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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190402074
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040207
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040207
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-07
- Monat1904-02
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1904
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2. Mge W ÄipWN AMbllitt !l»s Aii'/iPl K. K8, ZamiU, 7. Kbriilir M. Deutjcher Nruhstag. 81. Sitzung. D Berlin, 6. Februar. (Telegram m.) Ohne Debatte wurde heute zunächst in dritter Lesung das Friedensprüsenzgesctz erledigt, sodann die Debatte aber die Gegenstände, die da» Neichsamt des Inneren angehen, fortgesetzt. Letzteres ist freilich grano _4slis zu nehmen. Zwar behandelten die beiden ersten Redner, Sanitätsrat Ur. Rügenberg vom Zentrum und Or. Mugdan von der freisinnigen Aolkspartei, noch exakte Themata und der erstere trat für die freie Aerztewahl in den Krankenkassen ein und stellte dabei einem Teil der Kölner Aerzte ein sehr schlechtes Füh- riingsattest aus. Letzterer hielt der äußersten Linken vor, daß Tausende von Arbeitern mit der freien Aerzte- wahl zufrieden seien und daß soziale Reformen ge deihlich nur vorwärtsgesten könnten bei gutem Einver nehmen zwischen beiden: Arbeitgebern und Arbeitern, Saß eben das Serum der Sozialdemokratie zur Zeit das größte Hindernis weiterer Reformen bilde. Dann aber ging die Unterhaltung ganz und gar auf teils theoretische, -eil- persönliche Gebiete über, die mit dem Gegenstand Ser Verhandlung schwer in Zusammenhang zu bringen wären. Der Sozialdemokrat David, hessischer Land- tagSabgeordneter, ein kleiner, blasser Mann, hielt eine lange, recht interessante, charakteristische, von scharfen Ausfällen und Spitzen reich durchsetzte Rede. Die we nigen Anwesenden hörten eifrig zu. Hier und da wurden auch Zwischenrufe laut. Er ging zunächst dem „Wormser Lcderkönia", dem Abgeordneten Frh. v. Heyl zu Herrns heim zu Leibe, der seine Arbeiter beeinflusse und dessen Organ die ,^Sormser Zeitung", gegen die Sozialisten führer die gehässigsten Augrisse richte, während doch der kunstliebende, geschickte Herr v. Vollmar sein bescheidenes -chiveizerhäuschen selbst gezimmert habe und die Partei Bebel seine kleine Villa in der Schweiz so gern gönne. Die sozialistische Partei hätte keinen Papst; Meinungs verschiedenheiten wären ganz natürlich und hätte es in Sen ersten Zeiten der christlichen Kirche auch gegeben; der fanatische Widerstand gegen die Sozialdemokratie iei dem gegen Jesus Christus gerichteten zu vergleichen. Wenn ein Großherzog Proletariern auch nur einmal menschlich näher zu treten scheine, so fänden sich schon -charsmacher Frh. v. Heyl erwiderte sofort: In ganz Hessen gebe es nur eine Stimme des Dankes, daß der Landesherr in der christlichen Herberge zur Heimat die Wanderer am Christabend begrüßt habe. Daß er unter den hessischen Abgeordneten keinen Unter- ichied mache, sei natürlich, denn sie Hütten ihm auf die Verfassung ja alle den Treueid geleistet. Die Sozialdemokraten lärmten während dessen andauernd. Frh. v. Heyl hielt ihnen vor, daß eben dieser Lärm ein Zeichen ihrer Unduldsamkeit sei. Man hätte doch ». David ganz ruhig angehört. Was