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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041220027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-20
- Monat1904-12
- Jahr1904
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Leite 2. Nr. 6L7. 98. Jahrg. Leipziger Tagedlatt. TieuSlaq, 29. Dezember 1904. zu den Bergen aus, die den Muk von den Quelle n des Lei, ad os Neunen. Im Zentrum uwsit fast uu- uulerbrochen ein A » t i l I e r i e k a m p s. Die Gegner sind sich dort 'v nahe, das; das Eint» essen der KorpSkom- inandautcn erkannt ivird, »vaS sofort eine Kanonade ver anlagt. Ant den augersten Flügeln stehen die Gegner 8 dis 12 Kilometer einander entfernt. DaS da- zwischenlicaciide Gelände wird aclcaentlich zu Ge- recht e n benutzt. Auf jeder Leite kommt eü darauf an, den Gegner zu hindern, daß ef die Trupk^en in den W i n te ra na r ti e r c n belästigt. Tie Stellung ist unaefädr dieselbe wie bei Liaujang. Renne n k a m p f hat eine unzugängliche Stellung i>n Distrikt jenseits des Talingr^sjes inne, dennoch kam es dort zu flinftäaiacn (siejcchten. Tie russische^ Truppen sind in vorzüglicher Lliinniunp. — Tas Ha n p t a u a r r i e r der japa nischen Mantschnrei Armee meidet vom 19. Dezember: Die japanischen Vorpostcn wurden in der Nacht zum 17. dreimal angegriffen: der Feind wurde über all zurückgcschlagen. Am 18. gaben die schweren Ge'chütze des Feindes 80 Lchüssc mit die Japaner bei der Eisenbahnbrückc in der Nähe des LchahoS ab, obne jedoch Schaden anzurichicn. polttirche Lsgestchau. Leipzig, 20. Dezember. Kvnsequrnzcn eines ZtaiserworteS. „Herrlich und grob ist die beschichte des deutschen Bürgertums!" so hat vor einigen Tagen der Kaiser zu Bromberg ausgerufen, lind in der Tat, die rühmenden Beiworte sind nicht unverdient. Wir sind weit entfernt, in das „Kreuzige!" gegen die „Gunter" eiuzustimmen, das der Schlachtruf der freisinnigen Partei in ihrer männ lichen Verkörperung ist, aber wir dürfen wohl aus sprechen, daß Deutschland seine wirtschaftliche Wohlfahrt, seine wissenschaftlichen Leistungen, seine künstlerische Blüte vor Allem dem Bürgertum verdankt. Bismarcks monumentale Gestalt stellt einzig und vereinzelt da. Ter Adel als Stand ist hinter dem Bürgertum zurück geblieben. Wenn wir dies feststellen, so wollen wir dem Adel eine Zukunft nicht absprechen. Wir litten ihn in seiner Mehrzahl für gesund und tüchtig veranlagt, aber er ist der modernen Entwicklung gegenüber befangen ge blieben, sicht nur ihre gewis; unleugbaren Nachteile und kann sich nur selten entschließen, Tatsachen anzuerkennen, die nun einmal da sind und nicht mehr rückgängig ge macht werden können. Wir erblicken also heilte in dem Bürgertum das Fundament des Staates, und wir freuen uns, daß der deutsche Kaiser die rühmenden Worte ge sprochen l;at, denn in dem historischen Rückblick ist ja die Anerkennung enthalten, daß wir uns zu einer stolzen Höhe emporgerungen haben. Nicht immer ivar der Kaiser so gestimmt. Er nannte die Adeligen die Edelsten und Besten der Nation, redete ohne sichtbaren Grnnd von den frechen, unbotmäßigen Berlinern und ver sinnbildlichte den Sieg des hohenzollcrnschen Adlers über den Berliner Bären. Ter Eindruck, daß der Monarch auf Berlin nicht übermäßig gut zu sprechen sei, war allgemein, und diese Annahme gelangte