02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040524024
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904052402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-24
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Bezugs-Preis 1» b« Hanptixpedttio» oder deren Ausgabe stelle» abgeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglich« Zustellung iuS Hau« ^l S.7l^ Durch di« Pest bezogen für DeMsch- laud ». Oesterreich vi«teljährlich 4.b0, für di« übrige» Lüud« laut ZettvngSpretSlist«. NeSakNon: JohanotSgaße 8. Sprechstunde: b—8 Uhr Nachm. Fernsprech«: lös ErprSttta»! Joha»»tSgafs, 8. Ferusprrch«: 8Ät FiltalerpeSMouen: Alfred tzah»,Vuchdundlg..UyiversitütSstr.S (Fernspr. Nr. 4046), L Lösche, Katharinen- straß« 14 (Fern sprech« Nr L9ÜV- ». Königs platz 7 (Fernsprecher Nr. 7ÜOb). HauPt-KUtale Dresden: Marieustraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. I713I Haupt-Filiale Berlin r TarlD u » ck, r, Herzal-BayrHofbuchbandla- Lützowstraße 10(F«nsvrech«AmtVI Nr.46Ä.) Abend-Ausgabe. leMM.TagMatt Anzeiger. Ämtskkatt des Königlichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und -es Polizei am les -er Lta-t Leipzig. Nr. 280. Dienstag den 24. Mai 1904. Anzeigen-PretS die «gespaltene Petitzeile 2S ^f. Reklamen unt« dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 7K nach den Familiennach- richten (6gespaU«u) KO Tabellarischer und Ziffarnsatz entsprechend höh«. — <e>rbühren fiir Nachweisungen und Lffertenaunahme 2ü >4 Ertra-Vrilagr» (gesalzt), uur mtt d« Moraeu-Ausgabe, ohn« Pvslbesdrderuug 6K—, mit Postbeförderung 70.—. Anuatzmrschlutz f,r »»zeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: aachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets au die Expedition z» richte». Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vo» früh 8 bis abendr 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Palz tu Leipzig (Inh. vr. R. L W. «lt»thardt> 98. Jahrgang. Var Wchkigrtr vom rage. * Der Kaiser begab sich gestern abend 11 Uhr von Potsdam nach Prökelwitz, während der Kron prinz nach Oels abreiste. * In Königsberg haben sich 4000 Lehrer zum DeutschenLeyrertage versammelt. (S. A. a. W.) * InEssen trat am Pfingstsonntag das Fahr- personal der Straßenbahn in den Aus- stand. (S. Dtsch. Reich.) * Der Vizekönig von Indien, Lord Curzon, wird nicht auf seinen Posten zurück- kehren, sondern in das Ministerium Balfour eintreten. (S. Ausland.) * Der Aus stand in den Eisenbahnwerk stätten zu Madrid ist beendet. * Niutschwang ist von den Russen wieder besetzt worden. (S. Russ.-japan. Krieg.) Der gestrandete Kreuzer „Bogatyr" ist von den Russen in die Luft gesprengt worden. (S. Russ.-japan. Krieg.) Der politircde heilige 5tub>. Als Pius X. auf den Stuhl Petri erhöht wurde, glaubten allzu eifrige Leitartikler, ihn als den liberalen, modern empfindenden, dem Kampfe abgeneigten und nur dem inneren Ausbau der Kirche zugewandten Papst be grüßen zu sollen. Inzwischen hat sich gezeigt, daß dieses Bild der Wirklichkeit nicht entspricht und daß wieder ein- mal der Wunsch des Gedankens Vater war. Pius X ist, wie seine Enzykliken beweisen, nichts weniger als liberal, nichts weniger als modern. Er denkt auch gar nicht daran, sich mit dem Hause Savoyen zu versöhnen, viel mehr hat er, vielleicht ohne sich der Tragweite seiner Kund- gedungen und Handlungen bewußt zu sein, dem italieni schen Königtum gegenüber eine Kämpferstellung einge nommen und geberdet sich als ein im wesentlichen durch aus politischr Papst. Allerdings geschieht dies mit einer bemerkenswerten Unkenntnis diplomatischer Formen und in völliger Ueberschätzung des eigenen Einflusses. Nachdem Präsident Loubet dem König von Italien einen Besuch gemacht hatte, ohne eine Audienz bei Seiner Heiligkeit nachzusuchen, richtete die Kurie eine Note an Frankreich, welche die französische Regierung mit kalter Ablehnung für nichtig erklärte. Jetzt aber hat sich heraus- gestellt, daß gleichzeitig mit dieser Note ein Zirkular- schreiben an die katholischen Mächte ergangen war, das den Text der Note mit einem verschärfenden Zusatz ent hielt. Nach bekannter Gewohnheit trieb der Vatikan ein doppeltes, aber höchst ungeschicktes Spiel, denn natürlich jvurde der Wortlaut der zweiten, an die Mächte gerichteten Note bekannt und die französische Regierung ist nun schon um der öffentlichen Meinung willen genötigt, eine schär fere Tonart anzuschlagen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß das Vorgehen der Kurie doch noch zum völligen Ab- bruch der vorläufig nur suspendierten diplomatischen Be ziehungen und zur Aufhebung des Konkordats führt. Da mit wären die langjährigen Bemühungen Leos XIII., mit Frankreich einen mockus viveucki aufrecht zu erhalten, durch das plumpe Zugreifen eines politischen Dilettanten ver nichtet. Natürlich verschärfen sich durch den hohen Ton Pius' X. nicht allein die Gegensätze zwischen Frankreich und der Kurie, es verschlechtert sich auch das Verhältnis zwischen Ouirinal und Vatikan. Man sollte nun meinen, daß unter diesen Umständen Deutschland von der Kurie mehr als je geschätzt würde, in dessen dies wäre ein gröblicher Irrtum. Das offiziöse Organ des Papstes, der „Osservatore Romano", erklärt alle paar Tage Frankreich seine Liebe und — mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit — Deutschland seine Ab neigung. Hoffentlich zieht man in unseren maßgebenden Kreisen endlich aus allen diesen Ereignissen den richtigen Schluß, daß wir unsere Anlehnung nur bei der italieni schen Monarchie, nicht aber beim Papsttum zu suchen haben. Der ftuftianä der Herero. Die Lrnppenverteilsrng im Süden de« Schutzgebiet«. Wie einem Berliner Blatte aus Windhuk, 20. Mai, gemeldet wird, sind dort am 19. d. M. die jüngst bereits angemeldeten 30 Witbois und Gonhas-Hotten- totten eingetroffen und in die Aufklärungsabteilungen, sowie in das Fuhrwerkspersonal eingereiht worden. Die bereits Mitte Februar detachierte Kompagnie Häring hat die Etappenlinie Karibik - Out jo, die Kompagnie Schering die Etappenlinie Otjiesasu-Okaharui besetzt. In dem Distrikt Gobabis wurde die Reiterabteilung des Oberleutnants Winkler zur Aufklärung an die Ostgrenze entsandt. Die von Deutschland nach Lüderitzbucht be orderten 300 Mann Verstärkungen werden Voraussicht- lich in den Bezirken Gibeon und Keetmanshoop verteilt, um die grundlos erregten weißen Ansiedler zu beruhigen. Die Eingeborenen im Süden sind bisher völlig ruhig. Generalstabsmajor Lequis fährt nach Lüderitzbucht, um mit Bezirkshauptmann Burgsdorff die Vorbereitungen für die Ausschiffung der Mannschaften, deren Marsch usw. zu treffen. Ersterem ist als landeskundiger Afrikaner- Hauptmann a. D. Fromm zugeteilt. Feldpaftdlenft in Südrveftafrika. Ueber den Feldpostdienst in Südwestafrika entnimmt die „Deutsche Verkehrszeitung" weiteren brieflichen Mit- teilungen deS Postdirektors Bischoff in Windhuk folgen des: „Am 16. März wurde die Feldpoststation Nr. 1 für die Westabteilung in Omaruru durch den Feldpostsekretär Rische eröffnet. Sie mußte indes am 1. April den Be- trieb wieder einstellen, weil die in der Richtung auf Oka- handja vorrückende Mestabteilung von Omaruru aus wegen der Unsicherheit der Etappenstraßen nicht mehr mit Post versorgt werden konnte, und sich bald darauf mit der in Okahandja gebildeten Hauptabteilung ver- einigte. Rische wurde einstweilen nach Okahandja über wiesen, wo das Postpersonal einer Verstärkung bedurfte. Tie Feldpoststation Nr. 2 für die Ostabteilung hat bis Mitte April nicht in Tätigkeit treten können, weil es un- tunlich