den Vergleich der Sozialdemokratie mit der christlichen Religion angehe, io meine er, der Heiland würde gegen die, die so nn- aeheuerlich den Klassenhaß schürten, mit dem Schwerte sreingefahrcn sein. Namens der Nationalliberalen lehnte v. Heyl übrigens jede Verantwortung für den bekannten Artikel in der „Osnabrücker Zeitung" ab. Dann kamen ein Paar Tonderduelle. Der junge Herr ^orfonty warf dem Staatssekretär Grasen von Posa- aowsky vor, er hätte Phrasen gemacht iwas der Präsident rügte), und meinte, Preußen wolle in Oberschlesien rinen polnischen Aufstand provozieren. Der Staats sekretär erwiderte ebenso scharf und bestimmt, wie neu lich: Der PolvniSmus in Oberschlesien fei ein abgclaufe- uer historischer Prozeß. Wer so etwas, wie das von Prvvakation sage, der käme sich ja vielleicht sehr wichtig vor; die Einzclbeschwerden aber gehörten vor den Landtag. Letzteres erwiderte auch der iachscn-altcnburgische Staalsmintster v. Borries aus die Angriffe der Sozialdemokraten Stücklen gegen die 'indlabung des V-riamv'tuvgsrechts 'n Altenburg; der 'Minister meinte, die altenburger Behörden handelten uich dem Grundsätze: Ruhe ist das erste Bürgerrecht. Der Präsident ries nunmehr aus der Rednerliste den Sozial demokraten Sindermann auf: Er war nicht an wesend; den Sozialdemokraten Horn- Lachsen: nicht an wesend; den Sozialdemokraten Sachse ssteigende Heiter leit): nicht anwesend; Stadthagen! nicht anwesend! Sr olle! Dieser war da. Er stellte aber einen Ver- wgungsnnlrag; denn er wollte nicht mehr reden. Der Antrag wurde abgclehnt. Seufzend suchte Stolle seinen Schnbladenschlüssel, umständlich entnahm er seinem Kasten .'lttcn und Notizen, mährend die Rechte ironisch: „Lauter!" rief. Dann — um Uhr — begann Stolle seine .Generalabrechnung über den Fall Crimmitschau". So iiwillig er anfing, hatte er sich doch bald warm geredet, vag er den wenigen Zuhörern selber als Fanatiker mit dem Lou ans der vorletzten Silbe erschien, wie er ihn in seiner llcde oorbrachtc und aussprach. Die Freunde deS Redners bildeten einen kräftigen ChoruS: der eifrigste Jnhörer war der sächsische Geheimrat vr. Fischer, der sann auch noch erwiderte. Neues kam auf beiden Seiten nicht zu Tage. Präsident Graf Balle st rem mußte wiederholt die Glocke schwingen und blickte vorwurfsvoll von den Zwischenrnsern auf den rastlosen Zeiger der großen Ubr. Um 7 Uhr Hub Stolle zum zweiten Male nu. Dann kamen persönliche Bemerkungen ohne Ende. Endlich wurde der Titel „Gehalt des Staatssekretärs" be willigt, der seit dem 2S. Januar zur Debatte gestanden -alte. D Berlin, 6. Februar. (Telegramm.) Am BundcSratStische Staatssekretär Graf v. Posa- dvwSly. Die dritte Lesung der Vorlage, betreffend die Ver längerung der Friedenspräsensstärke des Heeres um ein Jahr wird ohne Debatte in dritter Be ratung endgültig durch Annahme erledigt. Darauf setzt das Haus die allgemeine sozialpolitische Diskussion beim Etat deS Retchsamtcs des Innern, Titel l (Gehalt des Staatssekretärs) fort. Abo Niigeuberg (Zentrum) führt aus: Das gegen wärtige Verhältnis der Krankenkassen zu den Acrzten be darf einer gründlichen Erörterung. Hätten die Aerzte gewußt, wie die Sache mit dem Krankeukassengesetz sich wenden würde, so hatten sie sich sicher sofort