in der .Haltung der staatlichen Behörden unzwei deutig zum Ausdruck. „Ter Magistrat wird diesem Er suchen binnen vierzehn Tagen zu entsprechen traben", so lautete ein Ukas, der jüngst bekannt geworden ist. Seit Fahren lebt Berlin der Staatsbehörde gegenüber in einem latenten Kriegszustand, der aber vom Magistrat lediglich in der Defensive ausgekochten wird. Ties macht sich bei unzähligen Gelegenheiten geltend, bei Verkehrs anlagen, Neubauten, Beseitigungen, Schulaugelegen beiten. Auch auf dem Gebiet der Legislative wirkt die Bevorzugung agrarischer Interessen der Entwickelung des Bürgertums entgegen. Logisch aber wäre es doch, einem Stande, dellen Leistungen der Monarch so freudig anerkennt, mindestens kair plaz, gleiche Betätigungs möglichkeiten zu schassen. Tenn sonst bleibt diese An erkennung eine rhetorische Figur, und das Lob wird nur mit bitteren Empfindungen vernommen werden, wenn das Bürgertum nicht in den Genuß der Rechte tritt, die die Verfassung ihm zuspricht. „Amerika, -u hast es besser!" Die „Köln. Bolksüg" beschäftigt sich in einem Leitartikel mit amerikanischen Verhältnissen, die sehr gerühmt werden. Warum? Das leitende Zentrumsorgan antwortet hierauf: „Dort fragt man nicht nach Religion, gesellschaft licher Stellung und feiner Familie." — Die feine Familie und die gesellschaftliche Stellung mögen hier auf sich beruhen bleiben: was aber die Religion anbetrifft, so muß roch gerade der „Köln. VolkSztg." gegenüber darauf hingewiesen werden, wer bei unS nach Religion fragt. Auch darauf antwortet die „Köln. Volksztg." in derselben Nummer in einer Korrespondenz aus Münster. Der zu fünf Sechstel katholische Kreis Höxter sah in diesen Tagen eine Erjatzwahl zum Provuizial-Landtag vor sich gehen; gewählt wurde mit 12 gegen 10 Stimmen der pro testantische Herr von der Borg. Deshalb schreibt das rheinische Zentrumsblatt: „Gegen die Person de« Herrn von der Borg ist nichts einzuwendrn; er ist «ine im Kreise geachtete Persönlichkeit und den Katholiken nicht übelwollend. Solange aber der Provinzial- Landtag sich noch weigert, berechtigten Wünschen der Katho liken entgegentukommen, sollten auch die Katholiken im Kreistage, wenn sie die Mehrheit haben, davon billigen Gebrauch machen." — Amerika, du hast eS besser: „Dort fragt man nicht nach Religion!" Tie Famecker Angelegenheit ist abermals in ein neues Stadium getreten. Bischof Benzlers Getreue scheinen alles in Bewegung zu setzen, uni die Anlage konfessionell getrennter Friedhöfe in Faineck zn erreichen. 'Lie haben an den Bezirks - Präsidenten von Metz eine „Verwahrung" gerichtet, die ihre tiefe Verstimmung darüber ausdrückt, daß der Bezirkspräsident im Interesse des konfessionellen Friedens die Trennung des Famecker Kirchhofes äbge- lehnt l-at. An die Vernxchrung schließt sich die erneute Bitte um Gestattung dessen, was der Bezirkspräsident so eben erst verloeigert hat. Unterzeichnet ist das Schrift stück von 547 Bewohnern Famecks. Man hat diese Zahl belustigenderweise durch das Verfahren zusammenge bracht, die Famecker Staatsbürger, die Las Alter von 14 Jahren erlangt lxrben, unterschreiben zu lassen. Angeblich liabcn auch vier Evangelische ihre Unterschrift bergegeben. Die dem Bischof Denzler ergebene Presse knüpft gerade hieran ihre Hoffnung auf Erfüllung des bischöflichen Planes. Wir