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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.08.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190208318
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020831
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020831
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-31
- Monat1902-08
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.08.1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnannahme 25 (excl. Porto). Vrtra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung -4t 80.—, mit Postbesörderuug 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» sind stets an in« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr- Druck uud Verlag vou E. Polz in Leipzig. Sk. Jahrgang. Sonntag den 31. August 1902. Für Monat kann das Leipziger Tageblatt durch alle Post anstalten Deutschlands und Oesterreichs zum Preise von 2,— bezogen werden. In Leipzig abonnirt man für 1,50 (mit Bringer, lohn 1,85) sowohl bei der Hauptexpeditiou, den Filialen und Ausgabestellen, wie auch bei sämmtlichen Zeitungöspediteuren. Für Trespen und Berlin führen die dortigen Hauptstlialen des Leipziger Tageblattes Bestellungen aus, in Dresden, Strehlenerstr. 6, Berlin, Königgrätzerstr. 116. Aus der Woche. Der Besuch des Königs von Italien hat einen so freundlichen Verlauf genommen, wie man nur immer er» warten konnte. Bon dem liebevollen Auslande der werden wir in den nächsten Tagen zu lesen bekommen, eS sei in Potsdam und Berlin recht steif hergegangen, Victor Emanuel habe große Zurückhaltung an den Tag gelegt u. s. w. Solche Herabsetzung von Vorgängen, die man in Deutschland selbst nicht überschätzt, die aber ihren Werth in sich tragen, sind wir gewohnt, und diesmal hat man wenigstens in Frankreich doppelten und dreifachen Anlaß, sich der Beschäftigung des Mäkelns hinzugeben. Auf die italienisch»französische Freundschaft bat sich nämlich der Mehlthau noch weit jrüher gelegt, als die kritischsten Beurtheiler der neuesten romanischen Verbrüderung erwarteten. Die natürlichen geschäftlichen Vorthrile, die die Franzosenfreunde Italiens von dem Abschlüsse des ZollfriedruS und der „Entente" erhofft, sind nicht nur ausgeblieben, sondern Italien erleidet ungeheure Ver luste durch die Ueberschwemmunz mit französischen Boden- erzeugnifsen, namentlich — das weinreicke Italien! — mit Wein. Die Enttäuschung war hart, weshalb sehr hervor ragende italienische Gegner des Dreibundes und Verehrer Frank- reich« auf künstlichem Wege versuchten, die Landsleute von dem wirthschaftlichen Segen de» Freundschaftsverhältnisses mit der „lateinischen" Republik zu überzeugen. Französisches Capital sollte italienische Gefilde befruchten und dort schlummernde Kräfte mit goldenen Küssen erwecken. Eine franco-ita lienische Bank sollte daS bewirken. Aber die Ita liener geriethen an Leute, die die Sache umgekehrt ver standen, sich die Taschen mit italienischem Gvlde füllten und in ganz kurzer Zeit eine einzige italienische Bank auf eine der berühmten französischen Familie Humbert nicht un- würdigeWeise um die Kleinigkeit von 9 Millionen Lire schädigten. So etwas ist auch Apenninern schmerzlich, denen der geschicht lich allerdings unhaltbare Gedanke der gleichen Abstammung von den Quiriten Seligkeit bereitet. Selbst eingebildetes gemeinsames Blut mag ein ganz besonderer Saft sein, aber rotheS Gold ist auch ein ganz besonderes Metall, das man selbst an den nächsten Vetter nicht gern verliert. Märchen über ein kühles Beisammen in Potsdam und Berlin werden die Italiener über den