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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021008018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
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Die Haupt rolle spielten in Straßburg die Reichstagsabgeovdneten Delsor und Hauß; beide haben in ihrem Organ den Gedanken des Anschlusses an das Zentrum stets sehr kühl behandelt, wenn sie auch davon Abstand nahmen, ihn mit der Gereiztheit eines Wintcrcr zu bekämpfen. Dem gemäß ist sowohl im Referate des Herrn Hauß, wie in dem Programmentwurf des Herrn Delsor die Gründung einer elfaß-lothriirgischen Landesorgantsation gefordert worden, nicht der Anschluß an die Zentrumspartei. Mit charakteristischer Schärfe verwahrte sich Herr Hauß gegen die Annahme, daß die Einladung zu der Bertrauens- männcr-Vcrsaminlung die frucht der bedauernswerten Entgleisungen der „Köln. Bolksztg." sei: sie wäre viel mehr das Ergebnis reiflicher und sachgemäßer Prüfung der Partciverhältnisse des Reichslandes. Die neue Organi sation, die Hauß fordert, soll allerdings der des Zentrums „ähnlich" sein, aber ihr soll der Geist eingehaucht werden, den sie als elsaß-lothringische Organisation haben müsse. Zwischen ihr und den Klerikalen in Bayern, Württem berg u. s. w. zieht Herr Hauß einen dicken Strich, indem er die Reichsverfassung zu Gunsten seiner klerikalen Landespartci ausspielt: der Reichstag sei zugleich Landtag für Elsaß-Lothringen, deshalb würden die elsaß-lothrin gischen Retchstagsmitglicder erst recht Elsaß-Lothringer im Rcichsparlament, während die übrigen Klerikalen im Reichstage mehr oder weniger aufhörten, Bayern u. s. w. zu sein. Diese Auffassung ist zwar bloß sehr bedingt richtig, weil im Zentrum des Reichstages nur zu oft parti kulare Rücksichten den Ausschlag geben. Aber der Stand punkt des Herrn Hauß wird zwcifellels weite Kreise der reichsländischcn Klerikalen bestechen und ihnen schon aus praktischen Gründen empfehlenswert erscheinen. Der Programmentwurf des Herrn Delsor ist bisher bet -er Berichterstattung recht stiefmütterlich behandelt worden. Aber seine bekannt gewordenen Grundzüge decken sich vollstäiMg mit den von Hauß gezogenen Richt linien. Die zwei ersten Paragraphen der Satzungen der Zentrumsfraktion sollen das eigentliche Programm als „Einleitung" zieren, das Progrannn selber jedoch ist das der früher geplanten elsaß-lothringischen LawdeSpartei. Im Grunde genommen liegt hierin eine nur notdürftig markierte Abwehr dcS Gedankens der Verbindung mit dem Zentrum, so -aß cs nicht erstaunlich ist, wenn eine „sehr eingehende" Debatte, die sich „hauptsächlich auf die schwebende ZentruMsfragc konzentrierte", daran geknüpft wurde. Leider hat man bis jetzt von beteiligter Seite kaum mehr als diese summarische Notiz über den Gang der Debatte veröffentlicht. SS ist demnach gar nichts Sicheres über die Frage bekamrt, ob Befürworter des Anschlußes an das Zentrrtm in nennenswerter Zahl sich geäußert, oder ob die, welche das taten, Männer von Einfluß sind. Nach dem Bericht eines demokratischen Blattes sollen die Elsäffcr, welche zum Wort kamen, mehr Geneigtheit gezeigt haben, sich dem Zentrum anzuschließen, während die anwesenden Lothringer nichts davon wissen wollten. Die Version 'der „Germania", im Falle einer Abstimmung würden sich zwei Drittel für den Anschluß au das Centrum erklärt