Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.10.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061019011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906101901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906101901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-10
- Tag1906-10-19
- Monat1906-10
- Jahr1906
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezuaS-Prri- für Leipzig und Vororte: I« der Haupt- Erpedsiion oder deren AuSgadesielleo ab- geholt monatlich: Aufgabe T (1 mal täglich) 70 Pf-, Ausgabe v (2 mal täglich) SO Pf., bei Zustellung tnS Hau» Ausgabe X 80 Pf., Ausgabe 8 1 Mark. Durch unsere aus wärtigen Ausgabestellen und durch die Post bezogen (1 mal täglich) für Deutschland und Oesterreich monatlich 1 Mark, für dir übrigen Länder laut ZeitungSpreiSIiste. Diese Nummer lostet auf S rdd allen BahnhSsea nnd bet III k« den ZeitungS-Verkäufern Aedattto» uu» Grpe-Utoar JohaoniSgasse L Telephon Nr. 1S2, Nr. 222. Nr. 1173. Berliner AedaktionS-Burea«: Berlin dNV. 7, Prinz LouiS Ferdinand- Etratzt 1. Telephon l. Nr. 9275. Morgen-Ausgabe 8. WpMcrTaMaü Handelszeitung. Amtsblatt des Males und des Nolizeiamles der Lladl Leipzig. fite Inserate von auSwärt- >0 W. Reklamen 7b Pf, auSwärtS 1 Mark. Beilago- gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. «KksLäftSanzeigen an deoorzogtrr Stelle t» Preise erhöht. Rabatt nach Tarif. Anzeigen-Anuabme: AugnstuSplatz 8, bet sämtltchev Filialen u. alle» Annoncen- Livrdittonen de- In- und Auslandes. Für das Erscheinen au bestimmten Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Haupt-Filiale Berlin: TarlD nackt r,Herzgl.BayrHofbuchhandlg- Lutzowslrabe 10 «Telephon VH Nr. 4603). Ftlial--Ervedttt»n:DreSdeu,Marieustr.34. Nr. 518. Freitag 19. Oktober 1906. 100. Jahrgang. Var MÄtigrle vom rage. * In der Landessynode fand im Anschluß an eine Petition des Lehrervereins eine längere De batte über Religionsunterricht statt. — Die Pe tition für Offenhaltung der Schaufenster an Sonn- und Feiertagen wurde dem Kirchenregiment nur zur Kenntnisnahme überwiesen. sS. Kongreffe.) * Staatssekretär v. Tschirschky hat in Rom erklärt, der Dreibund laufe er st im Iahre 1914 a b und er, Tschirschky, habe keine Spezialmission. sS. Letzte Dep.) * Von der Meldung, daß die E r n e n n u ng des Geheim rats Dr. Seitz zum Gouverneur von Kamerun rück- gängig gemacht worden sei und der Geheime Legationsrat Dr. Gleim zum Gouverneur von Kamerun ernannt werden soll, ist im Kolonialamt nichts bekannt. * Mit dem 1. Januar 1907 wird die Leitung der Schutz- truppentransporte für Südwestafrika auf die See« transportabteilung des RerchsmarineamtS übergehen. * Bei dem gestrigen Besuch der Mitglieder der Konferenz für drahtlose Telegraphie wurde auf der großen Tele - funken st ation in Nauen zum ersten Mal in Deutschland ein praktisches Telegraphieren mittels un gedämpfter Schwingungen nach der neuen, von der Tele- funkenaesellschaft ausgebildeten Methode mit vol lem Erfolge vorgeführt. * Die oberelbischen Reedereien haben gegen die Aus ständig en in allen Fällen wegen Kontrakt- bruches gerichtliche Klage erhoben und jegliche Ver- Handlung mit der Organisation der Binnenschiffer strikte abgelehnt. * Die Hamburger Polizei hat festgestellt, daß der Köpenicker Schwindler Adolf Milner heißt. sS. Letzte Dep.) * Heute wird der Rücktritt