweichen?" „Das ist wahr, ist wahr, Melik, waö auf der Stirn geschrieben ist, ist unentrinnbar." Schicksal, allmächtiges Schicksal . . - Bei solcher schrecklichen Nachtstunde im düsteren, unterirdischen Saku, l»ei diesem greulichen Heulen des Windes, der so viel Schreckliches erzählte von dieser blinden Macht„ war es schwer, ein passendes Gespräch zu finden. Ein Jeder machte seine Bemerkungen darüber. Alle kamen zu dem Schluß, daß der Mensch ein Spielzeug der Schicksalswillkür sei, gegen das sind viel zu schwach alle Mittel der Menschen, aller Bcrstand, die Energie, der Fleiß. . . „Ich glaube uicht an ein Schicksal", erklang da eine Stimme aus einer Ecke im Saku. Alle Blicke wandten sich nach jener Seite hin . : - - Alle staunten. „Wer Ivar der Held?" fragte Melik ironisch. „Dein Diener, ich, Melik. Ich glaube nicht an ein Schicksal", wiederholte die Stimme trotzig. Die Anderen wußten nicht, ob sie lachen oder zürnen sollten. Ter elende Chai war es, der der Schicksalsallmacht keinen Glauben schenkte. „Tie zimperliche Ziege wird wüthend, sagt das Sprich wort", murmelte Melik halb ironisch, halb zornig. In der That waren Alle ärgerlich, wie sollten sie sich nicht ärgern. Der Melik, der reiche Melik glaubte an das Schicksal, hatte Furcht vor ihm. Der Schulze Gewo, vor dessen Peitsche Alle zitterten wie das Laub, erschauerte vor dem Schicksal. Des Pfarrers letztes Wort am Ende der Predigt war: Schicksal. Alle beugten sich vor dieser unsichtbaren Macht, Alle erschauerten vor ihr, nur dieser Chai glaubte nicht an das Schicksal, fürchtete sich nicht vor ihm. „Ja, ich glaube nicht an Euer Schicksal", wiederholte Chai diesmal bestimmter, mit mehr trotziger Miene, als er die ironischen Blicke auf sich gerichtet sah, „und ich könnte Euch in diesem Augenblick zeigen, daß ich Recht habe, aber schade, ich muß hinausziehen und im Dorfe hcrumlaufen." Er stand auf, sich zu entfernen. „Bleibe, bleibe, Chai", riefen mehrere Stimmen neu gierig. „Schulze, sage ihm, er soll bleiben, das Dorf wird jetzt nicht geplündert." Mit Bewilligung des Schulzen setzte sich der Chai wie der auf seinen Platz. Aller Blicke kehrten sich ihm zu. Alle erwarteten, daß dieser Mensch erzählen würde, der so mit keckem Trotz das Schicksal verhöhnte. „Damals", so fing Chai an, "„waren wir zehn, zehn Tolle. Zehn Feuer und Funken hatten wir in unserer Must, ähnliches Feuer, entzündet von demselben Funken, weicher in uns brannte, loderte. Wir hatten dasselbe Herz ohne Augst, aber was für ein Herz! Es war ein Meer, durchtvbt von Schmerz, gepeitscht von Schmach, ein von Rache angezündeier Scheiterhaufen. Monatelang wan derten wir von Feld zu Feld, von Berg zu Berg, von Thal zu Thal. Mit den Schlangen tranken wir Wasser, in Steinbetten ruhten wir einige Minuten aus. Was hatten wir vor? Wir hatten schon lauge unsere Schmach ertragen. Unsere Geduld war groß, aber die Gottlosigkeit, unbarmherzige Unverschämtheit der Feinde war ohne Grenzen. Man tonnte uicht mehr leben, kein Brod war da, und das wenige Vorhandene vermochten wir nicht hcrunterzuzwingeu, es war wie Gift und Galle . . . Und wir verließen HauS und Familie, Gut und Vermögen. Um unsere Ehre zu reinigen, nahm ein jeder von uns eine