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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041206023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904120602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904120602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-06
- Monat1904-12
- Jahr1904
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BezugS-PreiS in d« Hauptexpedition oder deren Ausgabe stellen ab geholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in-HauS 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, sür die übrigen Länder laut ZritunqspreiSliste. l — Diese Nummer kostet 4/ßML auf allen Bahnhöfen und II» Vß I bei den ZeitungS-Verkäufern * Redaktion und Expedition; 153 Fernsprecher 222 Johannisgasfe 8. Haupt-Filiale Dresden: Marienstrahe 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncke r, Herzgl.Bayr.Hofbuchhandlg, Lützowstrahe lO (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603). Abend-Ausgabe. KiMer.TllKMaü Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Vokizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4gespaUen) 75 nach den Familiennach- richten 16 gespalten) 50 -H. — Tabellarischer und Ziffern!ap werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren sür Nachwelsungen und Osserlenannahme 25 Annahmcschluf; sür Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expeditton zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Or. V., R. L W. Klinkhardt). Nr. 62l. Dienstag den 6. Dezember 1904. 98. Jahrgang. Var Aichligrte vom Lage. * Ein neuer Truppentransport nach Südwest afrika geht heute nachmittag mit Dampfer „Palatia" von Hamburg ab. * Das Duell zwischen Iaurös und Dsroulsde ist von den spanischen Behörden verboten worden. (S. Ausland.) * Nahe bei Tanger ist der Direktor Gautsch von der Compagnie Marocaine durch Räuber angegriffen worden. (S. Ausland.) * Nach dem „Standard" hat die russische Kaukasus- division Befehl zum Marsch an die afghanische Grenze erhalten, was mit der Dardanellenfrage Zu sammenhängen soll. (S. Pol. Tagesschau.) vir gtsrre ktalrsebatte. Auch die großen Tage des deutschen Parlaments finden bereits vor leeren Abgeordnctenbänken statt, während die Tribünen überfüllt sind. Ein schlimmes Zeichen, noch schlimmer, wenn man bedenkt, wie dila torisch der Herr Reichskanzler die Diätenfrage nach seiner gestrigen Rede zu behandeln gedenkt. Er sagte über diesen Punkt noch dem ausführlichen Oldenberg schcn Parlamentsbericht folgendes: Meine Herren, von zwei Seiten ist auch die Diäten frage berührt worden. Auf diese Frage werde ich heute nicht näher eingehcn. (Heiter keit.) Was ich nach Lage der Tinge über diese Frage sagen kann, habe ich schon einmal vor diesem hohen Hause dargelegt: das hat mein verehrter Nachbar und Stellvertreter Graf v. Posadowsky im vergangenen Winter wiederholt ausgeführt. Ich muff es mir also versagen, das so oft Gesagte zu wiederholen und die pro und aoutra mehr als einmal dargekcgtcn Gründe hier noch einmal durchzugehen. Ich glaube mir das nm so mehr versagen zu können, als auch in der Heu- tigen Debatte tatsächlich und prinzipiell nichts Neues über diesen Punkt vorgebracht worden ist. Es ist ins besondere nach meiner Empfindung kein durchschlagen der Grund dafür vorgebracht worden, dah wir die Diätenfrage pro hie et uune lösen müßten. Man