Sarrieus und die Berufung Clemenceaus zum Ministerpräsi denten erwartet. sS. Ausl. u. Letzte Dep.) * Admiral Roschdjestwenski ist von der Anklage wegen seines Verhaltens in der Seeschlacht bei Tschusima freigesprochen worden. * Der spanische Ministerrat hat ein Verein-- aesetz angenommen, welche- die Ordeasnieder- lassungen und ihre Betriebe der staatlichen Auf sicht unterwirft. sS. Ausl.) Vie Zchaubiibne alr moralüche Unrtalt. lVon unserem Berliner Vertreter.) Die deutschen Sittlichkeitsvereine waren dieser Tage in Hannover zusammen, natürlich um die Sittlichkeit des deutschen Volkes zu heben. Solche Hebungsversuche sind ein wenig diskreditiert, nicht so sehr ihres Zwecks wegen, als wegen ter Unzweckmäßigkeit der meisten Mittel, von denen daS Heil erwartet wird. Wie die Verschönerungsvereine kleiner und großer Städte häufig die schönste Natur korri gieren wollen und durch grauenerregende Postamente den harmlosen Wanderer zum Entfleuchen bringen, also dünkt unS auch das Bestreben mancher Sittlichkeitsvereinler viel leicht gui gemeint, aber sicher zwecklos und oftmals von übler Wirbrog Am deutlichsten und bedenklichsten tritt dies jed-smal hervor, wenn die Sittlichkeitsheber ihre Für sorge auf die Kunst erstrecken. Und auch um die hannoversche Sittlichkeitsaktion brauchte man sich weiter nicht zu küm mern, w-nu He.. Dietrich v. Oertzen-Zehlendorf dort nicht daS alte Thema von der Schaubühne als moralischer An stalt varliert und über das moderne Theater und die Sitt lichkeit gesprochen hätte. Ach, was war doch der gute alte idealistische Schiller gegen Herrn v. Oertzen-Zehlendorf für ein moderner Mensch! Er war der Meinung, ,chaß vielleicht Molieres Harpagon noch keinen Wucherer besserte, daß Karl Moors unglückliche Räubergeschichte die Landstraßen nicht viel sicherer machen wird". Dietrich v. Oertzen-Zehlen dorf aber fordert rin »moralisches und christliches Theater", offenbar doch in der Meinung, daß die unglücklichen Besucher solcher Besserungsanstalten L 1» Oertzen-Zehlendorf in ge läutertem Zustande weiterleben würden. Wir halten es für diesmal mit Schiller, ob wir ihn auch bestaunen müssen, wenn er apodiktisch erklärt: »Einen gemeinen Geschmack haben in der bildende» Kunst die niederländischen Maler." Der hier noch so ersch ecklich in Aeußerlichkeite» befangene Schiller hatte doch vermöge seines hohen Dichterberufes eine zu sichere intuitive Auffassung vom Seelenleben des Volkes, voa den zwingende» Motive» allen Geschehens, als daß er mit so plumpen Oertzenschen Mitteln hätte den Zuchtmeister spielen mögen. WaS uns an seinen Ausführungen über die Schaubühne als moralische Anstalt auch heute noch gilt und für imm r leinen Wert behalten wird, da- ist die Erkenntnis oo» der Bedeutung der unbeabsichtigten Wirkungen. Tarin liegt zugleich tue härteste Verurteilung des moralischen Ten- denzstückes, ganz abgesehen von den schier unvermeidbaren Phil'sterqoal'täten solcher Machwerke. Die Grenzen für die Bübuenlmpresfwnen von praktischem Nutzen steckt Schiller in den paar Sätzen ob: „Aber wenn wir auch die große Wirkung der Schaubühne einschränken, wenn wir so un gerecht sein wollen, sie gar aufzuheben — wie unendlich viel bleibt noch voa ihrem Eiuftuß zurück? Wenn sie die Summe der Laster weder tilgt noch vermindert, hat sie uns nicht mit denselben bekannt gemacht? Mit diesen