haben, erscheint einstweilen als tendenziöse Prahlerei. Daß unter den Anwesenden die katholischen Mitglieder dcks LandeSauSschnsscs und der Bezirkstage „dünn gcsäet" waren, ist bemerkenswert. Blieben diese nicht zu unterschätzenden Herren fort, weil sie für den Anschluß an das Zentrum cintreten? Oder sind sic Gegner jsdcr neuen, strafferen Organisation des reichs- ländischen Klerikalismus? Etwa gar im Interesse des konfessionellen Friede,1s?! Daß der letztere von der Verwirklichung der Pläne des Herrn Hauß keinen Vorteil haben wird, muß leider für sicher gelten. In dieser Beziehung deutet namentlich eine Stelle aus dem Haußschen Referat auf die Tonart hin, welche die neue Organisation anschlagen wird. DaS anfängliche Zusammengehen der katholischen und der protestantischen Protestler schildernd, sagte Herr Hauß wörtlich: „Nicht lauge hielt jedoch dieses gute Einver nehmen an. Noch war die Hoffnung aus den Protest (!) bei der Bevölkerung nicht aufgegebcn, so bröckelte cs schon in -en Rethen der Protestanten bedenklich ab: der eigene Vorteil wurde vielfach über die Forderungen und Wünsche der Allgemeinheit gestellt." Unmittelbar hieraus folgt die Angabe, haß die Katholiken durch Erfahrung belehrt wor den seien, den Frankfurter Friede,^vertrag als unab änderlich zu betrachten. Anstatt auch nur einem Teile der protestantischen Elsaß-Lothringer das Recht auf Bc- lehrbarkcit durch die Erfahrung zuzubilligcn, bedenkt Herr Hauß sie mit einer Pauschalverdächtigung, weil sie sowohl dem Protest, wie dem Klerikalismus abgesagt haben! Wenn die neue klerikale Organisation schon bei ihrer Ent stehung so auf die Pflege des konfessionellen Friedens erc- picht ist, kann nran ermessen, was sie später in dieser Rich tung leisten wird. Deutsches Reich. Berlin, 7. Oktober. (Zur gegenwärtigen Wirt schaftskrisis.) Im neuesten Hefte der „Jahrbücher für National-Okonomie und Statistik" erörtert vr. Franz Eulenburg in Leipzig sehr eingebend die Symptome und Ursachen der gegenwärtigen Wirtschaftskrisis. Von seinen Ausführungen sind diejenigen besonder» inter essant, die sich mit der letzten Ursache der Krisi» beschäftigen. Als diese letzte Ursache wird von vr. Eulenburg die Art und Weise angesehen, in der das moderne Kapital sich bildet und aus- breitet, vr. Eulenburg begründet seine Auffassung im wesent lichen durch folgende Darlegungen: „E- besteht ein doppelter zeitlicher Fehler. Einmal schafft e» die Möglichkeit der ProduktionSauSdehnuug und zwar für die Bevölkerungs zunahme einerseits, die allgemeine Bedürfnissteigerung und Bedürfnisumbildung andrerseits. Aber die Schaffung und der Verbrauch dieser Produktionsmittel kann kein gleich mäßig fortschreitender sein. Wenn in Zeiten deö Auf schwunges die Jndustrieausstattung eine sehr große war, so ist damit auch die Produktionskapazität noch mehr ge wachsen und sie kann erst ausgefüllt werden durch Nach lassen in der Neuausstattung und allmähliches Nachkommen deS Verbrauche». Andrerseits hatte aber auch der Konsum von Gebrauchsgütern nicht gleichen Schritt gehalten mit der ReichtumSentfaltunH: die Preissteigerung der Lebens- kosten und die noch nicht hinreichend gesteigerte Kaufkraft der großen Massen hatten auch hier ein zeitliches AuS- einanderfallen verursacht. Die uberkapitalisation war zwar vor dem Aufschwünge schon vorhanden und dauert auch zur Zeit deS Niederganges