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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040616026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904061602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904061602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-16
- Monat1904-06
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Rrdaktionsstrich (»gespalten) 75 -H, nach den Familirnnach- richten («gespalten) 50 Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertrnannahme 85 Grtra-Vetlagen .gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrderung 60.—, mit Postbesörderung 7Ü>—. Aunahmeschlutz zur Auzetgr«: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgea-Au-gabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig (Jrch. vr. B., R. L W. Kltukhardt). «Mer. TllMaü Anzeiger. Amtsblatt öes ÄSmglichcn Land- «nd -es Aöniglicljen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd des Volizeiamtes der 2tadt Leipzig. vsr lvicdligtte vom läge. ' Nach langen Verhandlungen ist cs durch das Ent- gegenkonnnen der bcteiliaten Kreise gelungen, an der Universität Leipzig einen Allgemeinen Stu- dentenauSschuß ins Leben zu rufen. (S. Leipz. Angelegenheiten.) * Das Kaiserpaar traf heute früh 8 Uhr in H o m b u r g v. d H ö h e ein und begab sich zunächst nach der Saalburg. (S. Deutsches Reich.) * Der K ö n i g v o n D ä n e m a r k ist von Gmunden in Wien eingctroffen. * Nach Meldung aus Tokio sind drei russische Kriegsschiffe, die auf der Straße nach Tsuschima kämpften (vielleicht das Wladimostok-Gcschwodcr), vom Admiral Kamimura aufgebracht worden. ver Kampf «m Oie Schule. Das Organ des Freiherr« von Zedlitz „Die Post" ist mit der lauwarmen, mattherzigen Erklärung des natio- nalliberalen Zentralvorstandes in Sachen des Schnl- antrags ungemein einverstanden. Das Blatt freut sich darüber, daß die Nationalliberalen sich durch die „Hetze- rcien" gegen das Schnlkompromiß nicht beirren lassen, und hält an der Hoffnung aus eine Verständigung fest. Mit anderen Worten: die Konservativen sind fest über zeugt, daß die nationalliberalen Führer trotz aller Vorbe halte mitmachen werden, um später sagen zn können: „Und wir waren auch dabei!" W i r haben keinerlei tak- tische Rücksichten zu nehmen, sondern nur auszusprechen, wie es uns ums Herz ist, und wir haben uns bereits nn- zweideutig zu dem Standpunkt bekannt, daß wir cs lieber sehen, wenn die nationalliberale Partei sich der gesetz geberischen Tätigkeit in diesem Falle enthält, als wenn sic zu einem schlechten Gesetz ihre Zustimmung gibt, um nur ja nicht „ausgeschaltet" zn werden. Wir haben auch gar keinen Grund, die Tatsache zn verschleiern, daß zwi - schen dcnFührern der Partei und der Partei selbst durch das unbegreifliche Vorgehen der ersteren ein klassen do rGegcnfatzgcschaffcn ist. Uebrigens können wir schon jetzt nut Bestimmtheit voraussagen, daß die Formulierung des Gesetzes im kon servativen Sinne auSfallen und unsere schlimmsten Be fürchtungen bestätigen wird. Es wird dann den Herren Friedberg nnd Genossen nichts weiter übrig bleiben, als einen verspäteten eiligen Rückzug anzutreten. Sonderbar gcbt's in der Welt zu! Während in Preußen die Nationallibcralen der Orthodoxie die Schule ausliefern, nimmt in Württemberg die Negierung mit den Liberalen die Fehde aus gegen die reaktionären Ele mente des Staates. Bekanntlich hat die württembcrgische Regierung im April 1902 einen Gesetzentwurf cinge- bracht, der die dortigen Schulverhältnisse heben sollte. Er wurde am 11. Februar '1903 von der Kammer an genommen. Aber man hatte die Rechnung ohne die Zu- stimmung der Standesherren gemacht: diese beschlossen, daß die Schulaufsicht lediglich in den Händen von Geist lichen liegen dürfe, und mit diesem Beschluß war der Ge setzentwurf beseitigt. Ter Ministerpräsident Or. v. Breit ling gab eine Erklärung ab, die sich mit Energie gegen die Ablehnung des Gesetzentwurfes verwehrte und der König selbst trat in einem Schreiben an den Minister für Kirchen- und Schulwesen offen für den Schulgesetzentwurf ein. Die Zentrumsgruppe natürlich triumphierte über die Ablehnung. In Württemberg gibt es nach der letzten Volkszählung 1497 399 Protestanten und nur 650 311 Katholiken. Gleichwohl verhindert die katholische Mehr heit der ersten Kammer jeden Fortschritt der Gesetzgebung und die Württembcrgischeu Standesherren, die zum großen Teil der Geburt nach gar keine Württemberger sind, bestimmen über die Entwickelung der Landesschule. Unter diesen Umständen wird die Regierung sich ent schließen müssen, den Kamps gegen die Kammer der Standesherren aufzunehmcn und man wird die Ver- fassungsrevision in ganz anderer Weise als bisher in den Vordergrund rücken. Tie Verhältnisse sind umso schwie riger, als die vier katholischen Prinzen des Königshauses mit dem katholischen Thronfolger Albrecht an der Spitze, der Verhandlung fern blieben und man es hier also mit einer „Kronvrinzenopposition" zu tun hat. Unter diesen Umständen ist cs nicht unmöglich, daß Württemberg sich heute am Beginn schwerer innerer Wirren befindet. ver ruzsizch-japanirche Weg. Au» Arthur. unv. Köln, l6. Juni. (Eigene Meldung.) Der „Köln. Ztg." wird aus Petersburg gemeldet: Nach einer Draht meldung vom 12. Juni steht in Port Arthur alles gut. Vor läufig rechtet sich die Aufmerksamkeit auf Pulandian, welches Vie Japaner eifrig befestigen. Zwei Offizieren gelang es, wie dem „Nuß" aus Lians ang telegraphiert wird, durch die Reibe» der Japaner von Port Arthur auszubrechen und glücklich Liaujang zu erreichen. Bier Tage brauchten sie um unbe merkt durch die Ketten der japanischen Poften zu schleichen. Wie die Offiziere berichten, bewachen die Japaner scharf den Zugang zu Port Arthur. Alle 50 Schritte stehen Posten. * Tschifu, 15. Juni. (Meldung des Reuterschen Bureaus.) Ein hier cingetroffener russischer Kaufmann erklärte, daß Port Arthur gut verproviantiert sei; cs befänden 0000 Stück Schlachtvieh dort. Das Haus, zu dem er gehöre, habe der Regierung kürzlich 00 000 Pfund gesalzenes Fleisch geliefert, auch andere Häuser hätten zur Verproviantierung der Stabt beigetragen. Der Kaufmann schützt die Zahl der Menschen in Port Arthur auf 50 ooo. Bericht des Admirals Logs. * Tokio, 15. Juni. Admiral Togo berichtet, daß die japanischen Torpedobootflottillen in der Nacht des 13. Juni nach Port Arthur fuhren, wo cs ihnen gelang, an ver schiedenen Punkten Minen zu legen' und wohlbehalten zurückkehrten. Am 14. Juni mittags, als die zweite japanische Torpedobootszerstörcr - Flvtillc und drei Tor pedobootsflottillen den bei S ch a u p i n g t a u am vande befindlichen Feind beschossen, um dre Rekognoszierung seitens unseres Heeres zu erleichtern, kam der Kreuzer Nowik mit 10 TorpevobootSzerstorern plötzlich aus Port Arthur heraus und e« wurde heftiges Feuer von beiden Seiten gewechselt. Unsere Flottillen ver suchten durch allmähliches Zurückgeben den Feind