Lasterhaften, diesen Tore» muffe» wir leben. Wir muffen ihnen au-weichen od« Leg«-»«»; wir müsse» sie »atsrgrabe» od« ihnen unter- ü«»». Acht ab« --«rasch« fi« -»- richt «ehr." Des man die'rr durchaus modernen Auffassung vom Wort der I AbsichtSlisigkeiten das Oertzensche Pendant gegenüberstellen I will, so g'dt eS kein besseres Exempel, als die furchtbare Ver- - hunzung der schönen Robinsonade durch die „pädagogische" Bearbeitung, in der den Kindern des vorigen Jahrhunderts die Geschichte verzapft wurde. Vor jedem Kapitel eine mo ralische Ansprache deS Hausvaters und hinterher Nutzanwen dungen. Gott sei dank hat jeder anständige Junge diese Moralsudftei überschlagen und sich an den Resten der ur sprünglichen Erzählung ergötzt. Und gerade diese Tendenz moral von aufreizender Aufdringlichkeit will unS Herr Dietrich v. Oertzen-Zehlendorf, wollen unS die Sittlichkeits vereinler als tägliches Kunstbrot vorsetzen. Man höre: „Vor fünfzig Jahren waren die Theaterverhältnisse noch nicht v'rdorben. Damals drehte es sich meistens darum, daß zwei sich kriegen sollten. Und sie kriegten sich auch." Ach ja. sie kriegten sich. Und wir kriegen einen Krampf anfall, wenn wir denken müssen, daß die ganze Revolutionie rung der Geister dieser letzten fünfzig Jahre an Herr» von Oertze» und Genossen spurlos vorübergegangen ist, daß sie immer noch in der Marlitt ein literarisches Genie und in Goethe nur desweger keinen Pornographen sehen, weil er auch Minister gewesen und heute ein Klassiker ist. Und ge- rade au diesen Ideale« der Theatermoralisten sehen wir, wie energisch uud rücksichtslos diese Leute bekämpft werden müsse», wenn sie sich in ihrer oberflächliche» Manier an der Kunst vergreisen. Wie diese Leute bei ihren Sittlichkeits bestrebungen immer nur an den Erscheinungen Herum doktoren, anstatt den Motiven zuleibe zu gehen und dem Ver ein für WohnungSresorm und Volksbäder beizutreten, so plump und verständnislos strecken sie auch ihre Finger nach der Kun,. aus und versuchen die Göttin zur Magd zu machen. DaS ganze Problem der Sittlichkeit überhaupt hier zu behandeln, ,st nicht möglich. Nur das eine mag gesagt wer den, daß der Grundunterschied zwischen Orthodoxen und Liberalen aller Gebiete auch hier wieder deutlich wird. Die Buchstabengläubigen stellen für die Sittlichkeit feste Normen auf. Und die Liberalen glauben wie an die Relativität aller Begriffe, so auch nur an eine relative, eine individuelle Sitt lichkeit. Diele bösen Liberalen freilich arbeiten auch auf allen Gebieten an der Emanzipation des Volkes von Schab- lonenbegrlffen in der festen Ueberzeugung, daß keine Wahr heit, keine Schönheit, keine Moral Gültigkeit für jemand haben kaan, der sie nicht begreift. Sie sind auch die gefähr lichsten Gegner der tendenziösen Unsittlichkeitsstücke, die sie mindestens so senr Haffen wie Herr Dietrich o. Oertzen- Zehlendorf. Sie geben nämlich gleich das Rezept mit aus den Weg, das die Tendenz dieser Stücke, durch bloßen Sinnenreiz zu unterhalten, wirkungslos macht. Ein auf fester m d-rner Basis stehender Mensch erträgt das Un künstlerische dieser Kaffenstücke gar nicht. Aber gerade für die Kritiklosen, die Banausen, werden diese Szenen gefähr lich. Sie nehmen gläubig diese Predigten der Unsittlichkeit in sich auf, wie sie die schwatzhafte Sentimentalität der Marlitt haben aus sich wirken lassen. Deshalb gibt es keinen besseren Schutz gegen die Gefahren einer unmoralischen Schaubühne als die Erziehung des Menschen zur Kunst. Erst sie vermag ihm die Höhe der Sittlichkeit zu verleihen, die auch im Gemeinen w»e im Unsittlichen nur Objekte der Dar stellung, aber nicht subjektive Reizmittel erblickt. Und wenn der letzte Deutsche zur Kunst erzogen sein wird, wird auch der Tendenzschmutz mit der Tendenzmoral von der Bühne verschwunden sein, weil beide kein Publikum mehr finden werden. Bis dahin freilich ist noch einige Arbeit zu leisten. vrr Haartten Hsngrerr. Der vierte Kadettenkongreß ist zu Ende. Die Partei der VolkLfreiheit hat eine harte Probe bestanden — mit welchem Erfolge, darüber sind noch die Meinungen geteilt. Mit größter Spannung verfolgte Rußland die stürmischen Ver handlungen in HelsingforS — kein Wunder: von ihrem Ausgange war es abhängig, ob die größte und einflußreichste Freiheitspartei Rußlands erhalten bleiben oder in die Brüche gehen solle. Der heißeste Kampf tobte um die Frage, wie sich die Partei zum Wiborger Aufruf stellen soll, der doch gewissermaßen als ihr eigenes Werk angesehen werden muß, da sämtliche Dumamitglieder, die ihn unterzeichneten, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Kadetten waren, die zu nicht geringem Teile in ihrer Partei eine führende Stellung einnahmen. Die Parteileitung schlug dem Kon gresse eine Resolution vor, die die passive Resistenz, speziell die Rekrutenverweigerung, als taugbareS und wünschens wertes Kampfmittel betrachtete, von ihrer sofortigen An wendung aber Abstand nahm, da die Organisation noch zu schwach und das Volk noch zu unvorbereitet sei. DaS Zen tralkomitee hatte seinen Vorschlag gegen Angriffe von beide» Seiten zu verteidige». Der rechte Flügel deS Kongreffes wollte von einer Resistenz überhaupt nichts wissen, dagegen bestanden die linksstehenden Mitglieder auf einer sofortigen Durchführung der Steuerverweigerung und Nichtstellung der Rekruten schon in diesem Jahre. Die besten Redner der Partei haben in dieser Frage ihre Lanzen gebrochen. Der endgültige Sieg der von der Leitung vorgeschlagenen Reso lution war aber schon von Anfang an vorauSzusehen, da sie den einzigen Weg zum ehrenvollen Rückzüge auS der sehr heiklen Lage bildete, indem sie eine scheinbare Verbindung von Besonnenheit und Entschlossenheit darstellte. Bereich- nend icdoch ist der Umstand, daß dreiund sechzig Mit glieder, hauptsächlich vom rechten Flügel, eS nicht für nötig hielten, die Abstimmung über diesen Kardinalpunkt der Ver- Handlungen abzuwarten und unmittelbar davor, sogar an demselben Tage, Helsingfors verließen. Dieser Zwischenfall »st aber keineswegs ohne weiteres als ein Prognostikon für keinen bevorstehenden Zerfall der Partei zu deuten; vielmehr I Abt bereit» heute so gut wie fest, daß die eiserne Di-zipli», I di« di« Partei Ku volllfreihtit währevd du kurz« Zeit ihres Bestehens ihren Mitgliedern einzuimpfen verstand, und die gemeinsame Plattform des aktiven politischen Auf tretens es vermögen werden, die Abtrünnigen wieder ins verlassene Lager zurückzurufen. Denn eine dauernde Un zufriedenheit konnte die gefaßte Resolution nur bei den radi kaleren Elementen Hervorrufen; für die Gemäßigteren aber, die gegen sie stimmten, handelte es sich hauptsächlich um einen theoretischen Streit, denn schließlich mußte ja die Partei auf die