war, sie der in Eilmärschen vorrückenden Ab- teilung nachträglich anzuschließen. Das Personal (Post- assistent Haininermeister und Feldpostschaffner Teising) trat vorerst zum Postamte in Windhuk über, wo es vor zugsweise zur Bearbeitung der ankommenden Feldpost- sendungen für die Etappentruppen verwendet wurde. Die Verbindung zwischen Windhuk und der Ostabteilung wurde anfangs durch stärkere Patrouillen und durch Provianttransporte hergestellt. Später erfolgte die Zu- fiihrung der Post über Okahandja. Die Feldposterpedition (Vorsteher Herr Feld-Oberpostsekretär Thorun) hat ihre Tätigkeit am 4. März in Okahandja begonnen. Ihr wurden die Feldpostschaffner Zink und Budzinski zugc- teilt. Die Feldposterpedition, der eine vom Truppen- kommando gestellte, mit 12 Ochsen bespannte Karre und ein Reitpferd zur Verfügung stehen, hat am 7. April mit der vereinigten Haupt- und Westabteilung unter der Füh rung des Obersten Leutwein in östlicher Richtung den Vormarsch gegen den Feind angetreten. Die Verbindung mit Okahandja wurde durch die in kurzen Zeitabständen verkehrenden Proviant-, Munitions- und Sanitätstrans- Porte hergestellt. Als am 12. April morgens den Truppen bei der Rückkehr aus dem Gefechte mit den Herero die kurz vorher eingetroffene Europapost behändigt werden konnte, gab dies dem Gouverneur Anlaß, sich über die Feldposteinrichtnngen mit besonderer Anerkennung aus zusprechen. Infolge der erheblichen Truppenverstär- kungen für Südwestafrika werden noch vier Postbeamte, die Postassienten Sieverts, Köhler, Altenkirch und Kötter, dahin entsendet, die die Ausreise mit den nächsten Truppentransporten sab Hamburg 1. und 7. Juni) an- treten werden." ver rsttirch-japamrcbe Weg. Aus -er südlichen rNantschurei. General Kuropatkin meldet unter dem 23. d. Mts.: In der Umgebung des Fynschuilingebirges ist alles ruhig. Von Ssiuyan wird unterm 21. d. Mts. berichtet, daß japanische Lrupenabteilungen in einer Gesamtstärke von etwa einem Regiment Infanterie und zwei Regimentern Kavallerie von Chabalin nach Salidsaipudsa vorrücken. In der Nacht auf den 21. d. Mts. bemerkte eine Sotnie, die von Takuschan nach Luanmiao und Chonduchan zurück- kehrte, bei Ssitchutschindsa, 16 Werst nordwestlich von Takuschan, eine biwakierende japanische Jnsanterie- abteilung, welche auf die Sotnie feuerte. An der Küste des Golfs von Liautung sind keine Veränderungen einge treten Nach japanischer Meldung sind bei Kaoliman und 13 Meilen westlich Kosaken gesehen worden, aber keine auf der großen nach Liaujang führenden Straße. Die Russen senden Rekognoszierungsabteilungen nach allen Richtungen aus, zeigen aber keine Neigung, eher zu kämpfen, als bis sie den Japanern an Zahl weit über- legen sind. Die japanischen Verbindungen werden durch die bei Takuschan gelandeten Truppen gedeckt. Wie von chinesischer Seite berichtet wird, haben 2000 Russen Hsiujen (zwischen Takuschan und Kaiping) wieder besetzt. Auch in Niutschwang sollen ziemlich starke Ab- teilungen russischer Artillerie und berittener Infanterie wieder eingetroffen sein. Aresrzer „Vagatyr" -efpreis-t. Das „Reutersche Bureau" erfährt auS Petersburg, die Russen hätten den bei Wladiwostok gestrandeten Kreuzer „Bogatyr" indieLuftgesprengt, da es unmöglich gewesen sei, das Schiff wieder flott zu machen. Die Geschütze seien vorher von Bord geschafft worden. Vom „nervo« rero»". Die „Morningpost" meldet aus Tokio: Eine von den Banken veröffentlichte Mitteilung, betreffend die innere Anleihe, schätzt die Ausgaben von der Eröffnung dec Feindseligkeiten an bis zum nächsten März auf 140 Mil- lionen Ben (280 Millionen Mark), von denen die Hälfte durch die ersten Anleihen beschafft sei. politische cagrrrchai. * Leipzig, 24. Mai. Der sterbende Lenbach. Es hat sie doch furchtbar geärgert, die