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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-191101073
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19110107
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19110107
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1911
- Monat1911-01
- Tag1911-01-07
- Monat1911-01
- Jahr1911
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1911
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tigcu ließ. Sic war so viel allein, Schellmann hatte viel zu tun und abends ost noch daheim zu arbeiten. War's da ein Wunder, wenn sic, mit einer feinen Handarbeit am Fenster sitzend, nach kurzer Zeit genau Harts Tages einteilung kannte? Morgens ritt er, gefolgt vom Reit burschen, aus, an ihrem Hause führte der Weg vorüber, und sein Blick flog, seit er die hellgelleidcte Frauengestalt das erste Mal am Fenster erblickt hatte, täglich hinauf. Tann zog er grüßend die Sammetkappe und senkte die Reitgerte, um seine Gedanken sofort wieder seinen Pferden zuzuwenden. Aber Leonie verfolgte ihn in Ge danken: wohin er wohl ritt? Ob nach der alten Burg ruine, dem einzigen romantischen Fleckchen Erde in Hel- städts Umgebung? Oder ob nur die Chaussee entlang nach Wendelmühle, wohin die Helstädter ihre sonntäg lichen Landpartien und ihre winterlichen Schlittenfahrten machten? Si? wußte auch ungefähr, wann er heimkehrte und wann er nachmittags ausfuhr, oben hoch auf dem elegan ten Gig, die Zügel in der Hand. Zuerst hatte sie ange- kämpft gegen dieses, wachsende Interesse für einen Frem den, der eben erst in ihr Leben getreten war, aber schließlich tat sie's nicht mehr. Es nützte nichts. Schell mann hatte sie lieb und sie ihn, aber der „göttliche Funken", den sie durchaus suchte, hatte es ihr angetan, daß der einfach-schlichte Mensch, wie er sich gab, wie er ivar, der keinen besonderen Nimbus in sich hatte, für ,ie kaum mehr existierte. Er kam öfters abends herüber, ganz zwanglos und harmlos zum Plaudern „zu dreien", aber die Ein- Lü ..ig zu der „großen ersten Gesellschaft", die Amts ri, ers gaben, hatte er abgelehnt. Seine Nerven seien r..»ei größeren Versammlungen noch nicht gewachsen, hatte er erklärt. Am Morgen nach dieser Gesellschaft, die im allgemeinen sehr friedlich ausgefallen war, saß Leo nie am gewohnten Fensterplatz. Und als ihr Blick die Straße streifte, blieb er unwill kürlich auf! dem kleinen Hause gegenüber hasten. Die grünen Fensterläden waren geöffnet, die Fensterflügel weit zurückgeschlagen, die Vorfahrt durch den kleinen Garten mit frischem Kies bestreut, als ob Leben in das tote Haus einziehen sollte. Einige Stunden daraus hielt ein Gepäckwagen drüben und einige große elegante Koffer wurden abgeladen. Aber von den Bewohnern war vor läufig nichts zu erblicken. rrft ein paar Tage später sah Leonie auf dem alt modischen Balkon drüben eine Dame, schlank und hoch g.wachsen, im einfachen dunkelgrauen Hauskleid mit weißem, sorgfältig frisiertem Haar. Sie ordnete an den Blumentöpfen und Blumenkästen des Balkons und gab dem Diener, der in der Gartenschürze neben ihr stand, Anweisungen. Also anscheinend eine Blumenliebhaberin, denn auch hinter den Glasscheiben der Fenster sah man schöne Blattpflanzen und blühende Blumen. Und dann, am Nachmittage, dem ersten warmen sonnigen Nachmit tage, standen die großen Flügeltüren zum Balkon weit offen und ein Ruhebett wurde hinausgetragen, auf dem eine lang ausgestreckte, mit bunter römischer Decke zu gedeckte Gestalt lag. Ein