unerwarteten französischen Wettbewerb und die direkt durch die „Schwesternation" erlittenen Verluste kaum trösten. Umgekehrt wird die handelspolitische Enttäuschung, die Italien — übrigens aus ganz natürlichen Ursachen, die weitsehende Italiener, odne gehört zu werden, voraussagten — erlebt, für eine geschickt verfahrende deutsche Regierung die Handelsvertragshandlungen mit dem südlichen Staate wesent lich erleichtern und sie kann auck der Kräftigung politischer Be- sonnenhell und somit der Werthschätzung des Dreibundes auf der Halbinsel dienlich sein. Wir Deutschen werden keinen Wein und keine Oliven nach Italien verkaufen, aber fortfahre», namentlich Trauben und ihren Saft in großen Mengen von dort zu beziehen — wenn wir leibliche Zollbedinguugen bei anderen Artikeln erzielen. Eine übrigens keineswegs erschütternde „Nuance" bei dem Einzuge dcS Königs von Italien in Berlin hat allsogleick die Reichshauptstadt lebhaft beschäftigt und wird nun auch im übri gen Reiche besprochen. Victor Emanuel bat auf die Ansprache deS Oberbürgermeisters erwidert, er bedaure, nicht deutsch antworten zu können, da er der Sprache nicht mächtig genug sei. Mit anderen Worten: er hat die herzlichen Begrüßungs worte, die an ihn gerichtet waren, nicht völlig verstanden. Dem war nun nicht vorzubeugen gewesen, da man in Deutschland allgemein glaubte, der König verstände deutsch. Es war so oft erzählt worden, daß seine Mutter, die Königin Mar gherita, ihrem Sohne von Jugend auf unser« Sprache bei gebracht, und noch am Morgen b«S EmzugStageS war in Berliner Blättern, die sich den Anschein genauester Kenntmß gaben, von der Vertrautheit Victor Emanuel» mit dem Deutschen nicht ohne Genugthuung gesprochen worden. Hätte Oberbürgermeister Kirschner gewußt, daß er, wenn er sich unserer Sprache bediente, unverstandene Laute an daS Ohr des hohen Gastes klingen lassen würde, so hätte er, da er wohl selbst nicht italienisch versteht, vielleicht einen Ausweg gesucht und gefunden, indem er sich etwa mit dem so neutralen Latein behalf. Der König seinerseits betrat diesen Weg; aber freilich nicht unter Be achtung der Neutralität. Er antwortete französisch. DaS ist um so mehr ausgefallen, als der Gast sich ja italienisch auSvrücken konnte. Er würde damit nur dem Begrüßenden mit gleicher Münze gedient haben: Muttersprache gegen Muttersprache. Die Wahl gerade de» Französischen konnte nicht gefallen. Tie Sprache der Franzosen ist zwar noch — zum Theil — die der Diplomaten. Aber der Ver treter der Berliner Bürgerschaft ist kein Diplomat, bewill- kommte am allerwenigsten den Einziebenden in der Eigen schaft eines Diplomaten, und Victor Emanuel hat offenbar auch nicht in dieser Eigenschaft seinen Wagen halten lassen, um den deutschen Bürgerwortführer anzuhören. In geschichtlichen Rückblicken, Nachrufen u. s. w. befällt auch den Fortschritt manchmal di, Schwäch« d«r Wahr» heitSliebe. So sagte die „Voss. Ztg.", daS auserlesene Organ der Richtung, von dem verstorbenen Otto Gildemeister: „Indem er seinen Blick auf das Große und das Ganze gerichtet hielt, erachtete er eS für nicht wesentlich auf welchem Wege daS Endziel, die Schaffung eines starken und geeinten Deutschlands, erreicht würde. Vor Allem hielt er sich von dem Radikalismus frei. Seinem friedlichen Sinne entsprach viel mehr, das Bestehende zu bewahren und darauf daS Neue aufzubaurn. Deshalb wurde es ihm leichter als vielen andern seiner Altersgenossen, mitzuarbeiten, als die Verwirklichung deS deutschen EtnheitStraumeS vorbereitet wurde, und noch später, al» es nach 1870/71 sich darum handelte, Handel