praktische Durchführung der passiven Re sistenz, wenigstens für absehbare Zeit, verzichten. Einige konservative Delegierte, darunter auch Graf Ilja Tolstoi, ein Sohn des berühmten Schriftstellers und Philosophen, kühlten daher ihr Mütchen dadurch, daß sie ihre Meinung besonders zu Protokoll gaben — und verzichteten auf die Sprengung der Partei. Anderseits haben von den 33 radi kaleren Kongreßmitgliedern ungefähr 25 (nicht 5—6, wie fälschlich mitgeteilt wurde) erklärt, sie könnten mit einer so gemäßigten Resolution unmöglich vor ihren Wählern in der Provinz erscheinen, und reichten ebenfalls eine in diesem Sinne abgefaßte Erklärung zu Protokoll ein. Aber ein Austritt aus der Partei ist auch seitens dieser Elemente nicht zu erwarten, denn die Partei der Volksfreiheit ist eigentlich die einzige Partei, in der sie noch eben Platz finden können; für die weiter nach links stehenden Parteien sind sie viel zu wenig radikal und revolutionär. Die Kadetten können also mit ihrem vierte» Kongresse im allgemeinen zufrieden sei» und getrost zum bevorstehenden Wahlkampfe rüst«. kll Zsbre tzstivernem iu vemzch-ZüamLtattilra. l Ein Buch von Theodor Leuuvein.) Ei» Werk, das nicht verfehle» wird, Aussehen und hohes Jnreresse zu erwecken, ist soeven de: Malier L Sohn in roerll» erschienen: »Elf Jahre Gouverneur rn Deutjch-Süd- weuairila" von Theodor Leulwecn, Generalmajor und Gou verneur a. L Ein Beruiener, der bis vor kurzer Zelt an der Lp:tze der afrilantjche» Kolonie gestanden und die jchwie- rigslen Situationen aus diesem Sajmerzensposlen durchgc- macyl Hal, schildert hier die Entstehung, das Werden und die letzte taum noch überwundene Krije des Schutzgebietes. Be zeichnend für die Auitassung Leulwems von der Kolonial- po^llk, von Len Endzielen der Kolouijatlousarbeii und für teine perioulicht. Steuuug zu all den augenblicklich leider io „akulen" Fragen, ist das Vorwort, das er seiner umfang reichen Arveil vvrausichlckt: „Geh hinaus in die Welt, mein Buch, du Ergebnis vieler Arbeitsstunden, aber auch die Freude meiner Mutzezeft. Lu sollst meinen Mitbürgern einen Einblick i» els Jahre deutscher Kolonialpolitik geben, vieftach von Erfolge» getränt, aber auch von Rückschlägen begleitet, sowie mit Fehlern und Irrtümern durchsetzt. Mögen wir aus beiden lernen, in erster Linie, daß, unbe schadet der höheren Stellung der kolonisierenden Rasse, das Ziel einer grotzzügigen Kolonialpolitik die Angliederung der in erworbenen Landern Vorgefundenen Urbevölkerung sein muß, und Nicht deren gewaltsame Unterdrückung oder gar Vernichtung. Diese Lehre wird um so mehr einleuchten, wenn dir der Nachweis gelingt, daß eine solche Polini nicht bloß im Sinne der Humanität und des Christentums ge legen ist, sondern vor allem im eigensten Interesse der koloni sierenden Macht. Tenn eine andere Kolonialpolitik lohnt die zu bringenden Opfer nicht. Sie wird daher für das Mutterland stets zu dem werden, was man ein „schlechtes Ge schäft" neunt und infolgedessen besser ganz unterlassen. Denn um ein schlechtes Geschäft zu machen, geht der Staat jo wenig wie der einzelne in die Kolonien." Es gibt kein Gebiet der kolonisatorischen Aufgaben, die in Leutweins bedeutsamem und in glänzender Darstellung geschriebenen Buche nicht einer eingehenden und bis in die kleinsten Details erschöpfenden Untersuchung unterzogen würde. Aus den