Flinte und wir gingen auf die Berge. So war es besser! Wir waren frei! O, wenn der Mensch solche Schmerzen hat, wie wir hatten. Wenn Jemandem Schwester und Mutter verwundet sind, wenn der Sohn ermordet ist, der alte Vater beschimpft, dann kann ihn nichts mehr auf der Welt trösten. Nichts mehr. In der Brust kocht es, lodert auf in Flammen. Thränen sind nicht im Stande, sie zu löschen, alle Trostworte sind Hohn . . . Aber wenn man den Gewehrgriff fest an die Brust drückt, wenn man sieht, wie der Tod gestreut wird auf die mit Schul beladenen Feinde, v nur dann, nur dann wird das Menschenhcrz kühler. Dann wird die Seele ruhiger, das Angesicht braucht nicht vor Scham zu crröthen, man fühlt, daß man ein Mensch ist, hat den Hut auf dem Haupte, hat Ehre im Leibe. Die Kurden und Türken nannten uns Fedai, (kurdisch; heißt revolutionär) und die Armenier rachednrstige Geister. Vor uns schritt der Schrecken, hinter nns der Tod. Wir und die Adler waren die einzigen Herrscher der Berge, wir waren ein ander auch ähnlich, wir stürzten uns auf unsere Beute auf dieselbe Weise. In wie vielen Orten sind wir ge wesen, wie viele böse Absichten von Kurden und Türken wurden durch nns vereitelt. Man suchte uns oft, aber wir waren unsichtbare Dämonen, wir waren überall und nirgends. Es war nicht so leicht, den Fedai zu erwische» und das Begegnen mit ihm war schrecklich. So waren wir und erwarteten unser Schicksal; wir glaubten an ein Schicksal. Einmal waren wir ans dem Gipfel des Berges Sim, als unsere Munition zu Ende war. Mein Loos war, nach Munition zu gehen. Ich kannte die Dörfer, aber ob diese noch bestanden oder vernichtet waren, ob die Ein wohner da waren oder nicht, das war mir nicht bekannt. Trotzdem mußte ich gehen, mußte Munition verschaffen. Am Hellen Tage stieg ich von unserem Nest herunter, ohne Gewehr, sogar ohne Stock, ich dachte, ich werde keinem Feinde begegnen, und wenn auch vielleicht, wird meine Wehrlosigkeit mich retten; und wenn ich gerettet werde, so ist es eben mein Schicksal gewesen. So ging ich. Lange herrschte um mich Stille, es war Niemand da. Vor mir lag ein Berg, über den ich steigen mußte, um ins andere Thal herunter zu kommen. Ich stieg. Gerade auf dem Gipfel vor mir stand ein Kurde, ein Hamielie ldaS türkische reguläre Heer), ganz und gar bewaffnet. „Guten Tag, Kirva" (kurdisch: bedeutet: Freund), sagte ist sorglos. „Guten Tag, Fla" (kurdisch; heißt Armenier), ant wortete der Kurde, aber er ging nicht weiter, blieb stehen nnd sah mich an. „Ich blieb nicht stehen, sondern ging weiter, setzte meinen Weg fort. Aber ich fühlte, daß der Kurde mich mit seinen Blicken verfolgte. Ich eilte nicht, um uicht Ver dacht zu erwecken. „Hei, Flah, halt, halt", hörte ich plötzlich die Stimme des Kurden. Ich schaute zurück und blieb stehen. Das ist mein Schicksal dachte ist, und wahrlich, das Schicksal konnte diesem Kurden ähnlich auösehen. Aus den Schultern das Gewehr, den gebogenen Säbel an der Seite, einen Dolch mit weißem Elfenbeingriff im Gürtel, das Gesicht ekelhaft, die Augen wüthend, gerade wie die eines hungrigen Wolfes. Er kam auf mich zu." „An solchen Tagen wird kein Fla sich unterstehen, hier zu erscheinen", sagte der Kurde, „was Gutes