halten dies umso mehr für ausgeschlossen, als die Ablehnung des entsprech» den An trages der Famecker Gemeindevertretung vom Metzer Be zirkspräsidenten erst vor wenig Tagen ausgesprochen worden ist. Wir halten dies aber auch aus grundsätz- lichen Erwägungen kür unmöglich. Nachdem Bischof Benzler das Interdikt über den Famecker Friedhof verhängt und damit das gesamte protestantisckw Deutsch land wegen der Anschauung, der Leichnam eines Protestanten beflecke einen katholischen Friedhof, aufs schwerste beleidigt bat, kommen die lokalen Wünsche der Einwohner Famecks in, allerletzter Linie inFrage. Jetzt Ixmdelt es sich darum, ob ein katholischer Bischof, der vor der Ver hängung einer mittelalterlichen Maßregel nicht znrück- schreckt, aus dem von ihm einaeschlaaenen Wege sein Ziel erreichen soll. Geschähe das, dann würde sich der Famecker Vorgang sicherlich noch in ein er Reihe anderer Orte wiederholen, und die Wirkung davon wäre eine Erregung des protestantischen Deutschlands, eine Trübung des konfessionellen Friedens, w!e der Fall! Fameck ne gebracht hat. Aus diesen Gründen muß mit i voller Bestimmtheit darauf gedrungen werden, daß die Entscheidung des Bezirkspräsidinms in Metz aufrecht er litten bleibe, selbst wenn 547 über 14 Jahre alte Be wohner Famecks sich deshalb „tief verstimmt" fühlen. Nationalistisches. Aus Paris, vom 19. Dezember, schreibt unser -s.-Korrespondent: Herr Marcel Hadert ist gestern abend von San Sebastian angekommen, wo er die letzten Stunden seines fast fünfjährigen Exils gemeinsam mit Döroulöde ver brachte. Ten Bahnhof hatten Sicherheitsmannschaften besetzt, die Reisenden wurden von Schutzleuten zurück- gehatten, und nur wenige hatten in die grcße Halle Zu tritt, wo Abgeordnete. Gomeinderäte und Journalisten warteten. Tie Menge sang Strophen der „Marseillaise", um sich die Zeit zu vertreiben. Als der Zug aus Bordeaux chcranbrauste und Marcel Hadert in einen, der letzten Wagen entdeckt worden war, riefen die Bevor zugten: „Hoch Hadert! Hoch die Amnestie!" Die Patriotenliga geriet bei diesem Signal in Bewegung, aber wenn sie darauf rechnete, daß Hadert durch ihre Reihen passieren könne, so hatte sie die Rechnung ohne Herrn Löpine gemacht, der den Heimgekebrten zwang, den Seitenausgang bei der Rue de Bellechasse zu wählen. Ginter ihm her eilten Damen mit Bouquets roter Nelken, woran Schleifen in den Farben der Trikolore befestigt waren; Photographen zückten ihre Apparate und ihre Magnesiumlichter gegen Hadert, der in einem Fiaker nach der Wohnung seines Vaters entfloh. An der spanisch-französischen Grenze, mitten auf der Brücke, batte er sich von Döroulöde verabschiedet. — Ein Verlust für die Nationalisten ist es, daß der ehemalige Oberst Marchand die Kandidatur für die Ersatzwahl im zuzeiten Pariser Arrondissement nachträglich aus- geschlagen Hot. Der Soldat, der bei Faschoda der Heber, nracht weichen mußte, der vor einem halben Jahre seinen Abschied nahm, weil Andrö ihn beleidigte, will sich nicht für die undankbare Wahlagitation opfern. Er hat dem — nattoncklisttschen Wahlausschuß geschrieben, daß die „nationale und soziale Aktion" vorläufig zu trostlose Aussichten liabe. Der Oberst Marchand glaubt, die Stunde der Aussaat sei noch nicht gekommen; es ist ungewiß, ob er will, daß seine Freunde sich bis zuni Wahlkampf