und Wandel im neuen Reiche den neuen Verhältnissen an- zupassen." Hier haben wir daS Geständniß, daß „die anderen Alters genossen" — d. b. die Linksliberalen, zu denen auch Gildemeister gehörte, dis es Ernst wurde — „weniger", richtiger gar nicht mitarbeiten konnten, als eS zu arbeite» anstatt zu reden galt, und zwar daß sie dies nicht konnten wegen rhreS Radikalismus. Diese Erkenntniß hat sich schon nach 1866 nicht verhüllt,aber da kam der Fortschritt mit demAbrüstungöantrage, und von 1871 bis auf den heutigen Tag hat er sich stets versagt, wenn eS zu schaffen galt, der Weg aber sich »richt gar. genau mit der papiernen Marschroute des Freisinns decktet Und wenn wieder einmal eine Schicksalsstunde schlägt, so wrrd auch die „Boss. Ztg." wieder finden, daß parteipolitische Ge sinnungstüchtigkeit die Hauptsache sei, der daS politische Be- dürsniß sich unterzuordnen habe. Die Fleischthcuerung, spcciell die in Posen, hat den preußischen Landwirlbschaftsminister und den Abgeordneten Ring als ein leitendes Mitglied der landwirthschaftlichen Biehoerwerthungsorganisation herausgelockt. Die Frage, warum Herr Ring und seine Handelscentrale der Thcue- rung begegnen könnte, wenn er nicht die Schuld an dem bisherigen Bieh- und besonders Schweinemangel trüge, ist hier schon aufgeworfen worden. Möglich, daß die „Schwänze", deren Vorhandensein man nach Herrn NuigS Erklärung an- uehmen muß, von Händlern bewerkstelligt ist. Es wäre nicht der erste Fall dieser Art. Wie dem aber auch sei: Eines steht fest, die Fleischthcuerung, dir vieler Orten, ja fast in allen Stauten oes Reiches, sich fühlbar macht und z. A. im Elsaß erschreckend ist, beeinflußt die zollpolitische Stim mung weiter, der phrasenmackendeu Agitation sonst nicht zu gänglicher Kreise. Sollte dies für Herrn Ring und seine Freunde nickt ein Anreiz sein, die Frage des landwirthschaftlichen Zollschutzes durch ein verständiges Zurückzieben aus daü Er reichbare baldmöglichst aus der Well zu schaffen? Die Agrarier haben eS in der Hand. Deutsches Reich. * Leipzig, 30. August. Die Fahne ist das Heiligtbum des Soldaten. Bisher galt als Regel, daß die Fahne des halb bei den geschloßenen Äbtheilungen ihres Truppen- theilS zu bleiben und erst beim Auflösen der letzten ge schloffenen Abtheilung mit in die Feuerlinie zu gehen habe. Der Kaiser hat eine Aenderung des Exercir-Reglemenis in Bezug auf den Platz der Fahne besohlen; sie soll nunmehr auch bei der Entwickelung zum Gefechte bei derjenigen Compagnie bleiben, bei der sie sich befindet. DaS kann man billigen oder mißbilligen. DaS Letztere werden wohl die meisten militärischen Kritiker thun, weil sie die Fahne, wie daö bisher der Fall war, besser gesichert sehen möchten. Die Kritik entspringt also (selbstverständlich, sollte man »»einen) der Sorge um die Sicherheit der Fahne. DaS trifft nun nicht zu für daS „Organ des Conservativen LandeSvereinS und sämmtlicher Conservativer Vereine in» Königreich Sachsen", das „Vaterland". In diesem Blatte wird die kaiserliche Ordre folgendermaßen glojsirt: „Am besten wäre es, man ließe die Fahnen zu Hause, denn einen erkennbaren Zweck und Nutzen haben sie überhaupt nicht. Eie bilden im Gefecht einen beständigen Gegenstand der Sorge für den Bataillonscommandeur und die Osficiere, ein halbe» Dutzend der tüchtigsten Untcrofsiciere geht den Compagnien im Gefecht verloren, und in» Quartier »nutz stet» ein besonderer Poste» zur Bewachung der Fahne ausgestellt werden. Jeder, der einen Feldzug mitgemacht hat, wird zugeben, daß die Fahne ein überflüssiger Ballast ist, »nit dem man im Kriege