scheinst Du uicht zu sein, wer bist Du? Wo gehst Du hin?" „Kurde, die Zeiten sind schlimm, aber vergiß nicht, daß wir Nachbarn sind. Dir sage ich, als meinem Nach bar, daß ich ans Chuti bin, bei uns herrscht Hungersnoty, das weißt Du doch! Ich gehe nach Derdschan, meinen Kindern etwas Brod zu verschaffen, laß mich ruhig meines Weges ziehen." „Nein, Fla, Du kannst mich nicht betrügen, viel Gutes ist nicht an Dir." „Kurde, Tu hast einen Gott, wie Du siehst, habe ich keine Waffen, in der Tasche kein Messer; wenn ich auch zum Raubthicr würde, was kann ich mit den Händen allein machen; ich flehe Dich an, laß mich gehen." „Gehe voran, ich nehme Dich mit zum Gouverneur." Zum Gouverneur! Das war schrecklich, weil man uns schon lange suchte. „Kurde, nimm mich nicht mit zum Gouverneur, obgleich man mir nichts anhaben kann. Aber ich könnte mich verspäten, meine armen Kinder werden Hungers sterben. Um Gottes willen, Kurde, laß mich gehen!" Der Kurde blieb ungerührt. Das ist mein Schicksal! dachte ich nnd ging voraus. Was konnte ich machen? Die Macht war sein, daS Gewehr auf seiner Schulter, der Säbel an seiner Seite, was konnte ich mit beiden Händen machen? Es war mein Schicksal. Wir gingen. Um mich war Alles schön, die Sonne hell, der Himmel klar, die Berge grün, die Blumen wohlriechend, die Luft voll von Vögeln, überall Leben und Freude. Oben, sehr hoch in der Luft, schwebte ein Storch frei und kühn. Ich weiß nicht, warum ich ganz die Schrecken meines Schicksals vergaß, — ich schaute lange nach jenem Vogel, ohne den Blick von ihm zn wenden. Beneidete ich ihn oder gab cs sonst etwas, das mich fesselte? Ich wußte cs nicht, aber ich schaute «ach ihm. Lauge schwebte der Storch, plötzlich fing er an, Kreise zu ziehen und herunterzustvßen. Mit scharfem Flug warf er sich auf einen Hügel, der in unserer Nähe lag. Ich folgte ihm nach; da war eine große Schlange, die der Storch gesehen hatte. Vor dem Rauschen der Flügel zog sie sich zusammen, den Kopf versteckte sie unter den Ringen, die ihr Leib gebildet hatte. Es be gann ein heftiger Kampf. Mir blieben Beide stehen. „Siehst Tu", sagte der Kurde, „ein Fla ist auch eine solche Schlange, den muß man auch so verrichten." Ich hatte keine Antwort, ich beobachtete. Der Storch flog herunter, schlug die Schlange mit dem Schnabel und flog weg, während die Schlange die Gelegenheit benutzen wollte, zu entfliehen. Aber kaum hatte sie mehrere Win dungen gemacht, so stürzte sich der schreckliche Feind auf sie, sic zog sich zusammen und versteckte ihren Kopf. Der Kurde hatte Recht, zwischen mir und der Schlange ivar große Aehnlichkeit. Die Schlange ist auch ihrem Schicksal nahe, hat keine Rettung, dachte ich. Dieser Ge danke tröstete mich sogar ein wenig. Allmählich wurde der Storch noch dreister, die Schlüge wurden tödtlicher und folgten schneller auf einander; endlich hielt er die Schlange für schwach genug, er flog herunter an ihre Seite und, nm sie herum schreitend, gab er ihr mit dem langen Schnabel die letzten Schläge. Die Schlange ver steckte immer noch den Kopf und zum Schein vertheidigte sie sich schwach. Der Storch war ihr jetzt sehr nahe. Auf einmal ereignete sich etwas Sonderbares. Das halv- tvdte Thier sammelte