Klerikalen Münchens, daß der Lenbach begraben wurde als Fürst, der er war, und mit allem Pomp, der ihm zukam, aber ohne kirchliche Assistenz, die er sich verbeten hatte. Und darum mußte es jetzt an den Tag kommen, daß die katho- lische Geistlichkeit der „Leiche" fern blieb, weil sie nicht kommen wollte. Es wird jetzt erzählt, der sterbende Lenbach, der Abtrünnige, habe um geistlichen Zuspruch gebeten. Der darauf entsandte Benediktiner Jud (die „milden" Benediktiner!) habe von Lenbach Widerruf des AustrittsundUngültigkeit der ztveitenEhe gefordert. Len- bach würde seine Tochter aus dieser Ehe also damit im Sinne der katholischen Kirche zum unehelichen Kinde ge macht haben. Als der Stiftspropst zu ihm gegangen sei, um diese Forderung nachzulassen, habe er Lenbach bereits bewußtlos gefunden. So wird erzählt. Oui bono? Aber wir haben nicht nötig, es zu glauben, und wir wollen uns auch das Andenken dieses Herrenmenschen nicht ohne zwingende Not verärgern lassen durch die Vorstellung eines in Todesangst zum Kreuze gekrochenen Lenbach. Gerade die Angst macht das Bild so häßlich. Ein politischer Romanzier. Es ist selten, daß man vor einem Buche warnen muß, noch bevor es erschienen ist. Der bekannte Schriftsteller August Niemann, der sehr viel schlechte, aber auch einige sauber gearbeitete und gedankenreiche Romane geschrieben hat, wagt sich in das klüftige Gebiet der Politik. Er hat, wie uns ein vorliegender Prospekt mitteilt, ein Buch ge- schrieben, das „sensationell sein wird, wie selten ein aktuelles Buch". Der Titel heißt: „Der Weltkrieg", der Untertitel „Deutsche Träume". Schon jetzt erfahren wir von dem Werke, daß es vorschlägt, den gemeinsamen Feind, das „gierige England", endlich zu zermalmen, damit „das Weltreich und die Wel^'^i rlwaft aufs neue eine gerechte Teilung erfahren". Der träumende Ver- fasser schlägt zu diesem Zwecke einen Dreibund zwischen Deutschland, Frankreich und Rußland vor. Herr Nie- mann scheint während der letzten Monate in einem tiefen und dunklen Verließ gesessen zu haben, in das kein Licht und keine Luft des Tages dringt. Wenn Barbarossa oder der Zwerg Perkeo plötzlich der heutigen Welt wieder gegeben würden, so würden sie etwa ebenso viel „aktuellen" politischen Sinn an den Tag legen. Nun Feuilleton. Tamms Garten. 7j Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verbot««. -Ne hatte ihn mit einem betrachtenden Blick angesehen und fragte jetzt, da er stumm blieb: „Lind Sie ein Student?" Daraus kam etwas Lösendes über ihn, es machte ihn froh, daß er mit Ja antworten konnte, und er fügte hinzu: „Ich werde es jetzt, bin's fett heute". Kurz mit dem Kopf nickend, versetzte sic: „Das muß gut sein, da braucht man sich von Keinem etwas befehlen zu lassen. Kommen Sie auch hierher, um von den Pflaumen zu essen? Das ist eine gutretfe." Ihre Hand streckte sich seitwärts ins Gras aus, hob eine Reineclaude daraus auf und hielt sie ihm hin. Er zaudert« ein bischen, denn seine Hände hatten noch nie- malS eine Frucht im Garten ang«rührt, und unwillkürlich mußte er des verbotenen Apfels im Paradiese gedenken. Indes diese Verknüpfung schwand rasch aus seinem Kops ab, hier handelte es sich um keinen Sündenfall und kein göttliches Verbot, lediglich um eine Vorschrift, die er selbst sich gemacht, und hinzukam ein Gefühl, seine Weigerung könne ihn unmännlich-furchtsam erscheinen lassen. So nahm er die Pflaume aus den schmalen Fingern und führte sie an den Mund; ihr Geschmack war süß, bestätigte ihm nachträglich daS Richtige seine» Tun», es sei bester und vernunftmäßiger so, als wenn die Früchte, keinem zum Genuß, zwecklos am Boden verdürben. Auch das Mädchen hatte von den reichlich umherlieaenben «ine neue an sich genommen, verzehrte sie, und beide wurden durch die gleiche Beschäftigung