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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021222029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902122202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902122202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-22
- Monat1902-12
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Ports). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung ./l SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abend-AuSgabr: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Nr 65». Sk. Jahrgang. Montag den 22. Dezember 1902. Die Exekution gegen Venezuela. ozc- Wenn die beiden verbündeten Mächte, Deutschland und England, sich jetzt bereit erklären, unter gewissen Garan tien ein Schiedsgericht anzunehmen, so haben wir früher schon auf da« Bedenk liche eine« solchen Entgegenkommen« aufmerksam ge macht, in erster Linie weil dadurch der Anschein eine« Zurückweichen« der Koalierten erweckt würde. Auch müssen die Ereignisse al« zu weit fortgeschritten er scheinen, um noch Raum für ein Schiedsgericht zu lassen, zumal e« sich nicht mehr bloß um alte Schuidforderungen, sondern um Beleidigungen der deutschen Flagge und neue Gewaltakte, wie den Sturm auf da« deutsche Konsulat, die Gefangennahme deutscher und englischer Staatsuntertanen und die Beschlagnahme deutschen Eigentum« bandelt. Da« Einlenken in die ruhigeren Gewässer de« Schieds gericht« mag sich daraus erklären und wohl auch rechtfertigen, daß di« Aktion Deutschland« und England«, in erster Linie aber Deutschland«, in den Vereinigten Staaten in einer Weise verdächtigt wird, die nur geeignet ist, die Lage auf da« peinlichste zuzuspitzen und in Washington, wie in Berlin und London Verlegenheiten hervorzurufen. Man will deutscher- und engliicherseits offenbar alle« ver meiden, wa« den Glauben auskommen lassen könnte, e« sei eine Verletzung der Monroedoktrin beabsichtigt, und man will erst vor allem dem bekanntlich äußerst scheclsehenden Frankreich und denen, die offen oder insgeheim mit ihm gehen, die Mög lichkeit entziehen, in Washington zu Hetzen und Wolken Mischen die Kulissen zu schieben. Anlaß dazu wäre ja bei Zwischenfällen zum Beispiel, di« di« Blockade zweifellos mit sich bringt, zur Genüge gegeben. Die Erwählung des freilich sehr bestimmt abwinkenden Präsidenten Roosevelt zum Schiedsrichter würde sicher lich eine glückliche Lösung der vorhandenen Schwierig keiten darstellen. Der oberste Repräsentant der Bereinigten Staaten besitzt zweifellos auch der Re- gieruug de« Präsidenten Castro gegenüber die erforderliche Autorität, um der Respektierung seines Schiedsspruch« gewiß zu sein. Mau kann nur wünschen, daß Roosevelt sich dem »hm angetragenen VertrauenSamte schließlich doch nicht ent ziehen möge. Seine Persönlichkeit bürgt für eine ebenso gerechte, wie gründliche und rasche Prüfung der streitigen Ansprüche. Er ist nicht der Mann, der, wenn sein Urteil einmal ergangen wäre, der venezolanischen Regierung noch irgend welche weitere Ausflüchte und Winkelzüge gestatten würde. Deutschland und die Vereinigten Staaten. Die von unS mitgeteilte Erklärung der „Nordd. Allg. Zig." stellt gegenüber den gebässigen Verdächti gungen, die von amerikanischen Blättern fortdauernd gegen Deutschland gerichtet werden, ausdrücklich fest: „Die Regierung der Bereinigten Staaten ist seit längerm genau unterrichtet, daß da« Deutsche Reich in Venezuela nicht« andere« be treibt, als die Befriedigung seiner gerechten Forderungen auf Schadenersatz." Wir können, be merkt hierzu die „Köln. Ztg.", diese Erklärung noch dahin erweitern, daß nichl nur die Regierung, son- dern auch die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten schon seit längerm in der Lage ist, sich aus aktenmäßigem Material unwiderleglich zu überzeugen, daß Deutschland in Venezuela nicht« andere« beabsichtigt, al« wa« e« loyalerweise schon lange der Washing toner Regierung angekündigt hat und worüber e« mit dieser zu einem Einverständnis gelangt ist. Man schreibt nämlich dem rheinischen Blatte vom lO. d. M. aus Washington: „Mit der venezolanischen Angelegenheit hat sseit dem Dezember 1'301 die deutsche Botschaft bierselbst nicht« mehr zu tun gehabt. Wenn gemeldet worden ist, Groß britannien und Deutschland hätten sich bereit« vergewissert, daß das Staatsdepartement keine Einwendungen gegen ein Vorgehen in Venezuela zu machen habe, so dürste dies, wäö wenigsten« Deutschland betrifft, ausschließlich auf den kurzen Notenwechsel vom Dezember 1901 Bezug haben. Da dieser Notenaustausch entweder gar nicht allgemein bekannt oder wenigsten« bereit- wieder in Vergessenheit geraten zu sein scheint, ist e« wohl angebracht, einen AnSzug dieser diplomatischen Korre spondenz nach dem letzien JahreSband de« amerikanischen Staatsdepartement-: b'aroi^n liolstion» ok tbo Uoitsck Stutss, 190l, zu geben. Am 11. Dezember 190t schickte demnach die deutsche Botschaft ein „Proineuivria" an da« Staatsdepartement, worin in sehr klarer Weise Castro« jahrelange Schliche, seinen Verpflichtungen au« dem Wege zu geben, nachgewiese» wurden. Es war dann beigesügt, wenn Venezuela sich einer nunmehr beabsichtigten direkten Forderung entziehe, so wüiden Zwangsmaßregeln in« Auge zu nehmen sein. Unter keinen Umständen sei aber die Erwerbung oder dauernde Besetzung venezolanischen Gebiet« beabsichtigt. Nachdem rin Ultimatum gestellt sei, käme zuerst die Blockade der wichtigeren Häfen, vor allem La Gnayra und Puerto Cabello, al- Zwangsmittel in Betracht, da dieselbe die Erhebung der Ein- und Ausfuhrzölle, fast der einzigen Staat«ein- nabmen Veneruela«, unmöglich machen, auch die für da« Land notwendige Maiszufuhr erschweren würde. Erwiese sich die« n'cht al« wirksam, so sei die zeitweilige Besetzung verschiedener Hafenplätze und die Erhebung von Zöllen in« Auge zu fasse,i. Da« Staatsdepartement beantwortete die« Schreiben am 16. Dezember 1901 mit einem „Memoiandum", worin auf die eben erschienene JabreS- bolichaft de« Präsidenten bingrwiesen wurde, in der e« heiße: „Wir übernehmen keine Bürgschaft gegen die Bestrafung irgend eine« (mittel- oder süd amerikanischen) Staate-, der sich nicht gut aus- führt, vorausgesetzt, daß die Bestrafung nickt die Form einer GedierSerwerbung durch eine nicht- amerikaniscke Mackt annimmt." Dann wird weiter ge'agt, der deutsche Botschafter habe bei seiner kürzlichen Rückkehr von Berlin dem Pläsidcnten persönlich dieBer- sicherung des Kaiser« übermittelt, da« Deutsche Reich beabsichtige auch nicht die kleinste Gebiets erwerbung auf dem südamerikaniscken Festland oder den anliegenden Inseln. Der Präsident schätze die Freundlichkeit, die darin liege, daß die deutsche Negierung ihn mit dem Stand der venezolanischen Angelegenheiten bekannt mache; er betrachte sich nicht für berufen, die unter Frage stehenden Ansprüche zu prüfen und sei de« Glau bens, daß die Vertreter der deutschen Regie- rung in der Angelegenheit nicht« tun würden, wa« im Widerspruch mit den dargelegten Absichten de« deutschen Kaiser« stehe. Am 20. De- zember schickie dann, in Ergänzung des Schriftstück« vom 11., und die Korrc pondenz abschließend, die deutsche Bolschaft ein Schreiben, kurz auseinandersetzend, eine Blockade venezolanischer Hase» würde ohne Krirgser- kärung durchgeführt werden; al- FriedcnSbleckad« würde sie zwar auch Schiffe neutraler Macht treffen, aber solche Schiffe würden nicht weggenommen, sondern nur an der Landung verhindert werden." Nachdem die« alles bereit« durch die Washingtoner Re- gierung veröffentlicht worden und jedermann zugänglich ist, kann man sich nicht genug wundern, daß in der amerikanischen Presse noch immerfort Mißtrauen gegen die Absichten Deutsch lands zum Ausdruck kommt. Man muß zu ihrer Ehre an- nedmen, daß der letzte JahreSband der Foreign Relation« unbeachtet in ihren Archiven steht. Jedenfalls sei sie hier durch auf den von der amerikanischen Regierung veröffent lichten Schriftwechsel mit Deutschland neuerdings dringend aufmerksam gemacht. * La Guayra, 20. Dezember. („Reuter« Bureau") Der französische Kreuzer „Tronde" geht wieder nach Willemstad zurück. Da« deutsche Schulschiff „Stosch" ist hier eingetrossen. * Port os Spain, 21. Dezember. („Reuters Bureau".) Da« englische Krieg-jchiff „Fantome" ist bei Borranca» im Orinoko, fest gekommen und bisher nicht slolt geworden. Der Orinoco fällt. * Port of Spalt», LI. Dezember. Di« Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten „Alabama" und „Karsarg«" letzteres mit Admiral Higin son an Bord, sind hier eingetroffen; „Massachusetts" und „Jöwa" werden am Dienstag erwartet. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. Dezember. Entlastung de« deutschen Konsum«. Die Zahlen, welcke au« dem Entwurf de« ReichS- hauSbaltSetat- für 1903 bekannt werden, bestätigen vollauf die frühere Angabe, daß zwischen den Einnahmen und den au- ihnen zn deckenden Ausgaben ein bedenkliche- Mißver hältnis besteht. Zugleich erbellt, daß diefür den NeichShauShaltS- vlan wichtigsten Einnahmen im lius^nden Iabre noch nicht ihren Tiefstand erreicht haben, sondern daß die rückläufige Bewegung sich noch soltietzt. Wenn für dir Folge mit der Besserung der Erwerbsverbäliniffe auch wieher eine aufsteigende Be wegung der Einnahmen mit Sicherheit zu erwarten ist, so darf doch angesichts de« stetigen und raschen Steigen» der Au«- gaben nickt entsernt darauf gerechnet werden, daß allein au« dem Mehrertrage der jetzt vorhandenen Einnahmequellen der Fehlbetrag sich auf die Dauer werde au«gl«ichen lassen. Die finanziellen Wirkungen der mit der Anaakme der Zolltarif vorlage eingeleiteten Neuregelung unserer Zoll- und Handels beziehungen zum Auülande werden daher bei der jetzigen Finanzlage de« Reichs ganz besonders erwünscht sein, und zwar namentlich deshalb, weil die au« den erhöhten Schutzzöllen zu gewärtigenden Mehreinnahmen keine belangreiche Mehr belastung für die produktiven Klassen bedeuten. Die Be lastung dieser Klaffen durch Schutzzölle, welche sür da« heimische Erwerbsleben ihren Ausgleich in dem besseren Verdienst der Gewerbetreibenden und der Landwirte, in der erweiterten Ar beitsgelegenheit und dem erhöhten Verdienste der Arbeiter findet, bleibt ganz dieselbe, gleichviel ob die Erhöhung der Schutz zölle Mehreinnahmen zur Folge hat oder nicht. Wenn ferner wahrscheinlich noch eine weitere Ergänzung der Einnahmen des Reichs als notwendig sich erweisen wird, weil eia beträcht licher Teil der Mehrerträze au« den landwirtschaftlichen Zöllen für Zwecke der Witwen- und Waisenversorgung der Arbeiter festgelegt ist, so handelt ,S sich dabei doch nur um eine etwa« höhere Belastung reiner Genußmittel, wieGetrLuke oder Tabak, bei denen die Vorzüge indirekter Besteuerung in vollem Umfange Platz greifen; denn durch eine geringe Beschrän kung des Verbrauch« ist jedermann in der Lage, eine Mehr belastung seineSHauSbaltsetat« zu verhüten. Es kommt hinzu, daß Getränke und Tabaksteuer Genußmittel treffen, die beinahe ausschließlich von erwachsenen männlichen Personen verbraucht werden, mithin die Haushaltungen mit zahlreichen nichtarbeits- fähigen Mitgliedern nicht höher belasten, al« den einzelnen un verheirateten Mann. Zu dem verhetzenden Geschrei de« sozialdemokratischen Wahlaufruf« über unerschwingliche Mehrbelastungen der minder wohlhabenden Schichten der Bevöl kerung ist daher kein Anlaß vorhanden. Aber e« wird — worauf heute die „Bert. Polst. Nachr." mit Recht aufmerksam macken — in den sozialdemkratischen Blättern wie auch in der Presse anderer Parteien, die mit der althergebrachten Sckwäch« de« Deutschen in Bezug aufLeistungen für öffentliche Zwecke rechnen, planmäßig und sorgfältig verschwiegen, daß von 1903 ad allen Konsumenten eine Entlastung von 100 Millionen Mark im Iabre in sicherer Aussicht steht. Die Herab setzung der Zuckersteuer um 6 für den Doppelzentner bedeutet in Verbindung mit dem Wegfalle der Belastung durch das Zuckerkartell selbst bei sehr niedriger Schätzung der letztzedachten Belastung eine Erleichterung des Zuckerverbrauchs um mindestens 2^ auf den Kopf der Bevölkerung. Dabei bandelt es sich bei dem Zucker kemrswea« um ein reine« Genußmittel, sondern um ein wichtige- Mittel der allgemeinen Volksernährung. Von den sozialdemokratischen Blättern wurde gelegentlich der Beratungen über die Brüsseler Konvention der Zucker sogar al« ei» not wendige« Volk-nahrungSmittel bezeichnet. Ferner kommt die Entlastung de« Zuckerverbrauch« in besonders hohem Maße den kinderreichen Familien zu gut,, und endlich haben davon vornehmlich auch diejenigen Klaffen der Bevölkerung, welche, wi, die unteren Beamten, die Lehrer, Pensionäre und kleinen Rentner, von den Zollerböhungen eine Belastung ihres HauSballS zu befürchten haben, ohne, wie die Gewerbe treibenden und dir Arbeiter, einen Mehrverdients zu finden, Vorteil. Selbst wenn der ganze Betrag, um den die ordentlichen Einnahmen de« Jahre« 1903 hinter de» ordent lichen Ausgaben Zurückbleiben, durch neue Steuern gedeckt werden müßte, würde demzufolge die Belastung de« deutschen Konsum« im ganzen im Vergleiche zu dem jetzigen Zustande sich nickt erhöhen, e« würde vielmehr für dir Haushaltungen mit zahlreichen Familirngliedern immer noch eine Entlastung verbleiben. Tie Konservativen und der Bund -er Landwirte werden sich, wie wir Voraussagen zu können glaubten, wieder vertragen, und zwar ebne daß dir BuudeSsührer etwa« von dem, wa« sie gegen die Leitung Lrr konservativen ReichStagS- fraktion an Vorwürfen geschleudert, zurückgrnommrn oder auch nur bedauert haben. Die „Kreuzztg." warnt vor einer „übertriebenen Zuspitzung de« Konflikt»", dir zu einrr „Sprengung der konservativen Partei" führen müßte, und in mehreren konservativen Versammlungen ging man nock weiter. In der Generalvrrsammlung de» ostpreußischen konservativen Verein« wurde nach einem Bortrage de« Grafrn Mirbach folgende Resolution einstimmig genehmigt: „Die heutige Generalversammlung de« ostpreußischen konserva tiven Verein», deren Teilnehmer zum größten Teil auch gleich zeitig Mitglieder deS Bunde« der Landwirte sind, konstatiert Feuilleton. Nhenania sei's panier! Roman aus dem Studentcnleben von Arthur Zapp. Nachdruck Verbote». Siebentes Kapitel. „Verehrtes, gnädiges Fräulein! Verzeihen Sie, daß ein Ihnen Unbekannter sich er laubt, ein paar Zeilen an Sie zu richten. Es handelt sich darum, Ihnen einen Dienst zu erweisen, nnd da ich keinen Dank beanspruche und ich bei der betreffenden Angelegenheit keine Rolle spiele, so unterlasse ich es, mich zu nennen. Das Motiv, das mich bewegt, Ihnen von einem Vorgang Mitteilung zn machen, der sich an der Knciptafel der Nhcnania abspielte und bei dem Sic ge wissermaßen eine leidende Rolle spielten, ist die Ent rüstung, die mich einer schändlichen Frivolität gegenüber erfüllt. Bon einem der Anwesenden wurde plötzlich ohne Veranlassung Ihr Name ins Gespräch geworfen; der Kommilitone prahlte mit Ihrer Bekanntschaft und als ihn ein Anderer, Besonnenerer aus der Gesellschaft in die gebührenden Schranken zurllckwics, da machte sich der skrupellose Prahlhans anheischig, Ihre Gunst zu er ringen und noch ehe das Semester zu Ende ginge, einen Kuß von Ihnen zu erhalten. Dieses schamlose An erbieten, daß -er Betreffende zum Gegenstand einer Bterwette machte, war um so empörender, als eS von einem Herrn ausging, auf den mehr als auf irgend eine» anderen der Kommilitonen der bekannte Gocthesche Vers paßt: ,Heut lieb' ich die Johanne Und morgen die Susanne, Die Lieb ist immer neu. Das ist Studententreu!" Und ich sehe nicht ein, warum ich den plumpen Ge sellen schonen soll. Im Gegenteil, ich glaube, daß man es Ihnen schuldet, Ihnen seinen Namen zu nennen, damit Sie seinen wahren Wert erkennen und sich vor ihm hüten können. Es ist der Studiosus Gravenhorst. Als Zeugen, der Ihnen die Wahrheit meiner Mitteilung bestätigen und Ihnen weitere Auskunft geben kann, nenne ich Ihnen den Studiosus Herrn Berger, der, wen» ich nicht trre, mit einer Ihrer Freundinnen in verwandtschaft lichen Beziehungen steht. Ich weiß nicht, wie Sie über diese ganze Angelegenheit denken, und ob Sie sic in der Güte Ihres weiblichen Herzens nicht mit milden, ver zeihenden Augen betrachten werden, um so mehr, als Gravenhorst für rinen hübschen, flotte» Burschen gilt, der bet den Frauen riesiges Glück hat. Jedenfalls habe ich geglaubt, Ihnen Kenntnis von dem Borgcfallencn geben zu müßen, und ich überlaße cS Ihnen, zn ent scheiden, ob ein wirklich ehrlicbendcs, keusches Mäochcn- iherz einem so frivolen Spiel gegenüber Duldung und Verzeihen, oder aber stolze Verachtung empfinden darf. Mit geziemender Hochachtung ein Verehrer weiblicher Schönheit und Tugend." Als Else Wrcdenkamp diesen Brief, der ihr durch die Post zugcgangcn war, zu Ende gelesen hatte, war ihre erste Empfindung die eines unbeschreiblichen Widerwillens und Ekels. Mit impulsiver Bewegung knitterte sie das auv- nume Schreiben zusammen rind schleuderte es verachtungs voll zu Boden. Es schien ihr ganz nndcnkbar, -aß Herr Gravenhorst, wenn er auch ein rasch bewegtes, etwas leichtsinniges Temperament besaß, sich so häßlich und undelikat benom men haben könnte. Sie rief sich ihr gestriges Gespräch mit ihm in die Erinnerung. Hatte er nicht von den idealen Seiten des Studentenlebcns mit so edler Begeisterung und so glühendem Enthusiasmus gesprochen, baß sie ihm etwas Niedriges gar nicht zutrauen durfte? Und nun sollte sie dem feigen Anonymus glauben, daß er sich so plump und unehrenhaft benommen hatte? Nein! . . . Aber hatte der unbekannte Vricfschreiber nicht von einem Zeugen ge sprochen, der die Richtigkeit seiner Angaben beweisen könnte? Sie hatte den Brief in starker Erregung gelesen, so daß sie sich über den Inhalt Im einzelnen nicht mehr Rechenschaft geben konnte. Darum bückte sie sich nun, entfaltete den Pavierknäuel und las das ganze noch ein mal langsamer und aufmerksamer, wenn auch mit ge heimem Widerstreben. Nichtig, -er Anonymus rief den Vetter ihrer Freundin Klara Hellwig zum Zeugen der Wahrheit an. Herr Berger würde genaue Auskunft geben können. Else Wrcdenkamp blickte Nachdenken- nnd unentschlossen vor sich hin. Sie kämpfte eine ganze Weile mit sich. Ihrem Empfinden hätte cs am meisten entsprochen, die häßliche Sache einfach von sich zu weisen und keinen weite ren Gedanken daran zu verschwenden. Aber — so fragte sie sich stöhnend, mit heißem Erschauern — wie sollt« sie Gravenhorst künftig vegegnen? Oder sollte sie einfach jede fernere Begegnung mit ihm vermeiden und ihn ein für allemal aus ihrem tHcdächtnis streichen? Eine lebhafte Empfindung in ihr widerstrebte dem. Hieße das nicht, ihn verurteilen, während ihr doch eine innere Stimme, die sich nicht unterdrücken ließ, immer wieder zurief: Es ist nicht wahr, er ist nicht schuldig! Lange noch ging sie mit sich zu Rate. Endlich sah sie ein, daß sie Gravenhorst und sich selbst schuldete, der Sache auf den Grund zu gehen. Der einzige Weg dazu war, so peinlich ihr dieser Entschluß auch wurde, ihre Freundin Klara und deren Schwester ins Vertrauen zu ziehen. Sie traf die beiden Schwestern in einer Laube -es großen Gartens, der sich hinter der Villa erstreckte. Mit ein paar Worten der Erklärung reichte sie der älteren das anonyme Schreiben. Hildegard Hellwig las cs laut vor. Mit ge spanntester Aufmerksamkeit hörte Klara zu. Als der Name Gravenhorst von den Lippen der Vorlcsendcn ertönte, erblaßte Klara heftig und plötzlich sprang sie von der Bank aus. „Das ist nicht wahr!" rief sie, am ganzen Leibe zitternd. „Das ist eine elende Verleumdung nnd ich weiß, wer den schändlichen Brief da geschrieben hat." Nnd als Else Wrcdenkamp erstaunt und fragend -en Blick auf sie heftete, fügte sie hinzu: „Das ist nieman- anders als Paul gewesen." „Dein Vetter?" „Ja." „Aber warum sollte dein Vetter eine so häßliche Ver leumdung auSsprcchen gegen seinen Freund und Korps- bruder?" Klara Hellwig erwiderte nichts; das Blut schoß ihr jäh in Wangen und Stirn zurück. Schweigend ließ sie sich wieder ans die Bank zurücksinken. Hildegard Hellwig erklärte: „Klara meint, Paul könnte den Brief in einer eifersüchtigen Aufwallung geschrieben haben. Daß der arme Junge in Klara bis über beide Ohren verliebt ist, haben Sie vielleicht schon bemerkt. Und es ist ja möglich, daß er sich einredet, Herr Gravenhorst stehe ihm bei Klara im Wege." Else Wredenkamp sah überrascht nach ihrer Freundin hin. Diese hatte ihren Kopf auf die Brust sinken laßen und starrte nach der anderen Seite. Sine peinliche Em pfindung durchzuckte die Beobachtende und sie hätte am liebsten die Unterredung beendet. Aber sie sah ein, daß sie dieser Regung nicht folgen durfte, und so erwiderte sie kopfschüttelnd: „Ich glaube, Sie tun Ihrem Vetter unrecht. Lesen Sie nur weiter, bitte!" Hildegard Hellwig folgte der Aufforderung. Als sie den Satz gelesen hatte, in dem von Paul Berger die Rede war, erhob Klara plötzlich ihr Gesicht und rief trium phierend: „Ich sagte es ja, er und niemand anders hat den Brief geschrieben." „Aber dann würde er sich doch nicht selbst als Zeugen angcbcn", wandte Else Wredenkamp ein. „Gerade — das ist ja eben das Heimtückische", beharrte das junge Mädchen, ganz voll Entrüstung und Enrpörung, als richte sich der Inhalt des Briefes gegen sie selbst. „Er gibt sich als Zeugen an, damit wir ihn befragen und da mit er dann uns gegenüber in der Maske eines unbeteilig ten, einwandsfreicn Zeugen seine Lüge bekräftigen kann." Während Else Wrcdenkamp zweifelnd den Kopf schüt telte, nahm Hildegard, die Besonnenere, das Wort: „Wir werden ja sehen. Jedenfalls werden wir ihn hören und wir werden ja dann aus seinen Mienen und aus seinem ganzen Benehmen sehen, ob dein Argwohn berechtigt ist oder nicht." Voll Eifer sprang Klara auf. „Ich will ihn sofort holen lassen." Aber Hildegard wehrte ab. „Nicht doch! Dann wüßte er ja gleich, daß etwas Be sonderes vorlicgt, und falls er wirklich der Schuldige ist, würde er sich mit doppelter Verstcllungskunst wappnen. Nein, warten wir ruhig ab, bis er am Nachmittag zur gewohnten Stunde kommt. Dann will ich ihn zuerst allein ins Gebet nehmen . . ." Um drei Uhr nachmittags erschien Paul Berger, um nach seiner Gewohnheit bei seinen Verwandten den Kaffee zu trinken und mit seinen Cousinen zu plaudern. Nachdem er seinen Onkel und seine Tante im Wohnzimmer begrübt hatte, eilte er in den Garten. Er traf Hildegard, die allein in der Laube saß, während Klara zu ihrer Freundin hcraufgegangen war und dort mit Else, hinter einer Gardine versteckt, in den Garten hinabfpähte. „Wo steckt denn Klara?" fragte der Student, nachdem er seiner älteren Cousine die Hand gebrückt hatte. „Sic ist fortgegangen", erklärte Hildegard Hellwig, den sich ihr gegenüber Setzenden scharf ins Auge nehmend. „Sie wollte dich heute nicht leben." Der Student machte eine Bewegung starker Ueber- rasckmng. „Mich nicht sehen?" wiederholte er mechanisch, mit weit aufgerisienen Augen seine Cousine betrachtend. „Darum wollte sie mich denn heute nicht sehen?" „Weil sie empört über dich ist.
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