gedulden oder ob er überhaupt die Flinte ins Korn wirft. — Der Fall Syveton ist, moralisch und, soweit davon die Rede sein kann, kriminell durch die Aussage der unglücklichen Witwe vor dem Unter suchungsrichter abgeschlossen. E» dürfte hier inter essieren, welchen Text die beiden wichtigsten, authen- tischen Aktenstücke haben. An den „Temps", dem die Regierung auch den „geheimen" Bestand der Aussagen der Fvau Sljveton überlieferte, hatte Herr Mönard ge schrieben: „Die mit Syvetcn befreundeten Zeitungen zögern, um die Ehre des Politikers zu retten, nicht, eine Frau, meine Frau, zu beschimpfen. Der Doktor Äarnay sucht die Vermutung von irgend einem neurvsthenisäxm Anfall, dessen Opfer Syveton gewesen iväre, zu stärken. Der Untersuchungsrichter ist von den durch den Doktor Barnay genannten Tatsachen unterrichtet. Nein, Frau Mönard ist nicht neuro- pathisch; sie war in Wirklichkeit das unschuldige Opfer der Handlungen eines Mannes gewesen, dessen Andenken ich gern unverletzt gelassen hätte. Heute zwingt man mich, die Ehre einer Frau, die man achten sollte, zu verteidigen. Ich erkläre es laut, Frau Mönard ist das duldende, verängstigte Werkzeug der Verderbnis eines Niederträchtigen gewesen. Achten Sie Ihren Namen!" Ferner hat Frau Syveton an den Schwager des Toten, eben den Doktor Barnan, ge schrieben: „Wir wollen zusammen das Gedächtnis des armen Gabriöl retten. Mein Scl)wiegerso-Hn und Potel haben das ganze Unheil getan." Diese Frau, die in tragischer Weise alles für einen Toten emsetzt, den sie selbst der Ehre halber zum Selbstmord trieb, ist der einzige, wahrhaft große Charakter in der unsäglichen Affäre.' Deutsches Deich. Leipzig, 20. Dezember. * Graf Vüloiv un» die Kolanialpolitit. Man schreibt uns aus Eisleben: Die hiesige Ortsgruppe des deutschen Fl ottenvereins batte am N. d. M. dem Reichskanzler telegraphisch eine zustimmende Kundgebung zu seinen letzten Reichstagsreden übermittelt, worauf am 12. d. M. die folgende telegraphische Antwort einzetrosfen ist. „Es erfüllt mich mit aufrichtiger Genugtuung, daß meine Ausführungen über die nächsten Aufgaben und Ziele unserer Kolonialpolitik in der Reichstagssitzung vom 5. Dezember in einer zahlreich besuchten Versammlung nationalgesinnter Männer aus Eislrben und den beiden Mansfelder Kreisen Zustimmung gefunden haben. Ich erblicke darin ein glückliches Zeichen dafür, wie sich in immer weiteren Kreisen des deutschen Volkes die Ueberzeugung Bahn br-cht, Laß eine kraftvolle Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Schutzgebiete zu den besonders wichtigen Aufgaben unserer nationalen Politik gehört." O Berlin, 20. Dezember. * Tie Bromberger Kaiserrede. Ueber die A n - spräche des Kaisers an das Gvenabier-Reqiment zu Pferde in Bromberq aus Anlaß des 200jährigen Jubiläums dieses Regiments lverden jetzt folgende Einzelheiten bekannt. Nach Abschreiten der Front nahm der Monarch vor dem auf dem Wcltzien-Platze errichteten Kaiser Wilhelm-Denkmal, das Gesicht dem Denkmal zu gekehrt, Aufstellung und wies einleitend zunächst kurz auf die Bedeutung des Jubiläums hin Und auf die ruhm- und ehrenvolle Geschichte des Iubelregiments. Hierauf fuhr der Kaiser, nach der „Post", etwa wie folgt fort: „Wie das in unserer Armee nicht anders sein kann, ist die Geschichte des Regiments aufs innigste mit