die Infanterie nicht länger beschweren sollte." In der wohlwollenden Annahme, dem Blatte sei daS Malheur passirt, eine», Ausschnitt auS einem anderen Blatte, vermuthlich einem socialdemokratischen, als eigene Aeußerung gegeben zu habe», anstatt »kn, wie beabsichtigt, zu citiren und als völlig verständnißlose Profanirung und Zweck verkennung zu bekämpfen, enthalten wir un» jeder Bemerkung zu dieser Leistung; übrigens wäre anch für den Fall, daß die Auslassung so gemeint sein sollte, wie sie dasteht, jeder Tadel überflüssig — der wird dem Blatte schon von seiner eigenen Partei in genügendem Maße zu Theil werden. Berlin, 80. August. (Die Steuerverhält- ntssc in den Einzel st aaten und iin Reiche.) Die Socialdemokratie fühlt wieder einmal daS Bcdürfnitz, die Arbcitcrbevölkerung durch Berdrchungcn der Lteucrverhültnisse in den Einzelstaaten und im Reiche zu verhetzen. Nachdem ihr früher nachgewtcsen ist, daß im größten Bundesstaate, in Preußen, die Eensitcn mit mittleren und größeren Einkommen nicht blos ebensoviel, sondern vielfach wett mehr an Steuern aufbrtngen, als die grvßtcnthcilS von jeder Staatssteucr befrettcri breiteren Schichten, verlegt sie sich jetzt darauf, die Verschiedenheit der Linkommensteucrverhältnisse in den einzelnen Bundes staaten im Verheyungöintercsse auSzubcuten. Daß sie sich gröblich blamirt, wenn sie dabei zur Kennzeichnung der Besteuerung der wohlhabenderen Bevölkerung lediglich die StaatS-Einkommensteuer heranzieht, entgeht ihr natürlich. WaS will eS beispielsweise besagen, wenn das soctaldemokratische Eentralorgan besonders betont, daß in Hamburg bi, Einkommensteuer erst bei 50000 ^t! die Höhe von 1 Prvc. erreicht? In Hamburg wird eben auf anderem Wege, so aus dem der Erbschastübesteuerung, die wohlhabendere Bevölkerung »veit schärfer als anderswo angefaßt. Die Socialdemvkratie weiß dak, verschweigt es aber, weil sonst der Berhetzungszwcck nicht erreicht werden würde. Es ist durchaus verkehrt, die Belastnngen der verschiedenen Bevölkerungsschichten durch einige Stcuerarten gegenüberzusteUen, nur die Gesammt- belastung kann da ein zutreffendes Bild ergeben. DaS zu entwerfen, hütet sich die Socialdemvkratie aber wohl weislich, »veil es zur Evidenz ergeben würde, daß überall in Deutschland die leistungsfähigeren Schichten auch die größeren Lasten tragen. Nun sieht die Socialdemvkratie in der Verschiedenheit der Einkvmmcn- steuerverhältnisse der Einzelstaaten einen Mißstand, der beseitigt werde», müßte. Es ist klar, weshalb. Das Reich soll die Einkommenbesteuerung in die Hand nehmen, »veil die Socialdemvkratie im Reichstage größere Einwirkung darauf ausübcn zu können meint, als in den Einzelland- tagen. Es ist durchaus nicht angebracht, socialdemokra tischen Machtgelüstcn entgegenzukommen, ganz abgesehen davon, daß den Einzelstaaten doch wohl nicht ohne ihre Zustimmung Competenzen abgenommen werden könnten, diese Zustimmung aber schwerlich zu erreichen sein würde. Im Uebrigen dürfte die jetzige Belastung durch die Staats einkommensteuer iu den Einzelstaaten, die nicht, wie der „Vorwärts" in zu großer Bescheidenheit bemerkt, bis 4, sondern bis 5 Proc., so in Hessen, geht, im großen Ganzen genügen, da ja immer bedacht werden »nutz, daß die Cvm- munalsteuerzuschläge diese Belastung bis 15, ja 20 und mehr Procent steigern, wozu dann noch alle übrigen, von den breiteren Schichten nicht zu tragenden Lasten kommen. Bei -er Beurtheilung der Stcucrverhültnisse ist schließ lich dav socialdemokratische Blatt von seiner früheren An schauung, daß gerade die reichsten Leute die geringsten