zahlreichen Kapiteln ragen einzelne als ganz besonders interessant über die allgemeinen Erörterun gen politischen Inhaltes hervor. Fasselnd und anregend ist, was Leuiwein üb-r die Häuptlinge des Schutzgebietes auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen erzählt. Die Stel lung des Gouverneurs >m Schutzgebiete glich bisher in etwas derjenige« der alten römisch-deutschen Kaiser. Auch diese batten auf den guten Willen ihrer Vasallen, sowie mit Auf ständen von deren Seite rechnen müssen, falls sie Grund zur Unzufriedenheit zu haben glaubten. Erst durch die Er eignisse getrieben, sind wir jetzt an eine Äenderung dieses Verhältnisses herangetreten. Aber welche Opfer es kostet, das sehen wir auch jetzt erst. Vorbedingung des Verständnisses für die Verhältnisse irr. Schutzgebiet ist die Kenntnis von den Persönlichkeiten der mächtigsten eingeborenen Häuptlinge und ihrer politischen Stellung. Da sind zunächst zwei Männer zu nennen, die eine großl Rolle in der Geschichte des Schutzgebietes gespielt haben: Hendrik Witboi und Samuel Maherero. Hendrik Witboi war bereits als Kind gelaust worden, und der Grundzua seines Charakters ist auch die Neigung zur reli giösen Mystik gewesen. In einem anderthalbjährigen Kampfe der deutschen Truppen gegen ihn hat er, als er seinerzeit gegen die Herero den Vernichtungskrieg unternom men hatte, unseren Soldaten die Palme des Sieges streitig gemacht. Er betätigte sich damals als ein Meister in der afrikanischen Kriegskunst. Beendigt wurde schließlich dieses Ringen nicht durch eine für ihn vernichtende Niederlage, sonder» ^'irch daS Auf-wingen der deutschen Schutzherrschaft unter ihn wenig drückenden Bedingungen. Hendrik Witboi war von klciaer Statur und daher äußerlich keine besonders »mponiercnde Erscheinung, aber er machte bei näherer Be kanntschaft doch Eindruck durch seine auf unbeugsamer Willensstärke gegründete Ruhe und Festigkeit. Langsam und sicher war seine Rede, kein unüberlegtes Wort kam auS seinem Munde Sein Auftreten war bescheiden. Aber es war die Bescheidenheit des selbstbewußten ManneS. Ihm laa sowoyl das Kriechende wie das protzenhaft sich Ueder- hebende des gewöhnlichen Hottentotten fern. Als Leutwein dem Kavilän einst seine Geschütze zeigte und hinzufügte, solche besäße der deutsche Kaiser mehrere tausend, erwiderte er, indem eine Art entsagungsvollen Zuge- über sein Gesicht ftok:.„Jch oeitz ja wohl, daß der deutsche Kaiser mächtiger ist als ich, aber du brauchst es mir ja nicht immer zu sagen!" In der Art, wie Witboi das Christentum auffaßte, lag zweifellos etwa- ton der Selbstüberzeugung eines Mahdi, zumal da er eS ganz gut verstand, die Verbindung von geistlicher und weltlicher Macht, wie sie sich seinen Leuten gegenüber m ihm verkörperte, politischen Zielen dienstbar zu machen. Fln niemand Hot mehr wie für ihn daS Wort Bedeutung aebabt: „Man muß Gott mehr gehorchen, al« den Menschen? Aber was Gott wünscht«, da« zu entscheiden, nahm er für sich all«»» t» Anspruch. Schön während seiner Krie^zÜge gegen die Herero hatte der Kapitän sich den Weißen gegen über immer von der humansten Seite gezeigt. Ihr Eigentum wurde von ihm und seinen Leuten stets auf das peinlichste geschont. Später zeigte er sich anders. Die grausame Vollentottenari kam zum Durchbruch. Er ließ rauben und morden. Die Gründe, die den alten achtzigjährigen Mann