die letzten Kräfte, streckte den Kopf empor, ringelte sich auf, richtete sich auf dem Schwänze ans, schnellte wie eine Peitsche empor und mit tödtlichcm Ring umschlang sic den Hals des Storches. Der Storch gab sich umsonst Mühe, den Hals auS dem tödtlichcn Ringe zu befreien. Er flatterte mit den Flügeln, streifte mit dem Schnabel an der Erde, zog sich zurück, ging vor, wälzte sich auf der Erde, vcyuchte aufznflicgen. Alle Mühe war umsonst. Die verzweifelte Wuth der Schlange war schrecklich, ihre Ringe wurden immer enger und enger, und zuletzt streckte sich der Vogel verendend auf den Hügel Yin. Die Schlange entfernte sich und ver schwand. Der Kurde war jetzt still. Er schaute nach mir, unsere Augen begegneten sich, und einige Minuten waren wir nicht im Stande, unsere Blicke von einander zu trennen. Jeder von uns wollte wissen, was der Andere in diesem Augenblick dachte. Es war kein Zweifel, daß die in unseren Köpfen sich kreuzenden Gedanken in Bezug auf einander nicht die besten waren. Das verstanden wir, lasen wir gegenseitig in unseren Augen. Sind doch die Augen die unwillkürlichen Verräther unseres Denkens! Ich verstand, daß dieses Naubthier, zornig über den un erwarteten Sieg der Schlange, beschlossen hatte, mich zu tödtcn. Das las ich deutlich in seinen Augen, deren Aussehen jetzt noch unheimlicher war. O, ich kannte die Augen des Kurden, aber ich sann auch nach. Der Kampf des Storches und der Schlange brachte in mir auch eine Veränderung hervor. Ich hatte noch nicht ge hört, daß eine Schlange einen Storch erwürgen könne. Es ist bekannt, daß der Storch der Todfeind der Schlange ist und ihr verkörpertes Schicksal, wie kam es, daß heute dieses Schicksal fehl schlug? Gott erlaubte nicht, daß ein elendes Gewürm wie diese Schlange dem Storch zum Opfer fiel. Kann derselbe Gott diesem Kurden erlauben, Herr über mein Schicksal zu werden? Nein, das Schicksal trügt, dachte ich, einen Ausweg muß man finden. Ich fing an, lange, lange nachzudenken. Ich suchte ein Mittel, aber was für eins? Ich hatte nicht einmal ein Messer. In diesem Angenblick fiel mein Blick auf den schönen Dolch des Kurden, den er in den Gürtel gesteckt hatte. Ach, wenn ich den nur in den Händen hätte, nm den „Geh", donnerte der Kurde, „was stehst Du?" Ich bewegte mich; wir gingen in ein einsames, dumpfes Thal. Der Kurde fing an, sich umzuschauen, seine Be wegungen wurden unruhig; wahrlich, auch der Ver brecher bebt im entscheidenden Augenblick vor dem un schuldigen Opfer. Er nahm oft sein Gewehr von der Schulter nnd warf cs wieder auf die Schulter. Ich fühlte, daß mein Ende nahe sei, aber ich wollte nicht mehr sterben, wenn die Schlange ein Recht hatte, zu leben; der Mensch, zumal der christliche Armenier, kann dieses Rechtes nicht beraubt sein. Ich verlangsamte allmählich meine Schritte. Ich machte mir etwas zu schaffen. Ich mußte hinter dem Kurden bleiben, nicht vor ihm. Das war gefährlich. „Gehe schneller", trieb mich der Kurde an. Er gab sich rastlose Mühe, daß ich vorn bleiben sollte, daS wußte ich, und ich bemühte mich, mit ihm auf gleicher Linie zu gehen. Es schien, als ob wir uns verstünden; wir kämpften still einen Kampf ans Leben und Tod, der schauerlich war in