der Meines Hauses verknüpft. Immer haben die Grena diere zu Pferde dem Hause der Hohenzollern die Treue gehalten, sie haben in den zwei Jahrhunderten des Be stehens des Regiments die guten Tage mit ihren Königen geteilt, aber auch die schlimmen, wie Gott es eben fügte. Sie haben mit ihnen gelitten, gestritten und gesiegt. Keine große Schlacht ist seit des Großen Friedrich Tagen geschlagen worden, die nicht ehrenvoll verzeichnet wäre in den Annalen des Regiments. Zum Zeichen der Anerkennung dafür habe ich dem Regiment Säkular-Fahnenbänder verliehen." Nachdem auf Befehl des Kaisers der Standarten träger mit der Standarte des Regiments vorgetreten war und der diensttuende Flügeladjutant des Kaisers die Fahnenbänder an der Standarte befestigt hatte, schloß der Kaiser seine mit markiger, weithinschallender Stimme gehaltene Ansprache mit folgenden Worten: „Diese Fahnenbänder sollen das Regiment an seine Vergangenheit erinnern, aber auch an seine Zukunft. Sie sollen das Regiment mahnen, allezeit in gleich wandelloser Treue, tapferer Aufopferung und selbst loser Hingabe bis zum Tode dem Vaterlande und Mir zu dienen. Tas ist Main Wunsch und zugleich Mein Glückwunsch für das Regiment." * Die ReichojustizkvmMission erledigte in ihrer dies maligen Tagung den Abschnitt Vorverfahren und Haupt- verfahren, Verfahren in der Berufungsinstanz und Be schwerde. Die nächste Sitzungsperiode beginnt am 17. Januar 1905. * Zu Tr. Bachemo Mandatsniederlrgung. Wie schon gemeldet, hat Dr. Bachem sein Landtagsmandat nieder gelegt. Taß er sich mit der Absicht trage, einen Teil seiner parlamentarischen Bürden abzuschütteln — sein Reichstagsmandat behält er noch bei — Ivar schon vor einiger Zeit in der „Köln, Volksztg." angedeutet worden. Als Grund wurde damals die Ueberarbeit angegeben, die auf dem Doppclmandate laste, wofern der Abgeordnete, was bei Herrn Tr. Bachem in der Tat zutrifft, seine par lamentarischen Pflichten ernst nehme. Ter Grund wäre also immerhin plausibel. Ob nicht auch andere Motive mitgespielt haben, ob Herr Dr. Bachem, der sich auf die Erbsclxüt Liebers rüstete, durch den Eintritt Spahns ins Abgeordnetenhaus sich nicht zurückgesetzt glaubt, läßt sich nur vermuten. * Strafversahren gegen einen Reichstagsabgeordnc- ten. Ter Mannheimer Staatsanwalt leitet nach der „Voss. Ztg." ein Strafverfahren gegen den Reichstagsabgeordneten Dreesbach wegen Vergehens gegen das Vercinsgesetz ein, weil er als Leiter einer Pcrnerstorffer-Versammlung am 26. August angeblich nach erfolgter Auflösung über eine Resolution abstim men ließ. * Zur neuen Apotheke»-Prüfungsordnung Aus Uni versitätSkreisen wird auf die Nachteile aufmerksam gemacht, die mit der vor kurzem eingefiihrten Prüfungsordnung für Apotheker verbunden sind. Die. Nachteile liegen nicht nur auf Seilen der jungen Apotheker, sondern sie be drohen auch den UniversitütSunterricht in der Phar mazie. Die neuen Bestimmungen verlangen, daß der Apotbeker nach bestandener Staatsprüfung noch zwei praktische Jahre absolviere, ehe er sein Zeugnis erhält. Diese zwei Jahre genügen, um den Apotheker so sehr der theore tischen Wissenschaft und der Unterrichtstätigkeit zu entfremden, daß er nach ihrem Ablauf nicht wieder als Assistent einer UniversitätSunstalt anfangen wird. Die chemischen und pharmazeutisch - chemischen