02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040709025
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904070902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-09
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Nr. 3N Bezugs-Preis 1» d« vauptexpeditio» od«r der« Lr-sgabs- stell« av geholt: vierteljährlich S.—, bet zweimaliger täglicher Zuft«llu»g tu« Hau« >l 8.75. Durch di« Post bezog« für Deutsch laub u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für di« übrig« Länder laut ZrttvugSpreiSlist«. Aebatttoa: Johauuttgasie 8. Sprechstuud«: 5—6 Uhr Nachm. Fernsprecher: 153 Oxpedttton: Johaunt-gasse 8, Fernsprecher: 222. SiltalerpebMoueu: Alfr«dtzaha,Buchhulldlg.,UatversitätSstr.S (Ferufpr. Rr. 4046h L. Lösche, Latharinen- straß« 14 (Fernsprecher Nr 2935, u. SSuigS- platz 7 (Feruspkecher Nr. 7LOS). Haupt-FUtale Dresden: Marieostraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1712). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchbandlg., Lützowstraße 10(FerusprecherAmtVI Nr.4603.) Abend-Ausgabe. NWM. TaMaü Anzeiger. Ämtsvkatt -es Lönigkichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Volizeiamtes der Ztadt Leipzig. Sonnabend den 9. Juli 1904. Anzeigen-PreiS die «gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktiouSflrich (4 gespalten) 7V nach den Femiliennach- richten (6 gespalten) 50 <4- Tabellarischer und Ziffer-Hatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsrrtenannahine 25 Extra-Beilageu (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrderung 60.—, mit Postbefvrderung 70.—. Annahmeschlutz für Anzet,«: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeig« sind stet» an die Expedition zu richt«. Tie Expeditton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pal- tu Leipzig (Inh. vr. V., R. L W. »liukhardth 88. Jahrgang. Var Mchtigrte vom rage. * Der soziale Arbeiterkursus in Berlin, der heute zu Ende acht, soll nächstes Jahr in Frank- furt a. M. wiederholt werden. (S. Leitartikel.) * Die hessische Zweite Kammer nahm die neue Wahlvorlage an und vertagte sich dann bis zum Herbst. (S. Deutsches Reich.) * Reuters Bureau meldet aus Tokio von heute: General Oku hat gestern nach heftigem Kampfe Kaipingbesetzt. krrter rorialer Urbeitelirittrur. Heute am 9. Juli endet der erste soziale Ausbildung?- kursus, veranstaltet vom Gesamtvcrband evangelischer Arbeitervereine, mit Unterstützung des Bureaus für Sozialpolitik, der sozialen Geschäftsstelle für das evange lische Deutschland, der Freien kirchlich-sozialen Gesellschaft und des Evangelisch-sozialen Kongresses. Unzweifelhaft ging die Anregung zu diesem Versuche, auch die evangelische Arbeiterschaft mit gewerk schaftlichem Geiste zu erfüllen — denn dies ist die ausgesprochene Tendenz des evangelischen Arbeiter kursus —, von dem in Frankfurt a. M. abgehaltenen vaterländischen Arbeiterkongreß im Oktober vorigen Jahres aus. Dort fanden sich die christlichen Ge werkschaften zusammen, in denen Protestanten und Katho liken an der Förderung gemeinsamer Arbeiterinteressen wirken. Während aber die Katholiken nicht nur fest organisiert sind, erhalten auch die katholischen Gewerk schaften eine bedeutend bessere soziale Schulung durch die Arbeiterkurse in München-Gladbach. Eine ähnliche gewerkschaftliche Organisation für die evangelische Arbeiterschaft ins Leben zir rufen, vor allem aber den evangelischen Arbeitern eine tüchtige soziale Schulung