werter- zulocken, doch zog sich der Feind um 3 llhr nachmittags zuruck. Auf unserer Seite ist keine Beschädigung zu verzeichnen, llm 4 llhr nachmittags desselben Tages vernahm man auf dem Kreuzer Tschitose eine Explosion sowie Geschutzfeuer m der Richtung von Port Arthnr. Au» -em Hauptquartier -e» General» Tluroki. * London, 15. Juni. Das „Reutersche Bureau" empfing von seinem Berichterstatter im Hauptquartier des Generals Kuroki heute über Fusan folgende, kein Datum tragende Depesche: HecUe wird gemeldet, daß der Feind, der sich vor der zweiten japanischen Armee befindet, an Zahl zuinmint. Die beiderseitigen Streitkräfte kommen einander näher und eine Schlacht wird erwartet. An ver Front der ersten japa nischen Armee hat seit dem 12. Juni kein Kamps stattgefunden. An jenem Tage wurden zwei russische Kompagnien aus Wutaon vertrieben, lvvbei sie zivüNHig verloren, ^ie ,/iu^en haben mit kleinen Abteilungen folgende Punkte wstder besetzt: Tungjengpu an der Straße »ach Liaujang, Simingtsu an der Straße nach Lienfcbangkwan und Santfchiatsu an der Straße nach Haitscheng. Aämpfc uiit -eu, Wladiwostok«Geschwader. * Tokio, 15. Inni. (Meldung des Reuterschen Bureaus.) Eine noch unbestätigte Meldung besagt, daß der japanische Kreuzer Niitaka unweit der Insel Tsusima mit dem russischen Wladiwostok-Geschwader in Kamps geraten sei. — Bei der Insel I k i be ¬ gegneten heute zwei nach Japan zurückkehrende -vranS- portdampser russischen Kriegsschiffen; letztere verfolgten die Dampfer und gaben 17 Schuß auf sie ab, doch gelang es ihnen, den Hasen Katsumoto auf Jki zu erreichen. Ferner trafen heute früh die Transportdampfer, die vom Hafen Schimon oseki aus Japan verließen, außerhalb ter Koreastraße auf russische Kriegsschiffe. Die Russen feuerten 18 Schuß auf die Dampfer ab. Einer der Transportdampfer ist entkommen, das Schicksal der beiden andern ist noch nicht bekannt. Die Marinekrecse in Safe ho halten eine See schlack,t für nahe bevorstehend. Köln, lO. Juni. Die „Kölnische Zeitung" meldet aus Tokio von gestern: Drei russische Kriegsschiffe, die auf der Straße nach Tsuschima kämpften «vielleicht das Wladiwostok geschwadcr) wurde vom Admiral Kamimura aufgebracht. Lolilirrde cagerrcba«. * Leipzig, 16. Juni. Tas Phantom des ewigen Friedens. Beim F r a u e n l o n g r c ß , bei dem sehr viel ge redet wird, ohne daß die Reden ihrem Inhalte nach eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnisse oder eine Ausgestaltung unserer Weltanschauung zu bieten ver mögen, hat sich nun auch die berühmte Friedenskämpfe- riu Frau B a r o u i u v o >> S u t t n e r eiugefundeu und hat wieder einmal gegen den Krieg gepredigt nnd für den Frieden geschwärmt. Der Krieg, so hörten wir, sei die grüßte Geißel, die der Mensch sich geschaffen, die Sanktion der Ungerechtigkeit, und an die Stelle der Unterdrückung und Gewalt müsse Recht und Freiheit treten. Sie hat die Befreiung der Frau, die Entknech- tung der Menschheit, milde und mächtige Männer und mutige denkfähige Frauen gefordert und, wie man aus den letzten Worten sieht, eine ziemlich durchgreifende Um- Wertung vollzogen. Bisher sollten die Frauen mild und die Männer mutig sein, jetzt liest mans anders. „Rechter Hand, linker Hand, beides vertauscht." Die Geschlechter sollen die Eigenschaften ablegen, die ihnen seit Menschen gedenken zugesprochen werden, und Frau von Suttner konstruiert einen neuen Adam und eine neue Eva. Tic Rührigkeit und Zähigkeit dec Frau Baronin