Laboratorien werden darauf ver zichten müssen, künftig noch Apotheker als Assistenten zu gewinnen, es sei denn, man entschlösse sich dazu, den als Assistenten angestellten Apothekern diese Assistentenzeit völlig auf die nach der Prüfung zu leistende Konditionszeit anzu rechnen. Schließlich werden auch die Universitäten keine Privatdozenlen und Professoren der Pharmazie aufweisen können. * Schul; deutscher Kunstwerke in Amerika. Eine be merkenswerte Entscheidung des New Dorker Appellations gerichtshofes, die geeignet ist, dem bisher in Amerika noch sehr problematischen Schutz deutscher Kunstwerke gegen Nach bildungen endlich einen festen Boden zu geben, yt durch die Photographische Gesellschaft in Berlin herbeigefübrt worden. Die American Lithographie Co., der lithographische Trust, hatte das im Verlage der Photographischen Gesellschaft in Berlin er schienene „Chorus" des englischen MalerS Sadler nach gebildet und im Vertrauen darauf, daß die Photographische Gesellschaft die hohen Kosten eines Rechtsstreites in Amerika — im vorliegenden Falle auf etwa 40 000 veranschlagt — scheuen würde, eine gütliche Einigung abgelehnt. Nach dem die erste Instanz zu ungunsten de-' Photographischen Gesellschaft entschieden hatte, ist laut „K. Ztg." nach beinahe dreijähriger Dauer des Rechtsstreites vor kurzem durch den New Aorker Appellatioushof die Entscheidung der ersten Instanz umgcstoßen und eine Entscheidung zugunsten der Photographischen Gesellschaft gefällt worden. In dem gleich zeitig angestrengten Strafprozeß ist die American Lithographie Co. zu lO 000 Dollar Strafe und Buße verurteilt worden. — Der Unteritaatssekretär im NeiäMschatzamt, Exzellenz Fischer ist infolge Erkrankung bedauerlicherweise noch für einige Zeit außer yande, seinen Dienst wieder regelmäßig zu versehen. Der Genannte zog sich im Herbst eine Blutvergit- ! tung zu. und wurde nur durch Aufgebot vieler ärztliclier Mühe i vor den schlimmsten Folgen einer Gasvergiftung bewahrt. Ms Nacbwirkungen haben sich .Herzschwäche und Venenentzündung eingestellt. Daran leidet der verdiente Beamte, der die rechte Hand des Staatssekretärs von Stengel ist (ein Württemberger, die rechte Hand des Bayern im Rcichsdienste), andauernd. Er gedenkt bis in den zweiten Monat des nächsten Jahres hier zu bleiben und daun dem Rat der Acrzte entsprechend für einige Zeit ein südliches Klima aufzusuchcn. Hoffentlich kehrr er zum Frühjahr vollgckräftigt in die Heimat und feinen Dienst zurück. — Der Berliner „Standard"-Korrespondent erfährt, die deutsche Regierung werde von der Anwesenheit Sir Thomas Barklays, des durch seine Bestrebungen zur Verbesserung der deutsch-englischen Beziehungen bekannten britischen Friedensfreundes, formell Notiz nehmen, sobald er in Berlin eintrifst. Graf Bülow werde ihn war, aus seines Vaters Knie sitzend. Das Bild ist fort. Vergebens blickt Pauline sich nach einem Brief um, ver gebens wartet sie auf eine Bestellung. Die junge Frau greift nach Schirm und Plaid, macht sich bereit, die Treppe herunterzugeben. „Wollen denn gnäd'ge Frau nicht" .... beginnt das Mädchen endlich. „Was möchten Sie noch. Pauline?" „Ja — — was soll ich denn dem Herrn sagen, wenn er nach Hause kommt? Ist vielleicht im Schlafzimmer etwas Geschriebenes?" Annemarie schüttelt den Kopf. „Ich gehe natürlich fort. Ich