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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.11.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021117019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902111701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902111701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-17
- Monat1902-11
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Erkra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SV.—, mit Pvstbesörderung 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd des Rolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Ännaismelchlnk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags lll Uhr. Morgea-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Erpedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abends 7 Uhr- Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 17. November 1902. 98. Jahrgang. Amtlicher Teil. Generalversammlung der Ortskrankenkasse für Leipzig «nd Umgegend Dienstag, den 25. November 1SV2, Abends 8 Uhr im Saale der „Flora", Leipzig, Windmnhlen- ftratzc Nr. 14/16. Tagesordnung: 1) Wahl des aus 3 Personen bestehenden Ausschusses für die Prüfung der Rechnung des laufenden Jahres, sowie dreier Stellvertreter; 2) Bericht des Finanz-, BerfassungS- und SanitätS-Ausschusses. Tbeilnebmer an der Versammlung sind die im Februar Ifd. IS. gewählten Vertreter der Mitglieder und der Arbeitgeber. Nur die diesen Vertretern der Generalversammlung zugebende Eintrittskarte berechtigt zur Theilnahme an der Generalver sammlung. Diejenigen Vertreter, welche bis zum 20. ds. MiS. eine Ein- irittskarte nicht erhalten haben, werden ersucht, solche in der Ge- schäftSstrlle, Gellertstrave Nr. 7/9, I. Etage, Zimmer Nr. 19, zu reklamiren. Leipzig, am 15. November 1902. Drr Vorstand der Ortskrankenkasse für Leipzig n. Umgegend, vr. Willinar Schwabe, Vorsitzender. U. Bekanntmachung, Sie Sirchenborftandswahl in der Malthäigemeinde betr. AuS dem Airchenoorstande der Matihäigememde scheiden noch den Bekanntmachungen vom 12., 15., 20. und 23. Oktober d. Js. auS die Herren: Kaufmann Bruno Apitzsch, Hospiano orteiabrikant Theophil Aranckc, Bankdirector 0r. plü. Ehregott Helm, Univrrsitatsvrofeffor 1). tk-ol Nlidolf Kittel, Steinmetzmeister Oscar Müller, Kaufmann, Director Otto Winkler, Rechteanwalt, Hoiraih Friedrich von Zahn, deren Wedeiwobl gesetzlich zulässig ist. Die Wahl soll stottfinden Montag, den 24. November d. As. von vormirt. 10 l^hr bis Nachmitt. 4 Uhr in der Sakristei der Malthäikirche. 1) Stimmberechtigt sind diejenigen Wenicinde Nieder, welche sich schriftlich oder mündlich zur Wählerliste anaemelvet habe». 2) Die Wohl hat duich schriftliche, jedoch persönliche Ab stimmung zu geschehen 3) Wählbar und nur stimmberechtigte Gemeindeglieder von gutem Rufe, bewährtem christlichen Sinn, kirchlicher E »sicht und Er fahrung, welche das 30. Lebensjahr vollendet haben. 4) Jeder Wahlzettcl hat 7 Namen von stimmberechtigten Ge- meindegliedern zu enihatten, woraui deren Laus- und Familien- uame, Stand oder Berus genau zu verzeichnen ist. Wir fordern alle, welche zur Tbeilnahme an Lieser Wahl be- rechtiat sind, aus, von ihrem Wahlrechte am Montag, -en 24. November d. As. Gebrauch zu machen und Ihr Augenmerk auk Männer von gutem Ruse, bewährtem christlichen Sinn, kirch- sicher Einsicht und Eriahrung zu richten. Leipzig, am 15. November 1902. Der Wahlausschutz sür die Kirchenvorstandswahl in der Matthäigcmeindc. v. Kaiser. Stadtebilder aus Sachlcn. Nachvruck verboten. Werdau. (Schluß.) Die bewegten Jahre vvn 1830 und 1848 gingen nicht spurlos an Werdau vorüber. Ter Sturm der erregten Gemüter richtete sich 1830 gegen den Stadt schreiber, der abüankcn mußte. Ta zu bcsürchtcn stand, daß verhängnisvolle Ausschreitungen Vorkommen möchten, so kaut von Zwickau militärischer Schulz, unter diesem ge lang es den Kommissaren, die gestörte Ruhe wieder hcr- zustellen. In größerem Umfange machten sich die Be wegungen der Jahre 1848/49 in Werdau bemerklich; Wer dau war wiederholt der Mittelpunkt größerer politischer Versammlungen, den 5. Mai 1849 zog die waffenfähige Mannschaft Werdaus als bewaffneter Zug nach Dresden, die Beförderung erfolgte mit der sächsisch-bäuerischen Staatsbahn, wofür später der Werdauer Stadtkassc vvn der Bahnverwaltung 374 Taler 12 Ncugr. in Ansatz ge bracht wurden. Nur wenige der Zuzügler gelangten nach Dresden, die meisten kehrten in kleinen Abteilungen wieder in die Heimat zurück, der Bürgermeister Linke entzog sich den Folgen der Bewegung durch die Flucht. Am 21. Mai 1849 rückten zwei Kompagnien preußischer Land wehr in Werdau ein, nnterm 25. Juni ward aus Ver ordnung des königlichen Gesamtministcriums der Amts bezirk Werdau in den Kriegszustand versetzt, der erst nnterm 7. Jannar 1850 wieder aufgehoben wo. o Große Brände sah die Stadt. Besonders zu er wähnen sind die vvn 1670 und 1756. Beim Ltadtbrande vvn 1670 sanken außer den meisten städtischen und geist lichen Gebäuden auch noch 106 Bürgerhäuser nebst den dazu gehörigen Nebengebäuden in Asche. Ta bei dem Brande ein ungeheurer Sturm herrschte, führte derselbe brennende Schindeln über die Stadtmauer, wodurch die außerhalb derselben liegenden Scheunen, die mit Getreide gefüllt waren, ebenfalls ein Raub der Flammen wurden, dazu die in der Nähe liegenden Mühlen. Der große Brand von 1756 am 1. Mai vernichtete innerhalb nicht ganz vier Stunden 179 Gebäude und 33 Scheunen, nm dem Brande Einhalt zu tun, mußten 33 Häuser teilweise abge brochen werden. Der durch diesen Brand verursachte Schaden bezifferte sich ans 170 101 Taler 3 Gr. kft/s Psg Zur Milderung der großen Not wurden die Stenern erlassen, der Landcsvatcr wies die Forstvcrwaltung an, den Abge brannten unentgeltlich Holz zum Aufbau und zur Her stellung der Websrühle zn überlassen. Von den benach barten Städten trafen reichliche Unterstützungen ein, der Rat zu Leipzig sandte 200Taler, die dortige.Kaufmann schaft 1276 Taler, die Leipziger Almoscnkastc 1724 Taler. Ein größerer Brand suchte Werdau am 16. August 1859 heim, m e r k w ü r d i g w a r d e r B r a n d d e r S t a d t - kirche am 20. Januar 1863. Ein sür diese Jahreszeit ganz ungewöhnliches sehr heftiges Gewitter zog über Werdan heranf, ein Blitzstrahl traf den Tnrm, der Blitz zündete und legte das obere Drittel desselben in Asche. Jeder dieser und der vielen kleineren Brände galt sür den Augenblick als ein Unglück, doch aus den Ruinen erb.ühte neues Leben, aus dem Schutt der Asche entstand eine bester angelegte Stadt; so haben die Brände dazu beige- tragcn, daß Werdan das Gewand einer mittelalterlichen Stadt abgestrcif: hat nnd in seiner Anlage den gesund heitlichen Anforderungen der Gegenwart entspricht. Alle diese Heimsuchungen würden in Werdau noch schwerer empfunden worden sein, wenn nicht von je her sich hier ein blühendes Gewerbe entfaltet hätte. Wie allerorts, so waren auch in Werdan anfänglich der Ackerbau und die Viehzucht die Hauptnahrungszweige, zu diesen gesellte sich die Tnchmachcrei, die um 1697, da die Ltadt 1500 Einwohner zählte, durch 99 Tuch- und Zeug macher vertreten war. An anderen Handwerkern zählte man in diesem Jahre 2 Leineweber, 13 Bäcker, 11 Fleischer, 3 Krämer und 128 andere Handwerksmeister. Das Haupt gewerbe blieb die Spinnerei und Weberei, denn 179l zählte man in Werdau bereits 117, 1804 aber schon >46 Tuchmacher. Ihnen standen die Zcugmacher an Zahl nicht nach, cs gab deren 1686 nur drei, 1756 aber bereits 58, 1794 135 Meister und 1804 sogar 162. Bedeutend war auch das Gewerbe der Nagelschmiedc, die sich in Groß- und Kleinnaglcr teilten, 1690 gab cs in Werdau 80 Großnagel» schmiede. Bon 1557 ab genossen die Werdauer und Zwickauer Fcuerarbeitcr das Vorrecht, die Kohlen von Zwickau wohlfeiler beziehen zu dürfen. Dieses Vorrecht ward 1829 aufgehoben. Diese beiden Industrien bildeten den Grundstock der heutigen Werdauer Industrie; denn im Vordergründe derselben stehen die Textil- und Metall industrie. Tie Industrie Werdaus erstreckt sich gegen wärtig hauptsächlich ans Baumwollsärberci, Kammgarn spinnerei, Knnstwollspinncrei, Tuchfabrikation, Vigogne spinnerei, Wollkämmerei, Wollspinnerei und Wollweberei. Werdau bildet mit dem 10 Kilometer nördlich gclcgencren Crimmitschau einen Mittelpunkt für die sächsische Woll industrie. Tic Metallindustrie Werdaus erstreckt sich ans folgende Gebiete: Eisengießerei, Maschincnfabrikation ifür Spinnereien, Morvrcn nnd elektrische Beleuchtung), Kratzcnfabrikativn, Pnlsomcterfabrikation und Wagcnban. Außerdem gelangen noch zur Herstellung Papierhülsen, chemische Produkte, auch die Polster-, Fließ- und Werg fabrikation ist von Bedeutung. Nach den Ergebnissen der Arbciterzählung wurden 1897 gewerbliche Arbeiter in 135 Betrieben beschäftigt, 1902 dagegen wurden 198 solcher Betriebe gezählt; die Zahl der gewerblichen Arbeiter stieg 1900 auf G67, davon waren 3622 männlich und 3245 weib lich. Von großem Umfange ist auch die Ziegclfabrikation um Werdan. Mit der Entwickelung der Werdauer Industrie hielt auch das Anwachsen der Einwohnerzahl gleichen Schritt. Um 1512 zählte man 775 Einwohner, 1697 1500, 1750 1866, 170-2 2792, 1825 3500, 1830 4743, 1837 5432, 1840 .5649, 1855 7327, 1864 10 567, 1875 11 689, 1890 rv 253, 1895 17 507 und 1900 19 352 und zwar 9092 männliche nnd 10260 weibliche. Den industriellen Verhältnissen Werdaus ist auch das Schul w cscn angepaßt. Außer einer Realschule besitzt cs zwei Bürgerschulen mit Fortbildungsschule, eine Handels- und höhere Web- nnd Fabrikantcnschule. Tas Bestehen der letzteren läßt sich bis in die vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückverfolgeu. Seit Anfang Oktober 1902 hat diese Anstalt ein neues stattliches Heim erha tcn, das sich ans dein Schlvßplatzc erhebt. Der stolze Neubau enthält eine Anzahl lichtvoller Säle und Lehr zimmer, welche mit den hervorragendsten Lehrmitteln und Maschineneinrickitungcn ansgesiattet sind. Außer der er weiterten Webschnle und der neu errichteten Spinnerei abteilung sollen auch die Handelsschule und die gewerb liche Zeichenschnle in dem Neubau ein geeignetes Heim finden. Unter den Bauwerken sind außer der höheren Webschnle auch die übrigen Schulgebäude, das königliche Gcrichsgebände und die alte Stadtkirchc besonders hcr- vorznheben. Die letztere ist wiederholt nicdergebrannt, dies geschah in den Jahren 1430, 1670 und 1756, zuletzt — wie erwähnt — 1863. Tie Stadt Werdau liegt im oberen Tale des Plcißenqrnndcs 273,93 Meter über dem Spiegel der Ostsee an den Eisenbahnlinien Leipzig-Hof, Werdan- Schwarzen» bcrg-Annabcrg nnd Werdau-Weida-Mchlthcner. Sie ist der Sitz einer Supcrintendcntur, eines Amtsgerichtes, einer Rcichsbanknebcnstcllc und eines UntcrsreucramlcS. Durch die schweren Kämpfe, die die Stadt Werdau Jahrhunderte hindurch hat führen müssen, ist die Krast der Bürgerschaft gestählt und geschult worden. Dies bietet eine Gewähr dafür, daß Werdan auch alle ferneren Krisen siegreich überstehen und aus denselben größer nnd be deutungsvoller hcrvorgchcn wird. .^us dem Münchener MM- und Theaterlebeu. Es dürfte sich wohl niemand finden, der ernstlich bestreitet. München genieße den Ruf einerKunnnaLr ersten Ranges nicht mit vollem Rechte, daß sic oder gewiß eine der originellsten ist, dürste wohl nicht ganz so bekannc sein. Von unseren Bauern rhearern, den „Schlierscern" nnd „Tegcrnseern" ganz abgc sehen, die als Spiegelbild spezifisch bayerischen Charakters und nationalen Milieus zu betrachten sind, möchte ich nur auf die Art Hinweisen, wie man hier aus durchaus künstlerischem Wege den Gebrechen im alltäglichen Gcscllschafts- nnd Kunstlebcn. sa sclbn in politischen Angelegenheiten, beiznkommen sucht. Wer hätte nicht schon an den übermürig satirischen Witzen des „Simplieissimns", oder an den wirklich humorvollen, und in ihrem lieferen Sinn doch w ernsten und wahren Betrachtungen der „Jugend" mit den künstlerisch so bedeutenden und wert vollen Illustrationen Gefallen und ungetrübte Freude gehabt. Aber gerade in diesem Gebarea sinder die offenherzige, und von keiner ungesunden Rücksichtnahme auf stand und Würden angekränkelte Beurteilung künstlerischer und allgemeiner Fra gen durch den Münchner iorcn beredten Ausdruck, wie sie hoch erfreulicherweise in der hiesigen Presse, und im gewöhnlichen Alltagsleben gepflegt und fengchalten wird. — ?loer nicht so sehr für diese selbst, als wie sür ihr würdiges Pendant gewisser maßen aus dramatischem und musikalischem Gebiete, sür di- „Els Scharfrichter" möchte ich für heute das Interesse der Leser etwas in Anspruch nehmen, da diese originellste aller Künstlervercinignngcn demnächst eine Tournee durch Nord dcurscbland macht, und dabei voraussichtlich auch Leipzig ans mehrere Tage heimsuckcn wird. sn-wiß, in allen größeren Stadien har man in den letzten fahren Bekanntschaft mit dem „Ucbcrbrcttl" nnd seinen ver sctsiedenen Abarten machen können, aber diese führen, wenn sie nicht schon ohnehin das Zeitliche gesegnet haben, doch nur ein recht kümmerliches Dasein und Scheinleben. So eine Arr „llcberbrettl" sind nun auch unsere „Els Sclxirfrichtcr", nur mit deni Ilnierschied, daß sic sich gesunde Frische und volle Zug krast erhalten haben. Wie nun das kommt, möchten Sic gerne wissen / Tic elf Scharfrichter — übrigens sinds deren jetzt ganz erheblich mehr — sind eben nicht daS unausgesprochene nnd nn aussprechliche Mittelding zwischen Bühne und Brettl, sondern tüchtige und wackere Künstler, die ihr Können in den Dienst wirklich geistreicher Satire stellen, die niemals verletzen sollen, und dabei auch so ehrlich sind, bei sich selbst Umschau zu halten, nnd wenn nötig, auch sich selbst einmal eins anhängcn, nnd nicht bloß anderen Hohn und Schabernack anzutun. Dazu dichten und tomvoniercn sich die Leute ihre ganzes Repertoire von vier Wochen zu vier Wochen selbst und manches ist dabei hcrausgc kommen, was eine tatsächliche Bereicherung der musikalischen Lyrik bedeutet. Zum größten Teile tragen die Dichter und Komponisten ibre Werke selbst vor, und wo sie sich eines Interpreten bedienen, ist dieser durchaus erstklassig, ich nenne nur Marya D c l v a r d, keine Chansonette, sondern eine wirk lichc geistreiche Künstlerin. Es interessiert Sic vielleicht, einige, von diesen „Scharfrichtern" einstweilen im Namen kennen zu lernen, nnd so führe ich die erfolgreichsten am: Marya Del- vard, Lilli Ziemsscn, Frank Dedekind, Cannes Feuilleton. Eine Rettung. Skizze von B. Canter (Amsterdam). AuS -em Holländischen übertragen von E. Otte n. Nachdruit verboio». Das kleine Zimmer war ein altmodischer Raum, eine Hangelstube, wie man sie in alten Amsterdamer Woh nungen so vielfach noch findet, anderwärts Entresol ge nannt. Tic Fenster mit den kleinen Scheiben reichten von der niederen Decke bis aus den Boden. An den rot tape zierten Wänden hingen alte Delfter Teller mit tiefblauen Blumenornamenten, ein großer Regulator mit einem ruhigen Ticktack und ein Paar Gemälde. Ein Schreib bureau aus Nußbaum im Stile Louis XV., ein Prunk schränkchen mit einer Glastüre, dahinter silberne Nippes gegenstände, alte Tabatisrcn, ein Paar Silhouetten in silbernem Nahmen, ein silbernes Körbchen mit Früchten aus farbigen Steinen, echt Marcassit, und außerdem eine altmodische Banernuhr in einer Schildpatthülsc vervoll ständigte das Mobiliar. In dieser altmodischen kleinen Kammer wohnte ein alt modisches kleines Männchen, das selber eine lebende Anti- yuitäk >var. Unten wurde das Geschäft fortgcführt, das alte Geschäft mit Teer, Pech, Harpens und anderen Schisss- artikcln, das der alte Mann in seiner Jugend begründet batte. Er war nun schon seit Jahren nicht mehr darin lätig, aber es machte ihm noch immer Spaß, zu sehen, wie sich die Zahl der großen Schisse der Binnenwasscrschisser auf der Gracht, vor dem Kai, an dem das Haus lag, stets vermehrte. Sie warfen stets einen Blick hinauf und jedes mal erwiderte er ihren Gruß mit einem leichten Nicken der alten, verwitterten Kopfes. Hin und wieder, wenn er einen alten Schiffer sah, einen Mann aus seiner Zeit, schlug er leicht mit dem Kopf seiner hölzernen Tabaks- llseisc an die Scheiben und wenn der Mann dann crufb