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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040602020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-02
- Monat1904-06
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Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktion-strich (4 gespalten) 7Ü -H, nach den Familiennach richten lv gespalten) SO -H. Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme 25 Ertra-Vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poftbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschlutz s«r Anzetgen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgea-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au dir Expedition za richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von G. Pvlz in Leipzig (Inh. Or. B., R. L W. Kltukhardt). 98. Jahrgang. Var Wichtigste vsm Lage. * Das sächsische Ministerium des Innern lehnte die Einführung einer Tanzfteuer als Bezirkssleuer in der Amtshauptmannschaft Leipzig ab. (Siebe Bericht über den Bezirksausschuß.) * Der Kaiser hatte sich für gestern abend beim Reichs kanzler zur Tafel angesagt. * Ein gestern inscenierter Streik der Siettiner See leute wurde noch am selben Abend durch Vergleich bei gelegt. (S. Dtsch. Reich.) * Bei einer Dynamit-Explosion in St. Iohann- Albrechtshöhe sind zwei Reiter von der südwestafrika nischen Schutzlruppe verwundet worden. (S. Ausstand der Herero.) * DaS englische Unterhaus nahm gestern die zweite Lesung der Vorlage betreffend das englisch französische Abkommen ohne Abstimmung an. (S. Großbritannien.) * Ein Kutscherstreik ist in London ausgebrochen. Etwa 3000 von den in den inneren Stadtbezirken verkehrenden 12 000 Cabs haben den Betrieb eingestellt. kvangelircbe kinigung, nicht ev. rsriale Vereinigung. Als Antwort auf den im vorgestrigen Morgenblatte abgeöruckten programmatischen Artikel des Herrn Pastor Liebster gehen uns von Herrn vr. v. Frege- Wcl'tzien unter obiger Ueberschrift die folgenden Aus führungen zu: Dem programmatischen Artikel des Herrn Pastor Liebster — jede Veröffentlichung mit Namensunter schrift begrüße ich als Feind publizistischer Anonymität freudig — in Ihrem geschätzten Blatte vom 1. d. M. halte ich mich für verpflichtet^ ein kurzes Wort der Warnung gegenüberzustellcn; nicht als Gegner evang.- fozialer Bestrebungen, welche in unserer Zeit genau die selbe Berechtigung haben, wie so viel andere, von edlen Motiven geleitete Versuche, die soziale Frage zu lösen, erfolglos aber, wie alle bisherigen Vereinigungen bleiben werden, bis nicht die E r k e n n t n i s d e s P r o - gramms der Kaiserlichen Botschaft vom November 1881, welche die soziale Gesetzgebung ein leitete, Gemeingut aller Staatsbürger ge worden ist. „Notorischen Abfall des Industrie-Arbeiterstundes" will die Vereinigung bekämpfen, gewiß eine treffliche Ab sicht. Ist aber der Industriearbeiter allein der evan gelischen Kirche feindlich gesinnt? Finden wir nicht Gegner in allen Stände'n, vom glaubenslosen Ge lehrten an bis zum ländlichen Armenhäusler herab? Sollen etwa kirchliche Vereinigungen geschaffen werden, je nach den von Herrn Pastor Liebster konstruierten fünf (!?) Ständen? Etwa eine für Geheime Räte, eine für Großkaufleute, eine für Reserveoffiziere, für Mittel- stanüsgewerbetreibende usw.? Es wäre der größte Triumph aller Unkirch lichen, wenn das Gotteswort, und das muß doch das A und O jeder evangelischen Vereinigung bleiben, etwa geteilt nach Standesunterschieden, Bildung oder städtischen und