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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190502252
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19050225
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19050225
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-02
- Tag1905-02-25
- Monat1905-02
- Jahr1905
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1905
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„Unna!" Fritz Haller war blaß geworden, nun schwoll ihm die ZorneSader an der Stirne auf, er packle ihre Hand krampf haft fest- „Anna, das sagst Du nickt wieder. Willst Du meinen Vater, Deiner Mutter Bruder, am Ende ins Zuchthaus bringen- Laß Deine Worte weiter keinem Menschen wis sen, hörst Du?" Sie suchte sich hastig von ihm loszumachen. „Das hättest Du nicht nötig gehabt. Du hättest es nicht so weit kommen zu lassen brauchen. Meinetwegen kannst Du gehen und brauchst nicht wieder zu kommen!" „Anna", bat er, „kannst Du mich denn nicht hören? Coll ich denn meinen Vater Lügen strafen? Ich bin doch sein Sohn. Einen Meineid darf ich ihm doch nicht zu trauen. Ich weiß es auch nicht: ist er auf der Wiese ge wesen oder nicht in der Nacht, — mir hat er kein Wort darüber gesagt!" »Fritz, versündige Dich nicht; er mag vielleicht nicht hier gewesen sein, aber — Du!^ „Jchz Anna?" Der Bursche war so weiß geworden wie der Schnee unter seinen Füßen. „Ja, Du, Art läßt nicht von Art!" Sie stand vor ihm, das "blasse Gesicht leicht gerötet von der Erregung, die Augen sahen heiß und zornig zu dem Burschen auf; aber dann erlosch dies Aufleuchten plötzlich in ihnen und bitter sagte sie: „Nun ist doch alles vorbei; fort müssen wir doch, von dem Ellernhof." „Anna", er schrie es fast heraus, „was meinst Du damit!" Er war aufgesprungen und griff nach ihrem Arm, als wolle er sie halten, wenn nicht anders, mit Gewalt. „Wenn es doch bereits fast alle Leute wissen, daß wir fort müssen von dem Ellernhof, warum solltest Du es nicht gehört haben? Tu weißt es ja doch am besten, lvas uns dazu gebracht hat und wer daran schuld ist!" Nun war's aber zu Ende mit seiner Ruhe und Lang mut; außer sich packte er das Mädchen an beiden Schul tern — und ihre schmächtige Gestalt schüttelnd, rief er: „Das ist nicht wahr, das sagst Du doch bloß so!" — Sie bog sich zurück vor seinem heißen Atem. „Ich wollte, das wäre so, Fritz! Um mich ist es nicht, aber um den alten Mann! Tas stößt einem das Nerz ab, Ich finde ja irgendwo ein Fleckchen — ich kann hart liegen. Aber der alte Mann?" Tas Mädchen kämpfte verzweifelt gegen das Weinen an, das ihre ganze Gestalt bewegte. „So weit soll es nicht üommen, Anna. Wozu hat mein Vater das Geld? So weit soll er es nicht kommen lassen!" „Tein Vater, Fritz? Ter hat uns ja so weit ge bracht", schluchzte sie. „Und wenn er nicht will, geh ich fort; ich habe es ihm schon öfters angedroht; wenn er es zu voll machen tpürde, dann kann er ja sehen, ob das Geld allein gedeiht, ob er's mit seinem Geld allein aushalten kann!" Tas Mädchen war ruhiger geworden. „Wenn es uns schlecht geht, Fritz, was geht das Dich an? Dir kann es ja doch gleich, sein, ob wir hier sind auf dem Ellernhos, oder sonst wo?" „Anna", er drückte ihre Hand fester, „das ist mir nicht gleich", sagte er gepreßt, und dann atmete er hoch auf. Anna, der Alte hat sich gestern ja unwürdig gegen Dich benommen; Tu darfst nicht auf ihn hören. Sieh', meine Hände sind gesund und mein Arm ist stark genug. Wenn Du nur willst, will ich für Dich