kann im Prinzip der Gewährung von Diäten nicht abgeneigt und doch der Meinung sein, daff der g e g e n w ä r t i g e Z e i t p u n k t der Regelung dieser Frage nicht günstig ist, daß diese Regelung besser einem späteren Zeitpunkt Vorbehalten bleibt. (.Heiterkeit.) Im Prinzip nicht abgeneigt, aber in der Praxis ge schieht nichts. Da klang die Bülowsche Verheißung vor nun bald einem Jahre denn doch noch zuverlässiger. In zwischen hieß es bereits einmal, im Bundesrat sei man letzt der Frage näher getreten, und nachdem in Sachsen ein Thronwechsel stattgefunden, könne man auf Berück sichtigung der Reichstagswünsche rechnen. Also nunmehr ist wieder alles beim Alten. Der Bundesrat l>at die Reso- lutionen säuberlich zu den Akten gelegt und der Kanzler sagt, der Reichstag möge das bitte nicht übelnebmen. Es bedeute keinerlei Mißachtung. Freilich, als der Bun- desrat den 8 2 des Iesuitengesetzes aufhob, stellte es Graf Bülow so dar, als habe der mildherzige Bundesrat sich nur dem Drängen des ungestümen Reichstages ge fügt Wenn wir nun noch kurz hervorhcben, daß der Reichs kanzler über S ü d wc st a f r i k a ein Programm ent wickelte, das sicher in weiten vaterländischen Kreisen ge billigt werden wird, daß er für die Ansiedler warme Töne fand, Grausamkeit gegen die Eingeborenen verwarf und die Ernennung des Zivilgouvorneurs auf den Wunsch des Schutzgebietes zurückführte, so bleibt als wichtiger Bestandteil des Tages noch die Debatte zwischen Bebel und dem Kanzler übrig. Bebel, der sest Dresden dis kreditierte und anscheinend stark gealterte Genossenführer, sprach unlogischer als je. Auf alles und jedes ging er ein, wußte alles bester, hielt uns das demokratische Frank- reich als Muster vor, schimpfte auf Rußland und benahm sich also durchaus programmgemäß, so daß die Tribünen besucher auf ihre Rechnung kamen. Uebrigens wurde er erst gegen Ende, als er auf den Militarismus (774) zu sprechen kam, wirklich echt und wild. Alles Vorherge gangene war auch ini Ton ein matter Aufguß auf die „Lorwärts"-Leitartikel. Graf Bülow wahrte iu seiner Entgegnung seinen Ruf als Redner, wie insbesondere als Debatter. Er wies die Zurufe der Sozialdemokraten gelvaudt zurück und prägte anläßlich eines lapsu«, als er vom „A bge 0 rdneten" Dr. Liebknecht sprach und darauf hingewiesen wurde, daß es den nickff gebe, das Wort vom „durchgefallenen Ab geordneten Liebknecht". Auch hatte er einen guten Tag, der „Vorwärts" hatte ihm freilich brillant vorgoarbeitct. In zahllosen Hetzereien gegen Rußland Hatto ec sich bis zur Verleugnung seiner gesamten Wcltcmsckxmung ver stiegen und offen den Krieg gegen Rußland gepredigt. Heute freilich schämt er sich seines damaligen Treibens, versteht sich nur wegeu der darin enthaltenen taktischen Dummheit. Tas heutige Morgeublatt bringt einen Artikel „Wie der Reichskanzler zitiert", in dem glatt alles geleugnet wird. Nie habe der „Vorwärts" zum Kriege gegeu Rußland aufgcsordert. Sogar eine Statistik seiner Artikel wegen der Affäre des deutschen Fischerei dampfers „Sonntag" macht das Blatt auf, um seine .Harmlosigkeit zu beweisen. Diese Statistik beginnt niit dem 28. Oktober. Aber schon tagelang vorher, und zwar wegen des früher bekannt gewordenen Zwischenfalls von Hüll, hatte der „Vorwärts" wahre Brandartikel ge schrieben. Wir brachten damals, schon am 25. Oktober, einen