seiner gehcimnißvollen Art. Ich blieb plötzlich stehen, um die Schnüren meiner Stiefel zu befestigen. Der Kurde kam heran und blieb stehen. Ich beobachtete von unten seine Stellung, ohne den Kopf zn heben. Er stand an meiner rechten Seite, der weiße Griff des Dolches schaute aus seinem Gürtel heraus. „Mach' schnell fertig, Fla!" schrie er zornig, als er meine Langsamkeit merkte. Ich hob plötzlich meinen Kopf, schnell zog ich aus dem Gürtel des Kurden den Dolch heraus und ehe er erstaunt, erschreckt einen Äertheidigungsvcrsuch machte, stieß ich mit heftigem Schlag den blanken Dolch bis zum Griff in seine Brust. Der Kurde schrie auf und stürzte zu Boden. Ich war gerettet. Dieser Dolch war meine Rettung. Chai zog aus seinem Gürtel einen Dolch mit Elfen- beingriff und legte ihn vor die Anwesenden hin. Im Scheine des Lichtes warf der glänzende Stahl kalte Strahlen. Alle, auf die Knie gesunken, betrachteten still die schreckliche Waffe, die in schwachen Menschenhänden den dichten Knoten des Schicksals aufgelöst hatte. Der kleine, erbärmliche Chai wurde ein Held vor Aller Augen, er war ein Riese, er beherrschte sein Schicksal, er hatte Recht. „Ich glaube nicht an ein Schicksal", wiederholte dies mal Chai mit erhabenem Trotz, aber die Worte ver ursachten diesmal nicht Lachen und Aerger, sondern Nach denken und Gedanken, rettende Gedanken, heilende Ge danken. Chai nahm seinen Dolch, steckte ihn in den Gürtel und ging durch die Stallthür hinaus. Die Zurückgebliebenen verharrten in Stillschweigen. Draußen heulte der Wind fort, aber er sprach nicht mehr von der Allmacht des Schicksals. In dem lärmenden Durcheinander des Windes unterschieden die Leute Stimmen, die Rache, Rache schrien. Arn 8. Sonntag nach Trinitatis wurden aufgebotcn: - Nicolajkirche. 1) A. Sandvos, Buchbinder hier, mit M. A. verw. Gcyh, geb. Werner, hier. 2) E. R. Ernert, Fleischer meister und Hofmetzger hier, mit M. E. Panzer, Kürschner meisters hier Tochter. 3) H. A. C. Fischer, Kaufmann in L.-Gohlis, mit A. C. Preuße, Fcuermanns hier hinter!. Tochter. 4) E. A. Deichmann, Ncalschullehrer, cami. kstool.., in Glanchan, mit H. Peisker, Kirchendieners in Berlin Tochter, ö) K. H. Langenberg, Landschastsgürtner in Pößneck, mit A. C. A. verw. Lüth, geb. Stockmann, hier. 0) W. F. L. Zirkenbach, Privatsekretär hier, mit E. E. Ohder, Schänkwirths in Amerika hinterl. Tochter. 7) H. C. Proß, Kaufmann hier, mit L. M. Ulbrich, Schuhmachers in Dresden Tochter. 8) W. Grobstieg, Tischler hier, mi: P. F. Rühl, Portiers hier hinterl. Tochter. 8) A. W. Taalbach, Rathsbote hier, mit E. H. Franke, Briefträgers hier Tochter. Matthäikirche. 1) F. P. Gorrmann, Expedient hier, mit E. Grosih, Handarbeiters hier Tochter. 2) G. Sack, Notenstecher in L.-Gohlis, mit V. E. Hnmm, Tischlers hier Tochter. Peterskirche. 1) F. Lösch, königl. Notar in Kulmbach, mit G. Bäßlcr, hier, Kaufmanns in Leipzig hinterl. Tochter. 2) F. E. Mühlig, Lehrer hier, mit F. M. Schulze, hier, Modell tischlers in L.-Lindenan hinterl. Tochter. 3) G. F. Kilian, Stuckateur hier, mit B. S. Siebert, Handarbeiters hier Tochter. AndreaSkirche. l) I. M. Henne, Fabrikarbeiter hier, mit A. E. Schmidt, Metallgießers hier Tochter. 