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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041210026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-10
- Monat1904-12
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ilö ri cu! citt. 1 etil rth. a. sen -lei. bis . u. erb. ^4 lll. au- ir- ert. Seg. ll^ »er 411 rrch gen rtt. )N le ren ve- >wie elle. s, sm er- BezustS-Prets in der Hauplki-pedition oder deren Ausgabe» stellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» .st 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch» loud u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitunqsvretsliste. Dtefe Nummer kostet auf allen Badnhösen und III I bei den ZeitungS-Brrkäufrrn I* Siedaktton un» Expedition; 153 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Marienstratze 34 (Fernsprecher Amt l Nr. 1718). Haupt-Filiale Berlin. LarlDuncker, Herza l.Bayr.Hosbuchbandlg, Lüyowstrabe 10 (Fernsprecher Amt Vl Nr. 4M3 . Abend-Ansgabe. MpMer TagMM Anzeiger. Ämlsölatt des königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rotizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktionSstrich «gespalten) 75 nach den Familiennach richte» <6gesvaIteiO 50 — Tabellarischer und Zisfernsap werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 Nnnahmeschlutz für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gade: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen inur mit der Morgen« Au-gabe) nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig iJnh. ttr. V., R. L W. Klinthardt). Sir. 629. Sonnabend den 10. Dezember 1904. 98. Ichrqang. Var Mcdtigrte vom Lage. * Die Meldung, wonach 1300 Buren als Kriegs freiwillige für Deutsch-Südwestafrika angeworben feie», wird dementiert. (S. Aufst. in Südwestafr.) * Henrik Ibsens Gesundheitszustand ist besorgniß- erregend. Die Kräfte schwinden allmählich. * Der österreichische Reichsrat wurde gestern ver tagt, nachdem der Budgetausschuß die Notstands kredite ablehnte. (S. Ausland.) * In Florenz haben heftige antiklerikale Tu multe stattgefunden. Die Demonstranten mißhandelten Seminaristen und warfen Kirchenfenster ein. (S. Ausland.) * Im Gouvernement Eriwan (Rußland) erkrankten in der Zeit vom 1. bis 7. Dezember 1018 Personen an der Cholera, 661 starben daran. (S. A. a. W.) * Nach einer Meldung aus London wurde gestern ein SchiedSverlrag zwischen Rußland und Schweden unter zeichnet. . * Der Schatzsekretär Shaw erschien mit einem ameri kanischen Kriegsschiff vor Jamaika, um Arbeiter für den Isthmus zu beschaffen. (S. Ausland.) . * ES wird neuerdings behauptet, der General Kuroki sei gestorben und durch den japanischen Prinzen Saznavo ersetzt. (S. russ.-jap. Krieg.) „Slükmirche heitrrlrrit" Die gestrige Reichstagssitzung kann in uns leider keine ganz ungetrübte Freude aufkouunen lassen, denn uns scheint die Rede des Kanzlers iin Ton vergriffen. Wenn schon die zuni Programniercianis gewordenen Rededuelle zwischen dem Grafen Bülow und den Sozialdemokraten nns nicht so wertvoll dünken, wie das viele Leute hinzustellcn Grund baden, so war ins besondere die gestrige Kanzlerrede nach unserer Auf fassung eine Mustcrlcistung für die Art, wie sie nicht sein sollte. Wenn einmal über sozialdemokratische Utopien gesprochen werden soll, so müßte der Reichs- tanzler die ernste Literatur der Partei hcranziehen und sich seine Aufgabe wicht allzu leicht machen. Allerdings, das hebe Haus ist ganz glücklich, wenn der Reichskanzler die Genossen in die Pfanne haut. Der stenographische Bericht verzeichnet „Heiterkeit" und „stürmische Heiter keit" — aber was sonst noch? Den Clou der Bülowschcn Ausführungen bildeten die von uns in den lebten Tagen mehrfach erwähnten extatischen Schinipsergüsse der „Leipziger Volkszeitung". Wir gestehen gern zu, daß die Versuchung nahe liegt, diese sinnlosen Uebertreibuugeu von der humoristischen Seite aufzufassen und zu belächeln. Und da der Reichs tag das Lächeln nicht zu kennen scheint, sondern nur das laute Lachen, so bot sich eine wirkungssichere Aus- Feuilleton. Die heilige Caecilir. 41) Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Oswald Mentzel, in Selbstüberschätzung befangen, von seiner Familie maßlos verwöhnt, war der letzte, der so sprechen würde. Cs war natürlich alles nur Neid, — Chikane, — Eifersucht! Man wollte ihn verdrängen, inan gönnte ihn« den Posten nicht, man intriguicrtc gegen ihn! Er schrieb den Leitern der Scherwitz-Oper einen Brief, in welchem er sic der Parteilichkeit, der Gehässig keit, der krassesten Urteilslosigkeit zeihte. Umsonst bat, beschwor ihn Annemarie, diesen Brief nicht abzuscnden. Ihre Bitten hatten eine sehr häßliche Scene im Gefolge. Oswald, gereizt und empört, wie er war, warf ihr vor, er habe es lange schon gefühlt, daß sie auf ihn herabsehe, an sein Talent nicht glaube, sich selbst gar ihm eben bürtig diinkc. Annemarie, jung und heißblütig, verstand cs in solchen Augenblicken der Erregung schlecht, ihre rasche Zunge zu hüten. Sie sagte ihm unumwunden, daß sie glücklich gewesen wäre, seine Begabung anerkennen zu dürfen, daß sie sich redliche Mühe dazu gegeben habe, daß er aber Beweise lür diese seine Begabung noch beizu bringen habe, denn bis jetzt habe sie noch keine gesehen! — Er war sehr zornig geworden, hatte jede Selbst beherrschung verloren, es waren von beiden Seiten böse Worte gefallen. Oswald hatte behauptet, er würde ihr das, was sie ihm gesagt, niemals verzeihen können, — sic hatte erwidert, da wäre nichts zu verzeihen, sie hätte nur ihre lieber,zeuqnng ausgesprochen, und in der Ehe müsse eines vom andern die Wahrheit vertragen können. Das Ende vom Liede war gewesen, daß Oswald von neuem die alten Register auszog und sie mit Eifersucht quälte: sie solle die Stunden bei Jung-Daniel aufgcben, Der 81aätauL1a§6 äer vorlieZMäen Kummer livZt bei: meiner lUrendiirli Ilirpk IN»/» -Ms neu ktnrutrstsncksii ädonnsntsn srk»Itsn dieses krtvdllotis dluotlsoklaxsbuvk vollstLvdlx k08tenlos vaolixslisksrt. Vktr dlttsv das „iLsoksn- adrsssduott" rsokt KLullx ru dsnutrsn und iu krsuvdss- uvd Lskauvtsniersissn naok- drUokHokst smpkvklsn ru vollen. Lxpsdilion dss I-oipri^or lasssdlattss L. kolr Verlag. fchmückung de,r Rede dar. Aber wir bedauern doch diese Art der Auffassung. Diese wutschnaubendem Artikel sind zwar vom blmden Haß diktiert, aber das ändert nichts an ihrem verwüstenden Einfluß. Durch die ständigen Wiederholungen solcher niedrigen Ausfälle fängt das Volk an, sie für angemessen zu halten, und allmählich wirkt die äußerliche völlige Verkommenheit auf die Ge sinnung zurück. Wir in Leipzig haben es zur Genüge am eigenen Leibe kennen gelernt, wie weit der verhetzende Einfluß der „Volkszeitung" geht. Keine Angelegenheit, aber auch wirklich keine, kann mehr ruhig und sachlich be handelt werden, alles muß der Propaganda, d. h. der Aufreizung dienen — die schweren wirtschaftlichen Kämpfe des letzten Jahres sind mit unter diesem ver derblichen Treiben in der Erbitterung geführt worden, die ihre Beendigung so unendlich erschwerte. Deshalb meinen wir, daß es verkehrt ist, alles das so auf die leichte Achsel zu nehmen und den gewerbsmäßigen