zusammen- geschlossen. Die Aerzte sind in ihrer Vertrauensseligkeit schwer getäuscht wvrocn. Sie sind nicht mehr die Ver trauensärzte, sondern die Diener der Krankenkassen. AlS sie mit ihren Klagen an die Regierung und den Reichstag kamen, wurde vom BundeSratstischc gesagt, die Kranken kassen seien nicht dazu da, die Aerzte zu bereichern. Man sagte, die Forderungen der Aerzte seien nicht zu erfüllen. Ausdrücke, wie „Ausbeuter", „Räuber" siud in einer ge wissen Presse nicht selten. Tie freie Arztwahl ist ja der Stein des Anstoßes geworden. Man besürchtct eine Zu nahme deS Simulantentums und der Vielverschreiberei, sowie den völligen Ruin der Kassen. Die freie Arztwahl ist ein Akt der Gerechtigkeit, indem er den Arbeiter instand setzt, seine Gesundheit und die Erhaltung seiner Arbeits kraft dem Arzte anzuvertrauen, der sein Vertrauen ge nießt. In dem Kölner Aerzte streik hat die Ne gierung nicht zu Gunsten der Aerzte, sondern der Kassen mitglieder eingegriffcn. In Köln kündigten am 1. Oktober sämtliche Aerzte. Wenn cs den Kassen gelang, nicht mehr als 20 Aerzte in ganz Dentschland aufzutreiben, die sich ihren Bedingungen fügten, so ist das ein gutes Z.ichen für die deutsche Aerzteschast. Unter diesen 20 befindet sich eine ganze Anzahl mit Vorstrafen wegen Sittlichkeitsver- gebcn und anderer Delikte. Nicht die Aerzte sind die Störensriede, sondern diejenigen, welche versuchen, die Krankenkassen zum Tummelplatz ihrer poli tischen, egoistischen Interessen zu machen. (Wider spruch bei den Sozialdemokraten.) Redner bittet um Auskunft, ob der Bundesrat geneigt sei, den Wünschen Rechnung zu tragen, die die Aerzte in ihrer Petition an den Kanzler geäußert hätten, betreffend die Ableistung des praktischen Jahres für diejenigen Aerzte, die unmittelbar nach dem 1. Oktober 1903 ihr Staatsexamen gemacht haben. Abg. Mngda» (fr. Vp.) erklärt: Der Abgeordnete Fräßdors meinte, die Krankenkassen seien am Ende ihrer Leistungen angelangt. Ta bleibt nur übrig, daß entweder die Arbeitgeber und Arbeitnehmer die gleichen Beitrüge zahlen oder die ganze Krankenversicherung geändert wird. In beiden Fällen würde es mit der Selbstverwaltung zu Ende sein. Zu Kassen beamten wünsche ich nicht Unter offiziere, wie man mir imputicrtc, sondern brauchbare Kräfte, auch Arbeiter, wenn sie zu Bureauarbeiten fähig sind. Redner tritt für die frei Arztwahl ein. Es sei unrichtig, daß die Sozialdemokraten die Bekämpfung der freien Arztwahl als Sache des Proletariats hinstellen In Berlin und Charlvttenburg besteht seit langem die freie Arztwahl zur vollen Zufriedenheit der Arbeiter. Redner nimmt alsdann den Liberalismus gegen die Angriffe der Abgeordneten Erzberger und Fraßdorf in Schutz. Die gewalttätige Sozialdemokratie beweise, daß nirgends in der Welt größere Ungerechtigkeit herrschen würde, als im Zukunstsstaat. «Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Tie Sozialreform gehe deshalb so langsam vorwärts weil man Sozialdemokratie und Arbeiterschaft verwec^ele und sich sage, das, man aur dcu Tank der Sozialdemokraten nicht rechnen dürfe. Eine Sozialreform sei in Deutschland nur möglich im Einverständnis der Arbeit geber und Arbeitnehmer. Es gebe keinen größeren Störenfried dieser Reform gegenüber als die Sozialdemokratie. (Zustimmung