fort. Aber sie bedarf des be- sonderen Anlasses, um in höherem Maße sich der Industrie zuzuwenden, während sie sonst mehr die festen Anleihen und damit den indirekten Konsum aufsucht. Wir baden diesen äußeren Anstoß für den letzten Auffclnvung in einer Reihe von Momenten zu suchen: als eine solche Gelegenheitsursache internationaler Art glaubten wir die vermehrte Goldproduktion und damit zusammenhängend die internationale Preissteigerung hervorheben zu sollen. Es war nur ein primum wovsns — die weitere Ent wickelung geschah mit Notwendigkeit von innen heraus. Aber auch die „äilloroutiri. speviüoa" der gegenwärtigen deutschen Krise ist neben diesem allgemeinen Typus er kennbar. Deutschland batte einen besonders starken wirt schaftlichen Anlauf genommen und ist daher am nachdrück lichsten von dem Rückschlag betroffen worden. ES ist natur gemäß, daß bei den engen internationalen Beziehungen aller WirtlchaftSfaktoren die Erschütterung an einer Stelle sich aus breiten und auf andere, mehr kleine Wellen stoßen muß. Den besonderen Anlaß, sich von neuem der Produktionsaus stattung zuzuwenden, entnahm daS deutsche Kapital wohl vor allem den technischen Fortschritten der Elektrizität, sodann den Verkehrsmitteln u. a. Dadurch entstand dann im speziellen jene Unproportionalität. Die Ursachen dafür liegen ganz auf innerdeutschem Markte; weder die internationalen politischen Verwickelungen, noch auch die besonderen Verhältnisse unseres Außenhandels oder unserer exotischen Werte haben nennens werten Einfluß gehabt. Wie immer in den Zeiten der Hoch konjunktur bat daS Moment der Spekulation und Kredit überspannung vielfach verschärfend gewirkt — nur primäre Ursachen vermochten wir in ihnen nicht zu erkennen. Aber eS ist festzuhalten, daß jene lauten unv meist be sprochenen Zusammenbrüche nicht den entschei denden Einfluß gehabt. Die gegenwärtige Krise ist keine solche des Kredite» und Geldmarktes, sondern eS ist eine intensive Produktion-- und Absatzkrise in, eigentlichen Sinne. Die zeitweilige Geldknappheit hat nur jene unsicheren Institute zum Fallen gebracht und trug mehr symptomatischen Ebarakter." /X Berlin, 7. Oktober. (Unterschiedliche Be handlung der Werkmeister bei Hand habung der Arbettervcrsicherung.) Im Zusammenhang mit einer neuerlichen Revisions-Ent scheidung des Reichs-Versicherungsamks ist auf den Unter schied hingcwiesen worden, der in dem Charakter des Arbeitsverhältnisses eines gewöhnlichen Cigarrenar- beiters und eines Werkmeisters beruht. Die Abnahme der gefertigten Cigarren, Probemachen bet den, Tabak einkauf, Verwaltung der Svrticreret und insbesondere Anleitung der Arbeiter sind gegenüber der Tätigkeit der letzteren von erheblicher Verschiedenheit. Abgesehen von der zu jener erforderlichen größeren Übung und der Vor bedingung gründlicherer Kenntnis des Arbeitsstoffes und der Handgriffe eignet ihnen allen namentlich eine auf sichtliche Tätigkeit, wie sie der gewöhnliche Arbeiter nie mals aüszuüben hat. Diese aufsichtliche Stellung aber erhebt die Werkmeister einer Fabrik nach außen und innen so weit über den Kreis der einfachen Arbeiter hinaus, daß sie als eine besvn'dcre Gruppe diesen gegenübcrtretcn und eher zu der Gruppe der geschäftleitende» Personen gezählt werden müssen. Eine deutliche Kennzeichnung dieser herausgehobenen Stellung ist auch in der erheblichen Verschiedenheit