kann hier nicht bleiben." Sic stockt, sieht in Panlincns erschrockenes Gesicht — „ich werde schreiben — später —" „Ach, gnäd'ge Fran — vielleicht ist der Kleine doch noch am Leben — man kann nie wissen! Gott tut oft Wunder!" Ein wehes Lächeln umspielt Annemaries lieblichen Mund, ein Zittern gebt über sic bin; zu antworten vermag sic nicht. Sic reicht Pauline die Hand, und das Mädchen neigt sich schluchzend darüber. In dieser Stunde fühlt sie cs, - sie hat „die Kleine" wirtlich lieb ge wonnen. „Wenn gnäd'ge Frau znrückkommcn, will ich alles schön in Trdnimg bringen nnd sauber machen, .... aber . ... aber— ohne gnäd'geFrau bleib' ich nicht in dieieinHause!" Annemarie läßt diese Bemerkung für fetzt unbeant wortet, sic hat mit cinemmal große Eile, sortznkommen. Ihr letzter Blick gilt dem Gemälde der „Heiligen Eäcilia", — die Morgensonnc spielt d rüber hin und setzt goldene Tupfen auf die Häudc, die Augen, die Haare der Spie lerin. - 'Nun geht cs rasch durch die Straßen Berlins, — eine halbe Stunde später geht es weit rascher noch durch das morgenirischc, frühlingsgrüne Land. Der Zug dröhnt, rasselt und schnaubt, — die geschorenen Hecken, die Bäume am Wegrand fliegen, tanzen vorüber. Schnur gerade steht jetzt alles rechts und links aufgereiht, — jetzt hebt sich's — senkt sich's, — die schwarzen Linien der Telc- graphendrähte steigen, — fallen — ein Stationshäuschen kommt in Sicht, — der Mann mit der Fahne steht stramm — ein schwarzweiß gefleckter Hund rast vom hohen Gras rain herunter, jagt bellend neben den« Zug her, — gibt bald die wilde Jagd auf, .... weiter — weiter!! — Hundertmal hast du, kleine Annemi Lombardi, da mals, vor nun bald einundzwanzig Monaten, als du nach Berlin fuhrst, es dir ausgemalt: wie wird es sein, wenn ich diesen Weg das nächste Mal zurückfahre? Was werde ich alles erlebt haben? Ein wenig scheu und bang und innerlich zitternd hast du damals auf der harten Lank gesessen, Trennungsweh im Herzen, — doch aber erwartungsvoll — es lag ja alles so neu, so fremd vor dir! Heute .... jetzt sie seufzt tief auf; der breite Goldreif an ihrer Hand preßt sie, drückt sie. Sie muß den Handschuh hernnterziehen nnd den Ring abstreifen, — es kommt ihr so zwecklos vor, daß üe ihn trägt. Sie will empört sein ans Oswald, — - es gelingt ihr kaum, — er ist ihr wie ein Fremder, ist ihr innerlich so fern gerückt.... wie kann er ihr ernstlich weh Inn? Sie merkt es, wie sie sich seit langem schon von ihm losgelöst hat. — Eine Wohltat wäre es ihr, könnte sie weinen; unge stört wäre sie, — nur eine alte Dame ist noch in ihren» Abteil, die hat wohl schon eine weite Reise hinter sich, — sie liegt in eine Ecke gedrückt und schläft ganz fest. Aber Annemaries Augen sind weit offen und bleiben trocken, — alles sieht sie, — das grau und schwarz gewürfelte Kleid der asten Dame, ihre perlgestickte, altmodische Reisetasche mit dem Messingbügel, — und draußen ein springendes Kalb, dem der Hütejunge mit geschwungener Peitsche nachlänst, ein Banerwägelchen, das vorüberfährt, der Kutscher hat eine schwarze Pudelmütze über die Ohren gezogen, jetzt eine Haltestelle — eine kleine Station. Butterbrötc. Apfelsinen, Biergläser werden umhergetragen, allerlei Zeitungsverkäufer rufen ihre Blätter aus. Am Fenster des Stationshauses steht eine junge Frau, — sie wendet sich