ist ja aller Ehren wert. Ihre Begabung war nie sehr erheblich, und sie wäre, wenn sie nicht eine allen guten Seelen bequeme Tendenz gepredigt hätte, niemals aus der ungeheuren Schar der schreibenden Mittelmäßigkeiten herausge- treten. Ihren, Phrafengeklingel zuzuhören, hinterläßt nur eine tiefe Müdigkeit. Dennoch muß immer wieder gegen ihre Sermone protestiert werden. Der Boercn- tricg und der ostasiatischc Krieg beweisen jedem, der Augen hat zu sehen, daß das Zeitalter des ewigen Frie dens noch nicht angebrochen ist. Das Erwachen der gelben Rasse, die in den Japanern völlig ungeahnte kriegerische Qualitäten an den Tag legt, kann unüberseh bare Konsequenzen heraufsühren: in einer solchen Zeit, die zur Zusammenfassung aller Kräfte, zur Anspannung aller nationalen Energien mahnt, vom Frieden zu reden, als müsse er morgen triumphierend einziehen, ist wirklich namenlos kindisch. ES ist aber auch nicht ungefährlich, für Deutschland zumal nicht ungefährlich, da unsere geo graphische Lage uns mehr als jeder anderen Nation die Pflicht auserlegt, gerüstet zu sein, und da außerdem die internationale Konstellation ganz danach angetan ist, uns Wachsamkeit und Bereitschaft zn empfehlen. So, wie die Dinge heute liegen, ist es die Pflicht aller Patrioten, aller Verweichlichung nnd Verweibischung der Nation und der deutschen Politik energisch entgegenzuwirken. Und darum muß die Beredsamkeit der Frau von Suttner als schädlich und irreführend bekämpft werden. Der Verruf in sozialdemokratischer Theorie und Praxis. Bekanntlich hat die Regierung dem preußischen Abge ordnetenhaus,) in dieser Session einen Gesetzentwurf vor gelegt, welcher dem immer mehr um sich greifenden .Kontraktbruch der ländlichen Arbeiter Einhalt tun soll. "Nun hat die Sozialdemokratie jetzt, wo der Reichstag schon in den letzten Zügen liegt, noch eine Demonstration veranstaltet. Sie hat den Reichskanzler interpelliert, was er zn tun gedenke, nm dem Bundesstaat Preußen gegenüber die Reichsqesetzgebnng zur Geltung zu bringen, die nach Ansicht der sozialdemokratischen Fraktion durch die Einbringung des Kontraktbruchgesetzcs verletzt ist. Eine praktische Folge wird diese Interpella tion nicht haben, weil der Reichskanzler ganz einfach die Voraussetzungen, von denen die sozialdemokratischen Interpellanten ansgchen, als irrig bezeichnen wird. Wir würden also der Sache gar nicht näher treten, wenn nicht einige Sätze der Begründung interessant wären, welche der sozialdemokratischen Interpellation beigegeben ist. Hier wird nämlich konstatiert, daß der preußische Ge- entwnrf Vorschläge enthält, welche geeignet sind, land wirtschaftliche Arbeiter nnd Dienstboten in Verruf zu erklären nnd Arbeitswillige zu hindern, in Arbeit zu kreten. Tie sozialdemokratische Fraktion hält also in der Theorie die Vcrrnfscrklärung nnd die Vergewaltigung Arbeitswilliger für etwas Gesetzwidriges. Dem gegen über bemerkt die „Bresl. Ztg." mit vollem Recht, daß die Sozialdemokratie in der Praxis bekanntlich ganz andere Feuilleton. 