ihres Lohnsatzes gegenüber dem der Ar beiter zu erblicken. Während die letzteren in der Cigarrcn- Industrie nach der Ermittclmvg des Schiedsgerichts durch schnittlich etwa 12 wöchentlich beziehen, beläuft sich der Lohndurchschnitt der Werkmeister auf etwa 20—25 also ungefähr das Doppelte. Kommt nun dazu, daß ein Werkmeister ein Menschenalter hindurch oder länger solchen Posten bekleidet, so würde cs in der Tat nichts anderes als eine Zurücksetzung bedeuten, wenn man ihn auf eine Stufe mit gewöhnlichen Cigarrenarbeitern stellen wollte. Namentlich in der Krage der Bemessung der Mindestverdicnstgrcnze nach dem Invalidenversicherungs gesetz müßte eine solche Gleichstellung die Werkmeister be sonders hart treffen. Denn sie würde zur Folge haben, daß die Werkmeister meist schwerer die Invalidengrenze zu erreichen vermöchten und sich am Schlüsse eines durch größere Fähigkeiten oder Leistungen ausgezeichnet ge wesenen Arbeiterlcbens darauf angewiesen sähen, wieder in den Kreis derer zurückzutreten, aus deren Mitte sie sich durch ihre Tüchtigkeit cmporgcarbcitet haben. Eine solche wirtschaftliche und seelische Zurücksetzung liegt nicht in der Absicht des Gesetzes, das vielmehr die Arbeitsfähigkeit eines RcntcnbcwerbcrS mit den Leistungen seiner weiteren Standeögcnosscn verglichen sehen will, um fcstzustcllen, wieviel er mit seiner verminderten Leistungsfähigkeit noch zu erwerben im stände ist. * Berlin, 7. Oktober. Mit der Gruppierung der mittlerenEinkommenin Preußen beschäftigt sich die„Statist. Korr." und stellt fest, daß auf tausend Personen der Bevölkerung im Jabre 1892 70,88, 1896 74,05, 1900 88,5.3 und 1901 94,28 Zensiten mit mittlerem Einkommen, d. h. einem solchen Feuilleton. Turnvater Jahn. Von Paul Wangemann. Nachdruck verboten. Am 15. Oktober 1852 schloß zu Freyburg an der Unstrut die müden Augen ein Mann, welchem Deutschland viel ver dankt, und dessen Andenken verdient, von jedem echten Deutschen in Ehren gehalten zu werden, trotz mancherlei Sonderlichkeiten, mit denen sein Wesen gemischt war. Große Scharen deutscher Jünglinge nennen ihn noch heute ihren Vater, indem sic von ihm nur als vom Turnvater Jahn sprechen, und in der Tat verdanken wir ihm die Turnkunst, diesen wichtigen Faktor zur Hebung der deut schen Volkskraft; außerdem aber war er auch ein unent wegter, begeisterter Apostel der Einheit Deutschlands, zu deren Märtyrer er wie viele andere geworden ist. Friedrich Ludwig Jahn erblickte das irdische Licht am 11. August 1778 in dem kleinen Dorfe Lanz in der Prignitz, wo er als Sohn des dortigen Predigers in glücklicher Un gebundenheit, aber doch nicht ohne guten Unterricht aus wuchs. In seinem Jugcndlebcn wurzelt bereits die Eigen art seiner Zukunft. Mit den Fuhrleuten der Bauern fuhr er nach Lübeck, Rostock und Wismar, von ehemaligen Ma trosen lernte er schwimmen, von den ins Dorf zur Gra sung kommenden Reitern reiten, von den Affen, die sich der Herzog von Mecklenburg hielt, klettern, mit dey Paschern unternahm er lange Märsche — so hatte er, wie sein Bivgravh, vr. Heinrich Pröhlc, treffend bemerkt, die Elemente des Turnens schon früh beisammen. Mit Knaben ließ ihn sein Vater nicht verkehren, so waren alte Sol daten aus dem Siebenjährigen Kriege, die im Dorfe als Handwerker lebten, seine Gespielen, und sic erzählten ihm von ihren mannigfachen Abenteuern und von den Helden taten der Preußen und dcS alten Fritz. Geschichtsunter richt erteilte ihm abends sein Vater, wenn er den Knaben auf dem Schoße wiegte. Acht Jahre alt, disputierte der kleine Jahn schon Friedrichs Gegner nieder, und mit neun Jahren war er ein so eifriger Zeitungsleser, daß ihm sein Vater, als er am Lesen verhindert war, die neuesten Nach richten über den Türkenkrieg vorlesen mußte. Sobald er groß genug war, brachte ihn sein Vater auf die Schule zu Salzwcdcl; hier verblieb er unter täglichen Faustkämpfen gegen seine Mitschüler 8 Jahre. Mit seinem Abgänge nach Berlin, wo er die Gcdikcschc Schule besuchte, beginnt die tollste Periode seines Lebens. Er blieb, wie Pröhle erzählt, dort nur ein halbes Jahr, „geriet in schlimme pekuniäre Verwickelungen, erhielt beim Examen die schimpflichste Zensur, verließ am 17. April 1795 Berlin und ging aufs Gcratc^vohl in die weite Welt." Seinen Vater wollte er glauben machen, er sei tot, darum warf er, wie berichtet wird, seinen Hut ins Wasser — er selbst trieb sich ein volles Jahr in Deutschland herum, wo, darüber hat er stets Stillschweigen bewahrt. Wir finden ihn erst wieder, als er Ostern 1796 die Universität Halle bezieht, um Theo logie zu studieren. Während seiner Studienzeit erteilte er dort Unterricht am Waisenhause; schon damals erschien seine erste Schrift über die „Beförderung des Patriotis mus", in welcher er das Studium der vaterländischen Ge schichte als das beste Mittel zur Erreichung dieses Zweckes empfiehlt. In seinen Ferien fröhntc Jahn stets seinem Reise- und Bcobachtungsdrang. Er durchstreifte sein deutsches Vater land nach allen Richtungen, studierte überall die Verhält nisse. Nach Ablauf seiner Studienzeit war er als Haus lehrer tätig; als 1806 der Krieg mit Frankreich ausbrach, machte er sich sogleich zu Fuß auf den Weg, um die preußische Armee zu erreichen, die Reisekosten mit einem Halstuch und einer französischen Grammatik bezahlend. Durch sein vieles Fragen nach dem Hauptquartier machte er sich verdächtig, man verhaftete ihn als Spion, und erst nach einigen Ver hören wurde er wieder frei. Das hatte zur Folge, daß er zu spät kam — als er Jena erreichte, war die Schlacht bereits entschieden. Nun warf sich der kühne junge Mann zum Führer einer großen Schar Flüchtiger auf, die er ver gebens wieder zu sammeln und zu ermutigen suchte. In dieser Eigenschaft wohnte er auch, doch mehr als Zuschauer, einem Gefechte bei, bei dem die Kugeln dicht genug um ihn herflogen; er gelangte bis nach Lübeck, nnd man darf dem jungen Mann, dessen Herz so treu und heilig für sein Vaterland schlug, wohl glauben, wenn er erzählt, daß er, der erst 29 Jahre alte, „in der Nacht vom 14. zum 15. Ok tober zu Artern plötzlich graue Haare bekommen habe, nachdem er am Abend vorher die flüchtige preußische Kriegskasse hatte nach Magdeburg vorbeifahren sehen." Während einer seiner zahlreichen Reisen hatte Jahn im Jahre 1809 Gelegenheit, einem mit einer geheimen Sendung betrauten Engländer als Führer zu dienen und ihn trotz aller Gefahren ringsherum an sein Ziel zu be fördern. In demselben Jahre begab er sich nach Berlin; hier wirkte er als Lehrer am Gymnasium zum Graue» Kloster und an der berühmten, nach Pcstalozzischen Grund sätzen eingerichteten Plamannschen Erziehungsanstalt. Von hier aus verfolgte er auch alle Bestrebungen auf Beseiti gung der französischen Fremdherrschaft mit gespanntem Interesse, ja nahm selbst tätigen Anteil, wo er sich Wirkung versprach. Einer geheimen Verbindung zu diesem Zwecke, zu welcher man ihn unter abenteuerlichen und geheimnis vollen Umständen berief — die Erzählung klingt etwas zu romantisch, um ganz glaubhaft zu sein —, schloß er sich nicht an, da seiner Meinung nach, bevor die Freiheit Deutschlands wiederherzustellen sei, erst eine Regeneration deö Volkes von oben herab und von unten auf erfolgen mußte. Wie er sich diese dachte, führt er in seinem Buche „Deutsches BolkStum" aus, das neben manchem Konfusen und Schrullenhaften auch eine Anzahl beherzigenswerter Gedanken enthält nnd an seinem Teil redlich mtthalf, die politische Gleichgültigkeit aus dem Schlafe zu reißen und den deutschen Patriotismus zu entflammen. In Berlin war es auch, und zwar zu derselben Zeit, wo Jahn die Turnkunst begründete und dadurch dem deutschen Volke ein unvergängliches Vermächtnis hinterließ, das seinen Namen uns tencr und wert machen wird, solange noch ein fröhliches „Gut Heil" auf deutschem Boden ertönt. Der Ursprung dieser edlen Kunst war nicht plötzlich. Seiner alten Neigung getreu, pflegte Jahn mit einigen Schülern im Frühlingl810 an schulfrcicnNachmittagen hin auszuwandern in Feld und Wald. Die Kinder fanden Gefallen an den Spaziergängen, bei denen durch aller hand Räuber- und Waudcrspicle die Zeit verkürzt wurde. Die Zahl der Teilnehmer wuchs immer mehr, und es wur den Jugcudspielc und einfache Übungen vorgenommcn. Auch im Winter blieb ein Teil der Knaben dem Lehrer treu — mit letzteren eröffnete Jahn im Frühjahr 1811 den ersten Turnplatz in der Hascnheidc in Berlin. Im Freien, öffentlich und vor jedermanns Augen, trieben Knaben und Jünglinge nun allerhand Leibesübungen, und die Benennungen Turnkunst, Turner, turnen u. s. w. kamen damals auf. Die neue Kunst erregte großes Auf sehen, selbst französische Blätter schrieben darüber. Turn fahrten entstanden gleichzeitig mit dem Turnen, nnd ohne daß der Turnplatz im geringsten zur Stätte pvlitischcrIdecn wurde, bildeten sich doch dort die Patrioten heran, welche die Schlachten bei Leipzig, an der Katzbach u. s. w. schlugen. Denn in der Turnkunst hatte Jahn wirklich ein Mittel gefunden, die deutsche Volkskraft zu heben und den Volks geist neu zu beleben; und wenn diese sich auch nicht als das Altbeil- und lluivcrsalmittel bewährte, das er in ihr er blickte, so ist sie doch in ihrer Bedeutung für die Verjüngung des Körpers, für die Kräftigung der Glieder, die Be lebung der Widerstandskraft und« Stärkung der Energie längst allgemein gewürdigt. Außerdem wirkte Jahn auch in Wort und Schrift eifrig für seine Zwecke, und er trug dadurch nicht wenig zur Ent fachung der Volksbegcisternng und zur großen Volks erhebung gegen Napoleon bei. Er selbst war einer der Mitstiftcr und Werber der Lützowcr, und nicht ohne Be rechtigung nannte man ihn den „ersten deutschen Frei willigen". Begeistert nahm er an dem großen Freiheits kampfe als Leutnant und Hauptmann teil, auch betätigte er seine Tapferkeit und Brauchbarkeit bei verschiedenen Sendungen der Regierung. So sandte ihn 1815 der Fürst von Hardenberg als Kurier nach Paris. Er war es auch, der dafür Sorge trug, daß das Gedenke» jener großen Tage nicht wieder in den Herzen der Jugend erlöschen könne. Am 18. Oktober 1814 zündete er mit feinen Turnern auf dem Rollberge bet der Hasenheide das erste Oktober feuer an, und auch aus die Gründung der deutschen Burschenschaft in Jena blieb er, der inzwischen als Turn lehrer angcstcllt worden war und in Berlin Vorlesungen über deutsches BolkStum gehalten hatte, sicherlich nicht ohne wesentlichen Einfluß. Im Jahre 1814 verheiratete sich Jahn mit Helene Kolloff, einer warm für das Vaterland em pfindenden Krau, deren Mitgift dem Patrioten die Mittel zur Herstellung und Einrichtung des ersten Turnplatzes lieferte. Leider verlor er das geliebte Weib schon nach 9 Jahren glücklicher Ehe. Im Jahre seiner Vermählung gründete er mit mehreren anderen die Berlinische Gesell schaft für deutsche Sprache, 1816 gab er sein „Turnbuch" her aus zur Anleitung für Turnlehrer und Pädagogen. Der nach 1815 hereinbrechcnden Reaktion gegenüber trat er kräftig und entschlossen auf, dadurch machte er sich ver dächtig, die Regierung schloß die Turnplätze, nnd der Turnvater wurde am 14. Inlr 1819 verhaftet. Mehrere Jahre währte die Untersuchung, während welcher der un schuldige Mann in Spandau, Küstrin und Kolbcrg in Hast gehalten wurde, erst 1824 erfolgte die Verurteilung zu zweijähriger Festungsstrafe. Bereits im nächsten Jahre sah er sich indes frcigcsprvchen, doch hielt mau cs für ge raten, dem einflußreichen Manne die Möglichkeit der freien Betätigung zu beschneiden, indem man ihm untersagte, sein Domizil in einer UnivcrsitätS, oder Ginnnasialstadt und innerhalb 10 Meilen von Berlin zu nehmen. Jahn siedelte nun nach Freyburg a. Unstrut über, von wo er von der immer noch mißtrauischen Regierung als „Iugcndver- dcrbcr" nach Evllcda verwiesen wurde. So dankte man ihm seinen Patriotismus und seine Treue! Erst später erhielr er seine Genugtunug. Nachdem ihm bereits früher gestattet worden war, nach Frcnbung zurückznkehrcn, verlieh ihm der König 1840 noch nachträglich das EiserncKreuz, und als er 1888 abbrannte, sammelten die deutschen Turner für ihren Altvater und setzten ihn dadurch in den Stand, ein eigenes Heim zu gründen. Als die Stürme von 1848 hcrcinbrachcn. zählte der alte Patriot bereits 70 Jahre, trotzdem zog er in die deutsche Nationalversammlung als Abgeordneter ein, aber als Mitglied der Rechte», so daß er sich verschiedenen Insultationen der aufgeregten Menge ausgesetzt sah und einmal «am 16. September) sogar gc, nötigt war, sich auf dem Hausbodcn zu verstecken. 74 Jahre alt, verschied der Greis am 15. Oktober 1852 abends in. seinem Hanse zu Freyburg, ein getreuer Eckart seines Vaterlandes, dessen Eigentümlichkeiten das harmonische Ganze seines Charakterbildes in «»serem Andenken nicht zu trüben vermögen. „Tiefsinnige und bedeutende Menschen", sagt Steffens ebenso wahr wie schön von ihm, „mochten in seinem derben Wesen daS gärende Chaos, auS welchem sich die Regeneration des Volkes wohl entwickeln konnte, erkennen. . . . Wer wagt es, ihm sein entschiedenes Verdienst abznsprcchen? Es war ein Moment des Volks lebens, welches notwendig hcrvortreten mußte, um den einengenden Formalismus der Schule, des HecreS, der Regierungsmaschine in den innersten Tiefen zu er schüttern .... Jahn hatte etwas Wahres. Ursprüngliches in seiner Art .... ein Mann, der eine solche Macht ausübte, war mir schon als ein solcher, als ein mächtig geschicht licher Natnrgegcnstand, anziehend und wichtig."
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