links.) Abg. David (Svz.) wendet sich gegen die neuliche Be hauptung des Abg. Mugdan, ein Nichtsozialdemokrat käme niemals in den Vorstand der von den Sozialdemokraten geleiteten Krankenkassen hinein. In der von Sozialdemo kraten geleiteten Mainzer Krankenkasse sitze aber eine ganze Reihe von Zentrumsanhangern. Unbrauchbare Kassen- beamte hat die Aufsichtsbehörde das Recht, zu entfernen. Die Frage der freien Arztwahl ist in unseren Reihen keine Parteifrage. Beim Aerztcstrcik waren nicht die Kranken kassen die Karnickel, sondern die Aerzte, die sich zusammen schlossen, um ihre Bezahlung aufzubessern. Die Kranken kassen sind keine produktive Unternehmungen; cs werden da keine Profite gemacht, weil die Gelder im Interesse der Kranken verwaltet werden. Trotzdem zahlen die Kasten den Aerzten sehr achtbare Gehälter. Redner kommt noch mals auf die Ausführungen des Abg. Frhrn. v. Heyl zu rück. Seine Darstellung von dem Stcuervorschlage des Abg. Ulrich im hessischen Landtage sei vollständig unrichtig. Die Ulrichsche Skala steige bis zu 20 Prozent beim höchsten Einkommen auf. Das sei nicht zu hoch. Der höchst besteuerte Hesse, der IV2 Millionen Einkommen habe, werde auch mit dem Nest vor dem Verhungern geschützt sein. (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten. Zustimmung.) Wir haben wiederholt aktenmähig festgestellt, daß die Be hauptung falsch ist, wir hätten uns gegen die Gesetze von 1880 und 1893 ausgesprochen. In letzterem Jahre sand eine namentliche Abstimmung statt, wo unsere Genossen mit „Ja" stimmten. Man kann eine solche Legende zer fetzen und zerreißen, aber man ist doch nicht sicher, daß sie nicht wieder auflebt. (Ruf bei den Sozialdemokraten: „Dann wird sie wieder „geheylt". Heiterkeit.) Der Abg. v. Heyl berief sich auf ein angebliches Zitat des Ministers Millerand, welches sich weder dem Wortlaute, noch dem Sinne nach bet Millcraud findet. Herr v. Heyl sollte doch einmal mit seinem Sekretär reden, daß ein solcher Unfug aufhört. (Heiterkeit.) Herr v. Heyl lobte besonders den Buchdruckcrtarif. Den haben aber die Buchdrucker nicht freiwillig von den Buchdruckereibcsitzern bekommen, son dern er ist das Produkt eines langen, harten Kampfes. Warum haben die Lederarbeiter noch keinen Tarifvertrag? (Heiterkeit. Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Herr v. Heyl verlangie, daß die kleine sozialdemokratische Press so scharf bestraft werde, daß sie den Geist aufgebe. Gerade die „Wormser Zeitung", das Organ HcylS, die so viele Unrichtigkeiten bringt, sollte zuerst so bestraft werden. Der Abg. Erzberger zitierte mein Buch über die Agrarverhält nisse. Wir haben leinen wissenschaftlichen Papst, ivie das Zentrum. Meinungsverschiedenheiten sind ein Zeichen gesunden geistigen Lebens. Mein Buch steht dabei durch, aus auf dem Boden der Parteipraxis in der landwirt schaftlichen Frage. Der Reichskanzler Graf Bülow scheint zu glauben, daß wir eine »ionfiskation des bäuerlichen Eigentums verlangen. So etwas Unsinniges sagen wir nicht. (Zuruf rechts: „Marx!") Wir sehen Gegenwärtiges und Zukünftiges als gleich wichtig an. Wir speisen die Arbeiter nicht mit einem Zukunstsstaat ab — im Jenseits. Wir fordern, daß man den Arbeitern auch schon im Dies seits gerecht wird. (Zuruf