arbeiten und Deinen alten Vater. Wir finden schon ein Fleckchen, wenn es auch der Ellernhof nicht ist. Wirst Tu nicht „ja" sagen, Anna, ich habe Dich ja so lieb, wie sonst niemand auf der Welt!" Er hielt sie einen Augenblick fest an seiner Brust und fühlte ihren heißen, tiefen Atem und wie er unruhig ging. Ihm wurde so heiß auf einmal, er wußte nicht warum. Immer fester drückte er das Mädchen. Seine Lippen ver langten ihr hübsches, blasses Gesicht zu küssen, den schmerz lich lächelnden Mund. Seine Hellen Augen suchten unter die dunklen Wimpern zu blicken. Nun sah sie auf. War's ein schöner Zukunftstraum, der vor ihr versank? Tas Lächeln wich von ihren Lippen. Auf einmal stieß sie ihn fort. „Fritz, nein, zwischen uns ist alles aus, es muß aus sein, denn die vom Ellernhof und die von der Beeken- mühl' kommen nicht wieder zusammen, wenn unser Herr gott sic nicht selber zusammenführt, und zumal wir beide — Fritz? Wenn er nicht seine Hand regt und uns den Weg ebnet, dann ist's für immer vorbei mit uns !" Sie legte die Hand über die Augen und er sah, wie die Tränen zwischen den Fingern hindurchglitten, aber dann richtete sie sich, gewaltsam auf und sagte fest: „Fritz, was auch kommen mag, wir müssen still hal ten, wir haben es nicht besser verdient. Wenn unser Herr gott uns vergeben will, dann meint er es gut mit uns, dann straft er uns nicht, aber alles steht in seiner Hand, Gutes und Böses. Und nun „Gute Nacht, Fritz!" damit hielt sic ihm die Hand hin, „lange findest Tu mich nicht mehr auf dein Ellernhos!" Sie war von ihm sortgetreten m den Gang des Gartens, der zum Hause führte. Er sah noch den Ein druck, den ihre Füße in den hölzernen Pantoffeln im Schnee ließen und dann schlich er langsam der Straße zu, die er gekommen war. 5. Ja, unser Herrgott muß manchmal seine Hand rühren, sonst geht das Leben gar so langsam und willenlos da hin. Sein Wille bewegt die Welt, das Leben, das Geschick der Menschen, und ihr ewiges, unruhiges Herz mit all' seiner Liebe, seinem .haß, seinem Leide und Jammer. Im Ellernhof war des Jammers genug, kein lauter Schmerz, der nach außen Beruhigung sucht, nein, stummes Elend, welches den Menschen zu Boden drückt, langsam wohl, — aber sicher. Alles was zu entbehren gewesen, das war auf den Prozeß hingegaugen und mehr noch — die Ställe waren leer geworden. So tropfenweise kam's Elend. Wenn der Sommer mit dein Termin da war, das Kvrn in die Sense wuchs, — dann war's aus. Tie Zeit hält nicht ein, sie ist unerbittlich die schweren Tage kommen, dem Taugen des armen Menschenherzens zum Trotz, keine Hand wehrt ihr! Ter Ellernbauer war nicht verzweifelt, eine unheim liche Ruhe war über ihn gekommen, seit er's gewiß wußte, daß es nun zu Ende. Sollte er sich Vorwürfe machen und sagen: ohne den Prozeß wär's nicht so weit? — Auf sein gutes Recht, auf seinen Gott hatte er vertraut, sein Recht war ihm verkümmert und sein Gott hatte ihn verlassen! — Wenn Gott seine .Hand in unserem Leben rührt, das empfinden wir wohl nicht immer wie eine erlösende Kraft, oft als einen schwülen Druck, wie unter dem wolken schweren Dunkel einer Gewitternacht. Ta bangt sich die Natur vor dem Himmel rind seinen Kräften; aber es kommt doch der Sturm und was miorsch ist, das reißt er fort und vernichtet es und die zuckenden Blitze beleuchten unheimlich das Bild der Zerstörung, — und dann wird es Morgen. Wer je in einem blühenden Garten gestanden, über den der Gewittersturm getobt, — der weiß es, was das bedeutet. Tie welken Blätter