ins Zimmer zurück, bückt sich, lacht über das ganze Gesicht. Gleich darauf steht neben ihr auf dem Fensterbrett ein Bübchen, den ganzen Kopf voll blonder Ringelhaare, das kleine Gesicht noch gerötet vom gesunden Morgenschlaf, ein rotes Kittelchen übergeworfen, eine angebissene Bretzel in der dicken kleinen Faust. — Ta schlägt Annemarie beide Hände vors Gesicht und weint — nnd weint — strömende, heiße Tränen. — Wie der Frühlingsabend wohlig veratmend nicdersinkt auf die prangende Erde, da braust der Schnell zug in die Bahnhofshalle des westprenßischen Städtchens, — der Schaffner reißt die Türen auf: „Zwei Minuten Aufenthalt!" Wie klein die Halle ist! Wie wenige Menschen nur aus- uird einsteigen! Annemarie steigt langsam ans, ihr sind die Glieder wie gelähmt, sie regiert sie nur mit Mühe.. ES ist niemand da zu ihrem Empfang selbstverständlich! Versonnen bleibt sie stehen, sieht zu, wie die wenigen Gepäckstücke hastig aus deni Wagen gerissen, auf die Erde geworfen werden. Ihr Weiden- korb befindet sich darunter. Weiter rast der Schnellzug, — weiter rast das Leben! Der Zug nimmt Leute auf, läßt Leute zurück, — ebenso tut es das Leben! Ein Mann mit einer Dienstmütze tritt heran, ihm gibt Annemarie Anweisung wegen ihres Gepäcks. Nein, nein, sie will keinen Wagen, sie winkt ab, sie geht zu Fuß. — Hinein ins Städtchen, inS flammende Abend gold, das Häuser und Häuschen mit wundervoller Glorie übergießt. Kinder spielen auf den Straßen, Haschen einander mit Hellem Geschrei. Hastig, scheu gleitet Anne- maric an den Häuserzeilen entlang, — nur niemanden treffen jetzt! Sie bleibt ganz unbehelligt, biegt in eine Quergasse ein, — hier stehen nur uoch vereinzelte Häuser, — bald ist sie daheim! Der Sviegel des Sees gleißt auf, wie mit purpur farbigen Rosen bestreut; die am Himmel schiffenden Gold- wölkcheu schwimmen in der klaren Flut, — in das lichte Grün der Bäume mischt sich hier und da ein leuchtendes Weiß, — die letzte Obstblüte! — Tas Vaterhaus! Gleichfalls scheinbar kleiner ge worden, ein wenig in die Erde gesunken, aber ebenfalls ganz in Abendglut gebadet. Zur Linken sind zwei Fensterflügel weit geöffnet Bebend von Kovf bis Fuß, mit versagender Hand, tastet das Kind des Hauses nach der Türklinke; die Pforte ist nur angclehnt, — man wünscht nicht das laute Lärmen der alten Glocke. Von rechts her klingen ge dämpfte Stimmen, aber Annemarie nimmt sich nicht die Zeit, festzustellen, wem sie gehören. Leise, wie ein schwarzer Schatten, huscht sie in das Zimmer zur Linken. Ta liegt das tote Kind ganz allein im Sarge, der mitten in» Zimmer auf einem schwarz verhangenen Tisch steht. Es brennen keine Kerzen, — ein Paar Armleuchter mit Lichtern stehen zu Häupten des Sarges, aber die Kerzen sind nicht angezündet, — es ist auch nicht nötig! Ganze Ströme von rotem Abcndgold treffen den kleinen Schläfer, der friedlich daliegt in einem langen, weißen Totenkleid, ein paar Narzissen in den Händen, das Köpfchen mit all' den blonden Ringelhaaren zur Seite gekehrt, die Augen müde geschlossen, um das lachende Plaudermündchcn einen fremden Zug, ein feierliches, ewiges Schweigen — und doch — mein Gott! — wie beredt dies Schweigen ist!! So empfängt das Karlemännchcn seine Schwester Annemi daheim! (Fortsetzung folgt.)
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