beim Zentrum: „Wir auch!") Die Zustände würden noch l»eute so sein, wie Anfang der sechziger Jahre, wenn wir Sozialdemokraten nicht wären. Tie (zum Zentrum) siud schuld, daß wir heute nicht weiter sind. Ter Bischof Ketteler goß nur den Wein Lassallescher Ideen in die alten Schläuche seiner christlichen Sozialcthik. Die ganze Entwicklung der Menschheit geht tatsächlich dar auf hinaus, die Armut abzuschaffen. Was man uns vor wirft, warf man auch Christus vor. Er vertrat wirtschaft lich so scharfe Ideen, daß er heute dem Strafrichter ver fallen würde. Wenn einmal ein Fürst den Anschein macht, daß er der proletarischen Menschheit nähertreten will, dann erheben Scharfmacher, wie die „Hamburger Nach richten", die schwerste Anklage gegen ihn. In den nächsten Tagen feiern wir den 100. Todestag Kants, der sagte, daß keiner das Werkzeug für die Zwecke anderer sein solle. Eine solche Auffassung herrscht leider auch heute noch. Dieser Auffassung erklären wir mit Kant den Krieg. Wir wollen jeden selbständig machen. Dazu ist es notwendig, daß das Massenelend verschwindet. Die sozialdemokra tische Bewegung ist die größte Kultnrbewegung, die die Weltgeschichte kennt. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Heyl z« Herrnsheim (natl.) führt aus: Ich habe I namens meiner Fraktion die Erklärung abzugcben, daß j wir mit dem Inhalte des gestern vom Abg. Lesche an gezogenen Artikels der „Osnabrücker Zeitung" in keiner Weise einverstanden sind. Wir über nehmen dafür um so weniger eine Verantwortung, als der Kandidat unserer Fraktion im Wahlkampfe in diesem Kreise wahrend der letzten Wochen gerade so, wie in früheren Jahreu ein Stellung etnnahm, die mit dem poli tischen Verhalten unserer Partei vollständig überein stimmt. Ueber den Besuch des Grobherzogs von Hessen bei der Wcihnachtsbcscherung in der „Herberge zur Hei mat" kann ich nur konstatieren, daß im ganzen Groß herzogtum Hessen nur eine Stimme des Dankes über das Verhalten des Landesherrn herrscht. Der Verdacht, daß der Großherzog zu einzelnen politischen Kreisen des Landes eine besondere Zuneigung hätte, ist ausgeschlossen. Alle Abgeordneten leisteten ihm den Treueid, unter ihnen David und Ulrich. Wir sind also im lÄroßherzogtum Hessen in der glücklichen Lage, eine besondere Abteilung der sozialdemokratischen Vertreter zu besitzen, eine mo narchisch gesinnte Vertretung der Fraktion. (Heiterkeit und Lachen bei Len Sozialdemokraten.) Ich kann nur leb haft bedauern, daß der Abg. David für sich die Ehre in Anspruch nahm, mit dem heiligsten Gute unserer Kirche die Tätigkeit der sozialdemokratischen Fraktion zu ver- gutcken. Meiner Ueberzeugung nach würde der Hei ls n d i n d i e j e n i g e n , die i n s 0 u n e r h ö r t e r Weise hier austreten, mit dem Schwert hineinfahren. (Großer Lärm. Wiederholte Unter brechungen durch die Sozialdemokraten. Glocke des Prä sidenten.) David behauptete, die Sozialdemokraten seien die Väter der Sozialreform. Ich weise darauf hin, daß die rheinische Großindustrie alle Einrichtungen ge schaffen hatte, wonach später die soziale Gesetzgebung ent stand. In England und Amerika, wo es keine Sozial demokratie gibt, findet sich eine hohe Fortentwicklung. Ich finde es auffallend, daß die Herren sich der Meinung hin- geben