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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1928
- Erscheinungsdatum
- 1928-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192812152
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19281215
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19281215
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1928
- Monat1928-12
- Tag1928-12-15
- Monat1928-12
- Jahr1928
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1928
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SMwMIHerMlllWM. Bon vilhjalmur GtefanSson. Varum immer wieder Polarexpeditipnen, fei'» zu Schiff, sei» mit Schlitten oder im Flugzeug? Warum immer wieder der Wettlauf »um Pol? Wenigen Erfolgen steht eine lange Totenltste gegenüber. Franklin und ve Long, Scott, Amundsen und Malmgren und viele andere sind erfroren und verhungert im Kampf um — einen Punkt, um eine mathematische Abstraktion. War das Ziel dieser Männer die Hissung einer Flagge, die Befriedigung sportlichen Ehrgeizes? Dafür allein hätten sie da- große Interesse und die Unterstützung der Allgemeinheit nicht gefunden. Um nur eine» herauSzugretsen: Die für jeden einzelnen bedeutungsvolle Wetterkunde hat reiche An regung aus den mitgebrachten Aufzeichnungen der For scher geschöpft. Noch wichtiger jedoch ist die Kenntnis der -Länder der Zukunft", des „Neuland» im Norden", der Randländer der Arktis, Alaska, der Kanadischen Inseln, NordkanadaS, Spitzbergens und Sibiriens. Vilhjalmur Stefansson, der geniale „Reformator der Polarforschung", dessen Urteil in diesen Dingen besonders schwer wiegt, weil er jahrelang im angeblich unfruchtbaren Norden nur vom Land gelebt hat, erklärt in seinem neuen Buch, bei Brockhaus erschienen, „Neuland im Norden. Die Be deutung der Arktis fitr Siedlung, Verkehr und Wirtschaft der Zukunst", «Deutsche Bearbeitung von Dr. Hermann Rüdiger), das- Mensch und Tier in diesen Gegenden unter erstaunlicherwc.,.' günstigeren Bedingungen existieren kön nen als in den Tropen. Tierzucht, Bergbau und Luft verkehr haben dort noch eine sehr große und in ihren Voraussichtlichen Ausmaßen nur von den wenigsten ge ahnte Zukunft. Wieviele denken z. B. daran, daß der kürzeste Weg von Berlin nach Tokio nördlich an Archangelsk vorbei oder der nach Frisko über das mitt lere Grönland führt. Man könnte das für die Menschheit sich einmal lebenswichtige Buch Stesanssons auch nennen: Gestern Hirngespinst, heute ernsthafter Plan, morgen Wirk lichkeit. Der nachstehende Abschnitt gebe unseren Lesern einen Einblick in eine der vielen Probleme, die der Nevo- Kltionär der Polarfvrschung anschneidet. Zu Beginn der Kolonisierung einer Landes dienen daS Meer und die Flüsse als Verkehrswege, und sie sind es auch, die die Lage der Handelsmittelpunkte bestimmen. Alaska hat mehr als die dreifache Größe des Deutschen Reiches, aber es gibt keinen Punkt deS Landes, der mehr als 800 Kilometer von der Meeresküste oder den Ufern des Nukon entfernt wäre. Hier und da ist ein Viehtrieb unmöglich wegen der vorgelagerten Wälder, aber über- all dort, wo Grasländer sich ausbreiten. ziehen ste sich in irgendeiner Mchtung ununterbrochen bis zur Meeres küste hin. Zweifellos werden auch die Eisenbahnen an der Er schließung Alaskas einmal teilhaben, aber hinsichtlich der Renntiergroßzucht werden ste noch auf lange Zeit hrnaus