Tischchen rückte der Diener noch zurecht, und neben dem Bett und Tischchen nahm die Dame Platz. Sie stützte den Arm auf die Brüstung und blickte in den Garten hinaus. Zeitweise schien sie mit dem Kranken zu sprechen. Leonie konnte heute kaum Konrads Heimkehr vom Gericht erwarten, um ihn auf die Gruppe aufmerksam zu machen: „Wer ist denn da krank?" fragte sie mit echt weiblicher Neugierde. „Ah —" sagte Konrad erstaunt, — „das wird ihr Sohn sein, sie hatte einen schwerkranken Sohn in einem Sanatorium in DavoS, rn.d dann reiste sie auch in den Lüden. Hier hat sie immer sehr still und zurückgezogen gelebt- Aber die Honoratioren verkehren bei ihr. Sie tvird den Sohu — Offizier ist er ja Wohl gewesen —- mitgcbracht haben." „Wohnt sie schon lange hier?" forschte Leonie. „Ihr verstorbener Mann soll das Haus und den Garten vor vielen Jahren von einem Gläubiger anstatt des geliehenen Geldes angenommen haben; früher hatte sie, soviel ich gehört hatte, ein großes Gut." „Werden wir ihr noch unsere Besuche machen?" „Ich denke, ja," sagte Schellmann gleichgültig; „ein Verkehr ist sie ja doch nicht, aber man muß als Nackbar doch höflich sein!" „Die Frau Baronin läßt bitten," sagte der alte Diener mit gedämpfter Stimme, nachdem er den Amts richter und Leonie bei seiner Gebieterin angemeldet hatte. Alles im Hause schien aus lautlosen Sohlen zu wandeln, eine tiefe, fast unheimliche Stille lag darüber. Er öffnete die Tür zu einem mittelgroßen, Hellen Zimmer, das Sonnenncht flutete durch drei hohe und mit lichten Mullgardinen geschmückte Fenster und spielte auf dem weißen Haar der hellgrau gekleideten hochgewachse nen Hrauengestalt, die ihnen entgegentrat. „Also Nachbarn darf ich in Ihnen begrüßen?" sagte die tiefe klare Stimme, während sie dem Ehepaar die Hand reichte. „Ich dachte, eine Wohnung in der Stadt würde mei ner Frau nicht zusagen, so siedelten, wir uns hier draußen an," erwiderte Schellmann. Man hatte Platz genommen und besprach gleichgültige Dinge, wie sie sich Fremden, die sich eben zum erstenmal sehen, bieten, von der Heimat der jungemFrau und vom Süden, woher Frau von Welling kam. Ten Grund, weshalb sie im Süden gewesen, erwähnte sie nicht. Sie saß so, daß das Licht ihr Gesicht streifte. Leonie blickte interessiert hinein: ein stilles Antlitz mit weichen Zügen und leidvollem Ausdruck in den dunkel grauen klugen Augen, ^die nach innen zu schauen schie nen- Im ganzen ein'sympathisches Frauengesicht mit etwas müdem, schmerzlichem Zug um die ein wenig zu schmalen Lippen. Gar nicht so interessant, wie sie sich gedacht hatte. Und doch wieder rätselvoll! Bei aller vornehmen Re serviertheit lag ein Hauch echt menschlicher Wärme über dieser Fräuengestalt, die etwas Hoheitsvolles und Rüh rendes zugleich hatte. Tabei diese Schlichtheit und könig liche Ruhe, die über allem lag, was sie sagte!" Ob sie gern in Helstädt wohne, fragte Leonie im Laufe des Gesprächs. „Ich konnte, als ich mich entschloß, hierherzugehen, nicht abwägen, ob ich gern oder ungern ging; ich mußte," sagte Frau von Welking ernst. „Ich mußte auch!" rief Leonie lebhaft. „Solch ein Muß ist leicht, Frau Amtsrichter; einem geliebten Mann folgen, — da geht man ia bis ans Ende der Welt! Fortsetzung folgt. Drill- ««- Eiunsprüche. Wer viel anfängt zu gleicher Zeit, Macht alles halb und nichts gescheit. Ncinick. * Begeisterung ist die dunkle Locke, Weisheit das silber graue Haar. Wie schön kleidet jene das jugendlich blühende, diese das gedankenvoll sinnende Haupt. Gutzkow Ter ist der Glücklichste, er sei «in König oder ein Geringer, dem im eigenen Hause Wohl bereitet ist. Goethe. » - ' Das Göttliche ist uns nirgend näher, als in unserm eig nen Herzen Klopstock. Dttuk und Vertag von Langer ck Winterlich. Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann Schmids Riesa. ErMln an der Elbe. Belletr. Gratisbeilage zum „Riesaer Tageblatt". R». I. am», >« 1. J-xiulr I»U »4. S»tzr. Der göttliche Knuten. Don M. Ferno. Nachdruck verboten. In der schmucken Villa an der Ulmen-Promenade, die der Amtsrichter Schellmann für seinen künftigen Haus halt als verheirateter Mann gemietet hatte, waren alle Arbeiten beendet und die eleganten und schönen Räume zum Empfang bereit. Tie kostbaren Spitzenstores ver hüllten zwar die Einsicht in das Innere, nichtsdestoweni ger wußte ganz Helstädt sich von der prachtvollen Ein richtung, die Stück für Stück aus Berlin gekommen war, zu erzählen. Ter ebenfalls aus Berlin gekommene Packer und Dekorateur hatte nämlich allabendlich im Roten Engel, dem zweiten Gasthof des Städtchens, Vortrag ge halten über die „modernen kunstvollen Möbel", hatte von „Satinholz", von „Mooreiche", von grauem und grünem Ahorn, von regelmäßiger Birtenmaser gesprochen, und die beiden Scheuerfrauen halten nicht genug von der Küche erzählen können, di« so schön, nein — schöner war, als des Pastors Eßzimmer. Alles weiße Möbel und ein Küchen-„Büfett" mit bunten Scheiben. Ja, ja — der stille Amtsrichter! Man hatte doch immer im Stillen gehofft, daß er sich eine „Tochter der Stadt" zur Lebensgefährtin wählen würde, und sand es äußerst merkwürdig, daß er sich erlaubt hatte, schon „heimlich verlobt" zu sein, als er vor einem und einem halben Fahre ipi Helstädt einzog. Niemand hatte das geahnt, und die drei Vierteljahre später eintreffenden Nachrichten überraschten lle aufs höchste, besonders die Mütter, die in gewissen Anzeigen, einem Tanz mehr mit ihrer Tochter oder einem richt so schnell erwarteten Be such, eine „Annäherung" an ihre Töchter gesehen hatten. Als dann die reizende Villa, die schon mehrere Jahre leer stand, weil sie „zu teuer" war, für den jungen amts richterlichen Haushalt gemietet wurde, als endlich dis Möbel eintrasen, deren Beschreibung der Packer besorgte, da wußten die Leute in Helstädt, die sich natürlich für ihres „Amtsrichters" Zukunft aufs glühendste interessier ten, daß die junge Frau aus zum mindesten sehr wohl habendem Hause sein mußte, und das gab ihr schon von vornherein eine Art Mmbus in ihren Augen. Zwar schwang sich die Frau Pastorin im Kaffee bei Frau Bürgermeister zu der zurechtiveiseudcn Bemerkung aus: „Wenn sie nur nett ist, — aufs Geld kommt's nicht an!", aber interessant war cs doch, solche reiche junge Dame unter den Honoratioren zu lvissen. Und während man in .Helstädt, wo immer sich nur zwei Damen begegneten, keinen andern Gesprächsstoff kannte, als die junge Frau Amtsrichter, brachte das junge Paar, von einer kurzen Hochzeitsreise kommend, die letzten Stunden Bahnfahrt im Abteil erster Klasse zu. „Ich bin sehr gespannt auf dieses Helstädt," sagte die zierliche, brünette junge Fran und ließ ihre großen, glänzenden Äugen über die weite Ebene schweifen, die der Zug durchfuhr. „Fast so eben, wie unsere Mark," fuhr sie fort, „ich liebe die Ebene mehr als die Berge." „Ich denke, Du reist besonders gern ins Gebirge?" fragte Konrad Lchellmann nnd strich die Asche seiner Zigarette in den Aschebehälter unter dem Fenster. «Ja — für Reisen, — da »vollen wir nur immer in