können, die Arbeiter würden sich dauernd damit zu frieden geben, daß Sie diese schönen Reden halten. Die Zitate aus den Reden Millrrands stellte ich mir selbst zu sammen. Ich verfüge nicht, wie manches der Mitglieder dieser Seite des Hauses (zu den Sozialdemokraten) über Hlllfskräfte. Von meinen Auszügen aus MillerandS Reden nehme ich keine Silbe zurück. (Bebel ruft: „Donnerwetter!) Redner führt sodann gegenüber David auS, daß die Großindustrie bei der kürzlich durchaeführte'' hessischen Steuerreform keinen besonderen Vorteil erreicht habe. Der 8 1 des Wuchcrgcsetzcs, der den Begriff des Wuchers festsetzt, sei 1893 von der Sozialdemokratie nur mit der Stimme Auers angenommen worden; sämtliche andern sozialdemokratischen Abgeordneten hätten un entschuldigt gefehlt. Der wichtige Artikel 4 wurde von der Sozialdemokratie einstimmig abgclehnt. Aehnlich ging die Sozialdemokratie bezüglich des Antrags Albrecht vor. Gegenüber den Angriffen Davids erklärt Redner weiter daß er sich nm das Privatleben der Arbeiter in Worms nicht bekümmere. Er spricht ferner seine Freude Uber die gestern von, Abg. Erzberger bekunde,c Bercnwiu(-'"'i> desZentrums auS, mit den Nationalliberale « weiter sozialpolitisch zusammen zu ar beiten. Ich habe einen Sachverständigen nach Holland geschickt, welcher berichtete, daß die dortige Einrichtung der Arbeiterkammcrn die abfällige Kritik des Staatssekretärs Frhrn. v. Nichlhofen nicht verdiene. Mit dem General, streik der Eisenbahner hatten die Arbeitskammern nichts zu tun. Abg. Korfanty (Pole) erklärt: Tie Beschwerden, welche ich neulich über die Behandlung der Polen vorrru«, ipeiste der Staatssekretär mit Phrasen ab. Vizepräsident Graf Stolberg erklärt diesen Aus druck als unzulässig. Korfanty fahrt fort: Statt mit einer positiven Antwort wartete der Staatssetretär mit dem Phantom einer groß polnischen Gefahr auf. Die Herren haben vielleicht em Interesse daran, wirklich eine sotche Gefahr hervorzurufen. Sie würden dann im Trüben fischen und Golüfischchen ein fangen können. Ter Kanzler sprach im Abgeordneten hause von Wasserpolaken, urrd beleidigte damit die Be vülkerung. Der Staatssekretär schien zu meinen, die Oberschlesier hätten keine polnisch« Tradition. Sie wur den aber im 19. Jahrhundert sich ihrer Eigenart bewußt und traten in die polnische Nationalität ein. Der Kultur kampf brachte es ihnen noch gründlicher zum Bewußtsein. Ich sage Ihnen: Nach fünf Jahren bin ich hier nicht allein aus Oberschlesien. Staatssekretär Gras Posabowsky erwidert: Ich stelle zunächst die Krage an das Haus, wie ein Bundesrats mitglied beurteilt würde, das sich eine solche Behandlung von Abgeordneten gefallen ließe. Darauf drücke ich mit größtem Nachdruck: Der Bundesrat und der Reichstag sind sich völlig gleich. Wir werden uns unter keinen Um ständen eine solche Behandlung gefallen lasten. Im Ver kehr zwischen den beiden Faktoren der gesetzgebenden Ver sammlung muß ein Ton von Würde herrschen. (Lebhaftes Bravo rechts.) Wenn dieses Ansehen sinkt, so sinkt das Ansehen des Parlamentarismus. Der Bundesrat und der Reichstag haben das gemeinsame Interesse, sich einen solchen Ton und eine derartige Behandlung nicht gefallen zu lassen. Als der Reichskanzler den Ausdruck „Wafser- pvllaten" gebrauchte, so