und tauben Blüten sind ge° s -j- n 2 s » s — NS ßA — 31 knickt, aber was gesund und stark war, das hat seine Knospen gesprengt und — blüht. Ter Ann Gottes hat sie berührt. Wenn er in Schmerz und Leid das Menschen herz erfaßt, da sieht er, wessen Herz faul und tot, oder ob es in seinem innersten Fühlen doch in ihm gewurzelt ist. Der Ellernbauer hatte nicht mit tauben Ohren seit zwanzig Jahren jeden Sonntag unter der Kanzel gesessen, um nicht zu wissen, daß ein Christ dornige Wege gehen muß, daß ihm sein Gott in Schmerzen ost am nächsten ist. Ta waren viele, die meinten, wie sein Herrgott solche Ungerechtigkeit zulassen könne? Das hörte er nicht gern, er war oft nahe daran, aufzufahren, wenn einer verzagt und kleinmütig war. Neben ihm sollte niemand einen Zweifel aussprechen; den letzten Halt durfte man ihm doch nicht nehmen? Tas Schwerste kam ja noch, wenn er von dem Ellernhos fort mußte mit dem weißen Stock! Tas war's. Ob sein Gott das auch von ihm fordern würde? Gewiß, die Sonne ging jeden Tag auf, und jeden Tag weiter kam's näher für ihn, langsam und doch so gewiß, wie s Frühling iverden mußte. Tie Saat, ivelche er säete, wuchs nicht mehr für ihn, und doch würde sie hineinmüssen, wenn der Schnee fort war. Tas ist einmal so, säen und ernten, Sommer und Winter, das hört nicht auf, da man die Kraft Gottes dran sieht und seinen Willen. Aber war dies Gottes Wille, daß es so kommen mußte? Ter Ellernbauer fragte es sich oft genug und fand doch nimmer eine Antwort. — Gott läßt sich nicht erforschen. Während auf dem Ellernhof drückender Friede und Ruh.' herrschte, gerieten Vater und! Lohn; cürf der Leekm- mühle oft aneinander. Ter Junge wollte fort, aber der Alte hielt ihn mit aller Gewalt, wie man das Einzige hält, was einem zum Leben zieht. Fritz Haller blickte düster vor sich hin, vvm Alten war nichts zu erreichen; der hatte gelacht, als er ihm gedroht, er werde zu fremden Leuten gehen: er werde ihn wieder holen lassen, wenn nicht anders, durchs Gericht. Sie waren beide gleich eisenköpfig, sie hatten's probiert! Ter Junge war wohl still zuletzt, aber er hatte seinen Willen, und der Alte ging uni ihn herum, als wollte er's heraus haben. Ter hatte seinen Willen, das war recht, aber noch war nicht die Zeit zum Reden. Ter Alte würde es schon erfahren, was er wollte, — aber zuletzt. Wie das den Alten kränkte, er fürchtete sich beinahe vor dem Sohn, was der tvvhl Vorhaben möchte! Fritz Haller war bei aller Aehnlichkeit mit dem Alten eine offene, ehrliche Natur, -- das war's ivvbei er ihn zu fassen suchte. ! „Tu meinst wirklich, Fritz, ich soll den Alten dort sitzen lassen für mein Geld ? Tas hätte ich ja dann billiger haben können. Nein, so dumm ist Tein Alter nicht. Meinst Tu, ich hätt' ihm bloß die Hölle heiß gemacht, weil er der Ellernbauer ist, aus älter Feindschaft? Nein, mein Junge, da kennst Tu mich schlecht. Der Ellernhof und die Beekenmühle die gehören zusammen. Freiwillig wäre aber der Ellernbauer nie vom Hof weggegangen, er klammert sich an wie die Schnecke au ihr Haus und bloß der Tod vielleicht hätte ihn wegholen können. Ich habe dies genau gewußt. Jetzt aber wehrt er sich nicht mehr lange, der Prozeß hat ihm den letzten Sips; gegeben. Und dann ist der Ellernhof — mein!" Ta sprang der Junge auf. „Oder mein!" Ta war's heraus. Ter Alte verstand ihn nicht gleich, verblüfft sah er ihn an. „So", stotterte er endliche nun begriff er erst. „Tu willst wohl den Bauern und seine hübsche Tochter dort behalten und Tein Nest dort bauen? Tas fehlte noch! Nein, mein lieber Junge, daraus wird nichts!" „Und ich sag' Dir, Vater, Du kriegst den Ellernhof nicht, dafür steh ich ein", fuhr der Junge aus. „So, mein Junge", höhnte der Alte, „Tu würdest dort nicht gut sitzen, ich habe daS Schicksal in Hände» und könnte Dich just so gut wegschwemmen wie Deine ganze Gesellschaft dort unten. Ich wollte Dir schon korw- men, ich würde es Dir zeigen!" „Vater!" Ter Junge war weiß geworden wie die Wand, an die er sich schwindelnd gelehnt hatte, mit starren, wehen Augen sah er auf den Alten nick mühsam preßte er's zwischen den Zähnen hervor: „Tann hat der Ellernbauer doch Recht! Meineidig bist Tu! Und wenn ich Dich nicht anzeige, dann bin ich's selber!" Es war, als könnten seine jungen Schultern es nickt tragen, als müßte er zusammenbrechen unter der Last, die ihm aufgelegt wurde. Tie Augen des Alten glühten ihn an: wie ein wilde- Tier hätte er sich auf Hcn Sohn stürzen mögen, um ihn zu würgen, ihn still zu Machen für alle Zeit, aber dann sank er zusammen auf den Stuhl und wimmcrcc. um Er barmen flehend, um „Stillschweigen", ewiges Schweigen. Ta hörte er schon die Tür gehen, er sah nickt aus, ein fester Tritt verhallte aus der Diele, — das war die Antwort. Nun wußte er, daß er nichts weiter besaß als seinen toten Reichtum, den Sohn hatte er verlören. Kein Wort fiel seit dieser Stunde zwischen Vater und Sohn. Tas war aus und vorbei. Tas Mühlrad ging Tag für Tag, auch in der Nacht ging's. Den Beelemnaller hatte die Unruhe gepackt seit dem Augenblick. In der Nacht wan delte er wie ein ruheloser, unseliger Geist durchs Hou in den Mehl- und Kornkammern umher. Die Gesellen hörten ihn dann wohl, aber sie scheuten sich, ihm zu be gegnen. Tas Licht schien manches Mal in dunklen Näch ten über den Schnee, einen glänzenden Streifen in die weiße Winterlandschaft hinauswerfsnd. Tie Leute im Hause trauten dem Beekenmüller seit den letzten Wochen nicht mehr, er war sonst sein lebenlang ein nüchterner Mann gewesen. Nun waren hie Augen ver glast und das rote Gesicht aufgedunsen. Wenn's das war, dann ging's auch mit dem Beekenmüller bergab, denn der Jungender früher immer mit zugegriffen hatte, faßte nichts mehr an und tat, als kümmere ihn der ganze Be trieb nicht. Seinetwegen könnte ja wohl die Mühle Feuer fangen, er würde dann kaum vor die Tür gehen. Meinten die Burschen. c S. Tas war eine heillose Nacht, die Nacht, wo das EiS zu brechen begann und der Tauwind heulend durch die Niederung fuhr, als müsse er alles vernichten. Die Erlen und Weiden bogen sich quietschend und das Wasser klatschte gegen das Bollwerk, in hohen Spritzwellen ging es hin über. Es hatte jahrelang nickt so viel Schnee gelegen, sv schnell hatte das Tauwetter selten eingesetzt. Wie sollte da werden für die auf dem Ellernhof, wo das Wasser und das Eis an den Garten trieb ? Wenn das Dorf keine Hilfsmannschaft schickte, um den Tamm zu erhöhen? S:e selber konnten nichts weiter tun, als ihre beste Hakkc nehmen und den Hof verlassen. Der Ellernbauer lag blaß und elend auf dem kett, die Gicht plagte ihn in allen Gliedern, und wenn er sich anch hätte rühren können, er wäre doch nicht svrtgegangen, daran dachte weder er, noch die Anna, die dort vor dem aufgeschlagenen Gebetbuch saß. Sie las nicht mehr, blaß lehnte sie den Kopf in die Hand. Tie Buchstaben tanzten ihr vor den Augen, sic verstand es nicht das Wort: „Rufe mich an in der Not!" Sie hatte sich die Hände
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