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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040802021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904080202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904080202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-02
- Monat1904-08
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Mirbach vor dem Reichsgericht.) * Der Personenverkehr auf der Elbe wurde ganz eingestellt. (S. Letzte Depeschen.) * DaS Mitglied des preußischen Herrenhauses Graf Hugo v. Keyserling zu Rautenberg ist Sonntag ge storben. (S. dtsch. Reich.), * Der Norddeutsche Lloyddampfer „Prinz Sigis mund" rettete in der Südsee 8 Mann von der Be satzung des englischen Schiffes „Aigburth". (S. A. aller Welt.) * Die japanische Regierung bat beschlossen, In kau dem neutralen Handel zu eröffnen, mit Ausnahme der Kriegscontrebande. Iserr von Mirbach vor Sem Reichsgericht. Auf Grund uns allein zugänglichen Materials bringen wir folgenden Prozeß bericht: Jüngst hatte sich der vierte Civilsenat des höchsten Gerichtshofes auch mit der Person des jetzt oft genannten Oberhofmeisters Freiherrn v. Mirbach in Berlin zu beschäftgen. Dem 1875 geborenen Prinzen Friedrich Marie zu Layn-Wittgenstein-Sayn, Sohn des Grasen Alexander v. Hachenburg, früheren Fürsten zu Sayn- Wittgenstein-Sayn, waren vom Oberlandesgericht Hamm der Freiherr v. Mirbach in Berlin sowie der Generalmajor und Flllgeladjutant Freiherr Ernst v. Hoiningen genannt v. Huene, in Ulm und der Ztaatsminister Heutig in Gotha als Pfleger bestellt, um sein aus Kapitalien, ans mehreren in Frankreich und Rußland belegenen Gütern und dem Gute Canale in Illyrien bestehendes mütterliches Vermögen zu ver walten und ihn gegenüber seinem Vater zu vertreten. Nachdem der Prinz volljährig geworden war, verlangte er von den Pflegern Abrechnung und Herausgabe seines mütterlichen Vermögens. Die Pfleger erklärten, zn dieser Rechnungslegung nicht verpflichtet zu sein, weil sic gar nicht in den Besitz des Vermögens gelangt seien. Auch habe der Prinz bei Beendigung der Pflegschaft von dem Vermögensverwalter Advokat Baillehachc in Paris am 8. Februar 1897 Rechnungslegung erhalten. Ter Prinz beschritt aber den Klageweg und das Land- gericht Dortmund hatte im Jahre 1899 d e m Klageanspruch gemäß erkannt. Gegen dieses Urteil legten die verklagten Pfleger beim Oberlandesgericht Hamm Berufung ein, welche aber im Prozeßtermin z u r ü ck g e n o m m e n wurde unter der Angabe, daß die Parteien einen Per- gleich geschlossen hätten. Der Prozeßvertreter des Prinzen Uetz aber die Verklagten zu einem neuen Ter min laden unter der Angabe, daß der Vergleich nicht rechtsgültig zustande gekommen sei,, und erzielte in diesem Termin durch das Nichterscheinen der Gegner ein Versäumnis urteil, wodurch diese des Rechtsmittels der Berufung verlustig erklärt sind, und das erste Urteil bestätigt wurde. Darauf hatte der Prinz in: Wege der Zwangs- Vollstreckung beantragt: Die Schuldner zur Rech nungslegung und Herausgabe des klägerischen Ver- mögens bei Vermeidung einer Geldstrafe von 1500 anzuhalten. Nunmehr erhoben die Pfleger Klage dahingehend „diese Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären", und diese Klage bildete dien Gegenstand der jetzigen Reichsgec-jchtsverhaiVlung. Die Unzulässigkeit wurde damit begründet, daß der Prinz am 28. September 1899 eine Verzichterklärnng abgegeben habe und dadurch der damals in der Be rufungsinstanz schwebende Anspruch verglichen worden sei. Der Verklagte habe auch ein arglistiges Ver halten gezeigt, insofern er, nachdem infolge jener Ver zichterklärnng die Berufung zurückgenommen war, die formelle Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils be nutzte, nm es zur Vollstreckung zn bringen. Das Land gericht Dortmund hat die