Steuern zahlten, zurückgekommen, es hat jetzt die Ent deckung gemacht, daß der Mittelstand es ist, dem zu Liebe die heutige Einkommenbesteuerung gestaltet worden sei. Der Mittelstand wird durch diese Entdeckung nicht »vcnig überrascht sein. Bisher konnte man aus Mittel- standskreisen heraus Klage»» genug über den Steuerdruck hören. Ob sie alle berechtigt waren, braucht hier nicht untersucht zu werden. Daß aber -er Mittelstand, statt zu Klagen, zu Frcndcausbrüchcn über die Einkommen besteuerung Veranlassung habe, das zu entdecken, war dem soctaldemokratische»» Parteiorgan Vorbehalten. Weshalb alle diese Betrachtungen vom „Vorwärts" angestellt wer den, ist klar. Tie socialdemvkratischc Führerschaft sieht, daß die Belastung, welche die Arbeitgcberschaft in Deutsch land aus Fürsorge für die Arbeiterschaft auf sich ge nommen hat, doch schließlich auf den einsichtigen Theil der letzteren Eindruck machen könnte, sie merkt, daß der in Deutschland maßgcbcnde Grundsatz der Bcsteucrnng nach der Leistungsfähigkeit doch auch der breite»» Masse die Augen darüber öffnen könnte, daß für die heutige Staats und Gesellschaftsordnung die Gerechtigkeit der Grund pfeiler ist. Dieselbe Führerschaft muß aber iin eigene»» Interesse bestrebt sein, der Verbreitung einer solchen Er kenntnis; vorznbcngcn, nnd darum werden die Bcstcue- rungsverhältnifsc geradezu auf den Kopf gestellt. Die Arbcitcrbevölkerung Deutschlands darf sich schon be ruhigen. Ebenso wie nach dcri Aussprüchen einsichtiger Ausländer der deutsche Arbeiter am besten von allen in der Welt gegen Nothfälle des Lebens sichcrgestellt ist, so sind die wohlhabenderen Kreise Deutschlands vor» allen in der Welt am meiste»» belastet. Die Verdreliungskünstc der Socialdemvkratie können daran nichts ändern. -7- Berlin, 30. August, l O b e r s ch l e s i e n.) Ob wohl uns noch drei Vierteljahre von den Reichstags- wah len trennen, kann man doch schon jetzt sagen, daß die Wahlen in Oberschlesien diesmal zu der» spannendsten und, wenn man »vill, pikantesten gehören werden. Wie die Zeiten sich ändern! Jahrzehnte lang waren gerade in Oberschlesien die Wahlen so nninteressant wie nur denk bar; man »mißte, daß 11 von de»» 12 Wahlkreisen dem Ecntrnm sicher waren; die anderen Parteien stellten wohl Candidatcn auf, aber ohne sich irgendwie um einen Erfolg, der doch nicht möglich war, zu bemühen. Ganz anders ist die Lage diesmal: die bürgerlichen Polen bekämpfen das Eentrum, die Socialdcmokrateu bekämpfen die bürger lichen Polen und das Eentrum und die deutschen und die polnischen Svcialisten bekämpfen sich gegenseitig. Unter dieser» Umständen und bei der voraussichtlich zu erwarten den Zersplitterung der Stimmen werden auch die bürgcr- lichen deutschen Parteien, insonderheit vielleicht die Mittelparteien, ernsthafter als sonst in den Kampf ein treten dürfen; haben sie doch bei verschiedener» Wahlen in Oppeln, Kosel, Lublinitz, Beuthen, Kattowitz, Pleß und Ratibor recht stattliche Stimmcnziffcrn erreicht, Ziffern, die ihnen diesmal zur Stichwahl und dann vielleicht zum Siege verhelfen könnten. Die bürgerlichen Polen wollen in 10 von den 12 oberschlesischcn Wahlkreisen eigene Be werber alffstellen und acceptiren nur die bet den letzten allgemeinen Wahlen in Oppeln bezw. Neustadt gewählten Abgeordneten Szmula und Strzoda. Die solcher maßen gemachte freundliche Ausnahme ist aber, wenn man sich's näher besieht, thatsüchlich eine gröbliche Verhöhnung des Centrums. Herr Szmula ist bei den letzten allgemeinen Wahlen als Pole gegen den officiellen Centrumscandidaten ge- wühlt worden und daS Eentrum