Leitartikel: „Der „Vorwärts" erklärt Rußland den Krieg", und heute soll das alles nicht wahr sein. Der „Vorwärts" wendet dabei einen feinen Tric an: Weil der Kanzler ausdrücklich von der „Sorvntag"-Affäre gesprochen lxstte, glaubt der ^Dor- wärts" das Recht zu haben, seine schärferen vorher- gegangenen Hull-Artikel genau der selben Tendenz als nicht geschrieben zu betrachten. Zum Beweise dieser Tendenz sei hier ein Satz aus dem von uns damals speziell besprochenen Artikel zitiert: „Diese russische Barbarei zeugt so sehr von der beispiellosen Skrupellosigkeit Ruß lands, von seiner aberwitzigen Gewalt- tätigkcit. daß es endlich allerhöchste Zeit wäre, daß eine von nationalem Selbst bewußt sein erfüllte Macht diesen rus sischen Wahnsinnstaten ein Ende setzt e." Auch ein Beitrag zur „Vorwärts"-Moral. ver nittircd-iapanlrcde Krieg. Prallschüsse vor Hüll. Der russische General st ab gibt amtlich be kannt: Wie Gtmeraladjutant Ro schüfe st wensky zum Vorfall am 21. Okober in der Nordsee ergänzend nieldet, leuchteten, nachdem das Panzerschiff „Knjäs Suworow" sein Feuer schon eingestellt hatte, auf der linken Traverse des Panzergeschwaders zwei Scheiw werfer von den Kreuzern „Dimitri Donskoi" und „Aurora" aus. Darum gab aus Vorsicht, da die zu weit fliegenden und ricochetierenden (aufprallenden) Geschosse der Hinteren Schiffe unsere eigenen Schiffe hätten treffen können, der „Knjäs Suworow" das Signal zum Einstellen des Feuers, was auch unverzüglich gesckiah. Das ganze Schießen hat weniger als zehn Minuten gedauert. Durch drahtlose Telegraphie wurde festgestellt, daß der Kreuzer „Aurora" vcn fünf ricoche- tierenden oder zu weit geflogenen Geschossen getroffen worden »var, und zwar von drei 75 Millimeter- und zwei 47 Millimeter-Geschossen. Schwer ver wundet wurde der Geistliche und leicht ein Komman- dieur. Der Geistliche ist später in Tanger gestorben. Zur Beschlagnahme -er „Aalchar". Das auf dem Wege nach Philadelphia beschlag nahmte Schiff „Kalchas" ist, wie aus Tokio gemeldet wird, in Nagasaki eingetrcffen. Der Kapitän verweigert jede Auskunft, da das Schiff bis zur Ent scheidung des höchsten Prisenglerichts gegenKaution frei gegeben wurde. Die Ashlenlieferungen. Nach einer Londoner Depesche verlautet, daß die britische und die deutsche Regierung gemeinsam Schritts zur Verhinderung von Neutralitätsbrllchen bei Kohlen lieferung für die baltische Flotte treffen würden. Hierzu wird offiziös im „H. C." bemerkt: Die Mitteilung ist nicht zutreffend. Ein Zusammengehen Englands und Deutschlands war bisher in dieser Frage nicht not wendig. Für die Zukunft soll weiterhin jeder einzelne Fall von den beteiligten bezw. den betroffenen Staaten allein behandelt werden, sofern nicht beide Nächste gleichartig ein Interesse an der Erwägung des Falles haben. Dann allerdings könnte sich über diesen ein zelnen Fall ein Schriftwechsel zum Zweck einer gemein samen Erledigung «entwickeln. Die Angelegenheit des Cardiffer Dampfers „Kapitän Menzel" wird ohne Schwierigkeit beizulegen sein: das Schiff ist, wie erinnerlich, der baltischen Flctte vorausgefahren, hat Kohlen geladen und diese ohne vorherige Mitteilung an die Lieferstellen des russischen Geschwaders verkauft. Erst als es dieses Manöver wiederholen wollte, wurde aus Neutralitätsrücksichten cingeschritten. Japanische Lrregnng. Aus Tokio wird, durch