2) N. A. Dceg, Steinmetz in Hohenstein - Ernstthal, mit H. P. Meisel, Webers das. hinterl. Tochter. 3) C. E. Haustein, Realschnl-Oberlchrer, Predigtamtscaudidat hier, mit G. H. de Vccr, Kaufmanns hier Tochter. Johanniskirche. 1) W. Hawlisch, Klempner hier, mit O. Weriyer, Gärtners in Erfurt Tochter. 2) F. A. Marquardt, Maler und Zeichner hier, mit C. H. Enderlcin, Bahnhofs vorstands in Stenn bei Zwickau hiuterl. Tochter. 3) P. Witteubecher, Maurer hier, mit M. K. Schmidt, Land- wirths in Nebra a. U. Tochter. ecbtainerilc. Llaismekl2. Ilerstell. v. ?uäämxs, 'körten, Kedlspeisen. gessllwackv. Rerepte a. jeä. I kkö.-kaekst, vorrii--I.Ve> äaulicltlceir, «»Mr. MlWk KMli es. iM-MX. LlIcLliscdor WklörUnx, 6or LvcN kvs ZiiUoti88t>88 1°rInkvrLL!>er „LvU»Itsr>a kotirLncvd vrorUvu Kanu. „8eir> »ngvostiiner Oo«ct>>nr.e:< „ullU sein Nc>I>»r OsliLll 8N .rsinor UoNlsnsLuro reiclivvn „88 vor Nsn «.nU8ra Lki>Ii«k8ll „rum VersuuNd kommoiKlell „NüisrLlvrLsseru vortkoildakd Lus.,, Vsd8lm8r LleUirioLlNatU vrokosuor vr. VMLN0W, LerNu. VvnsLnat: über 28,000,000 kisrässs im 4»dl>v 1901. «mvie alleauierevLIiaeral vvkuser einpüeült 8«muel Ritter, Xeumarkt 29, ll'elepllvn Xr. 2229. Ilüiipt-Verssnä von Zlwerrü-Lrurmeu, klastilleu, tjuell- salsso, LluttvrlLUKLv, L»äesküreu etc. «rÄ^r'u°ns. „Das macht nichts. Es wäre die erste Nacht nicht, die ich um meines Berufes willen durchwacht hätte. Und die Partie auf den Schrankogl habe ich ohnedies aufgegeben." „So werde ich sie ohne Dich machen, mein Lieber! Denn es ist ein Aberglaube bet mir, eine beabsichtigte Hochtour niemals ohne die zwingendsten Gründe abzubrcchen." Damit klomm er etwas verdrießlich die in den Dach raum der Hütte führende letterartige Stiege empor, die Tobias Gstrein schon vor ihm erklettert hatte, und Heinz blieb allein in dem von der qualmenden Lampe schlecht er hellten und von einer schweren beklemmenden Atmosphäre erfüllten Gastzimmer. Da, wo Frau Martha vorhin ge sessen hatte, ließ er sich am Tische nieder und stützte den Kopf auf die Hand. Er hatte sich in seinem Benehmen gegen sie gut zu beherrschen verstanden, bester fast, als er sich's selber zugetraut hätte. Aber es war doch gut, daß die süße Pein dieses Beisammenseins nicht länger ge dauert hatte, denn von Minute zu Minute war es ihm schwerer geworden, hinter einer gelaßenen Miene und banalen Redensarten zu verbergen, was in seinem Herzen vorging. War doch während dieser Stunde in den Tiefen seiner Seele Alles zu neuem Leben erwacht, was er nach hartcmKampfe für immer zumSchweigen gebracht zu haben glaubte. Greifbar lebendig standen sie auf einmal wieder vor ihm, die Erinnerungen an jene glückseligen Stunden, da sein ganzes Sein nichts anderes gewesen war, als heiße, innige, glühende Liebe für die liebreizende Tochter deS reichen Kaufmannshauses, besten Gastfreundschaft der un bemittelte junge Assistenzart während der Gesellschafts saison oftmals genießen durfte. Aus kleinen beglückenden Anzeichen glaubte er hier uud da zu erkennen, daß auch Martha ihm ein wärmeres Interesse cntgegenbrachte, als all den anderen jungen Herren, die sich so eifrig nm ihre Gunst bemühten. Und eS war die schwerste, schmerzlichste Enttäuschung seines Lebens gewesen, als er eines Tages