Begründung der Klage aus 8 767 der Civilprozeßordnung verneint und die Klage abgewiesen. Der verklagte Prinz hatte jenen Verzicht auch als rechtsunwirksam bezeichnet, weil er das Schriftstück erst unterschrieben habe, nachdem ihm der Freiherr v. Mirbach versprochen habe, daß ihm über sein mütterliches Vermögen Rechnung gelegt und ihm dieses Vermögen heransgegeben werde, sowie daß für seine damalige Braut eine Standeserhöhung erwirkt werden solle. Diese Bedingungen sind sämtlich unerfüllt geblieben. Gegen dieses Urteil legten die Kläger beim Ober- landesgericht Hamm Berufung ein, welche sich auf den schon im ersten Prozeß geltend gemachten Einwand stützte, dpß die Kläger gar nicht zur Rech nungslegung verpflichtet seien. — Die vom Verklagten angeführten) Bedüsungen bezüglich der Verzichts erklärung wurden bestritten. Das Berufungs gericht hat das Urteil dahin abgeändert, daß die Klage abzuweisen sei, wenn der verklagte Prinz folgende Eide leiste: Ich schwöre usw., daß mir im September 1899 vor der Unterzeichnung deS Schriftstückes vom 28. September 1899 kder vorerwähnte Vergleich) eine mir vollständig verständliche, ein heitlich gefaßte schriftliche Schlußrechnung des Rechtsanwalts Baillehachc in Paris über mein mütterliches Vermögen nicht gelegt worden ist, in welcher der Vcrmögcnsstand zur Zeit der Beendigung der über mich geführten Pflegschaft ergebende Bestand vollständig dargestcllt war, so wahr usw. Ich schwöre ferner, das ich den Verzicht vom 28. September 1899 erst dann unterschrieben habe, nachdem mir der Frei herr von Mirbach zugesagr hatte, daß mir über mein mütterliches Vermögen Rechnung gelegt, daß mir mein müt terliches Vermögen von meinen Pflegern hcrausgcgeben und daß die Standcserhöbung meiner damaligen Braut zur Prin zessin von dem Frciherrn von Mirbach erwirkt werden solle, so wahr usw. Der Prinz ergriff das Rechtsmittel der R e vr - sion beim Reichsgericht, welches dieselbe für begründet ansah und dahin erkannte, Daß das Urteil des Oberlaudesgerichts Hamm aufge hoben wird, und die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund zurückgewiesen ist. Damit tritt nun» das erst erwähnte Versäum nis urteil in Kraft und es muß die verlangte Rechnungslegung, sowie Herausgabe des Vermögens bei Vermeidung der Zwangsvoll streckung erfolgen. Aus den umfangreichen Gründen des reichsgericht lichen Urteils ist zu erwähnen, Daß mit Recht der erstinstanzliche Richter die Begründung der Klage, aus dem angeblichen Verzicht, verneint und das dem Beklagten zur Last gelegte arglistige Verhalten ui ch t por- licge. Auf die von dem Berufuugsrichter normierten Eide kommt es nach der prozessualen Lage gar nicht an. Ein Beweis, daß der Beklagte seine Behauptungen wider besseres Wissen auf stelle, ist von den Klägern nicht erbracht worden. Soweit der Prozeßbericht. Ter Jurist sagt: auf die Eide kommt es nicht an. Es wäre aber doch recht wertvoll gewesen, wenn sie ge- geschworen worden wären. Tenn wenn die leider nicht beschworene Aussage des Prinz Sayn-Wittgenstein-Sayn auf Wahrheit beruht, so hat in diesem Falle Frhr. v. Mir bach sich unterfangen, Gnaden beweise der Krone Preußens bei seinen persönlichen Geschäften als Wertobjekte zu benutzen. Frhr. v. Mirbach hat Pech! In seiner so wie so un haltbaren Situation auch uoch die Affäre Sayn-Wittgen- stein-Sayn, in der das höchst persönliche Moment eine so gewichtige Rolle spielt. Hier kann nicht mit „edlen Motiven" operiert und entschuldigt wer den, hier handelt es sich um persönliche Geschäfte. Ob das nun wohl das Faß zum Ueberlaufen bringt? ver MktanO Oer Herero. Dle Herers nicht entschlüpft. Von den Nachrichten über die Herero, welche Trothas verspätet eingegangene Meldung vom 26. v. Mts. bietet, erscheint der „Nordd. Allg. Ztg." als die wichtigste die, welche erkennen läßt, daß es dem von SamuelMaha- rero geführten Teil der Aufständischen nicht ge lungen ist, dem sich immer enger um die Umgebung Waterbergs legenden Ring unserer Truppen zu ent- schlüpfen und nach Nordosten zu entkommen. Das von Major v. Estorfs gemeldete Gerücht, daß Samuel mit Großleuten bei Otjahcwita am Ostrande des Waterberg plateaus eingetroffen sein solle, hatte mehrfach zu der schon abgelehnten Mutmaßung geführt, es seien tatsächlich größere Mengen der Herero nach dem genannten Orte abgezogen und hätten dort den Weg nach Nordosten frei gefunden. Daß diese Annahme aber der Berechtigung ent- behrk, ergibt die jetzige Meldung, Major v. Estorfs stehe noch bei Otjahewita. Ta Major v. Estorfs in der Nacht zum 7. Juli mit der ausgesprochenen Absicht von Karu- puka gegen Otjahewita vorrllckte, um den feindlichen Ab zug nach Nordosten zu verlegen, würde er nicht in Otja- hcwita stehen geblieben sein, wenn die Herero diesen Ort bereits passiert hätten, und hätte nicht die Verproviantie rung von Grootfontein, die ihm Oberleutnant Volkmann sandte, erhalten können. Eine Bewegung der Herero gegen Otjahewita wird wohl den Anlaß zu dem Gerücht gegeben haben, Samuel befinde sich bereits dort. Besonderes Interesse beansprucht auch die Meldung, daß dec Owambo-Häuptling Nechale von Omandongo, der sich bekanntlich sofort dem Hereroaufstand angeschlossen hat, und dessen Leute am 28. Januar den Polizeiposten Namuloni angegriffen haben, aber mit großen Verlusten zurückgeworfen wurden, weit südlich vom Owamboland und der Etoschapfanne, in Hoais, Kriegsleute versammelt hält. Hoais liegt, nahezu nördlich, in Luftlinie nur etwa 55 Kilometer von Ltawi entfernt. Durch diese Stellung Nechales scheinen die bisher nur als Gerüchte gemeldeten Nachrichten, daß 60Owambo den Herero bei Waterber g3WagenMunitionzu geführt haben und Nechale den nach dem erwähnten Angriff auf gegebenen Posten Namutoni zerstört habe, Bestätigung zu erhalten. Die weiteren Meldungen über die Herero beziehen sich auf ihre Stellung im Vorlande der Südwestecke des etwa 14 Stunden langen Waterbergplateaus. Hamakari, Otjikaru und Omuweroumue liegen — von Ost gegen West — am Hauptquellfluß des dem Omuramba-u-Oma- tako zufließenden Omuramba-ua-Tjosondjupa, dem die Wasser von Waterberg zufließen. Tie drei Orte sind von Waterberg etwa 12—15 Kilometer entfernt. Aus der neuen Meldung ergibt sich, daß die Herero auch westlich über Owuweroumue hinaus und nördlich davon Vieh posten haben: denn Osondjache ist der Name einer Berg gruppe, etwa 20 Kilometer Luftlinie westlich von dem ge- nannten Ort, und von Omuweronmue führen nordwärts Wege nach dem etwa 50 Kilometer Luftlinie entfernten Otjenga. das schon außerhalb des eigentlichen Herero- gebiets an dem Wege nach Otawi liegt. Im Osten und Süden ist also die Umschließung Waterbergs durch unsere Truppen bereits sehr eng. In Otjahewita (Nordosten) steht Major v. Estorfs nur noch 35 Kilometer Luftlinie entfernt von Watevberg. Om- bujo-Wakune, wo Major von der Heyde sich befindet, liegt etwa 28 Kilometer Luftlinie südöstlich von Water berg ab und bereits einige Kilometer nördlich vom Omu- rambaflutz. Tie Abteilung des Oberstleutnants Müller ist in Erindi-Ongoa'here im Süden ebenfalls schon bis zu etwa 36 Kilometer Luftlinie an Waterberg anmarschiert. Mit dieser Abteilung ist, wie es scheint, jetzt die bisher von Major v. Glasenapp geführte Abteilung vesschmol- zen, die bereits am 11. Juli Otjurutjondjou (einige Kilo meter östlich von Erindi-Ongoahere) angelangt war. Inzwischen sind auch schon einzelne Kompagnien des 2. Feldregiments (Oberst Deimling) von der Bahnstation Karibik von Südwesten her nahe an die Stellung der Herero herangerückt, um diesen den Abzug nach Nord westen und Norden abzuschneiden. Die 1. Kompagnie dieses Regiments und die Kompagnie des Hauptmanns Frhrn. v. Welck unter Hauptmann v. Fiedler standen bei Otjüvarongo und Orupemparora nur noch 50 Kilometer westlich von Waterberg. Die 2. Kompagnie ist wohl schon in Koujati im Ouellgebiete des Omuramba-u-Omatako angelangt, in der Gegend, wo am 25. Februar Major v. Estorfs das harte, aber erfolgreiche Gefecht von Otji- hinamaparero zu bestehen hatte. Weitere Kompagnien sind im Anmarsch. Gegen diese Flanke oder vielmehr in den Rücken der Herero scheint auch die verstärkte Kompagnie bestimmt zu sein, als deren Führer Oberleutnant Graf v. Brock dorff (von: Marine-Jnfanteriebataillon) genannt wird. Feuilleton. i2i Der Fall Lelotli. Roman von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. Sie verstand natürlich nicht, was er meinte und glaubte zunächst, daß sein Verstand wirklich etwas von der Hitze gelitten hätte. Sie sah ihn erstaunt an und er sie auch. Ta geschah denn, was unter solchen Umstände!: geschehen mußte. Sie fielen sich um den Hals und küßten sich mit krampfhafter Ausdauer ab. So standen sie noch, als Frau Doktor Villencuve mit der alten Margherite vom Markte heimkam. Es war ein wahres Glück, daß alle Türen offen standen und sie die alte Dame kommen hörten, sonst hätte sie sie wahrhaftig überrascht. Sie fuhren rasch, so unschuldig wie möglich tuend, auseinander, und die alte Frau Doktor Villcneuve fing an, ahnungslos ihre gewöhnlichen Schauergeschichten zu erzählen. Sie hatte unterwegs von dem Zusammen bruch eines der ersten Häuser an der Cannebidre erzählen hören und glaubte nun wirklich, es sei ein Haus einge- stürzt, worauf sie sofort lange Geschichten von einge- stürzten Häusern, Erdbeben und ähnlichen Unglücksfüllcn vorbrachte, bei denen regelmäßig alle Schurken ver schüttet und alle anständigen Leute zum Glück gerettet worden waren. Tas dauerte, bis endlich auch der Oberst nach Hause kam. Nun wußte Saintine sofort, was passiert war, auch ohne daß etwas davon gesagt wurde. Sie sah es und was sie nicht sah, erriet sie. „Wir warten!" sagte sie heimlich zu Herrn Meunier und reichte ihn, entschlossen die Hand. „Wir warten und wenn es bis zum jüngsten Tage dauert", erwiderte dieser fest und drückte ihre Hand kräftig zwischen den seinen. — VIII. Wie immer bei solchen ungewöhnlichen oder un erwarteten Ereignissen, bemächtigte sich die öffentliche Meinung des Falles Bclotti mit ebensoviel Ausdauer als phantastischer Ausschmückung. Tie abenteuerlichsten Ge rüchte schwirrten in der Stadt umher und fanden Gläubige, ja, nian konnte sagen, daß gerade das Unwahr scheinlichste und Abenteuerlichste am liebsten geglaubt und am lebhaftesten wiedererzählt wurde. Besonders um die Person des Herrn Jean Baptist Belotti, der ja eine stadt bekannte Persönlichkeit war, bildete sich ein ganzer Sagenkreis. Bald war er hier, bald dort gesehen worden, bald in Paris, bald in Monaco angekommen, wieder andere behaupteten, er sei „schon längst", obwohl er erst seit drei Tagen tatsächlich verschwunden war, über das Wasser nach Amerika entkommen und habe natürlich ein ungeheures Vermögen mitgenommen. Bald sollte er als Mönch, bald als Offizier verkleidet aus der Stadt entflohen sein, bald mit der Eisenbahn, dem Velociped, bald mit einem Frachtkutter, der Oel aus Porto Ferraio gebracht, nach der Levante abgesegelt sein. Herr Viktorien Lejeune, der als Vertreter des Haupt gläubigers zum Verwalter der Konkursmasse erwählt worden war, hätte eigentlich Grund genug gehabt, sich um all' diese Gerüchte zu kümmern. Aber er tat das nicht. Er hörte kaum darauf, wenn sie ihm erzählt wurden. Die Person des Herrn Belotti war ihm sehr gleichgültig. Er suchte das Geld. Wenn dabei Herr Belotti wieder zum Vorschein kam, so war es gut, wenn nicht, so war es auch gut. Aber Herr Lejeune, ein so aufmerksamer und scharfsich tiger Herr er auch war, fand weder das Eine, uoch das Andere. Auch das Geld schien sich in diesem Falle spur los verflüchtigt zu haben, wie Herr Belotti selbst. Die Häuser in der Rne de Cannebiöre und der Jolilotte, die als Herrn Belottis Eigentum figurierten, waren bis unter die Dachsparren mit Hypotheken belastet. Die Konkursmasse hatte also vorläufig nur Verwaltungs spesen davon. An der Jolilotte mußte sogar ein Polizei posten stationiert werden, um die Frau und Kinder des Flüchtigen gegen rohe Ausschreitungen und Bedrohungen der Beschädigten zu schützen. In der Kasse hatte man nicht ganz neuntausend Francs nnd zwei gute Wechsel, die im Betrage von zweiundzwanzigtausendfünfhundert Francs inzwischen eingelöst waren. Alles übrige, nicht von besonderem Belang, hatte sich als „faul" erwiesen. Im Tresor befanden sich unter einem Wust alter, wert loser Dokumente und Akten zweihundertdreißig Stück Panama - Aktien, die gerade zu jener Zeit so gut wie nichts mehr wert waren. An Außenständen waren alles in allem etwa hundert- bis hundertzwanzig, tausend Francs vorhanden, in Summa noch nicht zehn Prozent der angemeldeten Forderungen. „Sie glauben nicht daran?" fragte der Prokurator Laroche bei der Uebergabe der Masse. „An was soll ich nicht glauben?" erwiderte Herr Lejeune. „Daß Belotti auch eines der vielen Opfer des Panamaschwindels geworden ist?" „Weshalb sollte ich das glauben?" ..Nun, ich sollte meinen, der Berg Aktien dieser Unternehmung sollte Sie davon überzeugen. Gott weiß, welche Unsummen Belotti dafür seinerzeit bezahlt hat." „Ja, Gott weiß es", antwortete Herr Lejeune trocken, „wir aber wissen es nicht." „Wie wollen Sie sich sonst das kolossale Defizit von fast zwei Millionen Francs erklären? Irgend wohin muß doch das Geld gegangen sein." „Stimmt auffallend. Irgend wohin muß es ge- gangen sein. Es fragt sich nur, wohin." „Faule Spekulationen. Diese Panama-Aktien hier waren noch vor drei Jahren weit über eine Million Francs wert." „Und jetzt keine fünftausend Francs. Ich wollte, ich fände jemand, der mir nnr io viel bezahlte." Dabei blätterte Herr Lejenne in dem Stoße dieser Aktien herum, als ob er etwas suche, irgend ein Merkmal, irgend ein stummes Zeichen, was seinen Gedanken eine gewisse Richtung geben oder seinen Verdacht begründen könne. „Unglaublich!" fuhr der Herr Prokurator in seinen Betrachtungen fort: „nnd doch kommen solche Geschichten auch heute noch jederzeit vor. Unternehmungen, Grün- düngen, Aktiengesellschaften brechen zusammen und be- graben Hunderte von Existenzen unter ihren Trümmern. Manche zappeln noch und schleichen noch einige Zeit unter uns herum, ohne daß man eine Ahnung hat, wie schwer sie getroffen sind — wie Belotti auch. Wer hätte uoch in voriger Woche etwas Derartiges zu denken gewagt? Und dieser reißt nun wer weiß wie viele wieder mit sich fort. Schwindel und ivieder Schwindel und nichts als Schwindel. Meinen Sie nicht, Herr Rechtsanwalt?" „Ganz meine Meinung, Herr Prokurator. Die Menschen werden nicht besser." „Oh, davon isi schon gar keine Rede. Ich habe ja nichts dagegen. Es ist zu allen Zeiten geschwindelt worden, aber so arg wie jetzt war es nie." Herr Lejeune wurde ungeduldig, weil er nichts fand, was ihn in seinem Verdacht bestärkte. Nun setzte er sich bequem auf einen Stuhl und nahm jedes Stück der Aktien, eins nach dem andern, vor, um es einer sorgfäl tigen Prüfling zn unterwerfen. Er wurde von dieser Arbeit so sehr in Anspruch genommen, daß er gar nicht mehr hörte, was der Prokurator sagte, und nur hin und wieder warf er ein Hm, ein Ja oder ein Nein ins Ge- spräch, je nachdem es schien, daß es der Prokurator er- wartete. Tas siel diesem endlich auf, und um den Rechts anwalt nicht mehr zu stören, ließ er ihn allein. (Fortsetzung folgt.)
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