hat ihn nachher, ans der Noth eine Tugend machend, als richtigen Centrumsmann in seinen Verband ausgenommen. Ebenso ist Herr Strzoda ursprünglich ein „Rebell". AlS nach dem Tode deS >803 gewählten Pfarrers Cntronowskt eine Ersatzwahl nöthtg geworden war, wurde Strzoda von dem polnischen Theile der Bevölkerung dem officiellen CentrumScandidatcn gegenübcrgcsteNt und in der Stichwahl gewählt. Auch er durfte sich dann der LentrumSkractton anschlteßcn und bet den Wahlen von 1808 stellte daS Eentrum ihn lieber gleich von vornherein auf, nm sich nicht noch einmal zu blamlren. Diese beiden ursprünglich also gegen da- Eentrum ge- wählten Abgeordneten sollen dem Centrum gütigst über- lasten bleiben. Hätte daS Eentrum Schneid, so würde eS die Herausforderung der Polen damit beantworten, baß eS seinerseits die Herren Szmula und Strzoda fallen ließe und an deren Stelle Candidatcn deutscher Abstammung aufstellle. Die Fülle Szmula Ukld Strzoda zeige»» aber, daß das Centrum gar keinen Anlaß hat, die Ausstellung polnischer Gegencandidaturen auf die leichte Achsel zu nehmen, denn ebenso gut, wie hier Bewerber polnischer Nationalität gegen osstcielle Ceiitrumscandtüaten durch gekommen sind, kann dies auch in anderen Wahlkreisen ge schehen. Selbstverständlich wird sehr viel von der Hal tung der oberschlesischcn Geistlichkeit ab hängen. Offieiell wird diese ja nun selbslverständlich für das Eentrum eintreten, um so mehr, als Fürstbischof Kopp eine Ausbreitung der großpvlnischen Bestrebungen ir» Oberschlesien ganz und gar nicht wünscht; ob aber nicht mancher Geistlicher polnischer Abstammung hinten herum für den polnischen Candidatcn agittren wird, ist doch noch sehr fraglich. Was die Socialdemokraten an langt, so haben die schlesischen „Genossen" beschlossen, daß der Parteitag in München ihren den polntfch-socialistischen Bewerbern entgegengestellten Candidatcn die osstcielle Weihe geben und sich zugleich gegen jede Verquickung nationalistischer Gedanken mit den Zielen -er Socialdemokratie aussprechen soll. Das wird der Parteitag ja wohl thun, aber wir bezweifeln stark, daß die polnischen Bergarbeiter Oberschlesiens sich sonderlich um Münchener Beschlüsse kümmern werden. Berlin, 29. August. (DaS Centrum und die reichsländischen Katholiken.) Als die „Kölniscke Volkszeitung" kurz vor der Eröffnung des Mannheimer Katholikentages einen Feldzug zu Gunsten deS sofortigen An schlusses der elsaß-lothringischen Katholiken und ihrer parla mentarischen Vertretung au daS Centrum einleitete, glaubte man offenbar in den leitenden Kreisen des letzteren, man werde bezüglich dieses Anschlusses verhältnißmäßig leichtes Spiel haben. Das rheiniscke Centrumsorgan ging daher mit etwas derben Mitteln drauf los und stellte gewissermaßen den „Brü dern im Elsaß" ein Ultimatum, das mit dem Mannheimer Katholikentage ablausen sollte. Man sprach ihnen nach Auf- bebung deS Diklaturparagrapben jede Berechtigung zu einer Sonderstellung außerhalb der Reiben des CentrumS ab und verlangte den sofortigen Uebergang der Trupven wie der Führer der bisherigen elsaß-lothringischen Parte» in da» Centromslager. Dabei scheut: sich das rheinische CentrumS- organ nicht, gegen die Veteranen dieser Partei, die nian für die Anschlußsache Preisgeben zu muffen glaubte, mit Verun glimpfungen und Verdächtigungen vorzugehen. Die Ant wort von elsaß-lothringischer Seite blieb nicht aus. Sie bestand in einem Proteste gegen daö Vorgehen der „Kölnischen Volkszeitung" und einer Zurückweisung des „auf völliger Unkenntniß und Verkennung der elsaß-lothringischen Verhältnisse" beruhenden Verlangens nach Aufgabe jedes Selbstbestimmungsrechles. Den Veranstaltern deS Katho likentages war damit ein schöner Theil ihres ConcepteS verdorben. Die .