die Schweiz, — aber zum Wohnen, nein — da muß «S eben sein." „Habt Zhr denn schöne Umgegend in Helstädt?" „Tu lvirst ja sehen, Leonie," erwiderte Konrad vor sichtig, denn er wußte, daß seine Meinung manchmal nicht die Leonies war, und bemühte sich redliche ihr Helstädt möglichst objektiv zu Mldern, diese- Helstädt^ das ihm auch zuerst so gar nicht gefallen hatte. Ein Glück, daß ein Bataillon Infanterie dort in Garnison lag, doch wenigstens ein paar Regimentsdame« für Leonie zum Verkehr. „Habt Ihr interessante Menschen in Helstädt," fragte Leonie weiter, „geistreiche Frauen oder schöne Mädchen?? Konrad antwortete nicht gleich, dann vorsichtig: „L* wirst natürlich in Helstädt manches anders finden als i» Berlin, aber hübsche, junge Mädchen und kluge, nette Frauen haben wir da auch, Tu wirst Dich schon an diese oder jene «„schließen." „Ich glaube kaum," sagte Leonie in bestimmte« Tone; „weißt Tu, ich denke mir diese Damen all« schreck lich langweiüg und kleinstädtisch; — ich werde meine» Verkehr aufs geringste einschränkn, denn ich weiß schm», was ich für meinen Verkehr brauche und suche, und Wa ich in Berlin fand: ich .nuß mit Mensche« verkehre«, die einen ,^öktlichen Funken" in sich haben, nicht mit! faden, hausbackenen Hausphilisterimren." „Ach!" Konrad stieß wirklich einen Ruf der Ueber- raschung aus. „Göttlicher Funken" ist gut — ist sogar sehr gut! Hast Tu denn in Berlin nur,mit solche« Funkenmaschinen verkehrt? Teine netten Verwandten und sonstigen befreundeten Leute, auch die, die auf unserer Hochzeit waren, schienen alle sehr reizende, charmante Menschen, aber von „göttlichen Funken" habe ich nicht verspürt." „Ten hatten sie auch nicht." Leonie hatte sich in Eifer geredet, r^rber einige be sondere Freundinnen bau mir, die hatten ihn. Die «ah men alle einen höheren Flug, und Tu würdest sie kenne« gelernt haben, wenn Mutter nicht darauf bestände« Hätten die Hochzeit auf fünfzig Personen zu beschränken." „Was nennst Tu göttlichen Funken?" fragte Konrad, jetzt ernster und warf die Zigarette durchs offewr Kenster. „Sieh mal, Schatz, das läßt sich so leicht nicht ans- einandersetzen, aber man findet bei Menschen, die keine Alltagsmenschen sind, bei Frauen, die keine HauS- haltsmaschinen wurden, so ein „je ne saiS quoi", das Sb« den Alltag sorthebt, das in andere Regionen führt, Pt Kunst oder Wissenschaft, kur-, eben Frauen über denk Durchschnitt." Kvnrad liebte auf der lvriten Belt nichts mehr al- seine kleine Frau, aber nach dieser Leinen Auseinander setzung starrte er einigermaßen fassungslos zu ihr hin über und war ganz zufrieden, daß sie, aus dem Fercher schauend, seinen Blick nicht erwiderte. Er meinte sie auch, nachdem er länger als enr Jahr während seiner Assessoren- zeit im Hause ihrer Eltern freundschaftlich verkehrt hatte gut zu kennen, aber für so — so hvchflietzend hatte er sie nicht gehalten. Liebreiz, Frohsinn, Freundlichkeit urrd Güte, eine höhere Töchterschulbildung von gutem Mitte' maß und Betätigung in verschiedenen Hauskünsten, Kl vierspiel und Gesang für den Hausbedarf, Malerei m Schnittskunst für Geschenkzwecke, — das hatte «in sein». Braut vereint gefunden, — für die angehende Hausfrru war dann noch ein mehrmonatlicher „LÜrsus" im Koche«, Backen und Einmachen dazu gekommen. Aber daß sie „göttliche Funken" sucht« in den Menschen, dar war ihm neu. Er wollte noch etwas sagen, ab« da — ei« Bremse» ein Pfiff, der Zug verlangsamte sein« Fahrt, «ich
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