53 Vladimir Kantor Die Dämonen und die Madonna Dresden als magischer Kristall der russischen Probleme Es gibt einige Überschneidungen und Einflüsse in der Welt der Kultur, welche nur der Hohe Geist erfinden konnte. Sie scheinen künstlich und zufällig zu sein, aber sie existie ren, und wir müssen sie berücksichtigen. Was bedeutet das für den Philosophen? Es bedeutet eine klare Position, nämlich die Notwendigkeit, diese Phänomene zu analysie ren und erklären zu können sowie ihre Aktualität zu erkennen. So existieren historische und geografische Orte, welche eine Art von Kondensator darstellen, wo politische Figu ren, Schriftsteller und Denker in ihren gewissermaßen verzauberten Feldern gefangen sind. Für Russland kann als ein solcher Ort Dresden genannt werden. Wir beginnen bei Peter dem Großen. Im Jahre 1709 sandte Zar Peter seinen Sohn Ale xei nach Dresden, um dort Sprachen, Geometrie und Fortifikation zu studieren. Zar Peter war der erste Russe, der in seinem Land für Dresden Aufmerksamkeit erweckte. Hier, in dieser Stadt hat Zarewitsch Alexei im Jahre 1710 seine Braut, Charlotte von Wolfenbüt tel, kennengelernt. Sie heirateten 1711. Diese Heirat eröffnete eine ganze Reihe künf tiger Hochzeiten russischer Zaren mit westeuropäischen Prinzessinnen. Das Schicksal von Alexei und Charlotte war jedoch ein tragisches. Sie gebar einen Sohn, den zukünf tigen Zaren Peter den Zweiten, verstarb aber bald auf Grund der Widrigkeiten, die das dürftige und grausame Leben im damaligen Russland mit sich brachte. Die Zeitgenossen von Peter dem Großen und Alexei nahmen die beiden als Verkörperung des neuen und alten Russland wahr, wobei der Zarewitsch eher für das alte Russland stand. Die Gegner Peters wollten mit der Hilfe von Alexei die europäischen Neuerungen des Zaren zerstö ren. Infolgedessen wurde der Zarewitsch hingerichtet. Auf diese Weise ist Dresden unge wollt als eine Art Bühne für das Vorspiel des künftigen russischen Dramas zu betrachten, des Kampfes zwischen Zivilisation und Anarchie. Aber es ging weiter... Ob Dostojewski zufällig in Dresden vom Aufstand Netschajews, des »Vaters« des rus sischen Bolschewismus, erfuhr und daraufhin begann, seinen prophetischen Roman »Die Dämonen« zu schreiben? Man kann es für reinen Zufall halten. Seit 1867 wohnte Dos tojewski, aufgrund seiner Verschuldung in Russland, in Dresden. Seine Frau erinnert sich: »Dass ein neues Thema ans Licht kam, ist meinem Bruder zu verschulden. Die Sache ist die, dass Fjodor Michailowitsch viele unterschiedliche ausländische Zeitungen las (...) und deswegen einen Schluss zog, nämlich dass es bald in der Petrowskaja Agrarakade-