^Kölnische Volkszeitung" aber suchte sich dadurch zu retten, daß sie die Angelegenheit noch mehr auf das persönliche Gebiet hinüberspielte und erklärte, sie wünsche gar nicht, daß die „Träger des bisherigen Systems", d. h. die gegenwärtigen elsaß-lothringischen Ab geordneten, sich sämmtlich dem Centrum anschlöffen, wa» sie jedoch nur mit Hintergedanken thun würden. Erst die nächst jährigen ReichStagswahlen seien bestimmt, hier eine Aende rung herbeizusühren. Im Uebrigen vertröstete das rheinische CentrumSorgan sich und seine Leser auf den bevorstehenden Mannheimer Katholikentag, der sich niit der Sache befassen würde. Nun, der Kathotikentag ist gekommen und was er in der „elsaß-lothringischen Frage" zu Wege gebracht hat, ist nickt etwa rin Beschluß der Generalver>ammlung, — in den öffentlichen Versammlungen wurde die Angelegenheit nicht einmal gestreift, — sondern eine Resolution des Auzustinusvereins, d. h. des neben dem Katholikentage tagenden Vereins der Verleger »»ltramontaner Blätter. Die Resolution wendet sich denn auch nur an „die katholische Presse der Reichslande" mit der Bitte, im Sinne einer Organisalion der elsaß-lothringischen Katholiken auf der Grund lage des CentrnmSprogramniS „unter Berücksichtigung der elsaß- lothringischen Verhältnisse" und für den Anschluß der aus den nächstjährigen Reichslagswahlcn hervorgehenden Abgeordneten an die Centrumsfraction im Reichstage zu wirken. Damit ist der Wunsch, dessen Erfüllung auf dem Mannheimer Katholikentage diesem besonderen Glanz verleihen sollte, bis zu beziehungsweise nach den Reichstagswahlen des nächsten Jahres vertagt. Den elsaß-lothringischen Katholiken sagt man im Allgemeinen wenig ultramontane Neigungen nach; das jetzige Vorgehen der Wortführer deS CentrumS diesseits des Rheines dürfte sie noch weniger geneigt machen, allen Sonde»- gelüsten zu entsagen. Für den Liberalismus aber c»wächst unseres Erachtens auS der jetzigen Lage der Dinge die Ver pflichtung, seinerseits den Versuch zu macken, durch festere Organisation den nichtultramontanen Elemenren »m Reicks lande wenigstens die Gelegenheit zu bieten, dem Joche des CentrumS zu entgehen. * Berlin, 30. August. („I'inisOermaniao 1870".) Im Anschluß an das Zugeständnis» deS französchei» Gcnc- ralstabswerkes, daß längst vor den Emser Ereignisse»» der Krieg »nit Frankreich beschlossene Sache gewesen sei, macht Graf Hans Horck von Wartenburg tn Kleinöls, Kreis Ohlan, auf einen interessanten Umstand aufmerksam, -er geeignet ist, weiteres Licht über daS Verhalten Napo- lcon'S III. zu verbreiten. Graf Aorck schreibt der „Schles. Zeitung": „Der Kaiser Napoleon IIl. hat eine Medaille in Silber prägen lassen in der Größe eines Fünffrankenstückes; auf der Vorderseite sein Bildniß, nach dem üblichen Stempel, geschmückt »nit dein Lorbecrkranz, welchen er nach den italienischen Siegen des Jahres 1859 sich umgclegt halte, und der Inschrift: „Napoleon Hl. — Imperator" je rechts und links am Kopf, auf der Rückseite in einem zweiten Lorbecrkranz die Worte: „kmis 6ermr,nise1870". Ein Münzzeichen sehe ich nicht. Da mir im Augenblick französisches Geld nicht zugänglich ist, Weitz ich nicht zu sagen, ob ein solches bet dortiger Prägung sonst üblich ist, mutz es aber annehmen. S« scheint, daß diese Medaille entweder in Folg« der August- Schlachten und deren niederschmetternden Erfahrungen gar nicht
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