ickte, begrüßte er ihn mit größerer Lebhaftigkeit als die andern. Einmal wöchentlich besuchte ick, den Großvater mir seinem jüngsten Enkel, meinem Schulfreund, in seinem kleinen Zimmer. Sein wachsames Auge verließ uns nicht, er fürchtete stets, daß wir etwas beschädigen lönntcn. Nach seinen Antiquitäten fühlten wir keinerlei Verlangen; nur eine alte Reiterpistolc und die alte Bauernuhr hätten wir für unser Leben gern besessen. Eines Tages fragte ich ihn, ob ich die Uhr mal in die Hand nehmen dürfe. Er öffnete behutsam die Glastür des kleinen Schränkchens, nahm die Uhr heraus uud zeigte sie mir, indem er mit mir ans Fenster trat. Wenn die Schildpatthülsc geöffnet wurde, lag die Uhr dariu mit ihrem konvexen Patentglas nnd dem schön gearbeiteten ciselierten Deckel, wie der Kern einer großen Nuß. Tie Ciselierarbeit ans dem Deckel stellte Neptun, aus einem Triton sitzend, dar. „Hat diese Uhr Ihnen immer gehört ?" „Ich habe sie von meinem Großvater bekommen, als ich zwölf Jahre alt wurde, und damals war sie schon sehr alt." „Geht sic noch?" „Null . . . das glaube ich nicht. Ich habe sic in den letzten zehn Jahren nicht mehr aufgezogen." Er las das Verlangen in meinen Augen nnd sagte: „Ich hatte sie schon einmal verschenkt, aber nach seinem Tode hat seine Witwe sie mir ziirüctgegeben." „An einen Freund?" „Ja, an einen Freund. Den yat sie nämlich von der Trunksucht geheilt." „Die Uhr?" „Nein, ganz so einfach in die Geschichte doch nicht, ich will sie dir erzählen. Tas ist nun schon 40 Jahre her. Er ivar ein Binnenwasierschisfer und yatte meistens vier bis fünf Schiffe unterwegs. Aber nachdem er der Trnntsncht verfallen war, war nichts mehr mit ihm aiiznsangen. Er vernachlässigte sein Geschäft, mußte ein Schiff nach dem andern verkaufen und tam endlich zn mir mit der Bitte, ich möchte doch aus das einzige Schiff bieten, das er noch besaß und ans dem er selbst fuhr. Cs war ein gutes Schiff, tadellos erhalten und lief ausgezeichnet. Ich wußte aber, daß daö Geld, wenn ich cs ihm in die Hände gäbe, ebenso wie alles andere innerhalb eines ha'ben Jahres dnrchge- bracht sein und daß er dann ganz verkommen würde. Seine Familie tat mir furchtbar leid, seine Frau war ein Patenkind meiner Mutter, und wir batten dieselbe Schule besucht. Ta fiel mir eines Nachts plötzlich etwas ein. Ich wußte, daß er meine Uhr schon ost bewundert hatte. Wenn ich iknn nun mal ernstlich zuspräche nnd ibm die Uhr unter der Bedingung schenkte, daß er das Trinken ließe, vielleicht würde er dann endlich z»r Einsicht kommen. Aber wer einmal der Trnnksncht verfallen ist, kann nur schwer davon geheilt werden. Nach drei Tagen war unser Freund schon wieder total betrunken und fiel mit einem Eimer voll Teer gerade vor meinem Hanse vom Schiff in die Gracht. Seine Knechte zogen ihn heraus ... ich sah cs von meinem Fenster ans, nnd als sie ihn kaum glücklich an Land gebracht hatten, begann er wie ein Wahnsinniger uni fick, zn schlagen, wollte keine trockenen Kleider anzichcn, lief in die Kneipe und trank da wieder so lange, bis er hinausgcworfcn wurde. Meine Leute batten die Uhr aus seiner Tasche ge nommen nnd. Wunder nber Wunder, sie war ganz trocken geblieben und lies regelmäßig weiter. Da kam mir ein glücklicher