ländlichen Jnteresscnkreisen verkündet würde. Wer je einen Feldgottesdienst z. B. im Krieg miterlebt, weiß, ein wie herrliches Band da den höchsten Führer mit dein beschränktesten Trainsoldaten unsichtbar verbindet. „Eins ist not!" „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", diese allein wirksame Ver söhnung aller irdischen Gegensätze soll sich die Kirche nie mals trüben lassen. Der Arbeiter ist sehr viel fein fühlender als manche Sozialpolitiker sich träumen lassen. Die Gleichheit vor Gottes Geboten und vor Christi Evan gelium ist die einzige dauernd mögliche Aussöhnung der „selbstbewußten Arbeiterschaft", die nach des Herrn Ver fassers Ansicht „Wohltaten verschmäht". Wird die Innere Mission, deren Segen kaum eine Großstadt so wie Leipzig fast alltäglich an sich erfährt, verachtet, eine Behauptung, die nicht nur bei „zielbewuß ten" Sozialdemokraten häufig sein dürfte, so hilft keine evangelisch-soziale öffentliche Diskussion, sondern nur die Seelsorge der stillen, treuen Geistlichen, welche die ein same Mutter oder Ehefrau oder Tochter aufsucht, während der selbstbewußte Familienvater oder Sohn sozialistische Vorträge besucht, sich dort gar zum Redner „ausbildet", indessen nur die weibliche Sparsamkeit und Entsagung bewirkt, daß der stolze Genosse nicht die Wohltat der Diakonissen oder Gemeindepflege in Anspruch zu nehmen braucht. So glänzend sind die allerwenigsten Industriearbeiter gestellt, daß sie taktvolle, geräuschlose Mild tätigkeit, z. B. für kränkliche Kinder, arbeitsunfähige Alte u. dergl., die nicht von der Gesetzgebung schon ver sorgt sind, ablchncn. Die so oft streitlustigen Genossen sind dazu viel zu „hell", nehmen auch die Hülfsgeldcr skrupellos noch da an, wo der von ihnen terrorisierte Mitarbeiter seine letzten Ersparnisse dazu opfert. Abhülfe bringt nur: Häuslichen Sinn und Genügsamkeit am Familienleben er- wecken, aber keine weiteren Volksversammlungen, auch mit den bestgemeinten evangelisch-sozialen Reden, nicht noch mehr neuer Anlaß zum Kncipenleben, der schon eintritt fast wegen jedes Wechsels z. B. eines Gemeinde dieners, der neu gewählt werden muß, denn Ernennung durch eine verpflichtete Instanz ist ja schon Eingriff in die persönliche Freiheit, oder wegen irgend einer neuen Vereinsbildung, z. B. Naturheilkunde für die leidenden Vierfüßler, alles gewiß an sich harmlose Zwecke, die aber sehr leicht zum Zersplittern des Familienlebens führen. Tenn wie viel legale Organisationen müssen schon fast alljährlich gewählt werden, bis sie funktionieren. d. h. meist auch nur wieder Reden halten, die einer neuen oder Wiederwahl gelten. Freude an der Gottesschöpfung in Feld und Wald, Wiese und Garten, die jetzt als niederzutrcten- des privatrechtliches Vorrecht des Grundstücksbesitzers gegenüber der Halm- und arlosen Arbeiterschaft gilt, — stille, eigene Fortbildung durch gute Lite ratur ohne romanhaftes, den Klassenhaß schürendes Beiwerk, Gliederung in den einzelnen Be- rufen, angepaßte Fachschulen für die Jünge ren, wobei Politik und Parteiwesen auszuschließen ist, das sind Wegweiser zum sozialen Frieden. Jünglings vereine, gemeinsame Hülfsarbeiten der Frauen und Mädchen für Kinder und Kranke, aber auch vor allem Beten der Herren Geistlichen mit den Trostbedürftigen und Elenden, offene (freilich beaufsichtigte) Kirchen auch an Wochentage n, das sind Bausteine, zu denen viele wahre Volksfreunde noch viel besseren Mörtel hin zufügen könnten, als ich in diesen kurzen Worten anzu deuten mag. Benjamin Franklins, des großen Frei heitskämpfers Wort an die Arbeiter: „Wer Euch sagt, daß Ihr reich werden könntet ohne Fleiß und Sparsamkeit, der ist ein Giftmischer", gilt heute noch, wo der Sozial demokrat v. Elm, nach freisinniger Ouelle ein Revisionist, also ein hoffnungsvolles Bearbeitungsobjekt fürdieHerren >Dr. Naumann, Or. Barth u. a. offen erklärt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden stets im Verhältnis des Tigers zum Lamni bleiben, wo die obengedachte Botschaft der verbündeten deutschen Fürsten an unser Volk schon 1881 kund tat, daß für Kranke, Verunglückte, Invaliden der Arbeit (und für diese wahrhaftig bis heute noch mehr als für die Veteranen unserer Armeen) gesorgt werden sollte. Tiesi st geschehen. Millionen liegen dazu bereit in Versicherungsanstalten. Noch 1887 alle 23 säck'ijchen Reichstagsmandate in den Händen reichs- treuerMänner, seit 1903einAntiiicmit, seit Zschopau zwei, unter 21 „Genossen"! Nicht neue Vereinigungen helfen darum, sondern nur Einigkeit der alten einmal bestehenden Parteien gegen alleRevolutionäre des Wortes wie der Tat. Festeföderativc Glie derung unter dem Bibelwort: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist." vr. v. Frege-Weltzien. M. d. R. 1878—1903. ver Huktsna Oer Herero. Die verschwundenen S)ferde. Eine seltsame Geschichte aus Südwestafrika wird in einem Briefe eines Hannoveraners aus Swakopmnnd vom 29. April erzählt. Es heißt darin: Am 23. April seien von den mit dem Reichspostdampser „Mark graf" und dem Postdampfer „Entrerios" angekommenen Pferden etwa 400 gelandet. Am 24. April wurde in Swakopmund ein Fest gefeiert. In der Nacht, während man sich den Festesfreuden über ließ, seien dreizehn Hereros, die bei einer deutschen Agentur als Arbeiter bedienstet waren, geflohen und hätten die 400 Pferde mitgenommen! Als man am nächsten Morgen den Diebstahl be merkte, seien sofort 15 berittene Soldaten unter Führung eines Offiziers nachgesandt worden, um die Bande gefangen zu nehmen; die Patrouille sei abends mit 90 Pferden, die von den Hereros als unbrauchbar laufen gelassen waren, zurückgekehrt. Die übrigen 310 Pferde seien dann wahrscheinlich den feindlichen Hereros zu geführt worden. Demgegenüber berichtet der TranSportsührer der mit dem Dampfer „Entrerios" am 21. April in Swakopmund einge- troffeneu Pferde, Hauptmann Stahl, die Pferde — übrigens 350 — seien nicht gestohlen, sondern in ihrer Freude, endlich den Schiffslransport überstanden zu haben, durch- geb rannt. Bis zum Abgang des Briefes seien sie bis auf 50 wieder eingefangen worden. Auch nach dieser Richtig stellung müssen wir doch sagen, daß mindestens Fahrlässigkeit der mit der Aufsicht über die Pferde betrauten Personen vorliegt. Verlnftlifte. Daö „Militärwochenblatt" veröffentlicht eine neue Der- lustliste aus Deutsch-Südwestafrika. Bemerkenswert ist dabei, daß bei einer Dynamitexplosion in St.-Johann- AlbrechtShöhe in Deutsch-Südwestafrika der Reiter Arthur Ke ding (früher!im Niederschles. Pion.-Bat. Nr. 5) schwer und der Reiter Wilhelm Kleiner (früher im Leib-Kür.-Rgt. Großer Kurfürst Nr. 1), leicht verwundet worden sind. In den amtlichen Berichten hat man bis jetzt von einer solchen Explosion nichts gelesen. An Krankheiten gestorben sind in der Zeit vom 9. bi» 23. Mai von den Truppen in Deutsch-Südwestafrika acht Mann: an Herzschwäche die Reiter Hermann Raue, Arthur Krüger und Rudolf Jobst im Lazarett Otjihaenena, an Darmtyphuü der Gefreite Lührs im Lazarett Okahandja, am Typhus der Reiter Bobnemann in Keelmannshop, der Gefreite Hohmann im Lazarett Swakopmund, der Reiter Reinrnk im Lazarett Windhuk und der Gefreite Henschkel im Lazarett Karibik. Sanrinlungen für die Ansiedler. Das Zentral-Hülfscomitö für die deutschen Ansiedler in Sübwestajrika veröffentlicht dankend, daß die Sammlungen bis jetzt die Summe von 220 000 erreicht haben. Da Witwen und Waisen, deren Zahl sich noch steigern wird, sowie Kranke und zur Zeit Mittellose, auch solche, die zur Rückkehr nach Deutschland gezwungen worden sind, wie bisher unterstützt werden sollen, bittet das Comits um weitere Gaben. Unterstütznngsgesuche sind zu richten an das Comits, Berlin, Kurfürstenstraße 97. ver rusrirch-japanizche Weg. Auropatkins Tagesbericht. Nach dem in Petersburg eingetroffenen Telegramm des Generals Kuropalkin herrscht in der Umgebung von Fönghwanglschöng Ruhe. Ssiujan ist von den Japanern nicht besetzt. Am 30. Mai rückten zwei japanische Kompagnien mit 30 Dragonern auf Uulasi am Wege nach Takuschan vor und versuchten, vom linken Flügel aus eine russische Feldwache und russische Streifwachen zu umgehen. Dies wurde vou den Streifwachen rechtzeitig bemerkt. In dem darauffolgenden Gefecht wurde ein Kosak verwundet. — Ein weiteres Vorrücken der Japaner von Saimadza zum Finschuilui-Paß aus dem Wege nach Liaujang wird nicht beobachtet. Die Russen in Nsrboftksrea. Der „Standard" meldet aus Tokio: Infolge wieder holter Streifzüge kleiner russischer Abteilungen im Nordoslen Feuilleton. Tamms Garten. 15s Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Das konnte nichts anderes sein, als die Rückseite von Tamms Garten, und bei dieser Erkenntnis faßte cs ihn mit heftigem Drang an, hincinzugehcn. Am Tage hatte er sich selbst hinfort daraus verbannt, aber jetzt in der Nacht war's ihm nicht verwehrt, seine alte Heimat noch einmal zu besuchen, denn ihn erwartete nichts d'rin, als die lautlose Einsamkeit, nach der es ihn unwiderstehlich zog. Er wußte, Amella sei nicht dort; wäre er davon nicht zweifellos überzeugt, so täte er's um keinen Preis, doch sie führte so gewiß ihrs Mondscheinabsicht nicht aus, als ne überhaupt nie wieder in den Garten kam. Nur flüchtig hatte sie's auf das Blatt geschrieben, um ihn nicht glauben zu lassen — was, konnte er sich im Augen blick nicht klar machen — doch am Schluß stand gleich nachher die zurücknehmcndc Wirklichkeit ihres Vorhabens ausgesprochen, cs werde wohl nichts draus werden. So konnte er ruhig in die tote Stille drinnen eintreten, empfand dies auch beim Durch schreiten der Zaunlücke an seinem Herzschlag. Der klopfte nicht mehr stürmisch an die Brustwand, ward unhörbar und unfühlbar, beinah wie stockend. Oftmals war er von Kindheit aus auch beim Mond licht hier gewesen, doch so wie gegenwärtig hatte cs nie über dem Garten gelegen. Ein Glanzwcben umrann Busch und Baum, da und dort mischte ein Glitzern und Rieseln sich ein, weißbcstrahlt durchflochten die Gänge den Bodcngrund; alles erschien fast wie tagcshcll, war aber dennoch für das Ange mit glimmernden Schleiern verhängt, durch die der Blick schon auf geringe Ent fernung nichts mehr sicher unterschied. Schwarzes Dunkel bedeckte die Stellen, wohin der Mond nicht traf, dagegen zeichnete er leichteres Gezweig als wunderbar zierliche blaffe Halbschatten auf die Flächen, Kranz- gewinden gleich und ganz unbewegt, denn kein leisester Lufthauch spielte mit einem Blättchen. Wie in geheim nisvollen Märchenschlaf versenkt, lag Tamms Garten ringsum, als verhalte ein regungslos tranmgescsscltes Loben drin seinen Atemzug; Dieter mar der einzig Wache zwischen dem verzauberten Schweigen, doch auch seine Brust vermochte sich kaum zum Atmen aufzuhebcn. Geräuschlos bewegten seine Füße sich vorwärts, er er- schrak, wenn sic beim Auftreten einmal einen leis knisternden Ton verursachten. Ihm kam's zum Bcwnßt- wcrden, nicht in der Fortuna, hier war die Heimstätte des Geisterhaften, das ihn als Knabe angeschauert und doch auch immer wieder mit unwiderstehlichem Ver langen, wie Verheißung eines wundersamen Glücks hergczogen hatte. Aber seit heut' erkannte er, nur ein Tranm sei's gewesen, ohne Vorbedeutung einer Wirk lichkeit; nur als ein Schimmer war das Glück flüchtig vor seinen Augen aufgctaucht und wie ein fallender Stern wieder weggeschwunden. Entwertet und nichtig sah ihn alles an, was die letzte Zeit ihm zugcbracht, worauf er sein Trachten gerichtet, auch die Freundschaft Pcholds und seine ehrenvolle Aufnahme in das neue Korps; das hatte nur Inhalt und Bedeutung im Zu sammenhang mit dem besessen, von dem empfangen, was er heute unwiederbringlich verloren. Aber trotzdem be nahm ihm diese geisterhafte Lautlosigkeit den Atem und sein Gesicht wandte sich mit hastiger Scheu von allem un beleuchtet, in undurchdringlichem Dunkel Liegenden ab. Nichts bewegte sich um ihn, als fein eigner, mit ihm fortschreitender Schatten; so ging er vom Obstgchcge, wo das Papierblatt unter dem Baum gelegen, säst wie in einem nachtwandlerischen Zustand dem Oberrand des Gartens zu. Die alkvertraute Welt sah ihn entfremdet, als einen, der nicht mehr in sie hineingehöre, an, erst auf dem Halbrundplah brachte der kleine Tempel ihn zur Erkenntnis, wohin er bei seinem zweck- und ziel losem Uwbcrwandern gekommen sei. Wie flüssiges Silber rann der Mondglanz an den Holzfäulen herab, während hinter ihnen unter dem Pavillondach schwarze Schatten nacht lag; stillstehend hielt er gedankenleer die Augen auf den alten leblosen Ban gerichtet. Da tönte von diesem ein Klang her, eine Stimme fragte verwundert: „Bist dn's? — nein, du kannst es ja nicht sein." Mit dem Blick konnte er nichts gewahren, aber vom Mund flog ihm ein jubelnder Airfschrei und hinterdrein ein Ausruf: „Bist du doch hier? — ich glaubte, du wär'st nicht gekommen — kämst niemals wieder —" Die Stufen hinanspringend, sah er jetzt über der Bank das Gesicht Amcllas als einen leicht helleren Schimmer vor sich, doch griff nach ihrer Hand, nm sich zu vergewissern, daß kein Gaukelspiel seiner Sinne oder ein Traum ihn betrüge. Verworren durchwogte es ihm den Kopf: Er war in den Garten hereingctreten, weil er gewußt, sie sei nicht hier — und gekommen war er, weil er zugleich gewußt, sie müsse doch irgendwo hier sein. Aber über diesen Widerspruch stürzte sich ein anderes Gewoge un sagbar glückvoller Erlösung von dem Albdruck, den die letzten Stunden ihm schwer und schwerer auf die Brust gepreßt; zu denken vermochte er noch nichts, und ein Taumelgefühl ließ ihn sich schwankend neben ihr auf die Bank setzen. Sie konnte ihr Erstaunen noch nicht überwinden, wiederholte nochmals: „Bist du's wirklich? Das wäre das letzte gewesen, woran ich gedacht hätte — warum bist du denn nicht bei deinen Freunden heut' Abend?" Nun kam er etwas zur Besinnung, zur Erinnerung dran, daß ihm die Lösung der zwiespältigen Frage, wie er sich ihr gegenüber verhalten solle, nicht gelungen sei. Ihre Hand loslassend und nach richtigen Worten zur Erklärung des ihr nicht Begreiflichen suchend, erwiderte er: „Ich war weit ins Feld hinaus gegangen und kam auf dem Rückweg zufällig vorüber — da dachte ich, du wärest nicht hier und deshalb — denn mir war's nicht möglich zu den andern zu gehen bei der Vorstellung, daß du hier allein und traurig — aber nicht wahr, du bist nicht traurig — ?" „Nein — ich bin glücklich — daß du wieder anders als gestern mit mir sprichst —" Die Antwort klang etwas mühsam-erzwungen aus verengter Brust; seine Augen hatten sich jetzt an den Schatten gewöhnt und vermochten zu erkennen, daß sich vom Nacken her ein schmaler hellerer Strich vorn über ihr Kleid hcruntcrzvg. Eine Bindfadenschnur mußt' es sein, an der sic ihre lkhr befestigt trug; un willkürlich streckte er die Hand danach mit der Frage: „Hast du —?" Aber da durchfuhr ihu ein Zucken, denn er fühlte die Hand von etwas Feuchtem, einem drauf niederfallenden Tropfen berührt und stieß erschreckt aus: „Du hast geweint —" „Nein — nein — gewiß nicht. Ich weiß nicht, warum du — das ist nur Tau, ich bin wohl an einen feuchten Busch gestreift." Ihre Stimme zitterte leicht, und ihn durchdrang's jetzt mit vollem Bewußtsein, cs sei höchste Zeit, daß er alle Kraft aufbicte, sich zu beherrschen. So zwang er sich, mit einem lächelnden Ton zu antworten: „Ja, ich irrte mich — es ist ein Tautropfen — was sollt's auch sonst sein und warum — aber der Bindfaden paßt nicht zu deiner Uhr und ich habe dir etwas anderes für sie zum Halten — das wollte ich dir heut' Nachmittag bringen, und darum — ja, darum kam ich jetzt noch ein mal zurück, um es dir zu geben." Er legte das Kettchen in ihre Hand; sie entgegnete verständnislos: ,Wovon sprichst du? Was ist das?" Es schien, daß ihre Finger sich die Frage durch ein Be fühlen zu beantworten suchten, denn nach einem kurzen Verstummen kam ihr vom Mund: „Das ist Gold — aber ich begreife nicht, wozu das —" Sie stand auf, trat an den Stufenrand in die Mond helle vor und ließ in dieser die auseinander gerollte Kette glitzern und rieseln. Er war ihr nachgefolgt und sagte, sich an ihrem wortlosen Staunen entzückend, glückselig: „Für deine Uhr —" Nun kehrte sie ihm das Gesicht zu, in dem die Augen jcyt deutlich erkennbar wie von glänzenden Tautropfen erfüllt waren. So stand sie, ihn noch ohne Laut an blickend, bis ihre Lippen fähig geworden, hervorzu bringen: „Kür mich? Das ist ja nicht möglich und darf ich nicht — aber daß du an mich gedacht hast, mir eine Frcnde machen wolltest, dafür muß ich — ich glaubte, als du gestern fortgingst, du möchtest mich nicht mehr und käm st nie wieder, und saß und weinte. Aber du dachtest an mich — wie soll ich dir dafür danken?" Von plötzlichem Antrieb widerstandsunfühig über wältigt, schlang sie heftig einen Arm ihm nm den Hals und drückte augenblickkurz ihre Lippen auf die »'einigen, merkbar in Besinnungslosigkeit, sie konnte nicht anders. Dann flog ihre schlanke Gestalt hastig über die Stufen hinunter, auf den freien Plav davon. Er rang mit einer Betäubung, vermochte de» Fuß nicht z» rege», um ihr nachzusolgen, nur stammelnd zu rufen: „Warum gehst du fort — bleib' — komm' wieder!" Deutlich gewahren konnte er sic nicht mehr, nur noch ahnen; zwischen ihm und ihr verwoben sich schon die Silbersäden des Mond- lichtS zu einem glimmernden Schleicrvorhang, durch den eine Antwort znrnckklang: „Nein— ich fürchte mich vor dir — nicht vor dir, vor mir." Noch einmal gelang's ihm, vom Mund z» ringen: „Kommst du morgen?" — „Vielleicht — am hellen !ag ist's anders — verzeih' mir, ich mnßt'S, konnt's schon seit Tagen kaum mehr lassen.
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