für ein Weilchen von weiterer Gesprächsführung abgehalten. Bei dieser Ver richtung ihres Mundes kam für den Zuschauer nichts zum Vorschein, wie er es wohl von den Dorfmädchen gesehen, keinerlei hastige Begier und unschöne, schmatzende Be wegung, vielmehr lag in ihrem Esten etwas natürlich An- mutiges, das ihn an daS Aufbeißen einer Nuß durch ein Eichhörnchen erinnerte. Hell schimmernd gruben sich die kleinen weitzperlenden Zähne in die goldtggrüne Frucht, und geräuschlos sogen die Lippen den süßen Gafttnhalt au» der Schale- Er gab sich Mühe, e» ebenso zu machen, doch während dessen sann er umher und fand dann, als sein Mund frei geworden, die Frage: „Bist du heute zum erstenmal hier?" Sie antwortete: „Nein, schon ein paarmal. Ich bin erst seit zwei Wochen hierhergekommen." Der Nachsatz mußte sich nicht auf den Garten, sondern die Stadt oder die Umgegend beziehen und erläuterte dem Hörer, warum er noch nicht früher mit ihr zusammenge- trosfen, denn seit so langer Zett war er nicht mehr hier gewesen. Nach einem kurzen Zögern fand er den Mut zur Krage: „Wohnst du in -er Nähe?" „Ja. Dort", sie streckte eine Hand, über die Buchen hecke wegdeutend, aus, „in dem Gasthaus, daS Hoffnung heißt. Jetzt muß ich dahin, sonst werd' ich gescholten." Dabet richtete sie sich auf, und überraschend war's, wie leicht-behend sie trotz den groben Schuhen in die Höhe kam, als sei sie emporgeslogen. Zugleich zeigte ihr Wuchs sich größer, al» er beim Ditzen vermuten ließ, mehr noch er schien sie so einer schlank aufrecht stehenden Birgilsaster vergleichbar. Doch auch die Bläste ihrer Gesichtsfarbe machte sich Dieter noch stärker bemerklich, rief ihn: etwas von ihr Gesprochene» zurück, und ungewiß, ein bißchen stotternd, brachte er hervor: „Brauchst du — du sagtest vorhin, daß du Hunger hast — ich kann dir —" Ihre Asternaugen sahen ihn mit einem Ausdruck an, in dem sich kundgab, daß sie die Meinung seiner abge brochenen Worte nicht gleich begreife. Dann indes ging ihr merkbar da» Verständnis auf und sie erwiderte: „Haben Sie —?" Doch die Frage nicht anSsprechenv, zog sie ihre Lipven ein wenig wie zu einem leicht lächelnden Zug über die hell blinkenden Zähne herauf und sagte, mit einem Kopfschüttelu verneinend, schnell hinterdrein: „Ich danke Ihnen, aber ich brauche nicht». Gehört dieser Garten Ihnen?" „Nein, er gechürt »iemand, und e» besucht ihn auch niemand al» ich Doch ich habe nicht mehr Recht dazu, al» du — kommst du auch wieder hierher?" Sie hatte den Kuß »um Weggehen vorgesetzt, hielt ihn bei feiner Krage noch einmal an und antwortete mit einem bescheidenen, beinah unterwürfigen Ton: ,FS«nn Die mir die Erlaubnis geben, Herr — ich weiß Ihren Namen nicht — Herr Student." Unwillkürlich versetzte er: „Ich heiße Dietger Linden holz." Sein Rufname klang ihm augenblicklich so, wie er im Taufbuch stand, besser, als in der gewöhnlichen Ver kürzung, und er fügte hinzu: „Wenn du wieder hierher kommst, da nenne ich dich Amella, aber dann mußt du mich auch — sonst kann ich dich nicht wieder mit du an reden." Nun ging ein wirkliches, höchst reizvolles Lächeln um ihren Mund, zu dein sie entgegnete: „Adieu, Herr Diet ger — nein, das würde sich für mich nicht ziemen und könnte ich auch nicht. Aber wenn ich noch einmal von den Pflaumen essen darf, die sind prächtig, und mein Hunger ist ganz still davon geworden." Nur ein paar Schritte waren'« bis zur Einzäunung, die hier scheinbar kaum eine breitere Lücke, als zum Hereinschlüpfen einer Katze darbot. Doch sie genügte tn Wirklichkeit anch, den schmiegsam-schlanken Körper des Mädchens hindurch gelangen zu lasten; einen Augenblick lang blieb noch eine der schmalftngerigen, daS Gezweig auSeinanberbiegenden Hände sichtbar, dann war hinter der alten Buchenhecke etwas, trotz der GcsichtSbläfie, sehr Schönes und Liebliches verschwunden. Der Zurückgebliebene sah auf die Nuschwand, die sich mit leichtem Rascheln wieder zusammengeschlosten. War eS Wirklichkeit gewesen, daß hier eben eine eigenartig belltönende Stimme geklungen und ein Angesicht mit so feingcbtldeten Zügen, wie er sie noch niemals gesehen, vor ihm gestanden, ihn mit Augensternen gleich den Blüten der Birgilsaster angcblickt habe? Oder hatte er nur wachend geträumt, ihm sei zum ersten Mal tn TammS Garten ein menschliches Wesen begegnet? Fast überwog da» Gefühl in ihm, cö könne nur ein Gaukelspiel der Einbildung gewesen sein. Alles stand und lag so reglos und lautlos um ihn her wie immer, nur hier auf dem Weasanb schimmerte in der Sonne ein kleiner, bräunlicher Gegenstand. Mechanisch bückte er sich und hob ihn auf; e» war ein Pflaumenkern, der Ueverreft einer verzehrten Frucht. Der konnte nicht von selbst so dorthin geraten sein. Und noch ein Andere», ob auch nicht Sichtbare», war geblieben oder gekommen, war al» Beleg der Wirklich- ^tt da, in seinem eigenen Innern. Erst jetzt kam ihm zur Empfindung, er stehe hier ander», al- der Gartenweg ihn beracbracht, mit leicht gewordener Brust, freudig die herbstliche Lust wie -te eine» jungen Frühlingstage» ein- atmend. Die Ernüchterung nach dem flüchtigen Frei» yeitSrausch, das wunderlich Niederdrücken-«, als liege er herabgefallen am Boden, waren von ihm wegge schwunden, die Leere, der Hohlraum in seinem Innern ausgefüllt. Bor ihm breitete sich das unbekannte Land aus wie von einem Sonnenstrahl, der die Stelle des glück verheißenden Geheimnisses deute, überhellt, und ihn durchdrang eine Beruhigung, er müsse den Weg dorthin nicht allein suchen, sondern eS warte jemand darauf, ihn zu begleiten und zu führen. Wer das sein werde, wußte er zwar nicht, nur woher diese köstliche Umwandlung in seinem Gemüt stamme. TammS (Sorten hatte doch die zu versichtliche Erwartung, mit der er hierhergekommen, nicht enttäuscht, war für ihn der oft erprobte Antäus- boden gewesen, durch dessen geheime Kraft er von einer törichten Entmutigung, aus einem sekbsterschaffenen krankhaften Sinnesznstand erlöst worden. Oftmals durch die Länge des vertrauten Gartens hin und wieder gehend, hatte er den aufaenommenen Pslaumenkern in der Hand behalten, eine Zeitlang un wissentlich und auch ohne eine Gedankenanknüpfung, wenn er ab und zu die Finger gevffnet und d'rauf nieder gesehen. Aber dann kam ihm plötzlich einmal eine märchenhafte Vorstellung, als sei der klein« Kern ein Talisman, den TammS Garten zum heutigen Tage für ihn aufbewahrt und jetzt auSgehändigt habe, und er klammerte die Finger sorglich fest drum zusammen. Manchmal führten die Wege an hohen, blütenbedeckicn Stränrbcrn von VirgtlSastern vorbei, dann war - ihm ans der Entfernung jedesmal, das Mädchen auS der Fremde sei durch eine andere Zaunlücke wieder herein gekommen und stehe in ihrem Amellaklctde da. Daß sie ihn an da» Schillersche Gedicht erinnert, hatte Zutreksen- -es gehabt, sie war erst seit kurzem au» der Fremde yier- hcrgezogen und wohnte drüben tn dem Gasthaus zur Hoffnung, von dem der Blick über ein paar Koppeln nach der Garteneinsrtedtgung hcrüberging. Da» hatte einen Antrieb in ihr geregt, zu versuchen, ob sich ein Zugang durch die Hecke auffinden laste, gerade so, wie er als Knabe von demselben Drange gefaßt und hergebracht worden. Daraus sprach eine Achnltchkeit, eine Verwandt schaft ihrer und seiner Natur. WahrscheinliH wohnte sie mit ihrer Mutter dort, wie er mit der setirtgen, und auch in ziemlich kärglichen Verhältnissen, denn sonst wäre sic nicht der Nahrung be- dürftig und froh gewesen, hier ihren Hunger mit Obst stillen zu können. Auch au» ihrer Kleidung giug » her-
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