noch an seinem Lebensende bewogen haben, fein eigenes Werk zu zerstöre., und vvn der deutschen Schutzherrjcyaft abzufallen, werden jetzt nach seinem Tode wohl nie völlig ausgektäri werden können. Man ist daher nur auf Vermutungen an gewiesen. Von langer Hand vorbereitet war der Aufstand sicher nicht, andernjallS wäre es für den Kapitän günstiger gewesen, die unsichere Lage der deutschen Truppen zu Be ginn des Hereroausstandes auszunutzen, statt den Truppen jogar noch Unterstützung zu senden, wie es Hendrik Witboi tatsächlich getan hau Mißtrauisch allerdings war der Ka pitän anicheinend bereits seit einiger Zeit geworden. Der bei der Truppe nzwischen erfolgte Kommandowechsel mag wohl dieselben Gefühle erregt Haven, die ihn seinerzeit im Jahre 1^95 nach Eintreffen des neuernannten Truppen- lommar^eurs Maior Müller zu seiner Flucht über die eng lische Grenze bewogen hatten. Die Eingeborenen sind nun einmal nicht für eine Sache, sondern nur für die Person zu haben, et» Gefühl, das freilich in den Kolonien die Grün dung dauernder Verhältnisse erschwert, aber nicht aus der Welt zu schasse» ist. Und Fehler in der Behandlung der mit den 'deutschen verbündeten WitboiS mögens seitens der dama's neu ins Land gekommenen Offiziere und Mann schaften gewiß auch gemacht worden sein. Der reine Gegenjatz von Wftboi ist und war vou Anfang an der ObcrhäupUing der Herero, Samuel Maherero. Auch er war schon in seiner Jugend Christ geworden, aber er hatte an der Mission wenig Freude, ebenso die Mission an ihm. Ihm legten Genußsucht, Neigung zum Alkohol und auch — rwt laust — zu den Frauen fortgesetzt Fallen. Er war klug genug, um zu wissen, daß er in seinem Ver- halten der Regierung gegenüber vor dem Aufstande vs vuugus gespielt halte. „Ihr habt den Krieg gewollt, nun kämpft auch", soll er mehrfach seine» Leuten zugerufen haben. Er war sich klar darüber, daß die Verantwortung für alles Geschehene auf ihm laste und daß er Gnade nicht mehr zu erwarten habe. Nach dem Gefecht von Waterberg scheint in- dessen auch er den Mut verloren zu haben. Jetzt befiudet er sich unter englijcher Polizeiaufsicht, uud er mag wohl oft an die schönen Tage von Okahandja zurückdenken, wo es ihm an Kaffee, Tabak, Alkohol und Frauen nie gefehlt hat, an jene angenehmen Tage des Schutdenmachens uno der Ein nahme aus Farmoerkäufen. Hoffentlich halten ihn die Eng länder auch fest, denn ferne Rückkehr ln das Hcreroland würde zu erneuten schweren Verwickelungen führen können. Wie Leutwein über die künftige Gestaltung der Dinge im südwestasrikanifchen Schutzgebiet denkt, darüber gibt er in dem Schlußkavitel „Ein Ausblick in die Zukunft" Aufschluß. Das Endziel jeder Kolonisation ist, von allem idealen und humanen Beiwerk entkleidet, schließlich doch nur ein Geschäft. Tie kolonisierende Rasse will der Urbevölkerung des zu kolonisierenden Landes nicht daS von dieser vielleicht erwartete Glück br.naer^ sie sucht vielmehr in erster Lime ihren eigenen Vorteil. Ob der Weiße „turmhoch" über den Eingeborenen zu stellen ist, oder ob auch der Urbevölkerung der „Platz an der Sonne zu gönnen wäre, — diese Frage kann nicht nach einem gemeinsamen Schema, sondern muß von Fall zu Fall entschieden werden. Durch die Ereignisse gezwungen, haben wir in Südwestasrika die Eingeborenen mit Waffengewalt unterwerfen müssen. Wer, sagt Leutwein, jetzt noch