aus einer gelegentlichen Acußcrung ihres Vaters hatte entnehmen müssen, daß Martha s Verlobung mit einem Vetter, der ihr allerdings seit einiger Zeit in sehr auf fälliger Weise den Hof gemacht hatte, unmittelbar bevor stand. Bon jenem Tage an war er jeder wetteren Be gegnung mit dem angebcteten Mädchen ängstlich ausge wichen und hatte wenige Wochen später die Berufung als Schtffsarzt angenommen, die er unter anderen Umständen sicherlich abgelchnt haben würde. Ein volles Jahr war seitdem vergangen, und in dieser ganzen Zeit hatte er nichts mehr von Martha gehört. Er zweifelte nicht, daß eS jener glückliche Vetter gewesen sei, dessen Gattin sie in zwischen geworden. Und ihr blühendes Aussehen war Be weis genug dafür, daß sic vollkommen glücklich sei. Er aber hatte niemals deutlicher empfunden als heute, wie tiefe Wurzeln die Liebe zn ihr in seinem Herzen geschlagen. Und er haderte mit dem Geschick wie mit sich selbst, daß er dereinst nicht den Muth besessen hatte, mit allen Kräften um den Besitz des geliebten Mädchens zu kämpfen. — Eine vollkommen schlaflose Nacht war es, die er in solchen Ge danken verbrachte. Er befand sich in einer recht trüben GemüthSstinnnung, als beim ersten Morgengrauen der Amtsrichter und der biedere Tobias aus Sölden in ihren schweren Nagelschuhen die Stiege hcrunterklappcrten. „Du siehst miserabel aus, mein Junge", sagte der Frennd, der vollständig für seine Hochtour gerüstet war. „Und so würde ich Dich auch unter keinen Umständen mit genommen haben. Ich überlasse Dich also Deinen ärzt lichen Pflichten und hoffe, daß wir uns heute Abend beim Unterwirth in Längenfeld Wiedersehen." Scharf ausschreitend, verschwand er in der Richtung gegen den Ferner hin im Morgcnnebel, während der Führer seine langen Beine thalwärts in Bewegung setzte. Etwa eine halbe Stunde später trat die junge Pro fessorin über die Schwelle des Schlafranmcs, nm den jungen Arzt mit freundlichem Händedruck zu begrüßen. „Meine Freundin hat eine sehr gute Nacht gehabt", sagte sie. „Und sie schläft noch so sanft, daß ich es nicht über mich gewann, sie zu wecken. Aber ich sehne mich nach einigen Atnemzügen frischer Gletscherluft, und möchte des halb Martha s Morgcnschlummer zu einem kleinen Spaziergang in die Umgebung der Hütte benutzen. In einer Stunde spätestens bin ich wieder zurück." Sie ging; aber in der vermuthlichen Dauer von Frau Martha's Morgenschlummer hatte sie sich doch getäuscht, denn eS war noch keine Viertelstunde seit ihrem Weggänge verflossen, als auch die junge Frau vollständig angckleidct in der niedrigen Verbindnngsthüre erschien, an deren Pfosten sie sich allerdings festhalten mutzte, da das verletzte Glied sic schon nach den wenigen ohne sremde Hilfe zurück gelegten Schritten wieder heftig schmerzte. Sie hatte erwartet, ihre Freundin hier zu finden, und es setzte sie offenbar in nicht geringe Verlegenheit, als sic von dem Spaziergänge der Professorin erfuhr. Aber sie konnte sich doch auch nicht gut wieder zurückzichcn, und so ließ sie es geschehen, daß Heinz sic zn der Bank führte nnd ihrem kranken Fuß, auf dessen Untersuchung er vorläufig verzichtete, eine möglichst bequeme Lage gab. — Eine Weile versuchten sic von allerlei glcichgiltigen Dingen zu reden. Dann aber verstummten sie, und Frau Martha hätte kein Weib sein müssen, wenn sie nicht wahrgenommen hätte, wie schwer cs dem crnstblickcnden jungen Manne ihr gegenüber wurde, den durch ihren Anblick aufs Neue ent fesselten Sturm in seinem Innern nicdcrzuhalten. Nach einem langen Schweigen sagte sic plötzlich: „Und warum sind Sie damals so ganz ohne Abschied von uns gegangen. Herr Doctor? Wissen Sie auch, daß Sie mir damit recht wehe gcthan haben?" Er suchte nach irgend einem Borwand, nach einer banalen Entschuldigung; aber da kam cs plötzlich über ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, und mit bebender Stimme erwiderte er: „Ich bin ohne Abschied gegangen, gnädige Frau, weil ich mir nicht die Kraft zutraute, der Zeuge Ihres Liebes glückes zu sein. Und nun, nachdem ich Ihnen das gesagt habe, werden wir nicht weiter von der Vergangenheit sprechen — nicht wahr?" Ein reizendes Lächeln, das ihm in tiefster Seele weh- that, huschte über ihr Gesicht, und mit einem Klang von Schalkhaftigkeit, der ihm über die Maßen grausam dünkte, sagte sie: „Wenn Sie es nicht wünschen, — gewiß nicht. Aber Sie haben sich meiner so liebenswürdig angenommen, Herr Doctor, daß ich wirklich in Verlegenheit bin, wie ich Ihnen meine Erkenntlichkeit beweisen soll. Ein Honorar kann ich Ihnen doch nicht gut anbieten. Und ich habe augenblicklich nichts, was ich Ihnen als Zeichen meiner Dankbarkeit geben könnte, als dies. Wollen Sie mir die Freude machen, ihn zur Erinnerung an das unvermuthete Wiedersehen zu behalten?" Der Doctor glaubte seinen Augen nicht trauen zn dürfen, als er sah, wie sie den schmalen Goldreif vom Finger zog, und ihm denselben lächelnd cntgegcnhiclt. Bestürzt wich er um einen Schritt zurück. „Gnädige Frau — Sie wollen sich über mich lustig machen? Das ist doch unmöglich Ihr Ernst!" „Warum nicht? Da dieser Unfall unserem Umher streifen im Gebirge n«n doch ein Ende gemacht hat, brauche ich ihn ja nicht mehr. Denn er war nur eine Attrape. Ich hatte ihn mir ans Anrathen meiner Freundin in Inns bruck getauft, weil eine verheirathetc Frau auf Reisen vor allerlei Zudringlichkeiten nnd unangenehmen Aben teuern sicherer ist als ein junges Mädchen." Dem Doctor war cs mit einem Male, als wäre daS niedere Zimmer ganz erfüllt vom goldigsten Sonnen schein. Aber noch immer wagte er nicht, an sein Glück zu glauben. „Sie sind nicht verheirathet? Ja, haben Tie sich denn nicht damals mit Ihrem Vetter verlobt?" Mit einem Hellen Auflachen schüttelte sie den Kopf. „Ich dachte gar nicht daran. An demselben Tage, an dem Sie mit so unartigem polnischen Abschied unsere Stadt verließen, mußte auch der arme Junge mit einem Körbchen abziehen. Es hätte Sie wirklich gar keine Mülle gekostet, das zu erfahren." „Und mir — mir wollen Sie jetzt diesen überflüssig ge wordenen Ring schenken? Ja, ist eS denn möglich — Martha . . ." Er war neben ihrer Bank niedcrgekniet und hatte sie stürmisch mit beiden Armen umschlungen. Sie blieb ihm zwar die Antwort schuldig, aber ihr blonder Kopf ruhlc an seiner Schulter, und sie wehrte ihm nicht, als er voll leidenschaftlichen Ungestüms ihre Lippen küßte.
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