mehr eine Annehmlichkeit als eine Notwendigkeit sein. Zwei Umstände waren es, die mich im Jahre 1919 dazu bestimmten, mich lebhaft für die Einführung zahmer Remitiere in Kanada einzusetzen: der Erfolg »es ent sprechenden Versuches in Alaska und meine Ueberzeu- gung, daß das Klima aller Nordgebiete Alaskas nickt nur tatsächlich das gleiche ist wie in Alaska, wo die Renn tiere sich üppig vermehren, sondern auch das gleiche wie in Manitoba und im kanadischen Mittelwesten, wo heute große Städte und ausgedehnte Landgemeinden blühen. Ueber zwanzig Jahre hatte ich in dem Klima Norddakotas und Manitobas, mehr als zehn Jahre in den Polargebieten gelebt, und ich wußte: man kann nicht das eine Klima lieben und das andere verabscheuen! Das ganze Problem der Besiedlung Nordkanadas löst sich eigentlich von selbst, und die Lösung heißt: Menschen Von dem Schlage, die heute gewillt sind, in Manitoba und Dakota zu leben, die Mittel zum Lebensunterhalt zu schaffen. Bergwerke, Petroleumguellen, viele andere Hilfsmittel sind im Hohen Norden vorhanden Aber die Grundlage für die dauernde Besiedlung eines jeden Lan des ist die Nahrungserzeugung an Orr und Stelle. Nur darauf kann sich eine seßhafte Bevölkerung aufbauen, nur darauf Industrien entwickeln, die, wenn auch sie auf der Ausbeutung der Bodenschätze beruhen, nicht gedeihen können, wenn alle Nahrungsmittel von weither herbei- geschafft werden müssen. Deswegen ist die Entwicklung der Nahrungserzeugung notwendigerweise der erste Schritt für den Ausbau der Bergwerke und Petroleumfelder. Die größte Gefahr wird in Kanada von den unglaub lich großen Herden der Karibus drohen. Einige Sach verständige behaupten, man könne in jedem Jahr den zehnten keil der Renntierherden mit »anvu» nutz- füllen. DaS wird sogar für die zahmen Tiere einen Vov- teil mit sich bringen; sie werden an Körpergröße zu nehmen, weil die Karibu» größer sind. Daneben be deutet ja auch jede« zu der Herde hinzukommende Kartbu rein zahlenmäßig einen Gewinn. Wenn jedoch eine große Anzahl wilder Tiere, sagen wir SO bis öl) v. H, in eine zahme Herde eingereibt wird, so ist man allgemein über zeugt, daß die Herde völlig »«lenksam werden wird. Daraus kann man folgern, daß ein« Herde von ein paar Tausend rahmen Tieren, die mit einer Herde von vielen tausend wilden Tieren in Berührung kommt, verloren ist. ES gibt Leute, die da sagen, jetzt sei e» nicht an der Zett die Erschließung neuer, fleischerzeuaender Länder zu betreiben, zumal Rind- und Hammelfleisch niedrig im Preise stehe. Eine derartige Ansicht blickt nicht über die nächsten zehn oder zwanzig Jahre hinaus. Sie wird von denen vertreten, die all das für unnötig und wertlos an sehen, wa» nicht „in absehbarer Zeit" Dividenden abzu werfen verspricht. Wer aber das unerbittliche Anschwellen der Bevöl- kerungSzunahme unserer Erde sieht und lieber zu denen zählen will, die Eichbäume pflanzen, um kommenden Ge schlechtern Schatten zu spenden, der darf sich den Beweg gründen für die Entwicklung des Nordens nicht verschließen. Wenn aber die meisten Kapitalisten nicht zwanzig Jahre in die Zukunft Vorausblicken können um ihre» eigenen Vorteil» willen, so braucht sich meine» Erachten» auch der DurchschnittSfarmer nicht darüber zu ängstigen, daß brnnen zwanzig Jahren da» Renntiersleisch de» Nordens den Preis des von ihm erzeugten Rindfleisches drücken könnte. Zweifellos wird der Preis für Rindfleisch in zwanzig Jahren höher sein als heute, wenn auch daS Renntiersleisch verhindern dürfte, daß er noch höher steigt, al» er eS sowieso schon tut. Auf Grund von Schätzungen, die heute allgemein al- richtig anerkannt werden, bezifferte man die Bevölkerung der Erde um daS Jahr 1800 aus 1000 Millionen, während man sie heute auf IV« Jahrhunderten nahezu verdoppelt. Gelingt es weiterhin, wie in den lebten Jahrzehnten, die Säuglingssterblichkeit zu verringern, die Lebensdauer zu verlängern, sowie Hungersnöte und Seuchen einzudämmen, so dürfte innerhalb des nächsten Jahrhundert» eine aber malige Verdoppelung der Erdbevölkerung als wahrscheinlich anzunehmen sein. A. Penck hat ja berechnet, daß schon in hundertfünzig Jahren die größtmögliche Bevölkerungs zahl in den gemäßigten Breiten, rn etwa dreihundert Jah- rön die höchstmögliche Menschenzahl auf der ganzen Erde, die er auf rund achttausend Millionen schätzt, erreicht sein dürfte. Diese Zahlen und Entwicklungen müssen wir uns vor Augen halten, auch beim Aufstellen der Pläne zur Er haltung und Erschließung unserer Nahrungs» und Feue rungsreserven. Zwar behaupten manche, daß wir lange vor dem Jahre 2000 die Kraft des Atoms entfesselt haben, daß wir kein Petroleum mehr benötigen und dann sicher längst gelernt haben werden. Nahrung unmittelbar aus der Luft zu ge winnen, also Schweineställe und Weizenfelder ruhig ent behren können. Das ist immerhin möglich, aber es schadet nichts, zwei Eisen im Feuer zu haben und rechtzeitig Pläne zu schmieden hinsichtlich der Ersparung von Brenn stoffen und der Erzeugung von Nahrungsmitteln, damit wir einige Vorräte haben für den Fall, daß sich die Träume unserer Chemiker nicht so rasch verwirklichen, um mit dem Bevölkerungszuwachs Schritt zu halten. - I« MMNWNM »»»se!»k MMWe WWsM. Lw. Die Raupen des Schwammspinners (Ocucria disparj gehören tatsächlich mit zu den größten Schädlingen Ser Obstbäume. Sie fressen vom Mat bis August an den Blättern, Knospen, jungen Trieben und Blätter« sämt licher Obstbäume, Beerensträucher, Reben, ferner der Pap peln, Buchen, Erlen, Birken, Weiden. Ja sogar Nadel hölzer verschmähen ste mangels besseren Futters nicht und selbst auf Erdbeeren haben ste es abgesehen! Ganze Obst plantagen und LaubwälSchen sind schon von ihnen kahl ge fressen worden, wenn ste einmal massenhaft austraten. Man erkennt die Ranpe im Sommer leicht an dem graubraunen Leib, -er zu beiden Seiten der Hellen Rücken linie mit auffälligen Warzen bedeckt ist, von denen starke und lange Haarbüschel nach rechts und links über Len Leib hinausragen. Diese Warzen sind vorne blau, hinten rot. Die Raupe wird 4—s Zentimeter lang. — Am August ver wandelt sie sich t« eine schwarzbraune Puppe. — Und be reit» nach etwa 14 Tagen schlüpft bereit» der Kalter au» Da» Weibchen ist ziemlich groß l2H bi» ch» Zentimeter), dickleibig und gelblich-weiß mit feiner, dunkler Zeichnung. Dagegen ist da» Männchen nur 2 bi» SH Zentimeter groß, graubraun und unscheinbar. Der Leib de» Männchen» ist schlank. Meist steht man im späten Sommer nur di« Männchen herumfltegen, und zwar am Tage, während di« Weibchen an den Bäumen Herumsitzen. Ste legen ihre Eie» meist an der Rinde der Stämme, am liebsten unter Obst- gabeln ab. Dabet gehen sie bi» zu »—4 Meter an de» Bäumen empor. Diese Eterablagen sind es nun, welche