englische Vermittelung, ge meldet, die Aufregung über die Unterstützung der baltischen Flotte durch die neutralen Mächte wachse. Die maßgebenden Zeitungen geben, so heißt es, dem allgemeinen Verlangen Ausdruck, daß die Regierung energisch handeln müsse. Sollten die russischen Schiffe in den Gewässern im fernen Osten Privilegien eingeräumt erhalten, die das überschreiten, was man unter Neutralität versteht, werde Japan sich wahrscheinlich nicht für verpflichtet er achten, die Neutralität der betreffenden Macht zu respek- iren, und es sei möglich, daß es hinter den neutralen Schiffen her seine Flottie in jeden Haien senden werde, dessen Neutralität durch das Verhalten des Feindes als verletzt betrachtet werden könne. Sollten die Russen durch Besetzung eines neutralen Gebietes sich einen Besitz für den fernen Osten zu schaffen suchen, werde Japan wahrscheinlich dasselbe tun. Man trifft besonders für die Flotte umfassende Vcrbereitunzen zuin Empfange des russischen Geschwaders. In Bezug auf diL Armee zieht man die Möglichkeit in Betracht, daß die Verbindung Japans mit der Halb insel Liautung abgeschnitten werden könnte; um die Zeit, wo die Flotte eintreffen könnte, würden die Truppen in der Mantschurei in den Stand gesetzt sein, ohne Verbindung mit der Heimat mehrere Monate lang den Krieg führen zu können. Dkc japanischen Kaufleute sehen voraus, daß die Ankunft der russischen Flotte den Post- und sonstigen Seedienst vorübergehend schädigen könnte. wla-ktvsftsk. Aus Tokio wird über London gemeldet, daß keine Aussicht bestehe, daß die Kreuzer des russischen Ge schwaders in Wladiwostok d;e Offensive wieder aufnehmen können. „Bogatvr" und „Gromoboj" seien kampfunfähig, „Rossija" könne sich nur schwer bewegen: außerdem beginne der Hafen zu ver eisen. Die Flotte Togo». Nach einer Meldung aus dem japanischen Kriegs hafen Sasebo führt daselbst die japanische Flotte eifrig Reparaturen aus. Die Panzerschiffe „Misaka" und „Asahi", die sehr beschädigt waren, sind bereits ausgc- bessert und haben das Dock verlassen : ebenso ist ein Teil der Torpedobootsflottille ausgebessert. In Dalny wird ebenfalls anhaltend gearbeitet. Die Flotte Togos wird hiernach vollständig bereit sein, den Kampf mit dem baltischen Geschwader aufzunehmen. Von -er Front. Ter Korrespondent des Bureaus „Reuter" bei der russischen Ostarmee telegraphiert am 3. De- Feuilleton. Die heilige Caeeilie. 43j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Und Annemarie liebte das Bild so sehr, war so stolz darauf! Jeden Tag freute sie sich über das Gemälde, hielt geheime Zwiesprach mit ihrer lieblichen Schutz heiligen, die sie selber war An den Maler des Bildes dachte sie nur selten und flüchtig, — viel häufiger an Hans Kühne, von dem man jetzt in Berlin zu sprechen begann, der auch in der „Familie" Anerkennung fand, seitdem er einen so günstigen Einfluß auf Frau Babette Ringhaupt ausgeübt. Es ging stetig aufwärts mit ihr, sie machte bereits kleine Auswhrten und suchte ihren Arzt in seinem Hause in der Corneliusstraße auf. Er wünschte es so, die Patientin war so weit gefördert, daß er sie nicht mehr besuchen durfte. Alle Vorschriften des neuen Retters in der Not wurden mit rührender Pünkt- lichkeit befolgt, die übrigen Aerzte, mit Ausnahme des alten Hausfreundes, abgeschafft, Onkel und Tante Ringhaupt nahmen jedes Wort Hans Kühnes wie einen Orakelspruch entgegen, und auch aus dem Munde aller übrigen Verwandten erklang sein Lob. Annemarie wunderte sich selbst zuweilen, welchen Anteil sie daran nahm, wie wohl ihr die Anerkennung des Jugend freundes tat, wie sie sich insgeheim in seinem neuen Ruhm sonnte! HanS Kühne hatte ihr keinen Besuch ab gestattet, er kümmerte sich nicht um sie, — Asta, die „einst weilen" ganz zu dem Bruder übergesiedelt war, kam auch nur selten nach dem hübschen Hause in der Kantstraße. Sie berichtete, wie gesucht Hans sei, wie besetzt seine Zeit, wie ihm kaum abends Muße zu seinen geliebten Studien bliebe. — Geselligkeit zu pflegen, sei für ihn ein Ding dec Unmöglichkeit! / ' '' Das Bild der heiligen Cäcilia erinnerte Annemarie auch an Hans Kühne, an ihre Mädchenzeit, da sie noch ganz und gar unter dem Scepter ihrer „Heiligen" ge standen hatte! Es war doch schön gewesen — schön! Waren wirklich so viel Disteln und Dornen unter den Rosen gewachsen, die damals ihren Lebenspfad um sponnen hatten? Sie konnte sie in der Erinnerung nickst finden, — sie sah immer nur im Geist die Rosen vor sich, atmete deren Duft ein Ach, streben, — lernen — studieren dürfen -- war es nicht doch das beste im Leben? Gewiß, sie sang auch jetzt noch gern und viel für sich, — aber cs fehlte ihr die Anregung, die Anerkennung, der rechte Sporn dafür! Die harmlose Freude, mit der sie als kleine Annemi Lombardi daheim in Garten und Wald ihr Liedchen geträllert, unbekümmert und unbe lauscht, die war ihr ganz abhanden gekommen und würde sich auch gewiß nie mehr zu ihr zurückfinden! — Der Gedanke aber, ihr Können zu verwerten, sich mit der Zeit vielleicht doch, wenn auch nicht auf dem Wege des Konzertgesanges, eine Erwerbsquelle daraus zu schaffen, flößte ihr eine ungeheure Freudigkeit ein. Ihre junge, feurige Seele bedurfte einer treibenden Kraft, an der sie sich berauschen konnte. In ihrer kurzen Brautzeit und während der ersten Wochen ihrer Ehe hatte sic sich eingeredet, es sei Oswald und ihre Liebe zu ihm, die sie innerlich beseelen, über sich selbst hinausheben müsse, — seitdem sie die beständigen Zweifel an seiner Begabung quälten, seitdem sie sehen mußte, wie unvollkommen er seinen Posten ausfüllte, wie die Kritik ihn tadelte, und mit Recht tadelte, hatte das schöne Feuer, das sie innerlich erwärmt, bedeutend nachgelassen. Sie empfand dies mit wahrer Pein, aber zu ändern vermochte sie es nickst. Während der letzten Wochen hatte sie eS sögar vermieden, die Scherwitz-Oper zu besuchen: ihr Ohr war zu scharf, ihr Geschmack zu gebildet, um die mannigfachen Mängel, welche die Kritik hervorhob, zu überhören, und wenn gleich Oswald sie nie um ihre Meinung fragte und nur immer in allgemein gehaltenen Ausdrücken über diese „blöde Herde" von Rezensenten schimpfte, so befand sie sich doch Wohler dabei, wenn sie lieber nichts sah und hörte und sich vollkommen neutral verhalten durfte. Wie anders hatte sie sich in der Theorie die Sache vor gestellt, — wie herrlich es sich ausgemalt, wenn sie in ihrer Loge sitzen, klopfenden Herzens lauschen und sich in Oswalds Triumphen, im reichlich gespendeten Beifall des Publikums sonnen würde, — wenn sie in Konzerten später seine Lieder singen uckd alles Lob mit ihm teilen dürfte! Nun, — vielleicht, vielleicht wurde doch noch einiges von all' diesem erreicht, — man kann nie wissen! Künstler sind unberechenbar! Wenn Oswald einen Stoff fand, der ihn ungewöhnlich anzog, be geisterte, — in einem einzigen Ansturm konnte er eine ungeahnte Höhe erreichen!. Nur ihn nicht entmutigen, ihn in Stimmung erhalten, seine Muse bleiben, die ihn lächelnd begrüßte, die ihm die Ueberzeugung gab, an seinen Stern zu glauben! — Für jetzt aber glaubte sie an ihren eigenen Stern, die kleine Komponistin! Sie hatte in einer modernen Gedichtsammlung ein paar Verse gefunden, — ein schlichtes, tief empfundenes Liebeslied, — wie geschaffen zu der reizvollen, Warmquellenden Melodie, die sie ersonnen. Sie sprach vor sich hin — sang vor sich hin, — schlich sich zum Flügel und probierte, — die Hände zitterten ihr, — zögernd, leise drückte sie die Tasten nieder .... ach, nein, — nein! Das tat es nicht! So mühsam mußte sie die rasch hingeworfencn, oft durchstrichenen Noten entziffern, — da wirkte es nicht — konnte nicht wirken! — Zurück zum Schreib tisch, — ein frisches Notenblatt genommen, — und das Ganze erst noch einmal deutlich und leserlich ab- geschrieben, — den Text daruntergesetzt! Blieb ihr denn noch so viel Zeit? Ach ja, ach ja, — es mußte! Stirn runzelnd, mit ungeduldiger Hand schob sie die beiden ominösen grauen Briefumschläge mit-den Firmenstempeln zur Seite, — weg jetzt mit des Lebens Sorgen und Mühen! — Nicht mehr viel hier zu sehen am Schreibtisch, — aber nun ist sie bald fertig. Erst noch Licht beordern? Unsinn! Ihr darf keine Minute verloren gehen! Dort am Flügel ist es Heller! Säße sie nur erst wieder dort! Endlich — jetzt! Zuerst gedämpft — mit halber Stimme, — allmählich lauter — mutiger, — die Be gleitung fester. Und da tönt die liebe Nachtigallen stimme durch das stille Zimmer, lockend und weich, — da hört sie es selber, — so ist es — so klingt es, — ihr erstes Lied! Sie nimmt die Hände von den Tasten, schlägt sie vor's Gesicht und weint! Seltsam — seltsam ist ihr zu Sinn, — stolz und demütig zugleich — zaghaft und stark, traurig und jubclvoll, — ach, was für eine süße Wonne ist das, sich sagen zu können: das ist dein Werk, das hast du geschaffen! Ist keiner da, der ihr Glück teilen kann? Muß sie das ganz allein in sich verschließen? Oswald, — ach nein, — der nicht, — der würde sich nur ärgern! Und sonst, — und sonst, .... nein, sie hat niemanden! Ihre Leute daheim, ja, die würden sich mit ihr freuen! Ter Vater würde ihr mit der zitternden Hand über den lockigen Scheitel streichen und sie sein geliebtes, begabtes Kind nennen, das von der Mutter auch diesen Reichtum geerbt! Ach, wo ist der Vater! Wie fern ist die alte Heimat! Noch einmal wacht das süße Lied auf! Wie Wort und Melodie eines sind, — ineinandergegossen, als ge hörten sie für allezeit zusammen! Wenn ihr der Frauen chor ebenso glückte nun, der ist schwerer! Aber auch für ihn hat sie schon die Worte, — cs ist ein weh- wütiges Schifferlicd, es handelt von Scheiden und Meiden, vom Ziehen über's weite Meer, — mit immer wiederkehrendem Refrain: „Daß Gott dich behüte! Fahr' wohl!" Ach, wenn sie eine Stunde nur »och für sich hätte, — eine einzige Stunde! Diese weiche, hingebungsvolle, nachzitternde Stimmung, die muß ja fruchtbringend, günstig sein! —> So stürmisch preßt ihr Finger sich auf den Knops der elektrischen Leitung, daß Pauline mit
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