lag es ihm vollständig fern, damit einen beleidigenden Begriff zu verbinden. Das ist ledig lich ein Ausdruck, wie er — und das weiß Herr Korfanty ebenso wie ich, denn wir sind beide Schlesier — in Schlesien gang und gäbe ist. Kein Mensch fühlte sich bisher in Schlesien dadurch beleidigt. Ter Aög. Korfanty sagte, die preußische Regierung scheine in Oberfchlesien einen Auf stand herbeiführen zu wollen. Das sind Aeutzerungen, die einen geradezu komischen Eindruck machen. Wenn man nach Schlesien kommt, wenn man den kleinen Kreis kennt, worauf die Agitation sich erstreckt, der Herr Korfanty dient, dann weiß man, daß das Tinge sind, die in da» Reich der Phantasie gehören. Wenn man so etwas sagt, mag man sich groß vorkommen und sehr wichtig. Ter Abg. Korfanty hat ferner die Hoffnung ausgesprochen, daß in künftigen Jahren noch mehr Vertreter seiner speziellen Richtung hier sein werden. Tas ist es ja eben, Herr Korfanty. Es gibt nun mal in der Geschichte abgelausene Prozesse. In der Geschichte Schlesiens ist die polnische Be- wcgung und der Polonismus unzweiselhaft ein geschicht lich abgelausener Prozeß. Schlesien ist seit LOO Jahren von der Krone Polens getrennt. Wir können unter keinen Umständen dulden, daß unser wichtiges Grenzland Schlesien, das zwischen Posen und Galizien eingekeilt ist, der Schauplatz einer großpolnischen -Agitation wird. Ein Staat, -er das duldete, würde seine innere Kraft verlieren, die ihm das Recht zur geschichtlichen Existenz gibt. (Bei fall rechts.) Der Abg. Korfanty kann sich darauf ver lassen; er tut seinen Interessen keinen Dienst, wenn er so bedenkliche Reden hier im Reichstage hält. Er mcinre, ich würde aus seine Beschwerden nicht antworten. Darin hat er recht, denn der Reichstag ist nicht der Platz, um diese Fragen zu erörtern, sondern das preußische Abgeord netenhaus. Hier im Reichstage müssen Sie darauf ver- zichten, eine Antwort zu bekommen. Abgeordneter Stückle« (Soz.) verlangt ein einheit liches Vereins- und Versammlungsgesetz, um den AuS- legungskünsten der Polizeibehörde, vor allem in Sachsen- Altenburg, ein Ende zu machen, wo der Minister v. Borries gesagt habe, über dem Koalitionsrecht stehe das Recht der Bürger auf Ruhe und Ordnung. Ein Beamter habe ein Versammlung auf Grund des So zialistengesetzes aufgelöst, das längst aufgehoben sei. Die sächsische Regierung habe eine Versammlung verboten, weil vom Nebenhause Minderjährige hätten zuhören können. Sogar hinter eine Hecke vermutete man Min derjährige und verbot deshalb die Versammlung. (Heiter keit.) Einem Gastwirt sei die Berechtigung aberkannt worden, seine Gastwirtschaft ,Lum deutschen Kaiser" zu nennen, weil er sozialdemokratische Versammlungen darin abhalten ließ. Da könne man wirklich von einem königlich sächsischen Chinesenzopf reden. Redner kriti siert schließlich das Versammlungsverbot im Alten- burgi'chcn für die Crimmitschauer Arbeiter. Altenburgischer Staatsminister vo» Borries erwidert: Tic Leere des Hauses könnte dem Vorredner zeigen, daß daß Haus an den altenbnrgischen Angelegenheiten kein großes Interesse hat (Zuruf der invMui''MlMM ' VkI'Kzuf. UovtSL, äön 8. ksbruar: KI. 8«!uroiäsr Leks OrimmLiseks unä k6ieti88trA886.
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