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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902111002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902111002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-10
- Monat1902-11
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Zwar steht der Antrag Aichbichler auf Aenderuug des Ver fahrens bei den namentlichen Abstimmungen noch nicht auf der Tagesordnung, aber seine Wirkung laßt sich bereits daran erkennen, daß der „Vorwärts" eine Besprechung dieses Antrags mit den Worten schließt:„DieZollparteien wollen den Kampf der Erbitterung und sie sollen ihn haben." Aus dieser Aufforderung an die parlamenta rischen Genossen kann man sich unschwer ein Bild de« heutigen Auftreten» der Herren Bebel, Singer und Stadthagen auS- malen. Und leider können die Antragsteller selbst sich nicht verhehlen, daß ihr Auskunftsmittel die gegnerische Kritik ver dient. Keines der konservativen und der klerikalen Blätter vermag die Einwendung der „Voss. Ztg." zu entkräften: „Dem kleinen Zeitgewinn stehen sittliche Nachteile gegen über. Da« Hans wird erst nach achtundvierzig Stunden auS dem stenographischen Bericht erfahren, wie jeder einzelne Abgeordnete gestimmt hat, und eS wird doch darauf gespannt sein, zu wissen, wie wenigstens diese« oder jene« einzelne Mitglied gestimmt hat. Man denke an den 6. Mai 1893, an welchem Tage über di« Saprivischen Forderungen für die Armee abgestimmt wurde, wie peinlich würde e» für viele gewesen sein, zwei Tage nicht zu wissen, mit welchen ihrer FraktionSgenossen sie im Einklang ge- wesen sind." Keines vermag zu bestreiten, daß durch den Antrag, wenn er angenommen wird, das Wesentliche bei der namentlichen Abstimmung verloren geht. Bis jetzt mußte der Abgeordnete auf seinen Namensaufruf vor versammeltem KriegSvolt und vor gefüllten Tribünen mit vernehmlicher Stimme sein Ja oder Nein abgeben; seine Abstimmung wurde noch an dem gleichen Tage durch die Blätter verbreitet, durch den Tele graphen den Wählern bekannt gegeben. Jetzt soll das schrift liche Verfahren eingeführt werden, und gleichzeitig wird jeden- falls eine Verzögerung der N,röff?ntlick»na der AhstimmnnaS- liste eintreten. Daß hierin ein sehr bedeutsame Unterschied, eine Abschwächung der Bedeutung der namentlichen Ab stimmungen, liegt, kann nicht geleugnet werden. Im fran zösischen Parlament macht man'S ebenso, heißt es zur Be gründung. Um die Erkenntnis herbeizuführen, daß es auch so geht, braucht man sich nicht auf das Beispiel der französischen Kammer zu berufen. Aber die Tatsache, daß eS sich um eine grundsätzliche Umgestaltung der namentlichen Abstimmung handelt, wird dadurch nicht au« der Welt geschafft. So stehen die Antragsteller von vornherein in dem ihnen an gedrohten „Kampfe der Erbitterung" mit stumpfen Waffen da. Sie wissen das, wie gesagt, auch selbst; denn die „Post" schreibt: „Natürlich wird man sich mit Durchführung der geplanten Aenderung der Geschäftsordnung allein nicht begnügen dürfen. ES unterliegt keinem Zweifel, daß die sozialdemokratische Fraktion und ihre sreisiuaige HülfSIruppe nunmehr um so eifriger alle anderen Mittel der Obstruktion anwenden wird. Man wird zweifellos nunmehr bei jeder sich darbietenden Gelegenheit auch dazu greifen, künstlich die Beschlußunfähig leit des Reichstages herbeizuführen, und eS ist demzufolge ein Gebot der Pflicht und geradezu Ehrensache für die Mitglieder der schutz- zöllnerischen Mehrheit, durch dauernd vollzählige Anwesen heit solche Bestrebungen zu vereiteln. Das ist eS, worauf r« zunächst vor allem ankommen wird, sonst dürste auch die Aenderung der Geschäftsordnung sich als ein Schlag inS Wasser erweisen." Und die „Germania" bemerkt: „Man ist voraussichtlich genötigt, noch durchgreifendere Maßregeln in Erwägung zu ziehen, wenn man sich von den Singer-Lruten nicht länger will auf der Nase herumtanzen lassen. Einstweilen werden die Herren aber sehen, daß man sich nicht so ganz widerstandslos in die Tyrannei einer kleinen frivolen Minderheit zu fügen willens ist." Umsomehr ist die Frage berechtigt, warum ein den Gegner zur Erbitterung aufreizender Schritt unternommen wurde, von dessen Unzulänglichkeit man überzeugt sein mußte? Wäre eS nicht bester gewesen, entweder sogleich auf „durch greifendere" Maßregeln bedacht zu sein, oder von allen Halbheiten abzuseben und die Mitglieder der „Zoll parteien" auf vollzähliges Erscheinen während einiger Wochen zu verpflichten, um in ausgedehnten Sitzungen die Obstruktionisten an das Ende ihrer physischen Leistungsfähigkeit zu bringen? Gerade weil die große Mehrheit der Reichs tagsabgeordneten sich in den abgelanfenen vier Jahren der Wahlperiode mit dem Opfer der Anwesenheit in Berlin wahrhaftig nicht übernommen hat, wäre eS sicherlich kein unbilliges Ansinnen an sie, zu guter letzt die über nommenen Pflichten einmal in vollem Umfange zu er füllen. Einige wenige mag eS unter den Reichsbolen ja geben, denen durch einen andauernden mehr monatigen Aufenthalt in Berlin — eS handelt sich, die ver schiedenen Ferien abgerechnet, um höchstens noch t—5 Monate — schwere wirtschaftliche Nachteile zugefügt worden wären; aber ihre Zahl ist jedenfalls so gering, daß sie zusammen mit den Kranken und sonst durch triftige Gründe Verhinderten der Beschlußfähigkeit nicht entfernt gefährlich werden würden. Aber freilich scheint gerade die „Zvllmebrbelt" zu wissen, wie wenig sie sich auf ibre Mitglieder verlassen kann — so lange wenigstens, bis daS Feuer gar zu sehr aus die Nägel brenni. Im Herzen — das beweist auch der Antrag Aickbickier wieder — wünscht der weit überwiegende Teil der Mehrheit das Zustandekommen der Zollvorlagen, und zwar, da in den umstrittensten Punkten ein Nachgeben der verbündeten Negierungen nickt zu erwarten ist, daS Zustande kommen auf der Basis der Negierungsvorickläge. Aber den Mut zur allein rettenden Tat wird man, wenn überhaupt, erst finden, wenn man die Röte der Scham brennend auf den Wangen fühlt. Und so bleibt nur der Wunsch, daß die Obstruktionisten den „Kampf der Erbitterung" mit der vollsten Rücksichtslosigkeit führen, bis die Mehrheit „warm" wird und sich am eignen Zopfe aus dem Sumpfe zieht, in den sie unter dem unseligen Einflüsse der Führer dcS Bundes der Landwirte bis an den Hals hineingewatet ist. Die badische Klosterfragc. In einer neuen Betrachtung über die badische Kloster frage behaupten die „Münch. N. Nachr." der leitende badische Staatsminister v. Brauer habe sich für zwei Klöster bereits gebunden. Das sei nun freilich nicht sonderlich zu verwundern, denn Herr v. Brauer sei ein konser vativer Mann, und dazu kenne er die Entwicklung seiner Heimat nicht, da er seine besten Jahre im Reichsdienste verbracht habe; fast unbegreiflich aber sei :S, daß die Minister Münster, Buchenberger, Schenkel und v. Dusch dem neuesten Kurse folgen könnten. Die schwersten Angriffe jedoch richtet das Blatt gegen den Minister Reinhardt, der, vor wenigen Jahren noch liberaler Reickstagskandidat, aus einem liberalen Saulus ein schwärzlicher Paulus geworden sei. „Er war «S, der — trotz aller Ableugnungen — als Freiburger Landcskommissar Verhandlungen mit der Kurie führte, er ist es, dessen nicht veröffentlichte Versetzung nach Konstanz dann der damalige Minister Eisenlohr, als er hinter die Schliche seines Untergebenen kam, erzwang; er ist eS aber auch gewesen, der den Spieß umdrehte, so daß im weiteren Verlause der Angelegenheit Eisenlobr verabschiedet wurde — und Rein hardt ohne Portefeuille, also (nach einem BiSmarckschcn Worte über diese Ministergallung) als fünftes Rad inö Ministerium trat. Daß Eisenlohr quasi „aus Altersschwäche" wegen der Wablrechtösrage vom Kampfplatze abtrat, ist eitel Geflunker! Dieser SlaatSrat Reinhardt aber ist eö, dec (neben Herrn v. Brauer) die Sache der Kurie vertritt, und zwar mit einem Nachdrucke, um den ihn der fast ganz schweigsam gewordene — ein böses Zeichen! — Zentrumslöwe Wacker beneiden könnte. Er aber ist cs auch, dem an allerhöchster Stelle leider willig das Ohr geliehen wird." Schließlich wird noch mit- gelelit, daß schon zu Nckk-Eisenlohrö Zeilen der Großherzog sich in feinem friedliebenden Sinne der Klosterzulassung zu geneigt habe. Jedenfalls wäre cs nun endlich an der Zeit, daß der daS Land lief erregenden Ungewißheit ein Ende bereitet und zugleich dem ganzen Reiche reiner Wein über die künftige innere Politik Badens eingeschenkl würde. Kaiser Wilhelm in England. Auü San dring Ham, 9. November, wird uns berichtet: Der heutige Tag war von herrlichem Wetter begünstigt. Schon von frühem Morgen sah man auf der nach Sandring ham führenden Landstraße Fuhrwerke aller Art mit Bewohnern der umliegenden Ortschaften^ Der Weg zur Kirche war mit einer dickten Reihe von Zusckaucr.i besetzt. In die Kirche erhielten nur Gemeindemilgtieder und Bewohner des Schlosses Zutritt. Zuerst erschienen die Königin, der Prinz von Wales, Prinz und Prinzessin Karl von Dänemark, Lord Roberts mit Gemahlin und die Gemahlin Ebamber- lainS. Nach einiger Zeit erschienen König Eduard, Kaiser Wilhelm, die Minister Balfour und Cham berlain und die übrigen Gäste. Der übliche Morgengottes dienst wurde abgehallen; zum Schluß wurde jedoch die Nationalhymne gespielt. Bischof Ripon hielt die Prcdigt und sprach die Hoffnung aus eine Zeit auS, in der die Rasjenunterschiede zurücktreten und die Menschheit eine einzige brüderliche Gemeinschaft bilden würde. Redner gedachte der langen Krankheit und der Genesung deS Königs, sowie dcS KrönungstageS und fuhr fort: der Monarch eines uns verwandten Boltes ist gekommen, nicht als Souverän, sondern als Verwandter und Freund, um unsere Freude zu teilen, wie er vor kurzem auch daS Leid des englischen Volkes geteilt hat. Die Tatsachen scheinen ans die Möglichkeit einer Verwirklichung des Traumes vom Verschwinden der Rassenunterschiedc hinzudeuteu. Man hat berechnet, daß in hundert Jahren die Völker des Westens beinahe doppelt so zahlreich sein werden, als die des OstenS. Wie sehr auch Deutschland und England durch den Ozean getrennt sein mögen, die auS beiden Völker« gemischte Rasse nimmt jenseits des atlantischen Ozean« immer mehr zu, wo die Deutsch-Engländer eine Nationalität werden. Aber nicht bloß auf physischem Wege vollzieht sich diese Mischung, sondern durch die edlercn Mittel der Intelligenz und Les geistigen Zu sammenwirkens. Die Kräfte, die dem Fortschritt dienen, sind große Persönlichkeiten, große Rassen, große Ideen gewesen. Sie übten auf die Welt einen nützlichen Einfluß aus. Wir haben ein charakteristische- Beispiel hierfür in den beiden große» Völkern Deutschlands und England«. Redner gedachte der Haltung der beiden Völker im Zeitalter der Reformation und sagte, daß die- sie zusammensühre. In kritischen Zeiten der europäischen Geschichte erkannten sie ihre große Verantwortlichkeit und sind gemeinsam tätig gewesen. Sie übten auf die anderen Völker Europas eine große Wirkung auS und förderten den Geist der Brüderlichkeit. Sie übten ihre Macht nicht zum eigenen Besten, sondern zum Wohle der ganzen Menschheit auü und trugen dazu bei, den Traum zu verwirklichen, daß man einst die Rassenunterschiede au» den Augen verlieren werde. Nach dem Gottesdienst machten ver Kaiser unv der König einen gemeinsamen Spaziergang in den Gärten. Der Kaiser bat dein König und der Königin kostbare Geschenke, darunter rin Paar herrliche Vasen, mitgebracht. Die Entrevue in Rustschuk. Es hatte seinerzeit in Bukarest Befremden erregt, daß zu den bulgarischen Feierlichkeiten am Sckipkapaß nicht auch Einladungen an die rumänische Armee er gangen waren, da doch die letztere mit der russischen Armee gemeinsam auf den bulgarischen Schlachtfeldern gefochten batte. Es kam dann später von bulgarischer Seite eine Aufklärung dahin, daß, da die Rumänen an den Kämpfen um die Balkanübergänge unbeteiligt gewesen, diese Kämpfe vielmehr von den Russen und der bulgarischen Legion allein dnrckgefochten worden seien, auch die Er- iv.nernngSfeier an dieselben nur von den Ruffen und Bulgaren bätte begangen werden können, weshalb eine Einladung an Rumänien unterblieben sei. Man hat aber in Sofia dock anscheinend das Bedürfnis empfunden, das 25jährige Jubiläum des Befreiungskrieges nicht ohne ein Kompliment an Rumänien, daS damals entscheidend in den Kampf ringriff, vorübergehen zu lassen, umsomehr, als der Besuch deS russischen Großfürsten Nikolaus zu weitcrgehenden Kommentaren im eigenen Lande geführt hat, als den Tatsachen entspricht und auch dem Fürsten Ferdinand lieb ist. Man bat deshalb die Absicht deS Königs Carol, dem Fürstenden längst schuldigen Gegenbesuch in Rust sch nk abzustatten, mit Freude ausgenommen und für die Zusammenkunft der beiden Herrscher ein Programm aus gestellt, das auch einen Besuch deS von Rustsckuk au« gerade nickt leicht erreichbaren Schlachtfeldes von Plewna, wo König Carol einst als Oberstkommandicrender der russisch-rumäni schen Delagerungsarmee figurierte, enthält. Aus diese Weise wird die Entrevue in Nustschut auch militärisch gewissermaßen ein Pendant zu der Scbipkafeier. Gewissen russophilen Heiß spornen in Bulgarien ist deshalb die in Aussicht genommene Entrevue ein Dorn im Auge und sie knüpfen an dieselbe allerlei hämische Betrachtungen, die selbstverständlich und ver dientermaßen in Bukarest nicht die geringste Beachtung finden. Feuilleton. ' —— Das Findelkind. Roman von Ernst Georgy. Nachdruck verboten. Bolmann blickte ihn wieder stumm und verächtlich an. Dann untersuchte er wirklich die einzelnen Blätter. „Wie ist das denkbar?" rief er erstaunt. „Oho, Karten, Pferde und Frauen kosten; aber was tut eS? Eine große Mitgift deckt alles wieder zu! Halt, Onkel, gestatte mir, ehe du diese edlen Fetzen da liest, einige Worte. Ich stehe hier als häßlicher Spion und An geber, als ein Judas vor dir. Aber kann ich dich diesem Abenteurer in die Hände fallen lasten, diesem Leichtfuß das Weib überliefern, daß ich vergöttere? Ich spiele eine anscheinend häßliche Rolle, doch ich will Euer BestcsI Kümpfe für Euch! Gib mir deine Hand, Onkel, damit ich sehe, daß du mir glaubst!" Mit einer Biedcrmannsmiene streckte er seine Rechte hin. Bolmann seufzte, zögerte, dann atmete er auf und legte die seine hinein: „Ich will dir glauben, Eduard, ein ge reizter Liebhaber ist zu allem fähig. Du meinst eS gut; ater. — das arme Kind!" „Wenn Erna seine Unwürdigkeit sieht, wird sie sich grämen, dann auf sich besinnen und nach einiger Zeit meine Liebe würdigen. Darauf baue ich!" sagte Hennig entschieden. Bolmann hatte die Briese entfaltet. Sie waren nach der Reihe geordnet nnd von Sondheim an seinen Geld mann gerichtet. Er vertröstete ihn auf Hamburg, wo die reichen Erbinnen blühten, nnd wo er sich eine „angeln" wollte. Tann schrieb er ihm von seinen Aussichten bei Anna von Reckcnburg und erwähnte die „schöne Bolmann" als zweiten Rettungsanker. Im dritten Brief schrieb er: „Die goldhaarige E. B. und ich lieben un» und haben uns heute heimlich verlobt. Bin ich nicht geschickt? DaS Mädel ist so reich, wie schön! Ihr Weizen blüht, darum seien Sie nicht toll und ruinieren Sie mich nicht, sonst bekommen Sie gar nichts!" „Herr Oberleutnant von Sondheim bittet nm eine Unterredung!" meldete der Schreiber. „Sagen Sic, ich bedaure «nd bin auf keinen Fall zu sprechen, verstanden? Halt, sagen Sie, ich wäre fort gefahren!" rief Bolmann ihm nach. Ter Mann ver schwand. „Unter diesen Umständen ist die Heirat zwischen Erna und dem Offizier ausgeschlossen", sagte er dann leise. „Ich habe mit meinen Vorurteilen schon recht! Was mache ich mit ihr?" „Eine Radikalkur, Onkel, die volle Wahrheit, desto eher gesundet sie bei ihrem Stolze!" riet der Gefragte. „Armes Kind!" murmelte der Vater. „Läßt du mir diese Beweise?" „Für heute — ja!" „Wie hast du sie nur erlangt?" „Bitte Onkel, laß mich darüber schweigen, das ist Privatsache!" Die Herren saßen noch zusammen nnd berieten. In zwischen litt Erna Folterqualen. Auch Otto ließ nichts von sich hören. Totenbleich trat sie an das Fenster, als der Wagen vorfnhr. Ihr Herzschlag stockte! — Aber der zweite Herr, der ihm entstieg, war Eduard. Er blieb zum Diner, das heute endlos schien. „Komm' in mein Zimmer, Erna!" sagte der Vater danach in liebevollem Tone. Sie folgte ihm, einer Ohn macht nahe. — Der Vater überlegte, denn er fand nicht gleich die einleitenden Worte. Beide horchten auf. Gäste wurden in den Salon geführt. Mit ihrem scharfen Ge hör erkannte Erna Werners nnd Ottos Stimmen. Tic des letzteren klang heiter und hell wie immer. Bolmann raffte sich auf. Er hatte auch seine Besucher erkannt und mußte handeln. Ernst und mitfühlend, das bebende Mädchen an der Hand haltend, gab er ihr seine Erklärung. Er sprach ein- dringlich und ruhig, seine Worte mit Beweisen belegend. Zuletzt gab er dem regungslosen, wie betäubt lauschenden schönen Geschöpfe die schrecklichen Briefe. Sie laS. Jhrfüßcs Gesicht versteinerte fast. Ihre Lippen preßten sich auf einander. Sie stöhnte nicht, weinte nicht; sie blieb stumm. Bolmann bedrückte das: „Geh hinauf, mein liebes Kind, ich schicke dir die Mutter nnd spreche erst mit dem unwürdigen Mitgiftjäger. Nachher komme ich zu dir!" Seine Hand fuhr über ihr Haar und ihre kalten Wangen. Langsam, wie in der Hypnose, schritt sie zur Tür. Er ließ den jungen Offizier in das Zimmer bitten. Eine schreckliche Scene spielte sich ab. Otto kämpfte um sein Glück wie ein Rasender. Er gestand alles, behauptete aber, Erna so zu lieben, oaß er sic nicht lassen könnte. Zuletzt versprach er endatltigc Besserung und bat. mit der Geliebten auswandern zu dürfen. Bolmann wies ihn fort. Otto schrie derart auf, daß Werner, Eduard und Fran Bolmann entsetzt hineinstürzten. „Sie haben mir das angetan, Sie!" schrie Sondheim außer sich. „Aber mir sprechen uns noch!" „Mit einem Manne, wie Sic, schlage ich mich nicht!" rief Hennig schneidend. Otto stöhnte. In diesem Augenblick wurde die Portiere zurück geschleudert. Wie eine Rasende stürzte Erna auf Eduard zu: „So schlage ich dich, du cleuder Verleumder, dn Schändlicher! Deine geheimen Spionierereien sind mir so zuwider, wie du selbst, Schleicher!" Ehe man es verhindern konnte, hatte sie dem Schrcckcnsstarren ins Gesicht geschlagen. ES wurde totenstill. Eduard packte sie eisern beim Handgelenk. Tövlickcr Haß blitzte ans seinen Angen: „Das ist der Dank, daß ich dich von einem Schurken befreie, der im Rausch nm dich würfelt!" „Dazu warst dn selbst die Ursache, Elender —!" schrie Werner dazwischen. Hennig sah den Vetter stumm an, dann schüttelte er Ernas Arm, den er noch immer gepackt hielt: „Und wenn du mich jetzt ans den Knien bitten würdest — dich heirate ich nicht mehr! Deine Handlungsweise", er hob die Stimme, „beweist, welcher Herkunft du bist! Der Hefe mußt dn entstammen, dn gefundenes Kind, das Onkel nnd Tante Bolmann aus Gnade und Barmherzigkeit aus genommen haben, um cs vor dem Verhungern zu schützen. Du gehörst nicht in dieses Haus, nicht in unsere Kreise! Sondheim muß mir noch dankbar sein, wenn ich seinen Adel vor dir, Findling, schütze!" Er hatte trotz aller Zurufe sich nicht vom Reden ab halten lassen. Jetzt schritt er hochaufgerichtet fort. Die beiden Offiziere standen vor Ucberraschung wie am Boden festgewurzelt. Frau Bolmann sank schluchzend auf daS Sofa. Erna blickte stumm zu Bolmann: „Vater?" fragte sic in herzzerreißendem Tone. Bolmann trat zu ihr. „ES ist die Wahrheit, mein teures Kind, aber sorge dich nicht. Sie ändert nichts an unserem Gefühl. Dn bleibst immer, was dn bisher warst, unsere geliebte, gute Tochter!" Er wollte sie in die Arme schließen. Mit brechenden Augen sah sie ihn an. Ihre Linven öffneten sich. Ein weder Laut — die Arme griffen in die Luft — nnd ohnmächtig sank das unglückliche Mädchen zu Boden. Viertes Kapitel. Nene Prüfungen. Grete Wvrsmann, geborene Hennig, befand sich mit ihrem Gatten auf Reisen. Ihr Bruder Einmrd war gleich nach der Hochzeit nach London abgereist. Man sprach davon, daß er das einzige Kind eines dortigen Großkaus- manns, die blaffe Helen Smith, heiraten würde. Das junge Mädchen war eine Eoirsinc seiner Schwägerin Maud und die einzige Erbin eines echt englischen Reich tums. — I» Hamburg blühte und duftete eine Frühlings pracht sondergleichen. Im Bolmannschen Park war der Lenz mit einer verschwenderischen Ekbenfülle cingczogcn. Maiglöckchen und Veilchen ans den Beeten und der Flieder an den Hecken dnrchhauchten die laue Luft. Der linde Wind spielte in den knospenden Bäumen, sirrte in dem jungen Lanb, hinter dem allabendlich die Nachtigallen schluchzten. Ans dem frisch gestrichenen Pavillon, der neben dem Bootshäute in die Alster hincingedaut war, flatterte die Fahne. Vorn, unterhalb der an die Villa gebanten Veranda, saß Frau Bolmann mit ihrer Handarbeit. Ab und -n spähte die Fleißige hinaus auf den von der Aprilsonnc übergossenen Rasenplatz, wo Felix in seinem Wägelchen stand. Neben ihm verweilte seine Amme auf einem tsiartenstnhl und spielte mit ihm. Tein Krähen nnd „Mamamam" schallte bis zu ihr hinüber und verwandelte den ernsten Zug in ihrem Gesicht in ein seliges Lächeln. Das Gartentor fiel ins Schloß — ein Zeichen, daß ein befreundeter Besuch kam. Richtig, Anna von Rcckenbnrg bog ums HanS herum, küßte den Knaben und begrüßte seine Mntter. „Darf ich ein Stündchen bei dir bleiben und sticken, Tantchen?" sagte sie. „Nebenan ist cs so still nnd lang weilig. Ich habe doch nicht nötig, da so allein zu sitzen!" „Natürlich, Acnnchcn, eS ist sehr vernünftig, daß du mir Gesellschaft leisten willst. Ist Mama nicht da?" er widerte Fran Adelheid. „Nein, die ist bei Scnnigß in Uhlenhorst!" „Ach so!" Anna packte ihre Handarbeit aus und begann den Läufer aus Leinwand mit bunten Seidensäden aus- znsttcken. Ihr Gegenüber beobachtete sie zuerst schweigend und seufzte dann tief ans: „Ach!" sagte sic klagend, „es i>t zu unnatürlich! Ich — die Mutter — du — die Freundin, wir müssen nun hier allein sitzen, nnd Erna l"
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