3s Mein Männe. Eine Novelle von Eduard Engel (Berlin). Nachdruck verboten. Aus dem Topfe konnte er nicht trinken. Aber ich merkte, wie ich zunehmend erfinderisch wurde. Schnell Gelbchens kleinen porzellanenen Trinknapf abgchakt, ausgespült, mit der schon halb gewärmten Milch gefüllt und dann meinen Ammendienst angctretcn. ES ging schlecht, ein gut Teil der Milch troff nebenher auf das Tigerfell, aber es ging doch. Ach, wie sie ihm wohl tat, Konsistorialrats fromme, ungewässertc Milch! lind wie das wohl tat, daS verhungerte Bübchen trinken zu sehen, wohl bis ins Herz hinunter, als tränke ich selber etwas Warmes, Heißes, so heiß, daß mir das Wasser in die Augen trat. Er schluckte, verschluckte sich, prustete ein wenig und schluckte sich wieder zurecht. Das eine Näpfchen war im Nu geleert, bald ein zweites, ein drittes. Konnte es ihm nicht schaden, wenn er nach dem langen Hungern so gierig und so viel auf einmal trank? Aber mir fehlte der Mut, ihm nicht wieder und wieder das Näpfchen zu füllen, so lange seine großen, dankbaren Augen sprachen: Mehr! Da trat die Lene ein, frech, ohne anzuklopfen: „Ich bin fertig, nnd nun zieh ich." Ich wußte, was sie damit verlangte. Ihr Vierteljahrslohn lag abgezählt samt ihrem Dienstbuch auf dem Tisch. Wir waren schnell mit einander fertig; der Portier half ihr den Koffer hinunter tragen auf die „Ziehdroschkc". Ich stand am Fenster und sah ungeduldig zu, wie die Einschiffung erfolgte. Ein Seufzer der Erlösung entrang sich mir, als die Droschke langsam davonrumpeltc. Solange das Ungetüm im Hause gewesen, war meine Freude an den, kleinen Gast mit Bitterkeit und Angst gemischt. Erst jetzt konnte ich mich seiner ans Herzenskräften freuen. Jawohl, freuen! Gott, wie mir das drollig vorkam. Und war doch so selbstverständlich, so unwiderstehlich! Eine Freude, wie auS meinen Eiugeweiden heraus. Hatte ich das je zuvor empfunden? Nie, in keinem Augenblick meines Lebens. Nicht als sie mich mit fünfundzwanzig Jahren zum Professor machten — und damals hatte ich mich gefreut —, nicht als ich den großen Siegelbrief von der Akademie aufgcbrochen, vor zwanzig Jahren, der mir meinen Sieg in der Prcisbcwerbung über den „Aorist im Prakrit" verkündete. Mir war, als sei mir ein neues, größeres, wärmendcres Herz unter dein Brust korb aufgequollen. Und dieses Würmchen hatte ich vor kaum einer Vieterlstnnde gescholten, eS „Bastard" geschimpft! Hier in diesen! selben Zimmer. Ich war nahe daran, es um Entschuldigung zu bitten mit irgend einer plumpen Lieb kosung. Da wandte es das Mündchen vom leeren Napf zur Seite nnd streckte mir ein Stückchen Zunge aus. Ver gessen hatte ich das Gefühl des Nergers, nachher zur Polizei gehen zn müssen. Das hatte gute Wege. Es war doch eigentlich ein famoser Zufall, daß die scheußliche Kreatur von Mutter dieses süße Menschlein gerade bei wir aussctzen mußte! Ich hatte von verworfenen Geschöpfen gelesen, die ihre Kinder in Hausflure oder gar vor die Haustüren hinlegen. Im Grunde hatte diese Cäcilie Wirzbinska noch verhältnismäßig brav gehandelt, daß sie nicinen Männe nicht irgendwo auf einer der vier Trevven verloren. Und daS Umschlagctuch hatte sie ihm auch zu- rückgclaisen. Und jetzt irrte sic in dem dünnen, flattern- den Kleide draußen umher; mein Thermometer zeigte auf 13 Grad Celsius unter Null! Wie eine Beruhigung fiel mir ein, daß bei dieser Kälte der Kanal zugefroren sei, da können sic wenigstens sich nicht ertränken. Und wie vor einer Viertelstunde sah ich sie dort in der offenen Türe niit ihrem lächerlichen - rührenden Pockennarben gesicht, mit ihren tiefliegenden großen Augen und dem scraffgezogenen Umschlagetuch, darunter sie das Kind ver borgen hielt! Ich glaube, ich hätte jetzt etwas drnin ge- geben, könnte ich sie leibhaftig dort Wiedersehen. Welch' Spiel der Natur: solch' eine häßlickie Mutter und dieses bildschöne Kind! Tenn schön war es, schöner als alle heiligen Bambini und Engclcin, die ich je auf Bildern gesehen. Blaßgoldigc Härchen kräuselten sich zn lustigen Locken um das kugelrunde »veiche Köpfchen, bis hinab zum rosig-weißen Hälschen init den vergnügten kleinen Fettfalteu. Tic zarte, glänzende Haut an Brust und Schultern zuckte von Zeit zn Zeit in leisen Schauern unter dem Kitzel hcrabsinkcnder Milchtröpfchen, die an seinen Mundwinkeln, hingen, da, wohin die kleine Lecker zunge nicht reichte. Und so artig! Ich hatte gefürchtet, der kleine Mensch werde am Ende irgend eine kleine Menschlichkeit begehen aus der kostbaren Tigcrdecke; aber sollte ich ihn deshalb von seinem weichen Lager .eißen? Doch er tat nichts dergleichen, sondern blieb der vollendete kleine Gentleman, so lange meine Tigerdecke heute die Ehre hatte, ihn zu betten. Ohne zu schlafen, hatte er die Augen vor innerem Be hagen geschlossen, und wenn er sic dann stillzufricden wieder einmal aufschlug, sah er mich an, als seien lvir seit undenklichen Zeiten die vertrautesten Freunde. Horch! Da schmetterte das beruhigte Gelbchen hell auf sein Morgenlied, und zugleich strahlte die rote Wintersonne wie ein breites Goldband durch die Fenster und übergoß mit einem glühenden Schein des Kindes nacktes, rosiges Körperchen. Bei Gelbchens ersten Noten hatte meine Männe das Köpfchen dem Vogelbauer zugcdreht und gelauscht. So etwas hotte er gewiß sein Lebtag nicht gehört. Weit auf riß er die neugierigen Augen nnd sah mich fragend an. — Fragend, ohne zu sprechen? Das konnte man also? Gewiß, das konnte man, konnte Männe, und was konnte er nicht noch alles? Was wir Philologen für Aufheben machen von der Sprache, von dem, was wir allein unter Sprache verstehen I Es geht auch ohne, verehrte Kollegen, und zwar vortrefflich! Das Kind verstand mich und ich verstand eS. Gott, lernt sich das schnell! Ter Vogel hatte eine kleine Singpause gemacht, und im selben Augenblick hatte niein Junge seinen glücklichen Ausdruck geändert. Satt war er, aber cs fehlte ihm etwas. Und sogleich flog es über sein Gesicht wie Sonnen schein über ein Blumenbeet, sobald Gelbchen aufs neue losschmetterte. Ich saß auf dem unteren Ende der Chaiselongue und Hatto mich über das Kind gebeugt. „Ae—äh", stöhnte eS vor Lust und griff mit den Händchen zu mir herauf. Ich bog mich näher, ich war doch neu gierig, was es anstifteu möchte. Da hatte es schon mit allen zehn Fingcrchen meinen Backenbart gepackt und zerrte daran mit „ä" nnd „äh", daß ich nahe daran war, vor Schmerz anfznschreien. Und doch brachte tch es nicht über mich, seine kleinen Krallen zu lösen. Kurze, weiche Fingerchen mit so wunderniedlichen, durchsichtigen Nägeln dran. Wie sie dies neue Spielzeug, den Backen bart, fest packten! Und da hatte die eine Hand des Spiel zeugs noch viel mehr entdeckt und bohrte sich in meine Nase oder zur Abwechselung in meine Augen. Und damit nichts ihm fehle, griff er zu meiner Genugtuung mit beiden Händen nach der blanken baumelnden Uhrkette, was mich auf den guten Einfall brachte, ihm die Uhr an das durchschimmernd rosige Oehrlein zu halten. DaS lvar der Wunder zu viel auf einmal, zu viel des Glücks: ein sonniges Lächeln überglänzte fein holdes Gesichtchen, und ehe ich wußte, wie es gekommen, batte ich ihm den feuchten Mund, die Nase und die Augen geküßt. Oh, wie er da losprustete, zweimal, dreimal: mein stachlichcr Bart mußte ihm in die Quere gekommen sein. (Schluß folgt.)
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