angedeihen zu lassen, haben sich die Vertreter der verschiedenen sozial-evangelischen Richtungen mit dem Bureau für Sozialpolitik vereinigt, um einen sechs wöchigen Arbeiterkursus abzuhalten, der am 29. Mai begann und fetzt zu Ende geht. In der Eröffnungsrede des Kursus betonte Professor vr. Francke: „In diesem Kursus wollen wir den Arbeitern die Notwendigkeit der Organisation als stärkste Waffe der Selbstbülfe dartun: sie sollen hier lernen, warum sich die Arbeiter organisieren müssen und wie sie dies an: besten tun können. Und zwar soll das Augenmerk nicht nur auf die Rechte der Arbeiter gelenkt werden: Rechte kann man nicht fordern, ohne Pflichten zu erfüllen. Der deutsche Arbeiter hat Pflichten gegen seinen Nächsten, gegen die Obrigkeit und gegen sein Vater land, wie jeder Staatsbürger: der christliche Arbeiter hat überdies noch ein besonderes Maß von Pflichten, deren Erfüllung ibn adelt und hebt. . . . Die Kurse sollen dazu beitragen, die Arbeiterbewegung, die auf dem Boden der christlichen Weltanschauung in Treue zu Kaiser und Reich die Arbeiterinteressen vertritt, zu, stärken. Sie muß eine Macht werden, die auf allen Seiten respektiert wird: sie muß den Schutzdamm gegen die sozialdemokratische Hochflut in der deutschen Arbeiterschaft bilden: sie muß den Arbeiterstand heben zu Nutzen und Frommen unseres teueren Vater landes!" Dieser nun zu Ende gebende Arbeiterkursus ist sowohl von rechts wie von links heftig angegriffen worden, — ein Zeichen, daß sich sein Streben auf annähernd rich- tigem Wege befindet. An dem Kursus, welcher sich über die Geschichte des Sozialismus, über die gesamte Arbeitervorsicherung und den Arbeiterschutz, über Gcwerbcgerichte, Gcnossenschafts- und Gewerkschaftswesen, über das Vertragsrecht, Ver eins- und Versammlungsrecht, über das Wahlrecht und Koalitionsrecht erstreckte, nahmen insgesamt 68 Arbeiter teil, darunter 26 Hospitanten. Von den 42 Teilnehmern stammen aus dem Großherzogtum Baden 1, aus Berlin 12, der Provinz Brandenburg 2, dem Herzogtum Schaumburg-Lippe 1, der Provinz Hessen-Nassau 1, der Provinz Ostpreußen 1, der Rheinprovinz 6, der Provinz Sachsen 1, dem Königreich Sachsen 6, der Provinz Schlesien 4 und der Provinz Westfalen 6. Von den 26 Hospitanten stammen aus Berlin 21, dem Herzogtum Braunschweig 1, der Provinz Hessen-Nassau 1, der Pro vinz Ostpreußen 1, der Provinz Westfalen 1 und Frank- reich 1. Wenn ein solcher Arbeiterkursus, der, wie wir hören, nächstes Jahr in Frankfurt a. M. Nachahmung finden soll, mit der Begründung bekämpft wird, man ziehe mit einer derartigen Einrichtung doch nur Führer der Arbeiter groß, die sich später der Sozialdemokratie zuwenden würden, so entspringt dies Urteil lediglich dem bedauerlichen Mißtrauen in eine vaterländisch ge- sinnte Arbeiterschaft. Gerade eine solche dem Vaterlandc zu erhalten und sie durch Aufklärung über die großen Arbeiterfragen dem Einfluß der Sozialdemokratie zu ent ziehen, wollen sich diese sozialen Arbeiterkurse zur Auf gabe maöhen. Nur möge man sich bei weiterem Vorgehen davor hüten, den Anschein zu erwecken, als ob aus diesen aus der Grundlage christlicher Gewerkschaften organisierten Arbeitern gewissermaßen „Regiernngstruppen" ge schaffen werden sollten. Je selbständiger diese Gewerk schaftsbildung sich gestaltet und je neutraler die Regie rungsbehörden sich ihr gegenüber verhalten, um so leichter wird es gelingen, gegenüber der Sozialdemokratie eine wirklich vaterländische Arbeiterschaft organisieren zu können. ver rurrirch-japanircke Weg. Meldung General Sfaeharew». General Ssacharow meldet dem Generalstabe über Gefechte vom 6. Juli, bei denen 2 Offiziere ver wundet und 15 Mann getötet und verwundet sind. Wie im Laufe des Tages festgestellt wurde, rückte der Gegner auf der ganzen Front von der Küste bis zum Tale des Tschinstau - Flusses vor. Kundschafter bemerkten am 5. und 6.. daß der Feind von Sseniutschen längs der Eisenbahnlinie nördlich vorzurücken begann in Stärke einer Division Infanterie, 2 Regimenter Kavaliere und 60 Geschützen. Am 7. morgens besetzte der Feind die Höhen bei Baositschai. Russische Streifwachen begegneten kleinen japanischen Truppenabteilungen bei Erldagon und beim T s ch a p a l i n g - P a ß. Es hat nicht ge regnet. Japanr Ansprüche auf Sachalin. In Japan ist, wie die Zeitschrift „Ost-Asien" zu melden weiß, ein Berein gegründet worden, dem man den Namen „Karafuto-Kaifuku-Domei-Kai" (auf Deutsch: Verein rur Erstrebung der Zurücknahme der Insel Sachalin) gegeben hat. Die Gründer sind jetzige und frühere Reichstags abgeordnete nnd andere Leute, z. B. Kentaro Oi, Man Toyama, Hironaka Kono, Präsident des letzten Reichstags, Küchi Kokubv u. a. Die Ziele des Vereins sind wie folgt öffentlich bekannt gemacht worden: „Nördlich von unserem Reiche befindet sich eine große Schatz kammer, genannt Sachalin. Sie war früher unser Eigentum und unser nördlicher Schlüssel. Als es mit der Tokugawa-Regierung zu Ende ging, gerieten die Zustände im Lande in Unordnung, und im Norden Sachalins siedelten sich mit der Zeit viele Russen an. In den Perioden Kayei (1848—1853) und Ansei (1854—1859) haben wir wegen der Insel mit Rußland Differenzen gehabt, wir haben viele Beamte nach Sachalin gesandt, aber wir konnten nicht ver hindern, daß die Russen immer festeren Fuß faßten, und die Insel schließlich im Jahre 1875 ganz in russische Hände überging. Es ist für uns sehr schade gewesen, daß wir dazu genötigt waren, dies zuzulassen. Wir und unsere Geschichte können es nicht vergessen. Beim gegenwärtigen Kriege mit Rußland ist die Seeherrschaft auf dem Gelben Meere in unsere Hände gekommen, und wir glauben sicher, daß wir auch zu Lande die Russen besiegen werden. Nach dem siegreichen Kampfe haben wir sehr viel zu hoffen, nämlich: 1) Verpachtung von Port Arthur. 2) Eröffnung der ganzen Mantfchurei für die Fremden (offene Tür). 3) Schutz Koreas. 4) Das Recht, eine Eisenbahn von Wischu nach Niutschwang zu bauen. 5) Abtretung Wladiwostoks und der ostsibirischen Küstenprovinz. 6) Gemeinsamen Besitz der sibirischen Eisenbahn durch die inter nationalen Mächte. 7) Kriegsentschädigung usw. Diese Forderungen sind bei den Friedensverhandlungen zu erwägen, unbedingt muß aber 8) die Rückgabe der Insel Sachalin, nach welcher wir uns schon lange gesehnt haben, verlangt werden." Die vergessenen Aanonen. Bezeichnend für die russischen Verhältnisse ist folgende Geschichte, die trotz des Ernstes der Lage, einer Mitteilung der „N. Fr. Pr." aus Petersburg zufolge, dort viel besprochen wird. Als dem Zaren mitgeteilt wurde, daß Rußland im fernen Osten nur über 18 Berggeschütze verfüge, hielt er das für unwahrscheinlich. Es wurde bei der Putilow-Fabrik in Petersburg unverzüg lich angefragt, ob die Bestellung von achtzig Berg geschützen noch nicht fertig sei. Dabei stellte sich heraus, daß der Auftrag schon längst erledigt war, daß aber niemand an die Beförderung der Bergkanonen nach dem Kriegsschauplätze gedarbt batte. Dieser Tage sind die Ge schütze endlich an ihren Bestimmungsort abgegangen. Ein geweihte Kreise glauben, daß die Position des Generals Alt vater, des Gehülfen des Generalfeldzeugmeisters, durch diese Geschützlieferungsgeschichte erschüttert sei. Der Zar habe sich über die bodenlose Gleichgiltigkeit sehr erzürnt. Tschifu. Während des Krieges ist die im Golf von Petschili Port Arthur gegenüber gelegene chinesische Hafenstadt Tschifu öfters als Ausgangsort für Meldungen erwähnt worden. Die Nachrichten klangen meist unwahrscheinlich, da sie von einigen „glaubwürdigen Chinesen" ausgingen, die regelmäßig auf einer oder mehreren Dschunken im Hafen TschifuS eingetroffen waren. Einem Berichte, den die „Hamb. Nachr." vor kurzem erhalten haben, entnehmen wir folgende Schilderung der jetzt vielgenannten Stadt: Tschifu ist ein bedeutender Durchfuhrhandelsplatz, sowohl für Import- als Exportgüter, besonders für Shantung. Die War« werden auf dem alten Karawanenwege die Küste entlang per Karr«, Träger, Esel, Pferde oder Manltierkarawane und später über da» Gebirge ins Innere transportiert oder von dort hergebracht. Es besitzt keine sogenannte Konzession mit Selbstverwaltung, sondern es ist nur Freihafen, und die Ansiedlung der fremd ländischen Kaufleute untersteht der Aufsicht des Taotais. Die Ansiedler sind sehr unter sich gespalten, es sind sieben verschiedene Nationalitäten vertreten, und auch diejenigen, die an anderen Plätzen Chinas nicht sehr zahlreich sind, sind hier verhältnismäßig stark vertreten, wie z. B. die Dänen (durch die Angestellten der Tele graphengesellschaft) und die Russen (wegen des nahe liegenden Port Arthur). Infolge des Krieges haben sich auch eine ganzeAnzahl minder wertiger fremdländische,. Elemente dort cingefunden, wie Rumänen, Galizier, Griechen usw., die ziemlich unordentlich dort leben. Der Taotai wagt nicht, gegen diese Westländer vorzugehen, weil er Unannehmlichkeiten fürchtet, nnd die Konsuln wollen sich eben falls mit diesen Elementen möglichst wenig befassen, da, wenn sie zitiert werden, ihre richtige Nationalität stets sehr schwer fest zustellen ist. Es ist jetzt beantragt worden, dort auch eine inter nattonale Niederlassung mit besonderen Rechten zu schaffen. Verhand lungen darüber schweben noch. In Tschifu sind sehr zahlreiche ameri- konische und englische Missionsniederlassungen, verbunden mit Schulen, auch die katholische Mission ist stark vertreten. Die englischen und amerikanischen Missionare bringen ganz von selbst ihre Sprache, ihre Literatur und damit auch ihre Anschauungsweise mit ins Land, aber nicht allein das, sie bringen auch ihre Waren mit und machen die Chinesen mit dem Gebrauch bekannt. Im Sommer war nnd wird Tschifu auch noch jetzt als Seebad von den südlicher gelegen« Plätzen, aber auch von Tientsin aus besucht. Jetzt beginnt ihm Tsingtau etwas stark Konkurrenz zu machen. Zur Beschlagnahme -er „Lheltenham". Wie schon kurz gemeldet, hat das Kreuzergeschwader de« Admirals Skrydloff, das von Wladiwostok aus seine kühne» Fahrten wiederholt bis in die Koreastraße ausdehnte, einen neuen wertvollen Fang gemacht, in- Feuilleton. Die Entgleisten. . Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck verboten. „Sie . . . Marischka ... hat von mir zu Ihnen ge- sprachen?!" Schmerzlich und abweisend zugleich klang seine Stimme. „Tas kann Sie doch nicht kränken, Herr Kaplan!" meinte der Graf erstaunt. „Fräulein Marischka spricht mit großer Liebe von Ihnen, ich beneide Sie wahrlich darum. Und das, was sie sagte, ist doch nur als ein Lob aufzufassen. Solch' leichtschwimmende Gesellen wie ich csibt's in Ueberfülle in der Welt. Die tiefen Naturen sind die seltnern . . . doch, ob die glücklicheren, das ist eine andere Frage." Andreas sah still vor sich hin, zwischen seinen Brauen stand eine schmerzliche Falte. „Herr Kaplan", fuhr Bethlen nach einem Schweigen fort, er gab sich keine Rechenschaft von dem warmen, mit leidigen Gefühl, das ihn mit noch größerer Stärke über kam und seine Stimme so herzlich machte, „in der kurzen Zeit, daß ich hier in Turdova lebe, haben mir Ihre Mutter und Schwester das schöne Vorrecht eines Freundes eingeräumt. Wollen wir jungen Männer uns nicht auch ein wenig näher treten? Sie weichen niir direkt auü. Bin ich Ihnen unsympathisch?" „Was kann Ihnen an mir liegen, Herr Graf?" ver- sehte Andreas. „Unsere Wege liegen so weit auseinander." „Ehrliche, gute Menschen verstehen sich immer. Das zeigt mein Verkehr mit dem Herrn Pfarrer lind dabei ist er der um so viel ältere Mann." „Ich bin ungeschickt nnd unbeholfen und passe nir gends hin", sagte Andreas mit leiser Stimme und mehr zu sich als zu dem andern. „Das bilden Sie sich nur ein, Herr Kaplan! Ver suchen Sie nur ein bißchen aus sich herauszutreten und Zutrauen zu den Menschen zu fassen," sprach Bethlen auf munternd. „Verschlossenheit ist immer bewußtes oder unbewußtes Mißtrauen . . . Und die Menschen sind gar nicht so schlimm, es läßt sich ganz gut mit ihnen aus kommen, wenigstens hab' ich es immer gefunden. Und mein Gott, Sie haben ja auch die Welt gesehen, haben einige Jahre in einer großen Stadt wie Preßburg ge- lebt." „Im geistlichen Seminar von Prcßburg", verbesserte ihn Andreas. „Und das hätte ebenso gut in einem Dorf oder einer Wildniß liegen können. Von dem Leben der Stadt kenne ich nichts." „Und bevor Sie in das Priesterseminar traten, waren Sie immer in Turdova?" „Ta war ich noch zwei Jahre in einem Kloster", sprach Andreas und erhob sich, als habe er nichts mehr hinzuzufügen. „Es ist spät, ich muß nach Haus," fügte er hastig hinzu. Da erhob sich auch Bethlen und nahm die Flinte über die Schulter. „Sie werden mich doch nicht zurücklassen? Ich komm' mit!" Ueber dem engen, friedlichen Tale schwebten schon die ersten Schatten der Däinmerung, während die Gipfel der Berge von zart rosa und violetten- Lichte noch um strahlt waren. Die Sonne sank wie in einem Flammen meere unter, und die Wolken, die sich an ihren- letzten Glanze sattgetrunken, schwammen in leuchtender Fär bung am Horizonte dahin, bis auch sie nach und nach verglühten und ernstes, eintöniges Grau alles umhüllte. „Eines wundert mich, Herr Kaplan", sagte Bethlen, als sie eine Zeitlang schweigend dahinschritten. „Daß Sie in dem Unigange mit ihrer Pflegeschwester nicht ein bißchen gelernt haben, froh nnd glücklich zu sein. Sie ist das herzigste Geschöpf, das ick je gesehen." Der junge Graf ahnte nicht, welche Qualen er seinem stillen Begleiter mit diesen Worten bereitete. - Andreas war es unerträglich, ihn von Marischka sprechen zu hören . . . auf diese Weise sprechen! ... Er hatte das dumpfe Gefühl, als drohe ihm von dieser Seite eine Gefahr, irgend etwas, das schmerzlich, das unheilvoll war. . . . Und doch -var in diesem Augenblick ein Kampf in ihm. Bethlen war so liebenswürdig, gab sich ihm mit solch warmer, ehrlicher Herzlichkeit, daß es ihm schwer wurde, sich diesen- Eindruck ganz zu entziehen. . . . Als sich dann in Turdova angekommen der junge Offizier mit einem Händedruck verabschiedete und ihn bat, ihn doch einmal im Schlosse zu besuchen, sagte der Kaplan mit leiser Stimme zu. XHI. Und zwei Tage später schon fand sich Andreas im Schlosse Lavadi ein. Ein gegebenes Wort drückte ihn wie eine unsichtbare Last, und er hatte keine Ruhe, bis er sich davon befreite . . . besonders in einem Falle, wo es ihm schwer geworden war. . . . Es war gegen die sechste Stunde und Bethlen war grade von- Felde heimgekehrt. „Es ist schön von Ihnen, daß Sie so bald Ihr Ver sprechen einlösen", begrüßte ihn der junge Graf und führte ihn in die Wohnstube. Diese sah ein wenig verändert gegen früher aus. Die ausgetretene Täfelung des Bodens bedeckte ein Tevpick, der verschlissene Lehnstuhl hatte einen -reuen Ueberzug bekommen, und vor den Fenstern hingen Gardinen. Bethlcn bot dem Gaste Wein und Zigarren an, doch Andreas rauchte nickt und trank höchstens bei den Mittagsmahlzeiten ein Gläschen Wein, in den Zwischen zeiten niemals. „Sie -vollen wohl das Register der Heiligen uin einen Narnen vermehren!" sagte Bethlen, l-alb erstaunt, halb belustigt. „Und Sie schieben auch keine Kegel, spielen keine Karten, mein lieber Gott, was fängt man denn nut Ihnen an?" „Tas hab ich Ihnen gleich gesagt, Herr Graf", ver setzte der Kaplan, und jetzt trat auch in sein Gesicht ein leises Lächeln. „Schade, daß er nicht öfters lächelt", dachte Bethlen. „Es steht ihm gut und macht sein Gesicht wieder jung." „So plaudern wir und trinken Tee dabei wie die Schöngeister alten Stils", scherzte er dann weiter, rief Janzsi und ließ Tee bereiten. Dann saßen sie sich an dem Tische gegenüber, die summende Teemaschine zwischen sich. Durch die ge öffneten Fenster drang die weiche Luft des Sommer abends, auch hier und da das leise Zwitschern einesDogels, der zur Ruhe rüstete. Einige Stunden vorher war ein Gewitterregen niedergegangen und die Natur, neubelebt und erfrischt, atmete reiche Düfte aus. Es war eigentlich zu verwundern, wie rasch Bethlen Lavadi die schmerzlichen und quälenden Eindrücke ver letzten Vergangenheit überwunden hatte. Viel hatte er in den ersten Tagen und Wochen an jenen Knaben gedacht . . . den zweiten Sohn seiner Mutter, von dem ihm der Pfarrer erzählte . . . init einem Gefühle dumpfen Schmerzes, von Schau- und Zorn erfüllt, aber auch von Unruhe und einer gewissen Neugier . . . Was war aus jenen- Kinde geworden? Lebte es bei seinen- Vater? Lebte es überhaupt noch? Und wo --»ar dieser Baron Bela geblieben? Tann wurden die Gedanken daran seltner und iininer seltner, wie sich ja auch der Schmerz mu den Tod des Vaters und all' das Tragiscl-e. das da- mit verknüpft war, abschwächte. . . . Dein- der Schmerz hatte ihn damals getroffen mit der Wucht des Sturmes, der den Wipfel eines Baumes bis tief zur Erde beugt. — Bethlen hatte geglaubt, niemals darüber hinwegzu- kounneu. . . . Wie aber der junge, säftereiche Stamm seine Krone wieder in die Höhe, zur Sonne richtet, so war auch die Natur seines Wesens. — Wenn Bethlen geahnt hätte, -ver dieser junge Priester war! . . . Ticser Andreas mit dem feinen, schmalen Ge sichte, den dunklen, schwermütigen Augen, in denen noch
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