Gedanke. Ich ging nach einem sonnigen P an und sing dort zwei große Pserdcfliegcn, die steckte ich lebend hinter das Uhrglas nnd legte die Uhr darauf wieder ans mein Pult. „Wenn der Schiffer nun kommt, uni seine Uhr zn holen", sagte i,h zn meinen Leuten, „dann ruft ibr mich. Ich gebe ihm dann die Uhr mit den Fliegen unter dem Glas. Wenn er fragt, was die Fliegen da zu bedeuten haben, so sagt ihr, daß ihr keine Fliegen lebt. Dann wird er zu mir kommen und mich fragen, ob ich die Fliegen sehe. Ich sage ebenfalls, daß keine Fliegen da sind. Mes andere könnt ihr mir überlassen." Gesagt, getan. Am nächsten Morgen lonnnt er in den Laden, nnd seine erste Frage gilt seiner Ubr. Tie Knechte rufen mich. Ich nehme die Uhr von dem Pnlt und gebe sie ihm mit den Worten: „Tn hast auch mehr Glück, wie Verstand, sie ist trocken geblieben mid läuft noch." Er nimmt ne in die Hände, össnct den Teckel und wirst einen Blick ans das Zifferblatt. „Was ist das ?" fragt er mich. „Was?" sage ich. „Nun, sichst du da nichts ... unter dem Glas?" „Gewiß. . . Zeiger . . ." „Nein, da . . . die Fliegen ..." „Fliegen? ... Du bist wohl verrückt?" „Was? Da sollen keine Fliegen unter Sem Glas sitzen?" „Mensch, du halt wieder zu viel getrunken'" „Unsinn, ich bin ganz nüchtern . . . ich habe heute noch keinen Tropfen getrunken, aber da siyen zwei Fliegen . . sagte er, indem er totenblaß wird und die Uhr in einer gewissen Entfernung von sich hält. Er ruft die Knechte. Tie kommen. „Sag' mal, Ary, was sitzt hier unter -cm GkaS?" fragt er. „Was soll da wohl sitzen . . . nichts . . ." „Ist das wahr, Hein?" „Aber sehen Sie mich doch nicht so komisch an, Schisser . . . eS ist nichts darunter, Sie können sich dranf verlassen." „Ist das wirklich wahr?" fragte er mich nun wieder, mir voller Angst in die Augen blickend. „Hör' mal, du, laß dir mal etwas von mir sagen, du hast das Delirium . . ." „Delirium . . . ich?" „Weiß Gort . . . wenn du schon Fliegen siehst . . Er vssnete den Teckel und die Fliegen, froh, aus ihrer Gefangenschaft erlöst zn kein, sausen summend durch das kleine Zimmer und zum Fenster hinaus . . . „Da sind sic!" ruft er. Die Knechte rangen an ibn ai'szulachen. Ich bleibe ganz ernst. ,/Nichts ist da. Weißt du, was du tun solltest? Zu Bett gehen nnd bis morgen früh liegen bleiben. . . . Du hast ganz sicher einen Anfall von Delirium . . ." Erschreckt, zitternd und sichernd vor Angß, ging er auf sein Schift, stieg in die Kajüte hinunter und kroch in seine Koje. Er blieb den ganzen Tag im Bett liegen. Des Nachts delirierte er, aber am nächsten Margen ging cs ihm besser, und er hat nach dem furchtbaren Schrecken nie mehr ein G'as getrunken. Ich habe cs später seiner Fran erzählt, die war mir grenzenlos dankbar, denn als er nicht mehr trank, wurde er wieder ein ganz anderer Mensch, und seine Geschäfte gingen so aut, wie früher. Als er vor anderthalb Jahren starb, bat seine Frau mir die llhr znrückgcbracht, und ich möchte sic jetzt nicht gerne mehr missen. . . Er blickte ein paar Augenblicke aufmerksam auf das Zifferblatt, knipste die Schildpatthülsc zu nnd legte die Uhr daraus behutsam wieder auf ihren Platz in dem kleinen GlaSichrünkchen.
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