de« Schwamm spinner zu seinem Namen verholfe» haben. Die Ste» liegen nämlich in einer wolligen Maste, die au» den After- haaren de» Weibchens gebildet ist. Die Gestalt diese» luftigen Eibehälter, die einem Zuuderschwamm ähneln, ist oval, di« Grüße geht bi» zu der einer Pflaume. Die Farbe ist braungelb. Im April/Mat schlüpfen dann au» de» ^Schwämmen" die schlimmen kleine» Raupen. — Vernichtet man also möglichst restlo» die .Schwämme", -an« vernichtet man auch die ganz« Brut für» nächste Jahr! DaS Veste Mittel aber ist für die BerntchtungSzett vom August bis zum nächstjährigen April da» Durchtränke» der -Schwämme" mit Petroleum. Dem Petroleum setzt man -en Farbstoff Alkannin zu, welcher fchwarzrot ist und die behandelt«« Schwämme schwärzlich färbt. Dadurch ver meidet man e», manche Schwämme zwei- oder dreimal mit Petroleum zu betupfen. Die einfachste Technik diese» Tränken» mit Petroleum ist da» Herumsteigen an den Bäumen mittels Leiter, da» Petroleumkännchen 1« der Hand. Da aber die Schwämme bi» zu 4 Meter hoch gehen, ist bet massenhaftem Auftreten ein kleiner Apparat sehr praktisch, den die Firma Paul Altmann, Berlin NW„ Lutsenstr. 47 herstellt und die Biologische Reichsanstalt empfiehlt. ES ist eine kleine Blechtrommel von der Form eines flach zusammengedrückten Zylinder» (9X8X4H Zen timeter). Innen im Zylinder läuft längs einer Schmal seite desselben ein Rohr, welches, oben über das Gefäß hinausragend, »um Einfüllen Lt>nt. In der Rohrwanbung befinden sich Löcher zum Ein- und Austritt de» Petroleum». Im untersten Teile de» Rohre», welcher gleichfalls über den Boden hinausragt, bewegt sich et« kurzer Kolben au» Blei, der beim Heruntergleitcu die obere Oesfnung be engen Abflußrohre» verschließt. Der vleikolven hängt oben an einer langen Schnur, die durch di« ober« Oeffnung des Rohres hinauSgeht, über eine Rolle und durch einen Ring läuft. Zieht man an ihr, so wird die AuSflußöffnung frei, läßt man sie locker, verschließt sich diese. Der kleine Zylinder kommt mittels einer Dülle an eine lange Stange, an welcher oben erwähnte Schnur heravläuft. Mit Hilfe dieser Stange reicht man überall hin und tn alle Winkel hinein: Ein Zug und das Petroleum läuft auf de« „Schwamm", ein Nachlasten, und die Oeffnung verschließt sich. Mit einem Liter Petroleum kam» um« so gegen 2000 Schwämme veruichtent MMWkltkstMMM. Eine lange Menschenschlange drängt sich vor dem Schalter der Krankenkasse, kranke, abgehetzte Menschen. Der viel zu enge Raum ist geschwängert von Ausdün stungen aller Art. Dumpf tönt unterdrücktes Murren, hin und wieder ein »erber Fluch. Nervosität! Sie ist ja auch nach der offiziellen Krankenkassenstatistik eines der Hauptleiden unserer Zeit. Auch zu oem Mann hinter dem Schalter dringt die Flut der Nervosität. Trotz an gestrengtester Arbeit kann er die Wartenden nickt schnell genug befriedigen und eines Tages mutz er selbst sich krank melden. Dann hat die Kasse wieder eine Aus hilfskraft zu bezahlen. Wenn aber, um dem Uebel abzu helfen, größere, den Bedürfnissen entsprechende Verwal- tungsräumc mit Sitzgelegenheit für die Kranken und der gleichen mehr beschafft werden sollen, dann ist dies eine „unerhörte Verschwendung" nach Ansicht derer, die in ihren mit allen Feinheiten moderner Bürotechnik einge richteten und mit wattierten Doppeltüren gegen den Lärm der Außenwelt abgeschlossenen Kontoren sitzen, die nicht zu warten brauchen, die nur den Telephonhörer auf heben, wenn sie einmal ärztlicher Hilfe bedürfen. Langsam windet sich die Menschenmenge im Schalter raum. Jetzt ist ein alter weißbärtiger Schmied an der Reihe. Mit gekrümmtem Rücken stehl er da, gekrümmt von der Last jahrzehntelanger Arbeit. „Een Krankenschein möchte ick haben", — er ist nämlich ein Berliner und die sind bekanntlich nicht auf den Mund gefallen. „Wie heißen Sie? Sind Sie bei uns versichert?" fragt dkr Angestellte. „Det jloobe ick, dreißig Jahr hab ick je- zahlt und nicht zu tnapp, immer von'n Lohn abjezogen, bis ick mir, Sonnabend warnt dre» Wochen jewesen, mit mee'n Meester verkracht habe. Dämlich is er mir jekom- men, da habe ick meine Sachen jepackt und bin jetürmt." „Beziehen Sie Erwerbslosenunterstübung?" „Nee, det is ooch so'n Schwindel, jetz krich ick mscht, weil ick selbst sejangen bin, Ham se jesagt. Erst nach vier Wochen krich rck wat. Na, die sind ja auch bald um." „Dann sind Sie also schon vor 3Vr Wochen auS der versicherungs- Pflichtigen Beschäftigung ausgeschieden. Haben Sie sich freiwillig weiter versichert?" «Was, zahl'n soll ick ooch noch, jetzt, wo ick selber nischt zu fressen hab, det kennt euch so passen!" „Ja, »an tut es mir leid, dann kann ich Ihnen keinen Krankenschein mehr geben." „Wat, ntch mal een Krankenschein, na sone Gemeinheit, dreißig Jahre jezahlt und jezahlt und nie mat jekricht. Aadere, die zu faul sind zum schuften, die krieien Krantenjeld, so Ville se haben wolln, die schicken se in de Däda, aber aber unsereens is nur jut zum zahlen. Sone Schweinerei, nick mal'n Krankenichein willst de mir jeden. Du je- meiner Kerl? Wart mal mein Juncken, dir wer ick kom men." Eine geballte arbeitsharte Faust zittert in der Lust. Der Mann hinter dem Schalter versteht den Grimm oder würde ihn verstehen, wenn er ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken hätte. Aber ist er denn verantwortlich für die Härten, die jede gesetzliche Regelung und so auch das Krankenvcr>icherungsgejetz mit sich bringt? Muß er sich beschimpfen und bedrohen lassen, wenn er seine Pflicht erfüllt? Auch er ist nicht auf den Mund gefallen, auch er ist ein Mann aus dem Volke. So wird die Er widerung auch nicht gerade sanft und freundlich und ist keineswegs geeignet, die stürmischen Wogen zu glätten. Das Ende? Wie wird wohl der Alte, ern Mit Recht in seiner Familie und bei seinen früheren Kollegen hoch geachteter Mann in Zukunft über die Krankenkasse denken und sprechen? Die nächste am Schalter ist eine blasse Frau, hoch schwanger. Der gesegnete Leib wirkt doppelt unförmig im Gegensatz zu den schmalen Schultern und den einge fallenen Wangen. Eben hat sie sich beim Kassierer das Wochengeld für die Zeit vor der Entbindung geholt. Jetzt kommt sie noch einmal an den Schalter zurück. Kaum beginnt sie zu sprechen, rinnen ihr schon die dicken Tränen herunter. „Ich »rechte nur fragen, is et denn richtig, nur 50 Pfennige fern Dag, wo doch mein Mann jetzt ooch erwerbslos is und nur dre paar Pfenniche Unterstützung kricht? Det Frollein Doktor, wat in de Beratungsstelle sitzt hat jesagt, ick soll tüchtig essen, wovon denn?" Frauentränen rühren jedes Männerherz und auch der Mann hinter dem Schalter hat ein Herz in der Brust. Aber gerade weil er die Rührung nicht zeigen will, klingt die im Inhalt sachliche Antwort rn der Form ein wenig zu schroff. Er kann eS doch nicht ändern, daß 50 Pfg. der gesetzliche Betrag des Famrlienwochengeldes ist. Die folgenden Personen sind schnell abgefertigt, da sie ruhig und sachlich ihr Begehren äußern und nur die ihnen nach Gesetz und Satzung zustehenden Ansprüche gel tend machen. Dann kommt wieder ein Unzufriedener. Diesmal ein jüngerer Mann, nach >einec Kleidung zu urteilen, ern An gestellter. Vielleicht hat ihn andauerndes Rechnen oder sonstige angestrengte Koprarbeit so besonders erregt ge macht. „Sagen Sie mal, was soll denn das bedeuten das kann Doch nicht stimmen." Die Worte üb.rsprudeln sich förmlich ,^Jck bin erst 14 Tage krank geschrieben. daS erstemal fett drei Jahren und jetzt soll ich schon zum Vertrauensarzt. Hören Sie, ich »in doch kein Simulant, Sie, ich bin kein gewöhnlicher Mensch! Ich lasse mir so etwa» nicht gefallen, ich lvercke mich beschweren." Ver gebliche Mühe, dem Aufgeregten klar zu machen, daß der Vertrauensarzt keine Gesundschreibmaschine ist, sondern ein besonders sachkundiger und erfahrener Arzt, der auch im Interesse des Kranken feststellen soll, ob ihm die zweck mäßigste und am schnellsten zur Genesung führende Be- Handlung zuteil wird und ob nicht Mittel der Versiche rung zwecklos vergeudet werden. Eine halbe Stunde später regt eine ziemlich hochbusig« asthmatische Frau sich darüber auf, daß ihr ein in ihrer Zeitung als unfehlbar wirkendes Arzneimittel nicht ver schrieben wird. — „Weil die Kasse eS nicht erlaubt", — sagt der Herr Doktor. Daß eS sich um ein sogenanntes Geheimmittel handelt bas in erster Linie ihren Fabrikanten „gesund macht", will sie nicht glauben. So geht es tagaus, tagein. Ist deshalb der objektive Wert der Krankenversicherung geringer zu bemessen? Ge wiß nicht. Die Tatsache bleibt bestehen, daß alle diese Menschen ohne die Versicherung keine ärztliche Hilfe und keine geldliche Unterstützung in den schweren Tagen der Krankheit finden und daß viele einem unheilbaren Siech tum und wirtschaftlicher Not verfallen würden. Aber ein wenig mehr Nachdenken, ein wenig mehr Verständnis der Miiglieder für die Aufgaben und die Grenzen der Kranken versicherung, würde nicht nur dem Mann hinter oem Schalter, der ja lebten Ende» nur Beauftragter der Ver sicherten ist, die Arbeit wesentlich erleichtern, sondern ihnen selbst auch manchen Aerger und manche Aufregung ersparen. Das aber würde zweifellos ihrer Gesundung dienen. Auch kommt es den Mitgliedern nur zugute, wenn sie sich durch das Lesen entsprechender, von den Kassen bereitgestellter Merkblätter und durch den Besuch von Vor trägen rechtzeitig über ihre Rechte und Pflichten unter richten (siehe die freiwillige Weiterversicherung un Falle Falle de» alten Schmiedes). „Gesündigt wird außerhalb und innerhalb der Mauern", sagt ein lateinisches Sprich wort, auch außerhalb und innerhalb der Krankenkassen schalter. Wünschenswert bleibt auch hier, daß die Mauern fallen — nicht nur äußerlich. Bei modernen Krankenkassen bauten werden jetzt schon die Schalter forßgelassen, so daß Angestellte und Versicherte sich ohne trennende Schranken gegenübertreten. Hoffentlich verschwindet da mit auch das sachlich unbegründete Mißtrauen zwischen den Mitgliedern der Krankenkasse und ihren rn der un- mi.telbaren Kassenarbeit stehenden Vertreter»
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