Auf- wieglern gewissermaßen einen Freibrief auszustellen. Denn eine Sache, die man so der „stürmischen Heiter keit" anheimgegeben hat, kann man kaum noch ernsthdft verfolgen. Wir wissen freilich nicht ganz genau, ob nicht die Stimmung des permanent zum Ulk aufgelegten „hohen Hauses" die Rede im Charakter verdorben hat, aber wir vermuten wohl nicht mit Unrecht, daß hier gleichgestimmte Seelen aufeinander stimulierend wirkten. Aus solcher Situation heraus ist es ja nur zu leicht er klärlich, daß dann der Redner zu immer derberen Späßen sich angestachelt fühlt, um seine in Daridtdsttmmung er- götzt lauschenden Zuhörer zu befriedigen. Das ist für uns die einzige psychologische Erklärung auch für den Bülowschen Ausspruch: „Meine Herren," ich ^bin- kein unbescheidener Mensch, aber halten Sie mich wirklich für einen s o kolossalen Ochsen? (Große, allgemeine Heiterkeit.) Taut eornprenäre o'est taut panckonnsr. Also sei dem Menschen die Entgleisung verziehen — dem Staatsmann aber ist sie auf das Schuldkonto zu setzen. Wir können dieser Jmitierung der Miquelschen „Esel" beim besten Willen keinen Geschmack abge winnen. 8. vei -Httrtana in 5üa«er»sttilra. Die M»le in Svakspinun-. Aus Swakopmund meldet die neueste „Südwestafr. Z.", daß die Arbeiten zur Anlage eines dauerhaften Landungs steges rüstig vorwärts schreiten. — Die Ausschiffung von Tieren auf Flößen geht so gut von statten, daß kürzlich die Zahl der an einem einzigen Tage auSgeschifften Tiere 420 erreichte. Reine Vnren als Rriegrfreirvillige. Die vor einiger Zeit durch die Presse gegangene Meldung des „Reuterschen Bureaus", wonach 1300 Buren als Frei willige für Deutsch-Siidwestaircka angeworben worden seien, ist unrichtig. Bisher sind nur 400 junge Buren als Personal für Wagentransporte engagiert worden. ver sU55i5ch-ispanirche Krieg. Die Lnssisclre rNsbilnia^ung. Ueber die bisherigen Mobittiationen in Rußland findet man in den „Most Wed." nachstehende interessante Darlegungen: „Seit dem Beginn des Krieges sind ber den partiellen Mobilisationen cinberufen worden: Bei der 1. die RZervc Niitermilitärs aus 61 Krerisen „ ,, 2. ,, ,, » 34 „ „ „ 3. „ ,, „ 62 „ „ „ 4. ., 26 „ „ „ 5. „ ,, .. 36 . „ „ 6. ,, ,, .. 22 „ 7. - 360 Kreise. Aus 17 Kreisen sind die Untermilitärs zweimal ein berufen worden. Von den 764 Kreisen, welche Rutz- land, init Ausnahme des Großfürstentums Firrland, besitzt, hat also die Mobilisation bis jetzt 343 Kreise be rührt, und in 421 Kreisen sind nicht alle Kategorien der Reservisten zur Fahne berufen worden. In 74 von den letzteren Kreisen sind jedoch einige Kate- gorien der Reservisten in der erforderlichen Zahl ein berufen worden. Völlig unberührt ist die Untermili- tärs-Reserve des Reiches folglich in 347 Kreisen s764 — (343-s-74) -- 347 s. In den Kreisen, wo alle Kategorien der Reservisten zu den Fahnen gerufen wurden, sind aber durchaus nicht alle tatsächlich in Dienst genommen worden, sondern nur die „erforderliche «Zahl". Das wird nicht nur durch die Meldungen aus den betreffenden Kreisen bestätigt, sondern auch durch den Umstand, daß in einigen (17) Kreisen, wie oben gesagt, zweimal die Reservisten aller Kategorien einberufen worden sind, was unmöglich wäre, wenn bei der Mobilisierung so fort alle vorhandenen Reservisten des Kreises einge zogen worden wären. Selbstverständlich ist in jenen 74 Kreisen, aus denen nur „einige Kategorien" ge nommen worden sind, die Zahl der zurückgebliebenen Reservisten noch sehr bedeutend. Auf Grund eines neulichen Allerhöchsten Befehls werden Untermilitärs, welche große Familien haben, nur dann in den aktiven Dienst gezogen, wenn die erforderliche Anzahl in dem Kreise nicht zusommenkommt. Mit voller Zuversicht kann man daher sagen, daß augenblicklich noch nicht die Hälfte der Reserve-Untermilitärs ocs Reiches in den aktiven Dienst gezogen ist." Die Unerschöpflichkeit des Menschenmaterials in Ruß land findet durch diese Angaben eine vortreffliche Beleuch tung. Während Japans militärische Leistungsfähigkeit auf das Höchste angespannt ist und man dort die älterer, Jahrgänge, die für den Krieg angesichts des frühen Alterns der Japaner kaum mehr tauglich sind, einberufen l at, ist in Rußland noch nicht einmal die Hälfte der Reser visten eingezogen worden. Die daraus zu ziehenden Schlüsse liegen auf der Hand. Das Abkommen über öle Lazarettschiffe. Wie aus Amsterdam gemeldet wird, ist der Staats minister Ass er als Delegierter Hollands für die internationale Konferenz in Aussicht genommen, welche sich mit der Frage der Stellung der Lazarettschiffe be sänftigen soll. Line Abschlagszahlung sür bie Meffnnng -er Darbanellen. Eine wohl sehr geringwertige „diplomatische" Infor mation aus Wien behauptet, man erwarte dort, daß er ertrage es nicht, daß sie dorthin gehe, — sie solle das Bild der heiligen Cacilia von der Zimmerwand herunter nehmen lassen, — es peinige ihn bis aufs Blut, daß es da hänge und ihn täglich, stündlich an diesen Gecken, diesen Amerikaner, erinnere, der ihr sicherlich nicht gleichgültig gewesen sei, — da könne sie reden, was sie wolle! — Was half es Annemarie, daß er sich allmählich be ruhigte, daß er, nach wie vor, in sie verliebt blieb und das Weib in ihr begehrte? Gerade das empörte sie jetzt, erkältete sie bis ins Herz hinein. Sie hatte damals, als Oswald von ihr gegangen war, lange vor dem Spiegel gestanden und aufmerksam hineingciehen, — aber es war keine Spur mehr von der unbefangenen Gefallsucht früherer Tage dabei gewesen: sic blickte nicht in den Spiegel, um sich an ihrem eigenen Anblick zu erfreuen, — sie nahm es wie eine Studie. Mit einem bitteren Zucken der Livpen sagte sie es sich: „Also das ist es, was ihn an mich fesselt, — was er an mir liebt! Meine ge schmeidige Gestalt, meine weiße Haut, mein volles Haar, meine glänzenden Augen! Bekäme ich eine schwere Krank heit, die mein Aeußercs unvorteilhaft verwandelte, würde er nichts mehr von mir wissen wollen! Eine hübsche Puppe soll ich sein, die nicht selbständig denken, nichts leisten, nichts können soll, — er will gar keinen Meinungsaustausch mit mir, keine gemeinsame Arbeit, lein geistiges Zusammengehen, — das alles ist ihm un- bequem! Er hat mich geheiratet, weil ihm mein Gesicht gefiel, — daß ich auch ein denkendes Geschöpf bin und meine eigene Seele habe, ist ihm gleichgültig!" — Zu den bittern Empfindungen, die solche Gedanken in der jungen Frau weckten, gesellte sich noch ein quälendes Heinnvch. In dielen seltsam weichen, warmen Vorfrüh, lingstagen war es in ihr wach geworden, — immer hatte es ja in ihr gelegen, war nur zeitweise betäubt gewesen, hatte geschlafen. Wie lange, lange war sie doch nun schon nicht mehr „dahcim" gewesen, — und wie mochte es allen gehen? Tie kurzen Briefe des Vaters, die un beholfenen Zeilen der beiden ältesten Geschwister sagten ihr so wenig! Und gerade, als sie diese Sehnsucht nach „daheim" am stärksten fühlte, da war ein großer Brief von dorther an sie gekommen, — eine Photographie. In der Mitte saß der Vater, das Karlemännchen auf einem Knie, die andern Kinder um ihn herum, nicht besonders geschickt gruppiert, aber alle wohlgetroffen. Die Tränen waren Annemarie aus den Augen getropft, sie hatte das Bild an ihre Lippen gedrückt, mit ihm gesprochen, — natürlich heimlich! Oswald durfte das nicht sehen, — er hätte gleich gesagt, sie sehne sich von ihm fort und sei undankbar ihm gegenüber: er sprach jetzt oft davon, wie viel Tank sie ihm schulde! — Tie lieben, lieben Gesichter! Der Vater — hatte er wirklich so alt und sorgenvoll, so mager und verhärmt ausgesehen, als sie, seine Aelteste, ihn verlassen hatte? War Heinz immer so ernst im Ausdruck gewesen, hatte er diesen reifen Zug um die Augen gehabt? Und Trude — die hatte ja gar kein Kindergesicht mehr, — wie ein Mütterchen faß sie zwischen den Andern! Unbefangen fröhlich sahen nur die Zwillinge aus, — und das Karle- Männchen lachte von des Vaters Knie her die ferne Schwester an. Gewachsen war das Wichtchcn, und bild- hübsch sah es aus in dem kleidsamen Faltenkittel, den Annemarie aus Berlin für ihren Liebling geschickt hatte! Ach, - nun wanderte sie im Geist durch all' die engen, dürftigen Räume daheim und rückte hier und ordnete dort und sah nach einer Weile mit erstaunten Augen um sich her, — beschämt, daß sie so elegant wohnte und so viel unnütze, kostbare Zierlichkeiten um sich her stehen hatte! Und sic lief in den kleinen Garten, den sie „da heim" hatten, hinaus, sog durstig die weiche, feuchte Luft, den fruchtbaren Erddunst in sich, und ging rasch hinunter zum See, auf dessen Wasserspiegel die Sonnenfünkchcn tanzten. Dann pflückte sie ein paar baumelnde Weiden kätzchen und lief hurtig heim und fuhr dem Karle- Männchen, das begehrlich beide dicke Patschhändchen zu ihr emporhob, mit dem kleinen Zweig neckisch über das liebe Gesicht, — dazu kamen die andern Kinder aus der Schule und umringten sie mit einem Dutzend wichtiger Fragen und Bitten, — auch der Vater rief von drinnen nach ihr: „Annemi! Wo bist du?" „Annemil" Immer hörte sie die Stimmen, die nach ihr riefen, -- und sie hätte antworten mögen: „Ich komme gleich, — gleich, nieine Lieben!" Gut, gut, daß das Frühlingshoffen- und -sehnen vorüber war! Was sollte es ihr? — Die Tage nach dem Konzert, ja, — die waren schön ge wesen! Ta hotte sie sich voll brennenden Eifers in ihre Gesangsstudien gestürzt, — und kaum wäre es zu ent scheiden gewesen, wer eifriger bei der Sache war: die Schülerin oder der Lehrer! Jung-Daniel, glücklich, das vielgepriesene „Material" dieser süßen, kostbaren Stimme endlich in die „Mache" zu bekommen, war während des Unterrichts ein total anderer, als im gewöhnlichen Vor kehr: fast feierlich ernst, — ganz sachlich, — nie mit einem Wort von seine»? Ziel abschweifend, den Schüler mächtig anspornend, ohne ihm jemals zu viel .zuzumuten, fein und sicher auf jede gegebene Individualität eingehend. Es war ihm eine Lust, Annemarie zu unterweisen, wie es ihr eine Lust war, bei ihm zu studieren. Sie sollte einmal noch, bevor der Sommer kam, öffentlich unter des neuen Lehrers Leitung heroustrcten, — im Mai, wenn er seine besten Schüler produzierte: es hing viel davon ab, es würden einige namhafte Konzcrtunternehmer und musikalische Agenten anwesend sein, — leicht kvnnte schon dann ein Engagement für Annemarie zur nächsten Saison in Aussicht genommen werden! — Seitdem Oswald die Kündigung seines Posten? er halten hatte, waren seiner Fra» die Musikstudien einiger maßen verleidet worden: sie wagte nie zu singen, wenn ihr Gatte dahcim war, weil dann sofort die Stickielreden begannen: sic bereite sich wohl darauf vor, fortan der Brotverdiener un Hause zu werden, ihren stellenlosen
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