glaubt, dafür eintreten zu sollen, daß die letzteren infolgedessen politisch machtlos gemacht, sowie ihres Land besitzes für verlustig erklärt werden muffen, der rennt offene Türen ein. Denn das versteht sich nach all den großen Opfern von selbst. Prüfen wir hingegen, welches Geschäft wir mit unserer Gewaltpolitik gemacht haben, so tritt ein Bild zu tage, daS nicht die mindeste Aehnlichkeit mit einem vorteilhaften aufweist. Gegen einen Einsatz von mehreren Hundert Millionen Mark und von einigen Tausend deutschen Soldaten haben wir von den drei wirtschaftlichen Werten der Kolonie, dem Bergbau, der Viehzucht und den einge borenen Arbeitskräften den zweiten gänzlich, den dritten zu zwei Dritteln zerstört. Was aber das Bedenklichste ist, wir haben bis zum heutigen Tage den Frieden nicht wieder vollständig herzustellen vermocht. General Leutwein empfiehlt dringend die Gleichstellung der beiden Raffen vor Gericht; ob auch in bezug auf Glaub würdigkeit, mag iu jedem Falle der Richter entscheiden. In jedem Reservat mutz die Spitze der Regierungsgewalt bei dem deutschen Regierungsvertreter liegen. Aber der frühere Gouverneur betont auch, daß es notwendig werden wird, die Ureinwohner, nachdem wir sie mit schweren Opfern niedergeworsen haben, mit ihrem Lose zu versöhnen. Ob wir sie künftig in Reservaten ober Lokationen eindämmen, oder >n beiden Systemen gemischt, ist hierbei eine Frage ohne Be- deutung, denn stets muß ihnen so viel Land gegeben werden, als sie bedürfen, aber auch nicht über diesen Bedarf hinaus. Den Personenstand der Eingeborene» müßten eingeborene Beamte kontrollieren. Die Ausgaben deS gegenwärtigen Aufstandes können wir wie Leutwein sagt, aiff das Konto „Für die nationale Ehre" buchen. Mit dem Wunsche, daß es ftinem Nachfolger, dem Gouverneur v. Lindequist, ge lingen möge, die Kolonie ein gutes Stück vorwärts zu brin gen, schließt General Leutwein sein fesselndes Buch. Vie vesgalbestelbemgtmg. Durch den Beschluß, den am Mittwoch abend die Ver treter der bergbaulichen Vereine bei ihrer gemeinschaftlichen Sitzung in Berlin gefaßt haben, ist die Gefahr eines Berg arbeiterstreiks in größtem Stil näher gerückt. Noch an dem selben Tage hatte man im Ruhrgebiet, wie wir meldeten, sich der bestimmten Erwartung hingegvben, daß die bergbau- lichen Vereine durch eine wenigstens teilweise Erfüllung der Lohnforderung der Streikgefahr die Spitze abbrechen würden, zumal der Verlauf der am Sonntag abgchiltmen Versammlungen der Bergarbeiter dafür sprach, daß diese auch ihrerseits den Bogen nicht Überspannen wollen. Diese Stimmung der Bergarbeiter dürfte sich von Grund auS ändern. Die Resolution der Arbeitgeber ist überaus scharf abweisend. Sic zeigt nicht nur i» der Lohnfrage kein Ent gegenkommen. Sic normiert vor allem einen Standpunkt, der, wo immer er bisher bei Arbeitskämpfen eingenommen wurde, diese Kämpfe zu einer reinen Machtfrage gemacht hat. Die bergbaulichen Vereine wollen nicht mit den Arbeiter organisationen verhandeln. Sie anerkennen sie nicht als Vertreter der Grubenbelegschaften Verhandlungen werden von ihnen nur dann zugestanden, wenn sie von ver ein- zelnen Grubenbclegschaft mit dem einzelnen Arbeitgeber stattslnden. Daß di« Bergarbeiter diesen Standpunkt ab- lehucn, weil di« ei-zela« Grubenbeleeschaft Lei solch« Ver»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite