Suche löschen...
Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190606306
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19060630
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19060630
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-06
- Tag1906-06-30
- Monat1906-06
- Jahr1906
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1906
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
104 Cr riß den Umschlag des, Briefes auf und überflog die Schriftzeichen, die er heute zum ersten Male sah Klar und ruhig hoben sie sich von dem Papier ab. Er las sie zweimal hintereinander, und doch waren sie sv schlicht und einfach, daß ein Kind, das sie einmal hörte, den Sinn verstehen mußte. „Lieber Jürgen! Ich kann Sie heute nicht mit „Herr Graf" anreden. Es ist mir zu fremd und fernab. Täte "ich's doch, käme vielleicht etwas ganz anderes heraus, als was ich eigent lich jagen wollte. Tas würde in unserer Lage sehr ge fährlich jein. Uns beiden kann einzig die schöne alte Offenheit von früher helfen. Lieber, guter Jürgen, wie muß man Tie gequält und gehetzt haben, daß Sie Gottfried Pachvwskis Tochter' heiraten wollten! Verstehen Sie mich recht. Wenn ich das "sage, meine ich mit andern Worten, wie elend müssen Sie sein, daß Sie sich selbst so untren werden tonnten! Ich weiß, wie Sie aus diesen Gedanken gekvminen sind. Wort für Wort habe ich — im Begriff, meinem Vater die Medizin zu bringen durch die dünne Verbindungstür Ihre nicht gerade im Flüstertöne geführte Unterhaltung mitangehört. Tazwischengefahrcn bin ich aus einem ganz besonderen Grunde nicht. Ich hätte dann für das, was ich Ihnen notgedrungen jagen mußte, keine rechte Gelegenheit gefunden. Tie konnte ich nur erlangen, wenn ich die Sache reifen ließ. Eine Schlechtigkeit von meiner Seite liegt wohl nicht darin. Um's kurz zu machen. Sie wollten mich nicht aus freiem Antriebe, lieber Jürgen- und hätten mich doch ge nommen, aus Gründen, die mir nun ja nicht mehr fremd find, die ich sogar billigen und versahen kann. Jch> hätte Sie wohl gemocht und vielleicht sogar ge heiratet, wenn die Gewittcrnachjt damals" nicht gewesen wäre, in der Fiken die kleinen Italiener ausrissen. Ko misch!, nicht wahr? Am Morgen danach haben wir, der Fritz Kunze «nd ich!, uns nämlich auf der alten Märchenwiese verlobt. Uiü> nun laß ich nicht mehr von ihm. Tas habe ich vor einer Stunde auch meinem Vater erklärt. Der Umstand, daß ich nach dieser Mitteilung überhaupt imstande bin, einen richtigen Brief mit richtigen, geraden Buchstaben zu schreiben, beweist! Jhnen- daß ich wohl meinen Willen durchsetzen werde. Natürlich ganz langsam. Sollte es gar zu lange dauern, dann zwinge ichjhn mit dem mir anerzpgenen und vielleicht auch angeborenen Eigensinn. Sofort nach erfolgter Großjährigkeit heiraten wir in die sem Falle und werden — Inspektors auf Bornhagen unter Ihnen. Vater und Mutter Kunze kriegen bei uns ein Stübchen und besorgen die Bienen. Damit ist ersterer dann auch gleich für Sie unschädlich gemacht. Nicht wahr, lieber Jürgen, so viel Anhänglichkeit werden Sie von der Kindheit her wohl noch für uns übrig haben, daß Cie uns diesen kleinen Gefallen erweisen? Wenn alles nichts geholfen hat, das hilft sicherlich, oder meinen Sie, daß mein Vater seine Tvchtep als ,Ahre Inspektors frau" ertragen könnte? Ich verspreche Ihnen sogar im voraus, während die ser Zeit ,Herr Grafts zu sagen. Bloß Ihre Frau kann ich nicht „Frau Gräfin" nennen. Tas wäre mir zu dumm. Tie muß sich schon weiter mit dem schlichten „Marianne" begnügen. Sv, nun ist es heraus. Ich! muß Dich wieder „Tu" nennen, Jürgen Gertingen^ es geht nicht anders, und ich ckann auch nicht den Mund halten, sonst ersticke ich an dem, wass-wkr noch aus dem Herzen liegt. Ich muß Dich darauf stoßen!, wenn Tu's'chicht allein weißt. Lauf auf dem kürzestjeni Wege nach Buchenwalde und bringe Deine Sachse in Ordnung. Ihr beide habt Euch nun doch wahrhaftig lange genug gequält. Und wenn es so weit ist, dann sage es mir^ damit ich —" Weiter kommt er nächst. Tie Hand mit dem Bricfblatte sinkt schlaff zur Seite. Tie Rettung ist abgeschnitten, die Kämpfe der Nächste nutzlos, der Schlußakt des Dramas naht. Und doch faltet er die Handle und dankt seinem Gott für diesen Aushang. Mit einer andern in ihrer Mhe, das wäre doch wohl über sein« Kraft gegangen. Wie kommt Trude Pachowski eigentlich zu den letzten Sätzen in ihrem Briefe? Woher weiß sie? Er lächjelt bitter. Eine sonder bare Frage. Alle, die ihn kannten^ mußten es? gefühlt haben. Sie, die es anging-' am meisten. Wer sie war blind gewesen. Vor ihren Augen stand der andere und schnitt ihr den Blick auf ihre Umgebung ab. Tavvn wußte Trude Pachjowsli nichts. Jetzt kein Wort mehr davon. Es muß alles' einmal ein Ende haben. Nur ein Schwächling läßt den Rest seiner Kraft von dem Feuer verbrennen, das nichst für ihn glüht. Nach diesem gab ess dreierlei für ihn' zu tun. Tie Abfassung des Briefes an den nächsten Agnaten, Graf Herbert von Gerlingen in Josephsläutern, die Erklärung Tante Berta gegenüber und zuletzt die Enthüllung — an Marianne, ohne jede Verschleierung der wahren Ge schehnisse. Ein wenig schjob er die noch hinaus. Vielleicht incldete ihm bis dahin irgend jemand, daß Gtaf Hassos jüngster Sohn doch noch den einzigen Weg, der ihm offen blieb, betreten hatte. Zudem mußte der Gang zu ihr auch zu gleich! der Abschied Von? ihr sein, nach dem es kein Wieder sehen gab. Sobald die Uebergabe an seinen Nachfolger stattgefunden haben würde, ging er über das Meer. (Schluß folgt.) Das ewig frohe Lied. Tas muß ein Gottesengel sein, Ter mit uns wandert aus und ein, Und dessen leises, frohes Lied Durchs Haus und durch die Seele zieht, — Im Tagessbrausen hör ichs Düngen: „Ich will von deiner Güte singen!" Ein Vöglein, das an steiler Wand Ein Stützlein nur zum Rasten sand, Putzt sein Gefieder weiß und grau Legt's Köpfchen seitwärts, äugelt schlau, Dann hebt es'jubelnd seine Schwingen, „Es will von Gottes Güte singen." Ein Gottesnmnder auch fürwahr,' Ein Kindesantlitz hell und klar. Wenn Kinderaugen voll Vertrau'n Dir ins vergrämte Antlitz schlau'n, Tann senkst dst reuig deine Lider, — Tenn sieh, der Himmel grüßt dich wieder. Hängt's übertags oft schwer und grau, Am Abend wird der Himmel blau; Es lächelt dir nach Sturm und Regen Ein reicher, gold'ner Gottessegen- Und durch die Fluren hörst dü's klingen: ,Hch will von deiner Güte singen." Auf, Menschjenherz^ stimm an dein Li.d, Und wandre wo der Engel zieht, Ten ungestümen Kindeswillen Darfst du am Vaterherzen stillen; Sturm, Zeit und Leid- es braust vorbei, — Nur eines bleibt dir ewig treu; Trum laß es hier schon sieghaft klingen: „Ich will von Gottes? Güte singe«!" ' - B. Wachjsmuth. Druck und Verlag von Lan^« L Winterlich, Mesa. — Kür die Redaktion verantwortlich Hermann Schmidt, Riesa. Erjähler an der Elbe. velletr. GrattSveilage r»« „Niefaer rageVlatt". Rr. 2«. Riesa, de« 3«. Juni 1S»6. SV. I hr« Leute vom Pommernland. Roman von Käte Lubowski. Fortsetzung. Als ein Historiker einst die Aufstellung der grausam sten Marterwerkzeuge des Wtertums vornahm, vergaß er die Erwähnung des aufreibendsten und quälendsten unter ihnen, das, als einziges von der modernen Zeit übernom men, sich „das Warten auf' den Ausgang" nennt. Graf Jürgen von Gertingen empfand seinen Truck stündlich. Er wand sich unter innerlichen Qualen, ohne daß ihm auch! nur der Gedanke an eine etwaige Treu losigkeit des Bruders gekommen wäre. Seit der Absen dung des Telegramms war er wie im'Fieber. Er konnte nichsts anderes denken, als: „Er muß ja kommen und alles aufklären. Nur warten, warten. Es geht alles im Leben vorüber. Auch die Dunkelheit des Gehirns und der wahnsinnige Truck auf daS Denkvermögen wird schwin den, sobald das Lichä der Wahrheit sich entzündet." — Hans Heinrich hatte nicht, wie er bei Wsendung seines! Telegrammes als sicher vorausfetzte, seine An kunft mitgeteilt. Wozu eigentlich auch? Es war ja so selbstverständlich, daß er eintraf, sobald es? ihm möglich war. Jürgen kannte die Verbindung der Züge genau. Trotz dem begann er zum hundertsten Male auszurechüen, wann der Bruder da sein könnte. Um zwei Uhr nächjmittags hielt' der leichte Jagdwagen aus der Rampe, ganz wie sonst Nur Jürgen war ein anderer geworden. Seine Bewegungen waren kraftlos und müde wie die eines Greises, der sich nur darum beim Auf- steigen keiner Hülfe bedient, weil er noch jung erscheinen will. Als sie drei Stunden später ohne Hans Heinrich zu rückkamen, war es mit seiner Kraft doch zu Ende. Ter junge Diener mußte ihn fast vom Wagen in das Schiloß hineintragen. „Ich will ein paar Stunden ganz ungestört sein," be fahl er heiser, als er endlich in seinem Zimmer an gelangt war. „Niemand soll herein, niemand, hörst Tu?" Ter Diener verneigte sich mit zitternden Knieen. Nun war er allein. Er saß und sann, ohne sich zu regen. Warum war Hans?Heinrich! nicht gekommen? Hätte — er — Ursache, — die Aufllärung zu fürchten? Großer Gott, nur das uicht denken, nur das nicht! Sie waren ja eines Blutes und eines Namens. Er schüttelte sich. Pfui Teu fel, wie schlecht macht die brennende Angst vor der Zu kunft! Noch einmal telegraphieren! Er konnte doch krank sein, unfähig zum Kommen, oder auch verreist am Schlüsse des Semestiers. Ja, so würde es sein. T^tz- dem ging noch einmal' eine lange Depesche an Hästs Heinrich ab. Diesmal mit der vollen Unterschrift stes Absenders: Jürgen, Gras von Gertingen. Schloß Boln- hagen bei Pvrzin. Nach fünf Stunden kam sie als unbe stellbar zurück mit dem Vermerk: „Adressat gestern abend sechs Uhr vom Südbahithvf aus verreist Wohin unbe kannt." Als Jürgen Von Gertingen das gelesen hatte, schloß er sich in sein Zimmer ein. Eines Mutes und? eines Nvmensl mit ihm — und dennoch!- . . Halt ntoch nicht! Warten! Warten! Wer nicht mehr lange. Sonst geschjah ein Unglück. Warum eigentlich warten. War nichst der Beweis bereits erbracht? Und dennoch! konnte es. sich vielleicht noch anders auf klären. Aber wie? wie? Cr wußte jetzt, was" er als nächstes tun mußte. An Ort und Stelle Erkundigungen über ihn einziehen. Nach Heidelberg fahren. Lange überlegte er, ob er zu Tante Berta davon spre chest sollte. Schließlich gab rr ihr aber doch eine andere Erklärung für seine plötzliche Reise, nämlich die, durch etwas Unaufschiebbares dazu gezwungen zu sein. Tante Berta hätte sich zu eine« andern Zeit fraglos' ihre eigenen, tiefgehenden Gedanken über das alles Hemachjt. Jetzt tat sie es nächt. Ter Maust, dem ihre Jugend gehört hatte, und dem ihr Alter geweiht War, ging "seiner Auflösung entgegen. Es kam nicht ämerwartet. Es war die Vollendung dessen, das sich zwei Jahre vorbereitete. Aber sie saß nun doch am Schicksalswege und wartete, daß der lichte Augenblick, von dem damals der Chefarzt so zuversichtlich gesprochen Latte, kommen sollte. Dadurch entging Graf Jürgen allen Fragen, die/weun auch von der teilnehmendsten Liebe eingegebrn, ihn doch unendlich gequält hätten, weil er nicht zu lügen verstand. Einen Tag später fuhr er nach Heidelberg ab. Unterdessen hat Fräulein von Silkenbrachj diel zu tun. Mit dem Hauptmastn geht es zu Ende. Sie denkt an den Ausspruch der Aerzte, daß vor feistem Tode noch einmal ein! lichter Augenblick kommen wird. Sie sitzt still an seinem Bette, sein Lied geht ihr durch den Sinn, das süße kleine Lied, das! er für sie gedichtet hat. Leise sagt sie es vor sich hist: „Im kleinen StübMn Eist trautes^ Eckchen, ' s Ta saßest^ wir beide ' ' ' s Weltfern? vom Leide, Tu und ich." Ter Hauptmann versucht, sich empvrzurichten, es ge lingt ihm nicht- Erst ajlsj sie den Arm unter seinen Nacken legt, vermag er es. Seine Augen sind klar und licht, aber sie schauen über ihr Haupt hinweg in die Ferne. Und jetzt sprichst" er ganz leise: ,L> selige Stunden, , . s !. Wie lieb ich euch! Wv weltvergessen . . ; . : ! Beisanrmengesessen , ; Tu und ich" Tante Berta neigt sich auf seine Hand und küßt sie. Er liegt ruhig und fieht sic wie vordem unablässig an. „Wer bist Tu?" fragt er endlich zaghaft wie ein Kind. „Berta von Silkenbrachj bin ich Gerd, kennst Tu mich immer stoch nicht?" Er nickt, ein Lächeln liegt auf seinem Gesicht. Ta zieht auf der Landstraße am Schlosse vorbei die Por- ziner Artillerie, die lushgen Gelänge der Soldaten schal len in das Krankenzimmer. Ter Hufschkag der Pferde und das Donnern der Räder verhallen. Nach, einer Weile bewegt der Hauptmann die Lippen. Seine Hand tastet zu der am Bette Knieenden herab: „Perta," sagt
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder