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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 19.12.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192512198
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19251219
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19251219
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1925
- Monat1925-12
- Tag1925-12-19
- Monat1925-12
- Jahr1925
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 19.12.1925
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>0 In SkWMk kkk jj«j»»l«IMMl. von Karl Fnnke. «ne Bethel der Menschheit war, wie s r "schwär»« Lod die Pest, «ine andere Erkrankung, bi» r» -er Wissenschaft »«lang, sie rrsolareich zu bekämpfen. Diese Krankheit sind dt« Pocke» oder Blatter«. Die trat meisten» epidemisch ans «nd forderte hunderte oder gar tausende von Opfern. Da» wirksame Mittel, die Pocken »» bekämpfen, bildet bekanntlich di« Impfung, die Gchutzpockentmpfung. Nach dem deutschen Impsgesetz ist jede» nicht vorher durchblätterte Sind vor Ablauf de» auf da» Geburtdiahr folgenden Kalenderjahre» zu impfen und tedrr Schüler innerhalb de» »Wülsten Lebens jahre» wieder »u impfen. Trotz der sichtbaren Erfolg« de» Impfversahren» gibt e» in Deutschland einen Verein »er Impfgegner, der etwa 60008 Mitglieder zählt. Auch er »erkennt nicht dt« heilsamen Wirkungen de» Impfen», be kämpft aber den gesetzlichen Impfzwang und verlangt Mn- führnng der sogenannten Gewissensklausel bei der Impfung, wie st« »um Beispiel in England besteht. Danach sieht «S t« Belieben der Eltern, die Impfung vornehmen »u lassen oder nicht. Dt« ersten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Kuhpockenim, na stellte 1706 der englische Arzt Jenner an. Praktisch aus,. >bt wurde sie schon zwei Jahrzehnte vor ihm von einem q rtkanischen Farmer IeSkn in Dortsetschtre und 17S1 von dem deutschen Lehrer Plett in Hasselburg in Schleswig-Holstein. Nachdem Jenner 1708 sein« wissen schaftlich« Abhandlung über die Pockenimpfung heraudgege- den hatte, fand sie auch bald in anderen Ländern, auch in Deutschland, Eingang. Aber sie stieß, trotz der sichtbaren Erfolge, auf den Heftigsten Widerstand. Auch der große Königsberger Gelehrte mit seinem weltumfassenden Geiste Jmanuel Kant hat sich in seinem hohen Greisenalter noch mit der Frage beschäftigt und unter dem Titel „Pockennot" mehrfach versucht, zusammenhängende Gedanken niederzu schreiben, welche die medizinische und moralisch«, die ethische und juristische Seite gegeneinander abgrenzen. Eine dieser Fassungen lautet: „Unter den mancherlei Nöten, die das Schicksal über daS menschliche Geschlecht verhängt hat, ist eine Not, wegen deren man in größerer Gefahr ist, wenn man sich der Natur überläßt, als wenn man ihr zuvor kommt und sie sich selbst zufügt, um sie mit mehr Sicherheit heilen zu können, nämlich die Pockennot, von welcher hier nur dir moralische Frage ist, ob der vernünftige Mensch sie sich oder anderen, die selbst kein Urteil haben sKinderns, die Blattern durch Einimpfung zu geben befugt sei oder ob dtese Art, sich in Gefahr des Todes oder der Verstümmelung zu fetzen, nicht gänzlich moralisch unzulässig sei, hierüber also bloß nicht der Arzt, sondern der moralische Rechtslehrer in Anspruch genommen werden müsse." In der Abwägung der verschkebentlichen Maximen ist sein geschwächter Geist zu keinem endgültigen Ergebnis mehr gekommen, aber seine Aufzeichnungen zeigen schon, welche Bedenken und Wider stände zu überwinden waren. Gehr lehrreich ist, waS ein Kalenderarzt in einer Chronik aus dem Jahre 1800 über die Kuhpockenimpfung schreibt. Dort heißt es unter anderem: „Vielleicht ist eS manchen meiner lieben Mitbürger sehr angenehm, etwas Nähere» von der in England, Frankreich, der Schweiz und einigen Orten Deutschlands, zum Beispiel in Hannover, Halber stadt, Salze usw. mit so vielem Glück vorgenommenen Kuh- pockenimvfung zu lesen. Vielleicht hat es mancher Vater, manche Mutter schon gewünscht, daß ein hiesiger Arzt von dieser neuen Pockenimpfung eine Nachricht mit seiner Mei nung darüber mitteilte. Dieser Wunsch ist gewiß auch be- sonders jetzt sehr natürlich, da man so viel über die glück lichen Wirkungen dieser Kuhpocken spricht, und unsere jetzige Pockeneptdemie innerhalb vier Monaten nahe an 400 Menschen getötet hat. Selbst der Umstand, daß durch die gewöhnliche Pocken impfung bet dieser Epidemie von etwa 80 Impflingen zwei Kinder gestorben sind, ohne daß eS an ärztlicher oder an elterlicher Pflege gefehlt hätte, daß nach einer Nachricht aus Wien eben dies der Fall war — selbst dieser Umstand muß auf jeden Berbcffcrungsvorschlag aufmerksam machen, so wenig jene einzelnen Fälle überhaupt gegen eine so wohl tätige Sache, durch die vielen Tausenden daS Leben erhalten ist, Verdacht erregen können. Erwägt man aber folgende sehr wichtigen Erfahrungs gründe für die Sicherheit der Kuhpockenimpfung: weiß man. da» a« de« wahre« »»«artigen «naner«, »a» ne »ow häufig sind, auf da« dritte, fünft«, siedent«, achte «s«. Kind stirbt, f» ist «» seh, «atürltch, dtese Kuhpockenimpfung ter ernsthaftesten Prüfuna w«rt ,« halte». S« starb in Sna- land von 18008, in Hannover von 780 und in Halberstadt von ungefähr IM Subjekte« kein einzige», kein» bekam üble Rachznfasi«: dahingegen im Durchschnitt von be« Impflingen der wahren Blattern in fehr vielen Fällen da» Aw. Kind »« sterben pflegt. Alle Kinder wäre« noch der Impfung nur wenig erkrankt. Man hat gesunde und ungesunde Subjekte, Kinder «nd Erwachsen« au» alle« Ständen, t» de« verjchie- denfte« Verhältnissen, bet guter nnd schlechter Lebenbart, «nd dennoch nie beunruhigend« Auftritte bemerkt. Mensche«, welch« t« England vor « «nd 48 Jahre« und mehr Jahren von den Kuhpocken zufällig angesteckt waren, bekamen dt« wahre« Blattern nicht, unbeachtet man sie impfte oder auch sie -er Ansteckung durch Wartung ihrer Ktnder »der ver wandte aubgrsetzt waren. E» sind stet» durch dt« Kuhpocken- impsung keine neuen epidemische« Krankheiten entstanden. Nie sah man übrigen» in Hannover unter S08 Kindern ein einzige», da» während de» Verlaus» der Jmofuna irgend «ine« bedeutende« »nd beunruhigenden Zufall bekomme« hätte. Mehrere Kinder, die vor der Impfung immer schwäch- lich gewesen waren, bekamen nachher «in wett gesundere» AuSfehen. Kein» der hannöverischen Kinder, da» die Kuh pocken schon wirklich überstanden hatte, hat wahre Blattern wieder bekommen: kein Mensch wird da» Gegenteil beweisen können. Sollte auch einmal ein Subjekt wieder wirkliche Blattern bekommen, so dürste die» nicht von ferneren Impfungen abschrrcken. Denn «» ist ja dnrch unleugbare Beispiele gewiß, baß ein Mensch zweimal wahre Pocken be- kämmen kann. Manche Menschen wollen sich auch deswegen nicht mit Kuhpockenmaterte impfen lassen, weil die Materie ursprünglich von einem Tier genommen ist. Sollten sich aber die Eltern nicht beruhigen, wenn dt« Idee einiger englischer Aerzte, baß dir wirklichen Blattern ursprünglich Kuhblattern gewesen sind, mehr durch historisch« Forschungen bewährt würbe. Vor dem Schmerz« bet dem Impsen selbst dürfen sich zärtliche «nd besorgte Eltern nicht fürchten. Zuletzt er wähnt der Arzt, baß sich wohl einige Eltern vor den Un kosten bet dieser Art der Impfung scheuen könnten Diesen gegenüber erbietet er sich, ihre Ktnder bereitwilltgft unent geltlich zu impfen. Schon au» diesen Berichten geht hervor, daß die Kuh pockenimpfung von vornherein rin« außerordentlich günstige Wirkung gehabt hat. Wenn sich auch nicht leugnen läßt, baß vereinzelt der Tod oder schwer« Erkrankung eingetreten ist. Letztere» wird aber völlig ausgewogen dadurch, daß bei ein tretenden Epidemien der sichere Tod vieler Hunderte oder tausende von Menschen bevorsteht, wenn nicht durch die Schutzpockenimpfung vorgebeugt wirb. Nachdem im Lause der Jahrzehnte die Wissenschaft dar Verfahren des Impfens wesentlich verbessert hat, mag eS gelegentlich auch noch mal vorkommen, baß unliebsame Wirkungen erzielt werden. DaS ist aber für jeden, der an den Tatsachen nicht vorübergeht und vernünftig denkt, kein Grund, gegen da» Impsen an sich Stellung zu nehmen und selbst die Mitglieder des Verein» der Impfgegner find nickt gegen das Impfen als solches, wenigsten» zu einem großen Teil, sondern nur gegen den Impfzwang. Warum „Prost" r von Dr. med. M o Sb a ch« r - Berlin. Nein, nicht von der Jahreswende und ihren alkoholi schen Genüssen soll hier die Rede sein. Hier gilt daS „Prost" den gerade jetzt so häufig zu beobachtenden Niesenden, die sich mit tränenfeuchten Augen die Nase putzen müssen. Die alten Römer sagten ehemals „Profit": heißt auf deutsch: „eS möge nützen: wohl bekommS" ober „zur Gesundheit" sagen wir auf deutsch ebenso richtig, obwohl die meisten nicht wissen, warum! Das Niesen ist nämlich eine wichtige Abwehrmaßnahme LeS Körpers gegen Dinge, die — falls sie durch die Nasen öffnung hindurch tiefer ins Innere gelangen würden — mehr ober weniger Schaden anrichten würden. Meist hat der Körper mit dem Niesen Erfolg, und eS gelingt, den oder die Störenfriede an die frische Lust zu befördern. Solche Stö renfriede können Bakterien, Staubteilchen und dergleichen, aber auch stark« Geruchsreize — man denke nur an Zwiebel, weeerremw nno an npninv« nvnrm — «» Fällen fein. > Zunächst versucht die Nase unter Zuhilfenahme ihr« mit netne« Flimmerhärche» auSgeftattete» Zell«, und ihrer absondernd«« Gchketwdrüfe« dt« Eindringling« ohne fremde Hilf« htnauSzuwersen. Gelingt die» jedoch nicht, bann wer- be» die Tränendrüsen in veweauna gefetzt, deren Strom dann mit erhöhte, Kraft durch dt« Nase fließt und gemein, la« mit dem Schleim di« Teilchen wegzufchwrmmen ver sucht. Die abgesonderte Tränenfläfsigkeit kann derart um fangreich «erden, baß sie sich staut «nd nun auch über dt« Lider «nd Wangen al« „Tränen" herabfließt. Da» Veste und wirksamst, Hils»mtttrl aber, um die Störenfried« berau»zub«kommrn. ist eben da» Niesen. Da» Zwerchfell krampft sich »usammeu, di« Luna« saugt sich mit Luft voll; jetzt läßt die Anspannung de» Zwerchfelle» nach, die Au»- atmuno«mu»kulatur zieht sich VrüSk zusammen — und mit einem gewaltigen Ruck wird bi« Lungenluft durch Mund und Nase hindurch nach außen gedrückt. Hierbei «erben Spetchelmassen, Tränenflüssigkett, aber auch alle Etnbrtng. ling« mit sortgertssen und die Nase von ihnen Vefrett. Ge lingt dir» nicht auf den ersten Stretch, so niest man eden 2-,»- bi» 4- und noch mehrmals. Erst wenn alle Fremdlinge heranSgeworfen sind, hört da» Niesen auf, «nd bi« Rase be ruhigt sich. So bet der gefunden Nase. Weit empfindlicher ist dt« ent- zündete Nase eine» Schnupfenträgrr« Dies« reagiert auf wett schwächere Reize als das normale Riechorgan mit hef tige» NieSattacken. Teilweise aber entstehen die ntesen-auS- lvsenden Ursachen gar in der erkrankten Nase selbst, und dann bemüht sich häufig die Nase vergeblich, durch Riesen den Juck, und Kitzelreiz zu beseitigen. Der NieSanfall endet dann wohl infolge Erschöpfung, um sich jedoch von Zett zu Zeit, stärker werdend, zu wiederholen. Durch Einfuhren von reiner Vaseline gelingt e» nicht selten, die Urbererrrgbarkeit der entzündeten Schleimhaut zu mildern und die NieSansäll« zu verringern. Wenn man oem Niesenden „Prosit" zuruft, so wünscht man ihm etwa» Gute». Insgeheim bittet man ihn aber auch, «in wenig Rücksicht aus die Gesundheit seiner Mitmenschen zu nehmen: er möge sich stet» abwenden oder rin Taschentuch vorhalten, damit er nickt der Umgebung die mit ansteckenden Krank heitserregern beladenen Trvpfcken ins Gesicht htnetv prustet. In diesem Sinne also: „ProstI" — WIT WSTSR u dlLW^SWT Oo» nükrlieiink» Wslknseilfs-Qsseksnk aiuaeu uLn»ia«ni»kn annrnakRurou« Vertiuokslolleu in vkNLtlLll prsvvr Str. 18 ferülnsoarlr. 2 »»«pttkr. 8 Vertreter litr Ilie>>»: llrvöl llwuUvr dikoweitla. kteo« »K. 2 Das schönste Geschenk. Weihnachtsskrzze von Otto Gruner. Zwei Tage vor Weihnachten. In emsiger Arbeit saß Hanni an der Nähmaschine, um die letzten Stiche an ihrer Hausarbeit auszuführen. Dabei richtete sie einen scheuen Blick auf die Uhr; denn sie mußte punkt 5 Uhr fertig sein. Um 6 Uhr wurde daS Manufakturwarengeschäft geschlossen, bei dem sie ihre Ar beit ablrefern sollte, und von ihrem Stübchen im ent ferntesten Osten Berlins bis zu jenem Geschäft mochten es wohl dreivlertel Stunoen Wegs fein. Endlich war die Arbeit getan. Schnell raffte Hanni die gefertigte Ware zusammen, schlug sie in ein Tuch, warf sich den Mantel um, löschte die Lampe auS und eilte hinab auf die Straße. Zum Glück kam^gerabe eine Elek trische: sie sprang auf und fuhr eine Viertelstunde lang ihrem Ziele entgegen. Als sie dann wieder de Straßen bahn verließ, um ihren Weg durch viele Straßen und Gäßchen zu Fuß fortzusetzen, war es Winter geworden. Langsam rieselte Flocke um Flocke hernieder, hing sich an Hannis Flauschmantel, setzte sich in ihrem Haar fest und tippte ihr ins gerötete Gesicht. Ach Gott, wie schwer es ihr doch heute um» Herz war! Gerade jetzt mußte sie wieder an daS ganze Un glück ihres Lebens denken. Auch zwei Tage vor Weih nachten vor drei Jahren schneite es. Und auch damals ging sie um diese Zeit durch die Straßen. Sie hatte ihren Mann, ihr Heim verlassen; in ihrem Herzen woate und stürmte es, wie nie zuvor! Daß auch alles so kommen mußte! Mit welch' frohen Gefühlen hatte sie ihren Her bert erwartet, als er damals auS der Gefangenschaft »urückkehrte! HalS über Kopf hatten beide sich geheiratet. — Aber bald erkannten sie, daß ihre Ansichten weit au»- einanderklafften. Sie schwärmte von einem schmucken Heim, wünschte sich schöne Möbel und feine Wäsche, schöne Kleider und wemöglich noch Schmuck. War sie doch da verwöhnte Töchterchen wohlhabender Eltern, die leider gegen Ende des Krieges rasch hintereinander gestorben waren. Die kleine Erbschaft war bald aufgebraucht; Hanni aber wollte nicht von der Linie weichen, aus der sie bis her gelebt hatte, wollte sich womöglich noch verbessern nno e» schöner haben, als e» die liebe Mutter hatte. Er dagegen war mit dem ganzen Grausen furchtbaren Er leben» heimgekehrt, ernüchtert bis ins Innerste. Froh nur, mit dem nackten Leben davon gekommen zu sein! Ein liebe» Weib zu besitzen, war sein höchster Wunsch; auf alle- andere wollte er gerne verzichten. „Raum »st in der kleinsten Hütte" — was brauchte er schöne Möbel, schöne Kleider? Er, der das Entsetzen de» Leben» an der Front und in der Gefangenschaft bis zur Neige kennen gelernt hatte, wollte schon glückselig sein, am Herzen «ine» oellebten Weibe- ausruhen zu dürfen; alles andere konnte später geschafft werden. AlSbald zogen sie zu sammen. Aber schon kurz darauf schien es ihr, als sei er viel zu ernst und düster für sie, die trotz KriegSerlebrn noch so heiter lachen, scherzen und schwärmen konnte. Eine unendliche Verbitcrung lag auf seinen Zügen. Sie ver stand eS nicht, biS zur Tiefe seiner Trostlosigkeit hinab zu steigen, um ihn zu trösten und wieder aufzurichten. Dazu stellten sich bald Geldsorgen ein. Auf ihren Wunsch Lin hatte er fast alle EinrichtunaSgeaenständ«, Wäsche und Kleider auf Abzahlung gekauft. Immer neue Dinge brachte sie heim. Als er dann arbeitslos wurde, kam das grauenvolle Elend. Ein Wortwechsel folgte auf den an dern. Sie gerieten beide m Hochgrad gste Erregung. Und eben an diesem Tage und zu dieser Stunde vor drei Jahren rannte sie »hm bei Nacht und Nebel davon. Als sie so dem Geschäft zustrebte und sich immer tie fer m die Vergangenheit hineingrub, wurde ihr unend lich schwer ums Herz. Glühende Tränen stürzten ihr aus den Augen und rollten in den Schnee. Krampfhaft hiel ten ihre roterstarrten Hände den Pack mit der gefertigten Ware. Wie schwer war ihr diese Hausarbeit geworden j Wie furchtbar hatte sie drei Jahre lang gedarbt! Gewiß, heute stand sie ihm näher als damals; Leute wußte ne nur zu aut, wa» „verdienen" beißt! Wenn sie ihren Herbert, dem sie doch immer noch von Herzen gut war, jetzt bei sich gehabt hatte — oh, wie schön hätte sie eS ihm jetzt machen wollen! Daß auch die Einsicht immer zu spät kommt! Den Himmel sollte «r haben auf der Erde! Aber wer weiß, wo er sich jetzt befand, ob er noch in Berlin war, oder ob er längst diese Stadt verlassen. Niemals hatte sie etwa» von ihm gehört. In ihrem Stolz hatte sie auch keine Ansprüche an ihn gestellt; sie wollte zeigen, daß sie sich selbst durchs Leben schlagen könne. Wie b'tterschwer dies war, empfand sie aber gerade heute in vollein Maße. Sie hatte ihr Tun bisher nicht be reut; e» war nicht ihre Art, sich anzuklagen. Heute aber, an diesem flockendurchneselten BorweihnachtSabrnd, brach dieser Stolz, und unendliche Reue »og in ihr wun de» Herz. Wie unglückselig sind doch die Menschen, dachte sie: sie streiten sich, zerreiben sich, zerwühlen sich, zer schlagen sich — und könnten doch so glücklich miteinander leben. DaS ist die Tragik de» Leben», daß wir nicht zur rechten Zeit „verstehen". Daß wir nach recht» wollen, wenn der andere nach links will, haß wir entwickeln wol len, wenn der andere ruhen möchte und daß wir be» alledem zu eigensinnig sind, mit dem anderen ein Stück lein WegeS Hand in Hand zu gehen. Oh, wir Menschen, wir unglückseligen Menschen! — Hanni war »n fliegender Hast durch die Straßen und Gäßchen geeilt und bog nun wieder in eine glänzend er hellte, verkehrsreich« Geschäftsstraße em. Lichtreklamen liefen über die Dächer, Auto» rasten mit schreckhaften Signalen h n und her. Das Licht schmerzte sasN ihre Augen. Der frohe Straßenlärm leate sich wie ein Alv aus ihre Seele. Vom Turme schlug es bereits ^6 Uhr. Sie mußte sich sehr beeilen, wenn sic noch vor Geschäfts schluß ihr Ziel erreichen wollte. Da, als sie eben den Fahrdamm überschreiten wollte, bemerkte sie zu ihrem großen Schrecken, daß ein hochbe tagtes Mütterchen ausglitt und vor der heransausenden Straßenbahn auf die Scheuen zu liegen kam. Mit allen Leibeskräften versuchte die Greisin, sch zu erhe.en. Doch sie glitt abermals aus. Ohne weiteres warf Hanni ihren Pack in den Schnee und stürzte auf daS Mütterchen zu. Aber auch von der anderen Seite der Straße eilte bereit em Herr herbe». Die Leute ringsum schrien und kreisch ten. Ein Griff von zwei Armen — ein gellender Hilfe ruf — und ein geretteter Mensch: da- war da» Ge schehnis einer Sekunde! Sofort bildete sich eine große Menschenmenge um die Greisin und ihre beiden Helfer. Da» Mütterchen war keines Wortes mächtig und wurde halb ohnmächtig in eine Hausflur geführt. Hier aber, »n dem blendend erleuchteten Treppenflur, war eS an Hanni, einen lauten Schrei auSzustoßen. Denn, der da vor ihr stand — um Himmels willen! — war kern anderer als Herbert. Hannr wurde noch blässer, als sie schon war; sre zitterte am ganzen Leibe. M.t maß losem Staunen sah sie, daß aus dem abgezehrten Feld grauen inzwischen ein bildhübscher, eleganter Mann ge worden war! ' Aber er hatte sie schon eher erkannt. Mit tiefster Bewegung blickte er sie an, breüete seine Arme au» und umschlang sie ,H»anm! Und darum habe ich heute so schrecklich viel an dich gedacht!" Weinend sank sie in seine Arm«, vergaß auch di« Greis»«, vergaß auch den Pack, den man ihr in» Sau« nachgebracht hatte, vergaß die ganze Welt. Lu» schwer stem Erleben ng sich ein unendlicher Jubel los, der kaum Platz fa>o in dem zarten Herzen dieser Frau! Noch n»e in ihrem Leben waren diese beiden Menschen seelisch sich so nahe gekommen, wie in diesem bedeutsamen Augen blick, wo bei Rettung eine» Menschenleben» zwei Men schen ihr Glück gerettet hatten. Es war, al» ob aut Nacht und Schmerzen eine neue Wintersonne aussteige daS Weihnachtsfest der Wiedergefundencn zu verklären Zum Abliefern der Hausarbeit war e» nun sretlilf zu spät. Aber da» schadete ja nicht». Wait bedeuten Kleinigkeiten gegenüber solcher Schicksalswende? Ob alle! dies nur Zufall war? Wir wollen eS nicht entscheiden. Sicher »st, daß «S ain heiligen Abend in der «roßen Stadt nur wenige so glücklich« Menschen gab, wie Herber« und Hanni. Herbert hatte sein wledergefundeneS Frau chen mit den wunderbarsten Geschenken überhäuft. Hanni war vor Freude fast in Tränen aufgelöst; doch meinte sie be» all den schonen Sachen mit unendlicher Innig keit: ,La» schönste Geschenk bist du! Dein go^ dene» Herz macht mich reicher, al» e» all, Schätz- der Welt »u tun ver möchten!"
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